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Interview Mathieu Lescop
1. Wie würdest du deine Musik beschreiben?
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Meine Musik ist Pop, eher leicht zugänglich und mit Akzent auf dem "populären" Aspekt von
Popmusik. Wie auch bei anderen Gruppen, die Popmusik machen: komplexe Konzepte in eine
Form zu pressen, die diese leicht zugänglich macht.
2. Warum unterscheidest Du zwischen Pop und Chanson?
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Weil ich nicht glaube, dass ich mich in der Tradition des Chanson Française einordnen kann.
Das ist ein bestimmtes Genre, das für sich steht. Beispielsweise denke ich nicht, dass man in
Deutschland von „deutschem Chanson“ spricht, oder in England von „englischem Chanson“.
Es gibt da dieses Dogma, dass sobald man auf Französisch singt, es Chanson Française ist,
und das geht mir etwas auf die Nerven. Ich denke, dass französische Musik sich selbst
exportieren kann, wenn sie anfängt sie selbst zu sein und Musiker, wie ich, Musik machen,
die sich nicht ausschließlich an ein Publikum wendet, dass die Texte versteht. Ich denke, dass
man bei meinem Album nicht zwangsläufig die Texte verstehen muss, um einen Zugang zur
Musik zu finden und das macht mich, denke ich, eher zu einem Popmusiker, als einem
(Musiker) des Chanson Française.
3. Du hast in einer französischen Band gesungen, die sehr beeinflusst von englischer
Musik, vor allem von Punk Musik wie Stranglers, oder The Jam. Ist Lescop jetzt
Postpunk?
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Ich weiß nicht. Jeder ist Postpunk, weil Punk ja '77 war (lacht). Ich denke, dass der Terminus
Postpunk schon so viel von seinem ursprünglichen Wortsinn verloren hat, dass ich mich nicht
mehr traue, ihn zu benutzen. Aber in der Tat, in meiner Jugend war ich Teil der Alternative
Rock und Punk Bewegung. Was mich an dieser Bewegung interessiert ist nicht die Tatsache
einen Irokesen zu haben, oder Doc Martens. Was mich fasziniert ist diese Freiheit: "ich
brauche kein Musiker zu sein, um Musik zu machen, ich muss kein Literaturstudent sein, um
Texte zu schreiben. Und ich werde es auch besser als sie machen, eben, weil ich es nicht in
der Schule gelernt habe". Und das ist das, was mir am Punk gefällt. Diese etwas Nietzschehafte Attitüde am Punk. Diese Herangehensweise nutze ich bis zum heutigen Zeitpunkt um
meine Musik zu machen. Es ist eher eine Lebenseinstellung, als eine stilistische Frage.
4. Dein Label ist Pop Noir, dein CD Cover schwarz weiß, ebenso sind deine Clips in
einer eher düsteren Ästhetik gehalten. Hast du keine Angst in die Schublade der Gothicmusik gesteckt zu werden?
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Mir gefällt es eigentlich ganz gut für einen Gothic-Musiker gehalten zu werden. Wenn die
Leute Gothic mögen und sie mich dazuzählen, finde ich das prima. Hauptsache, sie mögen
meine Musik (lacht). Stilfragen sind mir eigentlich egal. Ich höre so ziemlich alle Stile,
momentan beispielsweise sowohl düsteres Zeug, als auch Reggae, Punk, Glamrock und
Rock'n Roll der 50er Jahre. Meine Ohren sind immer auf 180° geöffnet, Stile bedeuten mir
nichts. Meiner Meinung nach gibt es einzig zwei wichtige Stile in der Musik: gute Songs und
schlechte Songs. Ich versuche gute Songs zu machen.
5. Warum genau diese Schwarz-weiß Ästhetik? Ist das nur ein visuelles Element, oder
spiegelt sich das in der Musik wider?
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Das hat sich ganz natürlich entwickelt, weil es gut zu dem gepasst hat, worüber ich
geschrieben habe. Pop Noir und ich haben viel darüber nachgedacht, wie wir die Lescop
Ästhetik aufbauen möchten und welches Bild wir verbreiten möchten. Wenn man die Songs
hört, dann drängt sich eigentlich ziemlich schnell Schwarz und Weiß auf. Das bedeutet
natürlich nicht, dass ich in einem Sarg mit Fledermäusen lebe.
