Springt mich an und sitzt auf mir

Werbung
Der Groschenroman
Copyrights by Gerhard Loibelsberger
Als ich vor 30 Jahren eine halbe Stunde nach Mitternacht in die alte
quietschende Tramway einstieg, hatte ich keine Ahnung, das dies der Beginn
einer langen Reise werden würde.
Im Gegenteil, ich war hundemüde, nicht mehr ganz nüchtern, und wollte auf
den schnellst möglichen Weg Heim in die Federn. Das Innere des TramwayWaggons war gähnend leer. Einzig im vorderen Teil schimmerte im harten
Neonlicht das silbern verfilzte Haar einer alten Frau. Aus welchen Gründe
auch immer, dieser Anblick zog mich an und so ging ich vor und setzte mich in
ihre unmittelbare Nähe. Der Zug fuhr rüttelnd los und die Alte schmökerte in
einem Groschenroman. Sie hatte etwas, das mich nicht los lies, mich
gleichsam zwang sie zu beobachten. Dann nahm sie - ohne von der Lektüre
ihres Groschenromans aufzusehen - ihr Gebiss aus dem Mund und da fiel mir
ein Song ein, der im Fahrt-Rhythmus einer alten Tramway durch die Ganglien
meines Gehirns rockte.
Groschenroman
Sie ist alt und liest einen Groschenroman
in der Nacht in Wien in der Straßenbahn.
Und sie hat einen Finger im Nasenloch,
als die Tramway bedächtig durch die Straßen kroch.
Und sie nimmt das Gebiss aus ihrem Mund zu viel Kaugummi kauen, das ist ungesund.
Sie ist alt und liest einen Groschenroman
in der Nacht in Wien in der Straßenbahn.
Und sie hat auf Ihren Fingern Nagelpilz,
ihre Haare schimmern grau wie ondulierter Filz.
Und sie nimmt das Gebiss aus ihrem Mund zu viel Kaugummi kauen, das ist ungesund.
Die Straßenbahnfahrt dauert endlos. Als ich schließlich ausstieg – es war die
Endstelle – befand ich mich an einem Ort, an dem ich noch nie zuvor gewesen
war. Vor mir lag im kalten Mondlicht eine Zitadelle von Plattenbauten. Als ich
mich umdreht und zurück in die Straßenbahn einsteigen wollte, erklang ein
„Bim“ und sie fuhr ruckelnd davon. Verlassen stand ich da, magisch
angezogen von der unglaublichen Masse an verbautem Beton, die vor mir
düster in den Himmel ragte. Und so begann ich zaghaften Schrittes diese
fremde Welt zu erkunden.
Schöner wohnen
Sozialer Wohnbau.
Schöner wohnen.
Stadtrandghettos.
Schöner wohnen.
Betonspielplätze.
Schöner wohnen.
Dünne Wände.
Schöner wohnen.
Kahle Bäume.
Schöner wohnen.
Hohe Mieten.
Schöner wohnen.
Lalalalalala schöner wohnen
Menschenmassen.
Schöner wohnen.
Isoliertheit.
Schöner wohnen.
Keine Geschäfte.
Schöner wohnen.
Langeweile.
Schöner wohnen.
Wenig Geld.
Schöner wohnen.
Grauer Alltag.
Schöner wohnen.
Lalalalalala schöner wohnen
Bitte den Rasen schonen!
Bitte den Rasen schonen!
Bitte den Rasen schonen!
Bitte den Rasen schonen!
Schöner wohnen.
Ziellos trugen mich meine Füße durch die Weite der Stadtrandsiedlung.
Unbarmherzig beleuchtete der Mond Hochhäuser, so dass diese düstere
Schatten warfen. Je länger ich durch das Beton Agglomerat wanderte, desto
weiter dehnte es sich aus. Ein endloses Areal von Wohnblocks, zwischen
denen das Echo meiner Schritte hallte. Die Anstrengungen der Wanderung
und wohl auch die Ermüdung aufgrund der fortgeschrittenen Stunde ließen
meine Beine schwer und schwerer werden. Zusehends beschlich mich das
Gefühl durch Kaugummi zu waten. genau gesagt durch einen Sumpf von
speichelwarmen, zähflüssigen Chewing Gum, in dem ich zusehends zu
versinken drohte. Meine Beine wurden bleischwer und mit jedem weiteren
Schritt sank ich in den Kaugummi weiter ein. Bald reichte sie mir bis zu den
Knie und eine Schritte weiter dann schon bis zu den Oberschenkeln. Zu dem
bedrückenden Gefühl des Versinkens kam auch noch eine wahnwitzige Angst
verfolgt zu werden. Irgendwer oder irgendwas hatte sich in dem
Kaugummimorast an meine Fersen geheftet und kam immer näher und näher.
