Bernhard Fetz - kunsthaus muerz

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19. bis 21. Oktober
kunsthaus muerz / Neuberg
verschiedene sätze treten auf
Intermedien der Wiener Gruppe
Symposium und Literaturfest
Konzept: Juliane Vogel, Thomas Eder
Bernhard Fetz
„ihre stimme klingt manchmal als wären es sie“ oder: Was die Stimme alles mit
den Wörtern macht. Zur Vielstimmigkeit der Wiener Gruppe
Abstract
„ich führe meinen mund äusserln, ich sage dir was und schau was du machst, kann es
gar nicht erwarten.“ (O. Wiener: verbesserung von mitteleuropa)
Der Einsatz der Stimme in den Texten und Cabarets der Wiener Gruppe reicht vom
Singen bis zur Ansprache, von der Stille bis zur Erzeugung von Lärm, vom Schweigen bis
zum Schrei, vom lyrischen Kammerton bis zum Kommandoton. Die Stimme ist ein
performatives Phänomen. In ihr verbinden sich Ereignishaftigkeit, Aufführungscharakter,
Verkörperungscharakter, Subversions- und Transgressionspotenzial und
Intersubjektivität: Die Stimme besitzt Appellcharakter, ihr Spektrum reicht von der
Ansprache an sich selbst bis zum Befehl. (Vgl. Doris Kolesch und Sybille Krämer:
Stimme)
Der theoretische Befund zum Performanzcharakter der Stimme korrespondiert mit
ästhetischen Verfahren der Wiener Gruppe, deren Effekte sich beschreiben lassen als
Autonomisierung der Stimme, als Abbruch der Kommunikation, als gestörte
Kommunikation, als Entkoppelung von Laut und Bedeutung bzw. als Umcodierung der
Stimme von einer Bedeutungsträgerin zu einem Phänomen, das Bedeutungsüberschüsse
produziert: in emotionaler, in mentaler, in ästhetischer Hinsicht. Kommunikationsmedien
wie das Telefon oder das Megaphon dienen nicht der deutlicheren Übertragung von Sinn,
vielmehr dessen Subversion, z.B. im „lustigen Stück“ „Schwurfinger“. Gerhard Rühms
„abhandlung über das weltall“ versinnlicht das Schweigen des Universums in einem
Sprechtext, die Lautgebilde „präsentieren phänomene jenseits der reflexion“ (G. Rühm).
„Wir haben eine verstehbare Rede, und in diesem Horizont der Verständlichkeit tritt
plötzlich eine Störung auf, dringt die Stimme, der Laut ein und stellt eine Unterbrechung
durch das dar, was wir nicht verstehen können. [...] Am Schauplatz des Verstehens –
d.h. der Phantasie – taucht ein Eindringling auf, ein Fremdkörper, dessen Fremdheit sich
gerade dem Element Stimme/Laut im Gegensatz zur Signifikation verdankt.“ (Mladen
Dolar: Theorie der Stimme) Einigen dieser Störungen in Texten und Tönen der Wiener
Gruppe geht der Vortrag nach.
Soziologisch gesehen sind die Stimmen der Nachkriegsavantgarde als Antwort auf die
Stimmpolitik der Nazis und ihre Nachwirkungen zu verstehen: Hierher gehört die
polemische Aneignung repressiver Stimmen bzw. konventioneller Formen. In den
Chansons bspw. treten Singen und Sagen auseinander, sie waren durch „die art ihrer
darbietung, welche häufig nichts mit ihrem textlichen inhalt zu tun hatte, über ein
blosses deklamieren hinausgehoben“ (O. Wiener). Das wäre dann das, was R. Barthes
mit seiner Unterscheidung von „Phäno-Gesang“ (Genre, Form, Stil) und „Geno-Gesang“
(Volumen der Stimme, Wollust der Ton-Signifikanten) gemeint hat. Der Einsatz der
Stimme verheißt Präsenz und verhindert die bloße Repräsentation von Wirklichkeit und
sozialen Situationen. Die Modulationsfähigkeit der Stimme macht Schluss mit der
Vorstellung von einem geordneten Verhältnis von außen (Wirklichkeit) und innen
(Innerlichkeit), von privat (bei sich sein) und öffentlich (mit anderen kommunizieren).
Über die Stimme experimentierte die Wiener Gruppe mit der „steuerung konkreter
situationen durch den sprachgebrauch“ (O. Wiener).
Wenn sich der „Übergang von der Literatur zur Aktion [...] als Ausweitung und Vertiefung
eines Experiments beschreiben“ lässt, „das zuerst den Mechanismen der Kommunikation,
sodann der Konstruktion von Wirklichkeit und zuletzt den psychophysischen
Verankerungen bürgerlicher Kunst, Kultur und Gesellschaft galt“, dann hat die Stimme an
dieser Ausweitung entscheidenden Anteil (vgl. Michael Backes: Experimentelle Semiotik
in Literaturavantgarden). Die Stimme ist jedoch auch in den im engeren Sinne
literarischen Texten der Wiener Gruppe ein entscheidendes Kompositionselement, indem
viele der Texte über den Rand der beschriebenen Seite in einen von vielen Stimmen
erfüllten Hallraum hinausweisen bzw. diesen akustischen Raum neu strukturieren. War
die Stimme in konventioneller literarischer Verwendung Mittel der Narration, des
expressiven Ausdrucks, der dramatischen Zuspitzung, so betont avantgardistische Kunst
ihren medialen und materiellen Charakter; die Stimme wurde frei, „alles zu tun was ihr in
den Sinn kam [...] sie hatte ihre eigene Art zu denken gefunden, und dazu ihre eigene
Art, es hörbar zu machen“ (E. Jandl).
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