Weinende Säuglinge trösten? Wo Hebammen mit Eltern von Neugeborenen und Säuglingen arbeiten, in der Wochenbettbetreuung, in Kursen zu Babymassage, Rückbildungs- und Beckenbodengymnastik, in Stillgruppen und Babytreffs, wird die Frage, ob man weinende Kinder besser trösten und beruhigen oder schreien lassen soll, mit Sicherheit irgendwann an uns gerichtet werden. Vielleicht können sie die Frage mit einem Wort beantworten, vielleicht geht es ihnen aber auch wie den fragenden Eltern: Sie haben so viel widersprüchliches dazu gehört oder gelesen, dass sie nicht mehr sicher sind, welche Antwort richtig ist und ob sie nicht etwas falsch machen, wenn sie sich einfach nach ihrem eigenen Gefühl richten. In der inzwischen breit geführten Diskussion möchte ich mit einer entwicklungspsychologischen Argumentation Standpunkt beziehen und eindeutig dafür plädieren, dass die Erwachsenen das ihnen anvertraute, noch nicht ein Jahr alte Kind auf jeden Fall zu beruhigen versuchen sollten. Wie sie das tun können und wie sie sich helfen können, wenn es schwierig ist, das Kind zu trösten, wird an anderer Stelle in diesem Heft beschrieben. Hier können sie lesen, warum sie es tun sollten. Psychobiologische Aspekte der frühen Eltern-Kind-Beziehung Die motorische Entwicklung unserer Kinder verläuft im Vergleich zu anderen Tierjungen deutlich verzögert. Menschenkinder werden zumeist als Einlinge geboren und wachsen so nicht wie Nesthocker in einem Wurf von gleichaltrigen Jungen auf, sondern bleiben im engen Körperkontakt mit ihrer erwachsenen Bezugsperson. Menschliche Säuglinge werden insofern als Traglinge angesehen. Allerdings unterscheiden sie sich von anderen Primatenjungen auch dadurch, dass sie sich nicht selbst am Köper des Erwachsenen festhalten können, vielmehr müssen sie aktiv getragen bzw. gehalten werden. Diese Notwendigkeit des Getragen-werdens begünstigt die Entwicklung eines frühen kommunikativen Austausches in einer Zweierbeziehung. Die aus der „physiologischen Unreife“ resultierende Hilflosigkeit der neugeborenen Kinder ist zugleich ihr größtes Potential. Menschenkinder entwickeln ihre Fähigkeiten in der Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt, mit den Menschen der Gruppe, in die sie hinein geboren wurden. Sie bringen kaum Instinkt-Programme mit auf die Welt, sondern lernen aus den Erfahrungen, die sie machen. Sie sind offen, sich an verschiedenste ökologische und kulturelle Gegebenheiten anzupassen. Die langsamere Gehirnentwicklung, mit einem großen Teil erst nach der Geburt erfolgender „Verschaltungen“ von Nervennetzen kann sich nur eine Spezies erlauben, die fähig ist, lange haltende, tiefe Bindungen zwischen dem Elternpaar und den Nachkommen aufzubauen, und so der nachfolgenden Generation auf längere Sicht Schutz und Versorgung zu garantieren. Die Kinder sind also in hohem Maße davon abhängig, über Jahre beschützt, versorgt und belehrt zu werden und tragen viel zur Entstehung und Festigung einer stabilen Beziehung zu ihren erwachsenen Bezugspersonen bei. In den ersten Wochen scheint es, als seien sie auf eine dem intrauterinen Zustand ähnliche und umfassende Versorgung angewiesen. Aber schon wenige Au- genblicke nach der Geburt können sie bereit und in der Lage sein, mit den anwesenden Personen in Kontakt und kommunikativen Austausch zu treten. Interaktion Ein neugeborenes Kind bevorzugt vorerst seine Mutter, deren Stimme und Sprache es aus