Hohe und niedere Literatur. Tendenzen zu Ausgrenzung

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Hohe und niedere Literatur. Tendenzen zu Ausgrenzung,
Vereinnahmung und Mischung
Les rapports entre « littérature majeure » et « littérature mineure » :
marginalisation, intégration, mélange
Internationale Doppeltagung für Germanisten und Skandinavisten an der Université
de Lorraine (Nancy) und der Universität Yamaguchi
Erster Teil: Nancy, 28.-30. November
Veranstaltungsort:
Maison des Sciences de l'Homme de Lorraine (MSH)
91, avenue de la Libération
54000 Nancy
Raum 324 und Raum 322
PROGRAMM
Hohe und niedere Literatur. Tendenzen zu Ausgrenzung,
Vereinnahmung und Mischung
Les rapports entre « littérature majeure » et « littérature mineure » :
marginalisation, intégration, mélange
Nach den traditionellen Wertmaßstäben der Literaturkritik nehmen gewisse Gattungen, die als
„nieder“ bezeichnet werden, eine marginale Position im Bereich der deutschen Literatur ein. Und
doch ist die „große“, „Hoch-“ oder „Höhenkammliteratur“ wohl in keiner Epoche von diesem Typ
literarischer Produktion völlig unberührt geblieben, der zuweilen sogar, wenn nicht als Modell, so
doch als Inspirationsquelle diente. Die Tagung soll den Blick schärfen nicht nur für das
Nebeneinander und die Konkurrenz, sondern auch und vor allem für das Hin und Her der
Annäherung und Entfernung zwischen den beiden Literaturen, der Integration oder Ausgrenzung
der niederen Gattungen.
Selon les critères d’évaluation traditionnels de la critique littéraire, certains genres, qualifiés de
mineurs, occupent une place marginale dans le domaine de la littérature. Cependant, la « grande
littérature » n’a été à aucun moment complètement coupée de ce type de production et s’en est
même fréquemment inspirée. Le colloque, centré sur la germanistique et la scandinavistique, entend
mener une réflexion approfondie non seulement sur la coexistence et la concurrence de ces deux
littératures, mais aussi et surtout sur leurs mouvements de rapprochement ou d’éloignement, ainsi
que sur les phénomènes d’intégration ou de rejet des genres mineurs par la « grande littérature ».
Nous remercions les organismes suivants qui, grâce à leur soutien financier, ont permis la tenue de
ce colloque :
Université de Lorraine (Conseil scientifique)
Centre d'Etudes Germaniques Interculturelles de Lorraine (CEGIL)
Communauté Urbaine du Grand Nancy (CUGN)
Université franco-allemande (UFA)
Nos remerciements vont également au Goethe-Institut qui a accepté de collaborer à ce projet en
programmant une soirée cinéma, le 28/11/2013.
Le comité d'organisation :
Konrad Harrer (Université de Lorraine / Nancy)
Annie Bourguignon (Université de Lorraine / Nancy)
Franz Hintereder-Emde (Université de Yamaguchi)
28. November 2013
13.30 – 14.00 Begrüßung der Teilnehmer (Raum 324)
14.00 Offizielle Tagungseröffnung
14.30 Konrad Harrer: Einführung in die Tagung
15.00 Thomas Hecken (Siegen, keynote speaker): Literatur, Kanon, Medienkonkurrenz
15.30 Julia Genz (Tübingen, keyote speaker): Kunst, Kitsch und Hochkultur
16.00 Diskussion
16.20 Kaffeepause
16.40 – 18.00 Sektionen
Raum 324
Raum 322
Sektion A1: Bühnenkunst des 17. und Sektion A2: Andere Welten
18. Jahrhunderts
Moderation: Annemarie Weber
Moderation: Arata Takeda (Chicago) (Bielefeld)
16.40 – 17.10
17.10 – 17.40
17.40 – 18.00
Dag Hedman (Göteborg)
Jesko Reiling (Bern)
Ariadne rediviva. Zu Christian Heinrich
Postels Bearbeitung des antiken
Ariadnethemas für die Hamburger Oper
Totgesagte leben länger!?! Literarische
Zombies suchen ihre Leser
Stefan Lindinger (Athen)
Françoise Willmann (Nancy)
Emanuel Schikaneder als
Populärdramatiker am Beispiel der
Philippine Welserinn und anderer
Schauspiele
Die Last des Didaktischen in der ScienceFiction
Diskussion
Diskussion
18.30 Abendessen in der « Auberge de la Ravinelle » (54, rue Isabey)
20.00 Filmabend im Goethe-Institut (39, rue de la Ravinelle):
Goethe! (Philipp Stölzl)
29. November 2013
9.00 – 12.30 Sektionen
Raum 324
Raum 322
Sektion B1: Medienwechsel
Sektion B2: Literatur und Geschichte
Moderation: Stefan Lindinger (Athen) Moderation: Franz Hintereder-Emde
(Yamaguchi)
9.00 – 9.30
Michael Weitz (Athen)
Caroline Olsson (Paris)
Verfilmte Literatur bei Chris Kraus. Zur
High versus low fiction within the
kulturellen Logik der Trivialisierung durch Scandinavian historical genre
Medienwechsel
9.30 – 10.00
Michel de Boissieu (Yamaguchi)
Mario Saalbach (Vitoria-Gasteiz)
Karl May (1974), von Hans-Jürgen
Verlorene Heimat und Fiktion: Zwischen
Syberberg : ein kitschiger Film über einen historischer Aufarbeitung und
kitschigen Schriftsteller ?
Trivialisierung
10.00 – 10.20
Diskussion
Diskussion
10.20 – 10.40
Kaffeepause
Kaffeepause
Sektion C1: Märchen und Volkspoesie Sektion C2: Kinder- und
Moderation: Michael Weitz (Athen)
Jugendliteratur
Moderation: Michel de Boissieu
(Yamaguchi)
10.40 – 11.10
Patricia Viallet (Saint-Etienne)
Gabriela Fragoso (Lissabon)
Volksdichtung im Spannungsfeld
Triviale Jugendliteratur im Deutschen
zwischen „hoher“ und „niederer“ Literatur: Kaiserreich am Beispiel von Werken
der exemplarische „Grenzfall“ des
Sophie Wörishöffers und C. Falkenhorsts
Grimmschen Buchmärchens
11.10 – 11.40
11.40 – 12.10
12.10 – 12.30
Timon Jakli (Wien)
Annemarie Weber (Bielefeld)
Volkspoesie und Volk zwischen hoher
und niederer Literatur
Kinder-und Jugendliteratur:
vom lowbrow- zum highbrow-Segment der
rumäniendeutschen Literatur
Franz Hintereder-Emde (Yamaguchi)
Sabine Zubarik (Erfurt)
Snow White Reloaded — Grimms
Märchen im digitalen Zeitalter
Walter Moers und seine ZamonienRomane: ein literaturwissenschaftliches
Schlaraffenland
Diskussion
Diskussion
13.00 Mittagessen in der Mensa (Restaurant universitaire Monbois, 138, avenue de la Libération ;
Erdgeschoss)
14.30 – 18.00 Sektionen
Raum 324
Raum 322
Sektion D1: Kriminalroman und
Sektion D2: Bühne und Film im frühen
Derivate
20. Jahrhundert
Moderation: Dag Hedman (Göteborg) Moderation: Anneli Fjordevik (Dalarna
/ Uppsala)
14.30 – 15.00
Fuminari Niimoto (Tokio)
Kriminalroman als Alibi. Friedrich
Glausers parodierendes Romanprojekt
der Moderne
15.00 – 15.30
15.30 – 16.00
Chiara Maria Buglioni (Mailand /
München)
Von der Narrativität zur dramatischen
Gestalt:
Hohe und niedere Literatur auf der Bühne
der Weimarer Republik
Annie Bourguignon (Nancy)
Cécile Vidal-Oberlé (Paris)
Hohe oder niedere Kriminalliteratur ?
Henning Mankells Danslärarens
återkomst und Stefan Slupetzkys Der Fall
des Lemming
Pantomime, Marionettentheater und
Singspiel im Theater Arthur Schnitzlers als
eine Auseinandersetzung mit den
« höheren » dramatischen Gattungen
Georg Pichler (Alcalá de Henares)
Martina Zerovnik (Wien)
Zwischen Hoch und Tief ist nicht
Wort gegen Bild. Positionen der Literatur
Dazwischen. Das Spiel mit trivialen und
zum Film während der Kino-Debatte, 1909hochliterarischen Elementen im Werk von 1929
Wolf Haas
16.00 – 16.20
Diskussion
Diskussion
16.20 – 16.40
Kaffeepause
Kaffeepause
Sektion E1: Literatur und
Massenmedien
Moderation: Françoise Willmann
(Nancy)
Sektion E2: Unterhaltung und
"Schund"
Moderation: Thomas Hecken (Siegen)
16.40 – 17.10
Anneli Fjordevik (Dalarna / Uppsala) Henriett Lindner (Budapest)
Zur Rolle der internetbasierten Fanfiktion Schaubudenkultur und literarische
im Grenzland zwischen Leser- und
Unterhaltung – Taschenspielertricks im
Verfasserschaft
deutschen Geheimbundroman
17.10 – 17.40
17.40 – 18.00
Gesa Singer
Simone Sauer-Kretschmer (Bochum)
Ruhm und Trivialität: mediale
Inszenierung in der Literatur
Nieder(e)Schriften – Bordellromane und
Dirnenbiographien als Literatur von ganz
Unten?
Diskussion
Diskussion
20.00 Abendessen im Grand Café Foy (1, place Stanislas)
30. November 2013
9.30 – 11.20 Sektionen
9.30 – 10.00
10.00 – 10.30
10.30 – 11.00
11.00 – 11.20
Raum 324
Raum 322
Sektion F1: Veränderungen in der
literarischen Wertung
Moderation: Julia Genz (Tübingen)
Sektion F2: Von Walser zum Pop
Moderation: Cécile Chamayou-Kuhn
(Nancy)
Simone Orzechowski (Metz)
Megumi Wakabayashi (Tokio)
Otto Flakes unbequemer Spagat
zwischen hoher und niederer Literatur
Grenzüberschreitungen im Räuber-Roman:
Robert Walsers ironisches Spiel mit
literarischen Gattungen
Santha Kumari (Thiruvananthapuram) Andreas Heimann (Mainz)
Die Tendenz zur Trivialliteratur in Billard
um halb zehn von Heinrich Böll –
veranschaulicht durch Vergleich mit Die
Blechtrommel von Günter Grass
Popu-leeres Individuum und Goethe:
Die Krise des Subjekts in Elfriede Jelineks
Pop-Roman wir sind lockvögel baby!
Matthias Aumüller (Wuppertal)
Ruven Karr (Saarbrücken)
Zum literarischen Anspruch
systemkonformer DDR-Literatur
„Ich bin Graf von Monte Schizo / und singe
diesen Hit so“ – Das Hohe, Flache und
Tiefe im deutschsprachigen Diskurspop
Diskussion
Diskussion
11.20 – 11.35 Kaffeepause
11.35 – 12.05 Plenarvortrag (Raum 324)
Arata Takeda (Chicago)
Nützliche Dialektik. Zur historischen Interdependenz von hoher und niederer Literatur
12.05 Abschlussdiskussion
Als Verlängerung der Tagung wird angeboten:
13.00 Mittagessen
ca. 14.30 Stadtführung
Präsentation der Referenten und ihrer Beiträge
(alphabetisch geordnet)
Dr. Matthias Aumüller, Bergische Universität Wuppertal (Deutschland)
Zum literarischen Anspruch systemkonformer DDR-Literatur
Systemkonforme DDR-Literatur wurde und wird von vielen westlichen Literaturwissenschaftlern
und -kritikern meist als trivial eingeschätzt, während denselben Werken von der DDRLiteraturwissenschaft und -kritik sowie von westdeutschen Marxisten zumindest implizit der Status
ernst zu nehmender Literatur zugeschrieben wurde. Teilweise finden sich die von westdeutschen
Literaturkennern als trivial empfundenen Werke im Kanon der offiziellen DDR-Literaturgeschichte.
Es liegt nahe, diese ästhetischen Differenzen als Ausdruck konträrer politisch-ideologischer
Vorstellungen zu interpretieren.
In meinem Beitrag möchte ich diesen Weg der Parallelisierung von ästhetischer und politischer
Lesart jedoch nicht gehen, sondern die jeweiligen Argumente am Beispiel einiger DDRAufbauromane aus den 50er Jahren prüfen. Dabei wird sich zeigen, dass die Argumente jeweils
andere Aspekte der Literatur berücksichtigen und daher nicht einfach aufeinander beziehbar sind.
Für die Trivialitätsthese werden z. B. folgende Argumente vorgebracht: Absehbarkeit der
Handlungsverläufe, Dominanz und Eindeutigkeit der ideologischen Botschaft, variationsarme,
konventionelle literarische Verfahren. Gegen die Trivialitätsthese ließe sich anführen: Es gibt eine
DDR-eigene Trivialliteratur (die sich von den Aufbauromanen unterscheidet und im Westen nie
berücksichtigt wurde), durchgehende Politisierung der Handlung, „Verargumentierung“ der
Handlung durch moralische, politische und ökonomische Elemente.
Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob die nicht-marxistischen Urteile marxistischer
Literatur auf der Basis einer bestimmten, nämlich modernistischen Poetik gefällt werden (so die
Verteidigung der marxistischen Seite) oder ob die Poetik, die den westdeutschen Aussagen über
DDR-Literatur zugrunde liegt, gewissermaßen objektiv ist.
