Mein Vater war ein heimatloser Aramäer

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Mein Vater war ein heimatloser Aramäer
Biblische Aussagen zum Umgang mit Fremden (Oktober 2001)
Martin Wolter
Es gibt in der gesamten Bibel nur sehr wenige Gebote Gottes, die dem Gebot zum Schutz des
Fremden an Gewicht und Eindeutigkeit gleichen. Warum legt die Bibel, oder besser: Warum legt
Gott so viel Wert auf diesen Bereich unseres Handelns?
1. Eine kleine Geschichte zur Einführung
Lassen sie mich mit einer kleinen Geschichte beginnen, die ich einer Erzählung nachempfunden
habe, die ich einmal bei Hans-Magnus Enzensberger fand:
Die Vorhänge des Abteils sind zwar halb zugezogen, aber ich kann deutlich erkennen, das nur
ein mittelalterlicher Mann es belegt. Er liest. Das lässt mich hoffen, ohne unerwünschte
Belästigung mit geistlosen Gesprächen meinen Weg nach München fahren zu dürfen. Meinen
freundlichen Gruß beim Eintritt beantwortet er nur mit einem undefinierbaren Brummen, das
aber eher feindlich denn einladend klingt. Erst jetzt sehe ich, dass er mit seinen Büchern, einer
Tasche, seinem dunkelblauen Mantel und einem kleinen Essensvorrat fast alle Sitze im Abteil
belegt hat. Der Mann könnte als personifizierte Unfreundlichkeit auftreten. So schnell gebe ich
mich nicht geschlagen. Ich bleibe hier stehen, bis du zumindest meine Seite des Abteils geräumt
hast. Der Sieg in diesem stummen Kampf macht das Schweigen zwischen uns noch etwas
feindlicher. - In der Höhe von Münster die erste Auflockerung der Fronten. Eine scharfe
Linkskurve lässt meine Computerzeitschrift vom Sitz neben mir gleiten. Als er sie aufhebt ertönt
ein kleiner erstaunter Ruf: "Ach, auch ein Macintoshfan?" Jetzt haben wir ein gemeinsames
Thema. Mein Mitfahrer sieht übrigens gar nicht so grimmig aus. Die Atmosphäre im Abteil wird
beinahe heiter. Das ändert sich abrupt in Frankfurt. Die Tür unseres Abteils wird aufgerissen und
eine etwa 45-jährige Frau erscheint in Eingang. Will sie mit all diesen Koffern und Taschen etwa
in unser Abteil? Ihr fröhliches "Schönen guten Tag" lassen wir im Grunde unbeantwortet und
meine Zeitschriften und meinen Laptop nehme ich auch nicht von den Sitzen neben mir. Muss
sie denn ausgerechnet in unser Abteil kommen?
Der oder die Fremde werden von uns in der Regel erst einmal als Eindringlinge und als störend
empfunden. Ich denke, das wir mit dieser Reaktion einer sehr tiefen Schicht unseres Menschsein
begegnen. Auch der Steinzeitmensch musste sein Terrain immer wieder gegen Versuche anderer
Horden verteidigen, die in sein Jagdgebiet einzudringen drohten. Diese über Jahrtausende
eingeübte Überlebensstrategie ist in uns sehr lebendig.
Darum halte ich es für sehr wichtig, in einem Hauskreis zu diesem Thema diesen Empfindungen
auch Raum zu geben.
Der erste Teil eines solchen Abends könnte daher z.B. folgendermaßen aussehen:
* Als Einstieg die vorstehende Geschichte vorlesen (oder in der 1. Person Singular
nacherzählen).
* Zeit geben, von eigenen Erfahrungen mit Fremden zu erzählen. Dies ist an diesem Abend ein
sehr wichtiger Punkt.
Eigene Erfahrungen mit dem Thema in Hauskreisen haben mir gezeigt, dass die Menschen hier
oft ganz anders über Fremde reden als anderswo. Man möchte nicht als unchristlich eingestuft
werden und plötzlich wird nur noch Positives über Begegnungen mit Ausländern in unserem
Land erzählt. Das entspricht aber eigentlich nie unserem wirklichen subjektiven Erleben.
Wenn wir aber unseren Gefühlen im Kontext des Hauskreises keinen Raum lassen, dann kann
dieser Abend auch nichts bewirken. Unsere Enttäuschungen und vielleicht auch unsere Wut
muss ausgesprochen werden können.