Mein Nackenhaar sträubte sich und ich ruderte verzweifelt mit den Armen, um
mich rascher in der zähflüssigen Masse fortbewegen zu können. Doch
plötzlich sackte ich in ein Schlammloch und steckte plötzlich bis zum Hals in
dem gierig schmatzenden Kaugummimasse. Und genau in diesem Moment
sprang mich ein großer, schwarzer Schatten an.
Jump!
Manchmal springt mich etwas an wie ein Tiger einen Mann.
Wie ein Schlauchboot eine Schnelle
in des Stromes wilder Stelle.
Wie ein Blitz den Eichenbaum
oder wie ein wüster Traum.
Jump! Jump! Jump! Jump!
Manchmal springt mich etwas an wie ein Tiger einen Mann.
Wie ein fremdes, fernes Lied,
wie ein lauter, harter Beat.
Wie die Faust, die einen trifft,
oder wie ein Nervengift.
Jump! Jump! Jump! Jump!
Manchmal springt mich etwas an wie ein Tiger einen Mann.
Springt mich an und streckt mich nieder,
fährt ins Herz und in die Glieder.
Springt mich an und sitzt auf mir –
und ich streichle dieses Tier ...
Jump! Jump! Jump! Jump!
Es war ein großer, schwarzer Hund, von dem ich angesprungen worden war.
Er schleckte mich ab, und hüpfte vor mir in dem Kaugummibrei auf und nieder.
Ich packte ihn links und rechts an seinem Kragen, er riss Kopf und Körper
zurück und befreite mich durch diesen gewaltigen Ruck aus meiner misslichen
Situation. Herausgezogen aus dem Schlammloch folgte ich dem Hund, der
mich mit sicherem Instinkt aus dem Morast heraus führte. Erschöpft setzte ich
mich auf den wiedererlangten festen Boden und verschnaufte. Der Hund legte
sich zu mir und schleckte Kaugummireste aus den Zwischenräumen seiner
Zehen heraus. Ich streichelte über seinen Schädel, er blickte mich mit
heraushängender Zunge an und keuchte zufrieden. Sein Atmen roch leicht
faulig und er hatte eine ranzig pelzig Körperausdünstungen. Der Hund sprang
auf und forderte mich bellend und schwanzwedelnd zum Spielen auf. Also
stand ich auf und lief mit ihm ein Stück. Auch warf ich ihm ein Holz, das ich
zufällig fand. So verließen wir die Trabantenstadt und näherten uns einer
Gegend, in der trotz nächtlicher Stunde jede Menge Betrieb war. Mit meinem
vierbeinigem Begleiter mischte ich mich unter die Menschen.
Hartes Pflaster
Synthetikrock und Plastiklicht
Finger drücken Automaten
Großstadtsound und Neonfarben
Hamburger verbraten
Stimmen schreien wie verrückt
irgendwer ein Messer zückt
Tritte hallen
Tritte knallen
Hartes Pflaster
Cityglanz und Kinocenter
Schmale Augen grell geschminkt
Pornoshows und Babystrich
Die Friteuse im Öl versinkt
Stimmen schreien wie verrückt
irgendwer ein Messer zückt
Tritte hallen
Tritte knallen
Hartes Pflaster
Rausschmeißer und Spielhallen
Dünne Lippen trinken Bier
Piercingpracht und Lederjacken
Heiße Hunde gibt es hier
Stimmen schreien wie verrückt
irgendwer ein Messer zückt
Tritte hallen
Tritte knallen
Hartes Pflaster
Ich wurde von Huren angequatscht und von Betrunkenen angepöbelt. Ein
weißhaariger Typ mit wirrem Haar stolperte aus einem Lokal heraus, blieb
kurz mit zuckenden Gliedmaßen stehen und stolperte dann an uns vorbei.