Auf das Problem der Trivialität von systemkonformer DDR-Literatur lässt sich damit die
Grundsatzfrage jeglicher interkultureller Literaturwissenschaft abbilden: Wie lassen sich Urteile
über fremdkulturelle Phänomene fällen? Meine Antwort lautet mit Bezug auf die DDRAufbauromane, dass sich das Problem lösen lässt, indem man der Beurteilung der DDRAufbauromane eine im Hinblick auf die gegensätzlichen Positionen (z. B. Ambivalenznorm der
modernistischen Seite vs. Monovalenznorm der marxistischen Seite) neutrale Poetik zugrunde legt.
Der Beitrag zielt demnach einerseits auf die Erörterung des Tagungsthemas anhand eines
spezifischen Falls der deutsch-deutschen Literaturgeschichte und andererseits auf eine theoretische
Stellungnahme zum Problem dichotomischer Poetiken.
Prof. Michel de Boissieu, Universität Yamaguchi (Japan)
Karl May (1974), von Hans-Jürgen Syberberg : ein kitschiger Film über einen kitschigen
Schriftsteller ?
Filmregisseur Hans-Jürgen Syberberg, dessen Werke nur ein paar happy few bekannt sind, drehte in
1974 einen Film über Karl May, den erfolgreichsten Trivialliteratur-Autoren deutscher Sprache,
dessen Abenteuerromane Millionen von Menschen gelesen haben.
In diesem Film betont Syberberg vor allem drei Aspekte des Schriftstellers. Der erste ist der
Unwille, oder sogar die Unfähigkeit, Wirklichkeit von Fiktion zu unterscheiden. May identifizierte
sich nämlich mit Old Shatterhand, Erzähler und Held seiner berühmtesten Abenteuerromane, und
behauptete, selbst wirklich die Abenteuer erlebt zu haben, die er tatsächlich aus seiner Phantasie
herausgezogen hatte. Es ist, als ob May seine Erzählungen nicht als Dichtung, sondern als Wahrheit
gelten lassen wollte. Der zweite wichtige Aspekt des Schriftstellers ist die idealistische Tendenz, die
besonders in seinem Spätwerk spürbar ist. In diesem Werk will May, weit entfernt von seinen
früheren Abenteuerromanen, wichtige philosophische Fragen behandeln und eine ganze, von
Pazifismus eingeprägte moralische Weltanschauung durch komplexen Symbolen ausdrücken. Der
dritte Aspekt ist die Konsequenz der beiden anderen : die Lüge und das Streben nach Ideal stossen
sich an Wirklichkeit und erzeugen in May eine Spannung, die sich bis zur Neurose entwickelt.
Der Wille, Fiktion als Ausdruck einer absoluten Wahrheit gelten zu lassen ; das Streben nach
Moralisierung und Ideal ; die entsprechende Neurose : diese drei Aspekte von Karl May sind gerade
was Hermann Broch als drei Hauptzüge des Kitsches bezeichnet. Unter diesen Umständen wird
unser Referat ein doppeltes Ziel haben. Erstens werden wir zeigen, wie Syberberg Karl Mays Kitsch
sichtbar macht und kritisiert. Zweitens werden wir uns fragen, ob Syberberg, indem er Karl Mays
Kitsch ans Licht bringt, nicht selbst ein kitschiger Künstler wird.
Prof. Dr. Annie Bourguignon, Université de Lorraine, Nancy (Frankreich)
Hohe oder niedere Kriminalliteratur ? Henning Mankells Danslärarens återkomst und Stefan
Slupetzkys Der Fall des Lemming
Kaum ein literarisches Genre ist in den letzten zwanzig oder dreißig Jahren so deutlich aufgewertet
worden, wie der Kriminalroman, der sich nicht nur großen Erfolgs bei dem Publikum erfreut,
sondern auch Gegenstand literaturwissenschaftlicher Forschung ist.
Wie lässt sich aber eine solche Statusänderung erklären? Ergibt sie sich aus den Erwartungen der
Leser, aus einer soziologischen Umstrukturierung der Leserschaft, oder aus einer – inhaltlichen,
thematischen, formalen – Wandlung der betreffenden Texte?
Eine weitere Frage ist, ob alle Kriminalromane, die auf den Markt kommen, als hohe Literatur
eingestuft werden, eine Frage, die verneinend beantwortet werden muss. Man darf annehmen, dass
die bei der Bewertung der Kriminalliteratur maßgebenden Faktoren, die gleichen sind, wie
diejenigen, die die Bewertung der Literatur überhaupt bestimmen.
Wie manchmal angemerkt bedeutet der Erfolg der Kriminalromane ein Aufleben der realistischen
Literatur. Dem Realismus sind jedoch heute weite Gebiete der als niedrig angesehenen Prosa
zuzuordnen, und zwar weniger deswegen, weil sie die Wirklichkeit treu wiedergeben, als vielmehr,
weil ihnen jeder Versuch, die Darstellbarkeit der Wirklichkeit in Frage zu stellen, fremd ist, und sie
als Selbstverständlichkeit hinstellen, dass die von ihnen produzierten Bilder getreue Abbilder der
wirklichen Welt seien – obwohl dem oft nicht so ist, was auch einem ziemlich unkritischen Blick
nicht entgeht. Die Auseinandersetzung mit der Kriminalliteratur macht die Debatte um den
Realismus wieder aktuell, und führt zu der Frage, ob er am Anfang des 21. Jahrhunderts noch in die
„hohe“ Literatur hinüberzuretten ist.
In meinem Beitrag möchte ich die eben skizzierte Problematik anhand der Analyse zweier
Bestsellers veranschaulichen, Henning Mankells Danslärarens återkomst (2000, Die Rückkehr des
Tanzlehrers) und Stefan Slupetzkys Der Fall des Lemming (2004). Ich werde die Romane im Lichte
literaturtheoretischer Überlegungen zur Bewertung von Texten lesen. Kriterien, wonach sich die
literarische Qualität von Schriften einigermaßen ermessen lässt, sind etwa bei Hans Robert Jauss,
aber auch bei Pierre Bourdieu zu finden. Schon aufgrund der breiten Akzeptanz durch die Vertreter
anerkannter zuständiger Institutionen dürften beide Romane heute zur hohen Literatur gerechnet
werden. Es könnte sich aber herausstellen, dass diese Zuordnung zeitbedingt ist.
M.A. Chiara Maria Buglioni, Università degli Studi, Mailand (Italien) / Ludwigs-MaximiliansUniversität, München (Deutschland)
Von der Narrativität zur dramatischen Gestalt: Hohe und niedere Literatur auf der Bühne der
Weimarer Republik
Am 25. April 1926 findet die Uraufführung von Fegefeuer in Ingolstadt statt, als Sonntagsmatinée
der Jungen Bühne Moriz Seelers unter der Regie von Paul Bildt/Bertolt Brecht. Kaum vier Jahre
später debütiert Vicki Baums Menschen im Hotel unter der Regie von Gustav Gründgens am
Theater am Nollendorfplatz, als Gastspiel vom Deutschen Theater Max Reinhardts. Die
berühmtesten Theatermenschen der Weimarer Republik haben sich also eingesetzt, um zwei Stücke
aufzuführen, die von Frauen verfasst wurden. Im literarischen Feld der 1920er Jahre sind beide
Bühnenstücke das prominenteste Beispiel für eine weibliche Dramaturgie, deren Zuordnung zur
hohen/niederen Literatur durch männlichen Einfluss bekräftigt wurde.
Marieluise Fleißers Drama wurde von Herbert Ihering sowie von Alfred Kerr als eine
gelungene theatralische Auseinandersetzung mit vorgefassten Darstellungen und vorbestimmten
Möglichkeiten einer Provinzgesellschaft betrachtet und gilt noch heute als Vorbild des kritischen
Volksstücks. Die Berliner Aufführung von Vicki Baums Werk wurde hingegen 1930 von vielen als
bloß leichtsinnige Unterhaltung angesehen, mit welcher der weitblickende Reinhardt den
Vergnügungsnerv seiner Generation noch zu treffen versuchte. Heutzutage findet sie in der VickiBaum-Forschung kaum Beachtung, obwohl sie eine regelrechte Triumphgeschichte in Gang setzte,
und zwar den Welterfolg vom Grand Hotel betitelten Broadway-Musical und vom späteren
gleichnamigen Hollywood-Film.
Trotz ihrer andersartigen Rezeption spielten Fegefeuer in Ingolstadt und Menschen im Hotel
eine gleichermaßen bemerkenswerte Rolle in der Theatergeschichte der zwanziger Jahre: Einerseits
löste Fleißers Stück einen heftigen Medienrummel aus, welcher als Anzeichen für die Aufnahme
avantgardistischen Theaters in den 1920er Jahren betrachtet werden kann, andererseits diente Vicki
Baums Bühnenfassung des eigenen Romans einem Theaterbetrieb, der sich notwendigerweise
populären bzw. kommerziellen Formen öffnete. Auch die Prätexte beider Dramen bezeugen von
einer unterschiedlichen Position im literarischen Feld der Weimarer Republik: Gehört das Urbild
von Marieluise Fleißers Drama, die 1923 in der Zeitschrift „Das Tagebuch von Stefan Grossmann“
veröffentlichte Erzählung Meine Zwillingsschwester Olga, zweifellos zur Hochliteratur, so nimmt
der erstmals in der „Berliner Illustrirten Zeitung“ als Fortsetzungsroman gedrückte Bestseller Vicki
Baums eine eher umstrittene Position im Literaturkanon ein – die Literaturwissenschaft der letzten
Jahrzehnte hat sich ja bemüht, den Wert des Romans aufzudecken, aber das Etikett U-Kunst wird
Menschen im Hotel immer noch leicht angehängt.
Am Beispiel beider Dramen wird daher die Frage untersucht, ob und wie die
Transkodifikation epischer Texte in dramatische Formen den Status „hohe Literatur“ bzw. „niedere
Literatur“ verstärken kann. Zum anderen soll das Verhältnis zwischen Publikumserwartungen und
Inszenierungsmöglichkeiten erörtert werden, das im Theater der 1920er Jahre herrschte: Der
Bearbeitungsprozess beider Stücke wurde nämlich von Regisseuren, Intellektuellen und Impresarios
sehr stark beeinflusst, als hätten sie die Grenze hohe/niedere Literatur befestigen wollen.
Feuchtwanger, Brecht und Seeler trieben ihre damalige Protegée Marieluise zur Radikalisierung in
Sachen Experimentierens, während Gründgens und Reinhardt nur die Pseudo-Kunst, das Kitsch,
den kurzlebigen Gebrauchscharakter in Baums Werk hervorhoben.
Dr. Anneli Fjordevik, Universität Dalarna / Universität Uppsala (Schweden)
Zur Rolle der internetbasierten Fanfiktion im Grenzland zwischen Leser- und Verfasserschaft
Mit Hilfe der digitalen Technik haben heute auch Laien die Möglichkeit, eigene Texte, Filme,
Spiele, Musikstücke usw. im Internet zu „publizieren“ und somit mit professionellen
Kulturproduzenten zu konkurrieren. Die Grenze zwischen Produzenten und Zuschauern bzw.
Konsumenten ist durch diese „Mitmachkultur“ (participatory culture) erheblich verändert worden.
Ein Bereich, der mit dem Heranwachsen des Internets große Verbreitung gefunden hat, ist die
Fanfiktion. Fanfiktion sind Texte, die von einer existierenden literarischen Welt ausgehen. Es
handelt sich dabei oft um Fantasy-Welten, aber auch klassisch kanonisierte Werke wie Stolz und
Vorurteil, Lolita, Faust oder sogar die Bibel kommen vor. Diese werden auf irgendeine Weise
weitergeführt, indem der Fanfiktion-Verfasser mit dem existierenden Text einfach fortfährt, ihn aus
anderen Perspektiven als die ursprüngliche erzählt oder Charaktere weiterentwickelt, die in der
Vorlage Nebenrollen einnahmen.
In diesem Beitrag soll mit Ausgangspunkt in der Fanfiktion-Webseite www.fanfiktion.de die Rolle
der Fanfiktion im Allgemeinen und die metatextuelle Dimension der Fanfiktion-Texte zur
phantastischen Jugendromanreihe der Tintenwelt-Trilogie (Tintenherz 2003, Tintenblut 2005 und
Tintentod 2007) von Cornelia Funke im Besonderen diskutiert werden. Vor den Fanfiktion-Texten
steht meistens ein Kommentar des jeweiligen Verfassers zum „publizierten“ Beitrag. Ausgehend
von diesen author‘s notes soll die Annäherung der Fanfiktion-Schreiber und -Schreiberinnen zur
Vorlage erläutert werden; wie sie sich dazu verhalten und wie sie ihre Rolle in der Beziehung
zwischen den literarischen Vorlagen und ihren „neuen“ Texten betrachten, kurz ihre Rolle im
Grenzland zwischen Leser- und Verfasserschaft.
Dr. Gabriela Fragoso, Universidada Nova, Lissabon (Portugal)
Triviale Jugendliteratur im Deutschen Kaiserreich am Beispiel von Werken Sophie Wörishöffers
und C. Falkenhorsts
In meinem Beitrag gehe ich der Frage nach, inwieweit die Ideologie einer Epoche ihren Widerhall
in trivialen Texten für die Jugend findet. Der Schwerpunkt wird auf Werken des ausgehenden
19.Jahrhunderts liegen. Diese Epoche bot sich geradezu dazu an, eine von nationalistischer und
militaristischer Gesinnung geprägte Pädagogik zu verbreiten. Im Zentrum meines Beitrags steht die
Abenteuer- und Reiseliteratur, die im Deutschen Kaiserreich Hochkonjunktur hatte.
Sowohl Sophie Wörishöffer (1838-1890) wie auch C. Falkenhorst (1853-1913) gehören zu einer
langen Reihe von Autoren der sogenannten populären Massenliteratur. In ihren in Rekordauflagen
erscheinenden Werken präsentierten sie der deutschen Jugend eine Weltanschauung, die von der
Überlegenheit der christlich-abendländischen Kultur ausging. Ideologisch waren ihre Texte in
festgefahrenen Klischees verhaftet und erhielten ihren trivialen Charakter durch ihre starre Struktur,
die stereotypen Handlungsverläufe und einen standardisierten Sprachgebrauch.