der Zeit der Schwangerschaft bereits sehr gut kennt. Es ist fähig die neuen Sinneseindrücke, die es von ihr empfängt, ihren Geruch, das Empfinden ihrer Berührungen und nach und nach auch ihr Aussehen als zusammengehörig zu begreifen. Neugeborene suchen ihre Umgebung nach Gesichtern ab. Haben sie eines entdeckt, sind sie fähig den Blickkontakt über einige Zeit aufrecht zu erhalten. Manchmal gelingt es ihnen, einen Gesichtsausdruck, den sie sehen, nachzuahmen. Im übrigen zeigen sie uns durch ihre Mimik und Gestik, ob sie wach und aufmerksam oder müde und angestrengt sind, und durch Suchbewegungen (rooting reflex), dass sie Hunger haben. Andererseits sollte nicht unterschätzt werden, dass die Kommunikationsfähigkeit des Neugeborenen noch unreif und dadurch eingeschränkt ist: Es hat wenig Kontrolle über die Haltung seines Kopfes und kann schon deshalb den Blickkontakt nicht lange halten und es fällt ihm auch schwer, ein sich bewegendes Objekt zu fixieren. Anfangs kann es nur in einer Entfernung von etwa 22 cm scharf sehen. Seine Mimik ist im Wachzustand anfangs noch eingeschränkt. Erst im Alter von 6 bis 8 Wochen beantwortet es einen Blick oder eine Begrüßung mit einem Lächeln. Es kann noch keine sprachlichen Laute artikulieren, da sein Stimmtrakt anatomisch unausgereift ist und ihm noch die nötige Kontrolle über seine Atmung fehlt. Es kann seine Gefühlszustände nur wenig regulieren, besonders dann nicht, wenn es mit vielen, starken Eindrücken konfrontiert ist. Seine Aufmerksamkeit ist flüchtig und unvorhersagbar. Es hat eine kurze Latenzzeit (weniger als 1 Sekunde). Das heißt, es braucht eine rasche Reaktion seines Gegenübers, um sie noch als Antwort auf sein eigenes Signal verstehen zu können. Die Erwachsenen gleichen im Kontakt diese Einschränkungen des Kindes durch ihr eigenes Verhalten aus. Sie bringen, wenn sie das Kind ansprechen, ihr Gesicht im optimalen Abstand in sein Blickfeld. Sie sprechen langsam, einfach und ausdrucksstark mit ihm und wiederholen ihre Sätze immer wieder mit kleinen Variationen, um seine Aufmerksamkeit zu halten. Sie berühren seine Hände, um sich über seine Spannung und Konzentration zu informieren. Sie testen, wie es auf eine Berührung der Mundregion reagiert, wenn unklar ist, ob es trinken möchte. Sie streicheln es beruhigend, wiegen es sachte und summen eine leise Melodie, wenn sie ihm in den Schlaf helfen wollen. Sie reagieren ohne Verzögerung mit einem physiologischen Alarmzustand (u.a. mit Bludruckerhöhung), wenn das Kind schreit. All dies und viele andere kleine Alltagshandlungen mehr, werden als intuitives Elternverhalten bezeichnet. Intuitive Elternverhaltensweisen wurden universell beobachtet, unabhängig vom Geschlecht, Alter oder Familienstatus der Personen, selbst bei Kindern, etwa ab einem Alter von vier Jahren. Man vermutet, dass diese Fähigkeiten angeboren sind oder doch sehr früh erworben werden. Die intuitiven Elternverhaltensweisen sind fein abgestimmt auf die Signale des kleinen Kindes und haben eine derart kurze Reaktionszeit, dass sie nicht willentlich kontrolliert sein können. Die intuitive Bereitschaft der Eltern, auf die Kommunikationsangebote ihres Kindes zu reagieren wird auch Responsivität genannt (von lat. respondere: im Wechselgesang den zweiten Part singen). Die Fähigkeit des Säuglings eindeutige, gut „lesbare“ Signale zu geben und die Fähigkeit der Eltern fein abgestimmt darauf zu reagieren, sind