SupraQuantEnergie

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SupraQuantEnergie
Kapitel 1
Vorgeschichte auf der Erde.
Die Zeiten waren recht turbulent, Wirtschaftskrise, Terrorismus,
Diktatoren führten Kriege, Arbeitslosigkeit, das Geld verlor täglich an
Wert, die Wissenschaft entwickelte immer raffiniertere technische
Systeme und Maschinen. Der Mensch wurde angeblich immer
intelligenter - zumindest auf dem Papier und in den Medien wurde dies
immer wieder behauptet. Das Jahr 2012 - stand auf dem Kalender
geschrieben. Die Alten waren unzufrieden weil sie Wucherpreise für ihre
Pflege bezahlen mussten und meist zu zweit in einem Zimmer
dahinsiechten bis der Tod sie von ihrem Leiden erlöste. Die Jungen
nahmen’s gelassen, lebten ihr eigenes Leben ohne sich viel – oder wenn
möglich, gar nicht - um die Probleme der Alten zu kümmern. Sie
verdienten so viel Geld, um sich im Grunde genommen alles leisten zu
können was die Technik und das Leben bot. Noch konnten sie es sich
leisten – das sorgte momentan für Zufriedenheit. Mit den
gesellschaftlichen Sozialleistungen konnte es sich auch noch gut leben
lassen – das gab den Politikern eine gute Wählerschaft. Zwar schimpfte
fast jeder über die Politiker, besser machen konnte es allerdings keiner.
Es war die Zeit, in der nicht nur ein kleines Unternehmen pleite ging
sondern ganze Staaten. Griechenland, Spanien, auch in Frankreich
brodelte die Wirtschaftskrise fleißig vor sich hin - von den kleineren
Staaten sah und hörte man schon gar nichts mehr in den Nachrichten die waren für die Weltwirtschaft anscheinend nicht so wichtig. In
Deutschland schien man das Problem der Weltwirtschaftskrise einfach
zu ignorieren. Die Banken und die Politiker vermittelten den Eindruck, als
ob es das Land der unbegrenzten Möglichkeiten schlechthin sei und
wenn man Geld benötigte um das Ausland zu unterstützen, dann wurde
bis über beide Ellenbogen in den Steuergeldertopf gelangt und
großzügig verteilt. Insider im Ländle wussten aber schon längst, dass es
überall auch in diesem angeblich so krisensicheren Land mehr als
krankte. Das Schulwesen war am sterben weil hinten und vorne Geld für
Lehrkräfte fehlte. Facharbeitermangel – nicht weil es keine Leute mehr
gab sondern weil immer weniger einen guten Schulabschluss zustande
bringen konnten und hernach für eine Lehre keinerlei Voraussetzungen
mehr besaßen. Hilfsarbeiterjobs gab es keine mehr – die Anforderungen
der Industrie waren so hoch geschraubt, dass man sogar um einen
Nagel in die Wand zu schlagen einen Abiturabschluss benötigte.
Natürlich versuchten viele junge Leute ein Studium – mit dem Effekt,
dass mehr als 60% es letztendlich einfach nicht schafften.
So eine Entwicklung konnte bei Menschen mit einem gesunden Verstand
nicht unbedingt eine Begeisterung auslösen. Es war eine Zeit, in der
man über Börsenkurse ganz offiziell ohne dafür bestraft zu werden,
Millionen aus der Wirtschaft ziehen konnte - einfach nur durch
geschickte Zahlenschieberei - und einige zu Multimilliardären wurden
während andere, die immer fleißig arbeiteten, nicht mehr wussten, wie
sie ihren Lebensunterhalt finanzieren sollten. Die Milliardäre zeigten
gerne ihren Luxus - natürlich nie mit der Information wie sie eigentlich an
den Reichtum gekommen waren. Andererseits sah man auch Berichte
über Familien, in denen sowohl Vater und Mutter rund um die Uhr
berufstätig sind und es trotzdem finanziell nicht bis zum Monatsende
reichte. Die Energiekosten stiegen Jahr um Jahr im zweistelligen
Prozentbereich - und die Spekulanten prahlten mit Rekordgewinnen aus
ihrer Zahlenschieberei. Die einen wurden „subventioniert“ wenn sie sich
für „erneuerbare“ Energien Solarzellen aufs Dach bauen liesen – vom
Geld der anderen, die wussten, dass dieses System auf Dauer gar nicht
funktionieren konnte weil in ein paar Jahren das Problem kam, wie man
den ganzen nicht mehr funktionierenden Schrott per Sondermüll
entsorgen sollte. Da jetzt mehr Strom als benötigt produziert wurde,
sanken zwar die Herstellerpreise, aber durch die zwanzigjährig
versprochene und zu zahlende Subvention dieser erneuerbaren
Energien, wurde der Endverbraucher immer mehr zur Kasse gebeten.
Irgend jemand musste diesen Wahnsinn ja schließlich bezahlen – und
die Spekulanten wollen auch noch kräftig Reibach machen bevor das
ganze Wirtschaftssystem irgend wann in die Knie gezwungen war. Es
hatte zuvor keiner darüber nachgedacht, was eigentlich passieren
würde, wenn sich jeder Verbraucher solche Solarzellen aufs Dach
schrauben würde: Er bekommt pro KW erzeugtem Strom 50 Cent,
bezahlt aber für erhaltenen Strom 24 Cent pro KW. Da hätten die
Stromhandelsgesellschaften den Verbrauchern jeden Monat sogar noch
Geld zahlen müssen. So zahlen diejenigen Verbraucher, welche nicht
diese risikoreiche Investition in die angeblich billigeren erneuerbaren
Energien getätigt haben, praktisch die entstandenen Kosten der anderen
und die Differenzverluste zwischen geliefertem und erhaltenem Strom
mit – und dies über einen Zeitraum von zwanzig Jahren. Mit Speck fängt
man bekanntlich Mäuse wenn sie zuvor den Weizen fressen. Wenn aber
der Speck plötzlich weitaus teurer ist als der Weizen, den die Mäuse
fressen, dann kann man es sich wirklich überlegen, ob man überhaupt
noch die Mäuse fangen will. Wenn der Strompreis einmal deutlich über
der 50-Cent Grenze steht, dann werden alle „Solarbetreiber“ schnell
merken, dass man sie ganz elegant übers Ohr gehauen hat. Wenn der
Speck gefressen ist, schlägt die Falle auch irgend wann einmal zu!
Eine wirklich verrückte Sache: Die Versicherungen. Trotz enorm
gestiegener Abgaben vom Bruttolohn musste man viele Kostenanteile zum Beispiel beim Zahnarzt bis zu 75%, oder bei Medikamenten - jetzt
selbst übernehmen. Was keiner mehr verstand war die Tatsache, dass
die Versicherungen dann aber andererseits am Jahresende stolz
Milliardengewinne verkündeten. Trotzdem wurde der Beitrag nicht
gesenkt sondern den Versicherten erklärt, man würde diese
„Überschüsse“ mit den kommenden Teuerungsraten verrechnen. Da
wurde der Beschiss quasi quadriert und als positives Ergebnis den
Versicherungsnehmern verkauft. Vermutlich hofften die dafür
Verantwortlichen bei den Versicherungsgesellschaften, dass die
Menschheit inzwischen doch nicht so viel intelligenter geworden war wie
man offiziell annahm – oder, was viel wahrscheinlicher ist, sie wussten,
dass die schnell schleichende Degeneration inzwischen durchaus beim
überwiegenden Teil der Bevölkerung in der Lage war, ein zu intensives
logisches Nachdenken zu verhindern.
Die Wissenschaft beschäftigte sich schon jahrzehntelang mit der
Enträtselung des Universums und seiner Entstehungsgeschichte.
Milliarden Euros waren in die Forschung investiert worden um dem
Rätsel auf die Spur zu kommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es
irgendwo da draußen in den unendlichen Weiten das Alls intelligentes
Leben gab, wuchs nach jedem Erfolg der Wissenschaft, ein kleines
Teilstück enträtselt zu haben.
Man stellte sich jetzt immer öfters die Frage, was wohl passieren würde,
wenn auf der Erde plötzlich Lebewesen aus einer anderen Galaxie
auftauchen würden. Währen sie freundlich eingestellt, oder etwa mit dem
Gedanken an Eroberung und Krieg behaftet. Natürlich war allen
Wissenschaftlern klar: Wer so intelligent ist, ein Raumschiff für den
interstellaren Raumflug bauen zu können, besaß mit Sicherheit eine den
Menschen gleichwertige Intelligenz - oder war vermutlich doch ein
bisschen dem Intellekt der Menschen überlegen. Welche Chance hatte
die Menschheit, falls tatsächlich ein hochintelligentes Alien meinte, sich
die Erde einverleiben zu müssen? Waren die Aliens von friedfertiger
Natur, konnte man von ihnen vielleicht viel in dem Bereich der
wissenschaftlichen Forschung lernen.
Viele vernunftbegabte Menschen glaubten allerdings, dass wenn wirklich
ein hochintelligentes Alien mit friedfertiger Natur die Erde entdecken
sollte, würde es bestimmt zuerst einmal analysieren, wie „friedfertig“ die
eindeckte Spezies Mensch war. In diesem Fall hatten die Menschen
schlechte Karten: Wer will schon Kontakt mit jemand aufnehmen der
Kriege führt und wissenschaftlich gesehen noch in den Kinderschuhen
steckt. Auch die Sozialstruktur der Menschen kann eigentlich einen
Außenstehenden wenig begeistern: Die einen schuften bis sie umfallen,
die anderen beuten aus und leben in Sauß und Brauß. Viele Menschen
verhungern auf der Welt, während gleichzeitig mehr als die Hälfte der
erzeugten Lebensmittel vernichtet wird. Nach so einer Erkenntnis würde
eine Kontaktaufnahme bestimmt nicht mehr stattfinden – wer will sich
schon mit so einer unsozialen primitiven und rauflustigen Spezies
einlassen?
