WIE OFT LEBT DER MENSCH? REINKARNATION UND CHRISTLICHER GLAUBE. Der Tod, das Verlöschen der welthaften Existenz des Menschen ist seit eh und je ein zentrales Problem des Denkens, wenn nicht gar das Problem des Denkens schlechthin. Im Tod akzentuiert sich für den Menschen die allgemeine Vergänglichkeit des Irdischen, und zwar in besonders schmerzlicher Weise - für gewöhnlich. Stets hat der Mensch geahnt, dass die Vergänglichkeit, die er im Tod erfährt, nicht das Wesen des To-des ausmacht, dass sich in dieser Vergänglichkeit vielmehr die Unvergänglichkeit des Menschen verbirgt. Das ist eine Ahnung, die uns auch in der Lehre von der Reinkarnation be-gegnet. Sie geht davon aus, dass die Seele nach dem Tode eines Menschen aufs neue in einen Körper eingeht. So beginnt sie ein neues Leben, das in einem kausalgesetzlichen Zusammenhang mit dem früheren steht. Die Reinkarnation oder Seelenwanderung - wir sprechen auch von Wiedergeburt, Wiederverkörperung oder Palingenese - ist ein Thema, das heute immer wieder von den Medien aufgegriffen wird. In Fernsehsendungen diskutiert man über sie immer wieder mit unverhohlener Sympathie1. Und sie findet wachsende Zustimmung in unserer Welt. Wie Befragungen ergeben haben, glauben in der westlichen Welt sogar 23 % der Katholiken an die Reinkarnation, beinahe ein Drittel (31 %)von ihnen besucht gar Sonntag für Sonntag den Gottesdienst. Allgemein beziffern sich die Reinkarnationsgläubigen auf ca. 30 % der Bevölkerung, wie demoskopische Befragungen ergeben haben2. Weshalb glauben heute so viele Menschen in den westlichen Industrieländern an die Reinkarnation, an die Seelenwanderung? Gerade in diesem Jahr erschien ein Buch im Gütersloher Verlagshaus, das sich mit den "Westlichen Reinkarnations- vorstellungen" beschäftigt3. Man kann es sich heute leisten zu behaupten, man sei die Königin von Saba rediviva oder man sei eine Wiedergeburt Napoleons. 1 J. Tibusek, Die neue religiöse Kultur. New Age: Personen, Organisationen, Zitate, Gießen 31988, 54. 2 G. Danneels, Christus oder der Wassermann? Ein Hirtenbrief, Einsiedeln/Freiburg 1991, 41; J. Heer, Jeder Fünfte hält was davon. Reinkarnationsglaube hier und heute, in: Bibel heute 23, 1987, 27. 3 R. Sachau, Westliche Reinkarnationsvorstellungen, Güters-loh 1996. 2 Die Faszination des Reinkarnationsglaubens nimmt zu. Das muss im Zusammenhang gesehen werden mit der wachsenden Hinwendung zur Esoterik, speziell in der Gestalt des New Age. Das gilt für Europa nicht weniger als für die USA. Die Lehre von der Seelenwanderung bildet eine spezifische Form des Glaubens an ein Weiterleben nach dem Tod, eine Form, die uns in einer Reihe von Religionen begegnet, in primitiven Volks- und Stammesreligionen wie auch in Hochreligionen. Sie verbindet sich hier mit einem zyklischen Weltbild. Der Gedanke der Reinkarnation drängt sich dem naiven Beobachter der Welt irgendwie auf, wenn er sieht, wie sich das Leben auf der Erde immer wieder erneuert, wie der Tod der Geburt folgt und wie immer neue Geburten dem Tod folgen, wie Entstehen und Vergehen einen ständigen Kreislauf bilden. Die Übertragung dieser alltäglichen Erfahrung auf das Individuum entbehrt von daher nicht einer gewissen Plausibilität, zumal es dem Menschen schwerfällt, sich die End-gültigkeit seines Schicksals im Tod vorzustellen und zu be-jahen, zumal er im tiefsten weiß, dass der Tod nicht das Letzte ist, und zumal der Gedanke, dass man ein missglücktes Leben nachholen kann, äußerst angenehm ist. In der Seelenwanderungslehre geht man davon aus, dass die Seele nach dem Tod immer wieder in einen neuen gleichartigen oder artverschiedenen Körper eingeht, bis sie geläutert ist und, frei von aller Körperlichkeit, zur Vollendung kommen kann. In Hintergrund dieser Lehre steht also die Vorstellung von einem Läuterungsweg. An diesem Punkt berührt sie sich mit unserer Lehre vom Fegfeuer. Die Art der Wiederverkörperung wird jeweils bestimmt durch das, was der Mensch in sei-nem vorhergehenden Leben getan hat. Gute Taten führen zu einer guten Reinkarnation, böse aber zu einer schlechten. Der Mensch wird wiedergeboren, um die Aufgaben zu erfüllen, die er in seinem Leben nicht erfüllen konnte oder wollte4. In einzelnen ist die Lehre von der Reinkarnation unterschiedlich geprägt. Verschieden beantwortet werden die Fragen, ob auch eine Wiedergeburt in einem Tier möglich ist, ob 4 R. Hummel, Suche nach Identität, in: B. Haneke, K. Huttner, Hrsg., Spirituelle Aufbrüche: New Age und "Neue Spiritualität" als Herausforderung an Gesellschaft und Kirche, Regensburg 1991, 47. 3 alle Menschen wiederkehren, ob man das Geschlecht wechseln kann in einer Wiedergeburt, ob größere Abstände zwischen den Inkarnationen liegen und was ihr letztes Ziel ist. Im Fernen Osten hat die Lehre von der Seelenwanderung eine lange Tradition. Über Jahrtausende hin. Bei uns im Westen ist sie indessen auch nicht gerade von gestern. Denn in der Esoterik wird sie schon seit zwei Jahrtausenden weitergege-ben, aber eben nur in kleineren Zirkeln, hermetisch, unter den Eingeweihte. Indessen besteht ein tiefgreifender Unterschied zwischen der östlichen und der westlichen Reinkarnationsvorstellung. Beherrschend ist der Gedanke der Seelenwanderung im Hinduismus und im Buddhismus. Zwar ist er in den ältesten Schriften Indiens, in den Veden, (um 1300 v. Chr.) kaum bekannt, aber in den Upanishaden (um 800 v. Chr.) nimmt er einen zentralen Platz ein. Der Buddhismus übernimmt ihn vom Hinduismus, mo-difiziert ihn allerdings angesichts seiner Leugnung einer substantiellen Seele. Das heißt: Im Buddhismus gibt es, an-ders als im Hinduismus, nur die Reinkarnation, nicht jedoch die Seelenwanderung, weil man die Seele leugnet. Im Reinkarnationsglauben des Hinduismus hält sich in den Wiedergeburten die Individualität der Seele durch. Im Budd-hismus, zumindest im Urbuddhisms, der aus dem Hinduismus hervorgegangen ist, lehrt man eine Wiedergeburt ohne Seele. Hier ihn liegt die Kontinuität in der Abfolge der Geburten lediglich im Karma. Dabei denkt der Buddhismus allerdings auch an ein Bewusstseinskontinuum, das jedoch nicht durch die Seele bedingt ist, sondern durch das Karma. Wenn man von dieser spezifischen Differenz einmal absieht stellt sich die Reeinkarnation im Hinduismus wie auch im Buddhismus so dar: Der Mensch hat einen unzerstörbaren Kern, das "atman", das sich vor unvorstellbar langer Zeit von dem absoluten Urgrund, dem "brahman", gelöst hat. Seither muss das "atman" nach einem unverbrüchlichen Weltgesetz, dem "dharma", unzählige Erdenleben durchlaufen. Dabei haftet dem Kern, dem Selbst des Menschen, dem "atman", jeweils die Sum-me der guten und bösen Taten, das "karma", an und bestimmt die Eigenart und den Zustand des kommenden Erdendaseins. Wenn das "atman" einige Zeit nach dem Tod des Menschen in einen neuen Leib eintritt, also wieder- 4 geboren wird, hat es die Gelegenheit, seine früheren bösen Taten zu sühnen und durch gute Taten besseres "karma" zu erwerben, bzw. durch besseres Karma ein günstigere Ausgangsposition für ein neues Leben zu erreichen. Der qualvolle Kreislauf der Wiedergeburten, das "samsara", findet erst ein Ende, wenn der Zustand der Vollkommenheit erreicht ist. Dann verliert das "atman" sein Selbstbewusstsein und kehrt in den absoluten Seinsgrund zurück, aus dem es hervorgegangen ist, und findet so seine Erlösung. Die Lehre vom Karma verstehen wir nur recht, wenn wir uns klar machen, dass nach hinduistischem und buddhistischem Ver-ständnis alle Taten aus Wünschen entstehen, die bösen wie die guten. Sie sind das Ergebnis des Begehrens. Das Begehren aber ist es letztlich, das den Kreislauf des Werdens und des Vergehens in Gang hält. Das Begehren verursacht Handeln, und Handeln läßt schlechtes und gutes Karma entstehen, beides erfordert neue Existenzen, um sich auswirken und aufgearbeitet werden zu können. Solange ein Individuum Karma produziert, gutes oder schlechtes, ist es genötigt, in dieser Erscheinungswelt zu leben, im Kreislauf des Samsara zu verbleiben5. Es geht also letztlich darum, dass man überhaupt kein Karma produziert, damit man so möglichst schnell dem Samsara entkommt. Der östliche Mensch ist nicht von der Angst vor dem Tode be-stimmt, sondern von der Angst vor der Endlosigkeit des Daseins, von der Angst vor der Wiederkehr, von der Angst vor dem Nicht-enden-Wollen eines sich immer neu wiederholenden Daseins. Die Rettung liegt für ihn daher eigentlich nicht in der Produktion von gutem Karma, sondern im Aufhören des Be-gehrens, im Aufhören der Produktion von Karma, wodurch der Kreislauf zum Stillstand kommt und das Selbst seine Befreiung erlangt, die Befreiung vom Kreislauf der immer neuen Geburten, die Moksha. Ein wichtiges Mittel zur Erlangung dieser Befreiung ist das Yoga, sofern es dem Menschen hilft, das Begehren zu überwinden, kein Karma mehr zu produzieren. 