Wintersemester 07/08 - staff.uni

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Wi ntersemester 07/08
Zusammenfassung zur
Vorlesung: "Soziale Kommuni kation"
PD Dr. Udo Thiedeke
Kommuni kationsmedien I : Mediendifferenzierung
1 7.01 .08
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Vorlesung: "Soziale Kommuni kation"
Kommuni kationsmedien I : Mediendifferenzierung
1 7.01 .08
Programm:
1 ) Ei nleitung
2) Medien als Problemlösung
3) Medien und Formen
4) Zusammenfassung
1 ) Ei nleitung
- Durch Sel bstkonditionierung der Systemkommuni kation können sich also unter-
schiedl iche Erwartungsstrukturen ausprägen, die so stabi l si nd, dass sich spezifische
Typen von sozialen Systemen (z. B. I nteraktions-, Organisations- oder Gesel lschaftssystem) gegenei nander abgrenzen.
- Die Frage ist hiebei al lerdi ngs, wie sich soziale Systeme auf i hre Sel bstkonditionierung 'verlasseen' können?
- Es stel lt sich also wieder die grundsätzl iche soziologische Frage: wie ist soziale Ordnung mögl ich, wo die Umwelt der Systeme doch von Komplexität (i mmer mehr
Mögl ichkeiten, als real isierbar si nd) und i hre Strukturen von Konti ngenz (Unwägbar-
keit der Fortsetzung von Kommuni kation) geprägt si nd?
- I m Zuge der kommuni kativen Evolution sozialer Systeme haben sich ei nige Kommuni kationsbedi ngungen herausgebi ldet, die sich als Problemlösung für das Konditionierungsproblem erwiesen haben.
- Dazu gehören z. B. Routi nen, Schemats, aber auch Programme, Normen, Rol len.
- Al lerdi ngs zeigt sich, dass Routi nen und Schematas relativ bel iebig operieren, Pro-
gramme, Normen und Rol len, das System aber sehr stri kt i n der Gegenwart auf die
Zukunft festlegen und es i nflexi bel gegenüber Konti ngenz machen.
- Es konnten sich daher bei wachsender Komplexiät und Konti ngenz der Systemkom-
muni kation auch Konditionierungsmechnismen ausprägen, die sehr flexi bel operieren
und unmittel bar an Problemen der Doppelten Konti ngenz ansetzen.
- Diese Mechanismen wol len wi r Kommunikationsmedien oder kurz "Medien" nennen.
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2) Medien als Problemlösung
- Die Soziologie tut sich ersichtl ich schwer mit den Medien. Ei nerseits werden sie ger-
ne rei n i nstrumentel l als "Kanäle der I nformationsübertragung" betrachtet und gel ten
damit als soziologisch i rrelevant oder sie werden als "die Medien" mit massenme-
dialen Medienorganisationen (Verlage, Sender) oder schl icht mit "Massenmedien"
(Presse, Funk, Fernsehen) gleichgesetzt (so etwa i n der "Mediensoziologie" von Mi -
chael Jäckel ; 2005: 1 0) .
- Daran, Medien als Massenmedien zu verstehen, ist wiederum Max Weber nicht un-
schuldig, der 1 91 0 zum ersten deutschen Soziologentag ei ne soziologische Untersuchung des "Zeitungswesens" vorschlug (vgl . 1 997 bei Langebucher/Hrsg. ; das For-
schungsprogramm wurde aber nie verwi rkl icht) .
- Erst i n Talcott Parsons Handlungssystemtheorie werden Medien soziologisch anders
verstanden.
- Sie vermittel n hier als "Austauschmedien" (media of i nterchange; vgl . Parsons,
1 980) normative General isierung zwischen den vier Subsystemen des Handlungssy-
stems.
- Ni klas Luhmann fragt i n Hi nbl ick auf Kommuni kationsmedien al lerdi ngs nicht da-
nach, was sie ' austauschen' (den zwischen Systemen wi rd nichts ausgetauscht, al lenfal ls werden diese strukturel l gekoppelt), ob Medien die Kommuni kation 'verbes-
sern' , i n besonderer Weise organisiert si nd oder Normen veral lgemei nern.
