Ethisches Handeln im Verwaltungsrat Vortrag vor dem RC Bern-Muri vom 30. August 2002 Dr. Georg Krneta Ein Student kam kürzlich zu einem Professor mit dem Begehren, er möchte gerne Wirtschaftsethik studieren. Darauf erhielt er zur Antwort: "Entweder Sie studieren Wirtschaft oder Sie studieren Ethik, aber das Eine geht nicht zusammen mit dem Andern." Diese Feststellung hat in erster Linie ihre Ursache im Wesen der Aktiengesellschaft als Kapitalgesellschaft und der unbestrittenen Aufgabe und Pflicht des Verwaltungsrates, im Interesse der Aktionäre möglichst hohe Gewinne für die Gesellschaft zu erwirtschaften. Allerdings wurde dieses Gewinnstreben, das ursprünglich praktisch ohne Begrenzung möglich war, im Rahmen der gesellschaftlichen Entwicklung immer mehr mit Auflagen belastet. Um dies etwas verständlicher zu machen, möchte ich einen Blick zurück in die Geschichte der Aktiengesellschaft werfen. Der englische Bohémien und Soldat/Wissenschaftler Prinz Rupert entwickelte im 17. Jh. die verwegene Idee, mit hoch spekulativem Risikokapital in der kanadischen Wildnis ein Handel mit Tierfellen aufzubauen. Am 2. Mai 1670 gründete er deshalb mit seinen Abenteurer-Kollegen wie sie genannt wurden - in London eine der ältesten noch bestehenden Aktiengesellschaften, die Hudson's Bay Co. König Charles II von England stellte ihnen zu diesem Zweck die Gewässer und das Land der kanadischen Hudson Bay zur Verfügung. In den ersten Jahren erhielten die Aktionäre Nerzfelle als Dividende und wurden an der Generalversammlung als "meine Herren Abenteurer" angesprochen. Mit hoher Risikobereitschaft, entbehrungsreichem und entsprechend auch rücksichtslosem Operieren in der kanadischen Wildnis wurde der Tierfellhandel mit den Trappern aufgebaut. Irgendwelche ethischen Aspekte kamen dabei nicht zur Anwendung, denn im Hinblick auf das eingegangene Wagnis hatte die Gewinnerzielung alleinige Priorität. Diese Philosophie der Gewinnmaximierung setzte sich in der frühkapitalistischen Zeit fort, wo Fabrikarbeiterinnen und Fabrikarbeiter und sogar Kinder für Hungerlöhne am Fliessband standen, um den Produktionsprozess in Gang zu halten. Die zunehmenden Anforderungen an das Können und die Ausbildung der Arbeitskräfte, die unter Anwendung ethischer Grundsätze geschaffenen Gesetze zum Verbot von Kinderarbeit und Ausbeutung von Arbeitskräften sowie auch gewerkschaftliche Aktivitäten änderten im Laufe der Zeit die Sachlage insofern, als von einem gewissen Zeitpunkt an auch andere Kreise als Aktionäre ihren Anteil an der Beute des Unternehmens forderten, oft sogar bevor sie überhaupt erlegt wurde. Der Begriff der sog. Stakeholders wurde geboren. Er umfasst alle Kreise, die - ohne an der Aktiengesellschaft kapitalmässig beteiligt zu sein - ihren Anteil am Gewinn verlangen. Dies betrifft in erster Linie die Mitarbeiter des Unternehmens, aber auch die öffentliche Hand, Zulieferanten und sogar Kunden. Entsprechend fliesst heute mehr als die Hälfte der Wertschöpfung der Aktiengesellschaft den Mitarbeitern zu; ich möchte sagen, auch ein Ergebnis ethischen Handelns. Im Gegensatz zu früher, als eine Aktiengesellschaft noch hinter hohen Lattenzäunen ihr Eigenleben führen konnte, ist sie zudem unter der aktiven Mithilfe der Medien vielfach Gegenstand des öffentlichen Interesses geworden und hat den Verwaltungsrat gezwungen, ohne jegliche rechtliche Verpflichtung, in einem gewissen Rahmen auf die öffentliche Meinung Rücksicht zu nehmen. Als Ironie des Schicksals kann man sogar feststellen, dass die ursprüngliche Tätigkeit der Hudson's Bay Co. - d.h. der Tierfellhandel - durch Tierschützer mit extremen ethischen Forderungen und dem Slogan "Verhindert den Pelztiermord" in der Neuzeit weitgehend zum Erliegen gebracht wurde. Pelzhändler wurden ruiniert oder in ihren Einkommen wesentlich beeinträchtigt. Andere, von ethischen, oft aber auch von versteckten andern Motiven getriebene Organisationen versuchen immer wieder den Verkauf von Produkten in der Schweiz zu verhindern, weil diese tatsächlich oder angeblich im Fernen Osten unter Ausnützung von Kinderarbeit oder der Notlage von Menschen hergestellt wurden. Trotz dieser zusätzlichen Schwierigkeiten und Veränderungen der Marktbedingungen ist jedoch der Auftrag an den Verwaltungsrat der Aktiengesellschaft unverändert geblieben: er muss für die Aktionäre möglichst hohe Gewinne erzielen. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist die AG dem Prinzip der Gewinnerzielung, ja sogar der Gewinnmaximierung verpflichtet. Dieses Ziel zu erfüllen, ist und bleibt die oberste Aufgabe des Verwaltungsrates. Wie lässt sich diese Aufgabe mit ethischem Handeln vereinbaren? Der Nobelpreisträger Milton Friedman hat 1970 im NEW YORK TIMES MAGAZIN u.a. folgendes gesagt: "Im System der freien Marktwirtschaft mit privatem Eigentum, ist der Unternehmensleiter ein Angestellter der Firmeneigentümer. Er muss sich direkt gegenüber diesen Arbeitgebern verantworten. Diese Verantwortung umfasst eine Geschäftsführung, die sich nach den Vorstellungen der Eigentümer richtet, und die im allgemeinen unter Beachtung grundsätzlicher rechtlicher und ethischer Regeln das Erzielen möglichst hoher Gewinne umfasst." Bekanntlich entwickeln Wissenschaftler ihre Aussagen oft nicht aufgrund praktischer Erfahrungen, sondern von Theorien. Ist deshalb die Aussage des Nobelpreisträgers realistisch, dass trotz des offenbaren Widerspruchs von Ethik und Gewinnerzielung hohe Gewinne unter Beachtung ethischer Regeln erzielt werden können? Die Beantwortung dieser Frage ist nicht einfach. Tatsächlich ist es in gewissen Bereichen möglich, gerade durch Anwendung ethischer Grundsätze Geld zu verdienen nach dem Motto "good ethics is good business". Einen Anwendungsfall habe ich bereits erwähnt. Angemessen bezahlte und für das Unternehmen motivierte Mitarbeiter erbringen höhere Leistungen. Ertragsmässig hat es sich aber auch immer wieder gelohnt, in der Werbung für ein Produkt nur das anzupreisen, was wirklich stimmt. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für den guten Ruf eines Unternehmens, mit dem man schliesslich über längere Zeit erfolgreich Geschäfte macht. Der Verkauf von Mogelpackungen und irreführende Werbung gestattet nur einen sehr beschränkten und kurzfristigen Geschäftserfolg. Das ethische Bestreben, nur gute Qualität von Produkten und Dienstleistungen zu verkaufen, und sich gegenüber den Kunden kulant und korrekt zu verhalten, sind weitere Garantiescheine für den Markterfolg; denn eine solche Unternehmenskultur, die auf Zuverlässigkeit, Vertrauen und guten Leistungen beruht, ist eine solide Voraussetzung für längerfristige Gewinnerzielung. Mit dem Slogan "Fairer Handeln, Einkaufen mit gutem Gewissen" versuchen sogar Organisationen mit einem Appell an das ethische Gewissen Käufer zu überzeugen, Produkte aus Drittweltländern, wie Bananen, Kaffee und Reis zu einem höheren Preis zu kaufen, um eine anständige Bezahlung der Produzenten zu garantieren, eine an sich begrüssenswerte Wohlaktion, die bei einer Rezession jedoch kaum Überlebenschancen hätte. Ethische Grundsätze haben zusätzlich in besonders heiklen Bereichen ihre Anwendung gefunden. Die Novartis hat zum Beispiel kürzlich für das eigene Forschungsvorhaben mit menschlichen embryonalen Stammzellen ethische Richtlinien erarbeitet und einen externen Ethik-Rat geschaffen. Diese Lichtblicke können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der VR von vielen Gesellschaften beim ständigen Bemühen um Gewinnerzielung mit ethischen Grundsätzen in Konflikt gerät. Denn in etlichen Bereichen kann leider die Anwendung ethischer Grundsätze zu einem Geschäftsmisserfolg führen. Nehmen wir ein Beispiel: Ein mittelgrosses Unternehmen, das um seine Existenz kämpft, findet neue Absatzmärkte im Fernen Osten. Der Verkauf seiner Produkte in den asiatischen Ländern würde es der Gesellschaft erlauben, ihre finanzielle Lage wesentlich zu verbessern. Nun weiss jedoch jedermann, der im Fernen Osten geschäftlich tätig ist, dass in diesem Gebiet Geschäftsabschlüsse nur durch die Bezahlung von Bestechungs- und Schmiergeldern