Historisches Seminar Universität Freiburg Proseminar: Christentum und römischer Staat in den ersten drei Jahrhunderten Jochen Martin WS 1997/98 Die Aussagen der Weihnachtsgeschichte (Lk. 2,1-20) über das Verhältnis von römischem Staat und Christentum von XXXXXXX XXXXXXXX 20.1.1998 Inhaltsverzeichnis 1. FRAGESTELLUNG UND VORGEHENSWEISE 2. VERFASSERSCHAFT UND ENTSTEHUNGSZEIT 3. FORMALE UNTERSUCHUNG 4. EXEGETISCHE UNTERSUCHUNG V. 1 und 2: Der Zensus des Augustus unter der Stadthalterschaft des Quirinius V. 3: Die Befolgung des kaiserlichen Gebots V. 4 und 5: Die Reise nach Nazareth V. 6 und 7: Die Geburt in der Armut V. 8-20: Die Verkündigung der Engel an die Hirten und ihre Bestätigung V. 10, 11, 14: Der Anspruch der christologischen Hoheitstitel im Vergleich mit dem Anspruch des Kaisers a.) Der Herr (Kyrios) und die Universalität des Anspruches Jesu b.) Der Christus (Messias) und die Unterscheidung von geistlicher und weltlicher Gewalt c.) Der Heiland (Soter) und die Erlösung des römischen Weltreiches d.) Der Friedefürst und die Pax Romana 5. ZUSAMMENFASSUNG DER AUSSAGEN DES TEXTES 6. IST DIE AUSSAGE DES TEXTES BEDEUTSAM FÜR DAS VERSTÄNDNIS DES VERHÄLTNISSES VON RÖMISCHEM STAAT UND CHRISTENTUM? 7. QUELLENVERZEICHNIS 8. LITERATURVERZEICHNIS 2 1. Fragestellung und Vorgehensweise Das Thema dieser Arbeit mag auf den ersten Blick etwas verwundern. Die Weihnachtsgeschichte wird den meisten Leuten hinreichend bekannt sein. Sie aber auf eine Aussage über das Verhältnis von Christentum und römischem Staat zu untersuchen, scheint zumindest ungewöhnlich. Die Frage, die man sich stellen muß, lautet, ob man die Untersuchung überhaupt auf diese spezielle Fragestellung einschränken darf. Die Antwort muß nein lauten. Denn von vornherein steht fest, daß Lukas keinen Abhandlung über das Verhältnis von römischem Staat verfaßen wollte, sondern die Geschichte von Jesu Geburt erzählt. Was sich außerdem aus der Erzählung herauslesen läßt, welche Aussagen des Lukas in der Geschichte mitschwingen, ist eine andere Frage. Zunächst muß daher erst gefragt werden, welche Aussagen der Text überhaupt macht, dann kann auf die Aussage über das Verhältnis von römischem Staat und Christentum eingegangen werden. Für die Vorgehensweise ergibt sich daraus, daß ich mit einer allgemeinen Untersuchung beginnen möchte. Zunächst sollen formale Kriterien, so Verfasserschaft und Entstehungszeit geklärt werden und eine formale Untersuchung erfolgen. Dann soll sich eine Untersuchung nach exegetischen Gesichtspunkten anschließen. Daran wird sich zeigen, welche Aussagen über das Verhältnis von römischem Staat und Christentum gemacht werden. Im letzten Teil soll dann gefragt werden, ob und inwieweit die Aussage des Textes bedeutsam für das Verständnis vom römischem Staat und Christentum ist. 2. Verfasserschaft und Entstehungszeit Über den Verfasser des 3. Evangeliums ist wenig bekannt1. Kirchlicher Traditon zufolge handelt es sich um den in Philemon 24 und Kolosser 4,14 erwähnten Mitarbeiter des Paulus, Lukas den Arzt. Allerdings zeigt ein Vergleich zwischen den Schriften des Paulus und dem Lukasevangelium, daß ihre theologischen Konzeptionen deutlich verschieden sind. Daher geht man heute davon aus, daß die Gleichsetzung des Lukas, dem Mitarbeiter des Paulus, mit dem Verfasser des Evangeliums nachträglich erfolgte und auf das Bemühen zurückzuführen ist, die Evangelisten möglichst in die Nähe der Apostel zu rücken. Aufgrund von übereinstimmendem Stil und gleichem theologischem Verständnis steht jedoch fest, daß der Verfasser des Lukasevangeliums auch der Verfasser der Apostelgeschichte war. Der Evangelienschreiber ist mit Sicherheit kein Judenchrist, da er nicht am Gesetz interessiert ist und der Schriftbeweis, der bei Matthäus eine große Rolle spielt, bei ihm kaum vorkommt. Die Abfassungszeit des 1 Die Angaben über den Verfasser Lukas und die Entstehungszeit des Lukasevangeliums wurden entnommen aus: Ziegler, Konrad, Sontheimer, Walther (Hg.), Der Kleine Pauly, Bd. 3, a.a.O., S. 771f, und bei: Conzelmann, Hans, Lindemann, Andreas, Arbeitsbuch zum Neuen Testament, a.a.O., S. 271f 3 Lukasevangeliums läßt sich nur ungefähr bestimmen. Lukas hat jedenfalls das Markusevangelium gekannt, und es ist ebenso sicher, daß er auf die Zerstörung Jerusalems im jüdischen Krieg 70 n. Chr. bereits zurückblickt (Luk. 21,20-24). Datierungsversuche gehen bis in die 90er Jahre des ersten Jahrhunderts. Über den Entstehungsort des Lukasevangeliums läßt sich überhaupt nichts sagen, man kann jedoch davon ausgehen, daß der Verfasser Palästina nicht gekannt hat, weil seine geographischen Angaben ungenau bzw. falsch sind (vgl. Luk. 4,44 und 5,1: Judäa und Galiläa werden als unmittelbar benachbart angesehen). 