- Da er davon ausgeht, dass soziale Kommuni kation grundsätzl ich unwahrschei nl ich
ist, fragt er danach, auf welche Komuni kationsprobleme Medien reagieren und wie
sie damit die Unwahrschei nl ichkeit der Kommuni kation reduzieren?
- Medien erschei nen so als Mechanismen, die Kommuni kation wahrschei nl icher ma-
chen und die sich deshal b i n der Evolution sozialer Kommuni kation durchsetzen und
entwickel n konnten. Er schrei bt dazu i n "Soziale Systeme":
"Diejenigen evolutionären Errungenschaften, die an jenen Bruchstel len der Kommu-
ni kation ansetzen und funktionsgenau dazu dienen, Unwahrschei nl iches i n Wahr-
schei nl iches zu transformieren, wol len wi r Medien nennen. " (Hervorhebung i m Ori gi nal , S. 220) .
- Medien können als Problemlösungen fungieren, wei l sie als si nnhafte Mechanismen
für die Kommuni kation Mögl ichkeiten bieten, um Si nnelemente i m Kommuni kationsprozess lose und zeitwei l ig anei nander zu koppel n. Das geschieht etwa, i ndem sie
die sachl iche, zeitl iche, soziale und räuml iche Differenz von I nformation betonen und
diese dadurch unterscheidbar, d. h. , als Si nn wähl bar machen.
- Unter "Medien" verstehen wi r demnach:
Die Mechanismen sozialer Kommunikation, die im Prozess der Kommunikation Sin-
nelemente lose zu Sinnformen koppeln und Kommunikation dadurch wahrscheinlicher machen.
[siehe auch Fol ie 1 ]
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- Da sich i m Kommuni kationsprozess Probleme der Unwahrschei nl ichkeit auf ver-
schiedenen Ebenen ei nstel len (wi r könnten auch sagen, wei l sie mit I nformation,
Mittel ung und Verstehen ei nhergehen) , haben sich laut Luhmann drei Medientypen
als Problemlösungsmechanismen ausgeprägt. Die Probleme und i hre medialen Lö-
sungen lauten:
1 ) Die Unwahrscheinlichkeit des Verstehens. (Si nn kann nur kontextgebunden verstanden werden, Kontexte vari ieren aber) -> Verstehensmedium Sprache (das
symbol ische Unterscheidungsmögl ichkeiten über die diffusen Mögl ichkeiten von
Wahrnehmung hi naus steigert);
2) Die Unwahrscheinlichkeit des Erreichens (nicht i mmer si nd z. B. al le, die kommuni kativ erreicht werden sol len, i n der Nähe zu erreichen) -> Verbreitungsmedien (z. B.
Massenmedien, die durch technische Lösungen dazu beitragen, Distanzen zu
überwi nden und so, unabhängig von Nähe und Anwesenheit, die Kommuni kati -
onswahrschei nl ichkeit erhöhen) .
3) Die Unwahrscheinlichkeit des sozialen Erfolgs der Kommunikation (sel bst wenn
die Kommuni kation verstanden wi rd, ist noch nicht gesagt, dass sie angenommen
wi rd) -> Erfolgsmedien (symbol isch general isierte Kommuni kationsmedien, steigern
die Wahrschei nl ichkeit ei ner Annahme der Kommuni kation durch Veral lgemei nerung des erwartbaren Konsens) .
[siehe auch Fol ie 2]
- Jetzt stel lt sich al lerdi ngs die Frage, wie Medien konkret als Mechanismen operieren?
3) Medien und Formen
- Medien operieren als schwache Si nnmechanismen nicht dadurch, dass sie I nformationen übertragen, sondern dadurch, dass sie Si nnelemente i mmer wieder zu Si nn-
formen koppel n und dabei sel bst, wie Katalysatoren, relativ unverändert blei ben.
- Das Konzept von ' Medium und Form' wurde dabei von Luhmann i n Anlehnng an
den Sozial psychologen Fritz Heider entwickelt.
- Heider hatte sich gefragt, wie wi r Objekte wahrnehmen können, zu denen wi r gar
kei nen physischen Kontakt haben, die wi r also nicht berühren und be−greifen können?
- Dazu wurde von i hm um 1 926 die Idee entwickelt, dass wi r z. B. akustische oder vi suel le Wahrnehmungen nur machen, wei l ei n Medium sie i n ei ne Form bri ngt.
