Hohe und niedere Literatur. Tendenzen zu Ausgrenzung, Vereinnahmung und Mischung Les rapports entre « littérature majeure » et « littérature mineure » : marginalisation, intégration, mélange Internationale Doppeltagung für Germanisten und Skandinavisten an der Université de Lorraine (Nancy) und der Universität Yamaguchi Erster Teil: Nancy, 28.-30. November Veranstaltungsort: Maison des Sciences de l'Homme de Lorraine (MSH) 91, avenue de la Libération 54000 Nancy Raum 324 und Raum 322 PROGRAMM Hohe und niedere Literatur. Tendenzen zu Ausgrenzung, Vereinnahmung und Mischung Les rapports entre « littérature majeure » et « littérature mineure » : marginalisation, intégration, mélange Nach den traditionellen Wertmaßstäben der Literaturkritik nehmen gewisse Gattungen, die als „nieder“ bezeichnet werden, eine marginale Position im Bereich der deutschen Literatur ein. Und doch ist die „große“, „Hoch-“ oder „Höhenkammliteratur“ wohl in keiner Epoche von diesem Typ literarischer Produktion völlig unberührt geblieben, der zuweilen sogar, wenn nicht als Modell, so doch als Inspirationsquelle diente. Die Tagung soll den Blick schärfen nicht nur für das Nebeneinander und die Konkurrenz, sondern auch und vor allem für das Hin und Her der Annäherung und Entfernung zwischen den beiden Literaturen, der Integration oder Ausgrenzung der niederen Gattungen. Selon les critères d’évaluation traditionnels de la critique littéraire, certains genres, qualifiés de mineurs, occupent une place marginale dans le domaine de la littérature. Cependant, la « grande littérature » n’a été à aucun moment complètement coupée de ce type de production et s’en est même fréquemment inspirée. Le colloque, centré sur la germanistique et la scandinavistique, entend mener une réflexion approfondie non seulement sur la coexistence et la concurrence de ces deux littératures, mais aussi et surtout sur leurs mouvements de rapprochement ou d’éloignement, ainsi que sur les phénomènes d’intégration ou de rejet des genres mineurs par la « grande littérature ». Nous remercions les organismes suivants qui, grâce à leur soutien financier, ont permis la tenue de ce colloque : Université de Lorraine (Conseil scientifique) Centre d'Etudes Germaniques Interculturelles de Lorraine (CEGIL) Communauté Urbaine du Grand Nancy (CUGN) Université franco-allemande (UFA) Nos remerciements vont également au Goethe-Institut qui a accepté de collaborer à ce projet en programmant une soirée cinéma, le 28/11/2013. Le comité d'organisation : Konrad Harrer (Université de Lorraine / Nancy) Annie Bourguignon (Université de Lorraine / Nancy) Franz Hintereder-Emde (Université de Yamaguchi) 28. November 2013 13.30 – 14.00 Begrüßung der Teilnehmer (Raum 324) 14.00 Offizielle Tagungseröffnung 14.30 Konrad Harrer: Einführung in die Tagung 15.00 Thomas Hecken (Siegen, keynote speaker): Literatur, Kanon, Medienkonkurrenz 15.30 Julia Genz (Tübingen, keyote speaker): Kunst, Kitsch und Hochkultur 16.00 Diskussion 16.20 Kaffeepause 16.40 – 18.00 Sektionen Raum 324 Raum 322 Sektion A1: Bühnenkunst des 17. und Sektion A2: Andere Welten 18. Jahrhunderts Moderation: Annemarie Weber Moderation: Arata Takeda (Chicago) (Bielefeld) 16.40 – 17.10 17.10 – 17.40 17.40 – 18.00 Dag Hedman (Göteborg) Jesko Reiling (Bern) Ariadne rediviva. Zu Christian Heinrich Postels Bearbeitung des antiken Ariadnethemas für die Hamburger Oper Totgesagte leben länger!?! Literarische Zombies suchen ihre Leser Stefan Lindinger (Athen) Françoise Willmann (Nancy) Emanuel Schikaneder als Populärdramatiker am Beispiel der Philippine Welserinn und anderer Schauspiele Die Last des Didaktischen in der ScienceFiction Diskussion Diskussion 18.30 Abendessen in der « Auberge de la Ravinelle » (54, rue Isabey) 20.00 Filmabend im Goethe-Institut (39, rue de la Ravinelle): Goethe! (Philipp Stölzl) 29. November 2013 9.00 – 12.30 Sektionen Raum 324 Raum 322 Sektion B1: Medienwechsel Sektion B2: Literatur und Geschichte Moderation: Stefan Lindinger (Athen) Moderation: Franz Hintereder-Emde (Yamaguchi) 9.00 – 9.30 Michael Weitz (Athen) Caroline Olsson (Paris) Verfilmte Literatur bei Chris Kraus. Zur High versus low fiction within the kulturellen Logik der Trivialisierung durch Scandinavian historical genre Medienwechsel 9.30 – 10.00 Michel de Boissieu (Yamaguchi) Mario Saalbach (Vitoria-Gasteiz) Karl May (1974), von Hans-Jürgen Verlorene Heimat und Fiktion: Zwischen Syberberg : ein kitschiger Film über einen historischer Aufarbeitung und kitschigen Schriftsteller ? Trivialisierung 10.00 – 10.20 Diskussion Diskussion 10.20 – 10.40 Kaffeepause Kaffeepause Sektion C1: Märchen und Volkspoesie Sektion C2: Kinder- und Moderation: Michael Weitz (Athen) Jugendliteratur Moderation: Michel de Boissieu (Yamaguchi) 10.40 – 11.10 Patricia Viallet (Saint-Etienne) Gabriela Fragoso (Lissabon) Volksdichtung im Spannungsfeld Triviale Jugendliteratur im Deutschen zwischen „hoher“ und „niederer“ Literatur: Kaiserreich am Beispiel von Werken der exemplarische „Grenzfall“ des Sophie Wörishöffers und C. Falkenhorsts Grimmschen Buchmärchens 11.10 – 11.40 11.40 – 12.10 12.10 – 12.30 Timon Jakli (Wien) Annemarie Weber (Bielefeld) Volkspoesie und Volk zwischen hoher und niederer Literatur Kinder-und Jugendliteratur: vom lowbrow- zum highbrow-Segment der rumäniendeutschen Literatur Franz Hintereder-Emde (Yamaguchi) Sabine Zubarik (Erfurt) Snow White Reloaded — Grimms Märchen im digitalen Zeitalter Walter Moers und seine ZamonienRomane: ein literaturwissenschaftliches Schlaraffenland Diskussion Diskussion 13.00 Mittagessen in der Mensa (Restaurant universitaire Monbois, 138, avenue de la Libération ; Erdgeschoss) 14.30 – 18.00 Sektionen Raum 324 Raum 322 Sektion D1: Kriminalroman und Sektion D2: Bühne und Film im frühen Derivate 20. Jahrhundert Moderation: Dag Hedman (Göteborg) Moderation: Anneli Fjordevik (Dalarna / Uppsala) 14.30 – 15.00 Fuminari Niimoto (Tokio) Kriminalroman als Alibi. Friedrich Glausers parodierendes Romanprojekt der Moderne 15.00 – 15.30 15.30 – 16.00 Chiara Maria Buglioni (Mailand / München) Von der Narrativität zur dramatischen Gestalt: Hohe und niedere Literatur auf der Bühne der Weimarer Republik Annie Bourguignon (Nancy) Cécile Vidal-Oberlé (Paris) Hohe oder niedere Kriminalliteratur ? Henning Mankells Danslärarens återkomst und Stefan Slupetzkys Der Fall des Lemming Pantomime, Marionettentheater und Singspiel im Theater Arthur Schnitzlers als eine Auseinandersetzung mit den « höheren » dramatischen Gattungen Georg Pichler (Alcalá de Henares) Martina Zerovnik (Wien) Zwischen Hoch und Tief ist nicht Wort gegen Bild. Positionen der Literatur Dazwischen. Das Spiel mit trivialen und zum Film während der Kino-Debatte, 1909hochliterarischen Elementen im Werk von 1929 Wolf Haas 16.00 – 16.20 Diskussion Diskussion 16.20 – 16.40 Kaffeepause Kaffeepause Sektion E1: Literatur und Massenmedien Moderation: Françoise Willmann (Nancy) Sektion E2: Unterhaltung und "Schund" Moderation: Thomas Hecken (Siegen) 16.40 – 17.10 Anneli Fjordevik (Dalarna / Uppsala) Henriett Lindner (Budapest) Zur Rolle der internetbasierten Fanfiktion Schaubudenkultur und literarische im Grenzland zwischen Leser- und Unterhaltung – Taschenspielertricks im Verfasserschaft deutschen Geheimbundroman 17.10 – 17.40 17.40 – 18.00 Gesa Singer Simone Sauer-Kretschmer (Bochum) Ruhm und Trivialität: mediale Inszenierung in der Literatur Nieder(e)Schriften – Bordellromane und Dirnenbiographien als Literatur von ganz Unten? Diskussion Diskussion 20.00 Abendessen im Grand Café Foy (1, place Stanislas) 30. November 2013 9.30 – 11.20 Sektionen 9.30 – 10.00 10.00 – 10.30 10.30 – 11.00 11.00 – 11.20 Raum 324 Raum 322 Sektion F1: Veränderungen in der literarischen Wertung Moderation: Julia Genz (Tübingen) Sektion F2: Von Walser zum Pop Moderation: Cécile Chamayou-Kuhn (Nancy) Simone Orzechowski (Metz) Megumi Wakabayashi (Tokio) Otto Flakes unbequemer Spagat zwischen hoher und niederer Literatur Grenzüberschreitungen im Räuber-Roman: Robert Walsers ironisches Spiel mit literarischen Gattungen Santha Kumari (Thiruvananthapuram) Andreas Heimann (Mainz) Die Tendenz zur Trivialliteratur in Billard um halb zehn von Heinrich Böll – veranschaulicht durch Vergleich mit Die Blechtrommel von Günter Grass Popu-leeres Individuum und Goethe: Die Krise des Subjekts in Elfriede Jelineks Pop-Roman wir sind lockvögel baby! Matthias Aumüller (Wuppertal) Ruven Karr (Saarbrücken) Zum literarischen Anspruch systemkonformer DDR-Literatur „Ich bin Graf von Monte Schizo / und singe diesen Hit so“ – Das Hohe, Flache und Tiefe im deutschsprachigen Diskurspop Diskussion Diskussion 11.20 – 11.35 Kaffeepause 11.35 – 12.05 Plenarvortrag (Raum 324) Arata Takeda (Chicago) Nützliche Dialektik. Zur historischen Interdependenz von hoher und niederer Literatur 12.05 Abschlussdiskussion Als Verlängerung der Tagung wird angeboten: 13.00 Mittagessen ca. 14.30 Stadtführung Präsentation der Referenten und ihrer Beiträge (alphabetisch geordnet) Dr. Matthias Aumüller, Bergische Universität Wuppertal (Deutschland) Zum literarischen Anspruch systemkonformer DDR-Literatur Systemkonforme DDR-Literatur wurde und wird von vielen westlichen Literaturwissenschaftlern und -kritikern meist als trivial eingeschätzt, während denselben Werken von der DDRLiteraturwissenschaft und -kritik sowie von westdeutschen Marxisten zumindest implizit der Status ernst zu nehmender Literatur zugeschrieben wurde. Teilweise finden sich die von westdeutschen Literaturkennern als trivial empfundenen Werke im Kanon der offiziellen DDR-Literaturgeschichte. Es liegt nahe, diese ästhetischen Differenzen als Ausdruck konträrer politisch-ideologischer Vorstellungen zu interpretieren. In meinem Beitrag möchte ich diesen Weg der Parallelisierung von ästhetischer und politischer Lesart jedoch nicht gehen, sondern die jeweiligen Argumente am Beispiel einiger DDRAufbauromane aus den 50er Jahren prüfen. Dabei wird sich zeigen, dass die Argumente jeweils andere Aspekte der Literatur berücksichtigen und daher nicht einfach aufeinander beziehbar sind. Für die Trivialitätsthese werden z. B. folgende Argumente vorgebracht: Absehbarkeit der Handlungsverläufe, Dominanz und Eindeutigkeit der ideologischen Botschaft, variationsarme, konventionelle literarische Verfahren. Gegen die Trivialitätsthese ließe sich anführen: Es gibt eine DDR-eigene Trivialliteratur (die sich von den Aufbauromanen unterscheidet und im Westen nie berücksichtigt wurde), durchgehende Politisierung der Handlung, „Verargumentierung“ der Handlung durch moralische, politische und ökonomische Elemente. Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob die nicht-marxistischen Urteile marxistischer Literatur auf der Basis einer bestimmten, nämlich modernistischen Poetik gefällt werden (so die Verteidigung der marxistischen Seite) oder ob die Poetik, die den westdeutschen Aussagen über DDR-Literatur zugrunde liegt, gewissermaßen objektiv ist. Auf das Problem der Trivialität von systemkonformer DDR-Literatur lässt sich damit die Grundsatzfrage jeglicher interkultureller Literaturwissenschaft abbilden: Wie lassen sich Urteile über fremdkulturelle Phänomene fällen? Meine Antwort lautet mit Bezug auf die DDRAufbauromane, dass sich das Problem lösen lässt, indem man der Beurteilung der DDRAufbauromane eine im Hinblick auf die gegensätzlichen Positionen (z. B. Ambivalenznorm der modernistischen Seite vs. Monovalenznorm der marxistischen Seite) neutrale Poetik zugrunde legt. Der Beitrag zielt demnach einerseits auf die Erörterung des Tagungsthemas anhand eines spezifischen Falls der deutsch-deutschen Literaturgeschichte und andererseits auf eine theoretische Stellungnahme zum Problem dichotomischer Poetiken. Prof. Michel de Boissieu, Universität Yamaguchi (Japan) Karl May (1974), von Hans-Jürgen Syberberg : ein kitschiger Film über einen kitschigen Schriftsteller ? Filmregisseur Hans-Jürgen Syberberg, dessen Werke nur ein paar happy few bekannt sind, drehte in 1974 einen Film über Karl May, den erfolgreichsten Trivialliteratur-Autoren deutscher Sprache, dessen Abenteuerromane Millionen von Menschen gelesen haben. In diesem Film betont Syberberg vor allem drei Aspekte des Schriftstellers. Der erste ist der Unwille, oder sogar die Unfähigkeit, Wirklichkeit von Fiktion zu unterscheiden. May identifizierte sich nämlich mit Old Shatterhand, Erzähler und Held seiner berühmtesten Abenteuerromane, und behauptete, selbst wirklich die Abenteuer erlebt zu haben, die er tatsächlich aus seiner Phantasie herausgezogen hatte. Es ist, als ob May seine Erzählungen nicht als Dichtung, sondern als Wahrheit gelten lassen wollte. Der zweite wichtige Aspekt des Schriftstellers ist die idealistische Tendenz, die besonders in seinem Spätwerk spürbar ist. In diesem Werk will May, weit entfernt von seinen früheren Abenteuerromanen, wichtige philosophische Fragen behandeln und eine ganze, von Pazifismus eingeprägte moralische Weltanschauung durch komplexen Symbolen ausdrücken. Der dritte Aspekt ist die Konsequenz der beiden anderen : die Lüge und das Streben nach Ideal stossen sich an Wirklichkeit und erzeugen in May eine Spannung, die sich bis zur Neurose entwickelt. Der Wille, Fiktion als Ausdruck einer absoluten Wahrheit gelten zu lassen ; das Streben nach Moralisierung und Ideal ; die entsprechende Neurose : diese drei Aspekte von Karl May sind gerade was Hermann Broch als drei Hauptzüge des Kitsches bezeichnet. Unter diesen Umständen wird unser Referat ein doppeltes Ziel haben. Erstens werden wir zeigen, wie Syberberg Karl Mays Kitsch sichtbar macht und kritisiert. Zweitens werden wir uns fragen, ob Syberberg, indem er Karl Mays Kitsch ans Licht bringt, nicht selbst ein kitschiger Künstler wird. Prof. Dr. Annie Bourguignon, Université de Lorraine, Nancy (Frankreich) Hohe oder niedere Kriminalliteratur ? Henning Mankells Danslärarens återkomst und Stefan Slupetzkys Der Fall des Lemming Kaum ein literarisches Genre ist in den letzten zwanzig oder dreißig Jahren so deutlich aufgewertet worden, wie der Kriminalroman, der sich nicht nur großen Erfolgs bei dem Publikum erfreut, sondern auch Gegenstand literaturwissenschaftlicher Forschung ist. Wie lässt sich aber eine solche Statusänderung erklären? Ergibt sie sich aus den Erwartungen der Leser, aus einer soziologischen Umstrukturierung der Leserschaft, oder aus einer – inhaltlichen, thematischen, formalen – Wandlung der betreffenden Texte? Eine weitere Frage ist, ob alle Kriminalromane, die auf den Markt kommen, als hohe Literatur eingestuft werden, eine Frage, die verneinend beantwortet werden muss. Man darf annehmen, dass die bei der Bewertung der Kriminalliteratur maßgebenden Faktoren, die gleichen sind, wie diejenigen, die die Bewertung der Literatur überhaupt bestimmen. Wie manchmal angemerkt bedeutet der Erfolg der Kriminalromane ein Aufleben der realistischen Literatur. Dem Realismus sind jedoch heute weite Gebiete der als niedrig angesehenen Prosa zuzuordnen, und zwar weniger deswegen, weil sie die Wirklichkeit treu wiedergeben, als vielmehr, weil ihnen jeder Versuch, die Darstellbarkeit der Wirklichkeit in Frage zu stellen, fremd ist, und sie als Selbstverständlichkeit hinstellen, dass die von ihnen produzierten Bilder getreue Abbilder der wirklichen Welt seien – obwohl dem oft nicht so ist, was auch einem ziemlich unkritischen Blick nicht entgeht. Die Auseinandersetzung mit der Kriminalliteratur macht die Debatte um den Realismus wieder aktuell, und führt zu der Frage, ob er am Anfang des 21. Jahrhunderts noch in die „hohe“ Literatur hinüberzuretten ist. In meinem Beitrag möchte ich die eben skizzierte Problematik anhand der Analyse zweier Bestsellers veranschaulichen, Henning Mankells Danslärarens återkomst (2000, Die Rückkehr des Tanzlehrers) und Stefan Slupetzkys Der Fall des Lemming (2004). Ich werde die Romane im Lichte literaturtheoretischer Überlegungen zur Bewertung von Texten lesen. Kriterien, wonach sich die literarische Qualität von Schriften einigermaßen ermessen lässt, sind etwa bei Hans Robert Jauss, aber auch bei Pierre Bourdieu zu finden. Schon aufgrund der breiten Akzeptanz durch die Vertreter anerkannter zuständiger Institutionen dürften beide Romane heute zur hohen Literatur gerechnet werden. Es könnte sich aber herausstellen, dass diese Zuordnung zeitbedingt ist. M.A. Chiara Maria Buglioni, Università degli Studi, Mailand (Italien) / Ludwigs-MaximiliansUniversität, München (Deutschland) Von der Narrativität zur dramatischen Gestalt: Hohe und niedere Literatur auf der Bühne der Weimarer Republik Am 25. April 1926 findet die Uraufführung von Fegefeuer in Ingolstadt statt, als Sonntagsmatinée der Jungen Bühne Moriz Seelers unter der Regie von Paul Bildt/Bertolt Brecht. Kaum vier Jahre später debütiert Vicki Baums Menschen im Hotel unter der Regie von Gustav Gründgens am Theater am Nollendorfplatz, als Gastspiel vom Deutschen Theater Max Reinhardts. Die berühmtesten Theatermenschen der Weimarer Republik haben sich also eingesetzt, um zwei Stücke aufzuführen, die von Frauen verfasst wurden. Im literarischen Feld der 1920er Jahre sind beide Bühnenstücke das prominenteste Beispiel für eine weibliche Dramaturgie, deren Zuordnung zur hohen/niederen Literatur durch männlichen Einfluss bekräftigt wurde. Marieluise Fleißers Drama wurde von Herbert Ihering sowie von Alfred Kerr als eine gelungene theatralische Auseinandersetzung mit vorgefassten Darstellungen und vorbestimmten Möglichkeiten einer Provinzgesellschaft betrachtet und gilt noch heute als Vorbild des kritischen Volksstücks. Die Berliner Aufführung von Vicki Baums Werk wurde hingegen 1930 von vielen als bloß leichtsinnige Unterhaltung angesehen, mit welcher der weitblickende Reinhardt den Vergnügungsnerv seiner Generation noch zu treffen versuchte. Heutzutage findet sie in der VickiBaum-Forschung kaum Beachtung, obwohl sie eine regelrechte Triumphgeschichte in Gang setzte, und zwar den Welterfolg vom Grand Hotel betitelten Broadway-Musical und vom späteren gleichnamigen Hollywood-Film. Trotz ihrer andersartigen Rezeption spielten Fegefeuer in Ingolstadt und Menschen im Hotel eine gleichermaßen bemerkenswerte Rolle in der Theatergeschichte der zwanziger Jahre: Einerseits löste Fleißers Stück einen heftigen Medienrummel aus, welcher als Anzeichen für die Aufnahme avantgardistischen Theaters in den 1920er Jahren betrachtet werden kann, andererseits diente Vicki Baums Bühnenfassung des eigenen Romans einem Theaterbetrieb, der sich notwendigerweise populären bzw. kommerziellen Formen öffnete. Auch die Prätexte beider Dramen bezeugen von einer unterschiedlichen Position im literarischen Feld der Weimarer Republik: Gehört das Urbild von Marieluise Fleißers Drama, die 1923 in der Zeitschrift „Das Tagebuch von Stefan Grossmann“ veröffentlichte Erzählung Meine Zwillingsschwester Olga, zweifellos zur Hochliteratur, so nimmt der erstmals in der „Berliner Illustrirten Zeitung“ als Fortsetzungsroman gedrückte Bestseller Vicki Baums eine eher umstrittene Position im Literaturkanon ein – die Literaturwissenschaft der letzten Jahrzehnte hat sich ja bemüht, den Wert des Romans aufzudecken, aber das Etikett U-Kunst wird Menschen im Hotel immer noch leicht angehängt. Am Beispiel beider Dramen wird daher die Frage untersucht, ob und wie die Transkodifikation epischer Texte in dramatische Formen den Status „hohe Literatur“ bzw. „niedere Literatur“ verstärken kann. Zum anderen soll das Verhältnis zwischen Publikumserwartungen und Inszenierungsmöglichkeiten erörtert werden, das im Theater der 1920er Jahre herrschte: Der Bearbeitungsprozess beider Stücke wurde nämlich von Regisseuren, Intellektuellen und Impresarios sehr stark beeinflusst, als hätten sie die Grenze hohe/niedere Literatur befestigen wollen. Feuchtwanger, Brecht und Seeler trieben ihre damalige Protegée Marieluise zur Radikalisierung in Sachen Experimentierens, während Gründgens und Reinhardt nur die Pseudo-Kunst, das Kitsch, den kurzlebigen Gebrauchscharakter in Baums Werk hervorhoben. Dr. Anneli Fjordevik, Universität Dalarna / Universität Uppsala (Schweden) Zur Rolle der internetbasierten Fanfiktion im Grenzland zwischen Leser- und Verfasserschaft Mit Hilfe der digitalen Technik haben heute auch Laien die Möglichkeit, eigene Texte, Filme, Spiele, Musikstücke usw. im Internet zu „publizieren“ und somit mit professionellen Kulturproduzenten zu konkurrieren. Die Grenze zwischen Produzenten und Zuschauern bzw. Konsumenten ist durch diese „Mitmachkultur“ (participatory culture) erheblich verändert worden. Ein Bereich, der mit dem Heranwachsen des Internets große Verbreitung gefunden hat, ist die Fanfiktion. Fanfiktion sind Texte, die von einer existierenden literarischen Welt ausgehen. Es handelt sich dabei oft um Fantasy-Welten, aber auch klassisch kanonisierte Werke wie Stolz und Vorurteil, Lolita, Faust oder sogar die Bibel kommen vor. Diese werden auf irgendeine Weise weitergeführt, indem der Fanfiktion-Verfasser mit dem existierenden Text einfach fortfährt, ihn aus anderen Perspektiven als die ursprüngliche erzählt oder Charaktere weiterentwickelt, die in der Vorlage Nebenrollen einnahmen. In diesem Beitrag soll mit Ausgangspunkt in der Fanfiktion-Webseite www.fanfiktion.de die Rolle der Fanfiktion im Allgemeinen und die metatextuelle Dimension der Fanfiktion-Texte zur phantastischen Jugendromanreihe der Tintenwelt-Trilogie (Tintenherz 2003, Tintenblut 2005 und Tintentod 2007) von Cornelia Funke im Besonderen diskutiert werden. Vor den Fanfiktion-Texten steht meistens ein Kommentar des jeweiligen Verfassers zum „publizierten“ Beitrag. Ausgehend von diesen author‘s notes soll die Annäherung der Fanfiktion-Schreiber und -Schreiberinnen zur Vorlage erläutert werden; wie sie sich dazu verhalten und wie sie ihre Rolle in der Beziehung zwischen den literarischen Vorlagen und ihren „neuen“ Texten betrachten, kurz ihre Rolle im Grenzland zwischen Leser- und Verfasserschaft. Dr. Gabriela Fragoso, Universidada Nova, Lissabon (Portugal) Triviale Jugendliteratur im Deutschen Kaiserreich am Beispiel von Werken Sophie Wörishöffers und C. Falkenhorsts In meinem Beitrag gehe ich der Frage nach, inwieweit die Ideologie einer Epoche ihren Widerhall in trivialen Texten für die Jugend findet. Der Schwerpunkt wird auf Werken des ausgehenden 19.Jahrhunderts liegen. Diese Epoche bot sich geradezu dazu an, eine von nationalistischer und militaristischer Gesinnung geprägte Pädagogik zu verbreiten. Im Zentrum meines Beitrags steht die Abenteuer- und Reiseliteratur, die im Deutschen Kaiserreich Hochkonjunktur hatte. Sowohl Sophie Wörishöffer (1838-1890) wie auch C. Falkenhorst (1853-1913) gehören zu einer langen Reihe von Autoren der sogenannten populären Massenliteratur. In ihren in Rekordauflagen erscheinenden Werken präsentierten sie der deutschen Jugend eine Weltanschauung, die von der Überlegenheit der christlich-abendländischen Kultur ausging. Ideologisch waren ihre Texte in festgefahrenen Klischees verhaftet und erhielten ihren trivialen Charakter durch ihre starre Struktur, die stereotypen Handlungsverläufe und einen standardisierten Sprachgebrauch. Andererseits aber boten sie den jungen Lesern Unterhaltung und vermittelten ihnen Kenntnisse über fremde Länder. Daher ist es nicht abwegig, sie in der Folge der aufklärerischen Tradition des 18. Jahrhunderts zu sehen, welcher Autoren wie Joachim Heinrich Campe (Die Entdeckung von Amerika) oder Johann Georg Friedrich Pabst (Die Entdeckung des fünften Welttheils) angehören. Im Gegensatz zu denen von Campe und Pabst fehlt den Texten von Wörishöffer und Falkenhorst jedoch der dialogische Charakter, der es den Lesern ermöglicht, Sachverhalte zu hinterfragen und sich ein ausgewogeneres Urteil zu bilden. Dies wird durch die auktoriale Erzählsituation verhindert. Dennoch trafen