Der Boden seiner Hose war total nass, ein ekelhafter Geruch begleitete ihn.
Der Hund blieb dicht bei mir, einem am Boden sitzenden Sandler schnappte er
im Vorbeigehen die Wurst aus dem Hot Dog. Der Mann schaute uns ungläubig
aus großen, glasigen Augen an, ich gab ihm Geld für einen neuen Imbiss. Ich
hatte Durst, ging in eines der Lokale und bestellte für mich ein großes Bier und
für den Hund eine Schüssel Wasser. Nachdem wir unseren Durst gestillt
hatten, beobachteten wir die Leute rundum. Die meisten waren ziemlich
betrunken, lallten und gestikulierten. einige saßen auch nur still da und stierten
in das mehr oder weniger gefüllte Glas vor sich. Eine Nutte, die gerade eine
Arbeitspause machte fütterte den Hund mit Resten von ihrem Teller.
Verchromte Liebe.
Asphalttriebe.
Im Zellophan
Steckt ein Pornoroman.
Fernseher flimmern
In nächtlichen Zimmern.
Im dunklen Park
schwellen Muskeln stark.
Leder schimmert,
ein Kußmund wimmert.
Verchromte Liebe.
Asphalttriebe.
Ein Gummischutz
treibt im Straßenschmutz.
Ein Schlüpfer – blau –
reißt im Gemeindebau.
Gefühle versinken,
und Schreie ertrinken.
Neonlichtrot
macht Sehnsüchte tot.
Verchromte Liebe.
Asphalttriebe.
Am Straßenstrich
ist es jämmerlich.
Wind kam auf und trieb Sand, Staub und Dreck sowie leere Trinkbecher,
Papierln und die Zellophanhüllen von aufgerissenen Zigarettenschachteln vor
sich her. Fernes Leuchten am Himmel kündigte ein Gewitter an. Eiligen
Schrittes ging ich durch die Straßen und sah schließlich ein einziges freies
Taxi stehen. Auf dem Weg zu ihm überlegte ich, wie ich wohl den Taxifahrer
motivieren könnte, mich und auch den Hund mitzunehmen. Da mir nichts
einfiel, öffnete ich einfach die Beifahrertür des Taxis und fragte höflich, ob ich
mit dem Hund gemeinsam einsteigen dürfe. Der Taxifahrer sah mich aus roten
übermüdeten Augen an und brummte: „Aber ja ... Hunde sind mir sowieso
lieber als Menschen. Ein Hund hat mir noch nie in den Wagen gespieben ...“
Stadtautobahn
Die Sicht ist beschissen
und das Dach nicht dicht.
Scheibenwischer verschmieren
die Sicht.
Fontänen spritzen,
die Scheiben laufen an.
Und man rutscht dahin
auf der Stadtautobahn.
Neongewitter auf der Stadtautobahn
Stadtautobahn, Stadtautobahn
Neongewitter auf der Stadtautobahn
Stadtautobahn, Stadtautobahn
Neongewitter auf der Stadtautobahn
Strömender Regen,
der Asphalt ist glatt.
Blaulichter zucken
in der ganzen Stadt.
Man steht im Stau,
die Scheiben laufen an.
Und man staut dahin
auf der Stadtautobahn.
Neongewitter auf der Stadtautobahn
Stadtautobahn, Stadtautobahn
Neongewitter auf der Stadtautobahn
Stadtautobahn, Stadtautobahn
Neongewitter auf der Stadtautobahn
Genervt vom Stau stieg ich aus dem Taxi aus. Gemeinsam mit dem Hund
trotte ich durch den Regen, der nach und nach sein Fell und meine Kleidung
durchdrang. Schwer und schwerer wurde meine patschnasse Lederjacke und
vom Kopf rannen mehrere Rinnsale über Stirn , Wangen und Nacken hinein in
den Kragen und von dort weiter unter das T-Shirt, in die Unterhose, die
Arschbacken entlang und dann die Beine hinunter. Das Sammelbecken für
diese Rinnsale waren meine Sneaker, die bei jedem Schritt ein feucht
schmatzendes Geräusch von sich gaben. Mein vierbeiniger Begleiter grinste
unbehaglich in den Regen, blinzelte ununterbrochen mit den Augen, Schüttelte
sich alle paar Minuten und sah im übrigen erbärmlich aus - sein sonst wolligwiderspenstiges Fell klebt an seinem Körper wie ein schwarzer Latexanzug.