Vielleicht machen Sie selbst den Anfang mit solchen Erfahrungen, wenn die anderen sich nicht
trauen. Gleichzeitig darf dieser Teil natürlich auch nicht in eine Beschimpfung der ausländischen
Mitbürger ausarten. Hier ist also viel Fingerspitzengefühl seitens der Gesprächsleitung gefordert.
Auch zeitlich muss hier begrenzt werden. Es geht an dieser Stelle erst einmal nur um positive
und negative Erfahrungen, die wir mit Ausländern in unserer Mitte gemacht haben - noch nicht
darum, Lösungsmöglichkeiten für diese Situation zu suchen.
2. Der biblische Befund
Besonders im Alten Testament wird immer wieder deutlich, dass auch für Israel die Fremden in
ihrem Land ein Problem darstellten. Sie waren Konkurrenten im Kampf um das knapp
bemessene Kulturland und sowohl ihre "fremden Götzen" als auch ihre Ethik (z.B. kultische
Prostitution) stellten eine nicht nur theoretische Gefahr für das Volk Gottes da. Gerade weil aber
die Fremden ein Problem darstellten wurde immer wieder auf die besondere Bedeutung
hingewiesen, die bei Gott ihrem Schutz zukam.
2.1 Das Alte Testament
Ich möchte sie auf drei Texte hinweisen.
5. Mose 26, 5-7
Es handelt sich hier um so etwas wie das Glaubensbekenntnis des alttestamentlichen
Gottesvolkes. Dieser so entscheidende Abschnitt beginnt mit den Worten: "Mein Vorfahr war ein
heimatloser Aramäer." Hier ist von Abraham die Rede, aber im Grunde sind fast alle großen
Gestalten des AT in irgendeiner Weise Flüchtlinge gewesen (Adam, Abraham, Jakob, David,
Jeremias...).
Die Urerfahrung - ein rechtloser Flüchtling zu sein, über den Gott sich erbarmt und dem er Recht
verschafft - diese Erfahrung soll eine prägende Erfahrung für das Volk Gottes sein und immer
wieder erinnert werden. Deshalb beginnt auch das 1. Gebot nach 2.Mose 20,2 mit den Worten:
"Ich bin der HERR dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus."
In der Beschäftigung mit diesem Text in der Gruppe könnte auch an eigene Erfahrungen mit dem
Fremdsein erinnert werden. Z.B. die Erfahrung Älterer als Flüchtlinge nach dem 2. Weltkrieg
oder auch Fremdheitserfahrungen im Ausland können hier zur Sprache kommen. Es wäre an
dieser Stelle auch möglich, sich etwas mehr Zeit zu nehmen, um sich in die Situation der
ausländischen Mitbürger ein wenig hinein zu fühlen (z.B.: Was bedeutet es, die Sprache des
Landes nicht zu kennen? Wie hilflos bin ich, wenn ich nicht weiß, wie in diesem Land alltägliche
Dinge wie Telefon oder das Lösen einer Fahrkarte funktionieren? Was bedeutet es, die Heimat
zu verlieren?....)
3. Mose 19,33-34
Dies ist vielleicht der deutlichste und ergiebigste Text zu unserem Thema. Er beginnt mit einer
sich steigernden Aussage darüber, wie wir mit Fremden in unserem Land umgehen sollen (Hier
gibt es keine Einschränkungen, welchen Fremden und welchen nicht!).
Es beginnt mit dem selbstverständlichsten: "Ihr sollt ihn nicht unterdrücken". Gleich danach
kommt aber eine Steigerung, die in dieser Schärfe im Grunde nirgends in unserer Debatte laut
wird: "Er soll euch wie ein Einheimischer gelten."
Die Bibel fordert völlige Rechtsgleichheit für Ausländer in unserer Mitte! Und als sei dies noch
nicht genug, folgt eine Forderung, die sich dem Bereich der rechtlichen Einklagbarkeit entzieht:
"Du sollst ihn lieben wie dich selbst." Das Liebesgebot zugespitzt auf unseren Umgang mit
Türken, Albanern, Russen... in unserem Land!