individuell verschieden. So ist es nicht verwunderlich, dass manch ein „Dialog“, besonders in der Zeit des Kennenlernens, zur Überforderung des Kindes oder zu Fehlinterpretationen der Eltern führt. Darauf reagieren die Kinder im Säuglingsalter je nach Temperament mit Quengeln oder mit Schreien. Es ist völlig normal, dass Neugeborene und Säuglinge weinen. Die Kinder in aller Welt beginnen etwa gleich häufig zu schreien. Im Alter von sechs Wochen wird ein Höhepunkt erreicht, danach wird das Schreien immer seltener. Man nimmt an, dass letzteres mit der zunehmenden Fähigkeit der Neugeborenen, sich selbst zu beruhigen und ihre Gefühlszustände insgesamt selbst zu regulieren, zusammenhängt. Die jeweilige Dauer des Schreiens unterscheidet sich jedoch wesentlich. Es konnte festgestellt werden, dass sich diejenigen Kinder, die einige Stunden pro Tag von ihren Erwachsenen im Tuch oder einer sonstigen Tragehilfe am Körper getragen wurden, schneller wieder beruhigen ließen und insofern weniger Zeit mit Schreien verbrachten. Es ist zu vermuten, dass der enge (Körper)Kontakt zwischen Eltern und Kind den Eltern hilft, die Bedürfnisse des Kindes rasch zu erfassen und folgerichtig zu reagieren. Denn beim Tragen ihres Kindes registrieren sie ständig, und ohne besonders darauf achten zu müssen, seine Bewegungen, seine Körperspannung und leisen Laute und können leicht Blickkontakt aufnehmen, um sich ein Bild von seinem Gemütszustand und seinen aktuellen Bedürfnissen zu machen. Kontingenzerfahrung Das Kind macht im Zusammensein mit seinen Bezugspersonen Erfahrungen in den unterschiedlichsten Situationen. Nach und nach setzen sich die Erinnerungen zu einem sich immer verändernden und erweiternden Gesamtbild einer jeweiligen Person zusammen. Zugleich erfährt das Kind aus dem Verhalten der Erwachsenen aber auch viel über sich selbst. Indem die Älteren dem Kind sagen oder zeigen, was sie an ihm wahrnehmen, z.B. Neugier, Unternehmungslust, Müdigkeit, Hunger, Freude, Ärger, ordnen sie seine emotionalen Zustände ein, so dass sie auch für das Kind allmählich verstehbar werden. Das Kind braucht für seine psychische Entwicklung die Erfahrung, dass es mit seinen Äußerungen eine Wirkung bei anderen Personen hervorrufen kann. Die Reaktion der Erwachsenen muss we- gen der kurzen Latenzzeit des Säuglings prompt erfolgen, andernfalls kann das Kind den Zusammenhang nicht mehr herstellen. Außerdem ist es wichtig, dass die Antwort auf eine bestimmte Äußerung jedes Mal ähnlich ist. Das Kind fühlt sich verstanden, wenn die Reaktion des Erwachsenen passend und vorhersehbar ist. Es erlebt, dass es durch eigenes Tun eine bestimmte Wirkung erzielen kann und seiner Umgebung nicht hilflos ausgeliefert ist. Die Erfahrung der Selbstwirksamkeit wird zu einem Grundstein seines sich entwickelnden Selbstwertgefühles und Selbstbewusstseins. Beispiel: Hungrig-sein Im Normalfall kennt ein neugeborenes Kind aus der Zeit der Schwangerschaft kein Hungergefühl. Nach dem Durchtrennen der Nabelschnur ist es zum ersten Mal damit konfrontiert, seine Nahrung aktiv und selbstständig aufnehmen und verdauen zu müssen. Als reif geborenes Kind bringt es die nötigen Reflexe zum Gestillt-werden mit, braucht aber Hilfe um die Brust erfassen zu können und auch den emotionalen Halt, um sich auf das Saugen und Schlucken zu konzentrieren. Das Hungergefühl mag sich bei dem Neugeborenen langsam anbahnen und es in einen