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Topoi im Corona-Diksurs123

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Politische Wahlreden im Zeichen der Corona-Pandemie
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und gleichzeitig Kandidat bei der nächsten Präsidentenwahl 2020 und Mateusz
Morawiecki als der Spitzenpolitiker der PiS-Partei und der polnische Ministerpräsident, der sich für die Kampagne engagiert hat. Die zum Korpus ausgewählten Wahlreden stammen aus einem relevanten Zeitraum (von Februar 2020
bis Juli 2020), der durch die wütende Coronavirus-Pandemie und Präsidentenwahlen 2020 in Polen geprägt war. Das Virus war schon weltweit ausgebreitet. Die
Pandemie hat sich auf nahezu alle Lebensbereiche ausgewirkt. Die Schutzmaßnahmen (wie etwa Maskenpflicht in öffentlichen Räumen, Einschränkungen,
soziale Distanz etc.) zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie und zur Bewältigung ihrer Folgen wurden von den Regierungen weltweit beschlossen.
3.
Zum Begriff des Topos
Argumentieren ist der zentrale sprachliche Handlungstyp politischer Rhetorik
und umfasst das Legitimieren und Delegitimieren staatlichen Handelns, das
Begründen von Thesen, das Rechtfertigen von Ideen und Praktiken sowie das
begründete Einwenden (als Kontra-Argumentieren) (vgl. Klein 2019: 65).
Grundmuster des politischen Argumentierens bestehen aus Vernetzung verschiedener Argumenttypen, die Klein (2019: 338) als »topische Muster« bezeichnet. Der Topos ist ein Argumentationsmuster, ein allgemeines Form-,
Denkprinzip, nach dem bestimmte Argumente gebildet werden (können). Römer
(2018: 122) beschreibt den Topos als
ein auf einen bestimmten Gegenstand oder Diskurs bezogenes gesellschaftliches
Denkprinzip […], nach dem Argumentationen gebildet werden, deren Schlüssigkeit
oder Konklusion aus Prämissen folgt, die anerkannte Meinungen […] sind. Topoi
schöpfen demnach aus habituellen Denkweisen und vorherrschenden kollektiven
Überzeugungen.
Die Analyse der Topoi kann Aufschlüsse über dominierende Denkweisen in
einem bestimmten Zeitraum geben, u. a. auch über Argumentationsstrategien
und -ziele, die das kollektive gesellschaftliche Wissen und die kollektive Denkweise prägen.
Die Topoi lassen sich sowohl strukturorientiert als auch inhaltsorientiert
analysieren. Die inhaltsorientierte Analyse konzentriert sich auf die Argumentationsmuster, die in einem bestimmten Zeitraum (d. h. in einem zeitlich und
thematisch begrenzten Diskurs) dominieren. Die folgende Herangehensweise an
die Toposanalyse schlägt u. a. Wengeler (2003, 2016) vor, indem er sich bei der
Analyse auf die historische sowie soziokulturelle Bedingtheit des Argumentierens fokussiert, die das gesellschaftliche Denken und Wissen prägen (vgl.
Wengeler 2016: 2). Die strukturbezogene Toposanalyse (im Gegensatz zu der
Izabela Kujawa
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inhaltsbezogenen) schlägt u. a. Klein (1995, 2000, 2019) vor, indem er topische
Muster der Argumentation beschreibt und den Fokus des Interesses auf strukturelle Eigenschaften von Argumentationen legt. Klein (2019: 338) spricht von
»komplexen topischen Mustern« und meint damit ein Mosaik von abstrakten
Basistopoi, die ein komplexes Geflecht, ein topisches Netz bilden und niemals
separat eintreten. Die Argumente verteilen sich auf Topoi und bilden feste
Verbindungen. Nach diesem komplexen topischen Muster verlaufen Argumentationen in öffentlich-politischen Diskursen und in der politischen Kommunikation, auch in politischen Wahlreden, die direkt an die Wähler in der Face-toFace-Kommunikation adressiert werden.
Klein (2019: 77) erwähnt folgende Topoi:
Datentopos
Valuationstopos3
Prinzipientopos
Finaltopos
Topos der Ausführungskompetenz
Begründung/Argumentation durch die Schilderung einer
Ausgangssituation
Im Datentopos werden charakteristische Fakten/Tatsachen/Annahmen über die Situation angeführt, um ein
bestimmtes politisches Ziel zu rechtfertigen.
