Korntaler Predigten - Brüdergemeinde Korntal

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Sonntag, 12. Oktober 2008
Diakoniesonntag
Pfr. Michael Wanner
Thema: „Geistlich motiviert in der Diakonie unterwegs!“
Apg. 6, 1-7
Liebe Gemeinde, liebe Freunde!
Wir sind ganz nah dran. In der geistlichen Archäologie der christlichen Gemeinde haben wir Schicht
um Schicht freigelegt und stoßen jetzt auf die ganz alten Grundmauern der Diakonie. Wir sind jetzt ganz
nah dran an der Geburtsstunde der christlichen Diakonie.
Uns bewegt die Frage. Wie kam es zu dieser enormen geistlichen Motivation in der Diakonie, die in
den Anfangszeiten zu beobachten war?
Wie kam es, dass die Arbeit der diakonischen Pioniere in Jerusalem so eine große missionarische
Ausstrahlung hatte, dass Lukas berichten konnte: „Und das Wort Gottes breitete sich aus und die Zahl der
Jünger wurde sehr groß in Jerusalem. Es wurden auch viele Priester dem Glauben gehorsam“?
Einige charakteristischen Züge, die sich im Urgestein der christlichen Diakonie zeigen, möchte ich jetzt
gerne freilegen und etwas näher beschreiben.
Auf die Not reagieren
Als Gemeinde handeln
Bei Gebet und Wort bleiben
1. Auf Not reagieren
Es gab in der Urgemeinde damals besondere Bevölkerungsgruppen, die keinerlei soziale Absicherung
hatten. Zu ihnen gehörten zum Beispiel die Witwen. War der Ernährer der Familie gestorben, stürzten die
Witwen oft in eine tiefe soziale Not. In der Gemeinde Jerusalem wurden daher kostenlose Speisungen für
Arme und Hilfsbedürftige eingerichtet.
Nun gab es in der großen Jerusalemer Gemeinde zwei große Bevölkerungsgruppen. Das eine waren die
hebräisch sprechenden Juden, die an Jesus glaubten und das andere waren die griechisch sprechenden
jesusgläubigen Juden. Die griechisch sprechenden Judenchristen waren Leute, die aus der jüdischen
Diaspora zurückgekehrt waren, um ihren Alterswohnsitz nach Jerusalem zu verlegen. Sie hatten auch den
Wunsch, in Jerusalem begraben zu werden.
Bei den Armenspeisungen kam es jetzt dazu, dass in der Gemeinde die Hebräer gegenüber den
Griechen bevorzugt wurden. Dadurch waren viele der griechisch sprechenden Witwen schlicht übersehen
und bei den täglichen Speizungen vergessen worden. Eine starke Missstimmung breitete sich aus. Es
bestand dringender Handlungsbedarf.
Wenn so eine oder eine andere Not da ist, stellt sich grundsätzlich die Frage, wie auf diese Not reagiert
wird.
Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter macht Jesus deutlich, dass es ganz verschiedene
Möglichkeiten gibt, mit der Not anderer umzugehen. Zwei der Passanten gehen an dem, der verwundet am
Straßenrand liegt, vorüber. Ganz sicher haben sie ihre Gründe, warum sie nicht helfen. Auf jeden Fall
haben sie ihre Methoden gefunden, um nicht auf die Not am Weg reagieren zu müssen.
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Eine Methode, nicht auf die Not reagieren zu müssen, heißt: Wegsehen! Ich sehe nicht hin, ich beschäftige
mich nicht näher mit der Not, die mir vor die Füße gelegt wird.
Ein anderer Weg ist die Verharmlosung. Ich spiele die Not herunter und bilde mir ein, dass das alles ja
nicht so schlimm ist, wie es aussieht und dass der Mann in Not sich sicherlich auch selbst helfen kann.
Eine weitere Möglichkeit, um die vorhanden Not herumzukommen, heißt Delegation. Ich sage mir: Dafür
bin ich doch nicht zuständig. Dafür sind andere da, die Fachleute und Spezialisten.
Aber Jesus erzählt dann ja noch von dem einen, der nicht vorübergeht, sondern hilft. An seinem Beispiel
macht er deutlich, dass die Frage: „Wer ist mein Nächster?“, falsch gestellt ist. Die Frage ist: „Wem bin ich
der Nächste?“ Ich muss die Perspektive wechseln und alles aus der Sicht dessen ansehen, der in Not ist.
Ich muss mich fragen: Wer braucht jetzt meine Hilfe?