5 R. Hummel, Reinkarnation und christlicher Glaube, in: Christliches ABC heute und morgen, Stichwort: od, Gruppe 4 69. 5 Nach hinduistischer Lehre kann das Karma nicht übertragen werden. Anders ist das im Buddhismus. Hier kann man freiwillig das Karma eines anderen übernehmen und durch Krankheit und Leiden etwa aufarbeiten oder auch durch gutes Karma6. [Man kann die Karmalehre als Lehre von der automatisch funktionierenden Vergeltungskausalität der Taten definieren7. So hat es der Religionswissenschaftler Helmut von Gla-senapp getan. Denn je nach den Taten des früheren Lebens wird dem Menschen eine gute oder eine schlechte Wiedergeburt zuteil. Im Abendland begegnet uns die Vorstel-lung von der Seelenwanderung zum ersten Mal in Griechenland, und zwar in der Orphik (8. vorchristliches Jahrhundert) und bei den Pythagoräern (6. vorchristliches Jahrhundert)8. Pythagoras ist um 500 vor Christus gestorben. Später finden wir sie bei Empedokles (+ ca. 423 v. Chr.), bei Platon9 (+ 347 v. Chr.), im Neupythagoreismus (1. Jahrhundert vor Christus bis 2. Jahrhundert nach Christus) und im Neuplatonismus (3. bis 5. Jahrhundert nach Christus)10. Platon übernimmt den Gedanken der Seelenwanderung von der Orphik, wenngleich er bei ihm nur peripher ist. Er artikuliert ihn immer dann, wenn er in die Sprache des Mythos übergeht11. Über den Platon und den Neuplatonismus kam der Gedanke der Reinkarnation auch in das christliche Altertum, in die Vätertheologie, aber nur ganz sporadisch. So lehrte etwa der Kirchenvater Origenes (+ 254) die Seelenwanderung, der indessen bei aller Genialität nicht wenigen Irrtümern erlegen ist, deretwegen er von der 6 Vgl. R. Hummel, Reinkarnation und christlicher Glaube Anm. 5), 70. 7 Ebd., 68. 8 Die Jünger des Orpheus muss man als eine Art Sekte des Dionysos-Kultes verstehen. Die Jünger des Orpheus, die Orphiker, muss man als eine Art Sekte des Dionysoskultes verstehen. Ihre entscheidenden Gedanken sind in den orphischen Hymnen überliefert, die eine Theogonie und eine Kosmogonie umfassen, eine phantastische Lehre von der Entstehung der Götter- und der Menschenwelt. In den orphischen Hymnen begegnet uns die Lehre von der uranfänglichen Unheilssituation des Menschen und der Befreiung aus ihr, ein anthropologischer Dualismus, der vorgebildet ist in der Götterwelt. Er zieht den Gedanken der Reinigung nach sich, der Selbstreinigung natürlich, wie immer man sie versteht. Damit hängt die Idee der Seelenwanderung, der Reinkarnation, zusammen, die in der Orphik zum ersten Mal im Abendland auftaucht. Die Orphiker pflegten zudem den Vegetarismus. Eine große Rolle spielt bei ihnen auch die geheime Zahlenlehre, die Zahlenmystik. Vgl. J. Schumacher, Esoterik - die Religion des Übersinnlichen. Eine Orientierungshilfe nicht nur für Christen,Paderborn 1994, 112 ff. 9 Ebd., 117 f. 10 Ebd., 119 ff. 6 Kirche verurteilt worden ist. Ausdrücklich auch wegen der Irrlehre von der Reinkarnation. In Griechenland verbindet sich, anders als im fernöstlichen Denken, mit der Lehre von der Wiedergeburt die Vorstellung von der Präexistenz der Seelen, die demgemäß ursprünglich ein götterähnliches Dasein geführt haben, dann aber zur Strafe für eine Verfehlung oder kraft eines ewigen Gesetzes auf die Erde verbannt und in einem Leib eingekerkert wurden, um viele Erdenleben zu durchwandern und, dadurch geläutert, schließlich in das frühere götterähnliche Dasein zurückkehren zu können. Während die Esoterik auch den alten Ägyptern die Seelenwanderungslehre zuschreibt, geht die seriöse Forschung davon aus, dass bei ihnen ursprünglich der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele vertreten wurde - dafür sprechen die Totenkonservierung und der Jenseitsglaube der Ägypter -, dass die Vorstellung von der Seelenwanderung hingegen erst später von den Griechen übernommen wurde. Der Seelenwanderungsglaube findet sich möglicherweise bei den Kelten, mit Sicherheit aber in nicht wenigen primitiven Naturreligionen, in manchen islamischen Sekten (nichtarabischen) und in der Religion der alten Mexikaner. 11 Vgl. R. Hummel, Reinkarnation und christlicher Glaube (Anm. 5), 71. 7 Er begegnet uns häufiger in den Religionen, der Seelenwanderungsglaube, aber nicht so häufig, wie die Esoteriker behaupten. Sie sind der Meinung, dass die Reinkarnationsvorstellung die am meisten verbreitete Deutung des Todes darstellt12. Das wird man jedoch nicht sagen können. Die unmittelbare Quelle der esoterischen Reinkarnationslehre ist die Gnosis. Unter der Gnosis versteht man eine nicht-christliche, spätantike religiöse Bewegung, die sich in vielfältiger Form artikuliert, eine religiöse Bewegung, die, obwohl ein wenig älter als das Christentum, gleichzeitig mit ihm in Erscheinung tritt und sich rasch im Vorderen Orient und den Ländern des Mittelmeerraums ausbreitet. Sie hat die verschiedensten esoterischen Gruppierungen in der Geschichte inspiriert. Der Gedanke der Seelenwanderung findet sich von daher in der Kabbala, das heißt: in der Geheimlehre des Ju-dentums, bei den Manichäern im Altertum13, bei den Katharern im Mittelalter, und später finden wir sie bei den Rosenkreuzern, bei den Theosophen und bei den Anthroposophen, um nur einige bedeutendere esoterische Gruppierungen zu nennen. [Die Rosenkreuzer erklären, der Mensch sei durch fortwährende Reinkarnationen an die seit dem Sündenfall neben der Ord-nung Gottes vorhandene verderbte Naturordnung und an deren bevorstehenden Untergang gefesselt und die Erlösung erfolge durch den sogenannten Transfigurismus, der von der "Universellen Bruderschaft" verkündet wirdWir finden den Gedanken der Reinkarnation aber auch in der reformatorischen Mystik, etwa bei Emmanuel Swedenborg, bei Oetinger und bei Oberlin, aber auch, wohl im Bannkreis der Esoterik, bei einer Reihe von Philosophen und Dichtern in der Neuzeit. So etwa bei Baruch Spinoza (+ 1677), Gotthold Ephraim Lessing (+ 1781), Arthur Schopenhauer (+ 1860) und Friedrich Nietzsche (+ 1900). Auch Goethe (+ 1832) war überzeugt von der Seelenwanderung, wie überhaupt die deutsche Klassik ihr sehr zuneigte. Die Tradition dieser Lehre geht weiter bis in die Gegenwart. Gerhard Hauptmann (+ 1946) hat die Reinkarnation mit der Erinnerung und mit dem Gedanken der Gerechtigkeit begründet, und Salvador Dali (+ 1989) will eine 12 Hans-Dieter Leuenberger, Das ist Esoterik, Freiburg 1985, 178. 13 R. Haardt, Die Gnosis,. Wesen und Zeugnisse, Salzburg 1967, 14-16; G. Quispel, Die Gnosis als Weltreligion, Zürich 1972, 68; J. P. Steffes, Art. Gnostizismus, in: Lexikon für Theologie und Kirche IV, Freiburg 11932, 554-557. 