3. Formale Untersuchung Der Text läßt formal eine dreiteilige Gliederung erkennen: 1. Die Geburt und ihre unmittelbare Vorgeschichte (V. 1-7). 2. Die himmliche Verkündigung der Engel an die Hirten (V. 8-14). 3. Die Bestätigung der Gottesbotschaft (V. 15-20). Die starke Gestaltung des Textes deutet darauf hin, daß die Erzählung auf bereits existierende Geburtsgeschichte zurückgreift und Lukas diese redaktionell zusammenfügt hat. Dafür sprechen inhaltliche und stilistische Spannungen sowohl innerhalb des Textes (zwischen dem ersten Teil und Teil zwei/drei) und als auch in Bezug auf den Kontext: Die Geschichte als Ganzes nimmt keinen Bezug auf ihre Vorgeschichte (die Ankündigung der Geburt Jesu in Lk. 1,26-38); eine Verbindung zu ihr wird erst durch die Namensgebung in Lk. 2,21 hergestellt. In der Erzählung tauchen verschiedene alttestamentliche, typologisch überarbeitete Motive auf, so sprachliche Anklänge an Weisheit 7,4-5: „in Windeln“, an Jesaja 1,3: „die Krippe seines Herrn“ und Jeremia 14,8: Herberge/katalyma; außerdem rabbinische Ausdeutungen von Ezechiel 16,4 („Wickeln und Windeln“) und Bezüge zur Mosegeschichte (die besonderen Umstände der Geburt). Daß der Griechisch schreibende Heidenchrist die jüdischen Gebräuche und Traditionen derart getreu darstellen konnte, deutet darauf hin, daß er bereits auf ältere, aus der judenchristlichen Tradition stammende Vorlagen zurückgreifen konnte. Es wurde über die Quellenvorlagen des Textes mit unterschiedlichen Ergebnissen spekuliert. Der entscheidende Punkt ist ein möglicher älterer Geburtsbericht V. 6/7, die Beziehung des „Berichts“ zur Engelbotschaft V. 11/12 und das Problem der Redaktion des Lukas. Ich entnehme die Zusammenfassung des Forschungsstandes bei: Josef Ernst, Das Evangelium nach Lukas, a.a.O., S. 80: 1.) F. Hahn2: V. 1-5: ältere Vorlage mit lk-red Überarbeitung; V. 6-7: ursprünglicher Bericht über die Geburt; V. 8-14.15-20: ältere Erzählung von der Engelerscheinung und Geburtsproklamation; V. 19: lk Red. 2.) A. Vögtle3: Ältere Offenbarungserzählung (V. 8-20) mit einem aus V. 11-12 abgeleiteten red „Geburtsbericht“ in V. 6-7. 2 Hahn, Ferdinand, Christologische Hoheitstitel, a.a.O., S. 269 f Vögtle, Anton, Was Weihnachten bedeutet, Meditation zu Lukas 2,1-20, Freiburg 1979, S. 57-61 3 4 3.) François Bovon4: V. 6-7a.21: Torso einer älteren Geburtserzählung (Nazareth), die von Lk im Verbund mit verschiedenen Traditionen red überarbeitet worden ist 4.) Heinz Schürmann5: V. 1-20: „in Zielsetzung und Diktion in sich abgerundet“. Die Annahme einer kürzeren Geburtserzählung, die in V. 22-38 ihre Erhellung erhalten habe, sei unwahrscheinlich. 5.) Jakob Kremer6: Sonderüberlieferung, deren Ursprünge im einzelnen kaum noch zu erhellen sind. 6.) J. A. Fitzmyer7: „I find such analyses of the episode highly speculative.“ In V. 1-5 wird ausführlich begründet, wie es zur Geburt Jesu in der Davidsstadt Bethlehem, entsprechend der Prophezeihung in Micha 5,1, kommt. Lukas benutzt den Zensus innerhalb des Textes als Begründung dafür, die Geburt in die verheißene Davidsstadt zu legen. Maria wird in V. 5 neu vorgestellt. Trotz der Botschaft des Engels in Lk. 1,26-38 versteht sie die Größe des Ereignisses erst nach dem Besuch der Hirten. Auch wird die besondere Art der Empfängnis durch den Heiligen Geist mit keinem Wort angedeutet. Das deutet darauf hin, daß die heutige Geburtsgeschichte nicht die ursprüngliche Fortsetzung von Lk. 1,26-28 ist. Das Geburtsgeschehen selbst wird in V. 6/7 mit wenigen nüchternen Worten erzählt. Das Krippenmotiv gilt als „Zeichen“ (V. 12) für die Hirten, an dem sie den „Heiland“ erkennen sollen. Zugleich verschränkt es die Geschichte der Geburt mit der Verkündigung der Engel. Formgeschichtlich muß die Episode der Verkündigung der Engel und ihre Bestätigung (V. 820) von der Beschreibung des Geburtsgeschehens (V. 1-7) unterschieden werden. Sie ist eine Verkündigungsgeschichte, keine Geburtsgeschichte, eine Hirten- und keine Jesusgeschichte. V. 7b: „und legte ihn in eine