Die Not einzelner muss gesehen werden. Not motiviert zum Handeln.
Viele Werke und Einrichtungen in der Diakonie sind entstanden, weil Christen die Not einzelner gesehen
haben. Denken wir nur an die Entstehung des Hoffmannhauses hier in Korntal. Die Begegnung mit einem
einzelnen bettelnden Waisenknaben war es, die Gottlieb Wilhelm Hoffmann dazu motivierte, das Wagnis
zu beginnen, aus dem Nichts heraus ein ganzes Kinderheim aufzubauen.
Auf welche konkrete Not müssen wir heute entsprechend reagieren? Ist es die Jugendarbeitslosigkeit?
Oder die Begleitung von Jugendlichen in die Selbstständigkeit oder die praktische Hilfe bei Asylanten? Oder
etwas ganz anderes?
Not motiviert zur Diakonie. Aber die Motivation durch die Not ist zu wenig. Allein die vorhandene Not ist
noch keine Berufung zum Handeln.
Selbst Jesus hat sich nicht nur durch die Not motivieren lassen. Er hat nicht alle geheilt und auch nicht alle
satt gemacht. Er konnte weiterziehen, obwohl noch viele Kranke auf ihn warteten. In den Krankenhallen von
Betesda hat er sich nur um einen einzigen Kranken gekümmert.
Wer sich nur von der vorhandenen Not motivieren lässt, setzt leicht die falschen Schwerpunkte oder geht
mit den ungeeigneten Mitteln vor. Außerdem überfordert er sich und andere. Schnell wird er mit seiner Kraft
am Ende sein und resignieren oder innerlich ausbrennen.
Eine Erklärung für die geistliche Motivation in der Diakonie der ersten Gemeinde ist: Es wurde auf die Not
reagiert.
2. Als Gemeinde handeln
Wie reagieren die Gemeindeleiter in Jerusalem auf die vorhandene Not? Die zwölf Apostel berufen
eine Gemeindeversammlung ein und beschreiben die Situation. Sie machen die Diakonie zur Sache der
Gemeinde.
Von Anfang an funktionierte Diakonie nicht losgelöst von der Gemeinde. Diakonie ist Gemeindesache,
nicht allein die Aufgabe von einigen Spezialisten oder eines von der Gemeinde völlig losgelösten
Diakoniewerkes.
Wir haben hier in Korntal den großen Vorteil, dass Diakonie und Gemeinde eng miteinander verzahnt sind.
Wir nennen diese Verbindung zwischen Gemeinde und Diakonie „Korntaler Weg“. Die Gemeinde steht
hinter ihrer Diakonie und engagiert sich im Gebet und im ehrenamtlichen Engagement für die Diakonie. Die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Diakonie nehmen mit der Gemeinde Verbindung auf und suchen ganz
bewusst den geistlichen Rückhalt der Gemeinde. Sie selbst haben die Möglichkeit in der Gemeinde eine
geistliche Heimat zu finden.
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In Jerusalem wird auch deutlich, dass die Hauptamtlichen in der Diakonie die Gemeinde um Hilfe rufen
und sie mit in die Verantwortung nehmen. Sie schildern ihre Not, die in der völligen Überforderung mit den
vorhandenen Aufgaben besteht. Sie sagen: „Es ist nicht recht, dass wir für die Mahlzeiten sorgen und
darüber das Wort Gottes vernachlässigen.“
Die Problematik wird gemeinsam besprochen und gelöst. Von dieser gemeinsamen Betroffenheit und von
der gemeinsamen Bereitschaft, etwas zu tun, geht Motivation aus.
Die Lösung besteht darin, dass die Gemeindeleiter die Betroffenen zu Beteiligten machen. Sie schlagen
vor: „Darum, ihr lieben Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf
haben und voll Heiligen Geistes und Weisheit sind, die wir bestellen wollen zu diesem Dienst.“ Die Apostel
zeigen einen Weg auf, der weiterbringt. Sie liefern keine fertigen Rezepte, sondern geben den Anstoß der
Hilfe zur Selbsthilfe.
Die Lösung besteht in der professionellen Diakonie. Sechs hauptamtliche Diakone sollen gefunden und
angestellt werden, um die Not zu lindern und auch alle ehrenamtlichen diakonischen Bemühungen fördern
und bündeln.
Zwei Erklärungen für die geistliche Motivation in der Diakonie der ersten Gemeinde sind: Es wurde auf die
Not reagiert und als Gemeinde gehandelt.