6. Unter den französischen Künstlern, die dich beeinflusst haben, nennst du Etienne
Daho, Indochine, Taxigirl und Telephone. Wie wäre deine Reaktion auf einen Vergleich
mit dem jungen Dominique A?
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Nah, der ist ja nicht mehr so jung, ich allerdings auch nicht. Es gab eine Zeit, da habe ich
ziemlich viel Dominique A gehört. Aber die Gemeinsamkeiten sehe ich so nicht unbedingt,
mal abgesehen davon, dass es französischsprachige Songs sind. Alle diese Bands und Musiker
sind sehr unterschiedlich. Zwischen Dominique A und Taxigirl liegen Welten. Mehr noch
zwischen Telephone und Indochine. Also all diese Bands liegen sehr weit auseinander.
Solange Musiker gute Musik machen, können sie mich inspirieren. Dominique A hat mich
beispielsweise nicht so sehr inspiriert, wie Bob Dylan und dabei schreibt Bob Dylan nicht auf
Französisch. Aber ob ein Song gut geschrieben ist, oder nicht, das fühlt man. Als ich 14 Jahre
alt war, verstand ich noch nicht, was Bob Dylan da sang, aber dennoch wusste ich, dass seine
Songtexte gut waren. Ich glaube wirklich daran, dass das was bei einem Song wichtig ist, die
Worte sind die man sagt, nicht die Sprache in der sie gesungen werden. Ich wurde also von
unterschiedlichsten Menschen beeinflusst und inspiriert, weil sie an das glaubten, was sie da
taten und deswegen gute Texte, gute Songs, gute Musik hatten. Das alles fügt sich zusammen
und dient als Inspiration.
7. Trotz der sehr offensichtlichen Einflüsse der 80er Jahre, hast Du dennoch einen sehr
aktuellen Stil. Wie genau kriegst du diese Mischung hin?
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Heutzutage ist die Musik der 80er Jahre schon wieder komplett in das Spektrum der
Gegenwart aufgenommen. Es beeinflusst alle Künstler, so wie beispielsweise die Einflüsse
der 50er und 60er Jahre heute kaum noch mehr rauszuhören sind, weil sie so sehr Teil der
Gegenwart sind. Natürlich sind die 80er Jahre Einflüsse in meiner Musik vorhanden, aber ich
denke, die Art und Weise, wie das Ganze aufgearbeitet ist, ist sehr 2010-isch. So wie Primal
Scream in dem 90ern Einflüsse der 60er Jahre hatten, die damals gut rauszuhören waren,
heute aber eindeutig wie eine Produktion der 90er Jahre klingen. Ich denke, das wird bei mir
genauso sein, alles was ich gehört habe, findet sich wieder und diese Mischung lässt das
Ganze vielleicht aktuell klingen. Wie Drieu LaRochelle einst sagte: Die Moden existieren
weiter, eine auf die andere gestapelt.
8. Denkst du, dass du einer musikalischen Bewegung angehörst?
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Ich denke nicht, dass es musikalische Bewegungen noch gibt, falls es überhaupt je welche
gegeben hat. Ich denke beispielsweise nicht, dass sich Bands getroffen haben und sich
überlegt haben ab jetzt Teil einer Bewegung zu sein, die sich Punk nennt, oder Glamrock,
oder sonst was. So etwas gibt es nicht.
9. Aber es gibt doch so etwas wie Dynamik, die sich daraus entwickelt.
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Ja, aber ich denke, dass genau diese Dynamik erst im Nachhinein benannt und als Bewegung
identifiziert wird, indem der gemeinsame Nenner identifiziert wird. Ich denke schon, dass ich
einer Tendenz von Bands angehöre, die heute auf Französisch singen und dabei eine Musik
machen, die neue Facetten der französischen Sprache zeigt. Band wie Mustang und Aline
oder La Femme. Es gibt viele Gemeinsamkeiten mit diesen Band, aber auf der anderen Seite
kenne ich diese Künstler nur, weil man uns gesagt hat, dass wir ähnliche Musik machen, weil
man uns für die gleichen Festivals und für die gleichen Bühnen gebucht hat, weswegen wir
uns kennen gelernt haben. Aber das kam erst so. Ich habe also nicht das Gefühl, Teil einer
Bewegung zu sein. Voneinander unabhängige Individuen haben unabhängig etwas
voneinander geschaffen, dass man im Nachhinein einen Stil nennen könnte.
