Katzenblogs als Produktionsformen authentischer Erfahrung von Katy Teubener Der jahrhundertealte Traum, das Universum für eine gerechtere Verteilung von Chancen und Besitz mit Kommunikationsnetzen zu durchflechten, schien mit Etablierung des Internet Ende der 1990er Jahre endgültig ausgeträumt. Hatte Michel Chevalier, Anhänger des französischen Sozialreformers Henri de Saint Simon, 1836 noch hoffnungsvoll behauptet, dass Kommunikation „nicht nur die räumlichen Entfernungen, sondern auch die gesellschaftlichen Abstände zwischen den Klassen“ [1] reduziere, so galt das Internet vielen Medienkritikern zwischenzeitlich als der schlagkräftigste Beweis für die mit dem technischen Fortschritt in Wahrheit einhergehende Monopolisierung von Ressourcen. Erst mit dem Internet der zweiten Generation, dem sog. Web 2.0, kam wieder Hoffnung auf. So wählte etwa 2006 das US-amerikanische Nachrichtenmagazin Time uns alle, die wir das Internet nutzen und durch selbst produzierte Inhalte maßgeblich weiterentwickeln, zur "Person des Jahres". Time begründete seine eher ungewöhnliche Entscheidung damit, dass das Jahr 2006 das Jahr der Gemeinschaft und der Zusammenarbeit im Internet gewesen sei. Millionen von Nutzern hätten sich speziell das World Wide Web in einem noch nie da gewesenen Ausmaß zu Eigen gemacht und dabei zahlreiche Projekte ins Leben gerufen, die allein auf der weltweiten und zumeist unbezahlten Kooperation von vielen beruhten. [2] Als Königsdisziplin der „neuen digitalen Demokratie“ gilt vielen das Bloggen. Blogs, die sich explizit als Alternative zur öffentlichen bzw. herrschenden Meinung verstehen und in dieser Funktion mittlerweile einen ernstzunehmenden Machtfaktor darstellen, lassen jedoch mitunter übersehen, dass persönliche Websites nur in den seltensten Fällen gesellschaftspolitischen Zielen unterliegen. Charakteristisch für den Eigensinn des Internet sind vielmehr die in virtuellen Nischen gelebten Bedürfnisse unzähliger sog. Katzenblogger, die rein private Inhalte ins Netz stellen und kaum Leser haben. Diese im Verwertungssinn angeblich wertlose Netztätigkeit wird nach wie vor massiv ausgegrenzt und unterdrückt. So etwa von dem Autor eines Beitrages in der Süddeutschen Zeitung, wonach die absolute Mehrheit aller Blogs in Deutschland ohne „jede gesellschaftliche Relevanz“ [3] sei. Auch wenn „Katzenblogs“ von der Mehrheit der Internet-Nutzenden kaum mehr ernten als ein müdes Lächeln und nur allzu häufig als Datenmüll betrachtet werden, der entsorgt gehört [4], so beweisen sie doch, dass bislang allenfalls in der Privatsphäre geduldeter, dass heißt in den Untergrund der Geschichte verbannter Eigensinn mit Etablierung der neuen Medien immer stärker an die (Benutzer)Oberfläche drängt. Dass auch und vor allem Betreiber ‚schrottiger’, das heißt quer zum Kapitalverwertungsinteresse stehender Websites zur Schaffung alternativer Öffentlichkeiten beitragen, in denen sich gesellschaftliche Erfahrung emanzipatorisch organisieren kann, wird leider nur allzu häufig verkannt. [5] Anmerkungen: [1] Zit. nach Patrice Flichy (1994). Tele. Geschichte der modernen Kommunikation. Frankfurt, S. 92. [2] Siehe Lev Grossman (2006): Time's Person of the Year: You. In: Time Magazine vom 13.12.2006. [3] Johannes Boi (2007): Ausgebloggt. In: Süddeutsche Zeitung vom 13.08.2007. [4] Dass das Internet von »Millionen vergammelter, hässlicher, nutzloser Websites« verschmutzt wird, glauben auch die Gründer der digitalen Umweltschutzorganisation »Bios« (Bios 2001, die Seite ist inzwischen nicht mehr online, K.T.). Nach Ansicht der drei selbsternannten Saubermänner Knipping, Bartel und Schönpflug wird es allerhöchste Zeit, die virtuelle Welt als »digital environment, als tatsächliche, schützenswerte Lebensumwelt des Menschen« anzuerkennen. Gute Websites seien zum Leben zwar nicht so wichtig wie gesunde Wälder und saubere Flüsse, aber »zur gezielten, befriedigenden Information oder zum problemlosen Buchen, Einkaufen, Kommunizieren« unerlässlich (Bios 2001/2). Deshalb hat das Berliner Start-upUnternehmen auf seiner Homepage einen »digitalen Trashcan« eingerichtet, in den jeder Internetanwender seinen ganz persönlichen »Infoschrott« abladen darf. Wie wenig die Netzgemeinde von dieser freiwilligen Selbstkontrolle hält, zeigt sich daran, dass die meistgehasste Website im Bios-Müll, die Seite der Umweltschützerselbst ist. Zeit- und Geldgewinn stehen offensichtlich nicht bei allen Datenreisenden an oberster Stelle. Wer bereits mit Unmengen von zweifelhaften Websites in Kontakt geraten und dennoch erklärter Gegner einer klinisch gesäuberten Online-Welt ist, der kann sich auf der »Endgültigen Müllseite« des »Vorläufigen Komitees für Ästhetik- und WeltbildKontrolle in der Datenverarbeitung / Deutsche Sektion(VKÄWBKDV/DS)« prächtig unterhalten (Müllseite 2001). Die Homepage des nach eigenen Angaben hochkarätig besetzten Expertengremiums ehrt besonders missratende Seiten des Internet durch eine lobende Erwähnung in den regelmäßig erscheinenden Newsletters. Die höchste Auszeichnung erringt, wer den einmal im Jahr vergebenen »Ultimate Trash Site Award« gewinnt. [5] Siehe dazu auch Katy Teubener (2002): (W)elt (W)eiter (W)iderstand. Auf den Spuren des Eigensinns im Zeitalter des Internet. Münster, New York, München, Berlin.