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COLLASIUS
Hans-Werner Engels
Joachim Lorenz Evers (1758–1807)
Goldschmied, Schriftsteller, Verleger, Theaterdirektor
Ein vergessener Weltbürger und Freimaurer
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Die Lebenszeit von Joachim Lorenz Evers fällt in jene Zeit, die als das Goldene Zeitalter
Dänemarks gilt. Die dänische Neutralitätspolitik bescherte dem Land einen
Wirtschaftsboom. Reformen im Sinne der Aufklärung, etwa die Aufhebung der
Leibeigenschaft und die Sklavenbefreiung, fast völlige Pressefreiheit ließen viele
Zeitgenossen Dänemark als einen Musterstaat sehen. Im letzten Jahrzehnt des 18.
Jahrhunderts, als die Französische Revolution viele französische, aber auch deutsche
Emigranten in den Norden flüchten ließ, erlebte die Altona eine bemerkenswerte
Entfaltung und Blüte. Einige Gebäude, die der anerkannte Christian Frederik Hansen
damals für die Palmaille entwarf, erinnern noch heute an jene glückliche Epoche. Allein,
die Konjunktur begünstigte mehr die Wohlhabenden. Hausbesitzer profitierten von den
durch die Emigranten gestiegenen Mieten, während die arbeitende Bevölkerung wegen
der Teuerung kaum genug Geld für die notwendigsten Lebensbedürfnisse hatte. [1]
Biographie
Obgleich Joachim Lorenz Evers um 1800 zu den bekanntesten Persönlichkeiten Altonas
zählte und wegen seiner Tätigkeiten weit über die Stadt hinaus bekannt war, ist über seine
Lebensumstände wenig bekannt. Er wurde am 20. September 1758 in Altona als Sohn
von Joachim Evers und Catharina Elisabeth, geb. Nicolaßen geboren und entstamme
einem lutherischen Elternhaus. Evers erlernte das Handwerk des Goldschmieds. Er
bekennt, er sei in seiner Jugend zu einem Beruf bestimmt worden, der ihm «keinen
großen Würkungskreis gewährte.» [2] Am 3. 5. 1790 trat er in den ersten Grad der
Loge «Ferdinand zum Felsen» in Hamburg ein. Als Redner wirkte er beim
Tode des Herzogs von Braunschweig.
Im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts war er schriftstellerisch tätig. Evers war 1796
Mitbegründer der Loge «Carl zum Felsen» in Altona und wurde zum
Deputierten Meister gewählt. Bis zu seinem Tode war er aktiver Logenbruder. [3] 1799
gehörte er zusammen mit seinen Logenbrüdern Friedrich Bechtold, Johann Heinrich
Kaven und dem damals berühmten Verleger Gottfried Vollmer zu den Initiatoren des
«Museums» in Altona [4] Das «Museum» war eine
Lesegesellschaft in der sich Honoratioren der Stadt zusammenfanden. Vom Juni 1800 bis
Mai 1802 leitete er als Direktor das Altonaer National-Theaters. Durch sein Engagement
für dieses Bühne verlor er sein Vermögen. 1804 erhielt er ein Privileg als Makler. Auch in
den letzten Jahren seines Lebens veröffentlichte er Schriften. Evers starb am 2. November
1807.
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Historiker der Französischen Revolution
Joachim Lorenz Evers hat sich in mehreren Publikationen mit den revolutionären
Ereignissen im Nachbarland beschäftigt. Er ist einer von jenen kosmopolitischen
bürgerlichen Aufklärern, welche die Ziele und Grundsätze der Französischen Revolution
begeistert begrüßten und sie gegen die Angriffe konservativer Zeitgenossen verteidigten.
Aufgrund seiner Schriften lässt sich seine Einschätzung der Staatumwälzung bis Ende des
Jahres 1800 recht genau belegen.