8 Wiederverkörperung des hl. Johannes vom Kreuz (+1591) gewesen sein14. [Aleister Crowley (1875-1947), Sexualmagier und Satanist - es gibt kaum einen Vertreter der Esoterik, der so umstritten ist wie der berühmt-berüchtigte Magier - behauptete, er sei eine Reinkarnation des Magiers Edward Kelly aus dem 16. Jahrhundert und des französischen Okkultisten Alfonse Louis Constant (+ 1857), der unter dem Namen Eliphas Levi bekannt geworden ist15. Die Anrufung von Geistern und die Wahrsagerei hielt er für wirklicher als alle Wissenschaft. Hartnäckig kämpfte er um die Anerkennung des Okkultismus in der Öffentlichkeit. Gotthold Ephraim Lessing artikuliert dieses Denken treffend, wenn er erklärt: Warum sollte ich nicht so oft wiederkommen, als ich neue Kenntnisse, neue Fertigkeiten zu erlangen geschickt bin? Bringe ich auf einmal so viel weg, dass es der Mühe wiederzukommen etwa nicht lohne?" So fragt er in seiner Schrift "Die Erziehung des Menschengeschlechts". Er verbindet also die Idee der Wiedergeburt mit dem Entwicklungsbzw. mit dem Erziehungsgedanken. Das ist irgendwie typisch. Anders als die indische Reinkarnationsgläubigkeit ist die europäische positiv gefärbt. Entweder steht hier der Entwicklungsgedanke im Vordergrund oder der soziale Gedanke. Der einzelne soll durch seine wiederholten Erdenleben am Fortschritt der Menschheit oder gar an der kosmischen Evolution im Sinne Darwins partizipieren. Oder man möchte durch die immer neuen Geburten auch dem Schwächsten die Möglichkeit geben, ans Ziel zu kommen. In der abendländischen Reinkarnationslehre wird freilich eine Wiedergeburt im Reich der Tiere oder gar der Pflanzen abgelehnt. Also in der abendländischen Lehre von der Wiedergeburt wird diese als Mittel zum evolutionäre Aufstieg und zur Selbstvervollkommnung des Individuum wie auch der gesamten Menschheit verstanden. Hier ist sie nicht ein Teil einer grundlegend pessimistischen Da-seinsanalyse, sondern ausgesprochen positiv akzentuiert [Ein engagierter Vertreter der Seelenwanderungslehre in neu-erer Zeit schreibt: "Ist im Menschen etwas potentiell Göttliches angelegt, so muss er sich auf der relativen Ebene in Zeit und Raum so lange entwickeln, bis er seine wahre Natur verwirklicht hat, bis das in ihm Schlummernde voll manifestiert ist. Da ein einziges Menschenleben in den meisten 14 E. Bock, Wiederholte Erdenleben. Die Wiederverkörperungslehre in der deutschen Geistesgeschichte, Stuttgart 51967, 57-60. 154; J. Heer, Jeder Fünfte hält was davon. Reinkarnationsglaube hier und heute, in: Bibel heute 23, 1987,29. 15 J. Tibusek (Anm. 1), 29. 9 Fällen zu kurz ist (was nicht so sehr aus logischen Überle-gungen, sondern eben aus unseren Erfahrungen abzuleiten ist) und da der Tod dem Menschen nicht automatisch die Erleuchtung bringt bedarf es dazu einer Reihe von Leben"16. Heute wird die Wiedergeburt in Europa und in den Vereinigten Staaten von Nordamerika vor allem von drei Gruppierungen vertreten und propagiert, im modernen Spiritismus Spiritismus hier als Religion verstanden -, der seinen Ursprung in der Neuen Welt hat, seit dem Jahre 1847, in der Theosophie, die mit der Esoterikerin und Okkultistin Helena Blavatskaja verbunden ist, die 1891 gestorben ist, und in der Anthroposophie, die ihrerseits aus der Theosophie hervorge-gangen ist. Diese drei Gruppierungen haben offiziell nicht sehr viele Anhänger, aber ihr Einfluss ist groß, speziell über die New Age-Bewegung17. [Zusammen mit der Reinkarnationslehre ist die theosophische Ethik für viele Theosophen die Mitte ihrer Überzeugungen. Oft beschränkt sich darauf gar ihre Kenntnis der Theosophie und ihr theosophisches Bemühen18. Eine wichtige Rolle spielt in der Theosophie der Aufstieg des Menschen, den man primär als einen Erkenntnisweg versteht: Indem er sein wahres Ich erkennt, findet er die Erlösung, deren Ziel die vollendete Einswerdung mit der absoluten Weltsubstanz ist. Eine bedeutende Rolle spielt dabei Lehre vom Karma und von der Seelenwanderung sowie die Lehre, dass die Menschenseele ohne Anfang und ohne Ende ist19.] 16 H. Torwesten, Sind wir nur einmal auf Erden? Die Idee der Reinkarnation angesichts des Auferstehungsglaubens, Freiburg 1983, 21. 17 Vgl. A. Lohner, Auch eine kritische Anfrage an die Kirche. Sekten, Psycho- und Sondergruppen: Die Faszination des Reinkarnationsglaubens nimmt zu, in: Deutsche Tagespost vom 19. August 1997. 18 H. Reller, Hrsg., Handbuch Religiöse Gemeinschaften, Gütersloh 1978, 500 f. 19 Ebd., 491. 499 f. In der Esoterik versteht man das Karma als Energiemanifestation. Man sagt, nichts von dem, was der Mensch tue, spreche oder denke, gehe verloren, es bleibe als Energie im Kosmos erhalten und wirke nach dem Tod des Individuums weiter, es könne von einer neuen Persönlichkeit wieder aufgegriffen und korrigiert, neutralisert und verwandelt werden. Dabei erklärt man vielfach, bei den Wiedergeburten gehe es nicht um Strafe oder um sittliche Läuterung, es gebe keine Erinnerung an frühere Inkarnationen und keinen Rückfall in eine niedere Evolutionsstufe. Die Wiedergeburt eines Menschen in einem Tier wird als Ausnahme angesehen. Heute erwarten die Esoteriker von der Seelenwanderungslehre die Überwindung der Leistungsgesellschaft, deren geistiges Fundament sie in der Überzeugung von der Unwiederholbarkeit des menschlichen Lebens sehen (H.-D. Leuenberger (Anm. 12), 78 ff. 180 ff; V. Pierott, Anthroposophie - eine Alternative? [Telos-Taschenbuch 335], Neuhausen-Stuttgart 21983, 192 ff). 10 Nachdrücklich lehrt Rudolf Steiner die Reinkarnation, von der man sagt, dass sie stets in einem kausalgesetzlichen Zusammenhang mit dem früheren Leben steht. Programmatisch tritt hier an die Stelle der überkommenen Lehre von der Un-sterblichkeit und von der Auferstehung der Toten die Lehre von der Reinkarnation. Die Wiedergeburt gibt dem Menschen - so sagt man - die Möglichkeit, sich immer weiter emporzuentwickeln. Sie wird - wie es heißt - jeweils bestimmt durch das Karma des vorausgehenden Lebens20. [Das Karma ist so etwas wie ein unausweichliches Schicksal, das über dem Le-ben des Menschen waltet. Da er es jedoch selber schafft durch seine Taten, hat er die Möglichkeit, aktiv an diesem seinem Schicksal mitzuarbeiten. Durch gutes Karma erbringt er die Voraussetzung für eine höhere Form der Wiedergeburt. Durch gute Taten kann er aber auch böse Taten seines augenblicklichen Lebens ausgleichen21.] Wie Steiner lehrt, hält sich der Mensch nach seinem Tod zu-nächst eine gewisse Zeit in der geistigen Welt auf, entwickelt sich dort weiter und steigt höher und entschließt sich endlich zu einer neuen Inkarnation. Der Abstieg erfolgt dann wiederum in Stufen, auf denen das in der geistigen Welt Er-lebte und Erkannte sukzessive gelöscht wird. Nach Steiner ist der Zwischenraum zwischen zwei Inkarnationen nicht gerade gering. Er betont, die Reinkarnation erfolge in der Regel in dem jeweils anderen Geschlecht, weil die Erlebnisse des Menschen je nach Geschlecht verschieden seien22. Steiner ist davon überzeugt, dass auch Christus die Lehre von der Seelenwanderung vertreten hat und dass sie ein wesentliches Moment des Christentums ist. Er erklärt, der Jüngling von Naim habe später eine Wiedergeburt in Mani, dem Gründer des Manichä20 W. Kugler, Rudolf Steiner und die Anthroposophie. Wege zu einem neuen Menschenbild, Köln 21979, 65. 21 O. Simmel, Art. Anthroposophie, in: Lexikon für Theologie und Kirche I, Freiburg 21957, 631; A. Mager, Art. Anthroposophie, in: Lexikon für Theologie und Kirche I, Freiburg 11930, 481; E. Gabert, Die Strafe in der Selbsterziehung und in der Erziehung des Kindes, Stuttgart 51979, 33; T. Kögler, Anthroposophie und Waldorf-Pädagogik. Ansätze einer kritischen Analyse, Neuhausen-Stuttgart 1983, 16 f. 22 V. Pierott (Anm. 19), 192-194. 