Schwarzer Regen
Im Genick
und in den Schuhen.
Im Gesicht
und in den Socken.
Auf dem Haar
und auf den Schultern.
Auf dem Kopf
und auf dem Mantel.
Schwarzer Regen
Im Bezirk
und in den Straßen.
Im Kanal
und in den Lacken.
Auf dem Dach
und auf den Scheiben.
Auf dem Baum
und auf dem Rasen.
Schwarzer Regen
Im Gehirn
und in den Därmen.
Im Gespräch
und in Gedanken.
Auf der Haut
und auf den Lippen.
Auf der Stirn
in allen Menschen.
Regen enthält Staub, Sauerstoff, Stickstoff, Kohlensäure, schwefelige Säure,
Schwefelsäure, Salpetersäure, Pollen, Kleinlebewesen – in mehr oder minder
konzentrierter Form. Je länger ich im Regen unterwegs war, desto stärker
wurde mein Empfinden, dass mir all dieses Zeug in hoch konzentrierter Form
in die Schuhe rann. Es begann mich am gesamten Körper zu jucken, mich
ekelte, ich war nass, mir war kalt. Da ich in einer Gegend angelangt war, in der
eine Bekannte von mir wohnte, beschloß ich mich mit samt meines Hundes
dort zu verkriechen. verschlafen öffnete sie die Tür, nachdem ich Sturm
geläutet hatte. Als sie uns total nass sah, konnten wir eintreten. Sie holte
Handtücher und schrubbte zuerst mich, dann den Hund ab. Sie half mir beim
trockenlegen des Hundes und begann ihn zu streicheln, was mit etlichen
Schlabberküssen seinerseits dankbar quittiert wurde. Ich wechselte von
meiner nassen Kleidung in einen trockenen Bademantel. Wir zogen uns in
eine gemütliche Ecke zurück; leise Musik, Wein und ein auf dem Boden
ausgestreckter Hund, der laut schnarchend schlief. Als ich ihre körperlich
Nähe suchte, ließ sie dies kommentarlos geschehen. Umarmungen, die mich
wärmten, obwohl alles kalt blieb.
Extra kalt leuchten die Nylons
der Nutten am Gürtel.
Extra kalt küssen die Lichter
der Großstadt den Himmel.
Extra kalt streicheln Saphire
beim Abspielen die Platten.
Extra kalt glänzt das Blech
der Autokolonnen nach Dienstschluß.
Extra kalt rinnt der Wodka
über den Eiter der Kehle.
Extra kalt ritzt der Frost
die Haut des Strotters.
Extra kalt pulst der Groove
durch die Därme der Discos.
Extra kalt war der Orgasmus,
den wir gemeinsam erlebten.
Extra kalt – keine Gefühle
keine Wärme nur Kühle
extra kalt ist auch der Ton
extra kalt – null Emotion.
Extra kalt rinnt das Gefühl
wenn wir uns endlich küssen.
Wenn der Mond über Alterlaa
Manhattans Romantik zaubert.
Wenn McDonalds Hamburger
an Seife und Kunststoff erinnern.
Wenn eine Horde Kinder
gröhlend die U-Bahn zertrümmert.
Wenn um halbdrei Uhr morgens
kein freies Taxi mehr leuchtet.
Wenn nach durchwachten Stunden
der Morgen den Smog durchdämmert.
Wenn er den Mond ausdrückt
wie einen entzündeten Pickel.
Extra kalt – keine Gefühle
keine Wärme nur Kühle
extra kalt ist auch der Ton
extra kalt – null Emotion.
Extra kalt lädt das Bett ein,
in dem wir uns verkriechen.
Extra kalt sind meine Füße
unter der schmalen Tuchent.
Extra kalt sagst du: ”Paß auf Mann,
mit deinen kalten Händen.”
Extra kalt schmiegt sich mein Körper
An deinen glühenden Hintern.
Extra kalt grinst der Abschied
am nächsten Morgen.