In einer dreibändigen «Geschichte der französischen Staatsrevolution» [5]
die zwischen 1793 und 1795 erschien, schildert er die Ereignisse in Frankreich bis zur
Hinrichtung Ludwig XVI. Ergänzt wird diese Veröffentlichung durch die 1794 erschiene
«Schilderung des Lebens und Charakters der Königin Marie Antoinette von
Frankreich.» [6] Die Publikationen sind mit die ersten Versuche, eine geschlossene
Analyse der Ereignisse im Nachbarland niederzuschreiben. Zwar lässt sie sich etwa mit
der erfolgreichen und umfangreicheren Buch «Historische Nachrichten und
politische Betrachtungen über die französische Revolution» von Christoph Girtanner
nicht vergleichen. Dies auch darum, weil Evers’ Ausführungen, verglichen mit jenen des
konservativen Gelehrten, weit radikaler ausfallen. Zudem wendet sich der Goldschmied
nicht an ein gelehrtes Publikum, sondern versucht durch eine knappe und verständliche
Darstellung, einen größeren Leserkreis anzusprechen.
Um seine Haltung zur gesellschaftlichen Entwicklung in Frankreich differenziert zu
charakterisieren, ist es notwendig, seine Beurteilung zu einzelnen Aspekten zu
untersuchen.
Ausführlich hat sich Evers in seinen beiden Biographien über die Ständegesellschaft in
Frankreich geäußert. Dabei verurteilt er scharf den Klerus und den Adel. Besonders die
Geistlichkeit ist das Ziel seiner Angriffe. Die Macht des Papstes und der katholischen
Priesterschaft in Frankreich sieht der Protestant als Hemmnis für den Fortschritt der
Menschheit. In den ausgewanderten Priestern erblickt er später die gefährlichsten
Gegenrevolutionäre.
Verhasst ist ihm auch der Adel. Er geißelt seine Privilegien und kritisiert das Bestreben der
ausgewan-derten adeligen Emigranten die alte Ordnung in Frankreich wieder herzustellen:
Die ganze französische Ritterschaft versammelte sich unter den Fahnen der
königlichen Brüder, um den Bürgerstand wieder unter die Gewalt des Adelstandes zu
zwingen, und die höhere Geistlichkeit rief ihre Hülfe zum Beistand der unterdrückten
Religion auf. [7]
Aufschlussreich ist, dass er auch auf die Bedeutung der Freimaurerei bei der Revolution
eingeht. Für ihre Bedeutung in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Frankreich stellt er fest:
Sie verbrüderte die Menschheit, näherte die Stände einander, predigte Duldung und
Menschenliebe, schloß Religion und Nationalinteresse aus dem großen Bunde aller
Völker, und wollte durch Menschveredelung das Glück der Erde bewürken. [8]
Andererseits rügt er aber, dass sich die Maurerei von den ursprünglichen Zielen entfernt
und sich für Schwärmerei und Radikalismus geöffnet habe. Er kritisiert somit die
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Rosenkreuzer und die Illuminaten.
Ungewöhnlich ist seine Beurteilung der Politik von Robespierre und Marat im Herbst des
Jahres 1792. Während andere Schriftsteller und Publizisten jener Zeit, aber auch spätere
Historiker nur über die Gräuelszenen klagten, stellt er fest, indem er die Gefahr durch die
vorrückenden Alliierten Truppen hervorhebt, es sei «wohl keine Streitsache mehr,
daß die Franzosen ihre Freiheit und Unabhängigkeit nie behauptet hätten, wenn sie bloß
gelinde Maasregeln und menschenfreundliche Nachsicht gegen ihre Feinde gebraucht
hätten.» [9] Wiederholt hebt er diesen Zusammenhang hervor und sieht in den
Machenschaften der gegenrevolutionären Emigranten die eigentliche Schuld der
Massaker in Paris:
Die Wachsamkeit der Jakobiner vereitelt alle Projekte ihrer Gegner. Sie biethen alle
Kräfte der Nation, alle geheimen Künste der Politik, die größte Strenge der Justiz, und
die Wuth des Pöbels zu dem fürchterlichen Kampfe auf. Die verdächtigsten Royalisten
und Aristokraten werden in der Hauptstadt ermordet; die gefangenen Emigranten