Andererseits aber boten sie den jungen Lesern Unterhaltung und vermittelten ihnen Kenntnisse über
fremde Länder. Daher ist es nicht abwegig, sie in der Folge der aufklärerischen Tradition des 18.
Jahrhunderts zu sehen, welcher Autoren wie Joachim Heinrich Campe (Die Entdeckung von
Amerika) oder Johann Georg Friedrich Pabst (Die Entdeckung des fünften Welttheils) angehören.
Im Gegensatz zu denen von Campe und Pabst fehlt den Texten von Wörishöffer und Falkenhorst
jedoch der dialogische Charakter, der es den Lesern ermöglicht, Sachverhalte zu hinterfragen und
sich ein ausgewogeneres Urteil zu bilden. Dies wird durch die auktoriale Erzählsituation verhindert.
Dennoch trafen solche Jugendbücher den Geschmack einer breiten Bevölkerungsschicht, die für
eine nationalistische und chauvinistische Indoktrination empfänglich war.
PD Dr. Julia Genz, Universität Tübingen (Deutschland)
Kunst, Kitsch und Hochkultur
Die Frage, wie man Kitsch eindeutig von Kunst unterscheiden kann, ist Gegenstand unendlicher
Debatten und hat zu verschiedensten Erklärungsversuchen geführt. Untrennbar verbunden ist sie mit
der Frage, was Kunst eigentlich von Kitsch unterscheidet. Damit erscheint das Problem nicht so
sehr als den Kunstwerken inhärent, sondern als Diskursphänomen. Oft genug wird ein und dasselbe
Kunstwerk in unterschiedlichen Zeiten zunächst als Kunst und später als Kitsch empfunden (oder
umgekehrt). Der Vortrag bietet einen theoretischen Ansatz, diskursive Zuschreibungen zu
untersuchen, mittels derer ein Werk der Hochkultur bzw. dem Kanon zugeordnet wird. Damit
zusammenhängend werden negative Werturteile wie Banalität, Trivialität und Kitsch unterschieden
und ihr Zustandekommen erklärt.
Prof. Dr. Thomas Hecken, Universität Siegen (Deutschland)
Literatur, Kanon, Medienkonkurrenz
Obwohl die Massen- und Popkultur sowohl den Kanon der Museen, der öffentlich-rechtlichen
Sendeanstalten und der Universitäten als auch der statushohen Rezipienten erreicht hat, gilt dies für
die Literatur nicht in gleichem Maße. Im Unterschied zu Musik, Film, Fotografie wird der
Genreliteratur und anderen Titeln, die oftmals der populären Literatur zugeordnet werden, weniger
Aufmerksamkeit und Anerkennung zuteil. Der Vortrag will diese Lage schildern, analysieren und
Gründe für sie angeben.
Prof. Dr. Dag Hedman, Universität Göteborg (Schweden)
Ariadne rediviva. Zur Bearbeitung Christian Heinrich Postels des antiken Ariadnethemas für die
Hamburger Oper.
Eine der Hauptquellen zu den griechisch-römischen Mythen für Verfasser und Künstler war stets
Ovids Metamorphoses. Schon der erste moderne Librettist, der Florentiner Ottavio Rinuccini
(1562―1621), baute alle seine vier grossen Libretti auf Ovid: La rappresentazione di Dafne (1594),
L’Euridice (1600), L’Arianna (1607/08) und Il Narciso (1608?). Da Rinuccini für den Medici-Hof
arbeitete und ausserdem eine Nachahmung des antiken Dramas erstrebte, kann man nur in einem
sehr eingeschränkten Sinne von Popularisierungen des Stoffes in seinen Werken sprechen.
Christian Heinrich Postel (1658―1705) befand sich 80 Jahre später in einer ganz anderen
Arbeitssituation: er hatte den Auftrag, für die Hamburger Oper am Gänsemarkt den Text für eine
Ariadneoper zu verfassen. Der Hamburger Opernbetrieb war ein Unternehmen, das sich ein
breiteres Publikum zuwandte. Nicht aufwartende Hofleute, die eine Opernvorführung als einen Teil
ihres Dienstes betrachteten, sondern ein zahlendes Publikum, das auf seine Kosten kommen wollte,
musste Postels Text gefallen. Darum hat er durchgreifende inhaltliche Veränderungen gegenüber
Ovids Text vorgenommen, verglichen zu Rinuccini. In Postels Die schöne und getreue Ariadne
(1691) hat der Verfasser das Äusserste gemacht, um seinem Publikum ein ergreifendes und
unterhaltendes
Stück
zu
bieten,
mit
Möglichkeiten,
bühnerische
Pracht
zu
entfalten
(Bühnenbildumwandlungen, Balettszenen und dergleichen), das gleichzeitig als Grundlage für
Johann Georg Conradis (um 1645―99) Musik dienen sollte.
Mit welchen Mitteln arbeitet Postel? Was hat er von Ovid übernommen? Was hat er verändert? Was
hat er neugedichtet? In wiefern hält er sich zu den aristotelischen Regeln und die Vorschriften des
Dekorum, die im 17. Jahrhundert so wichtig waren? Was ist zeittypisch/modern für 1691? Welche
Wirkung erzielt Postel auf das Publikum mit seinen jeweiligen Veränderungen und Neudichtungen?
Der Hauptgedanke ist es, in diesem Vortrage die Refunktionalisierung des Stoffes für die
Hamburger Aufführungen zu untersuchen und zu sehen, inwiefern dabei eine ästhetische
Umwertung angebracht ist. Dabei werden Vergleiche zu Ovid und Rinuccini, aber auch zu anderen
Bearbeitern des beliebten Ariadnestoffes, gemacht, um einen motivgeschichtlichen Abriss zeichnen
zu können.
In der Forschung, die sich mit Fragen zur ”höheren” und ”niederen” Literatur befassen, hat man
sich kaum für Libretten interessiert. Ein Ziel der vorgeschlagenen Darstellung wird sein, zu zeigen,
dass es sich lohnt, diese Textgattung mit dieser Problemstellung zu untersuchen.
M.A. Andreas Heimann, Universität Mainz (Deutschland)
Popu-leeres Individuum und Goethe. Die Krise des Subjekts in Elfriede Jelineks Pop-Roman wir sind
lockvögel baby!
Der Name Otto trägt als Palindrom die Arbitrarität der Zeichen in besonderer Weise sichtbar in sich
und lädt zu einem Spiel der/mit Zeichen ein. Das vermeintlich feste Zeicheninventar, wird gerade
durch eine mögliche Spiegelung, als gesetzte, artifizielle Größe enttarnt.
Die beiden Os und die wie Additionszeichen dazwischen liegenden Ts reizt Elfriede Jelinek in
ihrem Roman „wir sind lockvögel baby!“, das im Namen Otto bereits angelegte Spiel mit
Signifikanten und Signifikaten aufzunehmen und zu erweitern. Erweiternd, weil sich, analog zu
Charlottes Frage: „Wer spielt nicht gern mit Ähnlichkeiten?“, bereits in Goethes letztem Roman
„Wahlverwandtschaften“, ein Spiel mit dem Namen Otto findet, auf das etwa Walter Benjamin
verweist. Auffällig an Goethes Figurenkonstellation ist, dass alle Hauptfiguren durch den Namen
Otto (sprachlich) verbunden sind und somit bereits eine Krise des Subjekts vorausgedacht wird, die
zugleich eine Krise der Zeichen und der Zeichenhoheiten ist.
Das Experiment Goethes wird von Jelinek in ihrem erstpublizierten Roman popkulturell ausgebaut.
Die Sprache von Trivialliteratur kopierend, schichten sich Figuren, wie Mickey Mouse, Batman
oder der Weiße Riese, auf Personen wie die Beatles oder Roy Black und verändern deren tradiertes
Bild. Sie alle sind die titelgebenden Lockvögel, die schon längst in die Sprache des Lebens selbst
hineinwirken und nicht mehr nur zum Kauf von Produkten animieren sollen.
In der Idee Otto kulminiert in Jelineks Text sowohl das ambivalente Moment des Collagetextes, als
auch der Verlust von Subjektivität in einer vom Fernsehen bestimmten Spaßgesellschaft. An ihren
immer wieder im Text auftauchenden Simulakren an Ottos, die sowohl als Konsumenten, als auch
als handelnde Figuren, schwangere Frau oder Mörder erscheinen können, zeigt sich der Verlust des
Individuums: Variante ist nicht Reichtum, sondern Ödnis.
Verortet die Frankfurter Schule in ihrer kritischen Auseinandersetzung, ebenso wie viele
Jelinekinterpreten, aber fast nur ein konformistisches Moment im Pop, erkennen die späteren,
poststrukturalistischen Thesen auch das produktive Moment für eine Gesellschaft, welches
ebenfalls bei Jelinek zu finden ist und bedacht werden muss.
Dabei geht es nach Deleuze und Guattari nicht um eine postmarxistische Lesart, also um eine
Ökonomie des Pop, sondern vielmehr um die Sprache, die Modi und gar die Chancen, die der Pop
offeriert. Um diesem wieder ein Stück seiner verbrauchten Subversivität abzutrotzen, ist es
erforderlich, die zuhandene Sprache einer erneuten Prüfung zu unterziehen. Aus einer Sprache der
Vielen, der Mehrheitssprache, wird infolgedessen ein Minderheitlich-Werden, in dem die Sprache
sich selbst zu entkommen versucht. Diesem doppelten Spiel der Signifikanten konstatieren beide
Denker die Möglichkeit einem diskursiven Kapitalismus; der Foucaultschen Macht, zu entgleiten.
In der Sprache des Pop sehen sie die Chance, sich der vorherrschenden und bestimmenden Sprache
zu widersetzen. Pop wird von ihnen als Wörterflucht begriffen. Eine Flucht, die es ermöglicht den
Sprechenden innerdiskursiv und zugleich aufbegehrend zu verstehen.
Meine Untersuchungen möchten somit sowohl eine literarische Anbindung Jelineks zu kanonischen
Texten beleuchten, als auch die vielschichtige Verwobenheit zur Populärkultur aufzeigen. Denn nur
in dieser – bisher kaum beachteten – Symbiose, offeriert sich das subversive Moment der
Jelinekschen Prosa, die zwischen Popkultur und Klassik ossziliert.
Prof. Dr. Franz Hintereder-Emde, Universität Yamaguchi (Japan)
Snow White Reloaded — Grimms Märchen im digitalen Zeitalter
Märchen gelten im Blick auf hohe und niedere Literatur als Spezialgattung. Aufgrund ihres
hybriden Charakters und je nach Zielgruppe werden sie der Kinder- und Jugendliteratur oder im
Falle der Kunstmärchen der hohen Literatur zugerechnet. Aber auch die Unterhaltungsindustrie
macht
sich
den
hohen
Wiedererkennungswert
ihrer
Motivik
und
der
stereotypen
Figurenkonstellationen zu eigen.
Die vergangenen Jahrzehnte brachten einen enormen Fortschritt in der digitalen Filmtechnik. 2012
wurden mit „Mirror, mirror“ und „Snow White and the Huntsman“ zeitgleich zwei aufwendige
Adaptionen von Schneewittchen in 3D-Technik produziert.
Aber auch im traditionellen Kulturbereich spielen Märchenstoffe eine unübersehbare Rolle. Im
Blick auf die Adaptionen des Schneewittchen-Stoffes über längere Zeiträume hinweg werden die
Veränderungen bei Übergängen von einem zum anderen Medium (Text, Film, Comic, Drama,
Ballett etc.), aber auch zwischen verschiedenen Kulturen und Sprachen vorgestellt.
Angefangen von Robert Walsers „Schneewittchen-Dramolett“ bis hin zur Comic-Adaption „The
Fables“ und modernen Filmversionen sollen Fragen des Potentials der Märchen zwischen, bzw.
jenseits von hoher und niedriger Literatur diskutiert werden.
Mag. phil. Timon Jakli, Universität Wien (Österreich)
Volkspoesie und Volk zwischen hoher und niederer Literatur
Die vorgestellten Überlegungen sind Teil eines Dissertationsprojektes, das mit dem DOCStipendium der österreichischen Akademie der Wissenschaften gefördert wird und sich mit
Identitätsformationen im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts auseinandersetzt.
Die Begriffe Volkspoesie und Volk stellen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland
ein semantisches Kampffeld verschiedener Diskurse literarischer, ästhetischer und politischer Natur
dar. Die den Begriffen inhärenten Differenzen, die Koselleck et al. in Geschichtliche Grundbegriffe
festmachen, werden hier wirkmächtig: Es wird eine Differenz innen/außen konstruiert, jedoch auch
innerhalb der als Erzählgemeinschaft konzipierten „imagined community“ (Benedict Anderson) gibt
es die soziologisch festgemachte Grenze oben/unten. Die historische Betrachtung schließlich
imaginiert
noch
die
Differenz
vergangen/gegenwärtig.
Der
Vortrag
nimmt
diese
begriffsgeschichtlichen Forschungsergebnisse auf und macht sie durch Anwendung der Feldtheorie
Pierre Bourdieus und der Dichotomieforschung Peter Bürgers fruchtbar.