Man muss mit seinem Umfeld leben, Wissen ist Macht, Gesundheit stellt
eines der höchsten Güter dar – und Geld, das wird immer weniger wert
in den heutigen Zeiten und verliert so langsam seine eigentliche
Bedeutung: Gegenwert für produktiv erbrachte Leistung. Um an Wissen
zu kommen muss man sich heutzutage nicht mehr anstrengen – ein
globales Datennetz steht Tag und Nacht für jeden zur Verfügung –
Flatrate heißt das Zauberwort. Man konnte nie so viel wie heutzutage
lernen – leider wird so wenig wie nie zuvor tatsächlich von dieser
Möglichkeit genutzt und gelernt.
Nun kommt meine kleine Lebensgeschichte - nicht spektakulär, und im
Grunde genommen nicht viel anders als bei vielen anderen Bewohner
dieses Planeten – aber doch ein bisschen anders als gewöhnlich
erwartet. Am 30. November 1995 bei Eis und Schneegestöber geboren,
den ersten Schrei im Kreißsaal eines Krankenhauses ausgestoßen
nachdem ich vom Arzt mit der Hand für etwas bestraft wurde, was ich
eigentlich gar nicht getan haben kann. Natürlich fand der Doktor eine
Entschuldigung für den Schlag auf meinen Po. Den Atemreflex auslösen
nannte er seine Gewalttätigkeit an dem gerade geboren Leben. Wer
sollte ihn auch dafür verklagen – das wusste der Bursche bestimmt und
so spürte ich deutlich einen anhaltenden Schmerz an der Stelle, an der
seine Hand aufgetroffen war ohne etwas dagegen machen zu können.
Die Eltern ließen diese Tat ungestraft – ja die bedankten sich sogar bei
dem gewalttätigen Mann für seine Prügelaktion.
Monate später hat dann ein anderer Wohltäter dieser Gesellschaft mich
fast ersäuft mit Wasser – in einer Kirche. Alle schauten zu als mir das
Wasser über den Kopf geschüttet wurde und auch noch in die Augen lief.
Dass ich deshalb meinen Unwillen zeigte und anfing zu heulen was die
Lungen hergaben, brachte diesen Mann nicht davon ab, sein Werk zu
vollenden. Wieder halfen meine Eltern nicht dabei, mich von dieser
Tortur zu befreien – denen war es offensichtlich nur mehr als peinlich
dass ich mich lautstark gegen diesen Wasserangriff wehren wollte. Von
dem Tag an wusste ich auch meinen Namen: Benjamin Julius Weigg.
Und noch etwas wusste ich ab dem Tag: Die vielen Leute um mich
herum konnten eigentlich gar nicht so intelligent sein wie sie sich gaben
– die konnten nicht einmal meinen Namen aussprechen und nannten
mich einfach nur Benni.
Was war das für eine Zeit als Baby. Hilfe nein, da darf ich gar nicht mehr
dran denken. Onkel Wolfgang, Tante Jennifer kamen fast jeden Tag zu
Besuch, sie wohnten genau gegenüber meinem Elternhaus.
„Ja wo ist er denn?“ - „Ja wo ist denn der kleine Spatz?“ - die meinten
mich in meinem kleinen Bettchen. Waren die eigentlich bescheuert? Ich
lag doch direkt, und bestimmt für jeden gut sichtbar, vor ihnen in dem
Bettchen das mit Gitterstäben umgeben war. Zum Schutz dass mir nichts
passieren würde, durch den Familienhund, oder dass mich unsere
Hauskatze nicht davon schleifte, und nicht als Gefängnis gedacht –
waren die Gitterstäbe. „Ja wo ist er denn?“. Das ging manchmal
nervtötend lange, diese unnötige und dämliche Fragerei. Eine Brille wäre
gut für die beiden – ich konnte leider noch nicht sprechen,
beziehungsweise hatte es noch nicht versucht.
Mein Vater Eduard war bei der Arbeit, musste das Geld für die Familie
verdienen. Meine Mutter nannte ihn immer liebevoll Eddi – meist wenn
sie etwas kaufen wollte und er in Zahlemannstimmung gebracht werden
musste. Mein Vater war recht intelligent und wusste sogleich, dass
meine Mutter wieder mal etwas größeres kaufen wollte, wenn er abends
heimkam und das Essen besonders liebevoll auf dem Tisch angerichtet
stand. Das Geld wurde am Monatsende immer recht knapp. Meine
Mutter Veronika hatte deshalb einen kleinen Nebenjob als
Fertigungshelferin in einer ortsansässigen Firma angenommen. Onkel
Wolfgang besaß eine eigene Designerfirma, zusammen mit seiner Frau
Jennifer und hatte sich bereiterklärt, tagsüber ein wenig auf mich
aufzupassen während meine Mutter bei der Arbeit war. Er brachte immer
seinen Laptop mit um mit ihm seine grafischen Entwürfe zu konstruieren.
„Happy, Happy, Happy für den kleinen Spatz!“ - und schon hatte ich
einen fürchterlich schmeckenden Brei mit einem Löffelchen in den Mund
geschoben bekommen. „Gutes Hamm, Hamm“ - und sogleich war der
nächste Löffel von dem Zeug in meinen Mund gestopft. Hamm Hamm
war nicht gut – schmeckte irgendwie scheußlich – aber man brauchte es
zum wachsen, zum groß und stark werden. Die Erwachsenen
bezeichneten offensichtlich alles als Hamm Hamm was sie selbst nie
mehr freiwillig essen würden. Man, wäre ich froh, wenn ich endlich auch
erwachsen sein könnte und endlich dieses scheußliche Zeug nicht mehr
essen müsste. Natürlich musste die ganze angewärmte Portion an mich
verfüttert werden – ich war ja schließlich noch der Kleinste in der Familie
und musste kräftig wachsen.
Der Onkel war meiner Meinung nach doch ein bisschen intelligenter als
seine Frau, der wusste inzwischen genau, dass ich den Brei irgend wann
wieder herauswürgen musste und dass jedesmal hernach
Kleiderwaschen angesagt war.
Mein Sprachzentrum schien immer noch nicht zu funktionieren – die
Formulierung von Wörtern gelang einfach nicht so, wie ich es wollte.
Schade, wenn es funktioniert hätte, könnte ich meine Mutter oder die
Tante davor warnen, dass kleine Babys nach dem Essen nicht so
herumgeschaukelt werden wollen bis sie kotzen nur damit sie ein
Bäuerchen machen müssen.
Das war wirklich eine schwere Zeit, so als Kleinkind den ganzen lieben
langen Tag die angeblich so intelligenten Erwachsenen ertragen zu
müssen. Immerhin nahmen sie es nicht so tragisch, wenn die Windel
wieder mal im ungünstigsten Augenblick gewechselt werden musste.
„Hat der kleine Schatz in die Windel gemacht?“, war die Frage der
Mutter, obwohl der Hund und die Katze ob dem Geruch bereits das weite
draußen im Garten gesucht hatten. „Muss man Windel wechseln beim
kleinen Schatzi?“, war die häufigste Frage gleich danach – und meist
mehrmals. „Ja was denn sonst“, hätte ich liebend gerne zurückgefragt,
„das zwickt ja schon überall, und die Haut schreit förmlich nach
Penatenpuder“ - ging aber noch nicht wegen dem Sprachzentrum
welches erst trainiert werden musste. Statt der gedachten Antwort kam
leider nur Geplapper aus meinem Mund, welches Gottseidank meine
Mutter offensichtlich als klares „ja“ interpretierte .
War das nervig, diese lustigen Fragen der Erwachsenen ohne eigentlich
eine Antwort zu erwarten: „Ja was macht er denn?“, wenn ich versuchte,
meine Langweile an den Spielsachen abzureagieren die mir meine
Mutter mit einer Schnur über dem Kinderbett aufgehängt hatte. Die
sahen doch, dass ich versuchte die aufgefädelten Figuren mit den
Händen zu greifen und zu bewegen. Wenn man dies mit einem Tier
veranstaltet wird man bestimmt wegen Tierquälerei bestraft – obwohl,
mache unterhielten sich mit dem Hund und der Katze der Familie
genauso doof. Der Katze war es egal – die ignorierte dieses blöde
Geschwätzt ganz einfach. Der Hund dagegen freute sich und wedelte mit
dem Schwanz wenn er von jemand auf diese Art angesprochen wurde.
So ein dummer Vierfüssler!
Endlich war es soweit, ich konnte laufen und sprechen – war vor kurzem
zwei Jahre alt geworden. Eines hatte ich inzwischen schon
herausgefunden: Die anderen Kinder in meinem Alter verhielten sich
allesamt recht merkwürdig. Denen schien der Schwachsinn der
Erwachsenen so richtig zu gefallen. Wenn die zehnmal oder mehr
gefragt wurden: „ Ja wo ist denn mein kleiner Liebling?“, dann freuten sie
sich jedesmal und liefen zu ihrer Mutter wie ein dressierter Hund.
Manche konnten noch gar nicht laufen – die robbten auf ihren Knien und
Ellenbogen durch die Gegend wie die Soldaten in den Kriegsberichten
beim Fernsehen. Deren Sprachzentrum schien ebenfalls etwas länger zu
brauchen bis es richtig funktionierte. Um sich mit ihnen unterhalten zu
können musste ich zusätzlich eine primitive Babysprache lernen.
Manchmal bekam ich sogar mit, dass heranwachsende Jugendliche
welche schon jahrelang in die Schule gingen, nicht viel mehr als diese
Primitivsprache beherrschten. Dafür gab es bei den Erwachsenen einen
Fachbegriff: SMS nannten sie diese Form der Kommunikation.