Unterwegs. Durch die Gassen und Straßen der Stadt, in denen der Moloch
Verkehr wütete: Dröhnen, hupen, stinken, qualmen, quietschen, schnaufen,
zischen, spritzen, bremsen, starten, drängeln, schimpfen, Aggression auf- und
aufbauen, Vogel zeigen, Stinkefinger recken und trotzdem nur im Schritttempo
weiter kommen. Und während ich mich durch das Chaos zu Fuß fortbewegte,
begegneten mir immer wieder die selben Autofahrer, die endlos kreisend, so
wie Sysiphus einst seinen Stein wälzend, einen Parkplatz suchten. Obwohl
sie doch wussten, dass es in der ganzen Stadt wenige - viel zu wenige Parkplätze gab. Aus hunderttausenden Auspuffrohren stieg Kohlenmonoxid
auf und vermischte sich in den höheren Luftschichten mit all den anderen
Abgasen und Dämpfen, die aus der Stadt emporquollen. Alles zusammen
ergab eine fette Dunstglocke, die sich wie eine brütende Glucke auf die Stadt
gesetzt hatte. In ihr waren alle Ausdünste versammelt: Die bereits erwähnten
Autoabgase, der Schweiß der Menschen, die Gerüche, die aus Gebäuden
strömten – muffiger Moder aus Altbauten, trockener Mief aus klimatisierten
Bürogebäuden und Kaufhäusern, ranzige Fettdämpfe aus Gasthäusern und
Dunstabzugsanlagen – sowie die Ausdünstungen der Gewerbe- und
Industriebetriebe. Und zu all dem, wenn einem das Rot einer Fußgängerampel
Einhalt gebat, machte man unfreiwillig eine n Lungenzug vom Zigarettenrauch
eines neben einem Stehenden. Kein Wunder, dass abends der blütenweiße
Zellstoff meines Papiertaschentuchs durch rußig schwarzem Rotz verunreinigt
war; und als ich das Fell meines Hundes, bürstete, sammelte sich
dunkelgrauer Staub in den dichten Bürstenhaaren.
Dioxid
Zigaretten glühen.
Auspuffrohre vibrieren.
Schornsteine verteilen.
Smog über der Stadt.
Und es kratzt was im Hals.
Kohlenmono.
Kohlendio.
Dioxid.
Zentralheizungen wärmen.
Viertaktmotoren blubbern.
Fabriken dampfen.
Smog über der Stadt.
Und man hustet und spuckt.
Kohlenmono.
Kohlendio.
Dioxid.
Rauchfänge auf Dächern.
Autos im Stau.
Industrie im Wohngebiet.
Smog über der Stadt.
Und man spürt was auf der Lunge.
Kohlenmono.
Kohlendio.
Dioxid.
Ich erinnere mich: DER DRITTE MANN spielte in
einem Jugendsaal. Er lag
in der Gegend am Rande der Stadt, in der wir alle aufgewachsen waren und
deren unzählige Heurigenlokale uns allen mehr oder weniger bekannt waren.
Wir trafen einander am bereits am Nachmittag und sprachen dem Wein kräftig
zu. Es war eine ziemlich große Gruppe von Freunden und es rannte der
„Schmäh“. Danach halfen alle zusammen, die Verstärker, das Schlagzeug etc.
auf die Bühne des Saals zu schleppen und sie dort aufzubauen und
anzustecken. Es gab einen ziemlich lustigen Soundcheck, während dem die
Besucher schon vor der Saaltür warteten. Zu dieser Zeit hatte ich null Bock
darauf, auf der Bühne zu stehen und meine Texte ins Publikum zu brüllen;
deshalb hatte Thommy den Part der Leadstimme übernommen. Gemeinsam
mit meiner Freundin mischte ich mich unter die wartende Menge und trank
weiter. Nach dem Einlass in den Saal wurde es ziemlich bald dunkel, die
Lichter auf der Bühne ging an und die Band startete mit dem Lied, das wir
damals immer als erstes spielten: „Willkommen in unserer Bananenrepublik“.
Die Jungs des DRITTENS MANNS waren völlig relaxed und spielten mit
einem ziemlichen Hammer. Die Kids im Saal nahmen das sehr positiv auf und
begannen ziemlich bald wild zu tanzen. Noch heute sehe ich vor meinem
geistigen Auge den knackigen Arsch meiner Freundin, wie er sich im
Rhythmus von „Ratten in der City“ hin und her bewegte und sich dann und
wann an mir rieb.