möglich ist. Je geringer das Rechtssystem in einem Land entwickelt ist, desto ausgeprägter ist die Korruption. Wie entscheidet in einem solchen Fall der Verwaltungsrat als oberstes Organ der Gesellschaft? Heute gehören China, Indien, Indonesien im Fernen Osten zu den Ländern mit dem höchsten Korruptionsanteil. In einem Artikel - erschienen in einer indischen Baurechtszeitung vom 23. Oktober 2001 und Januar 2002 - wird von den gewaltigen Dimensionen der Bestechung von Beamten im indischen Vergabewesen gesprochen. Aber auch Firmen, die in China oder in andern Ländern des Fernen Ostens tätig sind, wissen, dass man ohne "Spezialzahlungen" nicht den Hauch einer Chance hat, überhaupt ins Geschäft zu kommen. Ich darf auch auf Japan hinweisen mit dem bekannten Spesenposten Sex. Vergnügungen dieser Art bilden in jeder Firma einen festen Kostenpunkt. In der japanischen Wirtschaft gilt käuflicher Sex als gängige Bestechungspraxis. In solchen Fällen steht der Verwaltungsrat vor äusserst schwierigen Entscheidungen. Ist es möglich, sich geschäftlich aus dem Fernen Osten zurückzuziehen und trotzdem die von den Aktionären geforderten Gewinne zu erzielen oder muss man sich, um das Überleben der Gesellschaft zu sichern, auf diese unethischen Spielregeln einlassen, die praktisch von jedermann in dieser Region angewendet werden? Die Frage der Bestechung oder der Schmiergelder stellt sich jedoch nicht nur im Fernen Osten. Die Bezahlung solcher Beträge, oft versteckt ausgerichtet unter dem Begriff "Sponsoring der örtlichen Wirtschaftsstruktur", oder "Beitrag an die lokale Wirtschaftsentwicklung" erfolgt auch im Nahen und Mittleren Osten sowie bei Geschäften mit Russland und einigen osteuropäischen Staaten, wo Gewinne winken, wenn man die entsprechenden Kanäle und Entscheidungsgremien in unethischer Weise mit Sonderzahlungen beeinflusst. Nach der neuesten Sauberkeitsrangliste wird Russland sogar erst im 71. Rang aufgeführt, während China auf Position 59 steht. Doch auch in Europa, in den USA und selbst in der Schweiz ist die Korruption ein Thema. Unter den saubersten Ländern figuriert beispielsweise die Schweiz erst im 12. Rang, die USA im 16. Rang und Frankreich und Italien sind sogar noch schlechter als Japan. Beispiel solcher Praktiken ist z.B. der Chef-Einkäufer einer grossen Warenhausgruppe, der sich für einen Lieferanten entscheidet, weil er von diesem die Reisedokumente für zweiwöchige Ferien in der Karibik oder für eine Weltreise erhalten hat. Sie werden sich nun fragen, was der Unterschied zwischen Bestechungs- und Schmiergeldern ist. Bestechungsgelder gehen immer nur an Behördemitglieder , Staatsangestellte und Beamte im Zusammenhang mit ihrer amtlichen Tätigkeit, um sich einen pflichtwidrigen oder einen im Ermessen stehenden Vorteil zu verschaffen. Seit 1997 ist die Bestechung in der Schweiz in Art. 322 septies StGB unter Strafe gestellt. Man riskiert eine Strafe bis zu 5 Jahren Zuchthaus oder Gefängnis. Ein Unternehmen, das die Sitten im indischen Vergabewesen mitmacht, würde sich somit nach Schweizerrecht strafbar machen. Wie heikel ein Fall von Bestechung sein kann, zeigt allerdings ein Beispiel aus Italien, wo eine Firma durch Bezahlung von Geldern an Steuerbeamte nur erreichen wollte, was ihr effektiv von rechtens zusteht, dass nämlich ihre Jahresrechnung nicht erst in fünf Jahren geprüft und genehmigt wird, sondern in den dem Geschäftsabschluss folgenden Monaten. Schmiergelder mit dem gleichen Ziel, sich einen besonderen Vorteil zu verschaffen, werden dagegen an Personen bezahlt, die nicht in öffentlichen Diensten stehen, z.B. an Direktoren oder andere Schlüsselpersonen von Firmen. Die Bezahlung solcher Schmiergelder ist rechtlich nach wie vor legal und diese können als Geschäftsausgaben von den Steuern abgezogen werden trotz ihres fragwürdigen ethischen Charakters. Zudem ist die Grenze zwischen einem ethisch verpönten Schmiergeld und einer rechtlich zulässigen Vermittlungsprovision, wie sie nach Gesetz den Maklern zusteht, oft fliessend. In diesem Spannungsfeld muss