Nach meinem fünften Lebensjahr wurde mir zum ersten mal so richtig
bewusst, dass sich eigentlich nicht die anderen Kinder merkwürdig
verhielten, sondern dass ich es war, der nicht den üblichen „Normen“
eines Kindes in diesem Alter entsprach. Meine Eltern waren in letzter
Zeit immer nachdenklicher geworden, seit der Diskussion, wann ich
endlich in die Schule gehen durfte um richtig etwas lernen zu können.
Der Kindergarten war inzwischen recht langweilig geworden – mit den
anderen Kindern konnte man sich nicht richtig unterhalten – die
verstanden meist gar nichts wenn ich von ihnen etwas wissen wollte
oder wenn ich ihnen erklären wollte, was ich neues entdeckt hatte.
Mein Vater besaß viele Bücher über Physik und Astrologie. Natürlich
hatte er sich anfangs dagegen gesträubt, dass ich mit diesen teuren
Büchern spielen durfte. Aber ich wusste inzwischen, wie ich bei meiner
Mutter erreichen konnte, dass sie mir so manchen Wunsch erfüllte.
Tarnung war angesagt. „Benni Buch haben will“, war der Zaubersatz. Ich
fand schnell heraus, dass wenn man so einen Schwachsinnssatz lange
genug wiederholte und dann auch noch anfing irgend wann richtig kräftig
loszuheulen, dann gaben die Erwachsenen meist nach und man bekam
was man wollte. Natürlich hätte ich meine Mutter einfach fragen können
„Darf ich das Physikbuch des Vaters bekommen um darin lesen zu
können wie die Quantenphysik funktioniert?“ - aber das funktioniert nicht
– so etwas schockierte die Erwachsenen. So etwas ähnliches hatte ich
einmal bei einer Fernsehsendung probiert die meine Eltern sich ansahen
und glaubten, ich sei derweil mit spielen beschäftigt. Ich habe gefragt, ob
ich die Fortsetzung dieser „Sexualaufklärung“ anschauen darf – mit dem
Ergebnis, dass beide Eltern entsetzt beschlossen, dass ich nie wieder in
der Nähe sein darf wenn „Erwachsenenfilme“ im TV laufen. „Wenn der
Kleine solche Dinge vom Fernsehen lernt, nachzuplappern, dann sind
wir ja blamiert“, argumentierte meine Mutter ihre Entscheidung. Dabei
war die Sache doch überhaupt nicht peinlich, es ging lediglich um die
Fortpflanzung des Menschen und seiner biologischen Abstammung. Die
nächste Sendung wäre gewesen, wie der Mann der Frau an den Puschel
geht und wie dabei neues Leben entsteht. Hätte ich doch nur nicht
gefragt sondern einfach nur zugeschaut.
Da musste ich wohl oder Übel meine Neugier mit den Büchern stillen.
Mein Vater war ganz und gar nicht begeistert, am Abend, als er müde
von der Arbeit nach hause kam, zu sehen, dass sein teures Buch zum
Kinderspielzeug umfunktioniert worden war. Erst als er sich vergewissert
hatte, dass seinem Buch nichts bei der Spielerei geschehen war, gab er
endlich Ruhe. „Sieh doch nur wie ihm die Bilder gefallen“, argumentierte
meine Mutter um den Vater weiter zu beschwichtigen. Natürlich war da
schon ein bisschen Eigennutz meiner Mutter dabei – so hatte sie Ruhe
vor meinem Geheule weil ich etwas nicht bekommen hatte.
Endlich war es soweit, die Einschulung mit sechs Jahren stand bevor.
Warum ausgerechnet meine Eltern für meine Einschulungsqualifizierung
einen Psychologen benötigten war mir zu der Zeit ein Rätsel.
Intelligenztest nannte sich die gesamte Prozedur. Da wurde doch
tatsächlich festgestellt, ob ich schon für die erste Klasse geeignet sei.
Der Psychologe stellte recht lustige Fragen und ich hatte wohl schneller
herausgefunden als er, dass ich ihm vermutlich in Puncto Intelligenz weit
überlegen war. Natürlich gab ich ihm nur die Antworten, die ausreichten
um den Test positiv verlaufen zu lassen. Außenseiter werden in der
heutigen Gesellschaft meist nicht so gut behandelt – also war Vorsicht
geboten.
„Autistische Züge – aber trotzdem schultauglich“, lautete seine
Diagnose. Von mir hätte der Bursche kein Examen bekommen – so
einfach wie der Bursche als angeblicher Spitzenpsychologe zu
manipulieren war. Aber egal – ich hatte erreicht, was ich erreichen wollte
und durfte die Schule besuchen.
Neben der Schule forschte ich natürlich viel im Internet – Tausend
Fragen benötigten tausend Antworten. Der Freibrief des Autismus
machte während der Schulzeit vieles möglich, um in der Gesellschaft
nicht weiter aufzufallen.
Kapitel 2
Das Geheimnis der Menschheit
Man konnte sehr viel in der Schule lernen – und nebenher im globalen
Datennetz noch viel, viel mehr.
Ich war inzwischen 16 Jahre alt geworden, stand kurz vor der
Schulabschlussprüfung. Die anstehende Prüfung war praktisch ein
„Klacks“ die Fragen einfach und ohne viel Anstrengung lösbar.
Es war ein recht warmer Tag gewesen und in der Nacht herrschten noch
backofenartige Temperaturen im Haus. Die Fenster waren geöffnet um
etwas kühle Luft in die Zimmer strömen zu lassen. Meine Eltern hatten
sich im TV eine Sendung über Afrika und dessen Menschen angesehen
und waren jetzt in eine Diskussion vertieft, wie man den armen Leuten
dort helfen konnte. Das lenkte sie vermutlich von ihren eigenen Sorgen
ab, wie sie künftig das Heizöl bei den gestiegenen Preisen bezahlen
sollten.
Ich begab mich wieder einmal im Internet auf die Suche, neuste
wissenschaftliche Daten finden zu können. Mein persönlicher
Datenspeicher war inzwischen auf viele Terabyte Größe angewachsen.
Neuste
Forschungen,
Querverweise,
Möglichkeiten,
Thesen,
Vermutungen, Erkenntnisse, jede noch so kleinste Idee irgend eines
Science Fiction Schreibers – alles lag vor meinem geistigen Auge und
wartete darauf entflechtet zu werden um eine allgemeingültige Lösung
finden zu können. Es waren viele kleine Puzzlestücke die darauf
warteten, in der richtigen Reihenfolge zusammengesetzt zu werden.
Plötzlich lag die Lösung kristallklar vor mir: Es gab eine globale Antwort
auf alle Fragen der Menschheit. Einfach und simpel – und doch zu tief
versteckt, wenn man sich nicht nach allen Richtungen öffnete. Albert
Einstein hatte den Anfang gemacht – das Unmögliche einmal als möglich
anzuerkennen und als Basis zu verwenden.
Für die Wissenschaft stand inzwischen fest, dass alles mit dem Urknall
begonnen hatte. Eine unvorstellbar dichte Energie als Ursprung, in der
alle bekannten Elemente im Grunde genommen schon versteckt waren
die es heute gibt. Durch Wandlung der Energie in Materie und deren
Ausdehnung sind letztendlich die Sterne und die Planeten entstanden.
Nie hat sich ein Wissenschaftler gefragt, was in dieser gewaltigen
Energie noch alles versteckt gewesen ist. Man hat die Forschung einzig
und allein darauf beschränkt, wissen zu wollen, woher alles „sichtbare“
oder „nachweisbare“ kam. Aus reiner Energie wurden die ersten freien
Elemente geboren, daraus entstanden die ersten Wasserstoffatome. Aus
der Verschmelzung von Wasserstoffatomen wurden Heliumatome. Diese
verschmelzen zu Kohlenstoffatomen. Danach entsteht Eisen, und so
weiter. Die Wissenschaft behauptet, dass jedes Atom, aus dem ein
Körper besteht, in der Anfangszeit des Urknalls schon geboren worden
ist.
Die Urenergie wurde in Materie und Antimaterie umgewandelt – über
einen sehr langen Zeitraum. Materie und Antimaterie war im Wettstreit
ums Überleben. Traf Antimaterie auf Materie, dann wurden beide in
Energie zurückverwandelt. Der Anteil der positiv geladenen Materie
überwiegte – die heutigen Sterne und Planeten sind letztendlich aus ihr
entstanden.
Was war noch in dieser Energie versteckt und ist bis in die heutige Zeit
transportiert worden. Die Urenergie aller Gedanken die es gibt – und mit
ihr das Wissen über Zeit und Raum.
Die Ausdehnung nach dem Urknall fand offensichtlich mit millionenfacher
Lichtgeschwindigkeit statt. Begründet darauf, dass zuvor im Weltall das
Nichts herrschte und nur das „Nichts“ sich mit einer höheren
Geschwindigkeit als Licht ausbreiten kann.
Was ist aber noch schneller als das Nichts? Der Energiefluss eines
Gedankens. Eine weitere Energieform neben Materie und Antimaterie
und aller bekannten Energien, die in der Lage sind, Raum und Zeit in
Nullzeit zu überwinden. Kein materielles Raumschiff kann jemals eine
bestimmte Grenze der Geschwindigkeit überschreiten. Der Gedanke
muss sich mit dieser Grenze nicht herumschlagen – es gibt keine
Grenzen für Gedanken.
Bis jetzt nur eine meiner Thesen aber doch sehr wahrscheinlich: Das
„Nichts“ mit der gewaltigen Urenergie ist höchstwahrscheinlich aus der
reinen Gedankenenergie geboren worden. Sie stellt die kleinste Einheit
aller vorkommenden Teilchen im gesamten Weltall dar und ist doch
letztendlich an Größe allem anderen überlegen.