Ratten in der City
Ratten auf dem U-Bahnbau, Ratten in dem Schacht
Ratten auf der Donauinsel, Ratten in der Nacht
Ratten in Gemeindebauten, Ratten auf dem Flur
Ratten im Koloniakübel, Ratten seh ich nur
Ratten in der City
it’s a pity
es sind Ratten in der City
Ratten in den Supermärkten, Ratten im Büro
Ratten auf dem Hauptzollamt, Ratten im Sakko
Ratten in den Stadtpalais, Ratten im Verkehr
Ratten in der Staatsoper, Ratten werden mehr
Ratten in der City
it’s a pity
es sind Ratten in der City
Ratten in der Straßenbahn, Ratten im Gewand
Ratten hinter Schreibtischen, Ratten sind im Land
Ratten mit Krawatten, Ratten tragen Hut
Ratten tragen Anzüge, Ratten steh’n sie gut
Ratten in der City
it’s a pity
es sind Ratten in der City
Obwohl das damals einer unserer besten Gigs war, kann sich heute - 30
Jahre später - außer mir keiner mehr daran erinnern. Wobei das nichts zu
bedeuten hat, schließlich hatten wir damals alle soviel gesoffen, dass jeder
von uns den einen oder anderen Filmriss in seiner Erinnerung hat. Worüber
ich allerdings immer wieder nachdenke ist: Gibt es Dinge, die sich unser Hirn
zusammenreimt und die so tatsächlich nie statt gefunden haben? Sicher gibt
es das. Gibt es aber Erinnerungen, die absolut plastisch und echt auf unserer
Festplatte abgespeichert sind und die sich trotzdem so nie zugetragen haben?
Wahrscheinlich gibt es auch das. Ein Erinnerungsdetail dieses Abends: Die
spitzen Stilettos, die meine damalige Freundin getragen hatte und die wie das
spitze Schuhwerk, das Janis Joplin oft trug, aussahen. Oder die Bemerkung
von Reinhard - unserem Keyboarder-, dass meine Freundin ein
„Wahnsinnshase“ sei. Oder der erste Zug aus der filterlosen Gitanes, die sie
sich nach dem Konzert angezündet und die sie mir danach samt den
Abdrücken ihres Lippenstifts zwischen die Lippen geschoben hatte. Ich
erinnere mich ... oder auch nicht.
Ich traf einen alten Freund im Kreis einer großen Runde. Wir setzten uns
nicht zu den Erwachsenen, sondern an den Tisch der Kids. Sie akzeptierten
uns mit einiger Skepsis und wir mussten versprechen, keine dummen Fragen
zu stellen und nicht zu nerven. Mein Freund und ich tranken G’spritzte und
tauschten Erinnerungen aus. Er erinnerte mich daran, dass die
Französischlehrerin seiner Maturaklasse, meine damalige Freundin gewesen
war. Eine junge Austauschlehrerin aus Frankreich, die mir das Herz heraus
riss und es dampfend und blutig verschlang – peu à peu – während der
eineinhalb Jahre, die wir gemeinsam verbrachten. Nicht dass ich auch nur
einen Augenblick mit ihr missen möchte, weder unsere gruftige Wohnhöhle im
5. Wiener Gemeindebezirk, noch das gemeinsame Autostoppen quer durch
die Bretagne oder die Wochen in der Wohnung ihrer Schwester im damaligen
Pariser Araberviertel Belleville. All das zog wie ein kurzes heftiges Gewitter
durch mein Hirn, als wir da saßen und über vergangene Zeiten plauderten. Es
gab dann auch ein reales Gewitter und so heftigen Regen, dass die Markisen,
die es bei diesem Heurigen als Regenschutz gab, wie schwere, überreife
Titten herunter hangen. Als schließlich die Wassermassen zu Boden spritzten,
wurde das bisschen Kies dort – so wie New Orleans nach dem Dammbruch –
total überflutet. Wir flüchteten zu den überdachten Teil des Gastgartens und
sprachen über Dinge wie z.B. die mehrfachen Bedeutungen des Wortes
„Weißer Spritzer“. Mir wurde bewusst, dass diese Bezeichnung politisch nicht
korrekt sei, da sich alle Schwarzen dadurch diskriminiert fühlen mussten.