Krippe, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge“ wirkt wie eine Anpassung an die Erzählung der Engelsverkündigung: In einer Legende, die aus einem Guß erzählt ist, hätte man die Situation in der Unterkunft vor dem Ereignis erzählt. Sowohl durch den Umstand der Krippengeburt als auch durch die Einführung von Maria und Joseph in V. 4/5 wird die Geburtsgeschichte mit der Verkündigungsgeschichte verknüpft. Formgeschichtlich endet die Episode in V. 20 mit dem Lobpreis der Hirten, redaktionsgeschichtlich mit der Beschneidung und Namensgebung (V. 21). Dieser Vers steht isoliert, nur durch die Verkündigung des Engels in Lk 1, 26-38 verknüpft. Rudolf Pesch8 weist ihn einer von Lukas nur leicht überarbeiteten Überlieferung der Verse 1-21 zu. Bei dem Text handelt es sich also nicht einfach um einen historischen Bericht, sondern um einen theologischen Text, der vom Verfasser des Evangeliums durchgestaltet ist. Das bedeutet für die Interpretation, daß er im Zusammenhang mit dem ganzen Evangelium und der Apostelgeschichte interpretiert werden muß. 4 Bovon, François, Das Evangelium nach Lukas (Lk 1,1-9,50), a.a.O., S. 116f Schürmann, Heinz, Das Lukasevangelium, a.a.O., S. 118f 6 Kremer, Jakob, Das Lukasevangelium, a.a.O., S. 38 7 Fitzmyer, Joseph A., The Gospel According to Luke, Introduction, Translation and Notes, 1. Bd., New York 1983, S. 392 8 Pesch, Rudolf, Das Weihnachtsevangelium (Lk. 2,1-21), in: Pesch, Rudolf (Hg.), Zur Theologie der Kindheitsgeschichten, a.a.O., S. 97-118 5 5 4. Exegetische Untersuchung V. 1 und 2: Der Zensus des Augustus unter der Stadthalterschaft des Quirinius In V. 1 wird von einem Zensus berichtet, den Augustus für „alle Welt“, d.h. für den Bereich des ganzen römischen Reiches, verordnet. In V. 2a findet sich noch die genauere Angabe, daß es der erste Zensus unter Augustus gewesen sei. Unter Zensus verstand man im römischen Reich die listenmäßige Erfassung von Personen und Besitz. Die Erfassung und Besteuerung erfolgte pro Kopf und nach Vermögensklassen. Von einem generellen Schätzungsaufruf des Augustus zur Zeit von Jesu Geburt ist durch außerbiblische Quellen allerdings nichts bekannt. Das ist insofern merkwürdig, als die Quellenlage über Augustus ansonsten sehr gut ist. Es ist zwar richtig, daß unter Augustus Zensus in einzelnen Provinzen stattgefunden haben, jedoch fehlt ein Gesamtbefehl für das Imperium Romanum. Somit fällt Augustus aber als Initiator für die Schätzung, von der Lukas redet, weg. Darüber hinaus ist unklar, wann ein solcher Zensus stattgefunden haben soll. Die Nennung von Augustus steckt der größeren zeitlichen Rahmen ab (31/27 v. - 14 n. Chr.). Lukas spricht in V. 2 davon, die Zählung habe zu der Zeit stattgefunden, als Publius Sulpicius Quirnius Statthalter in der Provinz Syrien war. Matthäus dagegen verlegt die Geburt in die Zeit des König Herodes (Mt. 2,1). Von ihm wissen wir, daß er im Jahre 4 v. Chr. gestorben ist. Flavius Josephus (ca. 38-100 n. Chr.) berichtet jedoch in den Jüdischen Altertümern (XVII, 355), daß Quirinius erst 6 n. Chr. als römischer Statthalter nach Syrien kam im Zuge der Angliederung Judäas an die Provinz Syrien nach der Absetzung des Herodessohnes Archelaos. Allerdings scheint er schon seit etwa 12 v. Chr. im Orient tätig gewesen zu sein. Alle möglichen Versuche wurden unternommen, um die Angabe des Lukas mit der des Josephus zu harmonisieren. So sprach man eine fragmentarische Inschrift9, den Titulus Tiburtinus, Quirinius zu, der damit zweimal Statthalter gewesen wäre (was zwar nicht unmöglich, aber ungewöhnlich wäre). Es wurde auch gemutmaßt, ob ein Zensus unter Herodes im Jahre 7 v. Chr. in Verbindung mit einem Treueeid stattgefunden habe, den Herodes seine Untertanen auf den Kaiser schwören ließ. Tertullian glaubte zu wissen, daß der von Lukas erwähnte Zensus unter Sentius Saturnius (9-6 v. Chr. Statthalter in Syrien) stattgefunden habe. Hätte er recht, dann müßte Quirinius als Sonderbeauftragter die Oberaufsicht über den Provinzialzensus gehabt haben, während Saturnius Statthalter gewesen wäre. Johannes Hanselmann10 weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß „hägemoneuein“ nicht zwingend mit „Statthalter“ übersetzt werden muß. Auch wurde 9 in: Dessau, Hermann (Hg.), Inscriptiones Latii Veteris Latinae (Corpus Inscriptionum Latinarum, Bd. 14), a.a.O., S. 397 10 In: Bornhäuser, Hans, Preuß, Horst Dietrich, Sorg, Theo