werden, ohne Gnade und Rücksicht zum Tode verurtheilt; die Sturmglocken ertönen
durch das ganze Reich, um alle Bürger zu den Waffen zu rufen; die Armeen werden
schleunig verstärkt, und biethen ihren Gegnern die Spitze; die Republik wird erkläret,
der Thron zertrümmert und die Gefahr von der Hauptstadt abgewandt. Die fremden
Heere ziehen sich nach den Gränzen des Reichs zurück, und die königliche Familie ist
der Willkühr ihrer Feinde überlassen. [10]
Politischer Publizist und Beobachter des Zeitgeschehens
Fortgeführt wurde seine Beschäftigung mit der Entwicklung in Frankreich mit der Zeitschrift
«Journal der neuesten Weltbegebenheiten» (1795–1800) [11]. Das
Periodikum war eines von vielen politischen Zeitschriften, die damals in Altona aus dem
Boden schossen. Verlegt wurde sie vorerst durch seinen Logenbruder Johann Heinrich
Kaven (1761–1800), dem ersten Meister vom Stuhl der Johannisloge «Carl zum
Felsen». Obgleich sich das Journal auch mit Ereignissen in England, Russland,
Preußen und Österreich auseinander setzte, stand die Berichterstattung über das
revolutionäre Frankreich im Mittelpunkt. Insofern setzte er seine bisherige Beschäftigung
mit der europäischen Politik fort.
Sehr ausführlich informiert das «Journal» über die letzten zwei Jahre des
ersten Koalitionskrieges (1792–1797). Es ergreift fast uneingeschränkt die Partei
Frankreichs, während es die Politik des englischen Ministers William Pitt und Österreichs
ablehnt. Begrüßt wird der Friede von Basel und minuziös berichtet das Blatt über die
Batavische Republik und die anderen Tochterrepubliken. Eine derartige Parteinahme war
damals in der deutschen Publizistik ungewöhnlich und auch in den deutschen Teilstaaten
unmöglich, da dort eine strenge Pressezensur bestand. In einer Kritik heißt es:
Jede Regierung, welche nicht wie ein duldendes Lamm, sich und das Glück ihrer
Bürger den französischen Freyheitshelden überliefern will, welche den Bedrückungen
muthvollen Widerstand entgegensetzt, verschwört sich gegen die Freyheit; nur das
französische Volk ist frey, alle andre Nationen sind Sklaven, jede andre
Staatsverfassung ist Tyranney; jedes von französischen Armeen überwältigte von
französischen Commissären ausgesogene und gehudelte Land, hat die goldne
Freyheit empfangen. [12]
Eine Reihe von Artikeln beschäftigen sich mit Hamburg. Dazu gehört die Berichterstattung
über die «Philanthropische Gesellschaft», die Franzosen in Hamburg und die
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Verhältnisse der Juden in Hamburg.
Die Wahl dieser Thematik war dadurch begründet, dass Evers auch mit dem
französischen Gesandtschaftssekretär Jean Benedict Lemaitre bekannt war. Lemaitre war
der offizielle Sekretär des französischen Gesandten Karl Friedrich Reinhard, der von 1795
bis 1798 als bevollmächtigter Minister bei den deutschen Hansestädten weilte. Bis 1799
lebte Lemaitre in Altona und trat am 1. Juni 1796 in die Loge «Carl zum
Felsen» ein. In mehreren Beiträgen setzt sich die Zeitschrift 1796 für die
Anerkennung des französischen Gesandten Karl Friedrich Reinhard ein. Als Reinhard
anlässlich seiner Vermählung mit Christine Reimarus in Neumühlen ein Gedicht verfasst,
wird es zuerst im «Journal» veröffentlicht. Noch ausführlicher behandelt das
Blatt die Aktivitäten der «Philanthropischen Gesellschaft», eine Vereinigung
die freimaurerische Strukturen übernahm, aber stärker konkrete politische Ziele verfolgte.
Gegründet wurde sie von Georg Kerner, dem Privatsekretär Reinhards, von dem es heißt
er habe sich «als Schriftsteller und Privatmann durch seinen Beobachtungsgeist,
durch seinen reinen Freiheitssinn und Enthusiasm für die große Sache der Menschheit
unter seinen Mitbürgern» [13] hervorgetan.