verdrießlichen Zustand versetzen. Anfangs wird es durch Arm- und Beinbewegungen, kleine, quengelige Laute und einen unglücklichen Gesichtsausdruck auf sich aufmerksam machen. Wird der Hunger stärker, wird das Kind von dem Hunger-Schmerz im Zentrum seines Körpers überwältigt zu schreien beginnen, wobei es seine Atmung und seine Stimme zu einem rhythmischen Schreien koordiniert. An diesem Punkt angelangt, muss es erst wieder beruhigt werden, ehe es die Nähe der Brust wahrnehmen und die Zunge nach vorn legen kann, um „anzudocken“. Nun ist seine Mutter gekommen. Sie spricht mit ihrem Kund, nimmt es hoch in eine aufrechte Position, an ihren Körper gelehnt in einer engen Umarmung – all dies wirkt schon beruhigend. Sie knöpft ihre Kleidung auf und legt ihr Kind ihrem Körper zugewandt, zentriert an die Brust. Der Geruch der Areola und die Berührung der Mamille an seinen Lippen weisen dem Kind bei seinen Suchbewegungen den Weg. Es „dockt an“ und beginnt mit den raschen Saugbewegungen zum Auslösen des Milchspendereflexes, der anfangs häufig erst nach einigen Minuten einsetzt (im Laufe der Laktation aber immer stärker konditioniert wird). Das Saugen selbst beruhigt das Kind aber schon soweit, dass es die Zeit bis zum Einsetzen des Milchflusses abwarten kann. Gelangt die Milch dann in seinen Magen, lässt das drängende Hungergefühl bald nach und das Kind wird wieder empfänglich für andere Sinneseindrücke als die aus seinem eigenen Körperinneren. In dieser Interaktion zwischen Kind und Mutter funktioniert die Verständigung ausreichend gut, um die Bedürfnisse des Kindes zu befriedigen und es als kompetent zu bestätigen. Zugleich fühlt sich die Mutter selbst fähig und in der Lage, auf ihr Kind liebevoll einzugehen. Beziehungserfahrungen des Säuglings Die Plastizität des menschlichen Gehirns, d.h. die Tatsache, dass ein enormer Anteil des Gehirnwachstums und der Nervenverschaltungen in den ersten 18 Lebensmonaten stattfinden, ist für die Persönlichkeitsentwicklung von großer Bedeutung. Die Grundzüge der psychischen Struktur des kleinen Kindes bilden sich unter dem Einfluss der Erfahrungen, die es in dieser Zeit mit seinen Bezugspersonen macht. Ein traumatisches Erlebnis wie z.B. eine dramatische, komplizierte Geburt, ist dann nicht so bedeutsam für seine psychische Entwicklung, wenn das Kind im Laufe der folgenden Monate viele „heilende“ Beziehungserfahrungen macht. Wenn das Kind nun also stetig vor Gefahr, Schmerz und Entbehrung geschützt wird, verinnerlicht es die vielen positiven Erlebnisse, so dass die Erfahrung der Bedrohung während der Geburt in den Hintergrund tritt (korrigierende Beziehungserfahrungen). Die ständige Wiederholung von alltäglichen Ereignissen haben einen größeren Einfluss auf das „Lebensgefühl“ des Kindes und seine Erwartungen an die „Welt“ als die einmalige traumatische Erfahrung. In der Bindungsforschung wird zudem noch ein Zusammenhang zwischen der Bindungssicherheit des Kindes und seiner Autonomieentwicklung hergestellt. Kinder, deren Bindungssignale von ihren Bezugspersonen feinfühlig1 beantwortet werden, bauen eine sichere emotionale Bindung zu ihnen auf. Dies macht es ihnen möglich, sich in belastenden Situationen immer wieder an sie zu wenden, zugleich sind sie frei, sich neugierig der Welt zuzuwenden ohne ständig darauf achten zu müssen, ob die erwachsene Person noch erreichbar ist. Wenn Kinder sich krabbelnd oder laufend von ihren