Politisch unkorrekt ist auch der sexuelle Doppelsinn, der empfindsame
Gemüter durchaus abhalten könnte sich dieses Getränke an die Lippen zu
führen. Die Kids erzählten, dass sie eine eigene Band namens Tinnitus
gegründet hätten. Groß war die Enttäuschung, als ich sie darauf aufmerksam
machte, dass es bereits eine Band gleichen Namens gäbe. Darauf folgte ein
Brainstorming, bei dem Bandnamen wie Ohrenschmalz, Hörgerät, Dementia,
Children of Rodaun oder Einlauf kreiert wurden. Wir hatten einen Höllenspaß,
lachten viel und fachsimpelten über Rockheroen wie Jimi Hendrix, Led
Zeppelin, Green Day oder Good Charlotte. The kids are all right.
Nächtens daheim überkam mich eine schräge nostalgische Sehnsucht nach
Frankreich und ich kramte einen vor Jahren von mir übersetzten Baudelaire
Text hervor, der mich ins Reich der Träume begleitete ...
La mortalité / Die Tödin
(nach Charles Baudelaire)
Als ich eines Tages ohne Plan und ohne Ziel von Langeweile getrieben
über die sturmgepeitschten Ebenen meiner Imagination streifte,
begegnete mir erstmals Ihre schlanke, hochgewachsene Gestalt gekleidet in einen nachtschwarzen Mantel - von einer Kapuze behütet.
Ein eisiger Windstoß teilte diese bis zum Staub der Erde reichende Verhüllung
und zeigte ihren nackten, knochigen Körper, über den sich wie ein
Leichentuch
ihre von zahllosen Adern bläulich marmorierte Haut spannte auf der sich in ihrem Schritt ein animalisch wilder Pelz sträubte.
Düsternis umfloß, an eine Mähne erinnernd, ihren kantigen Schädel,
in dem sich die Krater der Augenhöhlen öffneten,
in deren schattigsten Tiefen ein dunkles Feuer brannte.
Zwischen ihren eingefallenen Wangen spross wie eine überreife Frucht
im feuchten Rot frisch vergossenen Blutes das Geschwisterpaar ihrer Lippen,
nach deren kaltem Kuß der Verlöschung ich mich seit Ewigkeiten sehnte.
Eisige Windstöße trieben Scharen von dichten Schneeflocken vor sich her.
Düsternis umfloß das Gebäude mit dem großen, hell erleuchteten
Neonzeichen, das eine E-Gitarre darstellte. Reinhard hatte mich abgeholt und
wir fuhren zu dem Gig vor den Toren der Stadt; zu dem besagten Gebäude an
der Autobahnabfahrt Wiener Neudorf, in dessen Anbau sich eine der
interessantesten Auftrittsmöglichkeiten im Raum Wien für mehr oder minder
bekannte Bands befindet. Die Location heißt Backstage Musiccafé
(www.backstage-cafe.com) und ist ein Pub, bei dem die Bühne Teil des
Gastraumes ist. Publikum hautnah! Reinhard und ich luden die „Oma“ (sein
Yamaha Keyboard, das in einer sargähnlichen ca. 160 cm langen
Transportverpackung steckt) aus und schleppten sie ins Backstage Café.
Tommy, Wolfgang, Joe und Andy waren bereits da und tranken gerade ihr
erstes Bier. Angespannte Atmosphäre, ein Kribbeln wie es Andy formulierte.