der Verwaltungsrat sich ständig entscheiden zwischen geschäftsnotwendigen Handlungen und der Befolgung ethischer Grundsätze. Besitzt ein Unternehmen weltweit eine sehr starke Stellung, wie z.B. die Firma Schindler im Gebiet der Lifte und Rolltreppen, oder eine Grossbank mit ihrer weltweiten Präsenz, ist die Frage der Bezahlung von Schmiergeldern viel weniger akut als beim kleinen Unternehmen, weil die Behörden und Firmen in den unterentwickelten Ländern auf die Leistungen dieser Weltfirmen angewiesen sind. Anders ist jedoch die Sachlage bei einer kleinen Firma, die nur eine der vielen Mitbewerber ist, und um ihre Absatzkanäle täglich kämpfen muss. Das ethische Gewissen des Verwaltungsrates wird jedoch nicht nur im Bereich der sog. "nützlichen Ausgaben" beansprucht, sondern auch im Wettbewerbs-Sektor. Sie mögen sich vielleicht alle noch an das Vitamin C Kartellverfahren erinnern gegen Roche und andere Grossfirmen wegen verbotener Preis- und Marktabsprachen. Auch in diesem Bereich ist die Versuchung für den Verwaltungsrat sehr gross, verpönte oder sogar verbotene Wettbewerbsabsprachen zu treffen, oder in der Werbung bis an die äusserste rechtliche Grenze zu gehen, um sich den Markt zu sichern. Was macht eine kleinere Firma, wenn ihr von einem grossen Konkurrenten angeboten wird, ihr Absatzgebiet in Ruhe zu lassen, wenn sie sich im Gegenzug verpflichtet, ihre Produkte nicht ausserhalb ihres angestammten Marktes zu verkaufen? Was hat in einem solchen Fall die Priorität: die Ethik und der Mut, eine solche Gebietsabsprache abzulehnen oder die Existenz des Unternehmens, das allenfalls riskiert, in seinem angestammten Gebiet von grossen Konkurrenten erdrückt zu werden. Ich erwähne diese immer wieder vorkommenden Fälle, um die ständige Konfliktsituationen des Verwaltungsrates zwischen Gewinnerzielung und ethischem Handeln aufzuzeigen. In vielen Fällen kommt der Verwaltungsrat nicht darum herum, pragmatische Entscheide zu fällen. Immerhin darf ich abschliessend feststellen, dass zur Zeit ein sog. Wirtschafts-Ethik-Boom ausgebrochen ist, weil die Zahlung von masslosen Gehältern an einzelne Spitzenmanager unter Beschuss geraten ist, und Bilanzierungs-Skandale bei grossen amerikanischen Firmen die Zeitungsspalten füllen. Überall ist man plötzlich bestrebt, mit neuen Weisungen und Vorschriften, insbesondere im Rahmen der Corporate Governance neue Schranken gegen solche Auswüchse aufzubauen - leider mit einer zunehmenden Bürokratisierung der Verwaltungsratsarbeit, denn die wenigsten haben verstanden, dass nicht die Zahl der verschiedenen Komitees entscheidende Bedeutung hat, sondern die Auswahl der Verwaltungsratsmitglieder. Zudem gibt es selbst Meinungsunterschiede unter Ethikern im Wirtschaftsleben. Es existieren z.B. Anlagefonds für Leute, die eine Kapitalanlage in ethisch einwandfreie Firmen suchen. Einer dieser Ethikfonds in der Schweiz heisst "Prime Value" deren Verwalter sich allerdings vor Jahren von andern Ethikern ankreiden lassen mussten, dass sie Aktien einer amerikanischen Weltfirma in das Portefeuille aufgenommen hatten, obwohl die Firma 2 % ihres Umsatzes mit Antibabypillen erzielt hatte. Ethik kann im Wirtschaftsleben somit auch zu weit gehen. Immerhin, wenn Sie sichergehen wollen, in Zukunft nur einen ethisch absolut korrekten Verwaltungsrat bei Ihrer Gesellschaft zu haben, müssten Sie ausschliesslich Rotarier in dieses Gremium wählen. Denn, wie Sie sicher alle wissen, verlangt das 2. Ziel von Rotary die Anerkennung hoher ethischer Grundsätze im Privat- und Berufsleben. Zusätzlich wird bei der Erklärung zur geschäftlichen und beruflichen Tätigkeit der Rotarier nochmals unter Ziff. 2 der Grundsatz aufgestellt, dass sie die ethischen Grundsätze ihres Berufsstandes und die Gesetze ihres Landes dem Buchstaben und dem Sinne nach befolgen müssen. Die Frage allerdings, wie lange diese Rotarier Verwaltungsräte bleiben, wenn die Gesellschaft laufend hohe Verluste erzielt, überlasse ich Ihnen zu beantworten. Text veröffentlicht auf der Homepage der Meister Executive Search