Bezugspersonen entfernen können, bedürfen sie dieses emotionalen Bandes. Es schützt sie vor zu großer Entfernung und es lässt sie sich an den Reaktionen der Erwachsenen orientieren, wenn sie etwas Unbekanntem oder Überraschendem begegnen. Eine sichere Bindung ermöglicht es einem Kind so, unbelastet und neugierig auf Entdeckungstour zu gehen und sich neuen Erfahrungen zu stellen, im Vertrauen darauf, dass die Erwachsenen es wo nötig unterstützen und schützen werden. Die feinfühlige Fürsorglichkeit der Eltern im ersten Lebensjahr ist insofern geradezu eine Voraussetzung dafür, dass sich das Kind in seiner nächsten Entwicklungsphase selbstständig macht und wagt, sich auch räumlich von seinen Eltern zu entfernen. Folgen negativer Beziehungserfahrungen Die oben beschriebene Interaktionssequenz mit dem hungrigen Baby kann aber auch anders verlaufen, wenn sich die Erwachsenen von anderen Prämissen als den Bedürfnisäußerungen ihres Neugeboren leiten lassen. Möglicherweise hält sich die Mutter des Kindes nicht im selben Raum auf und bemerkt die Unruhe ihres Kindes nicht. Wenn sie es aber schreien hört, kann sie der Meinung sein, es habe keinen Grund dazu, da sie es doch vor nicht allzu langer Zeit gestillt und gewickelt habe. Das Kind wird weiter schreien, um Hilfe zu erhalten und sich ohnmächtig und verlassen fühlen, wenn diese ausbleibt. Sollte seine Mutter aber kommen, wird sie erst überlegen müssen, was die Ursache des Schreiens sein könnte. Vielleicht findet sie heraus, dass ihr Kind saugen möchte, ist aber der Ansicht, 1 Feinfühligkeit in der Definition nach Mary Ainsworth, 1974: „Die Fähigkeit der Eltern, die Signale und Kommunikationen, die im Verhalten ihres Kindes enthalten sind, richtig wahrzunehmen und zu interpretieren, und wenn dieses Verständnis vorhanden ist, auf sie angemessen und prompt zu reagieren.“ dass es dafür nicht an der Zeit ist (z.B. weil die letzte Stillmahlzeit noch keine drei bis vier Stunden her ist) und sie glaubt, ihr Kind an einen regelmäßigen Tagesablauf gewöhnen zu müssen. Vielleicht versucht sie nun, ihr Kind auf andere Weise zu beruhigen oder hinzuhalten. Möglicherweise lässt sich das Kind darauf ein und wird ruhiger. Vielleicht ist der Hunger aber so drängend oder das Kind so wenig ablenkbar, dass es weiter schreit. In diesem Moment wird es zwar die Nähe der Mutter wahrnehmen, aber auch erfahren, dass sie nicht bereit oder fähig ist eines seiner elementarsten Bedürfnisse zu erfüllen. Ein neugeborenes Kind wird seine Bemühungen für die Erfüllung seiner Bedürfnisse zu sorgen, in solchen Situationen intensivieren, nach vielen enttäuschenden Erfahrungen aber auch modifizieren und schließlich auf sie verzichten. Für das Kind ist dies eine deprimierende Beziehungserfahrung, denn es erlebt, dass es nicht fähig ist, seine Anliegen mitzuteilen und es nicht wert ist, dass seine grundlegenden Bedürfnisse erfüllt werden. Die verschiedenen psychotherapeutischen Richtungen beschreiben und erklären die psychische Entwicklung des kleinen Kindes in ihren je eigenen Modellen. Im Zentrum steht jeweils die Frage, inwieweit die erwachsenen Bezugspersonen individuell und situationsgebunden in der Lage sind die individuellen Bedürfnisse des sehr kleinen Kindes passend zu beantworten. Es geht also darum, ob die Handlungsmöglichkeiten der Erwachsenen und Bedürfnisse des Kindes jeweils gut aufeinander abgestimmt werden können. Anhaltend negative