solche Jugendbücher den Geschmack einer breiten Bevölkerungsschicht, die für eine nationalistische und chauvinistische Indoktrination empfänglich war. PD Dr. Julia Genz, Universität Tübingen (Deutschland) Kunst, Kitsch und Hochkultur Die Frage, wie man Kitsch eindeutig von Kunst unterscheiden kann, ist Gegenstand unendlicher Debatten und hat zu verschiedensten Erklärungsversuchen geführt. Untrennbar verbunden ist sie mit der Frage, was Kunst eigentlich von Kitsch unterscheidet. Damit erscheint das Problem nicht so sehr als den Kunstwerken inhärent, sondern als Diskursphänomen. Oft genug wird ein und dasselbe Kunstwerk in unterschiedlichen Zeiten zunächst als Kunst und später als Kitsch empfunden (oder umgekehrt). Der Vortrag bietet einen theoretischen Ansatz, diskursive Zuschreibungen zu untersuchen, mittels derer ein Werk der Hochkultur bzw. dem Kanon zugeordnet wird. Damit zusammenhängend werden negative Werturteile wie Banalität, Trivialität und Kitsch unterschieden und ihr Zustandekommen erklärt. Prof. Dr. Thomas Hecken, Universität Siegen (Deutschland) Literatur, Kanon, Medienkonkurrenz Obwohl die Massen- und Popkultur sowohl den Kanon der Museen, der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten und der Universitäten als auch der statushohen Rezipienten erreicht hat, gilt dies für die Literatur nicht in gleichem Maße. Im Unterschied zu Musik, Film, Fotografie wird der Genreliteratur und anderen Titeln, die oftmals der populären Literatur zugeordnet werden, weniger Aufmerksamkeit und Anerkennung zuteil. Der Vortrag will diese Lage schildern, analysieren und Gründe für sie angeben. Prof. Dr. Dag Hedman, Universität Göteborg (Schweden) Ariadne rediviva. Zur Bearbeitung Christian Heinrich Postels des antiken Ariadnethemas für die Hamburger Oper. Eine der Hauptquellen zu den griechisch-römischen Mythen für Verfasser und Künstler war stets Ovids Metamorphoses. Schon der erste moderne Librettist, der Florentiner Ottavio Rinuccini (1562―1621), baute alle seine vier grossen Libretti auf Ovid: La rappresentazione di Dafne (1594), L’Euridice (1600), L’Arianna (1607/08) und Il Narciso (1608?). Da Rinuccini für den Medici-Hof arbeitete und ausserdem eine Nachahmung des antiken Dramas erstrebte, kann man nur in einem sehr eingeschränkten Sinne von Popularisierungen des Stoffes in seinen Werken sprechen. Christian Heinrich Postel (1658―1705) befand sich 80 Jahre später in einer ganz anderen Arbeitssituation: er hatte den Auftrag, für die Hamburger Oper am Gänsemarkt den Text für eine Ariadneoper zu verfassen. Der Hamburger Opernbetrieb war ein Unternehmen, das sich ein breiteres Publikum zuwandte. Nicht aufwartende Hofleute, die eine Opernvorführung als einen Teil ihres Dienstes betrachteten, sondern ein zahlendes Publikum, das auf seine Kosten kommen wollte, musste Postels Text gefallen. Darum hat er durchgreifende inhaltliche Veränderungen gegenüber Ovids Text vorgenommen, verglichen zu Rinuccini. In Postels Die schöne und getreue Ariadne (1691) hat der Verfasser das Äusserste gemacht, um seinem Publikum ein ergreifendes und unterhaltendes Stück zu bieten, mit Möglichkeiten, bühnerische Pracht zu entfalten (Bühnenbildumwandlungen, Balettszenen und dergleichen), das gleichzeitig als Grundlage für Johann Georg Conradis (um 1645―99) Musik dienen sollte. Mit welchen Mitteln arbeitet Postel? Was hat er von Ovid übernommen? Was hat er verändert? Was hat er neugedichtet? In wiefern hält er sich zu den aristotelischen Regeln und die Vorschriften des Dekorum, die im 17. Jahrhundert so wichtig waren? Was ist zeittypisch/modern für 1691? Welche Wirkung erzielt Postel auf das Publikum mit seinen jeweiligen Veränderungen und Neudichtungen? Der Hauptgedanke ist es, in diesem Vortrage die Refunktionalisierung des Stoffes für die Hamburger Aufführungen zu untersuchen und zu sehen, inwiefern dabei eine ästhetische Umwertung angebracht ist. Dabei werden Vergleiche zu Ovid und Rinuccini, aber auch zu anderen Bearbeitern des beliebten Ariadnestoffes, gemacht, um einen motivgeschichtlichen Abriss zeichnen zu können. In der Forschung, die sich mit Fragen zur ”höheren” und ”niederen” Literatur befassen, hat man sich kaum für Libretten interessiert. Ein Ziel der vorgeschlagenen Darstellung wird sein, zu zeigen, dass es sich lohnt, diese Textgattung mit dieser Problemstellung zu untersuchen. M.A. Andreas Heimann, Universität Mainz (Deutschland) Popu-leeres Individuum und Goethe. Die Krise des Subjekts in Elfriede Jelineks Pop-Roman wir sind lockvögel baby! Der Name Otto trägt als Palindrom die Arbitrarität der Zeichen in besonderer Weise sichtbar in sich und lädt zu einem Spiel der/mit Zeichen ein. Das vermeintlich feste Zeicheninventar, wird gerade durch eine mögliche Spiegelung, als gesetzte, artifizielle Größe enttarnt. Die beiden Os und die wie Additionszeichen dazwischen liegenden Ts reizt Elfriede Jelinek in ihrem Roman „wir sind lockvögel baby!“, das im Namen Otto bereits angelegte Spiel mit Signifikanten und Signifikaten aufzunehmen und zu erweitern. Erweiternd, weil sich, analog zu Charlottes Frage: „Wer spielt nicht gern mit Ähnlichkeiten?“, bereits in Goethes letztem Roman „Wahlverwandtschaften“, ein Spiel mit dem Namen Otto findet, auf das etwa Walter Benjamin verweist. Auffällig an Goethes Figurenkonstellation ist, dass alle Hauptfiguren durch den Namen Otto (sprachlich) verbunden sind und somit bereits eine Krise des Subjekts vorausgedacht wird, die zugleich eine Krise der Zeichen und der Zeichenhoheiten ist. Das Experiment Goethes wird von Jelinek in ihrem erstpublizierten Roman popkulturell ausgebaut. Die Sprache von Trivialliteratur kopierend, schichten sich Figuren, wie Mickey Mouse, Batman oder der Weiße Riese, auf Personen wie die Beatles oder Roy Black und verändern deren tradiertes Bild. Sie alle sind die titelgebenden Lockvögel, die schon längst in die Sprache des Lebens selbst hineinwirken und nicht mehr nur zum Kauf von Produkten animieren sollen. In der Idee Otto kulminiert in Jelineks Text sowohl das ambivalente Moment des Collagetextes, als auch der Verlust von Subjektivität in einer vom Fernsehen bestimmten Spaßgesellschaft. An ihren immer wieder im Text auftauchenden Simulakren an Ottos, die sowohl als Konsumenten, als auch als handelnde Figuren, schwangere Frau oder Mörder erscheinen können, zeigt sich der Verlust des Individuums: Variante ist nicht Reichtum, sondern Ödnis. Verortet die Frankfurter Schule in ihrer kritischen Auseinandersetzung, ebenso wie viele Jelinekinterpreten, aber fast nur ein konformistisches Moment im Pop, erkennen die späteren, poststrukturalistischen Thesen auch das produktive Moment für eine Gesellschaft, welches ebenfalls bei Jelinek zu finden ist und bedacht werden muss. Dabei geht es nach Deleuze und Guattari nicht um eine postmarxistische Lesart, also um eine Ökonomie des Pop, sondern vielmehr um die Sprache, die Modi und gar die Chancen, die der Pop offeriert. Um diesem wieder ein Stück seiner verbrauchten Subversivität abzutrotzen, ist es erforderlich, die zuhandene Sprache einer erneuten Prüfung zu unterziehen. Aus einer Sprache der Vielen, der Mehrheitssprache, wird infolgedessen ein Minderheitlich-Werden, in dem die Sprache sich selbst zu entkommen versucht. Diesem doppelten Spiel der Signifikanten konstatieren beide Denker die Möglichkeit einem diskursiven Kapitalismus; der Foucaultschen Macht, zu entgleiten. In der Sprache des Pop sehen sie die Chance, sich der vorherrschenden und bestimmenden Sprache zu widersetzen. Pop wird von ihnen als Wörterflucht begriffen. Eine Flucht, die es ermöglicht den Sprechenden innerdiskursiv und zugleich aufbegehrend zu verstehen. Meine Untersuchungen möchten somit sowohl eine literarische Anbindung Jelineks zu kanonischen Texten beleuchten, als auch die vielschichtige Verwobenheit zur Populärkultur aufzeigen. Denn nur in dieser – bisher kaum beachteten – Symbiose, offeriert sich das subversive Moment der Jelinekschen Prosa, die zwischen Popkultur und Klassik ossziliert. Prof. Dr. Franz Hintereder-Emde, Universität Yamaguchi (Japan) Snow White Reloaded — Grimms Märchen im digitalen Zeitalter Märchen gelten im Blick auf hohe und niedere Literatur als Spezialgattung. Aufgrund ihres hybriden Charakters und je nach Zielgruppe werden sie der Kinder- und Jugendliteratur oder im Falle der Kunstmärchen der hohen Literatur zugerechnet. Aber auch die Unterhaltungsindustrie macht sich den hohen Wiedererkennungswert ihrer Motivik und der stereotypen Figurenkonstellationen zu eigen. Die vergangenen Jahrzehnte brachten einen enormen Fortschritt in der digitalen Filmtechnik. 2012 wurden mit „Mirror, mirror“ und „Snow White and the Huntsman“ zeitgleich zwei aufwendige Adaptionen von Schneewittchen in 3D-Technik produziert. Aber auch im traditionellen Kulturbereich spielen Märchenstoffe eine unübersehbare Rolle. Im Blick auf die Adaptionen des Schneewittchen-Stoffes über längere Zeiträume hinweg werden die Veränderungen bei Übergängen von einem zum anderen Medium (Text, Film, Comic, Drama, Ballett etc.), aber auch zwischen verschiedenen Kulturen und Sprachen vorgestellt. Angefangen von Robert Walsers „Schneewittchen-Dramolett“ bis hin zur Comic-Adaption „The Fables“ und modernen Filmversionen sollen Fragen des Potentials der Märchen zwischen, bzw. jenseits von hoher und niedriger Literatur diskutiert werden. Mag. phil. Timon Jakli, Universität Wien (Österreich) Volkspoesie und Volk zwischen hoher und niederer Literatur Die vorgestellten Überlegungen sind Teil eines Dissertationsprojektes, das mit dem DOCStipendium der österreichischen Akademie der Wissenschaften gefördert wird und sich mit Identitätsformationen im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts auseinandersetzt. Die Begriffe Volkspoesie und Volk stellen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland ein semantisches Kampffeld verschiedener Diskurse literarischer, ästhetischer und politischer Natur dar. Die den Begriffen inhärenten Differenzen, die Koselleck et al. in Geschichtliche Grundbegriffe festmachen, werden hier wirkmächtig: Es wird eine Differenz innen/außen konstruiert, jedoch auch innerhalb der als Erzählgemeinschaft konzipierten „imagined community“ (Benedict Anderson) gibt es die soziologisch festgemachte Grenze oben/unten. Die historische Betrachtung schließlich imaginiert noch die Differenz vergangen/gegenwärtig. Der Vortrag nimmt diese begriffsgeschichtlichen Forschungsergebnisse auf und macht sie durch Anwendung der Feldtheorie Pierre Bourdieus und der Dichotomieforschung Peter Bürgers fruchtbar. Innerhalb des literarischen Feldes wird seit dem Siebenjährigen Krieg der Begriff Volkspoesie im Kampf um symbolisches Kapital von verschiedenen Akteuren mit Bedeutung aufgeladen. Dabei geht es jedoch nicht nur um die Verteilung symbolischen und materiellen Kapitals und die Abgrenzung gegeneinander im Literaturbetrieb, sondern auch um die zunehmende Ausdifferenzierung von hoher und niederer Literatur. Dies ist insbesondere wichtig, da im Zuge der Bemühungen um Volkslieder und Märchen diese Grenzen verwischt werden: Formen und Gattungen niederer Literatur werden nobilitiert und steigen in den hohen Bereich der Literatur auf, die sich jedoch klar von unterbürgerlichen Praktiken abzugrenzen sucht. In weiterer Folge sinken die artifiziell überformten Gebilde wieder ab und werden Teil einer national inspirierten Kulturgemeinschaft. Diese Prozesse können durch eine Untersuchung von Texten Herders, Friedrich Nicolais, Gottfried August Bürgers, des Göttinger Hainbundes, Jacob und Wilhelm Grimms sowie Arnim/Brentanos beschrieben werden. Im Vortrag wird gezeigt, wie diese Wechselbeziehung zwischen hoher und niederer Literatur mit der sozioökonomischen Realität der Akteure, aber auch mit das literarische Feld transzendierenden Identitätsbildungsprozessen zusammenhängt. Dies geschieht anhand der Kontroversen zwischen