et al. (Hg.), Neue Calwer Predigthilfen, a.a.O., S. 49 6 erwogen, ob vielleicht eine Besitzerfassung bereits zu Zeiten des Herodes stattfand, die Steuereintreibung aber erst 6 n. Chr. Von dieser wird bei Josephus berichtet, sie hätte in diesem Jahr im Zusammenhang mit der Einverleibung Judäas in die Provinz Syrien stattgefunden. Gegen einen Sonderauftrag des Quirinius spricht, daß er erst im Zuge der Angliederung Judäas an Syrien 6 n. Chr. Amtsbefugnisse in Palästina gehabt hätte. Ein anderer Lösungsversuch11 nimmt einem vierzehnjährigen Turnus für den Provinzialzensus an, ausgehend von einem offiziellen Erlaß für die regelmäßige Schätzung Ägyptens aus dem Jahre 104 n. Chr12. Rückschließend von den besser bezeugten Vorgängen 6/7 n. Chr. errechnet er so den früheren Termin für die Schätzung (vielleicht die erste?) auf 7/6 v. Chr. Auch hat man, unabhängig von der Frage, wie Herodes mit Quirinius zu vereinen ist, die Sternkonstellation von Mars und Jupiter nachgerechnet, um den Zeitpunkt der Geburt zu erfahren. Dabei kommt man auf das Jahr 7/6 v. Chr. Allerdings kann der Stern von Bethlehem, von dem Matthäus (Mt. 2,2) berichtet, auch als besonderes Vorzeichen für eine besondere Geburt gemeint sein. In den Geburtslegenden der Antike war es durchaus üblich, berühmten Personen im nachhinein eine besondere Geburt zu konstruieren, wie z.B. Alexander dem Großen oder Mose. In diesem Sinne bildet die Geburt in der Krippe auch ein Kuriosum durchaus in der antiken Tradition. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß aufgrund der Quellen die genaue Datierung des Zensus und damit der Geburt Christi nicht möglich ist. Lukas hatte über die tatsächlichen Verhältnisse, auf die sich seine Angaben zur Quiriniusschätzung beziehen, wohl nur ungenaue Informationen. Wahrscheinlich hat er die Unruhen, die in Syrien und Palästina nach der Absetzung des Archelaos 6 n. Chr. anläßlich der von Quirinius verfügten Schätzung ausbrachen, auf die Zeit nach dem Tode Herodes des Großen (4 v. Chr.) verschoben und damit einen Zusammenhang zwischen der Geburt Jesu und der Schätzung hergestellt. Es muß sich bei der Datierung gar nicht um einen „Irrtum“ handeln. Mit der Gegenüberstellung von Jesus und Augustus bringt er die universale Bedeutung Jesu zum Ausdruck, die allerdings erst nach Ostern direkt ausgesprochen wird: „Aber ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde“ (Apg. 1,8). Bei der Geburt handelt es sich nicht um ein „Winkelgeschehen“ (vgl. Apg. 26,26), sondern um ein weltgeschichtliches Ereignis. Zum zweiten sollen seine Angaben über den Zeitpunkt und die Zeitumstände der Erzählung dem Text historische Glaubwürdigkeit geben sollen. Lukas ordnet seine Erzählungen stärker 11 Rengstorf, Karl-Heinrich, Das Evangelium nach Lukas, a.a.O., S. 18 Deißmann, Adolf, Licht von Osten, Tübingen 1923, S. 231 ff 12 7 als die anderen Evangelisten in politische und weltgeschichtliche Zusammenhänge ein, so auch die Erzählung über das Wirken Johannes des Täufers (Lk. 3,1: Erwähnung des Kaisers Tiberius, Pontius Pilatus, Herodes) und die Verhandlung über die Verurteilung Jesu (Lk. 23,14;14: Jesus und Pilatus). V. 3: Die Befolgung des kaiserlichen Gebots Aufgrund des Gebots des Augustus macht sich „jedermann“, wie Lukas schreibt, auf, sich schätzen zu lassen. In Wirklichkeit war dies keineswegs selbstverständlich. In den späten sechziger Jahren des ersten Jahrhunderts, also kurz vor der Zeit, in der Lukas sein Evangelium niederschreibt, wurde nach Josephus von den Zeloten, unter anderem wegen der drückenden Steuerlast, ein Aufstand gegen die römische Besatzungsmacht angezettelt (vgl. Flavius Josephus, Der jüdische Krieg und Apg. 5,37). Lukas möchte mit seiner Aussage, daß alle ohne Ausnahme dem Zensusaufruf des Kaisers folgen, ausdrücken, daß sich die Geburt Jesu in die weltgeschichtlichen Ereignisse einfügen: Auch Josef und Maria machen sich auf nach Bethlehem. Jesus tritt nicht gegen die römische Ordnung an, er will kein weltlicher König sein. Die Unterscheidung, die Lukas zwischen weltlicher und geistlicher Obrigkeit trifft, findet sich auch in der Geschichte vom Zinsgroschen wieder (Luk. 20,20-26): Jesus sagt Ja zur Machtsymbolik der Steuermünze, aber nein zu ihrer Kultsymbolik. Er unterscheidet zwischen dem, was der Gläubige der Obrigkeit schuldig, und was er Gott schuldig ist13. Jesus beansprucht den