- Das Medium überträgt dabei das Objekt das Geräusche macht oder ei ne Farbe hat
nicht, stattdessen bri ngt die Luft als Medium sie i n die Form von Tönen und das Me-
dium Licht sie i n die Form von Farben.
- Die Unterscheidung von Medium und Form resultiert aus psychologischer Sicht aus
den Operationen ei nes psychischen Systems. Nichts i n der Umwelt des wahrneh-
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menden I ndividuums entspricht dieser Unterscheidung. Erst für das I ndividuum wer-
den z. B. Farben sichtbar, wenn sie beleuchtet werden, nicht für das Licht, nicht für
die Farbe, die bei des nicht si nd, bevor sie wahrgenommen werden.
- Wie aber stel lt sich das für dier Kommuni kation sozialer Systeme dar?
- Wenn die Unterscheidung Medium/Form gehandhabt werden kann, operiert auch
die Kommuni kation sozialer Systeme mit dieser Unterscheidung nicht mit der Um-
welt.
- Das heisst für unsere Medienbeispiele, dass sich bspw. die Form ei nes sprachl ichen
Ausdrucks etwa Worte oder Sätze vom Verstehensmedium Sprache unterscheiden.
- Von der Sprache, z. B. i hren Phonemen, i hrer Syntax und i hrer Grammati k reden wi r
für gewöhnl ich nicht. Sie bri ngt aber unsere Laute i n die Form von sprachl ichen Ausdrücken.
- Die Kommuni kation wi rd also über Medien i n Form gebracht und nur deshal b, wei l
diese Unterscheidung aufrecht erhalten blei bt. D. h. , das Medium ist i n der Regel ' un-
sichtbar' , wi rd es z. B. als Sprache thematisiert, dann wi rd es zur Form und so i n
den Si nnkontext der Kommuni kation ei ngekoppelt.
- Koppelt ei ne Kommuni kationsform hi ngegen wiederholt Si nnelemente, etwa die Sätze zur Identitätsbeschrei bung ei ner Person i n ei nem Ausweispapier, dann wi rd es
zum Medium das ei ne Form erzeugt. Die Sätze des geschriebenen Identitätsdokuments, bri ngen I ndividuen z. B. i n die Form von Personen des pol itischen Systems,
sie erschei nen als ' Staatsangehörige' .
- Wi r sehen hieran auch, was ei ne Form kennzeichnet. Ei ne Form bi ndet, anders als
ei n Medium, Si nnelemente fest anei nander und erzeugt so ei ne dauernde Unter-
scheidung, wobei es genügt nur ei ne Seite der Form zu benennen.
- Diese Präferenzseite grenzt automatich die andere Seite ab. Wenn ich von "geformt"
spreche, unterscheide ich i mmer von "ungeformt". So kann es auch "Tag" nur geben, wenn es "Nacht" gi bt, "heiss" nur, wenn auf 'der anderen Seite der Form'
"kalt" l iegt, ei ne "Rede" führt die Unterscheidung von "Schweigen" mit und was
"modisch" ist unterscheidet sich von "unmodisch", auch wenn man darüber besser
schweigt.
- Ei ne Form sol l daher sei n: Eine zeitweilige rigide Kopplung von Sinnelementen, die
eine Sinngrenze mit zwei Seiten markiert.
[siehe Fol ie 3]
- Da wi r behauptet haben, dass sich evolutionär unterschiedl iche Medientypen für unterschiedl iche Kommuni kationsprobleme etabl ieren konnten, so muss es mit diesen
Medien auch unterschiedl iche Formtypen geben, i n die diese Medien die soziale Ko-
muni kation bri ngen.
- Dem ist auch so. So koppelt das Verstehensmedium ' Sprache' Kommuni kation i n
die Form 'sprachl ichen Ausdrucks' ; Verbreitungsmedien koppel n z. B. i n die Form
' massenmedialer Kommuni kation' und Erfolgsmedien i n die Form von ' general isier-
ten Handlungszurechnungen' .
[siehe zur Differenzierung von Medien und Formen Fol ie 4]
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4) Zusammenfassung
- Medien verstanden als: Mechanismen, die i m Prozess der Kommuni kation Si nnelemente lose zu Si nnformen koppel n und Kommuni kation dadurch wahrschei nl icher
machen, konnten sich evolutionär ausprägen, wei l sie als Problemlösungen für die
Unwahrschei nl ichkeitsprobleme der Kommuni kation wi rken.