Warum hat noch nie ein Mensch seine Gedanken weiter als an die
Grenzen des Universums lenken lassen? Weil er dahinter nichts
vermutet und es deshalb als sinnlos erachtet. Da wäre genauso, wie
wenn ich auf dem Meer keine Insel vermute und deshalb auch keine
Ausschau nach ihr halte.
Natürlich ist kein Mensch auf so eine Gedankentransformation geschult
oder darin geübt – wozu auch? - er hat sie ja noch nie als notwendig
erachtet.
So wie sich die zu feinstem kosmischen Staub verteilte Materie im All
durch die Kraft der Gravitation zu einem Stern oder Planet vereinen
kann, so ist es auch möglich, eine Verbindung oder Vereinigung von
Gedankenenergien herzustellen. Dabei spielen räumliche Entfernungen
oder die Zeit keine Rolle – es gibt keinen begrenzten Raum oder eine
zeitliche Frist für Gedankenenergie.
Mit dieser Erkenntnis im Hintergrund lassen sich viele Geheimnisse der
Menschheit auf einfache Art und Weise erklären. Warum konnten die
Astronomen der Vorzeit ohne die heutige Technik den Weltraum doch so
präzise wie kaum vorstellbar beschreiben? Beobachteten sie nicht nur
mit den Augen, sondern auch mit der geheimnisvollen
„Gedankenenergie“ aus der Zeit des Urknalls? Warum gab es immer
wieder einzelne Wissenschaftler, die ihrer Zeit weit voraus waren und
Ideen entwickelten, von denen die zu ihrer Zeit lebenden Menschen
absolut nichts begriffen? Vor biblischen Zeiten gab es nur eine Sprache
unter den Menschen – war es eine Art „Sprachübertragung“ mit
Gedankenenergie – Telepathie - deren „Sprachmuster“ im gesamten
Universum gleich sein muss? Sind die Träume der Menschen vielleicht
die bewusste Wahrnehmung von Gedankenenergien anderer Menschen
oder anderer, von der Erde weit entfernter Wesen? Woher kommen die
Abbilder von Kreaturen die von Schriftstellern beschrieben werden –
manchmal sogar von mehreren Personen zur gleichen Zeit an völlig
verschiedenen Orten ohne dass der eine mit dem anderen je Kontakt
bekommen hat? Ist dies alles ein Zufall oder doch die logische Erklärung
dafür, dass es diese noch keinem Wissenschaftler bekannte Energieform
der Gedanken doch schon seit Urzeiten gibt und man sie eigentlich nur
nutzen muss um sein Wissen zu vergrößern, oder Kontakt mit weit
entfernten Wesen aufnehmen zu können?
Das ist schon lustig: Während meine Mitschüler sich momentan mit dem
Lernen auf die Abschlussprüfungsfragen herumschlagen, sitze ich in
meinem Zimmer und zerbreche mir den Kopf, wie ich eine Energieform
nachweisen kann, deren Ursprung und Vorhandensein bis jetzt in
keinem einzigen Buch der Wissenschaftler erwähnt wird. Außerdem
muss ich noch einen passenden Namen für die neue Energieform finden.
Vielleicht wäre SupraQuantEnergie nicht schlecht – kurz SQE genannt.
„Bleib nicht zu lange auf“, wird meine „Forschung“ unterbrochen. Meine
Mutter macht sich Sorgen wegen der morgen stattfindenden
Abschlussprüfung. Dabei habe ich durchaus recht gute Schulnoten. Da
in unserer Klasse Streber so richtig fies gemoppt werden, hielt ich mich
bisher bei Klassenarbeiten immer ein wenig zurück, um nicht zu dem
Streber-Kreis zu gehören. Bei der morgigen Prüfung ist es allerdings
nicht mehr von Nöten mich in irgend einer Art und Weise der Klasse
anzupassen zu müssen – ich sehe die Burschen hernach eh nicht mehr.
„Ja, ist ja schon gut, ich gehe gleich zu Bett“, beruhige ich meine Eltern.
Nachdem ich das Licht ausgeschaltet habe, aber noch nicht
eingeschlafen bin, kann ich das Gespräch meiner Eltern durchs
geöffnete Fenster hören.
Mein Vater klingt besorgt. „Was soll bloß aus dem Jungen werden?“,
äußert er nachdenklich, „träumt den ganzen Tag vor sich hin und hat fast
keine Freunde“. „Jetzt warte es doch ab, was aus der Prüfung wird“,
versucht meine Mutter zu beruhigen. „Vielleicht können wir ihn auf eine
weiterbildende Schule schicken wo man in der Lage ist, den Autismus
vollends in den Griff zu bekommen“.
Ich könnte fast wetten was jetzt kommt. „Und woher nehmen wir das
Geld, das eine solche Schule kostet?“, will mein Vater wissen. Mutter ist
da viel spontaner und überlegt meist erst hinterher wie man alles
finanziell verkraften kann: „Das wird auch irgend wie gehen –
Hauptsache er lernt hernach einen richtigen Beruf der ihm Spaß macht“.
Mein Vater ist ganz klar der realistischere Denker von den Beiden. „Du
weist doch ganz genau dass der Junge immer mit seinen Gedanken bei
der Physik und Astrologie ist. Dazu müsste er lauter Einser bei der
Abschlussprüfung schaffen. Wir müssen realistisch sein und uns
vielleicht sogar beraten lassen, wie es mit ihm weitergehen soll“. Mutter
will beruhigen. „Nun mach dir keine unnötigen Sorgen und warte einfach
die Prüfung ab“. Ich habe in ihrer Stimme allerdings auch einen Hauch
von Besorgnis herausgehört.
Stille, nur dass Zirpen der Grillen im Garten ist zu hören. Meine Eltern
sind seltsam schweigsam geworden – sie scheinen sich wirklich Sorgen
um das Gelingen der morgen beginnenden Prüfung zu machen.
Na, die werden sich gewaltig wundern – schließlich kann ich jetzt endlich
zeigen, über welches Wissen ich wirklich verfüge. Mit diesem fast
belustigenden Gedanken schlafe ich ein.
„Aufstehen, Frühstück“, ruft die Stimme meiner Mutter. Sie ist ein wenig
im Stress weil sie selbst ja nachher auch noch zur Arbeit muss. Um 9:00
Uhr fangen die Prüfungen an, jetzt ist es kurz vor 8:00. Die Schule ist
gerade mal 15 Minuten von unserer Wohnung entfernt – da kann ich mir
ruhig Zeit lassen. „Los, beeile dich, du darfst heute nicht zu spät
kommen“, mahnt meine Mutter und packt die Pausenbrote ein.
Während ich meine Tasse Milch trinke und genüsslich auf dem
Marmeladenbrot kaue, muss ich meiner Mutter Antwort geben, während
sie nachfrägt, ob ich alles in meine Schulmappe gepackt hätte was
heute gebracht wird. „Natürlich habe ich alles eingeräumt – reg dich nicht
so auf“, versuche ich die nervige Fragerei meiner Mutter zu
unterdrücken.
„Die ist wirklich gut“ , rufe ich meiner Mutter vom Esszimmer aus zu
während sie inzwischen in der Küche herumwerkt. „Wer ist gut?“, kommt
eine nervöse Gegenfrage aus der Küche zurück. „Na, die
selbstgemachte Himbeermarmelade von Oma Berta natürlich“, wie kann
man denn so etwas fragen. Den letzten Teil rufe ich nicht laut, sondern
denke es nur. „Ob wir da noch ein Glas davon bekommen können?“, will
ich von meiner Mutter wissen. „Hast du sonst keine anderen Sorgen als
an die Himbeermarmelade zu denken? Jetzt mach schon dass du
endlich fertig wirst“. Das war schon eine Spur energischer als zuvor,
diese Antwort meiner Mutter aus der Küche. „Dass die älteren Leute sich
immer gleich über alles so aufregen müssen“ – murmle ich vor mich hin.
Meine Mutter darf es nicht hören, sonst wird sie womöglich wirklich noch
böse.
Um 8:45 bin ich in der Schule – und so wie es aussieht nicht der Letzte
der angekommen ist. Meine Mitschüler haben teilweise schon ihren Platz
in dem großen Saal eingenommen. An allen Plätzen stehen kleine
Namensschilder und ich finde meinen Namen ganz vorne in der ersten
Reihe. „Viel Glück und halte die Ohren steif - das wirst du schon
schaffen“, ruft mir meine Mutter vom Eingang des Raumes noch zu
bevor sie sich zu ihrer Arbeitsstelle begibt. Ich kann ein Grinsen nicht
mehr unterdrücken – meine Mutter scheint wegen der Prüfung um
einiges aufgeregter zu sein als ich.
Der Lehrer hat es bemerkt und schreitet sofort in meine Richtung. An die
zwei Meter groß, steht er vor mir wie ein Berg. „Dir wird das Lachen
heute schon noch vergehen – die Jugend hat einfach keinen Respekt
mehr vor den Eltern heutzutage“, mahnt er mich, die ganze
Prüfungsgeschichte etwas ernster zu nehmen. Sein Blick wird richtig
durchdringend als er mich ansieht. „Hoffentlich hast du auch etwas auf
die Prüfung gelernt und nicht nur deinen verrückten Gedanken
nachgehangen“. Ich tue so, als ob ich beeindruckt wäre. Diese Geste
stimmt den Hünen versöhnlich. „Streng dich an, du kannst mit einem
guten Prüfungsergebnis deinen Eltern eine große Freude bereiten“, setzt
er in versöhnlichem Tonfall nach. Er dreht sich um wie wenn er gehen
wollte, verharrt einen Moment und sagt dann
etwas völlig
überraschendes. „Wenn du etwas nicht verstehst oder lesen kannst von
den Prüfungsfragen, dann melde dich“.