11 ismus, erfahren23 und mit Lazarus habe sich bei seiner Auferweckung das Ich Johannes des Täufers verbunden und er sei zu Johannes, dem Presbyter von Ephesus, dem Verfasser der johanneischen Schriften des Neuen Testamentes, geworden24. Steiner konkretisierte seine Lehre von der Seelenwanderung immer wieder. So behauptet er etwa von Friedrich Nietzsche (+ 1900), dieser sei in seinem früheren Leben ein Franziskanermönch gewesen. Steiner war der Meinung, er könne einem Menschen ansehen, wer er in seinem früheren Leben gewesen sei25. Auch Jesus hat nach Steiner viele Vor-Inkarnationen und Nach-Inkarnationen erlebt. Die Vor-Inkarnationen sucht Steiner vor allem im Umkreis der Mysterienreligionen. [Damit relativiert er das Auftreten Jesu. Mit dem Stifter des Chri-stentums relativiert er aber auch das Christentum als solches, wenn er es nur als eine Stufe der Menschheitsentwicklung versteht. Allein schon durch das dezidierte Bekenntnis zur Reinkarnationslehre tritt die Anthroposophie in einen unüberbrückbaren Gegensatz zum Christentum.] Steiner konkretisierte seine Lehre von der Seelenwanderung immer wieder. So behauptet er etwa von Friedrich Nietzsche (+ 1900), dieser sei in seinem früheren Leben ein Franziskanermönch gewesen. Steiner war der Meinung, er könne einem Menschen ansehen, wer er in seinem früheren Leben gewesen sei26. Mit besonderer Hartnäckigkeit wird wird die Lehre von der Reinkarnation heute im New Age vertreten. Damit verbindet sich scharfe Kritik an der christlichen Lehre von der End- 23 J. Schumacher (Anm. 8), 134 ff. 24 R. Steiner, Das Johannes-Evangelium im Verhältnis zu den anderen drei Evangelien, insbesondere dem Lukas-Evangelium (1909), Dornach 1975, 23. 175 ff. 277; vgl. V. Pierott (Anm. 19), 195 ff; K. Hutten, Seher, Grübler, Enthusiasten. Das Buch der traditionellen Sekten und religiösen Sonderbewegungen, Stuttgart 12 1982, 701. 25 H. Günther, Waldorf-Pädagogik in der Kritik, in: Katholische Bildung 89, 1988, 228. 26 H. Günther, Waldorf-Pädagogik in der Kritik, in: Katholische Bildung 89, 1988, 228. 12 gültigkeit des Todes und von dem richtenden Gott27. Für das New Age gibt es nach dem Tod kein Gericht, kein Fegfeuer und keine ewige Verdammnis. [Alle gelangen im Tod zu einem Zustand des vollkommenen Glücks und der vollkommenen Zufrie-denheit. Elisabeth Kübler-Ross nennt Gott die bedingungslose Liebe28. Wohl räumt man in Verbindung mit der Lehre von der Seelenwanderung oder von dem Durchleben immer neuer spiritueller Existenzen auf je höheren Seinsstufen eine gewisse Läuterung ein, eine Art Selbstgericht, aber am Ende finden alle ohne Ausnahme ihre Vollendung in der Vereinigung mit den spirituellen Kräften des Kosmos und mit dem Göttlichen schlechthin29.] Auch Jesus hat nach Steiner viele Vor-Inkarnationen und Nach-Inkarnationen erlebt. Die Vor-Inkarnationen sucht Steiner vor allem im Umkreis der Mysterienreligionen. [Damit relativiert er das Auftreten Jesu. Mit dem Stifter des Chri-stentums relativiert er aber auch das Christentum als solches, wenn er es nur als eine Stufe der Menschheitsentwicklung versteht. Allein schon durch das dezidierte Bekenntnis zur Reinkarnationslehre tritt die Anthroposophie in einen unüberbrückbaren Gegensatz zum Christentum.] [Zusammen mit der Reinkarnationslehre ist die theosophische Ethik für viele Theosophen die Mitte ihrer Überzeugungen. Oft beschränkt sich darauf gar ihre Kenntnis der Theosophie und ihr theosophisches Bemühen30. Eine wichtige Rolle spielt in der Theosophie der Aufstieg des Menschen, den man primär als einen Erkenntnisweg versteht: Indem er sein wahres Ich erkennt, findet er die Erlösung, deren Ziel die vollendete Einswerdung mit der absoluten Weltsubstanz ist. Eine bedeutende Rolle spielt dabei Lehre vom Karma und von der Seelenwanderung sowie die Lehre, dass die Menschenseele ohne Anfang und ohne Ende ist31.] 3 27 G. Trevelyan, Eine Vision des Wassermann-Zeitalters. Gesetze und Hintergründe des New Age, München 1986, 66 f. 28 E. Kübler-Ross, Über den Tod und das Leben danach, Melsbach 71987, 19. 29 R. König, New Age, Geheime Gehirnwäsche. Wie man uns heute für morgen programmiert, NeuhausenStuttgart 31987, 37-39; J. Tibusek (Anm. 1), 54-57. 30 H. Reller, Hrsg., Handbuch Religiöse Gemeinschaften, Gütersloh 1978, 500 f. 31 Ebd., 491. 499 f. In der Esoterik versteht man das Karma als Energiemanifestation. Man sagt, nichts von dem, was der Mensch tue, spreche oder denke, gehe verloren, es bleibe als Energie im Kosmos erhalten und wirke nach dem Tod des Individuums weiter, es könne von einer neuen Persönlichkeit wieder aufgegriffen und korrigiert, neutralisert und verwandelt werden. Dabei erklärt man vielfach, bei den Wiedergeburten gehe es nicht um Strafe oder um 13 sittliche Läuterung, es gebe keine Erinnerung an frühere Inkarnationen und keinen Rückfall in eine niedere Evolutionsstufe. Die Wiedergeburt eines Menschen in einem Tier wird als Ausnahme angesehen. Heute erwarten die Esoteriker von der Seelenwanderungslehre die Überwindung der Leistungsgesellschaft, deren geistiges Fundament sie in der Überzeugung von der Unwiederholbarkeit des menschlichen Lebens sehen (H.-D. Leuenberger (Anm. 12), 78 ff. 180 ff; V. Pierott, Anthroposophie - eine Alternative? [Telos-Taschenbuch 335], Neuhausen-Stuttgart 21983, 192 ff). 14 Nachdrücklich lehrt Rudolf Steiner die Reinkarnation, von der man sagt, dass sie stets in einem kausalgesetzlichen Zusammenhang mit dem früheren Leben steht. Programmatisch tritt hier an die Stelle der überkommenen Lehre von der Un-sterblichkeit und von der Auferstehung der Toten die Lehre von der Reinkarnation. Die Wiedergeburt gibt dem Menschen - so sagt man - die Möglichkeit, sich immer weiter emporzuentwickeln. Sie wird - wie es heißt - jeweils bestimmt durch das Karma des vorausgehenden Lebens32. [Das Karma ist so etwas wie ein unausweichliches Schicksal, das über dem Le-ben des Menschen waltet. Da er es jedoch selber schafft durch seine Taten, hat er die Möglichkeit, aktiv an diesem seinem Schicksal mitzuarbeiten. Durch gutes Karma erbringt er die Voraussetzung für eine höhere Form der Wiedergeburt. Durch gute Taten kann er aber auch böse Taten seines augenblicklichen Lebens ausgleichen33.] Wie Steiner lehrt, hält sich der Mensch nach seinem Tod zu-nächst eine gewisse Zeit in der geistigen Welt auf, entwickelt sich dort weiter und steigt höher und entschließt sich endlich zu einer neuen Inkarnation. Der Abstieg erfolgt dann wiederum in Stufen, auf denen das in der geistigen Welt Er-lebte und Erkannte sukzessive gelöscht wird. 32 W. Kugler, Rudolf Steiner und die Anthroposophie. Wege zu einem neuen Menschenbild, Köln 21979, 65. 33 O. Simmel, Art. Anthroposophie, in: Lexikon für Theologie und Kirche I, Freiburg 21957, 631; A. Mager, Art. Anthroposophie, in: Lexikon für Theologie und Kirche I, Freiburg 11930, 481; E. Gabert, Die Strafe in der Selbsterziehung und in der Erziehung des Kindes, Stuttgart 51979, 33; T. Kögler, Anthroposophie und Waldorf-Pädagogik. Ansätze einer kritischen Analyse, Neuhausen-Stuttgart 1983, 16 f. 15 Nach Steiner ist der Zwischenraum zwischen zwei Inkarnationen nicht gerade gering. Er betont, die Reinkarnation erfolge in der Regel in dem jeweils anderen Geschlecht, weil die Erlebnisse des Menschen je nach Geschlecht verschieden seien34. Steiner ist davon überzeugt, dass auch Christus die Lehre von der Seelenwanderung vertreten hat und dass sie ein wesentliches Moment des Christentums ist. Er erklärt, der Jüngling von Naim habe später eine Wiedergeburt in Mani, dem Gründer des Manichäismus, erfahren35 und mit Lazarus habe sich bei seiner Auferweckung das Ich Johannes des Täufers verbunden und er sei zu Johannes, dem Presbyter von Ephesus, dem Verfasser der johanneischen Schriften des Neuen Testamentes, geworden36. 34 V. Pierott (Anm. 19), 192-194. 35 J. Schumacher (Anm. 8), 134 ff. 36 R. Steiner, Das Johannes-Evangelium im Verhältnis zu den anderen drei Evangelien, insbesondere dem LukasEvangelium (1909), Dornach 1975, 23. 175 ff. 277; vgl. V. Pierott (Anm. 19), 195 ff; K. Hutten, Seher, Grübler, Enthusiasten. Das Buch der traditionellen Sekten und religiösen Sonderbewegungen, Stuttgart 121982, 701. 