3. Bei Gebet und Wort bleiben
Die Apostel machen deutlich, dass es in ihrem Dienst und auch in Gemeinde und Diakonie nicht zu einer
Schwerpunktverlagerung kommen darf: „Es ist nicht recht, dass wir für die Mahlzeiten sorgen und
darüber das Wort Gottes vernachlässigen… Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes
bleiben.“
Interessanterweise lassen sich jetzt aber die 12 Apostel nicht gegen die 7 eingesetzten Diakone
ausspielen. Etwa so, als wären die Apostel nur für Gebet und Wort und die so genannten Diakone nur für
die Diakonie zuständig. Später erfahren wir, zum Beispiel durch die Berichte über Stephanus oder
Philippus, dass auch die Diakone viel vom Gebet hielten und vielfach in der Verkündigung von Gottes Wort
tätig waren.
In der Diakonie dürfen wir die geistlichen Energiequellen aus denen alle Kraft kommt, nicht im
Aktionismus vergessen. Die Apostel wissen um diese Kraftquellen, wenn sie sagen: „Wir aber wollen
ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben.“
Man kann ja tatsächlich über dem Wunsch, möglichst schnell vorwärts zu kommen, das Tanken
vergessen. Aber die Konsequenzen liegen dann auf der Hand.
Und Sie haben sicherlich auch schon von dem Waldarbeiter gehört, der sich stundenlang abmühte, um mit
seiner stumpfen Axt einen Baum zu fällen. Ein Spaziergänger sagte ihm: „Du musst zuerst einmal deine Axt
schärfen, bevor du weiter machst. Dann geht alles viel einfacher.“ Doch der bekam die Antwort: „Nein, dazu
habe ich jetzt keine Zeit.“
Die geistliche Motivation in der Diakonie kommt aus der Kraft des Gebets und des Wortes.
Interessant ist an dieser Stelle der griechische Wortlaut. Die Apostel sprechen von der „diakonia tu logu“,
von der „Diakonie des Wortes“. Das heißt doch: Die Diakonie der Tat und die Diakonie des Wortes
gehören zusammen. Sie dürfen nicht voneinander getrennt werden.
Auch die „Diakonie des Wortes“ ist wichtig. Die Diakonie des Wortes muss die Diakonie der Tat
ergänzen. Die Verkündigung darf nicht zu kurz kommen. Durch Verkündigung wird manchmal mehr
geholfen als durch alles andere.
Jesus hat immer beides miteinander verbunden. Wenn er die Kranken geheilt hat, sprach er mit ihnen
immer auch über ihr Leben und ihre Gottesbeziehung. Er sagte zum Beispiel zu dem Gelähmten nicht nur:
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„Steh auf, nimm dein Bett und geh heim“, sondern zuerst einmal: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir
vergeben“ (Mk. 2,1ff).
Johann Hinrich Wichern, der als Begründer der modernen Diakonie angesehen wird, hat in den Alltag
seiner so genannten Kinderrettungshäuser ganz bewusst neben der „Diakonie der Tat“ auch die „Diakonie
des Wortes“ einbezogen.
Wichern war überzeugt, dass kein Mensch von Natur aus fähig ist, sich selbst zu verändern und das Gute
zu tun. Er hat daher in sein Erziehungskonzept die Notwendigkeit der Wiedergeburt einbezogen. Die
Kinder sollten von Jesus, dem Retter hören und ihn in ihr Leben aufnehmen. Sie sollten dadurch dass
Christus mit seinem Geist in ihnen lebt noch einmal von neuem geboren werden und so in die Lage versetzt
werden, das Gute zu tun.
Eine entscheidende Motivation in der Diakonie geht davon aus, dass die Diakonie beim Gebet und beim
Wort bleibt. Sie darf nicht nur eine Diakonie der Tat sein. In ihr muss auch die Diakonie des Gebets und die
Diakonie des Wortes praktiziert werden.
Von drei Erklärungen für die geistliche Motivation in der Diakonie der ersten Gemeinde haben wir gehört:
Es wurde auf die Not reagiert und als Gemeinde gehandelt und bei allem beim Gebet und beim Wort
geblieben.
Auf Not reagieren, als Gemeinde handeln und bei Gebet und Wort bleiben! Davon hängt es ganz wesentlich
ab, ob wir geistlich motiviert in der Diakonie unterwegs sind.
Amen
Herausgeber:
Evang. Brüdergemeinde Korntal, Saalstr. 6, 70825 Korntal-Münchingen
Tel.: 07 11 / 83 98 78 - 0, Fax: 07 11 / 83 98 78 – 90; e-Mail: [email protected]
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