Innerhalb des literarischen Feldes wird seit dem Siebenjährigen Krieg der Begriff Volkspoesie im
Kampf um symbolisches Kapital von verschiedenen Akteuren mit Bedeutung aufgeladen. Dabei
geht es jedoch nicht nur um die Verteilung symbolischen und materiellen Kapitals und die
Abgrenzung
gegeneinander
im
Literaturbetrieb,
sondern
auch
um
die
zunehmende
Ausdifferenzierung von hoher und niederer Literatur. Dies ist insbesondere wichtig, da im Zuge der
Bemühungen um Volkslieder und Märchen diese Grenzen verwischt werden: Formen und
Gattungen niederer Literatur werden nobilitiert und steigen in den hohen Bereich der Literatur auf,
die sich jedoch klar von unterbürgerlichen Praktiken abzugrenzen sucht. In weiterer Folge sinken
die artifiziell überformten Gebilde wieder ab und werden Teil einer national inspirierten
Kulturgemeinschaft. Diese Prozesse können durch eine Untersuchung von Texten Herders,
Friedrich Nicolais, Gottfried August Bürgers, des Göttinger Hainbundes, Jacob und Wilhelm
Grimms sowie Arnim/Brentanos beschrieben werden.
Im Vortrag wird gezeigt, wie diese Wechselbeziehung zwischen hoher und niederer Literatur mit der
sozioökonomischen Realität der Akteure, aber auch mit das literarische Feld transzendierenden
Identitätsbildungsprozessen zusammenhängt. Dies geschieht anhand der Kontroversen zwischen
Herder, Bürger und Nicolai (in Bezug auf Lieder und Kunstballaden) sowie zwischen GrimmArnim/Brentano (in Bezug auf Märchen). Anhand dieser beiden Gattungsbeispiele wird die
Problematik und Interessensgeleitetheit der Zuschreibung von „Volksmäßigkeit“ erhellt und wie
sich diese zum bestehenden Literatursystem und seiner Einteilung in hohe und niedere Literatur
verhält.
M.A. Ruven Karr, Universität des Saarlandes (Deutschland)
„Ich bin Graf von Monte Schizo / und ich singe diesen Hit so“ – Das Hohe, Flache und Tiefe im
deutschsprachigen Diskurs-Pop
Die in den 1990er Jahren gegründeten Hamburger Bands Blumfeld, Tocotronic und Die Sterne
zählen zu den bekanntesten Vertretern des Diskurs-Pop. Was als dilettantisch-schrammeliger IndieRock für ein kleines erlesenes Publikum begann, fand längst reges Interesse in den Feuilletons und
mittlerweile sogar in Uni-Seminaren sowie in der Literaturwissenschaft. Mit dem Begriff „DiskursPop“ bezog man sich vor allem auf die sperrige und verkopfte, sich an Alltagsbetrachtungen
entzündende Gesellschaftskritik der Songtexte. Doch der Begriff meint auch die Diskurse der
Postmoderne und der Poptheorie, die nicht nur die Songlyrik maßgeblich prägen, sondern explizit
thematisiert werden: Camp, Montage, Eklektizismus, der Tod des Autors, das „Ende der großen
Erzählungen“ (Lyotard) sowie die Symbiose aus Hochkultur und populärer Kultur, aus dem
künstlerisch Anspruchsvollen und dem Banalen, wie sie Leslie Fiedler 1968 in seinem
einflussreichen Aufsatz Cross the border – close the gap proklamierte.
Hier soll natürlich vor allem Letzteres interessieren. Besonders bei Tocotronic und Blumfeld wird
die Unterwanderung des Hohen durch das Banale überdeutlich. In beider Werk kommen zahllose
intertextuelle Anspielungen – bis hin zu dreist übernommenen, ans Plagiat grenzenden Zitaten – auf
die Höhenkammliteratur (Flaubert, Nietzsche, Rilke, Benn, Celan, Bachmann, Bernhard etc.) vor,
die dann zugleich aber sowohl thematisch als auch formal verwoben werden mit Elementen der
populären und niederen Kultur, des Trivialen bis Albernen (deutsche Schlager, TV-Trash, scheinbar
banale Alltagsbetrachtungen, sprachlich-poetische Klischees, gewollt lächerliche Wortspiele, Reime
etc.). Durch diese Konfrontation des Hohen (Kanonisierung, ästhetischer Anspruch) mit dem
Flachen (Populäres, Oberflächliches, Banales) entsteht ein ironisches Spannungsfeld und damit eine
Irritation des Rezipienten, dem es aufgetragen ist, die schwer zu vereinbaren Dissonanzen deutend
aufzulösen – geschweige denn zu ergründen, ob das Gehörte ernst oder ironisch zu verstehen ist.
Diese interpretatorische Unbestimmtheit und Mehrdeutigkeit, die Offenheit des Kunstwerks (Eco),
ergibt sich also aus der Verknüpfung des Hohen mit dem Flachen; diese dritte Kategorie soll
heuristisch „das Tiefe“ genannt werden.
Um die drei Kategorien kurz zu veranschaulichen: Die Ballade Tausend Tränen tief von Blumfeld
verknüpft volksliedhaft-romantische Elemente mit trivialem Schlager-Kitsch. Sie nimmt sich beim
ersten Hören ebenso flach aus wie ihr Titel Tiefe suggeriert. Wenn es nun am Ende des Songs heißt
„es könnte viel bedeuten“, dann zitiert der Blumfeld-Sänger Jochen Distelmeyer damit nicht nur
wörtlich aus einen Gedicht Ingeborg Bachmanns, sondern er lässt mit diesem Verweis auf
Vieldeutigkeit auch einen ratlosen Rezipienten zurück mit der Frage nach dem Sinn und der
ästhetischen Funktion einer solchen Mehrfachcodierung. Oder in Tocotronics Gesang des Tyrannen:
Hier proklamiert ein ironisch gezeichneter Dichter-Fürst, der „Graf von Monte Schizo“, pathetisch
seine Würde, um sie im selben Atemzug als hohl und nichtssagend zu entwerten:
In mir
Brennt das ewige Feuer
In mir
Kalt, modern und teuer
In mir
Strahlt das ewige Licht
In mir
Doch dahinter gibt es nichts.
In meinem Beitrag möchte ich das Verhältnis zwischen dem Hohen, Tiefen und Flachen anhand des
Werks vornehmlich von Tocotronic und Blumfeld bestimmen und seine Beziehung zu zentralen
Theoremen der Postmoderne sowie der Popliteratur diskutieren.
Prof. Dr. Santha Kumari, University of Kerala, Thiruvananthapuram (Indien)
Die Tendenz zur Trivialliteratur in Billard um halb zehn von Heinrich Böll – veranschaulicht durch
Vergleich mit Die Blechtrommel von Günter Grass
Auch ‚hohe’ Schriftsteller führen manchmal bewußt/unbewußt triviale Elemente in ihre Werke ein,
wie z.B. Heinrich Böll. Seine Frühromane, wie z.B. Billard um halbzehn erlebten daher eine
Popularität wie Trivialromane. Die Trivialität in Billard um halbzehn entsteht vor allem durch die
sentimentale leichtverständliche Sprache ohne Individualität. Der Schreibstil zeigt eine unnötige
Pseudokomplexität: Die zehn Perspektiven im Roman tragen kaum zur Bereicherung bei, da sie
ohne Vielfältigkeit wirken. Die Motive fehlen an Originalität und bleiben statisch in ihrer Identität.
Sie führen zur Klassifizierung der Charaktere in ‚gute’ und ‚böse’ wie im Märchen. Die guten
erregen Mitleid, um zur blinden Identifikation einzuladen. Die Frauen spielen bei Sex eine naive
passive Rolle. Sie erscheinen als fromme, empfindsame, geduldig leidende Wesen. Ihr Leben kreist
sich um die Familie und sie verehren ihre Ehemänner. Es ist ein Frauenbild wie in trivialen
Frauenromanen. Auch ohne eine kompetente Kenntnis der deutschen politischen Geschichte in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der die drei Generationen im Roman entstammen, kann man den
Roman verstehen. Auch der Roman Die Blechtrommel von Günter Grass erschien in dem gleichen
Jahr, d.h. 1959. Auch er behandelt die gleiche Thematik der drei Generationen in einer Familie, auf
der die politischen Entwicklungen in dem gleichen Zeitraum wie im Bölls Roman ihre Spuren
hinterließen. Aber Grass’ Sprache ist ausgeprägt individualisierter Art und fehlt an Sentimentalität.
Auch sein Schreibstil ist höchst komplex wie originell. Die Motive ändern ihre Identität vom
Kontext zu Kontext im Roman; der/die Leser/in muß sie also jedesmal neu interpretieren. Ohne eine
kompetente Interpretation der Motive kann man diesen Roman von Grass nicht verstehen, da die
Motive sich aus dem Stoff des Romans selbst entwickeln. Die Frauencharaktere spielen eine von
der Gesellschaft unnotierte, aber bedeutende Rolle. Man kann sie weder ‚gut’ noch ‚böse’ nennen,
zumal der Erzähler/Grass in keiner Weise eine Partei ergreift. Der/die Leser/in kann sich
infolgedessen mit ihnen nicht emotional identifizieren. Die Frauen sind vor allem gekennzeichnet
durch ihre virulente weibliche Sexualität. Mit Macht über Familie/Männer bestimmen sie auf eine
indirekte unnotierbare Weise die Richtlinien der Gesellschaft. Der Roman wird erzählt aus der
Perspektive von Oskar in der Familie, der nun in einer Heil- und Pflegeanstalt sitzt. Der/die Leser/in
kann also nicht alles glauben, was er sagt. Mit übermenschlichen Gaben versehen erscheint er
vielmehr wie ein polyvalentes Symbol als Mensch. Selbstverständlich wirkt er verfremdend für
den/die Leser/in. Ohne eine kompetente Vorkenntnis der hier verstreuten Fragmente der politischen
Entwicklungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kann man diesen Roman von Grass nicht
kompetent rezipieren. Während Bölls Billard um halb zehn das Mitleid und die Sentimentalität
des/der Lesers/Leserin erregt und eine passive Rezeption ermöglicht, erregt Grass’ Die
Blechtrommel die Gedanken und verlangt eine kompetente aktive Rezeption. Während Bölls Roman
die Massen unterhält, klärt Grass’ die Elite auf. Während Bölls Roman selbst im Jahre seines
Erscheinens, d.h. 1959 zwei Editionen erlebte, und schon im Jahre 1964 in der sechsten Edition die
Verkaufszahl 76 000 Exemplare erreichte, mußte Grass’ Roman, der im gleichen Jahr wie Bölls
erschienen war, bis 1968 warten, um zumindest 20 000 Exemplare verkauft zu werden. Und
Literaturwissenschaftler diagnostizieren solche Popularität als Symptom für Trivialität.
Dr. Stefan Lindinger, Universität Athen (Griechenland)
Emanuel Schikaneder als Populärdramatiker am Beispiel der 'Philippine Welserinn' und anderer
Schauspiele
Der Name Emanuel Schikaneder (1751-1812) ist den meisten Kulturinteressierten heute nur noch
als Librettist von Wolfgang Amadeus Mozarts 'Zauberflöte' geläufig. Zu Lebzeiten jedoch gehörte
er zu den erfolgreichsten Theatermachern des süddeutschen Raumes, als Prinzipal verschiedener
Theatertruppen und als Verfasser einer großen Zahl eigener Schauspiele. Wie er selbst einräumte,
stand für ihn immer die Publikumswirksamkeit seiner Werke im Vordergrund. „Die allgemeine
gesammelte Thränenärnte dieses Stückes“, so Schikaneder in einer Vorrede, „ist mir Beweiß und
Befriedigung für meine Arbeit. Mein einziger Hauptzweck dabey ist, für die Kasse des Direkteurs
zu arbeiten, und zu sehen was die größte Wirkung auf der Bühne macht, um ein volles Auditorium
und gute Einnahmen zu erzielen.“ Der kommerzielle Erfolg stellt jedoch keinen Gegensatz zu den
literaturgeschichtlichen Hauptströmungen der 'hohen ' Literatur dar, sondern basiert gerade auf
Schikaneders feinem Gespür für die aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet der Dramatik. Die
Gedankenwelt der Spätaufklärung und des Sturm-und-Drang wird von ihm aufgegriffen und
popularisiert. Im Hintergrund steht die angesprochene Doppelfunktion Schikaneders als Impresario
und als Stückeschreiber. Der Aufführungspraxis der Werke anderer – zu Schikaneders Repertoire
zählten Shakespeare, Lessing und der frühe Goethe, aber auch eine Reihe weitgehend vergessener
Schauspiele – entsprang dessen eigene literarische Produktion.
In diesem Vortrag soll der Schwerpunkt auf einigen der thematisch anspruchsvolleren Stücke
Schikaneders liegen. Zunächst erfolgt ein Blick auf das Soldatendrama 'Der Grandprofos' (1784),
das sich an Heinrich Ferdinand Möllers Theatererfolg 'Der Graf von Walltron' anlehnt, und das
Ritterschauspiel 'Hanns Dollinger' (1788), das in der Nachfolge von Goethes 'Götz' steht. Diese
beiden Werke können aufgrund der in ihnen enthaltenen, die populäraufklärerische Gedankenwelt
ergänzenden spektakulären Elemente – Militärlager, Schlachten, ritterliche Zweikämpfe zu Pferd –
auch als Vorläufer der modernen Eventkultur angesehen werden.
Danach soll exemplarisch das Stück 'Philippine Welserinn, die schöne Herzogin von Tirol' (1780)
analysiert werden, an dem Schikaneders Erfolgsrezept besonders deutlich wird. In der 'Philippine
Welserinn' wird der auch von Hebbel aufgegriffene Agnes-Bernauer-Stoff unter Verwendung
anderer Namen und Örtlichkeiten dramatisiert und mit einem glücklichen Ausgang versehen, denn
die bürgerliche Kaufmannstochter Philippine schafft es im Gegensatz zu Agnes Bernauer, zur
Herzogin aufzusteigen. Schikaneder selbst hatte Joseph August von Törrings damals überaus
erfolgreiche 'Agnes Bernauerin' aufgeführt und schon bei dieser Gelegenheit den Schluss der
Tragödie – die bürgerliche Protagonistin wird von den Exponenten der Adelsherrschaft umgebracht
– kurzerhand abgewandelt und mit einem Happy End ausgestattet, um den Publikumserfolg des
Stückes noch zu steigern. Gemeinsam ist beiden Werken die zeittypische Kritik am Hof und an der
vom Adel dominierten Gesellschaft. Die 'Philippine Welserinn' ist auch insofern ein lohnender
Gegenstand für eine nähere Betrachtung, als sie zugleich als bürgerliches Trauerspiel in der
Popularversion eines Rührstücks und als Vorläufer des Wiener Volksstücks nach Art eines
Ferdinand Raimund (es gibt einen Berggeist) gelesen werden kann.