16 Steiner konkretisierte seine Lehre von der Seelenwanderung immer wieder. So behauptet er etwa von Friedrich Nietzsche (+ 1900), dieser sei in seinem früheren Leben ein Franziskanermönch gewesen. Steiner war der Meinung, er könne einem Menschen ansehen, wer er in seinem früheren Leben gewesen sei37. Auch Jesus hat nach Steiner viele Vor-Inkarnationen und Nach-Inkarnationen erlebt. Die Vor-Inkarnationen sucht Steiner vor allem im Umkreis der Mysterienreligionen. [Damit relativiert er das Auftreten Jesu. Mit dem Stifter des Chri-stentums relativiert er aber auch das Christentum als solches, wenn er es nur als eine Stufe der Menschheitsentwicklung versteht. Allein schon durch das dezidierte Bekenntnis zur Reinkarnationslehre tritt die Anthroposophie in einen unüberbrückbaren Gegensatz zum Christentum.] 37 H. Günther, Waldorf-Pädagogik in der Kritik, in: Katholische Bildung 89, 1988, 228. 17 Mit besonderer Hartnäckigkeit wird wird die Lehre von der Reinkarnation heute im New Age vertreten. Damit verbindet sich scharfe Kritik an der christlichen Lehre von der Endgültigkeit des Todes und von dem richtenden Gott38. Für das New Age gibt es nach dem Tod kein Gericht, kein Fegfeuer und keine ewige Verdammnis. [Alle gelangen im Tod zu einem Zustand des vollkommenen Glücks und der vollkommenen Zufrie-denheit. Elisabeth Kübler-Ross nennt Gott die bedingungslose Liebe39. Wohl räumt man in Verbindung mit der Lehre von der Seelenwanderung oder von dem Durchleben immer neuer spiritueller Existenzen auf je höheren Seinsstufen eine gewisse Läuterung ein, eine Art Selbstgericht, aber am Ende finden alle ohne Ausnahme ihre Vollendung in der Vereinigung mit den spirituellen Kräften des Kosmos und mit dem Göttlichen schlechthin40.] Mit großem Nachdruck wird die Idee der Reinkarnation heute im New Age vertreten41. Durch das New Age aber erreicht sie Millionen, speziell vermittels der Medien, die weithin der Ideologie des New Age verfallen sind, bewusst oder unbewusst. Die Existenz eines endgültigen Todes wird vom New Age geradezu kategorisch abgelehnt. Damit verbindet man aber, gleichgültig wie das New Age-Denken im einzelnen akzentuiert ist, stets die Idee von der Seelenwanderung, wie sie in der Geschichte ein integraler Bestandteil der Anthropologie aller esoterischen Gruppierungen ist. Dabei ist man unnachgiebig, ja, feindselig gegenüber anderen Auffassungen vom Tod und vom Leben danach. Vor allem wird die christliche Lehre vom Tod zur Zielscheibe starker Polemik. Das gilt spe-ziell für die Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross, eine Protagonistin der TodesVorstellung des New Age. 3 38 G. Trevelyan, Eine Vision des Wassermann-Zeitalters. Gesetze und Hintergründe des New Age, München 1986, 66 f. 39 E. Kübler-Ross, Über den Tod und das Leben danach, Melsbach 71987, 19. 40 R. König, New Age, Geheime Gehirnwäsche. Wie man uns heute für morgen programmiert, NeuhausenStuttgart 31987, 37-39; J. Tibusek (Anm. 1), 54-57. 41 W. Brugger, Art. Seelenwanderung, in: Lexikon für Theologie und Kirche IX, Freiburg 1964, 576-578; H. Reller (Anm. 18), 570; G. Walkhoff, Esoterik - Neue Werte oder Modetrend?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6. März 1991; H.-D.Leuenberger (Anm. 12), 178-183; H. Pfeil, Die Idee der Wiedergeburt, in: Klerusblatt, 59, 1979, 57; A. Riedmann, Die Wahrheit über die vier Letzten Dinge, Freiburg 1956, 59 f. 18 Gemäß der New Age - Literatur erfolgen die "neuen Leben" nicht nur auf der Erde, man kann sie auch in höheren Seinsstufen hinter sich bringen und sich dort bewähren bis der Entwicklungsvorgang der Seele abgeschlossen ist und die Ver-einigung mit den spirituellen Kräften des Kosmos erfolgen kann. Die Idee einer ewigen Verdammnis wird hier ebenso ka-tegorisch verneint wie die Idee eines richtenden Gottes42. 42 R. König (Anm. 28), 37 f. 86 f. 19 Im Kontext des therapeutischen Angebots empfiehlt das New Age immer wieder die Reinkarnationstherapie, die Wiedergeburtstherapie. Seit einigen Jahren findet sie wachsenden Zuspruch. Ihr Protagonist ist der Psychologe Thorwald Dethlefsen, dessen Bücher teilweise sechsstellige Auflagen erlebt haben. Mit ihm sind an die 800 Heiler bemüht, über Hypnose und Trance die Bewusstmachung früherer Inkarnationen in den Dienst der Therapie zu stellen. Sie sind davon überzeugt, dass viele gegenwärtige Krankheiten durch traumatische Spuren aus früheren Inkarnationen hervorgerufen werden. Durch die Heranführung an solche Traumata wollen sie Schuldgefühle und Ängste gegenstandslos machen, das Selbstwertgefühl stärken, Allergien, Übergewicht, Epilepsie und Alkoholismus und viele andere Krankheiten heilen. Hier wird die Psychologie zur Re-ligion und die Religion zur Psychologie43. In der Reinkar-nationstherapie werden die Krankheiten, seelische und körperliche nicht auf unaufgearbeitete frühkindliche Erlebnisse zurückgeführt, wie das in derf Psychoanalyse geschieht, son-dern auf körperliche Verletzungen und traumatische oder kränkende Erfahrungen in früheren Daseinsformen. So führt man beispielsweise Migräne auf Schädelverletzungen in früheren Leben zurück, Klaustrophobie auf wiederholtes Lebendig-begraben-worden-Sein. Durch Bewusstmachen der Ursachen will man die Wirkungen beseitigen44. In der abendländischen (esoterischen) Seelenwanderungslehre ist die Lehre von der Seelenwanderung nicht pessimistisch getönt, wie das im fernöstlichen Denken der Fall ist, sondern optimistisch. Man freut sich auf das neue Erdendasein mit seinen neuen Möglichkeiten. Werden die Wiedergeburten in den Religionen Ostasiens als leidvoll angesehen, erscheinen sie in der abendländischen Seelenwanderungslehre als Chance zur Selbstverwirklichung und Höherentwicklung im Sinne der Selbsterlösung. Zwar ist dieser Gedanke der östlichen Reinkarnationsvorstellung nicht völlig fremd, aber er ist hier zweit- und drittrangig. 43 Ebd., 47 ff. Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an die "Transpersonale Psychologie" des bedeutenden New Age-Vertreters Stanislav Grof, eines tschechisch-amerikanischen Psy- chiaters, der dem Geburtsvorgang eine zentrale Rolle zuerkennt und die perinatalen Erfahrungen verantwortlich macht für die psychosomatische Störungen im späteren Leben (St. Grof, Geburt, Tod und Transzendenz. Neue Dimensionen der Psychologie, München 1985, 50. 235; H. Hemminger, Hrsg., Die Rückkehr der Zauberer. New Age - Eine Kritik, Reinbek 1987, 88 ff). 44 R. Hummel, Reinkarnation und christlicher Glaube (Anm. 5), 74 f. 20 In der abendländischen Seelenwanderungslehre ist das Ziel der Hoffnung nicht der Ausstieg aus dem Kreislauf der Wie-dergeburten, aus dem Samsara, sondern die Chance einer jeweils neuen Existenz45. Begründet man die Seelenwanderung nicht, so wird sie zu einer leeren Behauptung. Die Berufung auf die intuitive Er-fahrung kann nicht überzeugen, obwohl sie immer wieder geltend gemacht wird. Immer wieder begründet man die Seelenwanderung mit angeblichen Erinnerungn aus früheren Leben. Immer wieder argumentiert man hier mit der Rückerinnerung, die man speziell in der Hypnose zu aktivieren unternimmt. Dabei er-hebt man gern den Anspruch, so die verschiedensten philosophischen Fragenkomplexe einer befriedigenden Lösung entge-genzuführen46. 45 Ch. Schönborn, Existenz im Übergang. Pilgerschaft, Reinkarnation, Vergöttlichung, Einsiedeln 1987, 99. 125. 46 M. Gossler, Lexikon der Geheimwissenschaften, Bindlach 1988, 75. 21 Befragt, wie die Erinnerung funktioniert, verweist man auf eine geistige oder astrale Erinnerung, die die Zerstörung des Gehirns durch den Tod überdauert, deren Wirkungsweise indessen unbekannt sei, also die Erinnering ist verankert im Sakralkörper47. Das ist zweifelsohne sehr spekulativ. Dabei konzediert man, dass das Ausmaß der Erinnerung sehr un-terschiedlich sei, ohne dabei freilich zu sagen, wovon das abhängt. Früher gesprochene Sprachen beherrsche man freilich in der neuen Existenz nicht mehr, aber hochwahrscheinlich seien früher gesprochene Sprachen infolge der unbewussten Erinnerung leichter zu erlernen. In der Sprache der Esoterik spricht man hier von dem Phänomen der Xenoaglossie48. Zu dem Argument der Reinkarnationserinnerungen ist zu sagen, dass sie sich durch Suggestion, durch Erinnerung an unbemerkt Aufgenommenes oder außersinnliche Wahrnehmung, also paranormal, erklären lassen. 