Wir bestellten ebenfalls Bier, tratschten und besprachen mit dem
Tontechniker, der irgendwann auftauchte, die Details unseres Auftritts. Auch
die Mädels von F.A.ST. – eine Poptheater Truppe (www.fastpoptheater.at) –, die
nach unserem Auftritt noch einen 20minütigen „Drüberstreuer“ als Krönung
des Abends performen würde, trudelten ein. Unsere eine Sängerin Andrea
kam mit einem der ersten echten Gäste, einem Bekannten von ihr. Mit dem
Soundcheck und gemütlichen Plaudereien verflog die Zeit. Plötzlich war es
20.30 Uhr und das Lokal lag halbleer vor uns. Ich bekam ein mulmiges Gefühl
im Bauch – ein komisches Gefühl vor leeren Tischen und Stühlen auftreten zu
müssen. Wenige Minuten später ging es aber dann los. Freunde, Bekannte
und zum Teil auch Fremde kamen in einem stetigen Strom. Die größte Gruppe
bestand aus circa 20 Laaber und Breitenfurter Fans, die DEN DRITTEN
MANN bereits vor 25 Jahren bei einigen Konzerten erlebt hatten. Große
Freude, verrtaute Gesichter, das Backstage Café bummvoll. Sabine unsere
andere Sängerin war mittlerweile ebenfalls eingetroffen. Sie kam direkt von
einem Konzert mit dem Wiener Zither Orchester, das im Schubertsaal des
Wiener Konzerthauses stattgefunden hatte. Ein Tag – zwei Gigs. 1x Wiener
Lied, 1x Rock – was für ein Abend! Ich tratschte mit Joe Remick und lieben
Freunden, als Andy, unser Schlagzeuger, mir auf die Schulter klopfte und
sagte: „Komm, gemmas an!“. Ich ging mit ihm zur Bühne, krallte mir ein
Funkmikro und stellt mich an die Bar. Es wurde dunkel im Lokal und die Band
legte los:
Willkommen in uns’rer
Bananenrepublik,
willkommen in der Weltstadt Wien.
Willkommen genießen Sie Stück für Stück
vom picksüßen Wien Gelatin.
Manche Dinge ändern sich nie:
Dass Österreich seit Jahrzehnten die Züge einer Bananenrepublik anhaften
(damals z.B.: der Bauringskandal, heute z.B.: die Visa-Affäre, bei der
österreichische Visa von Beamten des Außenministeriums (!) zwischen
Budapest und Nigeria verschachert wurden ...).
Oder dass sich unsere Hauptstadt Wien, nach wie vor wohlig in einem
Bodensatz von gelatinartiger, klebrig-bräunlicher Gemütlichkeit suhlt.
Nach der „Bananenrepublik“ als Einstiegsnummer, bei der ich gemütlich an
der Bar lehnt und die Band von „außen“ betrachtete, sprang ich bei „Jump“ auf
die Bühne und ab ging die Post. Wir spielten einen dichten, soundmäßig
perfekt abgemischten Gig, über den mir ein Freund nachher sagte: „Wie Ihr
aufgehört habt, habe ich mir gedacht: Das war kurz. Dann hab’ ich auf die Uhr
geschaut und gesehen, dass ihr über 80 Minuten wie im Flug vergangen
sind....“. Eine andere Stimme nach dem Konzert: „Bei „Bagdad“ ist mir richtig
kalt geworden.“ Eine Reaktion, die uns freute. Joe Remick (der übrigens einen
genialen Newsflash bei „Bagdad“ sprach!) leitete dieses Lied mit folgender
Ansage ein: „Der nächste Song ist über eine Stadt, die leider viel zu oft in den
letzten Jahren in den Nachrichten ist ... Bagdad.”
Schüsse hallen, ein Baby schreit
die Nacht ist einsam,
die Straße breit.
Soldaten patrouillieren,
Körper fallen,
von ferne hört man Schreie hallen.
Bagdad war eine schöne Stadt,
bevor der Krieg begonnen hat.
Baghdad was a quiet pleasant place
Before the war started to rage.
Sprengstoff an den Körper geklebt,
Ohnmacht und Wut
in der Seele bebt.
Die Bombe zündet,
Explosion,
Chaos vor der Polizeistation.
Bagdad war eine schöne Stadt,
bevor der Krieg begonnen hat.
Baghdad was a quiet pleasant place
Before the war started to rage.
Blut versickert braun im Sand,
ein Fuß liegt da
und dort eine Hand.
Gedärme quellen,
Splitter überall,
ein ganz alltäglicher Zwischenfall.
Bagdad war eine schöne Stadt,
bevor der Krieg begonnen hat.
Baghdad was a quiet pleasant place
Before the war started to rage.
/ Newsflash /
Bagdad war eine schöne Stadt,
bevor der Krieg begonnen hat.
Baghdad was a quiet pleasant place
Before the war started to rage.
Fortsetzung folgt
Herunterladen