Die Nachzucht der Würfelnatter als Beitrag zum Artenschutz

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Die Nachzucht der Würfelnatter als Beitrag zum
Artenschutz
Zusammenfassung des Vortrags von Andreas Mendt
Deutsche Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde (DGHT) e.V.
Postfach 1421, D-53351 Rheinbach
Tel. 02255-950106, Fax 02255-1726, E-Mail: [email protected], Web: www.dght.de
Einleitung
Die Würfelnatter (Natrix tessellata LAURENTI 1768) ist eine unserer seltensten heimischen
Tierarten. Ihr Hauptverbreitungsgebiet liegt in Ost- und Südosteuropa, während sie in
Deutschland ihre westliche und nördliche Verbreitungsgrenze erreicht. Sie gilt bei uns als
vom Aussterben bedroht. Das hängt auch damit zusammen, daß sie in ihrer Lebensweise eng
an klimatisch begünstigte Fließgewässer gebunden ist, wie die drei voneinander isolierten
Populationen dieser Art an den Flüssen Mosel, Lahn und Nahe – alle in Rheinland-Pfalz –
zeigen. Der Gesamtbestand wird auf unter 500 Tiere geschätzt.
Gezielte Schutzbemühungen haben in den letzten Jahren einen wertvollen Beitrag zur
Stabilisierung der Populationen der Würfelnatter geleistet. Bereits in den 70er Jahren wurde
das Vorkommen und die Lebensweise der Art in Deutschland eingehend untersucht
(GRUSCHWITZ 1978, LENZ & GRUSCHWITZ 1993). Im Jahr 1980 wurde mit einer
grundsätzlichen Ermittlung der noch vorhandenen Populationen begonnen. Seither haben eine
Vielzahl von Einzelmaßnahmen in allen Vorkommensgebieten stattgefunden. Wesentlicher
Bestandteil war unter anderem auch ein Nachzuchtprogramm zur Verbesserung der
Altersstruktur (Verjüngung) der Restpopulation, das in den Jahren 1983 bis 1985 im
Aquarium des Kölner Zoos durchgeführt wurde.
Im Jahre 1997 schließlich wurde im Rahmen eines Entwicklungs- und Erprobungsvorhabens
(„E+E-Vorhaben“) zur Entwicklung neuer Lebensräume an Bundeswasserstraßen ein weiteres, wichtiges Kapitel zur Erhaltung der Indikatorart Natrix tessellata aufgeschlagen. Denn
für die Einleitung der Trendwende beim Artenrückgang und den Erhalt der Würfelnatter als
Teil der heimischen Artenvielfalt bedarf es neuer, langfristig wirksamer Maßnahmen zum
Schutz und Entwicklung der Lebensräume und der Populationen. Auch im Rahmen dieser
Maßnahme wird – basierend auf den Erfahrungen, die im Kölner Zoo und anderswo
gewonnen wurden – ein Nachzuchtprogramm durchgeführt werden. Verantwortlich für das
E+E-Vorhaben ist die „Deutsche Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde (DGHT)
e.V.“. Die notwendigen Mittel wurden bereitgestellt vom Bundesamt für Naturschutz (BfN)
aus dem Topf des Bundesumweltministeriums, den Ländern Rheinland-Pfalz und Sachsen
sowie der RWE Energie-AG. Das Vorhaben läuft bis zum Jahr 2000. Ausführliche
Informationen enthält eine projektbegleitende Broschüre (DGHT 1997).
Biologie
Wesentliche Voraussetzung für ein Nachzuchtprogramm und eine erfolgversprechende
Aussetzung der Tiere ist ein tiefgehendes Verständnis für die Biologie der Art.
Weibliche Würfelnattern erreichen in Deutschland eine Länge von höchstens 1 m, Männchen
bleiben deutlich kleiner. Die Rückseite zeigt die namensgebende, dunkle Würfelzeichnung
auf einer graubraunen bis dunkeloliven Grundfärbung. Der Kopf ist schmal und gestreckt,
Nasenlöcher und Augen sind in Anpassung an die überwiegend aquatische Lebensweise in
Richtung der Kopfoberseite verlagert und schräg nach oben gerichtet. Alle Körperschuppen
sind stark gekielt und in 19 Schuppenreihen um die Körpermitte angeordnet. Von besonderer
Bedeutung ist die Beschilderung des Kopfes, da die Anzahl der Labialia und Ocularia stark
variabel ist und daher zur individuellen Erkennung der Einzeltiere herangezogen werden
kann. Das ist für die Erfolgskontrolle von Maßnahmen wichtig.
Nach einer etwa halbjährigen Winterruhe werden die Würfelnattern meist im April oder Mai
aktiv. Weitere vier Wochen später beginnen die Paarungsaktivitäten. Ende September oder
Anfang Oktober suchen die Tiere wieder ihre Winterquartiere in Felsspalten, Geröll, Mauern
oder Hohlräumen in Dämmen und Uferbefestigungen auf.