Von den vielen weiteren Themen sei die Berichterstattung über die revolutionären Feste
hervorgehoben. Evers versäumt es nicht, die französischen revolutionären Festtage
ausführlich zu schildern. Für ihn bilden sie eine Gegenkultur gegen den katholischen
Kultus. Insofern veröffentlich er viele Gedichte und Reden, die ein neues Bewusstsein
schaffen sollen. Höhepunkt dafür ist seine Korrespondenz mit der Stadt Mainz, die Ende
1797 wieder zu Frankreich gehörte. Sein Korrespondent war ein Freund Hölderlins,
Friedrich Joseph Emerich (1773–1802). Dieser zählt zu den aktivsten deutschen
«Jakobinern» und war einer der fleißigsten Korrespondenten für Evers’
Wochenschrift. In seiner Rede zum 14. Juli 1799 in Mainz heißt es u. a.:
In einer süßen Begeisterung athmete man dem Momente entgegen, wo eine Art von
goldnem Zeitalter entstünde, wo der Krieg sich entwaffnen liesse, wo jedes Verdienst
seine Stelle einnähme, wo der Weltbürgersinn hersche, wo, daß ich’s kurz sage,
Europa eine große Familie wäre. Die Freyheit erfocht Triumphe, theure Mitbürger. Aber
sie blieben weit unter unsrer Erwartung. Der Krieg tobte schlimmerer als je, das
Verdienst trat nur zu oft vor dem Laster zurück, die Völker zerfielen in ungeheure
Spaltungen, und das goldne Zeitalter lebt nur noch in den Köpfen edler
Schwärmer. [14]
Trotz pessimistischer Verstimmung endet die Rede mit dem typischen Fortschrittsglauben
der Aufklärung:
Wenn dann einst unsre Enkel an unsern Gräbern stehen, werden sie sagen: Verachten
dürfen wir sie nicht, weil sie weniger groß und glücklich waren als wir. Sie erschufen,
wir genießen. Und dann werden sie den 14ten Julius preisen, und heimlich Thränen
vergießen, weil keine Bastille mehr zu erstürmen ist. [15]
Verleger
Durch die Redaktion des «Journals der neuesten Weltbegebenheiten» wurde
ihm die «Abhängigkeit des Schriftstellers von dem Buchhandel» bewusst. Er
bekennt: «Dieses war die Veranlassung, das ich Volmers (!) Handlung mit dem Dr.
Schmieder übernahm.» [16] Die Verlagsgesellschaft hatte zudem eine Filiale in
Hamburg.
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Gottfried Diederich Leberecht Vollmer (1768- 1815) hatte bereits am 24. 7. 1795 die
Konzession erhalten, eine Verlagsbuchhandlung in Altona zu führen. Als Verleger der
Schriften des Jakobiners Andreas Georg Friedrich Rebmann war er 1796 in Erfurt
verhaftet worden und nach seiner Freilassung nach Hamburg und Altona übergesiedelt.
Bereits 1798 wandte er sich nach Mainz und gründete dort eine Buchhandlung. Seitdem
leiteten Evers und Schmieder die «Verlagsgesellschaft». 1804 führte sie
Vollmer wieder allein. Heinrich Gottlieb Schmieder (1763–1828) gehört gleichfalls zu den
deutschen Emigranten. Von 1788 bis 1792 als Theaterdichter in Mainz wirkend, begab er
sich nach Aufenthalten in Mannheim und
Stuttgart nach Altona und war vorübergehend Regisseur des Altonaer Nationaltheaters.
Das Verlagsprogramm wurde vor allem durch die Tatsache bestimmt, dass Dänemark
Pressefreiheit gewährte; man verlegte in Altona besonders politische Schriften, die in
anderen deutschen Ländern nicht erscheinen durften. Dies gilt damals auch für die
meisten anderen Verlage Altonas. So veröffentlichten Evers’ Logenbruder Friedrich
Bechtold und der erste Meister vom Stuhl Johann Heinrich Kaven politische Schriften.