geistlichen Bereich für sich, den weltlichen Bereich überläßt er der Obrigkeit. Daß auch ein Konflikt entstehen kann, wenn sich ein Herrscher absolut setzt, wenn der römische Kaiser die Gewissen für sich beansprucht wie in der Kaiserideologie, wird bei Lukas nicht ausgeführt. V. 4 und 5: Die Reise nach Nazareth Lukas gibt das Gebot des Augustus als den Anlaß zur Reise in die Heimatstadt an. Bovon14 hält dagegen, daß jede Volkszählung eine Einschreibung am Wohnort, nicht in der Heimatstadt, erfordert. Als Beleg beruft er sich auf die in ägyptischen Papyri enthaltenen Zeugnisse, die allerdings auf spätere Steuerschätzungen bezogen sind. Er folgert daraus: „Lukas kennt wohl die gesetzliche Verfügung, deutet sie aber für sein narratives und theologisches Ziel um, damit er Josef und Maria vom geschichtlichen Nazareth in das messianische Bethlehem hinüberführen kann“15. Heinz Schürmann16 gibt zu bedenken, daß der Provinzialzensus sich durchaus an in den Provinzen gewachsene Formen anpassen konnte. Es 13 Ausführlich dazu siehe: Stauffer, Ethelbert, Christentum und die Caesaren, a.a.O., S.102-125 Bovon, François, Das Evangelium nach Lukas, a.a.O., S. 119 15 ebenda 16 Schürmann, Heinz, Das Lukasevangelium, a.a.O., S. 100 f 14 8 wäre also durchaus denkbar, daß in Judäa, wo eine starke Bindung an Stammverband und Geschlecht herrschte, der zu Schätzende in seine Heimatstadt reisen mußte. Nach dieser Interpretation wäre die Reise Marias und Josefs nicht unwahrscheinlich. Textimmanent dient der Zensus dazu, die Geburt in die verheißene Stadt Bethlehem zu verlegen. Lukas verknüpft den römischen Zensus mit der jüdischen Tradition. Die alttestamentliche Prophezeiung findet in der Verkündigung der Engel ihre apokalyptischer Bestätigung. V. 6 und 7: Die Geburt in der Armut Jesus kommt nicht als politischer König zur Welt, sondern wird in Armut in einer Krippe geboren (V. 7), weil in der Herberge kein Platz ist. Lukas weist damit einerseits auf das Ausgestoßensein und die Hilflosigkeit des Christus in der Welt hin, von der er Jesus später selbst sprechen läßt: „Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege“ (Lk. 9,58). Andererseits wird die Armut des Kindes in der Krippe dadurch kontrastiert, daß Gott gerade mit ihm Besonderes vorhat: Er wird der „Heiland“ für die Welt sein (V. 11). Hinter dem scheinbaren Widerspruch steckt die Aussage des Lukas, daß Gott sich selbst ganz erniedrigt, ganz Mensch wird und sogar in den Tod geht, um die Welt zu erlösen. Mit der Beschreibung der Geburt deutet Lukas schon auf das spätere Leben Jesu hin. V. 8-20: Die Verkündigung der Engel an die Hirten und ihre Bestätigung Ein ähnlicher Vorgriff ist die Erscheinung der Engel vor den Hirten (V. 8f). Diese repräsentieren die Armen, die gesellschaftlich wenig Angesehenen. Gottes Heil offenbart sich nicht den Mächtigen17. Die Hirten erschrecken zunächst vor dem plötzlichen Einbrechen der göttlichen Herrlichkeit. Nach biblischem Verständnis gehört es zum Merkmal der Epiphanie, daß der Mensch zunächst im Angesicht Gottes ob seiner eigenen Nichtigkeit in Furcht und Schrecken verfällt. Daher beginnt die Kontaktaufnahme, so auch in der Erzählung des Lukas, mit einem Gruß von Seiten der epiphanen Gestalt: „Fürchtet euch nicht!“ (V. 10). Die Angelophanie ist von einem göttlichen Licht begleitet (V. 9). Allgemein gilt, daß Epiphanien stets nur den von Gott Auserwählten zuteil wird, also es kein Zufall ist, daß die Engel sich gerade den Hirten zeigen. Die Hirten sind es auch, die das göttliche Wort erkennen, und es weitersagen. V.18: „und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, das zu ihnen von ihnen 17 Vgl. dazu: Luk. 4,18: „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen; er hat mich gesandt, zu predigen den Gefangenen, daß sie frei sein sollen, und den Blinden, daß sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, daß sie frei und ledig sein sollen“ und Luk. 6,20b-22: „Selig seid ihr Armen; denn das Reich Gottes ist euer. Selig seid ihr, die ihr jetzt hungert; denn ihr sollt satt werden. Seldig seid ihr, die ihr jetzt weint; denn ihr werdet lachen. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen und euch ausstoßen und schmähen und verwerfen euren Namen als böse um des Menschensohnes willen.