Begründung durch Situationsbewertung
Im Valuationstopos werden die Situationsannahmen oder
Daten bewertet. Dadurch werden die politischen Handlungsziele motiviert.
Begründung durch Normen und Werte, die den Argumentationszielen zugrunde liegen
Im Prinzipientopos werden Prinzipien, Normen und
Werte markiert, die das politische Handeln leiten.
Begründung durch Ziele oder Zwecke
Im Finaltopos wird das Ziel benannt, d. h. die Handlungsplanung wird auf die Zielsetzung ausgerichtet. Es
wird mit dem Ziel argumentiert.
In diesem Topos wird die Qualität der Handlungsausführung und -kontrolle thematisiert und bewertet.
Tab. 1: Argumenttypen nach Klein (2019, 2003)
Spieß (2021: 458) modifiziert das Argumenttypen-Set von Klein (2019, 2003) und
schlägt zwei weitere Kategorien vor: Konsequenztopos und Autoritätstopos und
charakterisiert sie folgendermaßen:
Konsequenztopos
Der Konsequenztopos geht auf die Handlungen ein und
wird angeführt, um auf positive sowie negative Folgen der
Handlung (z. B. Folgen politischer Entscheidungen)
hinzuweisen.
3 Valuationstopos tritt bei Klein (2003) auch als Motivationstopos auf. Spieß (2021: 458) verwendet dafür die Bezeichnung Bewertungstopos.
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Autoritätstopos
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Der Autoritätstopos führt als Argument Autoritäten (z. B.
Experten) an, um die Plausibilität der politischen Entscheidungen zu begründen.
Tab. 2: Weitere Argumenttypen nach Spieß (2021: 458)
Die einzelnen Topos(kategorien) bilden Muster, deren Verbindung eine Handlungsstruktur darstellt und dadurch spezifische sprachliche Handlungen begründet und konstituiert. Öffentliche Debatten und politische Reden, in denen es
um das Legitimieren politischen Handelns geht, bestehen aus mehreren Topoi,
aus einem »Ensemble« von Datentopos, Valuationstopos, Prinzipientopos und
Finaltopos, die ein komplexes topisches Muster bilden (vgl. Klein 2019: 78). Diese
Komplexität wird folgendermaßen beschrieben:
Politische Handlungen […] werden begründet durch Ziele (Finaltopos), diese werden
motiviert durch Situationsbewertungen (Motivationstopos), welchen wiederum einerseits bestimmte Annahmen über Situationsdaten (Datentopos) und oft auch über deren
Konsequenzen (Konsequenztopos) und andererseits bewertungs- und handlungsleitende Prinzipien oder Werte (Prinzipientopos) zugrunde liegen. (Klein 2003: 1468)
Grundmuster der politischen Kommunikation bilden nach Klein (2011: 291) vier
Topoi: der Datentopos, Valuationstopos (bzw. Motivationstopos), Finaltopos
und der Prinzipientopos, der sich bei den Argumentationszielen meist auf
Hochwertwörter stützt, wie etwa Demokratie, Menschenrechte, Freiheit, Gerechtigkeit etc. Aus der Vernetzung der vier Topoi ergibt sich die Zustimmung
und Rechtfertigung politischer Handlungen und Entscheidungen. Da es in der
politischen Kommunikation meist wichtiger ist, die Handlungen der Politiker,
der Regierung zu rechtfertigen, als Wahrheitsansprüche für Thesen und Behauptungen zu stützen (vgl. Klein 2019: 76).
In der folgenden Analyse der Wahlreden werden neben den von Klein (2019)
benannten Topoi (Datentopos, Bewertungstopos, Prinzipientopos, Finaltopos)
auch andere berücksichtigt, die besonders an Bedeutung gewinnen, weil die
Wahlen im Zuge der Pandemie verliefen. Aus diesem Grund ist damit zu rechnen,
dass manche Wähler aus Angst um ihre Gesundheit nicht genügend entschlossen/motiviert waren, an Wahlen teilzunehmen. Entscheidend ist dabei die Argumentation, die sich direkt auf die Handlungen der Adressaten der Wahlreden
beziehen und die Entscheidungen der Wähler noch deutlicher beeinflussen. Es
handelt sich also um konkrete Topoi, nämlich Konsequenztopos und Autoritätstopos.
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