Es ist kurz vor 9:00 – und eine fast unerträgliche Spannung liegt in der
Luft. Einige meiner ach so coolen Klassenkameraden hängen wie ein
Häufchen Elend auf ihren Stühlen und scheinen immer noch mit dem
Schicksal zu hadern, jetzt so eine schwere Prüfung absolvieren zu
müssen. Ich blicke kurz zu unserem offiziellen Klassenstreber. Er
entgegnet meinen Blick mit einem Gesichtsausdruck der deutlich Mitleid
gegenüber mir zeigt. Ein wenig blasser als sonst ist er allerdings auch.
9:00 – Die Prüfungsaufgaben werden verteilt. „Nicht schnell, sondern
sorgsam“. Dieser Satz eines meiner Klassenlehrer ist mir noch immer im
Gedächtnis haften geblieben.
Es ist seltsam ruhig in dem Saal. Ab und zu hört man ein tiefes aufatmen
– einer hat vermutlich die Lösung zu einer Aufgabe gefunden. Ein
stöhnendes Geräusch mit panischem Unterton kommt aus einer anderen
Ecke, wo vermutlich noch die Lösung in weiter Ferne schwebt und der
Zeiger der großen Uhr im Saal immer weiter und weiter rückt.
Die Aufgaben sich recht einfach. Die könnte ich glatt in der halben Zeit
machen, darf aber trotz allem nicht leichtsinnig sein. Ich weis genau, wer
von den Lehrern die Prüfung hernach auswerten wird. Ich weis auch
ganz genau, dass jeder der Lehrer eine bestimmte Art der
Lösungswegaufzeichnung wünscht. „Es recht zu machen jedermann, ist
eine Kunst die niemand kann“ – sagt ein altes Sprichwort. Nun habe ich
aber nicht als Prüfer „jedermann“ sondern Lehrer, deren Eigenheiten ich
im Laufe der Jahre eingehend studieren konnte und mich deshalb voll
darauf einstellen kann. Zeit besitze ich genug, um auch einmal zwei
mögliche Lösungswege auf den Prüfungsbögen darzustellen. Alles muss
in gestochen sauberer Schrift ausgeführt werden – einer der Lehrer legt
auf dieses Merkmal besonderen Wert.
Eine viertel Stunde vor offiziellem Schluss bin ich mit dem ersten
Aufgabenpaket fertig. Die Aufsicht hat es bemerkt. „Wer fertig ist kann
schon abgeben, muss sich aber still verhalten um die anderen nicht zu
stören“, ordnet einer der Lehrer in verhaltenem Tonfall an.
Mehre Prüfungsblöcke am ersten Tag, die gesamte Prüfung dauert drei
Tage.
Als ich am ersten Tag nach hause komme wollen die Eltern natürlich
sofort wissen wie es gelaufen ist. „Gut“, entgegne ich wahrheitsgemäß.
„Wirklich?“ - Mein Vater ist misstrauisch. So ein Dorf ist klein – da weis
jeder sofort alles wenn etwas passiert ist. „Und warum hast du dann
immer als erster deine Prüfungsbögen abgegeben?“, will er von mir
wissen. „Mir ist einfach nichts mehr eingefallen“, versuche ich ihn zu
beruhigen. Es nützt wenig. „Du musst deine Zeit voll nutzen“, mahnt er
mich. „Nun lass ihn doch in Ruhe, die Prüfung war doch Stress genug“,
hilft mir meine Mutter aus dem Disput mit dem Vater herauszukommen.
Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber es ist wahr: Meinen Eltern
zu erklären dass die Prüfung gut verläuft ist wirklich anstrengender als
die Prüfung selbst.
Tag zwei. Manche meiner Klassenkameraden sind noch deutlich vom
Stress des Vortrags gezeichnet. „Na Autisti, hast gestern mal wieder voll
neben dir gehangen“, muss ich mir als Lästerei gefallen lassen. Na der
Bursche wird sich aber wundern wenn die Ergebnisse bekannt gegeben
werden. „Schlaf doch gleich draußen auf dem Gang, dann störst du
wenigstens niemand mit deinem Geschnarche“, lästert nun auch noch
ein anderer. „Jetzt lasst doch den Benni endlich in Ruhe und seit froh
dass wenigstens ihr so fit drauf seit“, hilft mir Simone. Ein anständiges
Mädchen, sehr strebsam und überaus intelligent – und sieht sehr gut
aus. Sie ist zwar sonst gegenüber anderen sehr zurückhaltend, aber
solche Ungerechtigkeiten kann sie einfach nicht ausstehen. Als einer
dieser Burschen sie einmal vor der ganzen Klasse eine Streberpussy
genannt hat, hat sie ihm so eine auf die Gosche gehauen, dass er
tagelang mit einer geschwollen Lippe herumlaufen musste. Von dem Tag
an getraute sich niemand mehr über sie zu lästern. Das lustige war, dass
der Lehrer ihr in der Pause erklären musste was dieser Ausdruck
überhaupt bedeutet.
Die Aufgaben sind auch heute mehr als leicht zu lösen. Gestern habe ich
gelernt wie man Unbequemlichkeiten aus dem Weg gehen kann – ich
gebe heute erst ab, nachdem die Zeit offiziell abgelaufen ist. Das spart
abends daheim Erklärungen.
„Gut gemacht!“ lobt abends der Vater zuhause. Woher der jetzt schon
wieder weis was in der Schule bei der Prüfung passiert ist, ist mir ein
Rätsel.
Tag drei. Die letzten Prüfungsteile können fast keinen mehr schrecken.
Wer bis jetzt alles richtig gemacht hat, kann auf ein recht gutes Ergebnis
hoffen. Diejenigen allerdings, die bis jetzt nicht viel wussten, müssten
eigentlich ein Wunder vollbringen um mit den restlichen Fragen die
Gesamtprüfung noch bestehen zu können.
12:00 – Die Prüfung ist vorbei. Ein tiefes aufatmen geht durch die
Klasse. Natürlich wird jetzt fleissig darüber spekuliert, wer wohl die
besten Noten bekommt, wer es gerade noch so geschafft hat, und wer
durchgefallen ist. Manche wissen sogar noch die richtigen Ergebnisse.
Ein plötzlich aufkommender heftiger Streit hat seine Ursache darin
begründet, dass zwei Prüflinge von sich behaupten, bei einer besonders
schwierigen Rechenaufgabe das Ergebnis richtig getroffen zu haben.
Natürlich hat jeder etwas anderes herausbekommen und will nun
unbedingt recht bekommen. Andere, welche dem Streitgespräch
zugehört haben, werden blass, sie haben wieder ein anderes Ergebnis
im Gedächtnis behalten. „Jetzt ist aber Ruhe hier draußen“, mahnt ein
Lehrer, als sich die beiden sogar an den Kleidern greifen und richtig
raufen wollen. „In einer Woche bekommt ihr die Ergebnisse, da braucht
ihr nicht zuvor unnötig zu raufen“, versucht er weiter zu schlichten. „Los,
geht jetzt nach hause!“, beendet er endgültig den Disput der beiden
Raufbolde.
Eine Woche ist eine lange Zeit wenn man auf etwas wichtiges wartet. Ein
bisschen Aufregung kam bei mir natürlich auch in dieser Zeit auf – nicht
wegen der Prüfungen, sondern wegen der Erkenntnis, dass es außer
den bekannten Energien noch eine bis jetzt unbekannte Energieform
geben musste.
Bekanntgabe der Prüfungsergebnisse. In der großen Aula der Schule
war alles vorbereitet worden. Es gab etliche Belobigungen und für die
drei besten einen Schulpreis. Die Eltern aller Schüler waren auch
eingeladen worden.
Karlheinz Schulz hat seine Eltern anscheinend zu hause gelassen oder
sie sind getrennt in den Saal gegangen. Er ist der Bursche, der von
Simone eine auf sein freches Mundwerk bekommen hat. Er drängt sich
am Eingang der Aula an mir und meinen Eltern vorbei in den Saal. „Los
Autisti, setz dich mit deinen Alten einfach ganz in die hinterste Reihe –
du bist doch eh durch die Prüfung gerauscht ohne zu bremsen“, flüstert
er mir so laut ins Ohr dass ein Teil davon meine Mutter noch hören kann.
„So ein ungezogener Flegel“, entfährt es ihr laut. Die Mutter eines
anderen Kindes dreht sich um, meiner Mutter ist es oberpeinlich. „Da
haben sie allerdings recht, für solche Frechheiten hätte man uns früher
die Ohren lang gezogen“, entrüstet sich die andere Mutter.
Es dauert ein Weilchen bis Ruhe im Saal eingekehrt ist. Nun werden die
Ergebnisse bekannt gegeben.
„Von den 66 Prüfungsteilnehmern haben die Prüfung 62 Schüler
bestanden. Es gibt 12 Belobigungen und drei Schulbestenehrungen.
Eine besondere Überraschung in diesem Jahr ist ein herausragender
Schüler der die gesamte Prüfung mit 100 Punkten absolviert hat. Das ist
praktisch die bisher beste Leistung im gesamten Schulbezirk“. Ein
anhaltendes Raunen im Raum unterbricht die Rede des Direktors.
Manche der Schüler und auch einige Eltern blicken in Richtung des
Klassenstrebers. Willi Meier weis nicht so richtig, wie er sich verhalten
soll. Er ist sich ziemlich sicher, mindestens zwei Patzer bei der Prüfung
gemacht zu haben - und dies reicht eigentlich nur noch zu maximal 97
Punkten.
„Wir fangen nun an, die Namen derjenigen zu verlesen, die die Prüfung
bestanden haben, danach kommen die Schüler mit den Belobigungen
und zum Schluss die Bestenehrungen“, verkündet der Direktor.
Name für Name wird verlesen. Einige kämpfen mit dem Gefühl, zwar
froh darüber zu sein, die Prüfung bestanden zu haben, aber sind doch
enttäuscht, keine Belobigung zu bekommen.