Insgesamt gilt für dieses Stück, was für Emanuel Schikaneders Dramatik im allgemeinen gilt: die
Grenzen zwischen der vermeintlich 'niederen' und der heute als kanonisch geltenden 'hohen'
Literatur erweisen sich als fließend, und es besteht eine Wechselwirkung zwischen diesen beiden
Polen, denn der Verfasser übernimmt viele thematische und stilistische Anregungen aus der 'hohen'
Literatur in einen 'niederen', bei oberflächlicher Betrachtung nur am Erfolg orientierten literarischen
Kontext, trägt aber durch deren Popularisierung in seinen Inszenierungen und eigenen Werken auch
zur Rezeption der 'hohen' Literatur und somit zur Verbreitung von deren Anliegen und deren
Ästhetik bei.
Dr. Henriett Lindner, Katholische Péer-Pázmány-Universität Piliscsaba-Budapest (Ungarn)
Schaubudenkultur und literarische Unterhaltung – Taschenspieltricks im deutschen
Geheimbundroman
Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts scheint die Zeit der skandalösen Persönlichkeiten und der
Geheimgesellschaften zu sein, das Auftreten von berühmt-berüchtigten Persönlichkeiten, wie
Cagliostro und Mesmer, oder Gerüchte von geheimen Gesellschaften schärfen das Interesse der
Literatur für Magie und Scharlatanerie. Um 1800 also spricht und schreibt man gern über
Scharlatane, Straßen- und Kleinkünstler, Freimaurer und Rosenkreuzern, Geheimgesellschaften,
Illuminaten sowie Teufels- und Todesbeschwörungen, über Zauberei und Betrügerei. Mikroskop,
Fernrohr, Spiegel, Linsen und allerlei optische Mittel dienen zu dieser Zeit nicht lediglich der
Wissenschaft, sondern auch der durch Sensationslust gesteigerten Unterhaltung. Welche
populärkulturelle Bedeutung physikalische Versuche und Tricks oder öffentlich veranstaltete
Seancen in der zeitgenössischen Unterhaltungskultur tragen, erklärt uns ein kurzer Einblick in die
Bände der Natürlichen Magie, aus allerhand belustigenden und nützlichen Kunststücken bestehend,
zusammengetragen von Johann Christian Wiegleb. WIEGLEB, genannt auch kurz Wieglebs Magie,
oder in Funks Natürliche Magie und das Gantz natürliche Zauberlexikon.
Im Vortrag gilt es, die literarische Rezeption der populärkulturellen Ereignisse der
Schaubudenpraktiken im deutschsprachigen Geheimbundroman, einer der populärsten Gattung der
Unterhaltungsliteratur um 1800, zu untersuchen. Die durch aufklärirische Bildungsmaxime
motivierten Darstellungen von „ganz natürlichen“ Zaubertricks stellen zunächst mutmaßliche
Quellen für unsere Beispieltexte von Schiller und E.T.A. Hoffman dar. Während aber die
Literaturwissenschaft über die Aufgabe in Verlegenheit gerät, Schillers Versuch in einer
populärliterarischen Gattung mit dem Bild des Klassikers in Einklang zu bringen, erscheint es für
die einschlägige Forschung als leicht verständlich, E.T.A. Hoffmann als einen Unterhaltungsautor
seiner Zeit anzusehen. Schillers Romanfragment Der Geisterseher, E.T.A Hoffmanns Roman Die
Elixiere des Teufels und seine Erzählung Der Sandmann sollen nun in den kulturgeschichtlichen
Kontext der zeitgenössischen Schaubudenzauberei gestellt werden. Über die positivistisch
nachweisbare Einwirkung hinaus soll auf die Anwendung von physikalischen und optischen Tricks,
beispielsweise des Magnetismus, der Laterna Magica, des Fernrohrs oder der Camera Obscura
sowie auf die psychologischen Manipulationen und Scharlatanerie fokussiert werden. Es soll an
diesen Texten exemplifiziert werden, wie Zaubertricks und magisch-betrügerische Manipulation in
den Schiller- und Hoffmann-Texten literarisiert werden, nämlich als Vorbilder der Textgestaltung,
und als Modelle zur Erzählerkalkül und Unterhaltungsstrategie.
Prof. Fuminari Niimoto, Tsuda College Kodaira, Tokio (Japan)
Krimi als Alibi
oder
Friedrich Glausers parodierendes Romanprojekt der Moderne
Friedrich Glauser (1896 -1938) war zweifelsohne eine der tragischsten Gestalten der
deutschsprachigen Schweizer Literatur des 20. Jhs. Zu seinen Lebzeiten bewegte er sich
ausschließlich in den unteren Regionen der Gesellschaft: nach dem Rauswurf aus dem Gymnasium
kurz vor der Matura arbeitete er als Fremdenlegionssoldat in Afrika, Tellerwäscher in Paris, als
Bergmann in Kohlengruben in Belgien, Krankenwärter in der Schweiz. Dazwischen wurde er
wegen Morphiummissbrauchs mehrmals in Heilanstalten interniert und psychiatrisch behandelt.
Auch schriftstellerisch begibt er sich in die niederen Region der literarischen Gattung: er schrieb
fünf Kriminalromane und einen Fremdenlegionsroman, und er war damit in jenen Genres tätig, die
als minderwertige Unterhaltung betrachtet und in der Literaturgeschichte eher marginal positioniert
wurden. Diese Gattungen gaben ihm jedoch den Raum und Rahmen, in dem er unbehelligt sein
schriftstellerisches Experiment weiter verfolgen konnte. Wie er in seinem Offener Brief über die
Zehn Gebote für den Kriminalroman schrieb, legte er das Hauptgewicht seines Schreibens nicht
unbedingt auf das Fabrizieren einer spannungsvollen Handlung, sondern auf die Beschreibung des
Lebens, das „unlogisch, packend, traurig und grotesk zugleich“ weiterläuft. Auch im
Fremdenlegionsroman Gourrama kümmerte er sich nicht sehr um das Fabulieren einer
Abenteuergeschichte in der exotischen afrikanischen Landschaft. Was er da beschrieb, war
wiederum das sinnlose, bruchstückhafte, körperliche Leben der pseudonymen, fast namenlosen
Soldaten im hitzigen, langweiligen Legionsalltag.
In meinem Vortrag wird gezeigt, wie meisterhaft Glauser unter dem Alibi der populären
Unterhaltungsliteratur seine schmerzhafte, doch auch glückliche Lebensrealität zum Ausdruck
brachte und damit die versteifte, zur Norm gewordene Unterscheidung der hohen und niederen
Literatur zu unterminieren verstand.
Dr. Caroline Olsson, Paris (Frankreich)
High versus low fiction within the Scandinavian historical genre
It is not always easy to tell literary works of fiction from those regarded as mass-market or subgeneric novels. The difference can sometimes be quite subtle. Several classical authors have
produced juvenilia belonging to popular genres. In their early years, Victor Hugo, Alexandre Dumas
and Honoré de Balzac, for example, wrote fantasy and horror novels, sometimes under a penname.
When it comes to a genre such as the historical novel, it becomes especially difficult trying to
distinguish “respectable” literature from popular productions. Since its origins in the beginning of
the nineteenth century, the historical genre has indeed been closely linked to entertaining narratives
and adventure stories, traditionally rated as lowbrow fiction. Nowadays, it can still be hard to
classify Walter Scott’s novels. Sometimes, the reading public associates them with British classics
and sometimes with children’s literature.
We would like to explore the boundary between those historical novels that can be considered elite
and “low” ones. Needless to say, the borderline often appears to be both thin and subjective, not
seldom drawn in an arbitrary way. We shall examine a few Scandinavian novels, mostly Swedish,
set in the Viking era and the Middle Ages. Many similarities appear when we compare Röde Orm
by Frans G. Bengtsson (The Long Ships in English, Die rote Schlange or Die Abenteuer des Röde
Orm in German), published between 1941 and 1945, and Gerpla (The Happy Warriors, Die
glücklichen Krieger), published in 1952 by the Icelander Halldór Kiljan Laxness. Both writers have
chosen to draw greatly on medieval sources and they treat the ancient material more or less in the
same way: they look upon the Viking ancestor with humour and sarcasm. Despite these obvious
points of likeness, Bengtsson’s book is often classed as light reading and has even been described as
a teen novel, whereas Laxness’ literary talent was acknowledged by the Swedish Academy in 1955,
when he received the Nobel Prize. We shall try to understand why these books have been received
so differently, since it doesn’t seem linked either to the period in which the plot takes place or to the
humoristic style. In the second part of our survey, we wish to examine two Swedish novels, set in
the thirteenth century: Bjälboarvet by Verner von Heidenstam (The Bellbo Heritage, Die Erben von
Bjälbo), published in 1907, and Arvet efter Arn by Jan Guillou ([The Heritage of Arn; not yet
translated into English], Das Erbe), issued in 2001. They deal with the struggle for power of Birger
Jarl and his two sons, Valdemar and Magnus III (known as Magnus Ladulås in Sweden, which
means “Barnlock”). We shall try to determine if the two novels differ by their themes and stylistic
choices and if these disparities can explain why Heidenstam’s Bjälboarvet is considered high
literature (he also received the Nobel Prize in literature in 1916), whereas literary critics tend to rate
Arvet efter Arn by Guillou as popular fiction.
Dr. Simone Orzechowski, Université de Lorraine, Metz (Frankreich)
Otto Flakes unbequemer Spagat zwischen hoher und niederer Literatur
Nach anfänglichen Schwierigkeiten war dem Schriftsteller und Essayisten Otto Flake (18801963) kurz nach der Veröffentlichung seiner ersten Werke ein steiler Erfolg vergönnt, da er bereits
1913 den zweiten Roman bei dem damals hoch angesehenen S. Fischer Verlag veröffentlichte und
gleichzeitig Zugang zur renommierten Neuen Rundschau hatte.
Die zahlreichen Werke und Beiträge, die in den folgenden Jahren bei Fischer erschienen,
gaben dem selbstbewussten Flake die Gewissheit, zu den wichtigen Stimmen seiner Zeit zu zählen
und führten ihn dazu, seinen literarischen Stellenwert zu überschätzen. Die Diskrepanz zwischen
Selbstwahrnehmung und tatsächlichem literarischem Stellenwert wuchs dramatisch in den nächsten
Jahrzehnten, in denen zunächst die Leser und dann die anspruchsvollen Verlage sich von Flake
abwandten.
Die Renaissance war dann nur im Kontext der Massenliteratur – beim Bertelsmann Lesering –
möglich; sie sicherte Flake zwar einen materiell sorglosen Lebensabend, genügte aber offensichtlich
nicht, um die Verbitterung des alten Schriftstellers über den literarischen Abstieg wettzumachen.
Im Grunde ist diese Verbitterung der Ausdruck der Widersprüchlichkeit zwischen Flakes
literarischen Ansprüchen und der tatsächlichen literarischen Qualität seiner Produktion: trotz
wiederholter Versuche – z.B. der Neuauflage eines Teils der Werke in den 70er Jahren unter der
Leitung von Rolf Hochhuth – Flake in die hohe Literatur hochzuhieven, fand sein Romanwerk nie
die von seinem Autor erhoffte literarische Anerkennung. Gleichzeitig blieb aber auch der Erfolg bei
einem breiten Publikum aus; trotz des groβen Aufwands des Bertelsmann-Hauses gelangte Flake
nie annähernd zu der Berühmtheit einer Courths-Mahler.
Das mag daran liegen, dass seine Romane eigentlich hybride Werke sind, die aufgrund ihrer
Eigenart weder die Leser der hohen noch die der niederen Literatur ansprechen.
Im Rahmen dieser Tagung wäre es m.E. interessant, zwei Aspekte herauszuarbeiten:
-
die Diskrepanz zwischen der Selbstwahrnehmung und Selsbtinszenierung als „groβer
Schriftsteller“ und dem tatsächlichen literarischen Wert der Romane
-
die misslungene Hybridität der Romane.
Prof. Dr. Georg Pichler, Universidad de Alcalá (Spanien)
Zwischen Hoch und Tief ist nicht Dazwischen. Das Spiel mit trivialen und hochliterarischen
Elementen im Werk von Wolf Haas
Der österreichische Autor Wolf Haas ist bekannt geworden als Schöpfer des Detektivs Brenner, den
er seit 1996 in bisher sieben Kriminalromanen recht unspektakuläre Mordfälle aufklären lässt.
Zugleich aber gibt der unbeholfene Privatdetektiv literarisch Rätsel auf. Einerseits durch die
Sprache der Texte, eine auf den ersten Blick holprig wirkende Mischung aus Umgangssprache und
Hochdeutsch, voll von Ellipsen, mündlichen Redewendungen und intra- wie intertextuellen
Referenzen, Kalauern und Wortspielen, die auf den zweiten Blick hohes literarisches Niveau hat.