Herder, Bürger und Nicolai (in Bezug auf Lieder und Kunstballaden) sowie zwischen GrimmArnim/Brentano (in Bezug auf Märchen). Anhand dieser beiden Gattungsbeispiele wird die Problematik und Interessensgeleitetheit der Zuschreibung von „Volksmäßigkeit“ erhellt und wie sich diese zum bestehenden Literatursystem und seiner Einteilung in hohe und niedere Literatur verhält. M.A. Ruven Karr, Universität des Saarlandes (Deutschland) „Ich bin Graf von Monte Schizo / und ich singe diesen Hit so“ – Das Hohe, Flache und Tiefe im deutschsprachigen Diskurs-Pop Die in den 1990er Jahren gegründeten Hamburger Bands Blumfeld, Tocotronic und Die Sterne zählen zu den bekanntesten Vertretern des Diskurs-Pop. Was als dilettantisch-schrammeliger IndieRock für ein kleines erlesenes Publikum begann, fand längst reges Interesse in den Feuilletons und mittlerweile sogar in Uni-Seminaren sowie in der Literaturwissenschaft. Mit dem Begriff „DiskursPop“ bezog man sich vor allem auf die sperrige und verkopfte, sich an Alltagsbetrachtungen entzündende Gesellschaftskritik der Songtexte. Doch der Begriff meint auch die Diskurse der Postmoderne und der Poptheorie, die nicht nur die Songlyrik maßgeblich prägen, sondern explizit thematisiert werden: Camp, Montage, Eklektizismus, der Tod des Autors, das „Ende der großen Erzählungen“ (Lyotard) sowie die Symbiose aus Hochkultur und populärer Kultur, aus dem künstlerisch Anspruchsvollen und dem Banalen, wie sie Leslie Fiedler 1968 in seinem einflussreichen Aufsatz Cross the border – close the gap proklamierte. Hier soll natürlich vor allem Letzteres interessieren. Besonders bei Tocotronic und Blumfeld wird die Unterwanderung des Hohen durch das Banale überdeutlich. In beider Werk kommen zahllose intertextuelle Anspielungen – bis hin zu dreist übernommenen, ans Plagiat grenzenden Zitaten – auf die Höhenkammliteratur (Flaubert, Nietzsche, Rilke, Benn, Celan, Bachmann, Bernhard etc.) vor, die dann zugleich aber sowohl thematisch als auch formal verwoben werden mit Elementen der populären und niederen Kultur, des Trivialen bis Albernen (deutsche Schlager, TV-Trash, scheinbar banale Alltagsbetrachtungen, sprachlich-poetische Klischees, gewollt lächerliche Wortspiele, Reime etc.). Durch diese Konfrontation des Hohen (Kanonisierung, ästhetischer Anspruch) mit dem Flachen (Populäres, Oberflächliches, Banales) entsteht ein ironisches Spannungsfeld und damit eine Irritation des Rezipienten, dem es aufgetragen ist, die schwer zu vereinbaren Dissonanzen deutend aufzulösen – geschweige denn zu ergründen, ob das Gehörte ernst oder ironisch zu verstehen ist. Diese interpretatorische Unbestimmtheit und Mehrdeutigkeit, die Offenheit des Kunstwerks (Eco), ergibt sich also aus der Verknüpfung des Hohen mit dem Flachen; diese dritte Kategorie soll heuristisch „das Tiefe“ genannt werden. Um die drei Kategorien kurz zu veranschaulichen: Die Ballade Tausend Tränen tief von Blumfeld verknüpft volksliedhaft-romantische Elemente mit trivialem Schlager-Kitsch. Sie nimmt sich beim ersten Hören ebenso flach aus wie ihr Titel Tiefe suggeriert. Wenn es nun am Ende des Songs heißt „es könnte viel bedeuten“, dann zitiert der Blumfeld-Sänger Jochen Distelmeyer damit nicht nur wörtlich aus einen Gedicht Ingeborg Bachmanns, sondern er lässt mit diesem Verweis auf Vieldeutigkeit auch einen ratlosen Rezipienten zurück mit der Frage nach dem Sinn und der ästhetischen Funktion einer solchen Mehrfachcodierung. Oder in Tocotronics Gesang des Tyrannen: Hier proklamiert ein ironisch gezeichneter Dichter-Fürst, der „Graf von Monte Schizo“, pathetisch seine Würde, um sie im selben Atemzug als hohl und nichtssagend zu entwerten: In mir Brennt das ewige Feuer In mir Kalt, modern und teuer In mir Strahlt das ewige Licht In mir Doch dahinter gibt es nichts. In meinem Beitrag möchte ich das Verhältnis zwischen dem Hohen, Tiefen und Flachen anhand des Werks vornehmlich von Tocotronic und Blumfeld bestimmen und seine Beziehung zu zentralen Theoremen der Postmoderne sowie der Popliteratur diskutieren. Prof. Dr. Santha Kumari, University of Kerala, Thiruvananthapuram (Indien) Die Tendenz zur Trivialliteratur in Billard um halb zehn von Heinrich Böll – veranschaulicht durch Vergleich mit Die Blechtrommel von Günter Grass Auch ‚hohe’ Schriftsteller führen manchmal bewußt/unbewußt triviale Elemente in ihre Werke ein, wie z.B. Heinrich Böll. Seine Frühromane, wie z.B. Billard um halbzehn erlebten daher eine Popularität wie Trivialromane. Die Trivialität in Billard um halbzehn entsteht vor allem durch die sentimentale leichtverständliche Sprache ohne Individualität. Der Schreibstil zeigt eine unnötige Pseudokomplexität: Die zehn Perspektiven im Roman tragen kaum zur Bereicherung bei, da sie ohne Vielfältigkeit wirken. Die Motive fehlen an Originalität und bleiben statisch in ihrer Identität. Sie führen zur Klassifizierung der Charaktere in ‚gute’ und ‚böse’ wie im Märchen. Die guten erregen Mitleid, um zur blinden Identifikation einzuladen. Die Frauen spielen bei Sex eine naive passive Rolle. Sie erscheinen als fromme, empfindsame, geduldig leidende Wesen. Ihr Leben kreist sich um die Familie und sie verehren ihre Ehemänner. Es ist ein Frauenbild wie in trivialen Frauenromanen. Auch ohne eine kompetente Kenntnis der deutschen politischen Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der die drei Generationen im Roman entstammen, kann man den Roman verstehen. Auch der Roman Die Blechtrommel von Günter Grass erschien in dem gleichen Jahr, d.h. 1959. Auch er behandelt die gleiche Thematik der drei Generationen in einer Familie, auf der die politischen Entwicklungen in dem gleichen Zeitraum wie im Bölls Roman ihre Spuren hinterließen. Aber Grass’ Sprache ist ausgeprägt individualisierter Art und fehlt an Sentimentalität. Auch sein Schreibstil ist höchst komplex wie originell. Die Motive ändern ihre Identität vom Kontext zu Kontext im Roman; der/die Leser/in muß sie also jedesmal neu interpretieren. Ohne eine kompetente Interpretation der Motive kann man diesen Roman von Grass nicht verstehen, da die Motive sich aus dem Stoff des Romans selbst entwickeln. Die Frauencharaktere spielen eine von der Gesellschaft unnotierte, aber bedeutende Rolle. Man kann sie weder ‚gut’ noch ‚böse’ nennen, zumal der Erzähler/Grass in keiner Weise eine Partei ergreift. Der/die Leser/in kann sich infolgedessen mit ihnen nicht emotional identifizieren. Die Frauen sind vor allem gekennzeichnet durch ihre virulente weibliche Sexualität. Mit Macht über Familie/Männer bestimmen sie auf eine indirekte unnotierbare Weise die Richtlinien der Gesellschaft. Der Roman wird erzählt aus der Perspektive von Oskar in der Familie, der nun in einer Heil- und Pflegeanstalt sitzt. Der/die Leser/in kann also nicht alles glauben, was er sagt. Mit übermenschlichen Gaben versehen erscheint er vielmehr wie ein polyvalentes Symbol als Mensch. Selbstverständlich wirkt er verfremdend für den/die Leser/in. Ohne eine kompetente Vorkenntnis der hier verstreuten Fragmente der politischen Entwicklungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kann man diesen Roman von Grass nicht kompetent rezipieren. Während Bölls Billard um halb zehn das Mitleid und die Sentimentalität des/der Lesers/Leserin erregt und eine passive Rezeption ermöglicht, erregt Grass’ Die Blechtrommel die Gedanken und verlangt eine kompetente aktive Rezeption. Während Bölls Roman die Massen unterhält, klärt Grass’ die Elite auf. Während Bölls Roman selbst im Jahre seines Erscheinens, d.h. 1959 zwei Editionen erlebte, und schon im Jahre 1964 in der sechsten Edition die Verkaufszahl 76 000 Exemplare erreichte, mußte Grass’ Roman, der im gleichen Jahr wie Bölls erschienen war, bis 1968 warten, um zumindest 20 000 Exemplare verkauft zu werden. Und Literaturwissenschaftler diagnostizieren solche Popularität als Symptom für Trivialität. Dr. Stefan Lindinger, Universität Athen (Griechenland) Emanuel Schikaneder als Populärdramatiker am Beispiel der 'Philippine Welserinn' und anderer Schauspiele Der Name Emanuel Schikaneder (1751-1812) ist den meisten Kulturinteressierten heute nur noch als Librettist von Wolfgang Amadeus Mozarts 'Zauberflöte' geläufig. Zu Lebzeiten jedoch gehörte er zu den erfolgreichsten Theatermachern des süddeutschen Raumes, als Prinzipal verschiedener Theatertruppen und als Verfasser einer großen Zahl eigener Schauspiele. Wie er selbst einräumte, stand für ihn immer die Publikumswirksamkeit seiner Werke im Vordergrund. „Die allgemeine gesammelte Thränenärnte dieses Stückes“, so Schikaneder in einer Vorrede, „ist mir Beweiß und Befriedigung für meine Arbeit. Mein einziger Hauptzweck dabey ist, für die Kasse des Direkteurs zu arbeiten, und zu sehen was die größte Wirkung auf der Bühne macht, um ein volles Auditorium und gute Einnahmen zu erzielen.“ Der kommerzielle Erfolg stellt jedoch keinen Gegensatz zu den literaturgeschichtlichen Hauptströmungen der 'hohen ' Literatur dar, sondern basiert gerade auf Schikaneders feinem Gespür für die aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet der Dramatik. Die Gedankenwelt der Spätaufklärung und des Sturm-und-Drang wird von ihm aufgegriffen und popularisiert. Im Hintergrund steht die angesprochene Doppelfunktion Schikaneders als Impresario und als Stückeschreiber. Der Aufführungspraxis der Werke anderer – zu Schikaneders Repertoire zählten Shakespeare, Lessing und der frühe Goethe, aber auch eine Reihe weitgehend vergessener Schauspiele – entsprang dessen eigene literarische Produktion. In diesem Vortrag soll der Schwerpunkt auf einigen der thematisch anspruchsvolleren Stücke Schikaneders liegen. Zunächst erfolgt ein Blick auf das Soldatendrama 'Der Grandprofos' (1784), das sich an Heinrich Ferdinand Möllers Theatererfolg 'Der Graf von Walltron' anlehnt, und das Ritterschauspiel 'Hanns Dollinger' (1788), das in der Nachfolge von Goethes 'Götz' steht. Diese beiden Werke können aufgrund der in ihnen enthaltenen, die populäraufklärerische Gedankenwelt ergänzenden spektakulären Elemente – Militärlager, Schlachten, ritterliche Zweikämpfe zu Pferd – auch als Vorläufer der modernen Eventkultur angesehen werden. Danach soll exemplarisch das Stück 'Philippine Welserinn, die schöne Herzogin von Tirol' (1780) analysiert werden, an dem Schikaneders Erfolgsrezept besonders deutlich wird. In der 'Philippine Welserinn' wird der auch von Hebbel aufgegriffene Agnes-Bernauer-Stoff unter Verwendung anderer Namen und Örtlichkeiten dramatisiert und mit einem glücklichen Ausgang versehen, denn die bürgerliche Kaufmannstochter Philippine schafft es im Gegensatz zu Agnes Bernauer, zur Herzogin aufzusteigen. Schikaneder selbst hatte Joseph August von Törrings damals überaus erfolgreiche 'Agnes Bernauerin' aufgeführt und schon bei dieser Gelegenheit den Schluss der Tragödie – die bürgerliche Protagonistin wird von den Exponenten der Adelsherrschaft umgebracht – kurzerhand abgewandelt und mit einem Happy End ausgestattet, um den Publikumserfolg des Stückes noch zu steigern. Gemeinsam ist beiden Werken die zeittypische Kritik am Hof und an der vom Adel dominierten Gesellschaft. Die 'Philippine Welserinn' ist auch insofern ein lohnender Gegenstand für eine nähere Betrachtung, als sie zugleich als bürgerliches Trauerspiel in der Popularversion eines Rührstücks und als Vorläufer des Wiener Volksstücks nach Art eines Ferdinand Raimund (es gibt einen Berggeist) gelesen werden kann. Insgesamt gilt für dieses Stück, was für Emanuel Schikaneders Dramatik im allgemeinen gilt: die Grenzen zwischen der vermeintlich 'niederen' und der heute als kanonisch geltenden 'hohen' Literatur erweisen sich als fließend, und es besteht eine Wechselwirkung zwischen diesen beiden Polen, denn der Verfasser übernimmt viele thematische und stilistische Anregungen aus der 'hohen' Literatur in einen 'niederen', bei oberflächlicher Betrachtung nur am Erfolg orientierten