Auch der Buchhändler Johann Friederich Hammerich, ein Verlag, der später von Axel
Springer übernommen wurde, zählte dazu. Besonders Publikationen, die sich mit der
Französischen Revolution auseinandersetzen, waren beliebt. [17]
Eine konservative Zeitschrift konnte daher 1798 schreiben:
Überhaupt ist Altona der Fleck in Deutschland, von woher die giftigsten Anfälle auf
Religion, Fürsten und deutsche Verfassung, wie aus einem Bombenkessel
unaufhörlich auf das übrige Deutschland geworfen werden. [18]
In der Verlagsgesellschaft erschienen etwa Georg Kerners Reisebeschreibung über
Frankreich und ein Buch des schon erwähnen Jakobiners Friedrich Joseph Emerich.
Vermutlich hat Evers sich auch dafür eingesetzt, dass Schriften von Elise Bürger, Sophie
Albrecht und Johann Friedrich Schütze, die alle drei mit dem Altonaer
«National-Theater» verbunden waren, gedruckt wurden.
Theaterdirektor
Nachdem Johann Friedrich Ernst Albrecht die Direktion des «Altonaer
Nationaltheaters» niedergelegt hatte, lenkten seit dem 1. Juni 1800 Evers und als
Regisseur Heinrich Gottlieb Schmieder das Unternehmen. [19] Evers versuchte
«durch neue Mitglieder, neue Schauspiele und Opern, reichere Garderobe und
Decorationen» [20] das Theater wieder zu heben. Allerdings zog sich Schmieder
bald von der «Entreprise» zurück und Friedrich Wilhelm von Schütz trat für
kurze an seine Stelle. Als auch Schütz, weil er befürchtete sein Geld zu verlieren, aufgab,
leitete Evers das Theater allein. Musikdirektor war vorerst weiterhin Friedrich Adam Hiller.
Im Juni 1802 war Evers zahlungsunfähig und gab sein Unternehmen auf. Nach ihm führte
wieder Johann Friedrich Ernst Albrecht erneut die Schauspielergesellschaft.
Das Ensemble, dem Evers vorstand, war beachtenswert. Dies gilt besonders für das
Orchester. Das Vorhandensein eines großen Orchesters ermöglichte, dass Opern
aufgeführt werden konnten. Mit der Sängerin Caroline Lippert besaß Altona eine
bemerkenswerte Sängerin, ein Star dieser Bühne. Beim Schauspiel konnte er weiter auf
Sophie Albrecht zählen, die damals als eine der besten Schauspielerinnen im
deutschsprachigen Raum galt. Zudem konnte er Elise Bürger zurückgewinnen, die nach
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Konflikten mit Albrecht vorerst in Hannover ein Engagement gefunden hatte.
Unter den männlichen Darstellern ist vor allem Carl Ludwig Costenoble erwähnenswert.
Unter Evers wurden die ersten von ihm geschriebenen Theaterstücke aufgeführt. Seine
Tagebücher sind zudem eine wichtige Quelle auch für die Theatergeschichte Altonas. Am
20. Februar 1801 verließ er diese Bühne, um in Hamburg weiter zu arbeiten. [21]
Costenoble lobt den Schauspieler Carl Adolf Beinhöfer, der in komischen Rollen
erfolgreich war. Seit Juli 1800 trat auch erneut der Schauspieler und Bühnendichter
Friedrich Gustav Hagemann auf.
Eröffnet wurde das Theater unter der neuen Direktion am 3. Juni 1800 mit einer Rede der
Schauspielerin Friederike Kroseck. [22] Bereits am 14. Juni trat Elise Bürger in einer
Gastrolle als Johanna in dem Stück «Johanna von Montfoucon» wieder die
Bühne in Altona. Sie sollte unter der Leitung von Evers für die meisten Schlagzeilen
sorgen. [23]
Evers leitete das Theater und kümmerte sich um die Finanzen. Obgleich er nicht Regie
führte, hatte er ohne Zweifel Einfluss auf den Spielplan. Dieser unterschied sich wenig von
dem seines Vorgängers. Schauspiele, Lustspiele und Opern und Singspiele wechselten.