10. Einen Stil, den man wie nennen könnte?
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Keine Ahnung, ich kann so etwas nicht. Das müssen Journalisten definieren, das ist nicht
Aufgabe der Künstler.
11. Unter anderem nennst du Marlene Dietrich als Einfluss. Wie hat sie dich
beeinflusst?
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Sie ist ein vor allem ein ästhetischer Einfluss. Marlene Dietrich... das hat so eine nostalgische
Seite, wie die "Madeleine de Proust", eine Erinnerung an die Kindheit. Ich habe eine deutsche
Familie und als ich klein war hörte ich viel Marlene Dietrich, weil wir die Platten zu Hause
hatten. Ihre Lieder wecken für mich viele Kindheitserinnerungen. Später habe ich mir dann
ihre Filme angeschaut und ich finde, dass ihre gesamte Ausstrahlung auch etwas an die
Stimmung in meinen Songs erinnert. Jean Cocteau sagte mal "Ihr Name beginnt mit einer
zärtlichen Berührung und endet in einem Peitschenschlag" und ich hoffe, dass diese
Beschreibung auch auf meine Songs zutrifft. Sie ist einfach eine sehr inspirierende Person,
und ich habe einen Song über sie geschrieben, ihre Person und ihr Leben im amerikanischen
Exil.
12. Denkst du, dass deine Musik auch von anderen Kunstformen beeinflusst ist?
Malerei, Filme, Literatur?
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Ja, vor allem Kino. Während der Arbeit am Album schaute ich viele Filme von Jean-Pierre
Melville, Deutschendorfer, Fassbinder. Das ist eine cinematographische Ästhetik, die mir sehr
gefällt. Die Charaktere dort haben etwas sehr vollendetes, sie stammen aus dem Alltag, doch
allen ist gemeinsam, dass sie auf der Suche nach etwas sind und transzendieren, aus sich
heraus wachsen, doch häufig scheitern sie daran. Die Charaktere in meinen Songs sind sehr
ähnlich und ich habe große Sympathien für die Filme von Fassbinder, ebenso für die
Charaktere in meinen Songs.
13. Wie empfindest du die Arbeit im Ausland? Wie gedenkst du, das Publikum
außerhalb von Frankreich für dich zu gewinnen?
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Das weiß ich noch nicht genau. Ich stehe ja erst am Anfang, aber ich denke, der beste Weg,
um ein Publikum überall auf der Welt für sich zu begeistern, ist es man selbst zu sein. Eben
das macht auch Großteil der künstlerischen Identität aus: dass ein Künstler aus einem
bestimmten Kulturkreis kommt, in einer bestimmten Sprache singt und bestimmte Werten zu
denen er sich bekennt. Die französische Geschichte, die französische Sprache, dies sind
Dinge, die in der Geschichte des französischen Rocks immer als ein Handicap gesehen
wurden. Aber ich verstehe das eher im Gegenteil als Qualität und als Trumpf aus dem Land
von Baudelaire und Drieu la Rochelle zu stammen. Man sollte dazu stehen, denn nur so kann
man zu sich selbst stehen und gute Songs schreiben.
14. Hast du keine Angst, dass das Publikum dich nicht versteht?
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Nein gar nicht. Ich selbst verstand ja früher auch nicht, worüber Bob Dylan oder die Sex
Pistols sangen und dennoch war mir schon damals klar, dass es großartige Songs waren. Mein
Interesse war deswegen nicht weniger groß. Ich denke man kann meine Songs ebenfalls
genießen, ohne zu wissen, worum es geht. Wenn die Leute dann herausfinden wollen,
worüber ich singe und sich die Mühe zu machen, es zu übersetzen, finde ich das natürlich
super, aber das ist nicht zwingend notwendig.