Andererseits sind die Romane geprägt durch ihre Erzählinstanz, die sich aller möglichen
erzähltechnischen Kunstgriffe bedient und ein souveränes Vexierspiel mit Elementen der
Trivialliteratur vor dem Hintergrund von hochliterarischen Referenzen durchführt. Auch der Roman
Das Wetter vor 15 Jahren (2006) ist ein Spiel auf mehreren Ebenen: Im Text selbst wird das
Schreiben eines – rundweg trivialen – Romans in Dialogform dargestellt und nachvollzogen, die
unterschiedlichen Funktionsweisen von realem Autor, fiktionalem Autor und Figuren werden
durcheinandergeworfen, und auf einer extratextuellen Ebene werden die verschiedensten Rituale
des Literaturbetriebs durchexerziert. Der scheinbar simple Text erweist sich bei einer genaueren
Lektüre als ausgeklügelte Persiflage auf sich selbst, die alle möglichen literarischen Konventionen
aufnimmt, durchspielt und parodiert. Der 2012 erschienene Roman Verteidigung der
Missionarsstellung nimmt erneut das Motiv des Liebesromans auf und wandelt es auf
verschiedenen Ebenen ab. Auch dieser Text, der voll von Bezügen zur Semiotik und zur
Hochliteratur ist, entzieht sich sowohl einer gattungsmäßigen Einordnung als auch einer eindeutigen
Interpretation.
In meinem Beitrag soll gezeigt werden, wie Wolf Haas Versatzstücke aus der Trivialliteratur durch
den Einsatz von hochliterarischen Erzähltechniken und Anspielungen sowie durch die Anwendung
linguistischer Theorien zu einem neuen Dritten verarbeitet, das nicht nur literarische Qualitäten
aufweist, die Haas in die sprachkritische Tradition der österreichischen Literatur stellen, sondern ihn
auch deutlich von der seit einem guten Jahrzehnt in Mode gekommenen zeitgenössischen
österreichischen Kriminalliteratur unterscheidet.
Dr. Jesko Reiling, Universität Bern (Schweiz)
Totgesagte leben länger!?! Literarische Zombies suchen ihre Leser
Der Zombie erfreut sich zurzeit ausgesprochener Beliebtheit. Nicht nur in Filmen, Büchern und
Comics ganz unterschiedlicher Machart taucht „the livingdead“ auf, sondern auch in
philosophischen, anthropologischen und kulturgeschichtlichen Texten erfreut sich der Untote eines
vitalen Interesses. Als Figur der gegenwärtigen Kulturkritik verkörpert er das „Posthumane“
schlechthin und steht für den triebhaft konsumgierigen Menschen und das stumpfe Arbeitstier, dem
das Menschliche abhanden gekommen ist. Als Schreckensfigur symbolisiert er den Verlust jeglicher
Identität und steht aufgrund seiner epidemischen Verbreitung für die totale und radikale Bedrohung
alles Humanen. Die Karriere des Zombies ist ebenso erfolgreich wie kurz. Aus dem haitianischen
Voodookult stammend, fand der Zombie seit den 1930er Jahren Eingang ins amerikanische
Filmschaffen und erlebte 1968 durch den zum erhaltenswerten Kulturgut erklärten Film Night of the
Living Dead des amerikanischen Regisseurs George A. Romero seine Inthronisierung in der
Populärkultur. Seither ist der Zombie als eines der wenigen außereuropäischen Monster aus dem
Arsenal der Horrorgestalten nicht mehr wegzudenken.
Im Fokus meines Beitrags soll ein bislang kaum in den Blick genommener Aspekt der medialen
Zombiehistorie näher betrachtet werden: der literarische Zombie. Von vereinzelten Vorgängern
abgesehen, gibt es das Subgenre des Zombie-Romans erst seit rund 20 Jahren, das durch seine
große Diversität das einst dominierende Image der bluttriefenden Splatterliteratur überwunden hat.
Mit diesem Genre hat man den sehr seltenen Fall vor sich, zeitnah beobachten zu können, wie sich
eine literarische Gattung ausbildet. Mittlerweile hat sie ihren Platz im literarischen Feld
eingenommen und schärft nun ihre Konturen. Aus traditioneller literarästhetischer Perspektive
betrachtet, musste die Zombie-Literatur dabei von ungünstigen Bedingungen ausgehen: Als
Horrorliteratur gehört sie nicht nur traditionellerweise zur niederen Literatur, die Affinität zum
Medium des (Horror-)Films scheint diese Verortung zusätzlich zu befestigen.
Die Tatsache jedoch, dass in jüngster Zeit erstmals Zombie-Romane verfilmt wurden (Max Brooks:
World War Z [2006, für 2013 angekündigt], Isaac Marion: Warm Bodies [2010, bereits im Kino]
sowie die Adaptation des Comics The Walking Dead [seit 2003, Fernsehserie seit 2010]), deutet auf
eine ‚neue‘ (‚höhere‘) Qualität der Romane hin – früher folgte die Literatur den Horrorfilmen.
Zudem hat, wie erwähnt, die Figur des Zombies in Bereiche der Hochkultur Einzug gehalten
(Philosophie, Anthropologie, Naturwissenschaften, vgl. oben) und ist auch im Bereich der
Kindermedien präsent, womit sich die Frage erhebt, welchen Einfluss diese Gegebenheiten auf das
literarische Genre haben. Mein Beitrag möchte sich mit verschiedenen Ansätzen und Möglichkeiten
zur Einordnung des Genres und der Einzeltexte im literarischen Feld beschäftigen: Was bieten die
Texte an, um eingeordnet zu werden? Wie kann man außertextuell die Zuschreibungen
untersuchen? Reicht die Tatsache aus, dass die Zombie-Literatur ihren Weg nicht ins Feuilleton der
Printmedien findet, sie als niedere Literatur abzutun? Wenn in den (Internet-)Rezensionen die
Trivialität kein Thema ist: lässt sich das als implizite Wertung und Hochschätzung verstehen? Und:
inwiefern beeinflussen sich Genre und Einzelwerk in der Rezeption? Verhindert das Genre, das ein
Einzeltext als hohe Literatur wahrgenommen wird?
Die Zombie-Literatur reicht formal von der klassischen Romanform mit auktorialem Erzähler,
dokumentarischen Schreibstilen (Reportagen u. ä.) über Tagebücher, Briefromane sowie Komödien
bzw. heiteren Texten bis hin zu Literaturparodien von Klassikern wie etwa Goethes Werther
(Susanne Picard: Die Leichen des jungen Werther [2011]) oder Jane Austens Pride and Prejudice
(Seth Grahame-Smith: Stolz und Vorurteil und Zombies [2010], engl. Originalausgabe Pride and
Prejudice and Zombies [2009]). Inhaltlich setzen die Texte ebenfalls ganz unterschiedliche
Schwerpunkte und reichen von soziologischen ‚Studien‘ (neue Gesellschaftsformen nach der
Zombie-Apokalypse) bis hin zu psychologischen Analysen (Umgang mit dem Verlust von
Verwandten, Verhalten in Lebensgefahr etc.); das Geschehen kann in historischem Milieu
(Mittelalter, 18. Jahrhundert) oder aber in der Gegenwart bzw. Zukunft spielen, gut oder böse enden
etc. Es lassen sich Intertextualitäten, Referenzen auf Naturwissenschaften und Technik, Bezüge zur
gegenwärtigen Lebenswelt und Populärkultur entdecken – kurzum (und provokativ): aus ästhetischformaler Perspektive, aber auch inhaltlich ließen sich zumindest einige der Zombie-Romane
durchaus als ‚hohe‘ Literatur verstehen. – Diese Einordnungen gilt es zu diskutieren.
Prof. Dr. Mario Saalbach, Universität des Baskenlandes, Vitoria-Gasteiz (Spanien)
Verlorene Heimat und Fiktion: Zwischen historischer Aufarbeitung und Trivialisierung
Als Teil der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in den Medien hat seit den 1990er Jahren die
Darstellung des im Dritten Reich und Zweiten Weltkrieg verursachten Leidens allmählich die Suche
nach den Tätern und Verantwortlichen und ihre Anklage abgelöst. In diesem Kontext wird auch dem
Leiden Deutscher eine nicht zu übersehende Beachtung geschenkt: dem Leiden der
Zivilbevölkerung bei der Bombardierung deutscher Städte durch die Alliierten oder dem Leiden bei
oder als Folge der Vertreibung aus den Ostgebieten, die schätzungsweise 13 Millionen Menschen
ihrer Heimat beraubte. Insbesondere die Vertriebenenschicksale haben zahlreiche Schriftsteller zur
literarischen Aufarbeitung
des
Themas
bewegt,
oft
im
Rahmen
von
rekonstruierter
Familiengeschichte: Aus den Erfahrungen der Großeltern, die Krieg und Vertreibung bewusst
miterlebt haben, versuchen die Jüngeren für die eigene Identitätskonstruktion relevante
Anhaltspunkte zu gewinnen.
Als einschlägige Titel wären hier Romane von Autoren zu nennen, die in den 1950er Jahren geboren
wurden: u. a. Reinhard Jirgl, "Die Unvollendeten” (2003); Stephan Wackwitz, "Ein unsichtbares
Land" (2003); Thomas Medicus, "In den Augen meines Großvaters" (2004), aber ebenfalls von
solchen, deren Geburtsdatum noch in den Zweiten Weltkrieg fällt, wie Christoph Hein,
“Landnahme" (2004), oder auch – aus einer gänzlich anderen Perspektive – W. G. Sebald,
"Austerlitz” (2001). Auch die Novelle des Kriegsteilnehmers Günter Grass, "Im Krebsgang" (2002),
darf in diesem Kontext nicht vergessen werden.
Parallel zur literarischen Produktion nehmen sich auch eine Reihe von Verfilmungen, zumeist
Fernseh-Produktionen, des Vertriebenenthemas an. Bekanntestes Beispiel dürfte der Zweiteiler "Die
Flucht" (2007) sein, aber auch Filme wie "Der Untergang der Gustloff" (2008), "Die Kinder des
Sturms" (2009) oder auch "Eine Liebe in Königsberg" (2006) wären hier zu nennen.
Insbesondere der literarischen Produktion wurden mitunter Oberflächlichkeit und Trivialisierung
vorgeworfen. Die Darstellung der Problematik als nur ein Teil einer zeitlich viel weiter gefassten
Betrachtung werde der Tragweite des Themas und dem durch Vertreibung verursachten Leiden
nicht gerecht. In diesem Beitrag soll einerseits überprüft werden, ob der Vorwurf der
Oberflächlichkeit im Einzelfall gerechtfertigt ist. Andererseits soll untersucht werden, wie hoch
künstlerischer und ästhetischer Wert der Ergebnisse fiktionaler Vergangenheitsaufarbeitung im
genannten thematischen Zusammenhang anzusetzen sind, ob die Produkte qualitativ einer kritischen
Prüfung standhalten oder ob sie eher zum Niveau trivialer Unterhaltung tendieren.
M.A. Simone Sauer-Kretschmer, Universität Bochum (Deutschland)
Nieder(e)Schriften – Bordellromane und Dirnenbiographien als Literatur von ganz Unten?
Bücher und Dirnen kann man mit ins Bett nehmen, schrieb Walter Benjamin in seiner (ganze dreizehn Unterpunkte versammelnden) Auflistung über die Gemeinsamkeiten von käuflichen Frauen
und Büchern. Doch was geschieht, wenn die einstige Bettgenossin sich aufschwingt und selbst zur
Feder greift, um ihre Lebenserinnerungen aufzuzeichnen?
Genau dies ist die dem so genannten Skandalroman Josefine Mutzenbacher. Die Geschichte einer
Wienerischen Dirne. Von ihr selbst erzählt (1906) vorangestellte Autofiktion, um ein größtmögliches Maß an vermeintlicher Authentizität des Erzählten zu suggerieren. Doch weder ist eine ehemalige Prostituierte die Autorin des Textes, noch wird hier tatsächlich die Geschichte einer Dirne erzählt, sondern bloß die Erinnerung an vielfältige sexuelle [sic!] Erfahrungen im Kindes- und Jugendalter evoziert.
Der Roman Der heilige Skarabäus (1909) von Else Jerusalem hingegen spielt ebenfalls im Wiener
Rotlichtmilieu, hat jedoch einen ganz anderen Anspruch: Die Autorin will besonders ihre weibliche
Leserschaft über das Leben und Leiden im Bordell aufklären und damit den Erzählungen von Kurtisanen und Luxusprostitution, die eine lange literarische Tradition haben, einen realistisch-naturalistischen Spiegel vorhalten. Besonders explizit wird dies anhand der Lebensgeschichte Miladas, einer
jungen Frau, die schon im Bordell geboren wurde, der es jedoch durch Fleiß und Disziplin gelingt,
alphabetisiert zu werden und sich weit darüber hinaus zu bilden. So endet die Erzählung um Milada,
als eines von wenigen der im Text dargestellten Hurenschicksale, auch nicht im Bordell, Spital oder
Armenhaus, sondern in ländlicher Idylle, da Milada mit der Zeit zur selbstbestimmten Autorin ihres
Lebens geworden ist.
In meinem Vortrag möchte ich verschiedene Dirnenromane der Literatur um 1900 kontrastieren und
ihre zeitgenössische Rezeption wie Klassifizierung durch Wissenschaft und Feuilleton untersuchen,
um der Frage nachzugehen, ob, und wenn ja, inwiefern es sich bei diesen Texten um 'niedere Literatur' handelt.
Dr. Gesa Singer, Georg August Universität Göttingen (Deutschland)
Ruhm und Trivialität: mediale Inszenierung in der Literatur
Nicht erst seit der zeitgenössischen Abwertung und der späteren Nobilitierung von Heinrich Heine
durch die Kritik lässt sich beobachten, wie eng der Verwurf der Trivialität gegenüber Autoren und
ihren Schriften mit dem sozialen, politischen und intellektuellen Gepräge einer Zeit in
Wechselbeziehung steht und ebenso einer späteren Kanonisierung und Aufwertung weichen kann.
Aber zunehmend ist literarische Produktion auch an den Publikumsgeschmack gekoppelt und wird
durch mediale Inszenierungen mitbestimmt.