Die heutigen Klassiker wurden dagegen seltener aufgeführt. Zu den Ausnahmen zählt eine
Aufführung von Schillers «Dom Carlos» in der Prosafassung, die er wohl auf
Anraten der Albrechts ins Programm aufgenommen hatte. Auch andere Stücke Albrechts
wurden
gezeigt,
so
eine
Bearbeitung
des
Schauspiels
«Claus
Storzenbecher.»
Ein
Höhepunkt
war
die
Aufführung
von
Haydns
«Schöpfung» im Nationaltheater am Mittwoch den 27 März 1801. Die
Direktion hatte es organisiert, dass über 120 Künstler
– Sänger und Musiker – zum Gelingen beitrugen.
Joachim Lorenz Evers selbst schrieb mehrere Gelegenheitstücke. Am 7. Juli 1800 war zur
Geburtsfeier des dänischen Kronprinzen das Stück «Das Fest an der Elbe»
zu sehen. [24] Ende des Jahres, am 30. Dezember 1800 führte man erfolgreich auf :
«Das achtzehnte Jahrhundert; ein allegorisches Gemälde mit Gesang, in zwei
Aufzügen.» [25] Das Singspiel, zu dem Friedrich Adam Hiller die Musik komponiert
hatte, erinnerte vordringlich an den dänischen König Friederik VI. und dessen Krieg gegen
Schweden. Weiterhin lobt er die Friedenspolitik Dänemarks, wo «ein zufriedenes
Volk die Früchte eines achtzigjährigen Friedens genießen» [26] könne. Im
Rückblick auf das Jahrhundert erinnert er an die für ihn bedeutenden Herrscher, u. a. an
Peter den Großen von Russland., Friedrich den Großen und den Kaiser Joseph II. Über
den Österreicher schreibt er : «Er stürzte die Thronen der Hierarchie, löste die
Fesseln des Mönchthums, und riß sein Volk aus den Kerkern des Aberglaubens.»
[27]
Als dann 1801, wie in allen Jahren vorher, mit großem Aufwand in Altona der Geburtstag
des schwachsinnigen Königs Christian VII. gefeiert wurde, schrieb der Direktor
«Das Königliche Stammhaus Oldenburg oder die Wahl Christians des Ersten.
Historisch romantisches Schauspiel mit Gesang.» [28] Die Musik komponierte
erneut Hiller.
Trotz allen Fleißes war Evers mit seiner Leitung nicht erfolgreich. Das Theater wurde nicht
besucht. Bereits am 7. Juli 1800 schrieb Costenoble in sein Tagebuch: «Die neue
Direktion überläuft eine Gänsehaut, wenn sie ihrer Zukunft gedenkt, weil das Haus immer
leer bleibt, sie mögen vorführen, was sie wollen.» [29] Er entschloss sich daher
6
7
auch mit seinem Ensemble nach Lüneburg, Glückstadt und Bremen zu reisen. Ohne
Erfolg. Sein schließlicher Bankrott führte zu einer Menge von Spottschriften und
Pamphleten, die sich mit Häme über sein Scheitern äußerten.