“ 9 von diesem Kinde gesagt war“ kann so aufgefaßt werden, daß sich diejenigen, die den Bericht der Hirten hören, über das Wesen Gottes wundern, der ganz anders ist, als sie ihn sich vorgestellt haben. Insgesamt schwingt mit der Botschaft der Engel folgende Botschaft mit: Gott nimmt sich besonders der Schwachen, Armen, Verstoßenen an. Ihnen, die in vielerlei Hinsicht bedürftig sind, wird Gottes besondere Zuwendung zuteil. Lukas bedient sich besonders häufig der Epiphanien, die bei den anderen Evangelisten wesentlich seltener sind (vgl. z.B. Luk. 1,11; Luk. 1,20 ff). Die Epiphanie war besonders in der hellenistischen, d.h. östlichen Vorstellungswelt verbreitet. Die Götter manifestieren sich nach dem Verständnis der Griechen als „Erscheinende“, sie greifen immer wieder in das Leben des Einzelnen ein. Daß Lukas in dieser Hinsicht von hellenistischen Vorstellungen beeinflußt ist, wird deutlich. V. 10, 11, 14: Der Anspruch der christologischen Hoheitstitel im Vergleich mit dem Anspruch des Kaisers Der Anspruch, der in den Würdetiteln enthalten ist, die der Engel dem Kind zuerkennt, konvergiert mit dem Anspruch des römischen Kaisers: a.) Der Herr (Kyrios) und die Universalität des Anspruches Jesu Kyrios kann verschiedene Bedeutungen im Neuen Testament haben18. Lukas rückt den Messiastitel und den Kyriostitel ganz eng zusammen. Aufgrund seiner Auferstehung wird er der über die dämonischen Mächte dieser Welt Erhöhte sein (vgl. Apg. 2,33-36). Somit wird er zum Kyrios aller Menschen, also auch der Heiden. Der jüdische Vorstellungrahmen des Messias wird am dieser Stelle gesprengt: Sein Herrschaftsbereich bezieht sich nicht nur auf die Juden, sondern auf die gesamte Menschheit (V. 10: „Freude, die allem Volk widerfahren wird“). In diesem Sinne kann auch die Verknüpfung der Geburt Jesu mit dem römischen Kaiser (V. 1 und 2) gedeutet werden, daß Lukas zum Ausdruch bringen will, daß der Anspruch Jesu als „Herr“ ebenso umfassend gilt wie die Macht des Kaisers. Am Stammbaum Jesu (Luk. 3,23-38), den Lukas auf Adam, den ersten Menschen, zurückführt, wird die Universalität seiner Herrschaft auch deutlich. Daran, daß Lukas den Erlöser der gesamten Menscheit betont, zeigt sich auch, daß er mit seinem Evangelium vor allem auch die Heiden ansprechen will. Nach Ferdinand Hahn19 findet der Kyrios-Titel auch im Kaiserkult Verwendung: Von Caligula an wäre er im Westen zunehmend gebräuchlich geworden und hätte sich mit 18 Ausführlich bei: Hahn, Ferdinand, Christologische Hoheitstitel, a.a.O., S. 68 ff Ebenda, S. 69 19 10 Domitian wohl endgültig durchgesetzt. Lukas unterscheidet die Bereiche geistlicher und weltlicher Herrschaft, damit es nicht zum Konflikt zwischen beiden Ansprüchen kommt. b.) Der Christus (Messias) und die Unterscheidung von geistlicher und weltlicher Gewalt Christus ist die griechische Form des hebräischen Wortes Messias und bezeichnet den endzeitlichen Heilskönig der Juden. Wie aber wird der Messiastitel verstanden? Zur Zeit Jesu war vor allem die Vorstellung verbreitet, daß der Messias das Volk Israel von seinen Feinden erlösen wird20. Er wurde als ein politischer Messias erwartet, der die Fremdherrschaft der Römer zerbrechen würde. Für Lukas ist er ebenfalls ein Erlöser, jedoch nicht von politischer Fremdherrschaft, sondern ein Erlöser und Retter der Armen (vgl. Luk 9,44; Luk. 6,20-22), der Verlorenen (vgl. Luk. 19,10; Luk. 15), ein Erlöser von Sünden (vgl. Luk. 5,31). Er ist einer, der die gestörte Gottesbeziehung des Menschen heilt und damit die tiefste Ursache der Heillosigkeit der Welt beseitigt. Dazu braucht er keine politische Macht, sondern geht den Weg ins Leiden und in den Tod, um diesen zu überwinden (vgl. Luk. 9,22; Luk. 9,44, Luk. 18,31-34). Lukas sieht im Messiastitel also keine Infragestellung der römischen Herrschaft. c.) Der Heiland (Soter) und die Erlösung des römischen Weltreiches Auch im politischen Raum spielte der Erlöser-Titel eine bestimmte Rolle. Schon in ptolemäischer Zeit wurde den Herrschern der Titel „Soter“ zuteil und nahm dabei zugleich eine religiöse Bedeutung an. Mit dem Vordringen Roms ins östliche Mittelmeer fanden solche Vorstellungen vom Weltenerlöser auch in Rom Eingang. In der Zeit der Bürgerkriege wurden solche Hoffnungen auf einen Weltenheiland lebendig, der ein neues Zeitalter herbeiführen würde: Diese fanden u.a. Niederschlag im Adventslied des Vergils: „Schon zieht der Weltalter letztes heraus nach dem Wort der Sibylle, Und von neuem beginnt der Jahrhunderte