In Daniel Kehlmanns Roman ‚Ruhm‘ (2009), einer Sammlung von neun miteinander verbundenen
Erzählungen, wird das heutige Phänomen literarischer Popularität in Zeiten medientechnischer
Präsenz literarisch verarbeitet und dem Leser anschaulich gemacht. Nicht zuletzt hat diese
Publikation des ‚Star‘-Autors, der durch ‚Die Vermessung der Welt‘ selbst zu Popularität gelangte,
Einzug in
den
(ungeschriebenen)
Kanon
aktueller
deutscher
Literatur,
auch
in
der
Auslandsgermanistik, gehalten und steht als Lektüre für Deutsche Sprachzertifikate auf den
Leselisten.
Mein
Beitrag
soll
anhand
einiger
kommentierter
Textauszüge,
Rezensionen
sowie
literaturtheoretischer Überlegungen die Anlage des Romans als literarischer Diskursbeitrag zum
Thema Ruhm und Trivialität herausarbeiten und die Bedingungen beschreiben, die zeitgenössische
Literaturen in den Bereich der ‚hohen‘ Literatur aufsteigen lassen.
Dr. Arata Takeda, University of Chicago (USA)
Nützliche Dialektik
Zur historischen Interdependenz von hoher und niederer Literatur
Peter Szondi fasste in seiner Theorie des bürgerlichen Trauerspiels im 18. Jahrhundert George
Lillos Argument für das Einführen von Personen mittlerer und niederer Stände als tragischen
Helden mit den Worten zusammen: „Nicht der Bürger braucht die Tragödie, sondern die Tragödie
den Bürger“. Die Vorstellung, die Entstehung des bürgerlichen Trauerspiels markiere eine
philanthropische Öffnung der vornehmsten Literaturgattung gegenüber den nichtadeligen Schichten
der Gesellschaft, erweist sich vor dem Hintergrund dieser pragmatischen Begründung als
gutgläubige Illusion. Im Hinblick auf die traditionelle Unterscheidung zwischen hoher und niederer
Literatur stellt sich dementsprechend die berechtigte Frage, ob tatsächlich das Publikum über die
vorhandene Literatur hinaus eine auf seinen Geschmack zugeschnittene Unterhaltungsliteratur
brauche, oder ob nicht eher umgekehrt die Literatur, aus pragmatischen Gründen, neben dem
bestehenden Publikum ein begeisterungsfähiges Massenpublikum brauche. Die ebenfalls im
18. Jahrhundert vor sich gehenden Umwälzungen in der Literaturgeschichte, wie etwa der Streit
zwischen Regeldrama und Drama des Sturm und Drang oder der Aufstieg des bis dahin als
moralisch suspekt geltenden Romans innerhalb der epischen Gattung, rücken bei dieser
Fragestellung in ein neues Licht: Sie alle finden als Kämpfe zwischen als hoch geltenden Formen
und für nieder gehaltenen Formen der Literatur statt, und dennoch führen sie keineswegs zur
Abschaffung der einen durch die anderen, sondern tragen vielmehr zur Erschließung von größerem
Publikum und zur Bereicherung der Literatur insgesamt bei. Welche Interessen werden dabei
verfolgt? Welche Strategien kommen zur Anwendung? Welche Bedürfnisse werden angesprochen?
Der vorliegende Beitrag will diesen und anderen Fragen nachgehen und daraus neue Erkenntnisse
über die historische Interdependenz von hoher und niederer Literatur gewinnen.
Dr. Patricia Viallet, Université Jean Monnet, Saint-Etienne (Frankreich)
Volksdichtung im Spannungsfeld zwischen „niederer“ und „hoher“ Literatur: der exemplarische
„Grenzfall“ des Grimmschen Buchmärchens
Anhand der für die aufklärerische Einstellung zum Volksmärchen charakteristischen Behauptung
Wielands, „Ammenmärchen, im Ammenton erzählt, mögen sich durch mündliche Überlieferung
fortpflanzen, aber gedruckt müssen sie nicht werden”1, soll eine Überlegung über den Platz des
Märchens als einer Grundform der Volksdichtung in der Literatur der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts
durchgeführt werden. Bekannt ist die auf Herder fußende Aufwertung der Volksdichtung, in der der
„Geist”, bzw. die „Seele” des Volkes zum Ausdruck kommen solle. Am Beispiel des Märchens läßt
sich aber konkreter zeigen, wie die Romantiker – auch von Herder ausgehend – zwei
unterschiedliche (und sogar gegensätzliche) Auffassungen zur Volksüberlieferung entwickelt haben:
eine ästhetisch-literarische, zur freien Bearbeitung des Überlieferten führend (bei Arnim und
Brentano und deren Volksliedersammlung Des Knaben Wunderhorn z. B.), und eine metaphysische,
mythisch-volksgebundene, auf treue Wiedergabe des mündlich Erzählten zielend (v. a. bei den
Brüdern Grimm, den fleißigen ‚Sammlern’ und Herausgebern der Kinder- und Hausmärchen).
Diese grundsätzliche – auch durch den historischen Zusammenhang bedingte – Unterscheidung
erlaubt nicht nur, der berühmten romantischen Kontroverse um das Verhältnis von Natur- und
Kunstpoesie gerecht zu werden, sondern auch den Standort einer „hohen” und einer „niederen”
Literatur in (früh- und hoch-)romantischer Perspektive näher zu bestimmen. Nur so versteht man,
wie Friedrich Schlegel aller Wesensbestimmung der romantischen Poesie als „Universalpoesie”
zum Trotz2 darauf beharrt, die Volksdichtung in eine „Volkspoesie für das Volk” und in eine
1
C. M. Wieland, Vorrede zu Dschinnistan, oder auserlesene Feen- und Geister-Mährchen, Winterthur 1810.
2
s. das berühmte 116. Athenäum-Fragment: „Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre
Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennten Gattungen der Poesie zu vereinigen […]. Sie will und soll auch Poesie und
Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen […]” (F. Schlegel,
Kritische Ausgabe seiner Werke, hrsg. von E. Behler, 35 Bände, Paderborn/München/Wien/Zürich 1958ff., II, S. 182).
„Volkspoesie für Standespersonen und Gelehrte”3 zu teilen, also bei einer ideologischen
Grenzziehung bleibt, die von einer zu dieser Zeit weiterbestehenden kulturellen Kluft zwischen dem
„Hohen” und dem „Niederen” zeugt. Dass das Märchen dennoch von den Frühromantikern zum
„Canon der Poësie” (Novalis)4 erhoben wurde, ist nicht das geringste Paradox – auch einem
Wieland als gelegentlichem Märchenautor anhaftend! –, auf das wir im Laufe dieser Untersuchung
stoßen werden und das vielleicht nur im Spiel einer gegenseitigen und auch zur Erhaltung beider
Formen der Volks- und Kunstdichtung notwendigen Befruchtung und Abgrenzung zu lösen ist.
Dr. Cécile Vidal-Oberlé, Université Paris I Panthéon-Sorbonne (Frankreich)
Pantomime, Marionettentheater und Singspiel im Theater Arthur Schnitzlers als eine
Auseinandersetzung mit den « höheren » dramatischen Gattungen
Meist wird Arthur Schnitzlers dramatisches Werk als ein einheitliches Ganzes wahrgenommen, und
zwar weniger aufgrund förmlicher Merkmale als wegen der bevorzugten Themenkonstellation und
der vorherrschenden Gefühlslage, die beide gern als typisch für das Wien der Jahrhundertwende
betrachtet werden. Beim näheren Untersuchen lassen sich aber erstaunliche Besonderheiten bei der
Wahl der dramatischen Formen erkennen : In Arthur Schnitzlers Theater wird auf eine große
Vielfalt dramatischer Formen und Traditionen zurückgegriffen, wobei « höhere » und « niedere »
Formen einander entgegengesetzt oder gar miteinander kombiniert werden.
Dies mag innerhalb eines Theaterstücks vorkommen. Im frühen Einakter Alkandis Lied etwa wird
manch gehobene Gattung aus der Überlieferung gleichsam dekonstruiert, indem Schnitzler z.B. das
Barockdrama zu einem Boulevardstück bzw. zu einer Farce werden lässt. Ähnlich lässt sich in
Liebelei eine Zerlegung und Herabstufung von dem Muster des bürgerlichen Trauerspiels verfolgen.
Dadurch entsteht eine Dialektik zwischen höheren und niederen Formen, wobei intertextuelle
Elemente massiv eingesetzt werden. Mal werden sie aus « Klassikern » entlehnt (so der
konsequente Bezug auf Faust im Singspiel Der Tapfere Kassian), mal stammen sie aus anderen
Theaterstücken Arthur Schnitzlers. Auf die Spitze getrieben wird das Verfahren, wenn der
Dramatiker sein feierlich anmutendes Schauspiel in 5 Akten Der Schleier der Beatrice in die
3
Ibid., S. 166 (4. Athenäum-Fragment).
4
Novalis, Das Allgemeine Brouillon, in Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs, hrsg. von P.
Kluckhohn und R. Samuel, 4 Bände, Stuttgart 1960, III, S. 449.
commedia dell'arte-nahe Pantomime Der Schleier der Pierrette umdichtet und dabei gattungsmäßig- beide entgegengesetzten Pole eines und desselben dramatischen Stoffes zu
untersuchen scheint. Auch das Verfahren des Metatheaters (Der grüne Kakadu, Zwischenspiel bzw.
Zum Großen Wurstel) und das Einsetzen des Marionettentheaters (Zum Großen Wurstel sowie die
frühere Fassung Der Tapfere Cassian) untermauern die Annahme: Durch die dialektische
Auseinandersetzung von gehobenen und niederen, trivialeren Formen wird systematisch die Frage
nach einer Neu-Orientierung des theatralischen Schaffens aufgeworfen, und zwar in einer Zeit
sowohl eines gewissen Historizismus als auch einer Krise der überlieferten Werte und Formen.
Die deutliche Betonung der Theatralität durch die Pantomime, das Puppenspiel oder das Singspiel
mag also zugleich Ausdruck von Schnitzlers Zweifeln an der Relevanz der überlieferten « hohen »
dramatischen Formen und zukunftsweisend bzw. programmatisch sein : Es entsteht der Eindruck,
als ob das festgestellte Zurückgreifen auf volkstümliche Formen (Farce, Commedia , Wiener
Volkstheater, Boulevard...) dem dramatischen Schaffen zu einer neuen Vitalität und Legitimität
verhelfen sollte.
Zweck des Beitrags ist die Dynamik, die Arthur Schnitzler so in seinem dramatischen Werk
einsetzt, weiter zu erforschen, indem vor allem die Pantomimen, Marionettenstücke und das
Singspiel berücksichtigt werden. Herangezogen werden auch Schnitzlers Austausche mit dem
Münchner Marionettenspieler Paul Brann sowie die Rezeption dieser Theaterstücke.
Prof. Megumi Wakabayashi, Tokyo Gakugei University (Japan)
Grenzübertretungen im Räuber-Roman: Robert Walsers ironisches Spiel mit literarischen Gattungen
Ein charakteristischer Zug von Robert Walsers Romanen und Prosastücken sind die häufigen
spielerisch-gegensätzlichen Ausdrücke, die sich durch ihre ironische Ambivalenz dem logischdiskursiven Verstehen entziehen.
Bereits Walsers Romane aus der Berliner Zeit zeigen diese provokative Ambiguität: der erste
Roman Geschwister Tanner (1907) täuscht zwar formal einen traditionellen Roman vor, aber schon
hier unterläuft er die traditionellen Darstellungsformen; Jakob von Gunten (1909) testet noch
stärker die Grenzen des Genres Roman aus. Bei seiner Veröffentlichung galt er den meisten Lesern
als rätselhaft und unverständlich. Vor allem provozierte die Ablehnung von Bildung durch den
jungen Helden und die Negation des bürgerlichen Bildungsideals.
Nach der Publikation des dritten Romans 1909 konnte Walser keinen Roman mehr veröffentlichen,
obwohl er in der Tat einige schrieb, deren Manuskripte allerdings verloren gegangen sind. Als er
seinen letzten Roman Der Räuber 1925 niederschrieb, galt er in der literarischen Öffentlichkeit
längst als Schriftsteller, der keine Romane schreibt. Statt groß angelegter Werke schrieb er nur
unzählige kurze Prosastücke. Damit wurde ihm zunehmend die Anerkennung als Schriftsteller
verweigert, er galt als gescheitert, sein Prosa-Stückwerk wurde belächelt. Der Räuber-Roman ist ein
letzter, ironischer Versuch, die Romanform zu bedienen. Er lässt dabei die traditionelle
Gattungsform hinter sich, besser gesagt, er treibt ein provokatives und zugleich poetisches Spiel mit
den klassischen Gattungen.
Die Hauptfigur des „Räubers“ spielt auf Schillers klassischen Helden an, der für seine Gerechtigkeit
zum Mordbrenner wird. Walsers Räuber verübt keine Verbrechen, außer, dass er mit dem IchErzähler die Gesetze des Romans bricht.
Hierin liegt bereits ein Hinweis auf Walsers Gattungsübertretungen, mit denen er die Legitimität der
traditionellen „großen“ Literatur in Frage stellt. Ich gehe der Frage nach, mit welchen
darstellerischen Mitteln Walser das gegensätzliche Schema von „groß und klein“, „hoch und
niedrig“ problematisiert.
Dr. Annemarie Weber, Universität Bielefeld (Deutschland)
Kinder-und Jugendliteratur:
vom lowbrow- zum highbrow-Segment der rumäniendeutschen Literatur
Die rumäniendeutsche Literatur ist dank des Büchnerpreisträgers Oskar Pastior und der
Nobelpreisträgerin Herta Müller heute zumindest als Begriff im deutschen Sprachraum bekannt,
wenn auch weiterhin große Unsicherheit in seinem Gebrauch herrscht. Der Begriff bezeichnet die
Herkunft der beiden Autoren. Sie gehörten bis zu ihrer Aussiedlung (Pastior 1968, Müller 1987) zu
der durch politisch-ideologische Grenzen nach außen nahezu hermetisch abgeschlossenen, im
Inneren reich ausdifferenzierten, durch die deutsche Sprache und eine jahrhundertealte
Siedlungsgeschichte geprägte deutschen Kulturgemeinschaft in Rumänien.