Es folgt nun noch eine doppelte Begründung (V34). Zum einen wieder der Hinweis auf die
eigene Erfahrung in Ägypten und zum anderen, indem nochmals deutlich gesagt wird, wer hinter
diesem Gebot steht: "Ich bin der HERR, euer Gott." Gott stellt sich mit seiner ganzen Autorität
hinter diese Forderungen.
3. Mose 25,23
Dieser Vers macht deutlich, wie lächerlich im Grunde unser Benehmen als Einheimische
gegenüber Ausländern ist. Alles Land - auch Deutschland - gehört nicht uns, sondern allein Gott.
Er ist und bleibt der Herr und wir sind nur seine Gäste. Gäste, die dies vergessen, machen sich
und im Grunde auch den Gastgeber lächerlich. Gott gibt das Aufenthaltsrecht, nicht wir.
2.2 Das Neue Testament
Auch hier möchte ich auf drei Texte hinweisen:
Lk. 10, 25-37
Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter wird in unseren Gemeinden oft zitiert, aber auch für
unsere Frage enthält es eine wichtige Aussage. Das Liebesgebot ist nicht an die Herkunft
gebunden, sondern an die Bedürftigkeit. Ich glaube, dass genau hier der tiefste Grund für die
Wichtigkeit liegt, die Gott dem Umgang mit den Fremden zumisst: Der Gott, den wir in Jesus
Christus kennen lernen, ist ein Gott, der immer auf der Seite der Bedürftigen, der Schwachen
steht. Da die Fremden fast immer die schwächeren sind (siehe eigene Erfahrungen) steht Gott auf
ihrer Seite und fordert uns auf, seinen Willen zu verwirklichen.
Mt. 25, 31-36
Wie wichtig Gott diese Frage nimmt zeigt auch dieser Bibelabschnitt. Selbst im Endgericht ist
unser Umgang mit Fremden ein Kriterium der Beurteilung durch Gott: "Ich war fremd und
obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen" - oder auch nicht. Im Fremden als dem Bedürftigen
begegnen wir Christus.
Hebr. 13,2
Hieran schließt auch die Forderung des Hebräerbriefes an. Die für die urchristliche Gemeinde
sehr wichtige Forderung nach Gastfreundschaft wird durch den Hinweis verstärkt, dass wir auf
diese Weise Boten Gottes an uns in unserer Mitte beherbergen könnten.
3. Der 2. Teil des Hauskreisabends
* Mit einem ganzen Hauskreis sechs biblische Texte an einem Abend zu erarbeiten ist sicher zu
viel. Ich schlage daher vor, einen großen Hauskreis bei entsprechendem Raumangebot in drei
Gruppen zu teilen, die jeweils einen alt- und einen neutestamentlichen Text zur Erarbeitung
mitbekommen. Die zentralen Aussagen der Texte könnten dann im nächsten Schritt vor der
Gesamtgruppe vorgetragen werden.
Eine andere Möglichkeit ist die Beschränkung auf wenige Texte. In diesem Fall schlage ich die
Beschäftigung mit 5.Mose 26, 5-7 sowie 3.Mose 19,33-34 und Lk. 10,25-37 vor, unter der
Fragestellung: Was sagen die Abschnitte über unseren Umgang mit Fremden aus (diese
Beschränkung ist wichtig, da man sonst nie zum Ende kommt)?
* Der Verlauf des Abends (oder der Abende, vielleicht nehmen sie sich für dies Thema wirklich
mehr als einen Abend vor) sollte auf jeden Fall so geplant werden, dass am Ende ausreichend
Zeit bleibt, um zu überlegen, welche konkreten Schritte aus dem Erfahrenen folgen sollen.
Hierbei ist es gut, wenn wir nicht zu allgemein bleiben, sondern uns auf konkrete und auch
nachprüfbare Handlungen einigen.
Eine Möglichkeit wäre zu überlegen, wie der Kontakt der Gemeinde oder/und des Hauskreises
mit ausländischen Mitbürgern hergestellt (oder vertieft) werden kann.
Es könnte sich auch jedes Hauskreismitglied vornehmen, bis zum nächsten oder übernächsten
Treffen jemand zu sich nach Hause einzuladen, oder ... . Konkret gelebte Gastfreundschaft
könnte jedenfalls eine Hilfe zur Umsetzung der Sehnsucht Gottes sein, das auch bei uns den
Fremden mit Liebe begegnet wird.
Pastor Martin Wolter
Iburger Str.75,
49082 Osnabrück
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