literarischen Kontext, trägt aber durch deren Popularisierung in seinen Inszenierungen und eigenen Werken auch zur Rezeption der 'hohen' Literatur und somit zur Verbreitung von deren Anliegen und deren Ästhetik bei. Dr. Henriett Lindner, Katholische Péer-Pázmány-Universität Piliscsaba-Budapest (Ungarn) Schaubudenkultur und literarische Unterhaltung – Taschenspieltricks im deutschen Geheimbundroman Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts scheint die Zeit der skandalösen Persönlichkeiten und der Geheimgesellschaften zu sein, das Auftreten von berühmt-berüchtigten Persönlichkeiten, wie Cagliostro und Mesmer, oder Gerüchte von geheimen Gesellschaften schärfen das Interesse der Literatur für Magie und Scharlatanerie. Um 1800 also spricht und schreibt man gern über Scharlatane, Straßen- und Kleinkünstler, Freimaurer und Rosenkreuzern, Geheimgesellschaften, Illuminaten sowie Teufels- und Todesbeschwörungen, über Zauberei und Betrügerei. Mikroskop, Fernrohr, Spiegel, Linsen und allerlei optische Mittel dienen zu dieser Zeit nicht lediglich der Wissenschaft, sondern auch der durch Sensationslust gesteigerten Unterhaltung. Welche populärkulturelle Bedeutung physikalische Versuche und Tricks oder öffentlich veranstaltete Seancen in der zeitgenössischen Unterhaltungskultur tragen, erklärt uns ein kurzer Einblick in die Bände der Natürlichen Magie, aus allerhand belustigenden und nützlichen Kunststücken bestehend, zusammengetragen von Johann Christian Wiegleb. WIEGLEB, genannt auch kurz Wieglebs Magie, oder in Funks Natürliche Magie und das Gantz natürliche Zauberlexikon. Im Vortrag gilt es, die literarische Rezeption der populärkulturellen Ereignisse der Schaubudenpraktiken im deutschsprachigen Geheimbundroman, einer der populärsten Gattung der Unterhaltungsliteratur um 1800, zu untersuchen. Die durch aufklärirische Bildungsmaxime motivierten Darstellungen von „ganz natürlichen“ Zaubertricks stellen zunächst mutmaßliche Quellen für unsere Beispieltexte von Schiller und E.T.A. Hoffman dar. Während aber die Literaturwissenschaft über die Aufgabe in Verlegenheit gerät, Schillers Versuch in einer populärliterarischen Gattung mit dem Bild des Klassikers in Einklang zu bringen, erscheint es für die einschlägige Forschung als leicht verständlich, E.T.A. Hoffmann als einen Unterhaltungsautor seiner Zeit anzusehen. Schillers Romanfragment Der Geisterseher, E.T.A Hoffmanns Roman Die Elixiere des Teufels und seine Erzählung Der Sandmann sollen nun in den kulturgeschichtlichen Kontext der zeitgenössischen Schaubudenzauberei gestellt werden. Über die positivistisch nachweisbare Einwirkung hinaus soll auf die Anwendung von physikalischen und optischen Tricks, beispielsweise des Magnetismus, der Laterna Magica, des Fernrohrs oder der Camera Obscura sowie auf die psychologischen Manipulationen und Scharlatanerie fokussiert werden. Es soll an diesen Texten exemplifiziert werden, wie Zaubertricks und magisch-betrügerische Manipulation in den Schiller- und Hoffmann-Texten literarisiert werden, nämlich als Vorbilder der Textgestaltung, und als Modelle zur Erzählerkalkül und Unterhaltungsstrategie. Prof. Fuminari Niimoto, Tsuda College Kodaira, Tokio (Japan) Krimi als Alibi oder Friedrich Glausers parodierendes Romanprojekt der Moderne Friedrich Glauser (1896 -1938) war zweifelsohne eine der tragischsten Gestalten der deutschsprachigen Schweizer Literatur des 20. Jhs. Zu seinen Lebzeiten bewegte er sich ausschließlich in den unteren Regionen der Gesellschaft: nach dem Rauswurf aus dem Gymnasium kurz vor der Matura arbeitete er als Fremdenlegionssoldat in Afrika, Tellerwäscher in Paris, als Bergmann in Kohlengruben in Belgien, Krankenwärter in der Schweiz. Dazwischen wurde er wegen Morphiummissbrauchs mehrmals in Heilanstalten interniert und psychiatrisch behandelt. Auch schriftstellerisch begibt er sich in die niederen Region der literarischen Gattung: er schrieb fünf Kriminalromane und einen Fremdenlegionsroman, und er war damit in jenen Genres tätig, die als minderwertige Unterhaltung betrachtet und in der Literaturgeschichte eher marginal positioniert wurden. Diese Gattungen gaben ihm jedoch den Raum und Rahmen, in dem er unbehelligt sein schriftstellerisches Experiment weiter verfolgen konnte. Wie er in seinem Offener Brief über die Zehn Gebote für den Kriminalroman schrieb, legte er das Hauptgewicht seines Schreibens nicht unbedingt auf das Fabrizieren einer spannungsvollen Handlung, sondern auf die Beschreibung des Lebens, das „unlogisch, packend, traurig und grotesk zugleich“ weiterläuft. Auch im Fremdenlegionsroman Gourrama kümmerte er sich nicht sehr um das Fabulieren einer Abenteuergeschichte in der exotischen afrikanischen Landschaft. Was er da beschrieb, war wiederum das sinnlose, bruchstückhafte, körperliche Leben der pseudonymen, fast namenlosen Soldaten im hitzigen, langweiligen Legionsalltag. In meinem Vortrag wird gezeigt, wie meisterhaft Glauser unter dem Alibi der populären Unterhaltungsliteratur seine schmerzhafte, doch auch glückliche Lebensrealität zum Ausdruck brachte und damit die versteifte, zur Norm gewordene Unterscheidung der hohen und niederen Literatur zu unterminieren verstand. Dr. Caroline Olsson, Paris (Frankreich) High versus low fiction within the Scandinavian historical genre It is not always easy to tell literary works of fiction from those regarded as mass-market or subgeneric novels. The difference can sometimes be quite subtle. Several classical authors have produced juvenilia belonging to popular genres. In their early years, Victor Hugo, Alexandre Dumas and Honoré de Balzac, for example, wrote fantasy and horror novels, sometimes under a penname. When it comes to a genre such as the historical novel, it becomes especially difficult trying to distinguish “respectable” literature from popular productions. Since its origins in the beginning of the nineteenth century, the historical genre has indeed been closely linked to entertaining narratives and adventure stories, traditionally rated as lowbrow fiction. Nowadays, it can still be hard to classify Walter Scott’s novels. Sometimes, the reading public associates them with British classics and sometimes with children’s literature. We would like to explore the boundary between those historical novels that can be considered elite and “low” ones. Needless to say, the borderline often appears to be both thin and subjective, not seldom drawn in an arbitrary way. We shall examine a few Scandinavian novels, mostly Swedish, set in the Viking era and the Middle Ages. Many similarities appear when we compare Röde Orm by Frans G. Bengtsson (The Long Ships in English, Die rote Schlange or Die Abenteuer des Röde Orm in German), published between 1941 and 1945, and Gerpla (The Happy Warriors, Die glücklichen Krieger), published in 1952 by the Icelander Halldór Kiljan Laxness. Both writers have chosen to draw greatly on medieval sources and they treat the ancient material more or less in the same way: they look upon the Viking ancestor with humour and sarcasm. Despite these obvious points of likeness, Bengtsson’s book is often classed as light reading and has even been described as a teen novel, whereas Laxness’ literary talent was acknowledged by the Swedish Academy in 1955, when he received the Nobel Prize. We shall try to understand why these books have been received so differently, since it doesn’t seem linked either to the period in which the plot takes place or to the humoristic style. In the second part of our survey, we wish to examine two Swedish novels, set in the thirteenth century: Bjälboarvet by Verner von Heidenstam (The Bellbo Heritage, Die Erben von Bjälbo), published in 1907, and Arvet efter Arn by Jan Guillou ([The Heritage of Arn; not yet translated into English], Das Erbe), issued in 2001. They deal with the struggle for power of Birger Jarl and his two sons, Valdemar and Magnus III (known as Magnus Ladulås in Sweden, which means “Barnlock”). We shall try to determine if the two novels differ by their themes and stylistic choices and if these disparities can explain why Heidenstam’s Bjälboarvet is considered high literature (he also received the Nobel Prize in literature in 1916), whereas literary critics tend to rate Arvet efter Arn by Guillou as popular fiction. Dr. Simone Orzechowski, Université de Lorraine, Metz (Frankreich) Otto Flakes unbequemer Spagat zwischen hoher und niederer Literatur Nach anfänglichen Schwierigkeiten war dem Schriftsteller und Essayisten Otto Flake (18801963) kurz nach der Veröffentlichung seiner ersten Werke ein steiler Erfolg vergönnt, da er bereits 1913 den zweiten Roman bei dem damals hoch angesehenen S. Fischer Verlag veröffentlichte und gleichzeitig Zugang zur renommierten Neuen Rundschau hatte. Die zahlreichen Werke und Beiträge, die in den folgenden Jahren bei Fischer erschienen, gaben dem selbstbewussten Flake die Gewissheit, zu den wichtigen Stimmen seiner Zeit zu zählen und führten ihn dazu, seinen literarischen Stellenwert zu überschätzen. Die Diskrepanz zwischen Selbstwahrnehmung und tatsächlichem literarischem Stellenwert wuchs dramatisch in den nächsten Jahrzehnten, in denen zunächst die Leser und dann die anspruchsvollen Verlage sich von Flake abwandten. Die Renaissance war dann nur im Kontext der Massenliteratur – beim Bertelsmann Lesering – möglich; sie sicherte Flake zwar einen materiell sorglosen Lebensabend, genügte aber offensichtlich nicht, um die Verbitterung des alten Schriftstellers über den literarischen Abstieg wettzumachen. Im Grunde ist diese Verbitterung der Ausdruck der Widersprüchlichkeit zwischen Flakes literarischen Ansprüchen und der tatsächlichen literarischen Qualität seiner Produktion: trotz wiederholter Versuche – z.B. der Neuauflage eines Teils der Werke in den 70er Jahren unter der Leitung von Rolf Hochhuth – Flake in die hohe Literatur hochzuhieven, fand sein Romanwerk nie die von seinem Autor erhoffte literarische Anerkennung. Gleichzeitig blieb aber auch der Erfolg bei einem breiten Publikum aus; trotz des groβen Aufwands des Bertelsmann-Hauses gelangte Flake nie annähernd zu der Berühmtheit einer Courths-Mahler. Das mag daran liegen, dass seine Romane eigentlich hybride Werke sind, die aufgrund ihrer Eigenart weder die Leser der hohen noch die der niederen Literatur ansprechen. Im Rahmen dieser Tagung wäre es m.E. interessant, zwei Aspekte herauszuarbeiten: - die Diskrepanz zwischen der Selbstwahrnehmung und Selsbtinszenierung als „groβer Schriftsteller“ und dem tatsächlichen literarischen Wert der Romane - die misslungene Hybridität der Romane. Prof. Dr. Georg Pichler, Universidad de Alcalá (Spanien) Zwischen Hoch und Tief ist nicht Dazwischen. Das Spiel mit trivialen und hochliterarischen Elementen im Werk von Wolf Haas Der österreichische Autor Wolf Haas ist bekannt geworden als Schöpfer des Detektivs Brenner, den er seit 1996 in bisher sieben Kriminalromanen recht unspektakuläre Mordfälle aufklären lässt. Zugleich aber gibt der unbeholfene Privatdetektiv literarisch Rätsel auf. Einerseits durch die Sprache der Texte, eine auf den ersten Blick holprig wirkende Mischung aus Umgangssprache und Hochdeutsch, voll von Ellipsen, mündlichen Redewendungen und intra- wie intertextuellen Referenzen, Kalauern und Wortspielen, die auf den zweiten Blick hohes literarisches Niveau hat. Andererseits sind die Romane geprägt durch ihre Erzählinstanz, die sich aller möglichen erzähltechnischen Kunstgriffe bedient und ein souveränes Vexierspiel mit Elementen der Trivialliteratur vor dem Hintergrund von hochliterarischen Referenzen durchführt. Auch der Roman Das Wetter vor 15 Jahren (2006) ist ein Spiel auf mehreren Ebenen: Im Text selbst wird das Schreiben eines – rundweg trivialen – Romans in Dialogform dargestellt und nachvollzogen, die unterschiedlichen Funktionsweisen von realem Autor, fiktionalem Autor und Figuren werden