15. Du hast mit John und Jehn aus London zusammen gearbeitet? Wie ist es dazu
gekommen?
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Das war ganz natürlich, denn ich kenne John schon lange und wir wollten schon lange
zusammen arbeiten. Wir haben darüber nachgedacht, wie das aussehen könnte, haben über
musikalische Projekte gesprochen und sogar eine Zeit lang die Idee verfolgt, gemeinsam eine
Band zu starten. John wusste, dass ich viele Texte schreibe, die nicht wirklich zu meiner alten
Band Asyl passten, und so meinte er irgendwann zu mir, dass er daran interessiert sei, mein
Solo-Projekt zu produzieren. Und so fing er dann an, maßgeschneiderte Kompositionen auf
meine Texte zu entwerfen und ich habe dann schließlich auch meine Kompositionen
dazugetan, wir haben das hin und her arrangiert, strukturiert, entstrukturiert und schließlich
produziert. Und so ist das auch die Platte das Ergebnis dieser gemeinsamen Arbeit und
Energie geworden.
16. War es wichtig für dich, in London zu arbeiten?
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In gewisser Hinsicht schon, denn dort ist das Studio von John und Jehn. Aber ich denke, ich
hätte es genauso gut in Berlin, Moskau oder Kinshasa machen können. Dennoch, der Aspekt,
das Ganze im Ausland zu machen, war sehr interessant für mich. Mich hat die Vorstellung
amüsiert, ein komplett französisches Album im Ausland aufzunehmen. Aber es war auf
keinen Fall der Trip "Alles findet in London statt, man muss unbedingt nach London gehen,
um kreativ zu sein". Es gibt viele Künstler in Frankreich, die in Paris aufnehmen, oder in
Rennes, oder Marseille und dort tolle Alben produzieren.
17. Man könnte deiner Musik auch zu Elektro zählen. Was sind deine Einflüsse aus
diesem Bereich?
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Ich bin in der Elektro-Szene nicht wirklich zu Hause. Die elektronische Musik, die ich höre ist
von Bands, die eher Rockmusik mit elektronischen Einflüssen machen, also mit viel SynthieEinflüssen. Also Bands wie Kraftwerk, wie Depeche Mode, also eher Postpunk Musik. Aber
die elektronischen Einflüsse sind mehr einem Verlangen nach Modernität geschuldet. Die
haben sich gesagt, das ist die Zeit der Verzerrer, der Synthesizer also fangen wir jetzt auch
etwas damit an. Mein Album ist einer eine Synthese aus dieser Attitüde und einer etwas
traditionellen Herangehensweise. Es stimmt schon, dass man die Synthies und Drumcomputer
sehr raushört, aber gleichzeitig hört man auch viele Vintage-Instrumente und viel analoges
Zubehör. Ich versuche das Gleichgewicht zwischen diesen beiden Kulturen zu erschaffen.
Einerseits die Gitarren-lastigen 60er Jahre, andererseits eine etwas modernere
Herangehensweise mit dem elektronischen Equipment.
18. Du hast gerade schon Kraftwerk erwähnt. Welche anderen deutschen Bands kennst
Du?
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Nun, wie jeder andere auch kenne ich Kraftwerk. Dann natürlich, wie alle, Rammstein, oder
die Toten Hosen... Lass mich nachdenken, da fällt mir bestimmt noch besseres ein. Als ich
noch ein Kind war, habe ich eine deutsche Punkband namens "Slime" gehört. Mir fällt jetzt
gerade nichts wirklich Gutes ein. Moment, dann gab es noch eine Art Gothic Band, die sich
"das Ich" nannte, keine Ahnung, ob es die noch gibt. Und ja, klar auch Einstürzende
Neubauten, vor allem der Charakter des Blixa Bargeld hat mich sehr geprägt. Und dann auch
die ganze Nick Cave Connection. Oh Mann, ich weiß genau, dass ich gleich hier sitzen werde
und mir denken werde: Mist, warum hast du denn bloß nichts davon erzählt. Gleich wird mir
noch viel mehr deutsche Musik einfallen!
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