Der Schiffbruch von Joachim Lorenz Evers bedeutete zugleich das Ende einer
sechsjährigen Blütezeit des Altonaer Schauspielhauses. Es sollte über ein halbes
Jahrhundert dauern bis die Bühne wieder das Niveau jener Zeit erreichte. Rückblickend
schrieb die Schauspielerin, Übersetzerin und Dichterin Artemisia Henriette Marianne von
Montenglaut 1828 über jene Jahre:
Alle drei Hauptzweige der dramatischen Kunst: Tragödie, Lustspiel und Oper wurden
mit liebender Weisheit gepflegt und zählten bedeutende Künstler, die zum Theil
hinüber geschlummert sind, zum Theil bei großen Bühnen auf den Lorbeeren ihres
Ruhmes ruhen, und deren gemeinschaftlicher Regisseur, ein damals hoch gehaltener
Gelehrter, dem wir die meisten Opern-Übersetzungen aus dem Französischen und
Italienischen verdanken, der Doktor Schmieder, das ganze mit ästhetischen Umsicht
führte, während dem Enkel des ersten Deutschen Lieder-Componisten, Hiller, die
Führung des trefflichen Orchesters anvertraut war. [30]
Über die letzten Lebensjahre von Evers ist wenig bekannt. Seit 1804 führte er ein
«Commissionsund
Nachweisungscomtoir»
das
sich
für
«Geldnegocen,
Häuserverkauf
und
Vermietung,
Besetzung
vacanter
Bedientenstellen und Besorgung litterarischer Aufträge» [31] empfahl. Auch
schriftstellerisch war er weiter tätig und schrieb nach dem Tod des englischen Ministers
William Pitt eine kurze Biographie des Politikers. 1807 gab er die Wochenschrift
«Die Stafette» heraus. Nach Evers’ Tod führte sie Friedrich Wilhelm von
Schütz weiter. Das Blatt ist heute nicht mehr auffindbar. Joachim Lorenz Evers starb fast
zwei Monate nach Vollendung seines 49 Lebensjahres. Ein Brief der Schauspielerin und
Schriftstellerin Montenglaut von 1819 erwähnt ein Gerücht, dass er sich erhängt haben
soll.
Evers war keine unbedeutende Persönlichkeit. Trotzdem wurden seine Schriften und sein
Theaterenthusiasmus bislang von der Forschung kaum gewürdigt. Das mag auch daran
liegen, dass seine Veröffentlichungen äußerst selten geworden sind. Ein weiterer Grund
für die Missachtung seiner Tätigkeiten war sicher auch die Tatsache, dass nach dem Groß
Hamburg Gesetz eine eigenständige Geschichtsforschung über Altona beendet war. Eine
erste Arbeit, die einen Teil des bewegten kulturellen Lebens in Altona schrieb auch daher
kein Heimatforscher, sondern Walter Grab aus Tel Aviv. Er verdeutlichte für einen
Teilbereich, dass sich Altonas kulturelle Vielfalt, wie es schon früher der Historiker
Heinrich Lüdtke feststellte, durchaus mit Weimar vergleichen lässt.
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8
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ANMERKUNGEN
________________________________________________________________________
1
Vgl. allgemein dazu: Franklin Kopitzsch, Altona – ein Zentrum der Aufklärung am Rande
des dänischen Gesamtstaats. In: Klaus Bohnen und Sven-Aage Jörgensen, Der dänische
Gesamtstaat. Kopenhagen –Kiel- Altona. Tübingen 1992, S. 91-118.
2
An meine Mitbürger. Ueber meine Theater-Unternehmung und ihre Auflösung. Den 1sten
Mai 1802. Von Evers. Altona 1802, S. 4.
3
Über einige seiner Aktivitäten vgl. Carl Bröcker, Geschichte der St. Johannis-Loge
«Carl zum Felsen» in Altona. 22. März 1796 bis 22 März 1896. Im Auftrage
der Loge bearbeitet von Br. Carl Bröcker. Berlin 1897. Siehe auch Hans-Werner Engels,
«Altona – Weimar des Nordens?» Vorgeschichte und Gründung der Altonaer
Loge «Carl zum Felsen», Tätigkeit einiger ihrer Brüder bis zum Jahre 1800.
In: Zirkelkorrespondenz vereinigt mit dem Niedersächsischen Logenblatt, Nr. 4 April 2001,
S. 146-153.
4
Königliche Allergnädigst priviligierte Altonaer Addres-Comtoirs-Nachrichten, Nr. 6 19.
Januar 1799.
5
(Joachim Lorenz Evers), Geschichte der französischen Staatsrevolution, aus den
Grundursachen ihrer Entstehung und ihrer Verbindung mit der ältern Geschichte
Frankreichs, entwickelt. Nebst Darstellung des Lebens und der Regierung Ludwigs XVI.
Königs von Frankreich. Ein Lesebuch für unpartheiliche Weltbürger. Hamburg, bei
Bachmann und Gundermann. 3 Theile, 1793–1795.
