Sehen so Sieger aus? (Mk 14,17-26) Liebe Gemeinde, Das griechische Wort "Evangelium" ist von Haus aus gar keine "fromme", religiöse Vokabel, sondern eine weltliche, politische. Evangelium, wörtlich "gute Nachricht", heißt Siegesbotschaft. Es gibt in der griechischen Geschichte eine Begebenheit, an der man sich sehr plastisch verdeutlichen kann, was "Evangelium" meint. Das Jahr 490 v. Chr. brachte für die Griechen eine höchst bedrohliche Lage. Der persische Herrscher Darius I. betrieb eine expansive Politik und wollte Griechenland einkassieren. So zogen die Perser mit einem gewaltigen Heer heran, und zwar gleichzeitig mit einer starken Bodentruppe und einer großen Flotte. Die Chancen für die Athener waren gleich Null. Man hatte nur wenige Soldaten, dazu kamen geringe Hilfstruppen aus Sparta. So schien der Ausgang des ungleichen Kampfes von vornherein festzustehen: Man würde buchstäblich von der Übermacht aufgerieben werden. Dennoch macht man sich unter Führung des tapferen Alkibiades auf, um ehrenvoll unterzugehen. In der Stadt Athen bleiben nur Kranke, Alte und Kinder zurück. Sie stehen dann auf den Mauern und schauen hinaus in die Ferne, dorthin, wo die Krieger verschwunden sind, und warten angstvoll auf den Augenblick, wo die letzten Überlebenden fluchtartig zurückeilen werden, um zu berichten, dass alles verloren sei. So steht man und wartet, den sicheren Tod vor Augen. Da plötzlich, so wird berichtet (Geschichte vermischt sich hier mit Sage), sieht man am Horizont einen dunklen Punkt, der rasch größer wird. Ein Bote in eiligem Lauf! Was hat er zu melden? Man öffnet das Stadttor. Er stürmt herein, stößt völlig entkräftet einen einzigen Schrei aus: "Evangelium wir haben gesiegt!" und bricht tot zusammen. Jener "sagenhafte" Bote ist berühmt geworden, und bekannt geblieben ist auch sein Lauf über die Strecke von gut 42 km, von der Marathonebene bis zur Stadt Athen. (Bis heute kennen wir bei den Olympischen Spielen immer noch den Marathonlauf.) "Evangelium - wir haben gesiegt!" Hören wir auf die Nachricht vom Sieg von Jesus am Vorabend seines Todes, wie der Evangelist Markus berichtet: Mk 14,17-26. 17 Und am Abend kam er mit den Zwölfen. 18 Und als sie bei Tisch waren und aßen, sprach Jesus: Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch, der mit mir isst, wird mich verraten. 19 Und sie wurden traurig und fragten ihn, einer nach dem andern: Bin ich's? 20 Er aber sprach zu ihnen: Einer von den Zwölfen, der mit mir seinen Bissen in die Schüssel taucht. 21 Der Menschensohn geht zwar hin, wie von ihm geschrieben steht; weh aber dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre. 22 Und als sie aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach's und gab's ihnen und sprach: Nehmet; das ist mein Leib. 23 Und er nahm den Kelch, dankte und gab ihnen den; und sie tranken alle daraus. 24 Und er sprach zu ihnen: Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird. 25 Wahrlich, ich sage euch, dass ich nicht mehr trinken werde vom Gewächs des Weinstocks bis an den Tag, an dem ich aufs Neue davon trinke im Reich Gottes. 26 Und als sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie hinaus an den Ölberg. Liebe Gemeinde, die Passanacht ist in Israel seit alters die Stunde des Siegers. Israel feiert Gottes grandiose Machttat im Ringen mit der vermeintlichen Großmacht Ägypten. Mit der zehnten und schlimmsten Plage suchte Gott die Erstgeborenen aller Ägypter heim, die Söhne Jakobs aber blieben verschont und wurden frei. Das Joch der Sklavenherrschaft war damit zerbrochen. Nun hat sich gezeigt, wer der wahre Sieger, der wahrhaft Mächtige ist. Und erneut zeigte sich Gottes Macht kurz darauf. Gott stürzte die ägyptische Elitetruppe ins Meer, Israel aber kam trockenen Fußes in Sicherheit und lobte den Machterweis