Karlheinz Schulz ist wenig überrascht, als sein Name nicht vorgelesen
wird. Dass er eine Belobigung bekommt ist so gut wie ausgeschlossen.
Die Lehrer wollten allerdings die Namen der Durchfaller nicht öffentlich
verlesen – die waren schon gestraft genug.
Ich habe meine Eltern die ganze Zeit beobachtet – je mehr Namen
verlesen wurden ohne dass meiner dabei war, um so größere
Schweißperlen bildeten sich auf der Stirn meines Vaters.
Nun kamen die zwölf Belobigungen. Meine Mutter rutschte auf ihrem
Stuhl immer unruhiger hin und her. Sie sah mich an als ob die Welt
untergehen würde. Ich nahm es gelassen – ich kannte ja meine
Prüfungsleistung schon. Auch der Blick meines Vaters war auf mich
gerichtet. Wut? - Tatsächlich schien er so langsam wütend zu sein, dass
er mich nicht zu einem intensiveren Lernen gezwungen hatte. „So eine
Schande, einen Durchfaller in der Familie zu haben“ dachte er, sagte
aber nichts.
Die letzte Belobigung war an Marcel Talmann, den Bruder von Simone,
verteilt. Er hatte 94,1 Punkte bei der Prüfung erreicht und es schien
heute sein glücklichster Tag im Leben zu sein als er seine Eltern
umarmte und stolz die Urkunde zeigte. Die Laune meiner Eltern war
nicht nur bei Null, sondern weit darunter. Ich glaube, wenn der Saal nicht
so voll gewesen wäre hätte meine Mutter jetzt laut losgeheult vor
Kummer.
„Nun schreiten wir zur Bestenehrung“, verkündete der Direktor. Simone
Talmann wurde auf die Bühne gerufen. „Herzlichen Glückwunsch zum
dritten Platz bei den besten Schülern des Schuljahrabschlusses mit 95,4
Punkten“, wurde ihr die Urkunde übergeben. Sie freute sich natürlich
mächtig über diesen Preis.
„Und nun kommen wir zum zweiten Preis, mit 95,5 Punkten für den
Schüler Willi Meier“, rief der Direktor unseren offiziellen Klassenstreber
auf die Bühne. Er übergibt ihm die Urkunde mit den besten
Glückwünschen. „Das war wirklich recht knapp gewesen“ betont er, dass
es fast zwei zweite Plätze gegeben hätte.
„Nimm dir ein Beispiel an diesen Schülern“ flüstert mir mein Vater
wütend ins Ohr. „Das werde ich wohl niemals machen“, antworte ich
ebenso leise. Jetzt war mein Vater wirklich stinksauer und konnte sich
nicht mehr zurückhalten. Meine Mutter hat ihn im letzten Augenblick am
Arme gepackt um zu verhindern, dass er mir wirklich eine auf die Backen
haute ob dieser für ihn frech erscheinenden Antwort. Mein Onkel und
meine Tante sahen schon gar nicht mehr in meine Richtung – es war
ihnen wohl auch peinlich, dass bereits mehr als der halbe Saal wusste
dass ich durchgefallen sein musste weil mein Name nicht verlesen
worden war.
Der Direktor machte eine lange Pause bis er sich anschickte, endlich
den ersten Platz bekannt zu geben. Jeder war natürlich jetzt echt
gespannt, wer sich hinter diesem Platz verbarg – viele Möglichkeiten gab
es ja nicht mehr.
„Es war für alle eine ganz besondere Überraschung bei der Auswertung
der Prüfung, als wir diesen ersten Platz ermittelt haben. Die Ergebnisse
wurden sogar mehrfach nachgeprüft weil wir es bald selbst nicht glauben
konnten“, informierte er die Zuhörer im Saal. „Ich freue mich nun ganz
besonders, den ersten Platz mit 100,0 Punkte für den besten Prüfling
des Abschlussjahrgangs überreichen zu dürfen und bitte dazu Benjamin
Weigg auf die Bühne“.
Ein Königreich für eine Kamera - das Gesicht meines Vaters und meiner
Mutter hätte in diesem Augenblick fotografiert gehört.
Der Gang zur Bühne machte mir den Begriff „Spießrutenlauf“ das erste
mal so richtig deutlich. Die diversen Äußerungen konnte ich teilweise
verstehen.
Erstaunen,
Missgunst,
Anerkennung,
Lob,
Neid,
Bewunderung, Freude – alles konnte man daraus heraushören.
Beifall auf der Bühne stehend zu bekommen war mehr als ungewohnt –
dabei hatte ich eigentlich gar nichts besonderes geleistet sondern nur
meine Aufgaben gelernt. Wenn ich jemand aus dem See gefischt und
ihm das Leben gerettet hätte, dann könnte ich die ganze Prozedur ja
noch verstehen.
Ich bekam den ersten Preis überreicht und bedankte mich natürlich recht
herzlich dafür. Die Aufregung vor den vielen Leuten war echt schlimmer
als die Prüfung selbst. Die beiden anderen Schülern gratulierten mir, und
ich ihnen auch .
Im Hintergrund hörte ich den Direktor, wie er noch eine Information
weitergab. „Der Schüler mit dem ersten Preis wird auch noch zu der
Ehrung der Landesbesten eingeladen, und wir sind stolz an unserer
Schule, dass wir in diesem Jahr einen Schüler mit der höchsten
erreichbaren Punktzahl dorthin entsenden können“.
Ich sah meine Mutter in der hinteren Reihe dass sie angefangen hatte zu
weinen – vor Glück oder vor Erlösung, jetzt doch keinen Durchfaller in
der Familie zu haben. Ich hatte mir mit dieser angekündigten
Landesehrung einen mächtigen Stress eingehandelt – aber da musste
ich jetzt einfach durch.
„Hey, das müssen wir aber zusammen feiern“, machte Simone einen
Vorschlag. Da war ich sofort dabei. Partytermin am Samstagnachmittag
– damit waren meine Eltern bestimmt einverstanden. Das Leuchten in
den Augen von Simone schien einen aufregenden Nachmittag zu
versprechen.
Stress ohne Ende. Der Weg von der Bühne war lange und schwierig.
Händeschütteln ohne Ende – die Hälfte der Leute kannte ich gar nicht.
Endlich war ich bei meinen Eltern angekommen und eine innige
Umarmung entschädigte für den vielen Ärger der vergangen Tage und
dem Stress der letzten Stunde. „Wie hast du das nur fertig gebracht?“
wollte mein Vater immer wieder wissen. „Viel lernen bis alles richtig
verstanden ist – ganz einfaches Rezept“, verriet ich ihm.
Das war heute ein wirklich aufregender und guter Tag gewesen. Die
würden mich allerdings echt für verrückt halten wenn ich ihnen verraten
würde, dass mir die Einladung zu der Samstagsparty mehr gefallen hat
als diese Urkunde mit der angekündigten Landesbestenehrung. So ist
das Leben – das eine gibt es leider nicht ohne das andere.
Kapitel 3
Die Party
Ich konnte es fast nicht mehr erwarten bis es Samstags war. Ich war bis
jetzt noch nie zu einer Party eingeladen worden und freute mich schon
so richtig darauf, einen aufregenden Nachmittag erleben zu dürfen.
Natürlich gab es bei dieser Party im Elternhaus von Simone keinen
Alkohol – das war für Jugendliche streng verboten. Da achteten die
Eltern von Simone mit Argusaugen darauf, dass ja nichts ins Haus
gemogelt wurde was irgend wie alkoholischen Ursprung besaß.
Natürlich hatte ich schon einmal aus Neugier probiert, wie Alkohol
schmeckt. Meine Eltern waren abends ins Kino gegangen und ich
verfügte über eine sturmfreie Bude. Ich wusste, dass in einem Schrank
im Wohnzimmer einige Flaschen mit alkoholischen Getränken standen.
„Du darfst davon ja nichts trinken“ hatte mich meine Mutter ermahnt. Das
war allerdings erst der Moment, wo meine Neugier geweckt wurde.
Sterben konnte man ja nicht davon – sonst hätten die Erwachsenen
auch nichts davon getrunken. Ein Jugendlicher musste nur aufpassen,
dass er nicht zuviel davon kostete. Ich hatte herausgefunden, dass sich
die Verträglichkeit über das Körpergewicht berechnen ließ. Je mehr
jemand auf die Waage brachte, umso mehr Alkohol vertrug er
gewöhnlich bevor es gefährlich wurde.
Im Haus war es ruhig, der Kinofilm würde mehr als zwei Stunden dauern
– ich hatte Zeit. Vor allen Dingen würden es meine Eltern gar nicht
merken wenn ich den Alkohol probierte – ich lag ja schon lange im Bett
wenn sie nach hause kamen.
In dem Schrank standen auch so kleine Gläser herum – Schnappsgläser
mit 10mL Fassungsvermögen. Da konnte nach meinen Berechnungen
wirklich nichts passieren. „Echter 80% Strohrum“ stand auf der Flasche
welche ich für meinen Probierversuch ausgewählt hatte. Natürlich füllte
ich das kleine Glas nur bis zur Hälfte. Der Inhalt roch irgend wie so
seltsam komisch – ein bisschen nach dem Putzmittel welches der Vater
immer in der Garage verwendete – aber es war ja nur zum Probieren.
Ich nahm den ersten kräftigen Schluck – und bekam im nächsten
Moment keine Luft mehr. Es brannte fürchterlich im gesamten
Mundraum und mir schossen die Tränen in die Augen. Ich hatte
eigentlich nur einen Bruchteil von den Glasinhalt geschluckt, aber es war
wie wenn ich eine heiße Kartoffel verschluckt hätte. Das Brennen kroch
langsam die Kehle hinunter und im Magen breitete sich eine richtige
Hitze aus. Ich bekam nach einigen Sekunden immer noch keine Luft und
eine langsam aufkommende Panik brachte mich zum schwitzen.