47 Ebd., 77. 48 Ebd. 22 Man insistiert hier nicht nur auf Erinnerungen. Man sagt, es könnten auch Verhaltensweisen auftreten, die mit früheren Inkarnationen in Zusammenhang stünden. Das heißt, es gebe Fälle, in denen Menschen aus unerklärtlichen Gründen bestimmte Dinge mieden, von denen sich unter Hypnose herausstelle, dass sie beim letzten Mal zu ihrem Tod geführt hätten, etwa ein bestimmtes Getränk, das damals vergiftet gewesen sei. Oder man spricht hier von Birthmarks, von Hautanomalien, die mit früheren Verletzungen konform gingen. Hier bleibe ein entsprechendes Trauma über die diskarnierte Zeit zwischen den beiden Leben erhalten und habe dann später die Entwicklung des Embryos beeinflusst49. Man wird zugeben müssen, dass solche Behauptungen gequält wirken. Nachdrücklich beruft man sich auf sogenannte Déjà-vu Erlebnisse. Darunter versteht man das Phänomen, dass es Menschen gibt, die zum ersten Mal einen Ort betreten und dabei das Gefühl haben, schon einmal dort gewesen zu sein. Diese Orte bilden dann angeblich eine Assoziationsbrücke zu Begebenheiten, die sich früher dort abgespielt haben50. Auch behauptet man, das Phänomen der Wunderkinder, also jene Menschen, die in einem frühen Alter ungewöhnliche Talente aufweisen, sei am besten durch eine frühere Existenz zu er-klären, weil es ja nicht vorstellbar sei, dass sie in den wenigen Jahren seit ihrer Geburt ihre besonderen Fähigkeiten hätten erlernt haben können51. Hier wird man nun vollends an der Logik der Vertreter der Reinkarnation irre werden, denn die Fähigkeiten der Wunderkinder hängen doch wesentlich an der Physis, die aber gerade nicht die Reinkarnation überdauert. 49 Ebd., 78. 50 Ebd. 51 Ebd. 23 Was die Modalitäten der Reinkarnation angeht, erklärt man, manche Menschen hielten sich bereits vor ihrer geplanten Empfängnis häufig in der Näher ihrer künftigen Eltern au, während andere erst kurz vor der Geburt eine erste Verbindung mit dem Embryo eingingen. Dann dauere es auch nach der Geburt Wochen oder Monate, bis der Inkarnierungsvorgang ab-geschlossen sei und sich das Bewusstsein von der astralen Zwischenexistenz völlig abgekehrt habe. Umgekehrt spricht man auch von einem fließenden Diskarnierungsprozess bei alten und senilen Menschen schon längere Zeit vor ihrem Tod52. Manche Menschen! Hier werden die Seelen, die auf ihre Reinkarnatio warten, merkwürdigerweise mit den Menschen identifiziert, die sie zuvor konstituiert haben. Was den Zeitpunkt der jeweils neuen Inkarnation angeht, ge-hen die Meinungen sehr auseinander. Man spricht von Intervallen zwischen einigen Jahren und mehreren Jahrzehnten53. Andere sprechen gar von Jahrhunderten, etwa die Anthroposophen. Dabei meint man, Menschen, die jung eines gewaltsamen Todes gestorben seien, brauchten nicht so lange auf eine neue Inkarnation warten54. 52 Ebd., 79. 53 Ebd. 54 Ebd. 24 Es sei der Normalfall, dass nahe stehende Personen schon in einem früheren Leben bekannt gewesen seien. So sagt man für gewöhnlich. Immer wieder gebe es Hinweise auf persönliche Kontakte, die sich über mehrere, manchmal gar über viele In-karnation hindurch erhalten hätten, wobei freilich auf Unterbrechungen von einem oder mehreren Leben auftreten könnten. Dabei gebe es zumeist Rollenverschiebungen, etwa derart, dass ein Ehepartner das nächste Mal als Onkel oder als Arbeitskollege auftrete55. Die unseriöse Spekulation geht noch weiter in der westlichen Reinkarnationslehre der Esoterik. Man sagt, man könne sich durchweg seine Inkarnation aussuchen. Das stellt die östliche Reinkarnationslehre gewissermaßen auf den Kopf. Bei Tie-ren und bei primitiven Menschen sei die Wahl indessen eine mehr unbewusste Angelegenheit. Das bedeute, dass die Inkarnation geplant sei und mit anderen, die am gleichen Plan beteiligt seien, besprochen worden sei, wenngleich diese Strategie dann in dem folgenden Leben nicht bewusst sei. Man weist freilich darauf hin, dass geringere Intelligenz durchaus freiwillig gewählt werde, nicht jedoch ausgesprochener Schwachsinn56. Was das Geschlecht angeht, so vertritt man vielfach die Auf-fassung, es könne durchaus gewechselt werden, es gebe indes viele Menschen, die für ein bestimmtes Geschlecht eine besondere Vorliebe hätten und dieses daher beworzugt wählten57. 55 Ebd. 56 Ebd., 80. 57 Ebd. 25 Mit der Wiedergeburt von Tieren rechnet man für gewöhnlich nicht, wenngleich das prinzipiell möglich, jedoch nicht von Vorteil sei. Die Ansicht, jemand werde als Strafe zu einem Leben als Tier verurteilt, werde nicht ernsthaft vertreten, wenn man einmal absehe von bestimmten Religionen58. Auch die männlichen und weiblichen Komponenten in der Psyche des jeweils anderen Geschlechts, das was C. G. Jung den Ani-mus und die Anima nennt, deutet man als ubewusste Erinnerungen an frühere Inkarnationen in einem anderen Geschlecht59. Die Vorstellungen sind noch bunter. Man rechnet mit Gruppeninkarnationen von Familien, Nachbarn, Sekten und ganzen Na-tionen60. Ja, man spricht von Austauschreinkarnationen bei lebenden Menschen, die sich etwa im Rahmen einer schweren Krankheit am Rand des Todes befunden haben61. In kritischer Abwendung vom Christentum sagt man hier gern in moralischer Überlegenheit: Ihr glaubt an die Hölle, wir glauben an die letztendliche Selbstvervollkommnung des Menschen und an das Heil aller62. Immer wieder verweist man auf angebliche Erinnerungen an frühere Leben, auf ungewöhnliche Kenntnisse, die nur aus einem vorhergehenden Leben stammen können, auf das spontane Gefühl, unbekannten Landschaften und Personen schon einmal begegnet zu sein, auf Anlagen und Neigungen, die ganz neu in einer Familie auftauchen. Man verweist auch auf die Notwendigkeit weiterer Existenzen zur Verwirklichung der Anlagen und Talente, auf das Erfordernis der Herbeiführung der Ge-rechtigkeit angesichts der Ungleichheit der Menschen und ihres Schicksals und auf Experimente mit der Hypnose und mit dem Spiritismus, so ist das nicht überzeugend. Bei den genannten Erfahrungen bieten 58 Ebd. 59 Ebd. 60 Ebd., 84. 61 Ebd. 62 R. Hummel, Reinkarnation und christlicher Glaube (Anm. 5), 76. 26 die Psychologie, die Tiefenpsy-chologie und die Parapsychologie bessere Erklärungen. Immer wieder weist man hin auf erstaunliche Informationen, die angeblich aus einem früheren Leben stammen und auf dieses verweisen. Schaut man jedoch genauer hin, so wird erkannt man nicht selten, dass die Informationen irgendwann durch irgendwen mitgeteilt wurden, oder es handelt sich hier einfach um eine Kryptoamnesie, das heißt zu deutsch: um eine verborgene Erinnerung, man erinnert sich an Dinge, Ereignisse und Vorgänge, die man erlebt hat, die ins Unbewusste eingedrungen sind, um zu gegebener Zeit wieder hervorzutreten. Man pflegt hier auch von Kryptomnesie zu sprechen. Eine im Unterbewusstsein vergrabene Information wird bei ihrem Wiederauftauchen einer früheren Existenz zugeschrieben63. Vor Jahren ging der Fall Bridey Murphy durch die Presse. Unter Hypnose berichtete die Amerikanerin Ruth Simmons - das ist ein Pseudonym - von einem früheren Leben als Bridey Murphy in Irland. Sie war erstaunlich informiert über die irische Geschichte des 19. Jahrhunderts - in diesem Jahrhundert wollte sie als Bridey Murphy in Irland gelebt haben -, und unter Hypnose konnte sie sogar einige gälische Worte sprechen. Bei genauerer Untersuchung stellte sich heraus, dass sie bei ihrer Großmutter aufgezogen worden war, die gälisch sprach und Geschichtsbücher über Irland besaß64. Die Vertre-ter der Esoterik deklarieren diese Feststellungen indessen als erfolgreiche Pressekampagne65 Es ist auch zu berücksichtigen, dass es, wenn wir einmal von der abendländisch-christlichen Kultur absehen, nicht wenige Kulturen gibt, die den Gedanken der Reinkarnation nicht entwickelt haben66. 