seines Gottes. Vor ihnen war der Weg frei in Richtung verheißenes Land. Nicht Israel hatte gesiegt, sondern Gott hatte für Israel gekämpft und gewonnen. Die Passanacht, das ist die Stunde des Siegers. Und Israel steht auf der Seite dieses Siegers. Das alles stand den Jüngern bildhaft vor Augen, als Jesus sie in jenem Jerusalemer Obergemach zu Tisch bat. Jahr um Jahr wurde diese alte Siegesfeier wiederholt, so als wären die Heutigen einstmals beim Auszug mit dabei gewesen. Doch wie groß mag die Verblüffung der Jünger gewesen sein, als Jesus mitten im Festablauf des Passamahls von einem neuen Sieg zu sprechen beginnt. »Das ist mein Leib — das ist mein Blut« — dies sind die Zeichen seines Kampfes gegen die Großmacht von Sünde, Tod und Teufel. In kurzen, aber inhaltsschweren Sätzen verweist Jesus auf den Kampf, der ihn das Leben kostet und der ihn doch zugleich zum Überwinder macht. Vor den Jüngern liegt nun der Weg in ein neues Land und in eine hoffnungsvolle Zeit. Nicht sie werden siegen, sondern ihr Herr wird für sie kämpfen und gewinnen. »Für viele vergossen« — auf diesen knappen Worten liegt alles Gewicht. Für die Jünger eröffnet sich mit diesem Mahl ein neuer Weg. Die Nacht des Heiligen Abendmahls, das ist die Stunde des neuen Siegers. Und die Jünger werden nun Botschafter seines Sieges. 1.Zu Siegern gemacht In jenen Tagen vor dem großen Passafest in Jerusalem spitzte sich die Lage um Jesus mehr und mehr zu. Der denkwürdige Einzug unter den kritischen Blicken der Schriftgelehrten. Die ärgerliche Unruhe im Tempel mitsamt dem wachsenden Zorn bei den Verantwortlichen. Schließlich die Reihe von Streitgesprächen mit den Gelehrten und immer hatte er eine kluge Antwort. Irgendwann war das Maß voll, irgendwie musste er zum Schweigen gebracht werden. So planten und rechneten die jüdischen Führer. Jesus aber schart seine Jünger um sich und sagt ihnen offen heraus: »Mich hat herzlich verlangt, dies Passalamm mit euch zu essen, ehe ich leide» (Lk 22,15). Nicht weil er sich dem aufsteigenden Widerstand seiner Gegner durch Rückzug entziehen wollte, sondern weil ihn die Fürsorge und Liebe zu seinen Jüngern umtrieb. Im letzten Mahl, das Jesus mit seinen Jüngern teilt, zeigt er seine tiefe Liebe für sie: die ganz große Liebe für jeden Einzelnen, egal wie sie auch heißen und welche Wege sie auch einschlagen werden. Alle Jünger sind dabei - aus Liebe. Da ist Petrus, der das schnelle Wort führt und der doch bald schon die bekennende Antwort schuldig bleiben wird. In wenigen Stunden wird er Jesus verleugnen. Aber seine Untreue hindert Jesus nicht daran, ihn jetzt an seinen Tisch zu laden - weil er ihn lieb hat. Dabei ist auch Thomas, der von Skepsis erfüllt ist. Auch am dritten Tag bleibt er für die Osterbotschaft verschlossen, weil er nur glauben mag, was er sieht. Aber dieser Unglaube hindert Jesus nicht daran, auch Thomas in die Tischgemeinschaft zu rufen - weil er ihn lieb hat. Und da ist selbst Judas, der verlogen und verloren im Hintergrund wirkt und der Jesus bald schon in den Tod liefert. Selbst dieser Verrat hindert Jesus nicht daran, Judas Brot und Wein auszuteilen - weil er ihn lieb hat. Und auch wir, egal wie wir kommen und was wir bringen, wir sind von Jesus eingeladen. Ob wir zu groß von uns denken, ob wir viele Zweifel mitbringen, ob wir selbst nur am Rand des Glaubens stehen. Nichts, was wir mitbringen, hindert Jesus daran, uns in seine Tischgemeinschaft aufzunehmen - weil er uns lieb hat. Für jeden von uns gilt es: »Das ist mein Blut des neuen Bundes, das für viele - also auch für dich - vergossen wird.« Ob die Jünger damals den Anklang aus den Worten von Jesus herausgehört haben? »... für die vielen vergossen« — damit erfüllt sich die Prophetie über den Gottesknecht. Jene Gestalt, die stellvertretend ins Leiden geht. Jener Bote, der verachtet wird und vor dem jeder das Angesicht verbarg. »Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.