„Etwas kühles trinken“, kam mir in den Sinn. Ich rannte zum Kühlschrank
und schnappte mir eine Packung Milch. Selbst nachdem ich einen Liter
kalte Milch getrunken hatte, brannte immer noch ein Höllenfeuer in
meinem Mund – aber ich konnte wieder richtig Luft holen. Jetzt war mir
richtig übel – vor Schock, oder wegen der vielen Milch.
Den Rest des Glasinhaltes leerte ich ins Spülbecken und spülte kräftig
mit Wasser nach, damit meine Mutter nicht entdecken konnte was ich
heute ausprobiert hatte.
Glück gehabt – dachte ich und wusste ab dem Moment, dass ich nie
mehr Alkohol probieren werde. Eine halbe Stunde später stellte sich
dann aber ein seltsames Gefühl ein. Der Alkohol zeigte nun seine zweite
Wirkung – im Blut. Das war recht seltsam. Ich hatte das Gefühl wie auf
Watte zu laufen und die Koordinierung der Bewegungen wollte einfach
nicht mehr so richtig gelingen. Hoffentlich wurde dieser Zustand nicht
noch schlimmer – dies hätte mich sofort verraten, wenn meine Eltern
nach dem Kinobesuch nach hause kamen.
Ich räumte das Schnapsglas und die Flasche wieder auf den alten Platz
im Schrank zurück – um die Spuren meiner verbotenen Ausprobe zu
beseitigen.
Eigentlich wollte ich noch im Internet ein paar Daten abrufen, aber der
Alkohol zeigte so eine starke Wirkung, dass ich beschloss, heute
ausnahmsweise recht früh zu Bett zu gehen.
Als ich die Augen schloss passierte etwas sehr seltsames: Ich sah
irgend welche Figuren wie wenn sie sich im Zimmer bewegen würden.
Nachdem ich die Augen wieder öffnete war der Spuk sofort vorbei. Noch
ein Versuch zu schlafen: Sofort nach dem schließen der Augen waren
die Gestalten wieder wie real zu sehen. Es war fast wie wenn ein Film
ablaufen würde.
Anfangs natürlich etwas geschockt von diesem seltsamen Geschehen,
war es irgend wann sogar mehr als interessant so ein Geschehen nur
mit den Gedanken „sehen“ zu können. Fast wie real kämpften da eine
Horde Krieger gegen urzeitliche Tiere die ich aber in dieser Form noch
nie zuvor in irgend einem Buch oder einem Film gesehen hatte. Irgend
wann bin ich dann aber doch richtig eingeschlafen – das war dann
praktisch das Ende dieses unfreiwilligen gesehenen Filmes.
Am nächsten Morgen war die Wirkung des Alkohols Gottseidank
komplett verflogen. Das Erlebnis mit dem „geistigen Film“ blieb mir
allerdings wie eingebrannt im Gedächtnis. Das war so real gewesen, wie
wenn es richtig passiert wäre.
Samstagvormittag. Meine Mutter hatte extra den Kleiderschrank
durchforstet um für mich die passenden Kleider auszusuchen. Meine
Auswahl allerdings fiel auf ein bisschen weniger „sonntägliche“ Kleidung
sondern auf bequeme „Alltagskleider“ bei denen es nicht so auffiel, wenn
mal ein bisschen Fett vom Grill daran haften blieb. „Man muss sich
anständig kleiden, wenn man eingeladen worden ist“, argumentierte
meine Mutter dafür, dass ich mich für ihre Auswahl entschied. „Bei der
Party wird im Garten der Familie Talmann gegrillt und auch ein paar
Spiele gemacht – da kann ich keine nagelneuen Kleider anziehen. Da
müsste ich einfach zu sehr darauf aufpassen, dass nichts schmutzig
wird“, argumentierte ich dagegen. „Das ist keine Hochzeitsfeier“, erklärte
ich meiner Mutter, als sie weiter darauf beharrte, ich müsste mich zu der
Gartenparty „anständig“ kleiden. „ich wäre wirklich der einzigste der im
Festgewand herumrennt – ich ziehe meine bequemen Jeans und die
leichte Sommerjacke an – basta!“, beendete ich den Disput der
Kleiderwahl.
Meiner Mutter war es nicht recht, dass ich mit den Alltagskleidern zu der
Feier ging. Sie wusste aber auch, dass sie mich bei solchen Dingen nicht
mehr umstimmen konnte, wenn ich mich einmal entschieden hatte.
Auf 14:00 war ich eingeladen – mein Vater hatte sich bereit erklärt, mich
zu dem Haus der Familie Talmann zu fahren. Simone hatte zuvor extra
noch einmal angerufen und sich vergewissert, dass ich nichts für die
Party außer einem gesunden Appetit mitbringen sollte. Ihre Eltern hatten
die Party organisiert und alles benötigte dazu besorgt.
Simones Eltern besaßen ein sehr großes Haus mit einem riesigen
Garten. Da gab es genug Platz um eine Grillfeier durchführen zu können
und auch genug Platz für Spiele.
Die Fahrzeit mit dem Auto betrug nur knapp eine viertel Stunde - zu Fuß
hätte ich allerdings bestimmt schon am frühen Morgen losmarschieren
müssen um rechtzeitig zu der Party kommen zu können.
Ich wurde von Simones Eltern an der Haustüre freundlich begrüßt – an
meiner „Alltagskleidung“ schienen sie sich nicht zu stören. „Die anderen
sind schon hinten im Garten“, erklärte mir die Mutter von Simone und
geleitete mich durchs Haus bis zur Gartenterrasse.
„Wir müssen nachher noch schnell wo hin fahren“ erklärte mir ihr Vater, „
aber ich denke mal, ihr kommt ganz gut alleine miteinander zurecht“.
„Wenn ihr noch kalte Getränke braucht, Simone weis wo sie im Keller
stehen“, erfahre ich von Simones Mutter.
Ihr Vater scheint ein humoriger Mensch zu sein. „Zündet mir ja nicht das
Haus an, während wir weg sind“, ruft er seinem Sohn zu, der sich am
Grill zu schaffen macht.
Simone, ihr Bruder Marcel Willi Meier, ein mir unbekanntes Mädchen
und ich sind die Partygäste. Auf der Terrasse haben die Geschwister
Talmann eine Stereoanlage aufgebaut und aus den Lautsprechern tönt
gerade einer der neusten Discotitel – da ist für Unterhaltung gesorgt.
„Ich heiße Petra und bin die Freundin von Marcel“, stellt sich das mir bis
jetzt unbekannte Mädchen vor. „Ich heiße Benjamin“, stelle ich mich
ebenfalls vor. „Das dachte ich mir schon“, antwortet Petra, „dein Name
stand ja ganz groß in der Zeitung nach der Preisvergabe in der Schule“.
„Das muss dir jetzt nicht peinlich sein“, lenkt Petra sofort ein, als sie
merkt, dass mir dieses Thema etwas unangenehm ist. „Wer fleissig lernt
hat es auch verdient, einen Preis zu bekommen“, macht sie ihre
Einstellung klar. Eigentlich hat sie ja recht – und zudem sind ja heute alle
Anwesenden in irgend einer Form „Preisträger“.
Auf einem Tisch stehen die Becher für die Getränke – in einer Kühlbox
sind die Flaschen untergebracht. Zwei lange Bankreihen bieten viel Platz
um an dem Tisch alle Gäste unterbringen zu können. Große Schüsseln
mit verschiedenen Salaten lassen eine reichliche Auswahl als Beilage für
das Grillfleisch zu.
„Die ersten Grillwürste sind fertig – los, schnappt euch einen Teller und
fangt schon an“, ruft Marcel vom Platz des Gartens, an dem der Grill
aufgebaut ist. Dieser Grillplatz ist richtig ideal gestaltet. Ringsum mit
großen Steinen umsäumt kann praktisch auch bei Wind keine Glut über
den angrenzenden Rasen geweht werden. Der Grillroost ist an einem
Galgenbaum aufgehängt und kann für die Bestückung und Entnahme
komplett zur Seite geschwenkt werden. Da ist sehr geschickt - da kann
man sich nicht am Grillfeuer verbrennen.
Der Grillrost ist mit so viel Fleisch bestückt dass es bestimmt für eine
Fußballmannschaft gereicht hätte. Ich habe mir ein Teller geschnappt
und ich bin zum Grill gelaufen. Marcel sieht mein verdutztes Gesicht ob
der großen Auswahl. „Der Tag ist noch lang – das reicht auch für den
zweiten Hunger“, erklärt er mir verschmitzt. „Nein, Spaß beiseite, wenn
heute Abend meine Eltern nach hause kommen, reicht es auch noch für
sie zum Abendessen“, klärt er mich jetzt auf.
Als sich jeder bedient hat, dreht Marcel an einer Kurbel und hebt so den
Grillroost vom Feuer ab. „Damit das Fleisch nicht anbrennt während wir
essen – aber es wird warm bleiben“, erklärt er.
„Das ist ja wirklich ein raffinierter Grill“, entfährt es mir. Marcel fängt an
zu lachen und zeigt auf ein Brandloch in seiner Hose: „Ja, das stimmt,
aber wenn der Grillmeister ungeschickt ist, nützt alle noch so raffinierte
Technik nicht viel. Ist mir beim letzten Mal passiert als ich das Grillfeuer
nachschüren wollte.“
„Wir fahren jetzt los“, ruft es plötzlich von der Terrasse. Die Mutter von
Simone und Marcel winkt uns zu. „Lasst es euch richtig schmecken“,
ermuntert sie uns noch, kräftig zuzulangen. Wenig später höre ich das
Auto aus der Garage fahren. Das Motorengeräusch entfernt sich rasch.