durcheinandergeworfen, und auf einer extratextuellen Ebene werden die verschiedensten Rituale des Literaturbetriebs durchexerziert. Der scheinbar simple Text erweist sich bei einer genaueren Lektüre als ausgeklügelte Persiflage auf sich selbst, die alle möglichen literarischen Konventionen aufnimmt, durchspielt und parodiert. Der 2012 erschienene Roman Verteidigung der Missionarsstellung nimmt erneut das Motiv des Liebesromans auf und wandelt es auf verschiedenen Ebenen ab. Auch dieser Text, der voll von Bezügen zur Semiotik und zur Hochliteratur ist, entzieht sich sowohl einer gattungsmäßigen Einordnung als auch einer eindeutigen Interpretation. In meinem Beitrag soll gezeigt werden, wie Wolf Haas Versatzstücke aus der Trivialliteratur durch den Einsatz von hochliterarischen Erzähltechniken und Anspielungen sowie durch die Anwendung linguistischer Theorien zu einem neuen Dritten verarbeitet, das nicht nur literarische Qualitäten aufweist, die Haas in die sprachkritische Tradition der österreichischen Literatur stellen, sondern ihn auch deutlich von der seit einem guten Jahrzehnt in Mode gekommenen zeitgenössischen österreichischen Kriminalliteratur unterscheidet. Dr. Jesko Reiling, Universität Bern (Schweiz) Totgesagte leben länger!?! Literarische Zombies suchen ihre Leser Der Zombie erfreut sich zurzeit ausgesprochener Beliebtheit. Nicht nur in Filmen, Büchern und Comics ganz unterschiedlicher Machart taucht „the livingdead“ auf, sondern auch in philosophischen, anthropologischen und kulturgeschichtlichen Texten erfreut sich der Untote eines vitalen Interesses. Als Figur der gegenwärtigen Kulturkritik verkörpert er das „Posthumane“ schlechthin und steht für den triebhaft konsumgierigen Menschen und das stumpfe Arbeitstier, dem das Menschliche abhanden gekommen ist. Als Schreckensfigur symbolisiert er den Verlust jeglicher Identität und steht aufgrund seiner epidemischen Verbreitung für die totale und radikale Bedrohung alles Humanen. Die Karriere des Zombies ist ebenso erfolgreich wie kurz. Aus dem haitianischen Voodookult stammend, fand der Zombie seit den 1930er Jahren Eingang ins amerikanische Filmschaffen und erlebte 1968 durch den zum erhaltenswerten Kulturgut erklärten Film Night of the Living Dead des amerikanischen Regisseurs George A. Romero seine Inthronisierung in der Populärkultur. Seither ist der Zombie als eines der wenigen außereuropäischen Monster aus dem Arsenal der Horrorgestalten nicht mehr wegzudenken. Im Fokus meines Beitrags soll ein bislang kaum in den Blick genommener Aspekt der medialen Zombiehistorie näher betrachtet werden: der literarische Zombie. Von vereinzelten Vorgängern abgesehen, gibt es das Subgenre des Zombie-Romans erst seit rund 20 Jahren, das durch seine große Diversität das einst dominierende Image der bluttriefenden Splatterliteratur überwunden hat. Mit diesem Genre hat man den sehr seltenen Fall vor sich, zeitnah beobachten zu können, wie sich eine literarische Gattung ausbildet. Mittlerweile hat sie ihren Platz im literarischen Feld eingenommen und schärft nun ihre Konturen. Aus traditioneller literarästhetischer Perspektive betrachtet, musste die Zombie-Literatur dabei von ungünstigen Bedingungen ausgehen: Als Horrorliteratur gehört sie nicht nur traditionellerweise zur niederen Literatur, die Affinität zum Medium des (Horror-)Films scheint diese Verortung zusätzlich zu befestigen. Die Tatsache jedoch, dass in jüngster Zeit erstmals Zombie-Romane verfilmt wurden (Max Brooks: World War Z [2006, für 2013 angekündigt], Isaac Marion: Warm Bodies [2010, bereits im Kino] sowie die Adaptation des Comics The Walking Dead [seit 2003, Fernsehserie seit 2010]), deutet auf eine ‚neue‘ (‚höhere‘) Qualität der Romane hin – früher folgte die Literatur den Horrorfilmen. Zudem hat, wie erwähnt, die Figur des Zombies in Bereiche der Hochkultur Einzug gehalten (Philosophie, Anthropologie, Naturwissenschaften, vgl. oben) und ist auch im Bereich der Kindermedien präsent, womit sich die Frage erhebt, welchen Einfluss diese Gegebenheiten auf das literarische Genre haben. Mein Beitrag möchte sich mit verschiedenen Ansätzen und Möglichkeiten zur Einordnung des Genres und der Einzeltexte im literarischen Feld beschäftigen: Was bieten die Texte an, um eingeordnet zu werden? Wie kann man außertextuell die Zuschreibungen untersuchen? Reicht die Tatsache aus, dass die Zombie-Literatur ihren Weg nicht ins Feuilleton der Printmedien findet, sie als niedere Literatur abzutun? Wenn in den (Internet-)Rezensionen die Trivialität kein Thema ist: lässt sich das als implizite Wertung und Hochschätzung verstehen? Und: inwiefern beeinflussen sich Genre und Einzelwerk in der Rezeption? Verhindert das Genre, das ein Einzeltext als hohe Literatur wahrgenommen wird? Die Zombie-Literatur reicht formal von der klassischen Romanform mit auktorialem Erzähler, dokumentarischen Schreibstilen (Reportagen u. ä.) über Tagebücher, Briefromane sowie Komödien bzw. heiteren Texten bis hin zu Literaturparodien von Klassikern wie etwa Goethes Werther (Susanne Picard: Die Leichen des jungen Werther [2011]) oder Jane Austens Pride and Prejudice (Seth Grahame-Smith: Stolz und Vorurteil und Zombies [2010], engl. Originalausgabe Pride and Prejudice and Zombies [2009]). Inhaltlich setzen die Texte ebenfalls ganz unterschiedliche Schwerpunkte und reichen von soziologischen ‚Studien‘ (neue Gesellschaftsformen nach der Zombie-Apokalypse) bis hin zu psychologischen Analysen (Umgang mit dem Verlust von Verwandten, Verhalten in Lebensgefahr etc.); das Geschehen kann in historischem Milieu (Mittelalter, 18. Jahrhundert) oder aber in der Gegenwart bzw. Zukunft spielen, gut oder böse enden etc. Es lassen sich Intertextualitäten, Referenzen auf Naturwissenschaften und Technik, Bezüge zur gegenwärtigen Lebenswelt und Populärkultur entdecken – kurzum (und provokativ): aus ästhetischformaler Perspektive, aber auch inhaltlich ließen sich zumindest einige der Zombie-Romane durchaus als ‚hohe‘ Literatur verstehen. – Diese Einordnungen gilt es zu diskutieren. Prof. Dr. Mario Saalbach, Universität des Baskenlandes, Vitoria-Gasteiz (Spanien) Verlorene Heimat und Fiktion: Zwischen historischer Aufarbeitung und Trivialisierung Als Teil der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in den Medien hat seit den 1990er Jahren die Darstellung des im Dritten Reich und Zweiten Weltkrieg verursachten Leidens allmählich die Suche nach den Tätern und Verantwortlichen und ihre Anklage abgelöst. In diesem Kontext wird auch dem Leiden Deutscher eine nicht zu übersehende Beachtung geschenkt: dem Leiden der Zivilbevölkerung bei der Bombardierung deutscher Städte durch die Alliierten oder dem Leiden bei oder als Folge der Vertreibung aus den Ostgebieten, die schätzungsweise 13 Millionen Menschen ihrer Heimat beraubte. Insbesondere die Vertriebenenschicksale haben zahlreiche Schriftsteller zur literarischen Aufarbeitung des Themas bewegt, oft im Rahmen von rekonstruierter Familiengeschichte: Aus den Erfahrungen der Großeltern, die Krieg und Vertreibung bewusst miterlebt haben, versuchen die Jüngeren für die eigene Identitätskonstruktion relevante Anhaltspunkte zu gewinnen. Als einschlägige Titel wären hier Romane von Autoren zu nennen, die in den 1950er Jahren geboren wurden: u. a. Reinhard Jirgl, "Die Unvollendeten” (2003); Stephan Wackwitz, "Ein unsichtbares Land" (2003); Thomas Medicus, "In den Augen meines Großvaters" (2004), aber ebenfalls von solchen, deren Geburtsdatum noch in den Zweiten Weltkrieg fällt, wie Christoph Hein, “Landnahme" (2004), oder auch – aus einer gänzlich anderen Perspektive – W. G. Sebald, "Austerlitz” (2001). Auch die Novelle des Kriegsteilnehmers Günter Grass, "Im Krebsgang" (2002), darf in diesem Kontext nicht vergessen werden. Parallel zur literarischen Produktion nehmen sich auch eine Reihe von Verfilmungen, zumeist Fernseh-Produktionen, des Vertriebenenthemas an. Bekanntestes Beispiel dürfte der Zweiteiler "Die Flucht" (2007) sein, aber auch Filme wie "Der Untergang der Gustloff" (2008), "Die Kinder des Sturms" (2009) oder auch "Eine Liebe in Königsberg" (2006) wären hier zu nennen. Insbesondere der literarischen Produktion wurden mitunter Oberflächlichkeit und Trivialisierung vorgeworfen. Die Darstellung der Problematik als nur ein Teil einer zeitlich viel weiter gefassten Betrachtung werde der Tragweite des Themas und dem durch Vertreibung verursachten Leiden nicht gerecht. In diesem Beitrag soll einerseits überprüft werden, ob der Vorwurf der Oberflächlichkeit im Einzelfall gerechtfertigt ist. Andererseits soll untersucht werden, wie hoch künstlerischer und ästhetischer Wert der Ergebnisse fiktionaler Vergangenheitsaufarbeitung im genannten thematischen Zusammenhang anzusetzen sind, ob die Produkte qualitativ einer kritischen Prüfung standhalten oder ob sie eher zum Niveau trivialer Unterhaltung tendieren. M.A. Simone Sauer-Kretschmer, Universität Bochum (Deutschland) Nieder(e)Schriften – Bordellromane und Dirnenbiographien als Literatur von ganz Unten? Bücher und Dirnen kann man mit ins Bett nehmen, schrieb Walter Benjamin in seiner (ganze dreizehn Unterpunkte versammelnden) Auflistung über die Gemeinsamkeiten von käuflichen Frauen und Büchern. Doch was geschieht, wenn die einstige Bettgenossin sich aufschwingt und selbst zur Feder greift, um ihre Lebenserinnerungen aufzuzeichnen? Genau dies ist die dem so genannten Skandalroman Josefine Mutzenbacher. Die Geschichte einer Wienerischen Dirne. Von ihr selbst erzählt (1906) vorangestellte Autofiktion, um ein größtmögliches Maß an vermeintlicher Authentizität des Erzählten zu suggerieren. Doch weder ist eine ehemalige Prostituierte die Autorin des Textes, noch wird hier tatsächlich die Geschichte einer Dirne erzählt, sondern bloß die Erinnerung an vielfältige sexuelle [sic!] Erfahrungen im Kindes- und Jugendalter evoziert. Der Roman Der heilige Skarabäus (1909) von Else Jerusalem hingegen spielt ebenfalls im Wiener Rotlichtmilieu, hat jedoch einen ganz anderen Anspruch: Die Autorin will besonders ihre weibliche Leserschaft über das Leben und Leiden im Bordell aufklären und damit den Erzählungen von Kurtisanen und Luxusprostitution, die eine lange literarische Tradition haben, einen realistisch-naturalistischen Spiegel vorhalten. Besonders explizit wird dies anhand der Lebensgeschichte Miladas, einer jungen Frau, die schon im Bordell geboren wurde, der es jedoch durch Fleiß und Disziplin gelingt, alphabetisiert zu werden und sich weit darüber hinaus zu bilden. So endet die Erzählung um Milada, als eines von wenigen der im Text dargestellten Hurenschicksale, auch nicht im Bordell, Spital oder Armenhaus, sondern in ländlicher Idylle, da Milada mit der Zeit zur selbstbestimmten Autorin ihres Lebens geworden ist. In meinem Vortrag möchte ich verschiedene Dirnenromane der Literatur um 1900 kontrastieren und ihre zeitgenössische Rezeption wie Klassifizierung durch Wissenschaft und Feuilleton untersuchen, um der Frage nachzugehen, ob, und wenn ja, inwiefern es sich bei diesen Texten um 'niedere Literatur' handelt. Dr. Gesa Singer, Georg August Universität Göttingen (Deutschland) Ruhm und Trivialität: mediale Inszenierung in der Literatur Nicht erst seit der zeitgenössischen Abwertung und der späteren Nobilitierung von Heinrich Heine durch die Kritik lässt sich beobachten, wie eng der Verwurf der Trivialität gegenüber Autoren und ihren Schriften mit dem sozialen, politischen und intellektuellen Gepräge einer Zeit in Wechselbeziehung steht und ebenso einer späteren Kanonisierung und Aufwertung weichen kann. Aber zunehmend ist literarische Produktion auch an den Publikumsgeschmack gekoppelt und wird durch mediale Inszenierungen mitbestimmt. In Daniel Kehlmanns Roman ‚Ruhm‘ (2009), einer Sammlung von neun miteinander verbundenen Erzählungen, wird das heutige Phänomen literarischer Popularität in Zeiten medientechnischer Präsenz literarisch