mächtiger Kreislauf. [...] Schon steigt vom hohen Olymp ein neues Geschlecht zu uns nieder. Seit der Geburt des Knaben, mit dem jetzt das Eiserne Weltjahr Endlich sich schließt und das Goldene rings sich erhebt auf dem Erdkreis, Keusche Diana, geneigt. [...] Unter dir werden getilgt die noch verbliebenen Spuren Unserer Schuld, um die Welt von der ewigen Angst zu erlösen. Göttliches Leben empfängt der Knabe und schaut die Heroen Unter die Götter gemischt und wird selbst unter ihnen erscheinen - Friedenskönig des Reichs, das die Kraft des Vaters gebaut hat“21 In Octavian, der nach der Schlacht von Actium 31 v. Chr. dem Reich äußeren und inneren Frieden gebracht hatte, sahen viele Römer den Erfüller der Verheißung. So verlieh ihm der römische Senat 27 v. Chr. den Ehrenname Augustus (Griechisch: Sebastos), d.h. der 20 Vgl. dazu: Psalm Salomos 17,21-26: „Sieh darein, o Herr, und laß ihnen entstehen ihren König, den Sohn Davids, zu der Zeit, die du erkoren, daß er über deinen Knecht Israel regiere. Und gürte ihn mit Kraft, daß er ungerechte Herrscher zerschmettere, Jerusalem reinige von den Heiden, die [es] kläglich zertreten! [...] Mit eisernem Stabe zerschmettere er all ihr Wesen, vernichte die gottlosen Heiden mit dem Worte seines Mundes, daß bei seinem Drohen die Heiden vor ihm fliehen, und er die Sünder zurechtweise ob ihres Herzens Gedanken. Dann wird er ein heiliges Volk zusammenbringen, das er mit Gerechtigkeit regiert, und er wird richten die Stämme des vom Herrn, seinem Gotte, geheiligten Volks“. Zitiert aus: Grundmann, Walter, Leipoldt, Johannes (Hg.), Umwelt des Urchristentums, 2. Bd, a.a.O., S. 184 21 Zitiert nach: Stauffer, Ethelbert, Christus und die Caesaren, a.a.O., S. 70 11 Anbetungswürdige. Die Inschrift von Halikarnassos feiert ihn direkt als den Weltenheiland22. Augustus verlangt für seine Person noch keine göttliche Verehrung. Erst seine Nachfolger sind es, die verstärkt aus ihrer religiös überhöhten Position Konsequenzen ziehen. Im Grunde war der Konflikt zwischen Kaisertum und dem Christentum vorprogrammiert, da die römsichen Kaiser mit ihrem Kaiserkult zu der Überschreitung ihrer weltlichen Befugnis, wie Lukas sie formuliert, neigten. In der Weihnachtsgeschichte wird dieser sich andeutende Konflikt aber nicht thematisiert. d.) Der Friedefürst und die Pax Romana Mit der Schließung des Janustempels in Rom und der Proklamation des Weltfriedens wurde der Bürgerkrieges offiziell beendet. Augustus wurde als der weltliche Friedensbringer verstanden, wie in der Inschrift von Halikarnassos (s.o.) deutlich wird. Von diesem Verständnis her erklärt sich auch der Ausdruck „Pax Augusta“. Der Begriff „Friede“ taucht bei Lukas sonst kaum noch auf. Das „Friede auf Erden“ in der Weihnachtsgeschichte ist sicher im Sinne von Apg. 10,36 zu verstehen, daß Jesus den Frieden mit Gott bringt, er kein weltlicher und politischer Friedensbringer ist. Auch hier werden zwei Bereiche getrennt. 5. Zusammenfassung der Aussagen des Textes Sowohl die formale als auch die exegetische Untersuchung hat gezeigt, daß die Erzählung start durchgestaltet ist. Es handelt sich bei ihr nicht um einen historischen Bericht, sondern um einen theologischen Text. Die herausgearbeiteten Punkte sollen hier noch einmal genannt werden: 1. In der Weihnachtsgeschichte konvergieren Weltgeschichte und Heilsgeschichte. 2. Jesu Geburt steht nicht im Zeichen des Aufruhres gegen die römische Herrschaft, sondern unter dem Vorzeichen des Gehorsams. 3. Jesus kommt in Armut in einer Krippe zur Welt. Er erniedrigt sich, um später erhöht zu werden gemäß der Verheißung der Engel. Die Krippe weist als Kuriosum auf das Geheimnis Jesu hin. 22 Dort heißt es: „Da die ewige und unsterbliche Natur des Weltalls das höchste Gut zu überschwenglichen Wohltaten den Menschen geschenkt, indem sie Caesar Augustus hervorbrachte Unserem Leben zum Segen, den Vater des Vaterlandes, der Göttin Roma, den Zeus Patroos und Heiland des allgemeinen Menschengeschlechtes, dessen Vorsehung die Gebete aller nicht allein erfüllte, sondern noch übertraf - denn friedlich sind Land und Meer, die Städte blühen in trefflicher Rechtsordnung, In Eintracht und Gedeien, in Blüte und Frucht trägt jegliches Gute, die Meschen sind voll guter Hoffnungen auf die Zukunft, voll frohen Mutes für die Gegenwart [...]