« lJber diesem schweren Leiden des Gottesknechtes aber geht die Verheißung Gottes auf: »Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden« (Jes 53,4 f. 11). Jesus teilt mit seinen Jüngern Brot und Wein. Genauso nimmt er uns mit hinein in die engste Gemeinschaft mit ihm, in den innersten Kreis. Er beruft uns in sein Siegerteam. Mögen der Bissen Brot und der Schluck Wein auch noch so gering sein, sie sind doch schmackhafter Beweis für seine große Liebe zu uns. Darum ist das Abendmahl wahrhaft ein Liebesmahl. Wohl zeigt sich im Abendmahl auch die Liebe untereinander. Aber weit mehr wird am Tisch des Herrn seine abgrundtiefe Liebe zu uns sichtbar. So ist das Abendmahl die Liebeserklärung des Herrn an seine Nachfolger. Und das, obwohl er uns genau kennt. Da mag einer Jesus immer wieder untreu werden. Da mag eine immer wieder in Zweifel gefangen sein. Lind da mag sogar einer im Getriebe des Alltags die Liebe von Jesus verraten und nur an das eigene Vorwärtskommen denken. All das wiegt nicht schwer genug, als dass nicht die Liebe von Jesus zu uns mehr Gewicht hätte. Für einen wie Petrus wird Jesus sterben, auch für einen wie Thomas. Und sogar für einen wie Judas. Denn Jesus gibt alles dran, damit wir mit ihm zu Siegern werden. 2. Zum Verlierer geworden Doch welche Tragik. Die Siegerbotschaft gilt allen, und doch erreicht sie nicht alle. Mit einem betonten «Wahrlich« (Hebr. Amen) kündigt Jesus an, dass sich an seiner Person die Geister scheiden werden. Diese Scheidung aber vollzieht sich nicht nur zwischen Welt und Gemeinde, sie geht mitten durch den Jüngerkreis hindurch. Und dennoch: Jesus wirbt bis zuletzt um einen wie Judas. Jesus kündigt den Verräter an. Er teilt sogar die Schüssel mit ihm und präzisiert auf Nachfrage der Jünger seine Ankündigung. Jetzt müsste Judas doch aufhorchen und von seinem Vorhaben ablassen. Jetzt noch könnte er umkehren und Jesus um Verzeihung bitten. Aber - Judas hört nicht hin. Judas schaut nicht in die leidensbereiten Augen von Jesus. Er richtet sich nicht auf den Weg von Jesus ins Sterben aus, sondern er wendet sich den eigenen Wegen zu. Wo ein Mensch nicht die Chance zur Umkehr und zur Hinkehr zu Jesus ergreift, da gerät er auf die Straße der Verlierer. Jesus wird sehr deutlich, wenn er über Judas das Gerichtswort ausspricht: »Weh aber dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre« (V. 21). Immer wieder wurde versucht, Judas als unfreiwilliges Werkzeug Gottes zu erklären, der sich seiner Bestimmung eben nicht entziehen kann. Was wäre denn, wird gefragt, hätte Judas Jesus nicht verraten? Wie hätte Jesus dann für uns sterben können? Nein, Judas ist kein von Gott verplanter Mensch. Keiner, der durch höhere Führung zum Verlierer werden musste. Vielmehr galt ihm der Weckruf von Jesus. Er aber hat sich diesem Ruf nicht gestellt, ist ihm ausgewichen. Meinte Judas vielleicht, er könne sich mit den 30 Silberlingen, die er für den Verrat erhalten sollte, selbst zum Sieger machen? War er für das Wort von Jesus taub geworden, weil die Münzen zu laut in seinen Ohren klangen? Sicherlich muss uns dies eine ernste Anfrage sein, wie uneingeschränkt Jesus unser Leben bestimmen kann, wie klar er in unsere Planungen hineinreden darf und wie entschieden wir ihm gehorsam sind. In erschreckender Nüchternheit und Klarheit wird uns am Verräter aufgezeigt, dass Menschen Nein zur Liebe von Jesus sagen können. Die Folge davon sehen wir ebenso klar. Das Johannesevangelium erklärt, dass nach der Ankündigung von Jesus an Judas der Satan von ihm Besitz ergriff (Joh 13,27). In diesen dramatischen Augenblicken läge für Judas alles daran, aus der tragenden Gemeinschaft der Jünger