verarbeitet und dem Leser anschaulich gemacht. Nicht zuletzt hat diese Publikation des ‚Star‘-Autors, der durch ‚Die Vermessung der Welt‘ selbst zu Popularität gelangte, Einzug in den (ungeschriebenen) Kanon aktueller deutscher Literatur, auch in der Auslandsgermanistik, gehalten und steht als Lektüre für Deutsche Sprachzertifikate auf den Leselisten. Mein Beitrag soll anhand einiger kommentierter Textauszüge, Rezensionen sowie literaturtheoretischer Überlegungen die Anlage des Romans als literarischer Diskursbeitrag zum Thema Ruhm und Trivialität herausarbeiten und die Bedingungen beschreiben, die zeitgenössische Literaturen in den Bereich der ‚hohen‘ Literatur aufsteigen lassen. Dr. Arata Takeda, University of Chicago (USA) Nützliche Dialektik Zur historischen Interdependenz von hoher und niederer Literatur Peter Szondi fasste in seiner Theorie des bürgerlichen Trauerspiels im 18. Jahrhundert George Lillos Argument für das Einführen von Personen mittlerer und niederer Stände als tragischen Helden mit den Worten zusammen: „Nicht der Bürger braucht die Tragödie, sondern die Tragödie den Bürger“. Die Vorstellung, die Entstehung des bürgerlichen Trauerspiels markiere eine philanthropische Öffnung der vornehmsten Literaturgattung gegenüber den nichtadeligen Schichten der Gesellschaft, erweist sich vor dem Hintergrund dieser pragmatischen Begründung als gutgläubige Illusion. Im Hinblick auf die traditionelle Unterscheidung zwischen hoher und niederer Literatur stellt sich dementsprechend die berechtigte Frage, ob tatsächlich das Publikum über die vorhandene Literatur hinaus eine auf seinen Geschmack zugeschnittene Unterhaltungsliteratur brauche, oder ob nicht eher umgekehrt die Literatur, aus pragmatischen Gründen, neben dem bestehenden Publikum ein begeisterungsfähiges Massenpublikum brauche. Die ebenfalls im 18. Jahrhundert vor sich gehenden Umwälzungen in der Literaturgeschichte, wie etwa der Streit zwischen Regeldrama und Drama des Sturm und Drang oder der Aufstieg des bis dahin als moralisch suspekt geltenden Romans innerhalb der epischen Gattung, rücken bei dieser Fragestellung in ein neues Licht: Sie alle finden als Kämpfe zwischen als hoch geltenden Formen und für nieder gehaltenen Formen der Literatur statt, und dennoch führen sie keineswegs zur Abschaffung der einen durch die anderen, sondern tragen vielmehr zur Erschließung von größerem Publikum und zur Bereicherung der Literatur insgesamt bei. Welche Interessen werden dabei verfolgt? Welche Strategien kommen zur Anwendung? Welche Bedürfnisse werden angesprochen? Der vorliegende Beitrag will diesen und anderen Fragen nachgehen und daraus neue Erkenntnisse über die historische Interdependenz von hoher und niederer Literatur gewinnen. Dr. Patricia Viallet, Université Jean Monnet, Saint-Etienne (Frankreich) Volksdichtung im Spannungsfeld zwischen „niederer“ und „hoher“ Literatur: der exemplarische „Grenzfall“ des Grimmschen Buchmärchens Anhand der für die aufklärerische Einstellung zum Volksmärchen charakteristischen Behauptung Wielands, „Ammenmärchen, im Ammenton erzählt, mögen sich durch mündliche Überlieferung fortpflanzen, aber gedruckt müssen sie nicht werden”1, soll eine Überlegung über den Platz des Märchens als einer Grundform der Volksdichtung in der Literatur der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts durchgeführt werden. Bekannt ist die auf Herder fußende Aufwertung der Volksdichtung, in der der „Geist”, bzw. die „Seele” des Volkes zum Ausdruck kommen solle. Am Beispiel des Märchens läßt sich aber konkreter zeigen, wie die Romantiker – auch von Herder ausgehend – zwei unterschiedliche (und sogar gegensätzliche) Auffassungen zur Volksüberlieferung entwickelt haben: eine ästhetisch-literarische, zur freien Bearbeitung des Überlieferten führend (bei Arnim und Brentano und deren Volksliedersammlung Des Knaben Wunderhorn z. B.), und eine metaphysische, mythisch-volksgebundene, auf treue Wiedergabe des mündlich Erzählten zielend (v. a. bei den Brüdern Grimm, den fleißigen ‚Sammlern’ und Herausgebern der Kinder- und Hausmärchen). Diese grundsätzliche – auch durch den historischen Zusammenhang bedingte – Unterscheidung erlaubt nicht nur, der berühmten romantischen Kontroverse um das Verhältnis von Natur- und Kunstpoesie gerecht zu werden, sondern auch den Standort einer „hohen” und einer „niederen” Literatur in (früh- und hoch-)romantischer Perspektive näher zu bestimmen. Nur so versteht man, wie Friedrich Schlegel aller Wesensbestimmung der romantischen Poesie als „Universalpoesie” zum Trotz2 darauf beharrt, die Volksdichtung in eine „Volkspoesie für das Volk” und in eine 1 C. M. Wieland, Vorrede zu Dschinnistan, oder auserlesene Feen- und Geister-Mährchen, Winterthur 1810. 2 s. das berühmte 116. Athenäum-Fragment: „Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennten Gattungen der Poesie zu vereinigen […]. Sie will und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen […]” (F. Schlegel, Kritische Ausgabe seiner Werke, hrsg. von E. Behler, 35 Bände, Paderborn/München/Wien/Zürich 1958ff., II, S. 182). „Volkspoesie für Standespersonen und Gelehrte”3 zu teilen, also bei einer ideologischen Grenzziehung bleibt, die von einer zu dieser Zeit weiterbestehenden kulturellen Kluft zwischen dem „Hohen” und dem „Niederen” zeugt. Dass das Märchen dennoch von den Frühromantikern zum „Canon der Poësie” (Novalis)4 erhoben wurde, ist nicht das geringste Paradox – auch einem Wieland als gelegentlichem Märchenautor anhaftend! –, auf das wir im Laufe dieser Untersuchung stoßen werden und das vielleicht nur im Spiel einer gegenseitigen und auch zur Erhaltung beider Formen der Volks- und Kunstdichtung notwendigen Befruchtung und Abgrenzung zu lösen ist. Dr. Cécile Vidal-Oberlé, Université Paris I Panthéon-Sorbonne (Frankreich) Pantomime, Marionettentheater und Singspiel im Theater Arthur Schnitzlers als eine Auseinandersetzung mit den « höheren » dramatischen Gattungen Meist wird Arthur Schnitzlers dramatisches Werk als ein einheitliches Ganzes wahrgenommen, und zwar weniger aufgrund förmlicher Merkmale als wegen der bevorzugten Themenkonstellation und der vorherrschenden Gefühlslage, die beide gern als typisch für das Wien der Jahrhundertwende betrachtet werden. Beim näheren Untersuchen lassen sich aber erstaunliche Besonderheiten bei der Wahl der dramatischen Formen erkennen : In Arthur Schnitzlers Theater wird auf eine große Vielfalt dramatischer Formen und Traditionen zurückgegriffen, wobei « höhere » und « niedere » Formen einander entgegengesetzt oder gar miteinander kombiniert werden. Dies mag innerhalb eines Theaterstücks vorkommen. Im frühen Einakter Alkandis Lied etwa wird manch gehobene Gattung aus der Überlieferung gleichsam dekonstruiert, indem Schnitzler z.B. das Barockdrama zu einem Boulevardstück bzw. zu einer Farce werden lässt. Ähnlich lässt sich in Liebelei eine Zerlegung und Herabstufung von dem Muster des bürgerlichen Trauerspiels verfolgen. Dadurch entsteht eine Dialektik zwischen höheren und niederen Formen, wobei intertextuelle Elemente massiv eingesetzt werden. Mal werden sie aus « Klassikern » entlehnt (so der konsequente Bezug auf Faust im Singspiel Der Tapfere Kassian), mal stammen sie aus anderen Theaterstücken Arthur Schnitzlers. Auf die Spitze getrieben wird das Verfahren, wenn der Dramatiker sein feierlich anmutendes Schauspiel in 5 Akten Der Schleier der Beatrice in die 3 Ibid., S. 166 (4. Athenäum-Fragment). 4 Novalis, Das Allgemeine Brouillon, in Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs, hrsg. von P. Kluckhohn und R. Samuel, 4 Bände, Stuttgart 1960, III, S. 449. commedia dell'arte-nahe Pantomime Der Schleier der Pierrette umdichtet und dabei gattungsmäßig- beide entgegengesetzten Pole eines und desselben dramatischen Stoffes zu untersuchen scheint. Auch das Verfahren des Metatheaters (Der grüne Kakadu, Zwischenspiel bzw. Zum Großen Wurstel) und das Einsetzen des Marionettentheaters (Zum Großen Wurstel sowie die frühere Fassung Der Tapfere Cassian) untermauern die Annahme: Durch die dialektische Auseinandersetzung von gehobenen und niederen, trivialeren Formen wird systematisch die Frage nach einer Neu-Orientierung des theatralischen Schaffens aufgeworfen, und zwar in einer Zeit sowohl eines gewissen Historizismus als auch einer Krise der überlieferten Werte und Formen. Die deutliche Betonung der Theatralität durch die Pantomime, das Puppenspiel oder das Singspiel mag also zugleich Ausdruck von Schnitzlers Zweifeln an der Relevanz der überlieferten « hohen » dramatischen Formen und zukunftsweisend bzw. programmatisch sein : Es entsteht der Eindruck, als ob das festgestellte Zurückgreifen auf volkstümliche Formen (Farce, Commedia , Wiener Volkstheater, Boulevard...) dem dramatischen Schaffen zu einer neuen Vitalität und Legitimität verhelfen sollte. Zweck des Beitrags ist die Dynamik, die Arthur Schnitzler so in seinem dramatischen Werk einsetzt, weiter zu erforschen, indem vor allem die Pantomimen, Marionettenstücke und das Singspiel berücksichtigt werden. Herangezogen werden auch Schnitzlers Austausche mit dem Münchner Marionettenspieler Paul Brann sowie die Rezeption dieser Theaterstücke. Prof. Megumi Wakabayashi, Tokyo Gakugei University (Japan) Grenzübertretungen im Räuber-Roman: Robert Walsers ironisches Spiel mit literarischen Gattungen Ein charakteristischer Zug von Robert Walsers Romanen und Prosastücken sind die häufigen spielerisch-gegensätzlichen Ausdrücke, die sich durch ihre ironische Ambivalenz dem logischdiskursiven Verstehen entziehen. Bereits Walsers Romane aus der Berliner Zeit zeigen diese provokative Ambiguität: der erste Roman Geschwister Tanner (1907) täuscht zwar formal einen traditionellen Roman vor, aber schon hier unterläuft er die traditionellen Darstellungsformen; Jakob von Gunten (1909) testet noch stärker die Grenzen des Genres Roman aus. Bei seiner Veröffentlichung galt er den meisten Lesern als rätselhaft und unverständlich. Vor allem provozierte die Ablehnung von Bildung durch den jungen Helden und die Negation des bürgerlichen Bildungsideals. Nach der Publikation des dritten Romans 1909 konnte Walser keinen Roman mehr veröffentlichen, obwohl er in der Tat einige schrieb, deren Manuskripte allerdings verloren gegangen sind. Als er seinen letzten Roman Der Räuber 1925 niederschrieb, galt er in der literarischen Öffentlichkeit längst als Schriftsteller, der keine Romane schreibt. Statt groß angelegter Werke schrieb er nur unzählige kurze Prosastücke. Damit wurde ihm zunehmend die Anerkennung als Schriftsteller verweigert, er galt als gescheitert, sein Prosa-Stückwerk wurde belächelt. Der Räuber-Roman ist ein letzter, ironischer Versuch, die Romanform zu bedienen. Er lässt dabei die traditionelle Gattungsform hinter sich, besser gesagt, er treibt ein provokatives und zugleich poetisches Spiel mit den klassischen Gattungen. Die Hauptfigur des „Räubers“ spielt auf Schillers klassischen Helden an, der für seine Gerechtigkeit zum Mordbrenner wird. Walsers Räuber verübt keine Verbrechen, außer, dass er mit dem IchErzähler die Gesetze des Romans bricht. Hierin liegt bereits ein Hinweis auf Walsers Gattungsübertretungen, mit denen er die Legitimität der traditionellen „großen“ Literatur in Frage stellt. Ich gehe der Frage nach, mit welchen darstellerischen Mitteln Walser das gegensätzliche Schema von „groß und klein“, „hoch und niedrig“ problematisiert. Dr. Annemarie Weber, Universität Bielefeld (Deutschland) Kinder-und Jugendliteratur: vom lowbrow- zum highbrow-Segment der rumäniendeutschen Literatur Die rumäniendeutsche Literatur ist dank des Büchnerpreisträgers Oskar Pastior und der Nobelpreisträgerin Herta Müller heute zumindest als Begriff im deutschen Sprachraum bekannt, wenn auch weiterhin große Unsicherheit in seinem Gebrauch herrscht. Der Begriff bezeichnet die Herkunft der beiden Autoren. Sie gehörten bis zu