“; zitiert nach: Grundmann, Walter, Leipoldt, Johannes (Hg.), Umwelt des Urchristentums, 2. Bd., a.a.O., S. 107 12 4. Daß die Botschaft der Engel an die gering geachteten Hirten ergeht, ist programmatisch für das spätere Wirken Jesu und weist auf das Wesen Gottes hin, der sich besonders der Armen, der Verachteten und der Sünder annimmt. 4. Die Ansprüche der Würdetitel Jesu überschneiden sich mit denen des Kaisers 5. Jesus kommt nicht als der Befreier der Juden in die Welt, sondern als der Erlöser des gesamten Erdkreises. Sein Anspruch ist universal. 6. Jesus stürzt nicht die bestehenden weltlichen Ordnungen um, sondern er erlöst die Welt von Sünde und Tod. Er ist der Bringer des eschatologischen Heils, nicht des weltlichen Heils. Die Bereiche geistlicher und weltlicher Herrschaft werden unterschieden. 7. Der Konflikt der Überschreitung der weltlichen Befugnis, der im Kaiserkult angelegt ist, wird in der Weihnachtsgeschichte nicht thematisiert. Die Theologie, die in der Weihnachtsgeschichte zum Ausdruck kommt, läßt sich in zwei Teile gliedern: 1. Vorgriffe auf das spätere Leben Jesu und Hinweis auf das Wesens Gottes bei gleichzeitiger Anlehnung an die antike Tradition der Geburtslegenden. Lukas schafft gattungsmäßig ein Novum, die Kindheitserzählung. 2. Aussagen über Weltgeschichte und Heilsgeschichte, römischer Staat und Christentum. Diese sollen nun abschließend noch untersucht werden. 6. Ist die Aussage des Textes bedeutsam für das Verständnis des Verhältnisses von römischem Staat und Christentum? Die Weihnachtsgeschichte stellt Augustus Jesus gegenüber. Es werden die Bereiche geistlicher und weltlicher Herrschaft getrennt. Jesus tritt nicht gegen die weltliche Obrigkeit an, sondern ordnet sich ihr unter. Daß es bei dieser Trennung Grenzfälle geben kann, wenn ein weltlicher Herrscher göttliche Verehrung für sich beansprucht, davon sagt Lukas nichts. Dies verwundert insofern, als er den römischen Kaiserkult seiner Zeit sicher gekannt hat. Warum sagt er nichts darüber? Eine mögliche Interpretation wäre, daß Lukas eine Theologie vertritt, die an das Imperium Romanum gebunden ist. Der römische Kaiser übernähme danach eine Rolle im göttlichen Heilsplan, der den „Friede auf Erden“ bringen würde, während Jesus den Friede mit Gott und den Menschen wiederherstellte. Der Kaiser wäre für die Zeit bis zur Wiederkunft des himmlischen Messias sein weltlicher und religiöser Vertreter auf Erden. Diese Interpretation wäre im Sinne einer „politischen Theologie“23, die von manchen Kirchenvätern vertreten wurde und die zu einer Verquickung von Staat und Kirche, wie im Osten geschehen, geführt hat. Allerdings glaube ich nicht, daß Lukas diesen Standpunkt 23 Der Begriff stammt von Carl Schmitt (vgl. Schmitt, Carl, Politische Theologie, a.a.O.). In seinem Aufsatz „Der Monotheismus als politisches Problem“ (in: Peterson, Erik, Theologische Traktate, a.a.O., S. 49-147) zeigt Erik Peterson jedoch am Beispiel des Monotheismus die Unmöglichkeit einer politischen Theologie auf. 13 vertritt. Meiner Meinung nach benutzt Lukas die Gegenüberstellung des Kaisers mit dem Kyrios dazu, um auf die Universalität der Erlösung hinzuweisen. Er will damit nicht zum Ausdruck bringen, daß der Kaiser eine Vertreterrolle Christis auf Erden habe. In der Apostelgeschichte heißt es darum auch von Christus: „Und in keinem andern ist das Heil, auch ist kein andrer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir sollen selig werden“ (Apg. 4,12). Lukas will in der Weihnachtsgeschichte meiner Meinung nach keine politische Theologie verkünden. Die Einordnung der Geburt in weltgeschichtliche Ereignisse soll vor allem den Herrschaftsbereich und -anpruch Jesu verdeutlichen. Somit ist die Heilsgeschichte nur scheinbar in die Weltgeschichte eingeordnet, in Wirklichkeit hat jene eine dienende Funktion und illustriert das Heilsgeschehen. In Bezug auf den Wert der Quelle für das Verständnis von römischem Staat und Christentum bedeutet das, daß die Weihnachtsgeschichte nur geringen Wert hat. Ohnehin ist sie nur in Verbindung mit gesamten Theologie des Lukas zu interpretieren. In diesem Zusammenhang glaube ich sagen zu können, daß Lukas in seiner Erzählung von Geburt Jesu sein besonderes Gewicht darauf legt, daß der Messias gekommen ist, um die Welt von Sünde und Tod zu erlösen, daß Gott sich durch ihn gerade mit den Armen und Schwachen solidarisch gemacht hat. 14 7. 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