63 J. Tibusek (Anm. 1), 57. 64 M. Bernstein, Protokoll einer Wiedergeburt. Der weltbekannte Fall Bridey Murphy: Der Mensch lebt nicht nur einmal, München 1984; vgl. J. Tibusek (Anm. 1), 57. 81; R. Hummel, Reinkarnation und christlicher Glaube (Anm. 5), 74. 65 M. Gossler (Anm. 34), 81. 66 W. Brugger, Art. Seelenwanderung, in: Lexikon für Theologie und Kirche (Anm. 29), 577 f. 27 Ist auch die Lehre von der Seelenwanderung nicht annehmbar, so ist sie immerhin eine Absage an den Materialismus und re-alisiert faktisch den Gedanken der notwendigen Läuterung des Menschen, Gegebenheiten, die für viele nicht mehr selbstverständlich sind. Sie verneint allerdings die Einmaligkeit des Erdenlebens und weithin auch die individuelle Fortexistenz des Menschen sowie die Unvergänglichkeit des menschlichen Ich. Das hat zur Folge, dass das Leben seinen letzten Ernst verliert, dass der Tod und das dem Tod vorausgehende Leben verharmlost werden, dass dem sittlich-religiösen Streben ein entscheidender Antrieb genommen wird und Schuld und Sühne zu leeren Worten werden oder dass ihr personaler und bewusster Charakter negiert wird. Mit dem Christentum ist die Lehre von der Seelenwanderung vor allem deshalb unvereinbar, weil sie der Wesenseinheit des Menschen widerspricht. Bereits Thomas von Aquin (+ 1274) hebt die einmalige Bezogenheit der Seele auf den Leib hervor, die moderne Psychologie bestätigt die enge Verbindung von Leib und Seele im Menschen. Hinzukommt, dass die Offenbarung des Alten wie des Neuen Testamentes die Geschichtlichkeit des Einzelmenschen und des ganzen Menschengeschlechtes bezeugt. Die jüdisch-christliche Offenbarung besteht darauf, dass sich Heil oder Unheil des Menschen in seinem konkreten Leben entscheiden, dass er dieses nicht wiederholen kann. Im Hebräerbrief heißt es: "Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, und da-nach ist das Gericht" (Hebr 9,27)67. Mit dem Sterben "kommt die Nacht, in der niemand mehr wirken kann" (Jo 9,4). Dann werden die Guten und die Bösen "durch eine große Kluft" (Lk 16,26) voneinander getrennt sein. Man hat indessen nicht selten die Reinkarnation in bestimmte biblische Stellen hineinzuinterpretieren versucht. Aber das ist gewaltsam. Die Schriftstellen, die man als Argumente für die Seelenwanderungslehre vorgebracht hat, Mk 6,14 f68 und Jo 9,1 f69, sind nicht überzeugend. Sie zeigen zwar, dass der Gedanke der 67 Das Nichtzurückkehren in die irdische Welt wird hier be-gründet mit der Tatsache, dass auch Jesus nur einmal ge-storben ist und nie wieder sterben wird. Um der Inkarnation Gottes willen verneint der Christ die Reinkarnation des Menschen. Um der Auferweckung des ganzen Menschen willen durch den Prozess der Läuterung hindurch spricht er ein klares Nein zur Seelenwanderung (K. Koch, Reinkarnation und Fegfeuerglaube, in: Lebendige Seelsorge 39, 1988, 358). 68 Mk 6,14 f: "Und der König Herodes hörte - denn sein Name (der Name Jesu) war bekannt geworden -, daß man sagte: >Johannes der Täufer ist von den Toten auferstanden, und deshalb wirken die Wunderkräfte in 28 Wiedergeburt Jesus und seinen Zeitgenossen nicht unbekannt war, aber, wie sich aus dem Zusammenhang ergibt, wird er ge-rade nicht bejaht. Wenn Jesus endlich von der Wiedergeburt aus Wasser und Heiligem Geist spricht70, so geht es offen-kundig um die innere Bekehrung und die Taufe. Wenn Johannes von Jesus als der wiedergekommene Elia bezeichnet wird (Mt 17,12), so ist es abwegig, ihn als eine Reinkarnation des alttestamentlichen Propheten zu verstehen. Denn zum einen war Elia nach jüdischem Glauben nicht gestorben, zum anderen muss die neutestamentliche Gleichsetung von Johannes und Elia ganz offenkundig symbolisch verstanden werden. Da man so nicht weiter kommt, behaupten Esoteriker und Okkultisten heute gern, nach dem 5. Ökumenischen Konzil von Konstantinopel (553) seien die Bibel und die altchristliche Literatur von allen Spuren des ursprünglichen sich da findenden Wiedergeburtsglauben. Das ist jedoch eine leere Behauptung, die bisher noch nicht bewiesen wurde. ihm<. Andere aber sagten: >Er ist Elias<". Vgl. Jo 1,21; Mk 8,28 /Mt 16,14; Lk 9,19; Mk 9,13 /Mt 17, 1012); Mt 11,14 /Mk 9,13. Hier wird Johannes als der gemäß Mal 3,1.23 f und Sir 48,1-11 in der messianischen Zeit erwartete Elija angesehen. Wie das gemeint ist, ergibt sich aus Lk 1,17: "Er (Johannes) wird mit dem Geist und mit der Kraft des Elija dem Herrn vorangehen". 69 Jo 9,1 f: "Im Vorübergehen sah er einen Mann, der von Geburt an blind war. Da fragten die Jünger: >Wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren wurde?<" Die Antwort Jesu lautet: "Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern das Wirken Gottes soll an ihm offenbar werden"(9,3). Damit verneint Jesus indirekt den Gedanken, dass der Blindgeborene ein früheres Leben geführt hat. 70 Jo 3,5: "Jesus antwortete: >Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, wenn jemand nicht wiedergeboren wird aus Wasser und Heiligem Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes eingehen.<" Vgl. Tit 3,5; 1 Petr 1,3.23. 29 Unvereinbar mit dem Geist des Christentums ist schon das eherne Gesetz der gnadenlosen Vergeltung, das mit der Wiedergeburtslehre verbunden ist. Auch das Christentum lehrt die Verantwortlichkeit des Menschen hinsichtlich seiner Ta-ten. Dem ewigen Leben steht die ewige Verlorenheit gegenüber, der ewigen Gemeinschaft mit Gott die ewige Trennung von ihm. Aber es tritt das Element der Gnade hinzu. Ohne sie kommt niemand zu Gott. Durch sie findet der Mensch Vergebung, wenn immer er umkehrt71. In der Seelenwanderungslehre ist das anders. Hier ist die Läuterung und die Vollendung allein das Werk des Menschen. Christlich verstanden, geht der Mensch nicht seinen Heilsweg, wird er vielmehr auf ihm geführt. [Wie immer man die Reinkarnation im einzelnen versteht, sie offenbart ein Menschenbild, dass vom überkommenen abendländischen Menschenbild völlig verschieden ist. Von Anfang an ist der Wiedergeburtsglaube dem Christentum wesensfremd.] [Man reduziert das Wesen des Menschen hier auf die Seele, auf die Geistseele, und wertet den Leib für das konkrete We-sen des Menschen als zweit- oder drittrangig. Die Reinkarnationslehre schwächt die innere Verbindung von Leib und Seele in unzulässiger Weise ab. Damit verfehlt man die Wirklichkeit.72] [Im Jahre 543 spricht sich eine Synode in Konstantinopel klar gegen die Seelenwanderungslehre aus73.] 71 A. Riedmann (Anm. 29), 59-61. 72 Nur nebenbei sei darauf hingewiesen, dass man im modernen Protestantismus der Lehre von der Seelenwanderung entgegen-halten würde, dass es keine unsterbliche Seele gibt, die wan-dern kann. Der evangelische Theologe Oscar Cullmann sagt - ihn möchte ich für viele andere zitieren: Zwischen dem biblischen Glauben an die Auferstehung der Toten und der grie-chischen Unsterblichkeitslehre gibt es nur ein Entweder-Oder. Damit ist der Reinkarnationslehre bereits die Basis entzogen. Hier sind Leib und Seele gleichermaßen sterblich und gehen dem Wunder der Auferstehung entgegen (vgl. R. Hum-mel, Reinkarnation und christlicher Glaube [Anm. 5], 76). 73 H. Denzinger, A. Schönmetzer, Hrsg., Enchiridion symbolorum, definitionum et declarationum de rebus fidei et morum, Barcelona/Freiburg 361976, Nr. 403. 30 Viele suchen eine befriedigende Erklärung für die Ungleichheit der Menschen. Die Reinkarnationslehre erhebt den Anspruch das ärgerniserregende Problem der Ungerechtigkeit auf der Erde lösen zu können. Das ist bereits für Platon der Hauptgrund, die Reinkarnation zu lehren, das Unvermögen, die ungleichen Schicksale der Menschen auf andere Weise mit der Gerechtigkeit zu vereinbaren74. Ja, das uralte Theodizee-Pro-blem hoffen manche Reinkarnationisten mit dem Gedanken der Reinkarnation erklären zu können. Das Theodizee-Problem meint die Frage nach der Verträglichkeit des Gottesgedankens mit der Realität des Leidens und des Bösen. [Allan Kardec, ein entschiedener Verfechter der Inkarnationslehre, der Vater des Spiritismus als Religion - er lebte im 19. Jahrhundert - schreibt: Die Reinkarnationslehre, die dem Menschen mehrere sich folgende Existenzen zuschreibt, ist die einzige, die der Gerechtigkeit Gottes für die Menschen entspricht, die Zukunft erklärt und unsere Hoffnung festigt, weil sie uns die Mittel gibt, unsere Irrtümer durch neue Prüfungen wieder gutzumachen75.] 