ihrer Aussiedlung (Pastior 1968, Müller 1987) zu der durch politisch-ideologische Grenzen nach außen nahezu hermetisch abgeschlossenen, im Inneren reich ausdifferenzierten, durch die deutsche Sprache und eine jahrhundertealte Siedlungsgeschichte geprägte deutschen Kulturgemeinschaft in Rumänien. Die „rumäniendeutsche Literatur“ wurde in einer liberalen Phase der Ceaușescu-Diktatur, Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre als das Konzept einer eigenständigen Minderheitenliteratur – das der deutschsprachigen Bevölkerung in Rumänien – entworfen und theoretisch modelliert. Der Begriff lässt sich systemtheoretisch als selbstreferentielle Identitätsbeschreibung bezeichnen. Die rumäniendeutsche Literatur begriff sich als ein eigenes, an der Schnittstelle zweier Nationalliteraturen, der rumänischen und der deutschen, konstituiertes Subsystem. Die Selbsteinschätzung schwankte zwischen dem Bewusstsein der Randständigkeit (was Minderwertigkeitskomplexe erzeugte) und dem Selbstwertgefühl interkultureller Mehrwertigkeit (was das Bedürfnis nach Anschluss an das „Zentrum“, die Anerkennung im Ausland beförderte und nicht zuletzt die Ausreise vieler Autoren, begünstigte). Das Bestreben, ins Zentrum vorzurücken, bei dem gleichzeitig dauerhaften Verdacht, mehrfach randständig (zur rumänischen und zur deutschen Literatur) zu sein, hat im genannten Zeitraum zu einer großen ästhetischen Anstrengung geführt, die sehr effizient war, weil sie von Autoren, Kritikern und auch einigen Verlagslektoren gleicherweise unternommen wurde. Durch diesen ästhetischen Selektionsdruck bildete sich eine Elite rumäniendeutscher Autoren heraus und eine highbrow-Literatur, die segregierend auf andere Segmente des Systems wirkte. So wurden die Dialektliteratur und die Kinder- und Jugendliteratur (KJL) zunächst vollständig aus dem Bereich der „ernstzunehmenden Literatur“ ausgeschlossen. Die Anfang der 1980er Jahre zunehmende Gängelung der Autoren und Verlage durch die Zensur, die drastische Zurücknahme der Freiheiten und Ressourcen durch die politische Macht führten zu einer zeitweiligen Aufwertung dieser lowbrow-Literaturen, die – auch vom politischen System weniger beachtet – einigen Autoren mehr Ausdrucksfreiheit versprachen. Mein Vortrag will das wechselvolle Geschick der rumäniendeutschen KJL nachzeichnen von der (im Sinne des sozialistischen Realismus) anerkannten Allgemeinliteratur (in den 1950er Jahren) über die gering geschätzte „kleine Literatur“ in den 1970er Jahre, zur ästhetischen Aufwertung der KJL Anfang der 1980er Jahre und ihrer erneuten Abwertung in den letzten Jahren der Diktatur. Dabei wird die rumäniendeutsche KJL nicht nur als Teilsystem der rumäniendeutschen Literatur dargestellt, sondern auch in ihren Verflechtungen und Interaktionen mit dem politischen System, den kulturellen Institutionen (Schule, Verlage, Printmedien), den Referenzliteraturen (rumänische, sowjetische, DDR), anderen kulturellen Subsystemen (Bildende Kunst, Pädagogik, Lehre und Forschung). Dr. Michael Weitz, Universität Athen (Griechenland) Verfilmte Literatur bei Chris Kraus Zur kulturellen Logik der Trivialisierung durch Medienwechsel Literaturverfilmungen gelten oft als prekär. Für viele mag die Verfilmung literarischer Texte nur auf die Trivialisierung ihrer Vorlagen hinauslaufen. Dies liegt an der kulturellen Kodierung des Mediums Film. Filme neigen, so das kulturelle Vorurteil, stärker zum Trivialen als Literatur, weshalb denn auch Literaturverfilmungen zuweilen besonders dann als gelungen gelten, wenn sie, wie etwa Fassbinders Effie Briest wie literarische Texte funktionieren. Andererseits stellt Literatur heutzutage gern die cineastische Sozialisation ihrer Leser in Rechnung und spielt mit filmischen Referenzen, die sich gerade nicht durch Literarizität auszeichnen. Filmemacher und Autoren rechnen sowohl mit den Möglichkeiten anderer Medien und Künsten als auch mit bestimmten kulturellen Wertungsschemata und bereichern damit ihren eigenen Ausdrucksspielraum. Anhand der Arbeiten des deutschen Autors und Filmemachers Chris Kraus werde ich Aspekte eines solch erweiterten Ausdrucksspielraums vorstellen und erörtern. Wenn es um die Erörterung von Wertungsschemata geht, die gerade durch den Medienwechsel sichtbar werden, sind Kraus‘ Arbeiten ein Glücksfall. Denn seine Filme spielen nicht nur immer wieder auf kulturelle Bewertungsmuster an, die mit unterschiedlichen Medien und Künsten verbunden sind (in seinem vielleicht bekanntesten Film Vier Minuten aus dem Jahr 2006 ist es die klassische Musik) und sie sind auch selbst nicht nur einfach im Spannungsfeld von inszenierter Trivialität und literarischem Anspruch anzusiedeln, sondern inszenieren den Medienwechsel als Arbeit an kulturellen Wertungsmustern. Dies gilt sowohl für den Film Poll aus dem Jahr 2010, der das Leben und die Literatur der deutschen Schriftstellerin Oda Schaefer (1900-1988) in Szene setzt als auch für den Film Scherbentanz (2002), der eine Verfilmung eines gleichnamigen, von Kraus verfassten Romans ist. Dr. habil. Françoise Willmann, Université de Lorraine, Nancy (Frankreich) Die Last des Didaktischen in der Science-Fiction Die Anfänge der Science Fiction sind eng verbunden mit der Entwicklung von Naturwissenschaft und Technik am Ende des 19.Jahrhunderts. In sogenannten « wissenschaftlichen Romanen », die Unterhaltung und Belehrung bieten wollten, sollten die Segnungen dieser Fortschritte einem breiteren Publikum schmackhaft gemacht werden. Dass der heutigen Science Fiction weiterhin der Ruf des Trivialen anhaftet, liegt möglicherweise u.a. an dem Verdacht, es ginge ihr immer noch vorwiegend darum, naturwissenschaftliches Wissen an den Mann zu bringen, oder gar die Wunder der Technologien zu preisen, es sei denn sie schlage sich ins entgegengesetzte Lager und warne vor den drohenden Katastrophen. Zwar lässt sich die heutige Science Fiction nicht auf die Auseinandersetzung mit Naturwissenschaft und Technik reduzieren, doch bleibt diese Tendenz eine wichtige Dimension des Genres. Hier soll anhand einiger Beispiele (F. Schätzing, A. Eschbach, A. Fehrenbach) der Umgang mit dem didaktischen Impetus näher beleuchtet werden. Mag phil. Martina Zerovnik, Universität Wien (Österreich) Wort gegen Bild. Positionen der Literatur zum Film während der Kino-Debatte, 1909-19295 Der Film gehört zu den einschneidendsten Entwicklungen des 20. Jahrhunderts. Er bestimmte die Kulturdiskussion der Moderne und hatte weitreichende Folgen für die Produktion und Rezeption von Kultur. Wesentlich dafür war das Eindringen des Films in traditionelle Kultursphären und der wachsende Anspruch, eine eigene Kunstform zu sein, womit er das bürgerliche Kunstverständnis ins Wanken brachte. Schließlich setzte die so genannte Kino-Debatte ein, als die Produzenten den Film nach dem anfänglichen Status einer Attraktion als eine „Kunst des Erzählens“, die in formaler und inhaltlicher Anlehnung an Theater und Literatur entwickelt wurde, lancierten. So wurde in den Jahrzehnten 1909 bis 1929 unter Intellektuellen, Künstlern und Schriftstellern diskutiert, was Film überhaupt sei und welcher Stellenwert ihm innerhalb der oder gegenüber den traditionellen Kunstformen zugesprochen werden sollte. Als Massenmedium, Zerstreuung, Ergebnis technischer Produktion und aufgrund seiner Reproduzierbarkeit war er aus Sicht der Kulturpessimisten ein Ausdruck für den nicht nur kulturellen, sondern auch moralischen Verfall der Gesellschaft. Schriftsteller griffen nicht nur mit feuilletonistischen Stellungnahmen in die Diskussion ein, sondern behandelten das Phänomen Film auch in ihren literarischen Texten oder schrieben für den Film. Im Vortrag werden Positionen und Argumente der Kino-Debatte daraufhin hinterfragt, welche Motive und Funktionszuschreibungen sich hinter ihnen verbergen. Haltungen der Annäherung oder Abgrenzung (der Literatur zum Film) werden näher betrachtet und es wird gezeigt, dass in kulturpessimistischen Positionen Mechanismen von Ausgrenzung und Vereinnahmung zum Tragen kommen, denn nicht zuletzt brachte der Film eine beachtliche kultursoziologische Veränderung mit sich. In ihm bekamen die „kleinen Leute“, von denen sich das (Bildungs-)Bürgertum mit dem „Genuss“ von (Hoch-)Kultur bewusst abgrenzte und um die sich wiederum manche zeitgenössischen Autoren bemühten, eine eigene Kulturform. Letzten Endes zeigt eine Analyse der Kino-Debatte, dass es sich bei dem Verhältnis von Literatur und Film weniger um eines der Konkurrenz handelte, als vielmehr um ein produktives, 5 nach Anton Kaes: Kino-Debatte. Texte zum Verhältnis von Literatur und Film, 1909-1929, Hg. Anton Kaes, München 1978. wechselseitiges Verhältnis – unabhängig davon, ob es von einer positiven oder negativen Haltung getragen wurde. Dr. Sabine Zubarik, Universität Erfurt (Deutschland) Walter Moers’ und seine Zamonien-Romane: ein literaturwissenschaftliches Schlaraffenland Walter Moers ist bekannt für Buchtitel, deren Zuordnung zwischen Comic, Satire, Klamauk, Fantasy und Kinderliteratur changieren. Das bekannteste seiner literarischen Geschöpfe, Käpt’n Blaubär, begann 1988 seine Karriere zunächst als deutsche Kinderbuchfigur, stieg aber 1999 als Hauptfigur und Erzähler des ersten der insgesamt sechs Zamonien-Romane[1] zum Liebling der Erwachsenen auf, übersetzt in zahlreiche Sprachen und medialisiert auf der Bühne und im Film. Moers gewann unter anderem den Adolf-Grimme-Preis (1994) und den Phantastik-Preis der Stadt Wetzlar (2005). Wenn Selbstreflexivität als Zeichen von Literarizität mitausschlaggebend ist für die Rangeinordnung von Werken, so stünden Moers’ Romane an sehr hoher Stelle, denn nichts ist dort ausgreifender thematisiert als Bücher, Bibliothekswesen, Literaturbetrieb, Autorschaft, Schrift und Sprache. Die Zamonienserie zeichnet sich zudem durch ein dichtes Geflecht von intra- und intertextuellen Verweisen aus, solchen die tatsächlich Bezug nehmen auf Autoren und Werke der Weltliteratur (z.B. Goethe, Keller, Grimms Märchen, E.T.A. Hoffmann), aber auch solchen, die Intertextualität lediglich fingieren und parodieren. Anhand von Fußnoten, eingefügten Lexikonartikeln und Referenzen auf vorherige oder zukünftige Romane der Serie wird ein intellektuelles Spiel mit Autor-, Herausgeber- und Übersetzerfiktion betrieben. Moers’ Stil könnte man durchaus hyper-rhetorisch nennen, kein Wort bleibt ein-deutig, zu durchtrieben ist die Technik der Allusionen, Anagramme und anderweitigen Wortspiele. Mitunter erinnern seine Techniken an französische Autoren der experimentellen Oulipo-Gruppe (z.B. in Der Fönig (2002), wo durchgehend die Buchstaben F und K miteinander vertauscht werden). Auch medial hat Moers einiges für die Analyse zu bieten, denn die Mischung aus Illustration und Text, viel mehr aber noch die Inszenierung von Text als Illustration durch typographische Verfahren lassen sowohl eine Anspielung auf mittelalterliche Emblematik als auch moderne Comiczeichnung erkennen. Meine These ist, dass die an Rabelais angelehnte Überzeichnung des Grotesken auf inhaltlicher Ebene ihre literarische Erfüllung in der Überbietung von – manchmal allzu offenkundiger – Literarizität findet. Die Zuordnung zur gehobeneren Literatur, die aufgrund der genannten Verfahren mehr als gerechtfertigt erscheint, wird so durch ihr Übermaß gleichermaßen ad absurdum geführt. Ein solcherart schlaraffenlandähnliches rhetorisches und stilistisches Aufgebot ist eben kein exklusiv ausgewähltes Mahl der Kompositionsrafinesse. So gelingt es Moers, im Genre des Klamauks und der lustigen Unterhaltung zu bleiben, während seine Schreibweise eine hochliterarisierte ist, die literaturwissenschaftliche Anerkennung verdient. [1] Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär, 1999, Ensel und Krete, 2000, Rumo & Die Wunder im Dunkeln, 2003, Die Stadt der Träumenden Bücher, 2004, Der Schrecksenmeister, 2007, Das Labyrinth der Träumenden Bücher, 2011.