Bad Boll 2011 Vom 16. bis 18.November 2011 fand in Bad Boll die jährliche rechtspolitische Tagung des Bundes Deutscher Rechtspfleger statt. Das Motto „Das Grundgesetz und das (Miss-)Verständnis der Gewaltenteilung“ wurde durch zahlreiche Vorträge und Diskussionen facettenreich beleuchtet. Nach der Begrüßung durch die Leiterin der Akademie Katinka Kaden und den Bundesvorsitzenden Wolfgang Lämmer wurde die Justiz im Spannungsfeld zwischen Bund und Ländern thematisiert. Der Staatssekretär des Justizministeriums des Landes Sachsen-Anhalt Dr. Eberhard Schmidt-Elsaeßer übermittelte seine Gedanken hierzu am Beispiel der Sicherungsverwahrung. Die materielle Gesetzgebungskompetenz liege beim Bund, die Ausführung inclusive Kostentragung aber sei Ländersache. Zudem sei es in diesem Bereich zu einer starken öffentlichen Wahrnehmung durch den Druck der Medien, der 4. Gewalt, gekommen, so dass trotz einem tatsächlichen Rückgang der schweren Kriminalität in der Öffentlichkeit der gegensätzliche Eindruck entstanden sei. Rechtssicherheit sei aber nur zu erreichen, wenn sich die Politik nicht an Umfrageergebnissen orientiere. Carsten Löbbert, Vizepräsident des Amtsgerichts Lübeck, stellte sodann verfassungsrechtliche Fragen zur Selbstverwaltung der Justiz vor. Zunächst machte er klar, dass die Aufgaben der Rechtsprechung von Richtern und Rechtspflegern wahrgenommen werden und deshalb deren Unabhängigkeit gleich sein solle. Derzeit ende die Unabhängigkeit der Justiz im Organigramm des Justizministeriums, die für die Personalzuteilung und Dienstaufsicht, Beurteilung und Beförderung zuständig sei. Dies sei historisch gesehen ein Relikt aus der NS-Zeit und widerspreche den europäischen Anforderungen. Echte Gewaltenteilung und eine Gesamtverantwortung der Justiz führe zu einer Qualitätssteigerung, da wirkliche Unabhängigkeit erst entstehen könne, wenn von der Verwaltung nichts zu erwarten und nichts zu befürchten sei. Dr. Christian Strasser beleuchtete den Einfluss europäischen Rechts auf die Rechtspflege in Deutschland. Ziel sei ein freier Titelverkehr und der Abbau von Vollstreckungshindernissen. Bereits mit 3 Projekten – dem europ. Mahnverfahren, dem europ. Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen und dem small-claimsVerfahren seien europäische Vollstreckungstitel geschaffen worden, die ohne Anerkennung in jedem Land vollstreckbar sind. Nun solle die Exequatur vollkommen abgeschafft werden. Dabei sei vollständiges Vertrauen in die Justiz aller Staaten erforderlich und die Mißbrauchsgefahr insbesondere bei automatisierten Verfahren dürfe nicht unterschätzt werden. Erforderlich sei in jedem Fall mehr Aus- und Fortbildung hinsichtlich des europäischen Rechts. Der nächste Tag stand unter dem Thema der Wahrnehmung der Justiz in der Öffentlichkeit, die nach Meinung beider Referenten, Christian Bommarius (Journalist und Jurist) und Dr. Ursula Knapp (Journalistin und Korrespondentin beim BVerfG) trotz zahlreicher negativer Berichterstattung sehr gut sei. Die Bevölkerung erwarte Aufklärung, Verfolgung und Verhinderung der Wiederholung von Straftaten. Sie sehe die Justiz als unabhängig, nicht Lobby-gesteuert und bemüht um Objektivität. Entscheidend für die Akzeptanz der Entscheidungen sei, dass die Gründe im Wesentlichen überzeugen und transparent sein müssen. Die Entwertung des Grundbuchs war das Thema des ehemaligen Notars Prof. Walter Böhringer. Er zeigte zahlreiche Veränderungen durch die Rechtssprechung der letzten Jahre auf, die alle zu Unsicherheiten im Grundbuchrecht führen und somit das Grundbuch, das Rechtsicherheit garantieren soll, entwerte. Ein Arbeitskreis befasste sich vertiefend mit der Thematik. Nur teilweise könne man mit den Entwicklungen leben, andere seien dringend durch den Gesetzgeber zu korrigieren. Die weiteren Arbeitskreise befassten sich mit - dem Grundgesetz und der Gewaltenverschränkung: Eine vom Grundgesetz nicht gedeckte Hierarchie der Gewalten wurde festgestellt. Persönliche Verschränkungen müssten verhindert werden. Bei den Rechtspflegern mangele es schon an der unbedingten Wahrnehmung als Teil der Rechtssprechung. Die organisatorische Abkoppelung der 3. Gewalt wurde durchaus kontrovers diskutiert, in der Arbeitsgruppe aber überwiegend favorisiert. Der BDR wird hierzu eine Kommission einsetzen und ein Konzept erarbeiten. - dem Selbstverständnis des Rechtspflegers: Das Selbstverständnis im Spannungsverhältnis zwischen dem Beamten und dem unabhängigen Rechtspfleger könne durch die Einrichtung von Rechtspflegerpräsidien und einer freien Dienstzeit erleichtert werden. Klare Zuständigkeitsstrukturen, Gedanken zum Status mit einer eigenen Besoldung unter breiter Beteilung der Kollegen und der Personalvertretungen würden die Unabhängigkeit stärken. Jeder Rechtspfleger müsse sein Selbstverständnis leben. Die abschließende Podiumsdiskussion ging noch mal auf das Thema Gewaltenteilung ein. Die Justiz sei zu stark von der Exekutive dominiert, eine Selbstverwaltung sei fraglos erforderlich, stellte Lore Sprickmann Kerkerinck, DRB, fest. Dem schloss sich Carsten Löbbert an: die Auswirkungen der Beurteilung und Beförderung schlagen bis auf die Rechtssprechung durch. Dies müsse deshalb zu einer Reform der Binnenstrukturen führen. Die Unabhängigkeit der Justiz sei eine Verpflichtung, ein Auftrag. Prof. Dr. Ulrich Battis warnte dagegen die Rechtspfleger vor der Selbstgefälligkeit der Richter und deren Forderung nach mehr Selbstverwaltung. Die Forderung der Rechtspfleger dagegen nach Anerkennung ihrer richterlichen Tätigkeit unterstütze er vollständig. Die Bundestagsabgeordnete der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Ingrid Hönlinger fragte nach Verbesserungsmöglichkeiten des Bundestags in der Gerichtsorganisation. Wolfgang Lämmer stellte klar, dass der Rechtspfleger zunächst noch die StatusPosition erreichen müsse, danach würde aber eine Entschränkung der Gewalten gefordert. Der europäische Vergleich zeigte viele Staaten, die die Selbstverwaltung erfolgreich umgesetzt haben. Die verschiedenen Modelle wurden vorgestellt. Die politischen Chancen seien derzeit in den Ländern sehr unterschiedlich. Insgesamt war es eine sehr interessante, gelungene und vielseitige Fortbildung, die für jeden Teilnehmer etwas Interessantes zum Nachdenken bereit hielt. Claudia Kammermeier