„Da habt ihr aber richtig gute Musik ausgewählt“, will ich mit Simone eine
Unterhaltung anfangen. „Die neuste CD – habe ich zu meiner
Abschlussprüfung von meinen Eltern geschenkt bekommen“, verrät mir
Simone. „Die ist ja so richtig Techno – das gefällt mir echt gut“, verrate
ich meine Musikgeschmacksrichtung. „Solche Titel darf ich zuhause
allerdings nur laut spielen, wenn meine Eltern nicht zuhause sind“.
Simone scheint dieses Geständnis offenbar mächtig zu amüsieren und
sie kann sich ein Lachen nicht verkneifen. „Da sind meine Eltern ganz
anderes eingestellt“, verrät sie mir, „mein Vater hat sich die CD gleich
ausgeliehen und so laut abgespielt, dass sich sogar der Nachbar beklagt
hat“.
„Echt“, frage ich verdutzt nach. „Aber ja doch“, bestätigt Simone. „Aber
das lustigste dabei war, dass der Nachbar gemeint hat, wir Kinder
würden so laute Musik hören. Der hat nicht schlecht gestaunt, als er
mitbekam, dass unser Vater der Übeltäter war und mit den Basstönen
die Gläser im Nachbarhaus zum Hüpfen brachte“.
„Da hättest du echt dabei sein müssen“, ergänzt nun Marcel, „am
gesamten Nachmittag war praktisch richtiges Discofeeling angesagt bis
unser Vater dem Nachbarn alle Funktionen der QuadrofonieSurroundanlage erklärt und vorgeführt hatte.“
„Die Nachbarsfrau hat schier die Krise bekommen weil es noch lauter
wurde nachdem ihr Mann zu uns kam um sich über die Lautstärke zu
beschweren. Gegen ihren Mann konnte sie jetzt allerdings ja nichts mehr
sagen“, ergänzt Simone verschmitzt.
Das ist schon eine lustige Familie – fällt mir dazu nur ein.
Plötzlich hört man ein Klingeln an der Haustüre. „Erwartest du noch
einen Gast?“, will Marcel von Simone wissen. „Nein“, antwortet Simone
etwas zögerlich weil sie wirklich niemand mehr eingeladen hatte.
„Vielleicht haben eure Eltern etwas vergessen“, fällt mir spontan ein. „Die
haben doch einen Haustürschlüssel“, weis Simone mit Bestimmtheit.
„Und wenn sie genau den vergessen haben?“, frage ich belustigt nach.
Simone ist neugierig und will nun doch wissen, wer da noch zu Besuch
kommt. Sie geht ins Haus um die Haustüre zu öffnen. „Na hoffentlich war
die Musik für eure Nachbarn nicht doch zu laut“, sinniert Willi. „Aber
nein“, beruhigt Marcel“, die sind viel lautere Musik gewöhnt – die würden
sich wegen dem heutigen Pegel bestimmt nicht beschweren.
Simone hat inzwischen die Haustüre geöffnet um nachzusehen wer sich
da noch als Gast einfach anmelden will.
Man kann nicht alles verstehen, nur einzelne Wortfetzen. „Geh nach
hause und lass uns in Ruhe“, höre ich Simones aufgeregte Stimme. Das
kann nicht der Nachbar sein. „Marcel, hilf mir“, schreit es gleich danach
aus dem Haus.
Alarmiert von dem panischen Ton rennen wir alle ins Haus. Es ist eine
gespenstische Szene: Simone liegt im Flur und hat sich offensichtlich
den Kopf angestoßen. Aus einer Wunde sickert Blut. Über ihr gebeugt
steht Karlheinz Schulze und holt gerade noch einmal zum Schlag aus.
„Verdammtes Streberlumpenpack – wegen euch bin ich durch die
Prüfung gefallen“, schimpft er mit wutverzerrtem Gesichtsausdruck.
Ich hechte zwischen ihn und Simone. Das nächste was ich sehe sind
lauter glitzernde Sternchen. Irgend etwas hat mich voll am Kopf getroffen
– aber es war bestimmt keine Hand. Ich fühle die Stelle, an der ich
getroffen wurde. Eine warme Flüssigkeit kann ich zwischen den Fingern
fühlen – mein eigens Blut. Alles ist verschwommen. In der Hand von
Karlheinz sehe ich einen der großen Kieselsteine welche am Eingang
vom Elternhaus von Simone und Marcel rechts und links vom Weg
angefüllt sind.
Simone hat sich inzwischen weiter hinten im Flur bei ihrem Bruder in
Sicherheit gebracht. Dieser brutale Karlheinz eilt ihr nach und will noch
einmal zuschlagen. Halb benommen rapple ich mich wieder auf – ich
muss den Burschen stoppen.
Dieses mal geht er auf Marcel los. Marcels Freundin hat zwar mächtig
Angst vor dem Angreifer, will aber ihrem Freund helfen. Auch sie
bekommt einen Schlag mit dem Stein ab.
Ich versuche den brutalen Wüstling von hinten zu umklammern – doch,
der Bursche ist zwar dumm wie Saubohnenstroh, hat aber Kräfte wie ein
Bär. Er kann sich ohne große Mühe aus meinem Griff lösen. „Na Hirni –
hast wohl gar nichts in den Armen – du halbe Portion“, lästert er während
er einen Schlag mit der Faust direkt in meinem Gesicht landet. Sofort
schießen mir vor Schmerz die Tränen in die Augen und ich fühle wie das
Blut aus meiner Nase läuft.
Jetzt packt mich auch eine nie gekannte Wut. In meinem Hieb zu seinem
Kopf steckt die volle Energie dieser Wut. Direkt auf´s Auge getroffen. Der
Bursche wird einen Moment in seinem Treiben gebremst – sein Auge
scheint mächtig zu schmerzen. Meine Hand schmerzt jetzt bestimmt
aber noch mehr – ich glaube, ich habe mir sämtliche Finger gebrochen.
Die Welt um mich herum wird dunkel, als mich noch ein Hieb mit dem
großen Kieselstein am Kopf trifft.
Irgend wie ist alles so unnatürlich. Ich erinnere mich – ich war auf der
Party bei Simone. Ich kann mich nicht bewegen, was war ist geschehen?
Lampen blinken, ich höre viele aufgeregte Stimmen. Ich kann nichts
mehr deutlich sehen – alles ist in weiter Ferne und verschwommen.
„Der gehört für immer eingesperrt“, dringt an mein Ohr, „so wie der die
jungen Leute zugerichtet hat – das ist ja eine richtige Bestie“.
„Muss erst stabilisiert werden damit wir ihn transportieren können“, höre
ich dicht an meinem Ohr. „Kannst du mich hören“, schreit mir jemand ins
Ohr. Ich will antworten – kann aber nicht. Ich will fragen wie es Simone
geht – so langsam fällt mir wieder ein was passiert ist. Neben mir scheint
ein Notarzt zu stehen. Ich kann seine Jacke fassen. „Was ist mit
Simone“, will ich laut fragen, bringe aber nur ein Flüstern zustande. Der
Arzt beugt sich zu mir herunter – hat mich nicht verstanden. „Was ist mit
Simone“, frage ich noch einmal. „Hat nur eine kleine Platzwunde am
Kopf – das wird bald wieder werden“, gibt mir der Mann jetzt zur
Auskunft.
Plötzlich höre ich Simone neben mir. Sie scheint mit einem
Polizeibeamten zu sprechen. „Er wollte mir helfen und dieser Karlheinz
Schulz hat ihn dann brutal mit einem großen Kieselstein
niedergeschlagen. Der hat immer wieder wie ein Verrückter auf Benni
eingedroschen. Wenn nicht unser Nachbar gekommen wäre um zu
helfen, der hätte Benni vollends totgeschlagen“. Simone hat angefangen
leise zu weinen – das habe ich noch nie bei ihr gesehen.
„Die Eltern von Benjamin sind schon verständigt, die müssen jeden
Moment hier sein“, höre ich einen anderen Polizeibeamten im
Hintergrund sagen.
„Der Junge hatte doch gegen so einen brutalen Raufbold keine Chance“,
stellt der Nachbar von Simone fest.
Meine Eltern sind inzwischen eingetroffen. „Oh mein Gott“, entfährt es
meiner Mutter als sie mich erblickt. „Er ist jetzt stabil“, versucht der
Notarzt sie zu beruhigen. „Ist er in ein Auto gelaufen?“, will mein Vater
sofort wissen, als auch er sich zu mir vorgedrängt hat und mich sieht.
Der Polizeibeamte erklärt es ihm: „Ein Mitschüler hat sich durch
Hausfriedensbruch Eintritt in das Haus der Familie Talmann verschafft
und die Tochter der Familie, ihren Sohn und die Freundin von Marcel
tätlich angegriffen. Die anderen haben ausgesagt, dass ihr Sohn
versucht hat, den Angreifer abzuwehren und wurde daraufhin von ihm
fast totgeschlagen. Wenn der Nachbar nicht dazwischen gegangen wäre
würde ihr Sohn nicht mehr leben. Diesen Karlheinz Schulze erwartet auf
jeden Fall eine Anzeige wegen schwerer Körperverletzung und
versuchtem Totschlag“.
Die mir verabreichten Beruhigungsmittel entwickeln so langsam ihre
Wirkung. Die Realität rückt langsam in weite Ferne. Es war fast wie das
Gefühl, als ich den Alkohol probiert hatte. Das letzte was ich noch
mitbekomme, ist die Berührung durch die Hand meiner Mutter an
meinem Arm bevor man mich in den Krankenwagen verfrachtet – und
dass meine Mutter inzwischen in Tränen ausgebrochen ist.
Kapitel 4
Künstliches Koma
Es waren recht seltsame Träume – einerseits so unwirklich und doch
auch wieder andererseits so realistisch.
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