74 W. Brugger, Art. Seelenwanderung, in: W. Brugger, Hrsg., Philosophisches Wörterbuch, Freiburg 51953, 277. 75 A. Kardec, Das Buch der Geister, Zürich o. J. (1857), 79. 31 Auch für den Christen gibt es eine Wiedergeburt, aber in einem total anderen Sinne als in der Reinkarnationslehre, nicht im Tode, sondern im gegenwärtigen Leben. Davon spricht Jesus im Johannes-Evangelium (Jo 3,5) als Bedingung für das Eingehen in die Gottesherrschaft. Und im Titus-Brief wird die Taufe als das Bad der Wiedergeburt (Tit 3.5) bezeichnet. In der Taufe wird der Christ zu einem neuen Leben wiedergeboren. Darin stirbt der alte Mensch mit Christus, um zusammen mit ihm zu einem neuen Leben geboren zu werden. Diese Wiedergeburt ist ein für allemal in der Taufe geschehen, muss aber jeden Tag neu realisiert werden in der täglichen Umkehr, lebenslang muss sie angeeignet werden. Dieser Forderung freilich kann man ausweichen, wenn man sich auf die Seelenwanderung verläßt. In ihr kann man die Bekehrung ruhigen Gewissens auf morgen, auf das nächste Leben verschieben76. Da ist es verständlich, dass man der Reinkarnati-onslehre Sympathien entgegenbringt. Aber man täuscht sich, wenn man darauf baut. Zu bedenken ist hier, dass die östliche Reinkarnationslehre zutiefst negativ akzentuiert ist, dass sie die materielle Welt nicht als Gottes gute Schöpfung und den Leib nicht als Gefängnis der Seele betrachtet. Anders der Christ. Er liebt die Welt, wenngleich er sie relativiert im Vergleich mit ihrem Schöpfer, und sucht ihr nicht mit allen Mitteln zu entfliehen, sieht in ihr vielmehr das Bewährungsfeld für die Ewigkeit. 76 Vgl. K. Koch (Anm. 55), 359. 32 Auch der Christ weiß, dass er erntet, was er gesät hat. Diese Ernte aber wird von Gott eingebracht, wenn der Mensch sein einmaliges und unwiederholbares Leben abgeschlossen hat durch einen göttlichen Urteilsspruch, nicht in der endlosen Wiederkehr immer neuer Daseinsformen. Gemäß der Apokalypse folgen die Werke dem Menschen nach, gemäß der Reinkarnati-onslehre muss er sie hinter sich lassen77. Dabei weiß der Christ, dass er sich nicht selbst erlösen kann. Für ihn gibt es nicht den unerbittlichen Zusammenhang von Karma und Vergeltung, die automatisch wirkende Vergeltungskausalität der Taten, wodurch im Grunde die Souveränität Gottes in Frage gestellt wird. Für ihn gibt es vielmehr auch Gnade und Vergebung. Vor allem gilt für ihn: Wenn Gott ihn annimmt, so geschieht das aus Gnade, wenngleich er die Werke in der Re-gel voraussetzt. 77 R. Hummel, Reinkarnation und christlicher Glaube (Anm. 5), 70 f. 33 Der Läuterungsweg des Christen ist das Purgatorium, das Fegfeuer. Die Lehre vom Fegfeuer ist für den Katholiken ver-bindlich. Sie begründet ihrerseits die Praxis des Gebetes für die Verstorbenen, das keinen Sinn hätte, wenn alle das Heil finden würden und vor allem auch, wenn es keine Läuterung nach dem Tode gäbe. Die Lehre vom Fegfeuer und die Leh-re von der Reinkarnation stimmen darin überein, dass sie gründen in der richtigen Erkenntnis, dass es im Leben des Menschen viel Unaufgearbeitetes und Misslungenes gibt, das nach dem Tod der Reinigung und der Läuterung bedarf78. Absurd ist es jedoch, wenn man angesichts dieses Faktums mit Karl Rahner fragt, ob dieser verbindende Gedanke nicht für eine gemäßigte Seelenwanderung Raum lasse, begrenzt auf Menschen, die in diesem irdischen Leben nicht zu einer letzten personalen Entscheidung gekommen sind, und natürlich nicht für andere, etwa in der Weise, dass man eine solche Auffassung für den östlichen Menschen tolerieren könne, ohne mit dem Dogma der Kirche in Konflikt zu kommen79. [Die Seelenwanderungslehre steht in einem merkwürdigen Ge-gensatz zu der sich innerhalb des Christentums ausbreitenden Lehre vom Ganztod des Menschen, die die Unsterblichkeit der Seele in Frage stellt und allein auf die Auferstehung der Toten setzt.] [Diese Lehre nimmt ihren Ausgang in der reformatorischen Theologie der jüngsten Vergangenheit, näherhin bei Karl Barth (+ 1968), und hat heute nicht wenige Anhänger auch bei katholischen Theologen gefunden. Zu ihrer Verbreitung hat vor allem der Holländische Katechismus beigetragen, der 1966 erschienen ist. Die Lehre vom Ganztod scheint auch bei der Liturgiereform Pate gestanden zu haben, wenn weithin das Wort "Seele" aus der Totenliturgie verschwunden ist.] [Dabei wird nicht berücksichtigt, dass die Seele des Menschen im Gegensatz zur Seele des Tieres geistiger Natur ist, dass sie nicht nur über ein sinnliches, sondern auch über ein geistiges Bewusstseinsleben verfügt und dass sie zufolge ihrer Geistigkeit auch unabhängig vom Leib sein und sich geistig betätigen kann, jedenfalls prinzipiell. In ihrer Geistigkeit ist 78 Kurt Koch (Anm. 55), 356. 79 K. Rahner, Fegfeuer, in: Schriften zur Theologie XIV, Zürich 1980, 448 f. 34 die Seele nicht zusammengesetzt und kann deshalb nicht zerfallen. Wenn immer in der Schrift vom ewigen Leben und von der ewigen Verdammnis die Rede ist, so wird die Unsterblichkeit der Seele vorausgesetzt. Jesus ermahnt die Jünger, sich nicht vor denen zu fürchten, die zwar den Leib, nicht aber die Seele töten können, sie sollen sich vielmehr vor denen fürchten, die den Leib und die Seele ins Verderben der Hölle stürzen können (Mt 10,28). Dem reumütigen Schächer verspricht er das Paradies noch am Tage seines Todes (Lk 23,43), und Paulus ist überzeugt, dass der Tod ihm sogleich die Christusgemeinschaft bringen kann (Phil 1,23)]. [Das V. Laterankonzil verkündet im Jahre 1513 die Unsterblichkeit der Seele des Menschen80, die neuerdings wieder durch die Pastoralkonstitution des II. Vatikanischen Konzils bekräftigt wird81.] 80 H. Denzinger, A. Schönmetzer (Anm. 61), Nr. 1440 f. 81 Gaudium et Spes, Art. 14. 35 [Man muss allerdings sagen, dass gerade in der Gegenwart die Zahl derer wächst, die der Ganz-Tod-Theorie kritisch gegenüberstehen, und zwar mit Berufung auf die Schrift und ihre Lehre vom Zwischenzustand82.] Wenn sich heute viele der Reinkarnationslehre zuwenden und diese Lehre sympathisch oder plausibel finden, so hängt das damit zusammen, dass dass immer weniger über den Tod und über das Jenseits gepredigt wird. Die Verkündigung der Letzten Dinge kommt zu kurz in der Verkündigung der Kirche. Damit werden die Antworten auf wichtige Fragen der Menschen werden in der Verkündigung verschwiegen83. 82 R. Hummel, Reinkarnation und christlicher Glaube (Anm. 5), 76. Vgl.auch W. Brugger, Art. Seelenwanderung in: Lexikon für Theologie und Kirche (Anm. 29), 576. 578. 83 Vgl. A. Lohner (Anm. 17). 36 Für den Christen kann es schon deshalb keine Reinkarnation geben, weil zyklische Weltbild, das ihr zugrunde liegt, nicht mit dem christlichen zu vereinbaren ist. Damit setzt sich Augustinus eindringlich auseinander in seinem Gottesstaat84. Für den Christen ist die Zeit, so stellt er fest, unumkehrbar. Der christliche Glaube, der Glaube an den biblischen Gott ist untrennbar verbunden mit dem Bekenntnis zur Geschichte. Die geschichtliche Zeit erweist sich als Ort der Selbstoffenbarung Gottes und der biblische Gott ist ein Gott der Geschichte. Konsequent ist es, wenn die zyklische Weltschau zum Pantheismus neigt, der die Welt nicht mehr Schöpfung sein läßt, sondern sie mit Gott identifiziert, wo-durch dann Gott und Welt, Gott und Mensch letztlich identisch werden85. Vortrag, gehalten im November 1997 in Ulm. 84 De civitate Dei X, 30. 85 K. Koch (Anm. 55), 357. Zum Ganzen vgl. J. Schumacher (Anm. 8), 34-40. 37 38 39