Die „rumäniendeutsche Literatur“ wurde in einer liberalen Phase der Ceaușescu-Diktatur, Ende der
1960er, Anfang der 1970er Jahre als das Konzept einer eigenständigen Minderheitenliteratur – das
der deutschsprachigen Bevölkerung in Rumänien – entworfen und theoretisch modelliert. Der
Begriff lässt sich systemtheoretisch als selbstreferentielle Identitätsbeschreibung bezeichnen. Die
rumäniendeutsche Literatur begriff sich als ein eigenes, an der Schnittstelle zweier
Nationalliteraturen, der rumänischen und der deutschen, konstituiertes Subsystem. Die
Selbsteinschätzung
schwankte
zwischen
dem
Bewusstsein
der
Randständigkeit
(was
Minderwertigkeitskomplexe erzeugte) und dem Selbstwertgefühl interkultureller Mehrwertigkeit
(was das Bedürfnis nach Anschluss an das „Zentrum“, die Anerkennung im Ausland beförderte und
nicht zuletzt die Ausreise vieler Autoren, begünstigte).
Das Bestreben, ins Zentrum vorzurücken, bei dem gleichzeitig dauerhaften Verdacht, mehrfach
randständig (zur rumänischen und zur deutschen Literatur) zu sein, hat im genannten Zeitraum zu
einer großen ästhetischen Anstrengung geführt, die sehr effizient war, weil sie von Autoren,
Kritikern und auch einigen Verlagslektoren gleicherweise unternommen wurde. Durch diesen
ästhetischen Selektionsdruck bildete sich eine Elite rumäniendeutscher Autoren heraus und eine
highbrow-Literatur, die segregierend auf andere Segmente des Systems wirkte. So wurden die
Dialektliteratur und die Kinder- und Jugendliteratur (KJL) zunächst vollständig aus dem Bereich
der „ernstzunehmenden Literatur“ ausgeschlossen. Die Anfang der 1980er Jahre zunehmende
Gängelung der Autoren und Verlage durch die Zensur, die drastische Zurücknahme der Freiheiten
und Ressourcen durch die politische Macht führten zu einer zeitweiligen Aufwertung dieser
lowbrow-Literaturen, die – auch vom politischen System weniger beachtet – einigen Autoren mehr
Ausdrucksfreiheit versprachen.
Mein Vortrag will das wechselvolle Geschick der rumäniendeutschen KJL nachzeichnen von der
(im Sinne des sozialistischen Realismus) anerkannten Allgemeinliteratur (in den 1950er Jahren)
über die gering geschätzte „kleine Literatur“ in den 1970er Jahre, zur ästhetischen Aufwertung der
KJL Anfang der 1980er Jahre und ihrer erneuten Abwertung in den letzten Jahren der Diktatur.
Dabei wird die rumäniendeutsche KJL nicht nur als Teilsystem der rumäniendeutschen Literatur
dargestellt, sondern auch in ihren Verflechtungen und Interaktionen mit dem politischen System,
den kulturellen Institutionen (Schule, Verlage, Printmedien), den Referenzliteraturen (rumänische,
sowjetische, DDR), anderen kulturellen Subsystemen (Bildende Kunst, Pädagogik, Lehre und
Forschung).
Dr. Michael Weitz, Universität Athen (Griechenland)
Verfilmte Literatur bei Chris Kraus
Zur kulturellen Logik der Trivialisierung durch Medienwechsel
Literaturverfilmungen gelten oft als prekär. Für viele mag die Verfilmung literarischer Texte nur
auf die Trivialisierung ihrer Vorlagen hinauslaufen. Dies liegt an der kulturellen Kodierung des
Mediums Film. Filme neigen, so das kulturelle Vorurteil, stärker zum Trivialen als Literatur,
weshalb denn auch Literaturverfilmungen zuweilen besonders dann als gelungen gelten, wenn sie,
wie etwa Fassbinders Effie Briest wie literarische Texte funktionieren. Andererseits stellt Literatur
heutzutage gern die cineastische Sozialisation ihrer Leser in Rechnung und spielt mit filmischen
Referenzen, die sich gerade nicht durch Literarizität auszeichnen. Filmemacher und Autoren
rechnen sowohl mit den Möglichkeiten anderer Medien und Künsten als auch mit bestimmten
kulturellen Wertungsschemata und bereichern damit ihren eigenen Ausdrucksspielraum. Anhand
der Arbeiten des deutschen Autors und Filmemachers Chris Kraus werde ich Aspekte eines solch
erweiterten Ausdrucksspielraums vorstellen und erörtern. Wenn es um die Erörterung von
Wertungsschemata geht, die gerade durch den Medienwechsel sichtbar werden, sind Kraus‘
Arbeiten ein Glücksfall. Denn seine Filme spielen nicht nur immer wieder auf kulturelle
Bewertungsmuster an, die mit unterschiedlichen Medien und Künsten verbunden sind (in seinem
vielleicht bekanntesten Film Vier Minuten aus dem Jahr 2006 ist es die klassische Musik) und sie
sind auch selbst nicht nur einfach im Spannungsfeld von inszenierter Trivialität und literarischem
Anspruch anzusiedeln, sondern inszenieren den Medienwechsel als Arbeit an kulturellen
Wertungsmustern. Dies gilt sowohl für den Film Poll aus dem Jahr 2010, der das Leben und die
Literatur der deutschen Schriftstellerin Oda Schaefer (1900-1988) in Szene setzt als auch für den
Film Scherbentanz (2002), der eine Verfilmung eines gleichnamigen, von Kraus verfassten Romans
ist.
Dr. habil. Françoise Willmann, Université de Lorraine, Nancy (Frankreich)
Die Last des Didaktischen in der Science-Fiction
Die Anfänge der Science Fiction sind eng verbunden mit der Entwicklung von Naturwissenschaft
und Technik am Ende des 19.Jahrhunderts. In sogenannten « wissenschaftlichen Romanen », die
Unterhaltung und Belehrung bieten wollten, sollten die Segnungen dieser Fortschritte einem
breiteren Publikum schmackhaft gemacht werden. Dass der heutigen Science Fiction weiterhin der
Ruf des Trivialen anhaftet, liegt möglicherweise u.a. an dem Verdacht, es ginge ihr immer noch
vorwiegend darum, naturwissenschaftliches Wissen an den Mann zu bringen, oder gar die Wunder
der Technologien zu preisen, es sei denn sie schlage sich ins entgegengesetzte Lager und warne vor
den drohenden Katastrophen. Zwar lässt sich die heutige Science Fiction nicht auf die
Auseinandersetzung mit Naturwissenschaft und Technik reduzieren, doch bleibt diese Tendenz eine
wichtige Dimension des Genres. Hier soll anhand einiger Beispiele (F. Schätzing, A. Eschbach, A.
Fehrenbach) der Umgang mit dem didaktischen Impetus näher beleuchtet werden.
Mag phil. Martina Zerovnik, Universität Wien (Österreich)
Wort gegen Bild. Positionen der Literatur zum Film während der Kino-Debatte, 1909-19295
Der Film gehört zu den einschneidendsten Entwicklungen des 20. Jahrhunderts. Er bestimmte die
Kulturdiskussion der Moderne und hatte weitreichende Folgen für die Produktion und Rezeption
von Kultur.
Wesentlich dafür war das Eindringen des Films in traditionelle Kultursphären und der wachsende
Anspruch, eine eigene Kunstform zu sein, womit er das bürgerliche Kunstverständnis ins Wanken
brachte. Schließlich setzte die so genannte Kino-Debatte ein, als die Produzenten den Film nach
dem anfänglichen Status einer Attraktion als eine „Kunst des Erzählens“, die in formaler und
inhaltlicher Anlehnung an Theater und Literatur entwickelt wurde, lancierten. So wurde in den
Jahrzehnten 1909 bis 1929 unter Intellektuellen, Künstlern und Schriftstellern diskutiert, was Film
überhaupt sei und welcher Stellenwert ihm innerhalb der oder gegenüber den traditionellen
Kunstformen zugesprochen werden sollte. Als Massenmedium, Zerstreuung, Ergebnis technischer
Produktion und aufgrund seiner Reproduzierbarkeit war er aus Sicht der Kulturpessimisten ein
Ausdruck für den nicht nur kulturellen, sondern auch moralischen Verfall der Gesellschaft.
Schriftsteller griffen nicht nur mit feuilletonistischen Stellungnahmen in die Diskussion ein,
sondern behandelten das Phänomen Film auch in ihren literarischen Texten oder schrieben für den
Film.
Im Vortrag werden Positionen und Argumente der Kino-Debatte daraufhin hinterfragt, welche
Motive und Funktionszuschreibungen sich hinter ihnen verbergen. Haltungen der Annäherung oder
Abgrenzung (der Literatur zum Film) werden näher betrachtet und es wird gezeigt, dass in
kulturpessimistischen Positionen Mechanismen von Ausgrenzung und Vereinnahmung zum Tragen
kommen, denn nicht zuletzt brachte der Film eine beachtliche kultursoziologische Veränderung mit
sich. In ihm bekamen die „kleinen Leute“, von denen sich das (Bildungs-)Bürgertum mit dem
„Genuss“ von (Hoch-)Kultur bewusst abgrenzte und um die sich wiederum manche
zeitgenössischen Autoren bemühten, eine eigene Kulturform.
Letzten Endes zeigt eine Analyse der Kino-Debatte, dass es sich bei dem Verhältnis von Literatur
und Film weniger um eines der Konkurrenz handelte, als vielmehr um ein produktives,
5 nach Anton Kaes: Kino-Debatte. Texte zum Verhältnis von Literatur und Film, 1909-1929, Hg. Anton Kaes, München 1978.
wechselseitiges Verhältnis – unabhängig davon, ob es von einer positiven oder negativen Haltung
getragen wurde.
Dr. Sabine Zubarik, Universität Erfurt (Deutschland)
Walter Moers’ und seine Zamonien-Romane: ein literaturwissenschaftliches Schlaraffenland
Walter Moers ist bekannt für Buchtitel, deren Zuordnung zwischen Comic, Satire, Klamauk,
Fantasy und Kinderliteratur changieren. Das bekannteste seiner literarischen Geschöpfe, Käpt’n
Blaubär, begann 1988 seine Karriere zunächst als deutsche Kinderbuchfigur, stieg aber 1999 als
Hauptfigur und Erzähler des ersten der insgesamt sechs Zamonien-Romane[1] zum Liebling der
Erwachsenen auf, übersetzt in zahlreiche Sprachen und medialisiert auf der Bühne und im Film.
Moers gewann unter anderem den Adolf-Grimme-Preis (1994) und den Phantastik-Preis der Stadt
Wetzlar (2005).
Wenn Selbstreflexivität als
Zeichen von
Literarizität
mitausschlaggebend ist
für die
Rangeinordnung von Werken, so stünden Moers’ Romane an sehr hoher Stelle, denn nichts ist dort
ausgreifender thematisiert als Bücher, Bibliothekswesen, Literaturbetrieb, Autorschaft, Schrift und
Sprache. Die Zamonienserie zeichnet sich zudem durch ein dichtes Geflecht von intra- und
intertextuellen Verweisen aus, solchen die tatsächlich Bezug nehmen auf Autoren und Werke der
Weltliteratur (z.B. Goethe, Keller, Grimms Märchen, E.T.A. Hoffmann), aber auch solchen, die
Intertextualität lediglich fingieren und parodieren. Anhand von Fußnoten, eingefügten
Lexikonartikeln und Referenzen auf vorherige oder zukünftige Romane der Serie wird ein
intellektuelles Spiel mit Autor-, Herausgeber- und Übersetzerfiktion betrieben. Moers’ Stil könnte
man durchaus hyper-rhetorisch nennen, kein Wort bleibt ein-deutig, zu durchtrieben ist die Technik
der Allusionen, Anagramme und anderweitigen Wortspiele. Mitunter erinnern seine Techniken an
französische Autoren der experimentellen Oulipo-Gruppe (z.B. in Der Fönig (2002), wo
durchgehend die Buchstaben F und K miteinander vertauscht werden). Auch medial hat Moers
einiges für die Analyse zu bieten, denn die Mischung aus Illustration und Text, viel mehr aber noch
die Inszenierung von Text als Illustration durch typographische Verfahren lassen sowohl eine
Anspielung auf mittelalterliche Emblematik als auch moderne Comiczeichnung erkennen.
Meine These ist, dass die an Rabelais angelehnte Überzeichnung des Grotesken auf inhaltlicher
Ebene ihre literarische Erfüllung in der Überbietung von – manchmal allzu offenkundiger –
Literarizität findet. Die Zuordnung zur gehobeneren Literatur, die aufgrund der genannten
Verfahren mehr als gerechtfertigt erscheint, wird so durch ihr Übermaß gleichermaßen ad absurdum
geführt. Ein solcherart schlaraffenlandähnliches rhetorisches und stilistisches Aufgebot ist eben kein
exklusiv ausgewähltes Mahl der Kompositionsrafinesse. So gelingt es Moers, im Genre des
Klamauks und der lustigen Unterhaltung zu bleiben, während seine Schreibweise eine
hochliterarisierte ist, die literaturwissenschaftliche Anerkennung verdient.
[1] Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär, 1999, Ensel und Krete, 2000, Rumo & Die Wunder im
Dunkeln, 2003, Die Stadt der Träumenden Bücher, 2004, Der Schrecksenmeister, 2007, Das
Labyrinth der Träumenden Bücher, 2011.
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