Beziehungserfahrungen werden als Störfaktoren in der frühen Lebensentwicklung aufgefasst, die das Kind in seinem weiteren Leben vulnerabel (von lat. vulnerare: verletzen, verwunden) für psychische Störungen machen können. Zusammenfassung Das Schreien des Neugeborenen und Säuglings ist ein Distanz- und Alarmsignal: Es ist laut und durchdringend und löst bei Erwachsenen eine physiologische Reaktion aus, die sich nicht durch Gewöhnung abschwächt: Puls und Blutdruck steigen und der Impuls, etwas gegen dieses Schreien zu tun, ist fast unwiderstehlich. Das Kind beginnt zu schreien, wenn es sich bedroht fühlt (durch Schmerz oder Schreck) oder wenn seine vorangegangenen „Aufforderungen“, es aus einer misslichen Situation zu befreien, nicht wahrgenommen und beantwortet wurden. Das Kind erwartet, dass jemand kommt um ihm zu helfen, wenn es schreit. Wenn Sie als Hebammen mit Eltern über den Umgang mit ihrem Neugeborenen sprechen, können Sie sie in ihren intuitiven elterlichen Kompetenzen bestätigen. Sie können Sie darin bestärken sich in die Befindlichkeit, die Erlebensweise und die Bedürfnisse ihres Kindes einzufühlen, seine Signale verstehen zu lernen und so bald wie möglich passend zu beantworten. Mit dieser feinfühligen Fürsorglichkeit machen die Eltern nichts verkehrt. Ganz im Gegenteil: sie schaffen vielmehr die Möglichkeit, dass ihr Kind eine sichere Bindung zu ihnen aufbaut, die auch in späteren Lebensphasen tragfähig ist und dem Kind hilft, neue und unbekannte Situationen zu bewältigen. Literaturangaben: Spangler, Gottfried u. Peter Zimmermann (1995) Die Bindungstheorie. Grundlagen, Forschung und Anwendung. Stuttgart, Klett-Cotta Verlag von Klitzing, Kai (Hg.) (1998) Psychotherapie in der frühen Kindheit. Göttingen, Vandenhoek & Ruprecht Verlag Murray, Lynne und Liz Andrews (2002) Das kommunikative Baby. Kontakt vom ersten Augenblick an. München, Beust Verlag Zimmer, Katharina (1999) Was mein Baby sagen will. München, Goldmann Verlag Hüther, Gerald (2003) Die Bedeutung früher Bindungen für die Hirnentwicklung und das Verhalten von Kindern. Gesellschaft für Geburtsvorbereitung Rundbrief 1/2003, Göttingen, Berlin Papousek, Mechthild und Hanus Papousek (1990) Intuitive elterliche Früherziehung in der vorsprachlichen Kommunikation. 1.Teil Sonderdruck aus Sozialpädiatrie in Praxis und Klinik 12, Nr. 7, S.521-527, Mainz Papousek, Mechthild und Hanus Papousek (1990) Intuitive elterliche Früherziehung in der vorsprachlichen Kommunikation. 2. Teil Sonderdruck aus Sozialpädiatrie in Praxis und Klinik 12, Nr. 8, S.579-583, Mainz Stern, Daniel N. (1992) Die Lebenserfahrung des Säuglings. Stuttgart, Klett-Cotta, 2.Aufl. Largo, Remo (1999) Babyjahre. München, Piper Verlag, 9.Aufl. Dornes, Martin (1993) Der kompetente Säugling. Die präverbale Entwicklung des Menschen. Frankfurt am Main, Fischer Tb Lohmann, Susanne, Margarita Klein, Bettina Salis (2004) Die körperliche und seelische Entwicklung des Kindes im ersten Lebensjahr in Bund deutscher Hebammen: Das Neugeborene in der Hebammenpraxis. Stuttgart, Hippokrates Verlag Rudolf, Gerd (2003) Störungsmodelle und Interventionsstrategien in der psychodynamischen Depressionsbehandlung. in Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, 2003, Vol.49: 363-376 Autorin: Susanne Lohmann, Gryphiusstr. 3, 22299 Hamburg Mail: [email protected] 1983 Anerkennung als Hebamme in Hamburg 1999 Diplomprüfung in Psychologie, Uni Hamburg