Tagsüber hält sich die Würfelnatter zum Beutefang im Wasser auf. Als Ruhezone werden
Flachwasserbereiche aufgesucht. Sie ernährt sich hauptsächlich von Fischen, die sie durch
aktives Verfolgen oder durch Auflauern erjagt. Zur Erreichung der Vorzugstemperatur sucht
sie sonnenexponierte Standorte in Ufernähe auf. Natrix tessellata bevorzugt Flußabschnitte
mit Flachwasserzonen, Kies- und Schotterbänken mit reichem Fischbestand.
Die zum Überleben der Population notwendigen Strukturen finden sich fast ausschließlich an
naturnahen Flußabschnitten mit einer strukturreichen, mäandrierenden Uferlinie.
Gefährdung
Neben einer direkten Verfolgung der Schlangen durch den Menschen nimmt besonders die
Beeinträchtigung und Zerstörung ihrer Lebensräume immer stärker zu.
Die Flußauen stellen heute einen der am stärksten gefährdeten Biotoptypen in Mitteleuropa
dar. Sie sind vielfach nur noch lückenhaft entlang der begradigten Flußläufe vorhanden.
Dieser Lebensraum unterliegt einer Vielzahl von Nutzungsinteressen und Gefährdungen.
Insbesondere Ausbau, Begradigung und Stauhaltung, einschließlich der damit veränderten
Fließdynamik, wassergebundener Freizeitdruck auf den Fluß selbst und seine Ufer,
Wasserkraftnutzung und Gewässerverschmutzung sind die Ursachen für den weitgehenden
Verlust naturnaher Fließgewässer und der angrenzenden Auenbereiche.
Schutzbemühungen
In den Jahren 1983 bis 1984 wurden alle Standorte der Würfelnatter rechtswirksam als
Naturschutzgebiete ausgewiesen.
Seit 1985 werden im Winterhalbjahr regelmäßig Pflegemaßnahmen zur Freistellung der
Uferhabitate (Standort Lahn) durchgeführt.
Seit 1990 werden regelmäßig gezielte Pflege- und Freistellungsmaßnahmen vor allem zur
Eindämmung expansiver Neophytenfluren durchgeführt.
In den Jahren 1990, 1992, 1995 wurden für alle Standorte im behördlichen Auftrag Pflegeund Entwicklungspläne erarbeitet
Im Rahmen der Schutzaktivitäten besteht zudem seit etwa 1985 eine mehr oder weniger
kontinuierliche Kontrolle der Würfelnatter-Populationen in allen Vorkommensgebieten zur
aktuellen Erfassung von Bestandsveränderungen oder Gefährdungsfaktoren.
Nahezu alle Schutzmaßnahmen wurden kurzfristig und bedarfsorientiert durchgeführt, um
anstehende Gefährdungen zu minimieren, auszugleichen oder zu verhindern.
Übergeordnetes Ziel des aktuellen Erprobungs- und Entwicklungs-Vorhabens zur „Entwicklung und Vernetzung von Lebensräumen sowie Populationen bundesweit bedrohter Reptilien
an Bundeswasserstraßen am Beispiel der Würfelnatter (Natrix tessellata) an den Flüssen
Mosel, Lahn und Elbe“ ist es, durch eine Neugestaltung und Vernetzung naturnaher
Flußauen-Biotope die Überlebensfähigkeit gefährdeter Tier- und Pflanzenarten in intakten
Lebensgemeinschaften langfristig zu sichern. Dabei sollen verschiedene Maßnahmen zur
Gestaltung und Entwicklung sowie zum Schutz und Erhalt der Lebensräume erprobt werden.
Versiegelte Wege, befestigte Ufer und angrenzende Grünlandflächen werden dabei mittels
verschiedener wasserbautechnischer und landschaftsgestaltender Maßnahmen in eine
landschaftstypische Kiesaue umgewandelt, die wieder einer Gewässerdynamik unterliegt. Die
Besiedlung des neugestalteten Lebensraumes soll durch das Aussetzen von in Menschenobhut
nachgezüchteten Würfelnattern initiiert und beschleunigt werden.
Nachzucht in menschlicher Obhut
Der Sinn eines Nachzuchtprogramms liegt darin, eine Population in einer kritischen
Zustandsphase kurzfristig und gezielt durch die Anhebung des Jungtieranteils zu stützen.
Erfolgversprechend ist eine solche Maßnahme jedoch nur, wenn begleitend habitatverbessernde Maßnahmen durchgeführt werden. Über die erfolgreiche Haltung und
Nachzucht von Natrix tessellata wurde bereits mehrfach berichtet (z.B. DUMMERMUTH 1977).
GRUSCHWITZ et al. (1992) stellen ausführlich die Vorbereitung und Durchführung der
Nachzuchtmaßnahmen im Kölner Zoo vor.
