Pastoralreferentin Alexandra Löhr, Frankfurt hr1-Zuspruch am Mittwoch, 27. September 2017 „Nicht höflich - freundlich!“ Ist Höflichkeit zu viel verlangt? Ich merke, dass ich den Mann in der U-Bahn anstarre. Er sitzt mir gegenüber. Die U-Bahn ist voll. Wahrscheinlich sind die Menschen um uns herum fit genug, um zu stehen. Trotzdem muss es doch nicht sein, dass der Mann mir gegenüber den Sitzplatz neben sich blockiert: Mit seiner Aktentasche und der ausladend großen Tageszeitung. „Ist Höflichkeit zu viel verlangt“? Das frage ich mich auch, als die ältere Dame im Supermarkt mich beleidigt: „Was machen Sie sich denn hier so breit?“. Ich habe meinen Einkaufswagen zu nah am Milchregal geparkt. Ich bin sprachlos, aber mir gehen allerhand wüste Beschimpfungen durch den Kopf. Solche Szenen erlebe ich immer wieder. Und ich denke mir oft: Höflichkeit sollte doch das Mindestmaß sein, kein on top. Wenigstens ein respektvoller Umgang. Ich muss mein Gegenüber ja nicht leiden können, muss mit ihm oder ihr nach Feierabend kein Bier trinken gehen. Aber Höflichkeit sollte doch Standard sein. Wenn ich in die Bibel schaue, dann ist da vom Wort Höflichkeit noch keine Rede. Gefordert wird aber noch viel mehr. Nicht höflich, freundlich soll ich zu meinen Mitmenschen sein. Sie also so behandeln, wie ich meine Freunde behandeln möchte. Paulus schreibt in einem seiner Briefe an die Gemeinde in Ephesus: „Seid untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem anderen, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.“ (Eph 4,32) Brautpaare nehmen diesen Vers gerne als Trauspruch. Und ja, für die Ehe, für den Umgang mit meinem Partner möchte ich das gerne jeden Tag neu versuchen. Aber mit dem Mann in der U-Bahn oder der frechen Frau am Milchregal? Hand aufs Herz, das wird mir nicht gelingen. Trotzdem will ich das ernst nehmen, was die Bibel da fordert, was Jesus selbst immer wieder erklärt und vorgemacht hat. Ich nehme mir also vor, es zu versuchen: freundlich zu sein und zu vergeben. Für den Fall, dass ich beim nächsten Einkauf meinen Einkaufswagen erneut ungünstig parke und dafür beleidigt werde, kann das heißen: Ich versuche, entspannt zu bleiben und lächle die Dame freundlich an. Statt der wüsten Beschimpfungen in meinem Kopf, denke ich mir etwas Wohlwollendes und versuche, ihr zu vergeben. Vielleicht verändert das sogar etwas in der Frau. Aber auch wenn nicht: Es wird etwas in mir verändern, wenn ich nicht nur höflich, sondern freundlich bin.