- Dabei regiert das Verstehensmedium Sprache auf die Unwahrschei nl ichkeit des Verstehens und koppelt als Form sprachlichen Ausdruck.
- Die Verbreitungsmedien reagieren auf die Unwahrschei nl ichkeit der Erreichbarkeit
und erzeugen Formen der Distanzüberwindung, z. B. massenmediale Kommunikati-
onsformen.
- Die Erfolgsmedien reagieren auf die Unwahrschei nl ichkeit der Annahme von Kom-
muni kationsofferten, i ndem sie Formen verallgemeinerter Handlungszurechnungen
erzeugen, die überei nsti mende Erwartungen erleichtern.
Literatur
Max Weber zu einer "Soziologie des Zeitungswesens":
Max Weber, 1 997: Zu ei ner Soziologie des Zeitungswesens. (1 91 1 ) , i n: Maxi mi l ian Gottschl ich,
Wolfgang R. Langenbucher (Hrsg.): Publ izisti k- und Kommuni kationswissenschaft. Ei n Textbuch zur Ei nführung. Wien. S. 1 38- 1 44.
Michael Jäckel mit einem auf "Massenmedien" reduzierten Medien-Begriff:
Michael Jäckel , 2005: Mediensoziologie. Grundfragen und Forschungsfelder. Wiesbaden. Hier
S. 1 0.
Talcott Parsons zu sozialen Interaktionsmedien ("media of interchange"):
Talcott Parsons, 1 980: Zur Theorie der sozialen I nteraktionsmedien, hrsg. u. ei ngel . v. Stefan
Jensen. Opladen.
Niklas Luhmann zu Medien als Problemlösungen:
Ni klas Luhmann, 1 981 : Die Unwahrschei nl ichkeit der Kommuni kation, i n: ders. : Soziologische
Aufklärung 3. Soziales System, Gesel lschaft, Organisation. Opladen. S. 25-34.
Fritz Heider zur psychologischen Unterscheidung von Medium und Form:
Fritz Heider, 1 926: Di ng und Medi um, Symposi um I , S. 1 09- 1 57.
Niklas Luhmann zur soziologischen Unterscheidung von Medium und Form:
Ni klas Luhmann, 1 998: Die Gesel lschaft der Gesel lschaft. Frankfurt/M. Hier: S. 1 90-31 5.
Vorlesung: "Soziale Kommuni kation"
Kommuni kationsmedien I : Mediendifferenzierung
Fol ie 1
Defi nition der Kommuni kationsmedien:
Medien si nd Mechanismen sozialer Kommuni kation, die i m Prozess der
Kommuni kation Si nnelemente lose zu Si nnformen koppel n und Kommuni -
kation dadurch wahrschei nl icher machen.
Vorlesung: "Soziale Kommuni kation"
Kommuni kationsmedien I : Mediendifferenzierung
Grundlegende Kommuni kationsprobleme und -medien:
1 ) Die Unwahrschei nl ichkeit des Verstehens
-> die Verstehensmedien (z. B. Sprache) .
2) Die Unwahrschei nl ichkeit des Erreichens
-> die Verbreitungsmedien (z. B. Massenmedien) .
3) Die Unwahrschei nl ichkeit des sozialen Erfolgs
-> die Erfolgsmedien (z. B. Geld, Liebe, Eigentum) .
Fol ie 2
Vorlesung: "Soziale Kommuni kation"
Kommuni kationsmedien I : Mediendifferenzierung
Fol ie 3
Defi nition der Form:
Unter "Form" ist ei ne zeitwei l ige rigide Koppl ung von Si nnel menten zu
verstehen, die ei ne Si nngrenze mit zwei Seiten markiert.
Vorlesung: "Soziale Kommuni kation"
Kommuni kationsmedien I : Mediendifferenzierung
Medien und i hre Formen:
1 ) Verstehensmedien
-> Form: z. B. sprachl icher Ausdruck.
2) Verbreitungsmedien
-> Form: z. B. massenmediale Kommuni kationsformen
(Bücher, Sendung) .
3) Erfolgsmedien
-> Form: z. B. symbol isch general isierte Handl ungszurechnung
(Zahl ungen, I nti mität, Besitz) .
Fol ie 4
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