Im Interesse einer zügigen und sicheren Verfügbarkeit von Jungtieren werden am besten
gezielt trächtige Weibchen aus der Natur entnommen. Die Tiere werden getrennt in
Glasterrarien eingesetzt, die die Voraussetzungen für eine vorübergehende artgerechte
Unterbringung erfüllen müssen. Insbesondere ist für einen Behälter mit einem geeigneten
Eiablagesubstrat – gefüllt mit verrottendem Laub – zu sorgen. Je nach Alter legen die Tiere
zwischen 5 und 25 Eiern ab. Die Eiablage erfolgt im Juli oder August. Jetzt können die
Weibchen wieder an ihren natürlichen Standort entlassen werden. Die oft in Klumpen
zusammenhaftenden Eier werden umgehend in einen Brutschrank überführt; die Jungtiere
schlüpfen in der Regel nach 34-36 Tagen. Eine Schlupfrate von bis zu 90 Prozent
dokumentiert den Vorteil dieser Methode – unter Freilandbedingungen wird sie nur selten
erreicht. Die Fütterung der Jungtiere, die in einem in erster Linie aquatisch eingerichteten
Behälter untergebracht werden, erfolgt mit kleinen Fischen. Auf das Überwinterungsrisiko –
im ersten Winter gehen in der Natur die meisten Jungtiere zugrunde – wird bewußt verzichtet.
Im Sommer des Folgejahres werden die Tiere am natürlichen Standort ausgesetzt. Zur
Erfolgskontrolle wird die Population in den Folgejahren beobachtet.
LENZ (1989) konnte zeigen, daß die bedrohliche Altersstruktur der Lahn-Population sich
entschieden verbessert hatte, so daß die Population wieder in der Lage war, erfolreich und
eigenständig zu reproduzieren; der Anteil von Jungtieren und subadulten Würfelnattern stieg
innerhalb eines 8-Jahre-Intervalls von 0 auf über 45 Prozent.
Artenschutz im Zoo
Wie das Beispiel der Würfelnatter zeigt, können Zoos mit ihren sachkundigen Mitarbeitern
Natur- und Artenschutzmaßnahmen, die professionell und umfassend geplant werden,
wirkungsvoll unterstützen. Voraussetzung ist eine Ziel- bzw. Erfolgskontrolle in
wissenschaftlich abgesicherter Form und ein ausreichender Zeitrahmen zur Überprüfung der
Wirksamkeit der Maßnahme.
Wenig ist hingegen von Artenschutzaktionen ohne die notwendige wissenschaftliche
Begleitung oder ohne finanzielle Absicherung für das Gesamtprojekt zu halten. Deswegen
sollten Zoos ihre Bereitschaft zur Unterstützung sinnvoller Artenschutzmaßnahmen
signalisieren, zumal dies der Imagepflege dienen kann, aber auf Eigeninitiative ohne
professionellen Hintergrund verzichten, um nicht mehr Schaden als Nutzen anzurichten.
Danksagung
Für die Bereitstellung der Vortragsunterlagen sowie der Texte, die zur Zusammenstellung
dieses Artikels herangezogen wurden, sei Frau Dr. Sigrid Lenz, Frau Andrea Herzberg und
Herrn Dr. Gruschwitz besonders gedankt.
Den im Text genannten Institutionen sei für die großzügige finanzielle Unterstützung des
E+E-Vorhabens zur Entwicklung neuer Lebensräume an Bundeswasserstraßen gedankt. Wir
sind sicher, daß die eingeleiteten Untersuchungen und Maßnahmen überaus wichtige
Erkenntnisse zum Schutz unserer Flußauen erbringen werden.
Literaturverzeichnis
DGHT (Hrsg.) (1997): Flußauen und Würfelnatter – Entwicklung neuer Lebensräume an
Bundeswasserstraßen. – Rheinbach, 16 Seiten (DGHT).
DUMMERMUTH, S. (1977): Pflege und Zucht der Würfelnatter (Natrix t. tessellata). Aquaria
24: 43-44.
GRUSCHWITZ, M. (1978): Untersuchungen zu Vorkommen und Lebensweise der Würfelnatter
(Natrix t. tessellata) im Bereich der Flüsse Mosel und Lahn (Rheinland-Pfalz) (Reptilia:
Serpentes: Colubridae). – Salamandra 14: 80-89.
GRUSCHWITZ, M., S. LENZ, H. JES & G. NOGGE (1992): Die Nachzucht der Würfelnatter
(Natrix tessellata LAURENTI, 1768) im Aquarium des Kölner Zoos – ein Beitrag zum
Artenschutz. – Zeitschrift des Kölner Zoo 35: 117-125.
LENZ, S. (1989): Untersuchungen zur Biologie und Populationsbiologie der Würfelnatter,
Natrix tessellata (LAURENTI 1768) in der Bundesrepublik Deutschland. – Diplomarbeit Univ.
Bonn, 185 S.
LENZ, S. & M. GRUSCHWITZ (1993): Zur Populationsökologie der Würfelnatter, Natrix t.
tessellata (Laurenti 1768) in Deutschland (Reptilia: Serpentes: Colubridae). – Mertensiella 3:
253-267.
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