und vor allem aus der Nähe zu Jesus nicht zu fliehen. Denn wenn Versuchung über uns kommt, wenn der Teufel nach uns greift, dann können wir nicht nahe genug bei Jesus sein und uns von ihm festhalten lassen. Doch Judas bricht, als der den Bissen genommen hatte, aus der Gemeinschaft mit Jesus aus. Er ging hinaus. Dort draußen aber war es Nacht (Joh 13,30). Wie tragisch hier zwei Welten zusammenkommen! Jesus liebt Judas, wie auch all die anderen Jünger. Aber Judas lässt sich von der Liebe zum Geld verführen. Jesus ruft Judas auf zur Umkehr und zum Neuanfang, aber der Eigensinn des Jüngers führt ihn ins Verderben. Lassen wir es uns vom Satan nicht einreden, dass wir mit dem, was bei uns falsch gelaufen ist und wie sehr wir Jesus enttäuscht haben, nicht mehr zu ihm zurückkommen könnten. Das Abendmahl ist eindeutiges Merkzeichen für die weit ausgespannte Liebe von Jesus. Jesus ruft uns Sünder an seinen Tisch. Er will unsere Umkehr. Ganz egal, wie groß die Schuld auch ist, die wir mitbringen. Leib und Blut von Jesus sind uns Zeichen seiner Vergebung. Sie sind Fixpunkte der Rettung. Und sie sind Kennzeichen seiner Treue. Keiner muss zum Verlierer werden, so wie Judas. Damm halten wir uns an das Wort von Jesus: Nehmt und esst — für viele, auch für dich, gegeben. Zum Leben. 3.Zur Siegesfeier geladen Am Abend des Abschieds sieht Jesus nicht zurück. Er blickt nach vorne und spannt den Bogen hin zur himmlischen Herrlichkeit. So weit reicht seine Treue. So stark ist seine Liebe. Damit verleiht Jesus dem Abendmahl eine weitere und vertiefte Bedeutung, die das Heute übersteigt. Am Tisch von Jesus blicken wir zurück auf sein Leiden für uns. Wir blicken aber auch voraus auf seinen endgültigen Sieg über alle Welt. Brot und Wein sind damit Vorspeise für die Ewigkeit. Das Abendmahl ist eine Vorfeier für das himmlische Siegesfest. Darum kommen wir heute Abend zusammen als Gemeinde der Hoffnung. Wir nehmen die Gaben als Vorgeschmack auf die Zukunft Gottes. Das Abendmahl will uns erinnern an den Ort, wo wir eigentlich hingehören, an die himmlische Heimat, die uns letztlich ein Zuhause bietet. Und damit trägt jede Abendmahlsfeier einen Grundton der Vorfreude und der Sehnsucht. In den Gemeinden der ersten Christen war bei den Abendmahlsfeiern der aramäische Ruf »Maranatha« ein festes Stück im Ablauf der Feier. Mit diesem Gruß schließt der Apostel Paulus den Korintherbrief ab und der gleiche Ruf steht am Ende der Offenbarung. Maranatha heißt übersetzt: »Unser Herr, komm!« Den Grund für diese Erwartung hat Jesus im Abendmahl gelegt, wenn er sagt: «Wahrlich, ich sage euch, dass ich nicht mehr trinken werde vom Gewächs des Weinstocks bis an den Tag, an dem ich aufs Neue davon trinke im Reich Gottes.« Jesus will uns auf ewig und unmittelbar bei sich haben. Dafür setzt er heute schon ein Zeichen — Wort und Gaben. Dann aber, in seinem ewigen Reich, werden wir mit ihm in einer neuen Dimension feiern. Von Angesicht zu Angesicht, der ewige Herr und die vollendete Gemeinde. Dann ist die letzte und tiefste Stunde des Siegers angebrochen. Eine Stunde, die nie enden wird. Amen. Liturgie EG 213,1-3 Gebet Treuer Herr Jesus Christus, Worte können nicht fassen, was du uns bedeutest. Wir sprechen davon, wir versuchen es anderen zu sagen und merken doch, wie wir deine Liebe nicht aus-schöpfen können. Du hast uns sogar ein Zeichen gegeben, mit dem wir nachbuchstabieren können, wer du bist und wie du bist. Wir nehmen Brot und Wein, wir essen und trinken gemeinsam und werden damit hineingenommen in dein Leiden und Sterben für uns. Dass wir heute Abend an deinen Tisch kommen dürfen und dass du uns alles bereitet hast, dafür sagen wir dir Lob und Dank. Lesung: Joh.17,20-26 Credo Monatslied Predigt EG 225,1-3 Abendmahl mit 190.2 Fürbitte und Vaterunser EG 213,4-6 Segen