6
(Joachim Lorenz Evers), Schilderung des Lebens und Charakters der Königin Marie
Antoinette von Frankreich. Mit dem Bildnisse der Königin. Von dem Verfasser des Lebens
und Regierungsgeschichte Ludwigs des Sechzehnten. Bremen bei Friedrich Wilmans
1794 Zwei Theile.
7
(Joachim Lorenz Evers), Geschichte der französischen Staatsrevolution, aus den
Grundursachen ihrer Entstehung und ihrer Verbindung mit der ältern Geschichte
Frankreichs, entwickelt. Nebst Darstellung des Lebens und der Regierung Ludwigs XVI.
Königs von Frankreich. Ein Lesebuch für unpartheiliche Weltbürger. Hamburg, bei
Bachmann und Gundermann. 3 Theile, 1793–1795., 2.Theil, S.79
8
9
8
(Joachim Lorenz Evers), Geschichte der französischen Staatsrevolution, aus den
Grundursachen ihrer Entstehung und ihrer Verbindung mit der ältern Geschichte
Frankreichs, entwickelt. Nebst Darstellung des Lebens und der Regierung Ludwigs XVI.
Königs von Frankreich. Ein Lesebuch für unpartheiliche Weltbürger. Hamburg, bei
Bachmann und Gundermann. 3 Theile, 1793–1795. 1. Theil, S. 265.
9
(Joachim Lorenz Evers), Geschichte der französischen Staatsrevolution, aus den
Grundursachen ihrer Entstehung und ihrer Verbindung mit der ältern Geschichte
Frankreichs, entwickelt. Nebst Darstellung des Lebens und der Regierung Ludwigs XVI.
Königs von Frankreich. Ein Lesebuch für unpartheiliche Weltbürger. Hamburg, bei
Bachmann und Gundermann. 3 Theile, 1793–1795. 3. Theil, S. 117.
10
(Joachim Lorenz Evers), Schilderung des Lebens und Charakters der Königin Marie
Antoinette von Frankreich. Mit dem Bildnisse der Königin. Von dem Verfasser des Lebens
und Regierungsgeschichte Ludwigs des Sechzehnten. Bremen bei Friedrich Wilmans
1794 Zwei Theile, 2. Bd, S. 145f.
11
Vgl. Holger Bönng – Emmy Moepps, Altona – Bergedorf – Harburg – Schiffbek –
Wandsbek. Kommentierte Bibliographie der Zeitungen, Zeitschriften, Intelligenzblätter,
Kalender und Almanache sowie biographische Hinweise zu Herausgebern, Verlegern und
Druckern periodische Schriften. Stuttgart Bad Cannstatt 1997, Sp. 343-347.
12
Allgemeine Literatur-Zeitung Sonnabend, den 31. August 1799, Spalte 571.
13
Journal der neuesten Weltbegebenheiten, Februar 1798, S. 144.
14
Journal der neuesten Weltbegebenheiten, July 1799, S. 467.
15
Journal der neuesten Weltbegebenheiten, July 1799, S. 474.
16
An meine Mitbürger. Ueber meine Theater-Unternehmung und ihre Auflösung. Den 1sten
Mai 1802. Von Evers. Altona 1802, S. 7.
17
Zum periodischen Schrifttum vgl. Böning/ Moepps, Altona (wie Anm. 11); ferner Walter
Grab, Demokratische Strömungen in Hamburg und Schleswig-Holstein zur Zeit der ersten
französischen Republik. Hamburg 1966; eine Analyse der Altonaer Verlage zu jener Zeit
und deren Verlagsprogramme wäre lohnend.
18
Eudämonia oder deutsches Volksglück, Jg. 1797, Bd. 4, S. 160.
9
10
19
Zum Komplex zuletzt: Hans-Werner Engels, Johann Friedrich Ernst Albrecht (1752–1814)
und das «National-Theater» in Altona, in: Zeitschrift des Vereins für
Hamburgische Geschichte, Bd. 86 2000, S. 1-42
20
An meine Mitbürger. Ueber meine Theater-Unternehmung und ihre Auflösung. Den 1sten
Mai 1802. Von Evers. Altona 1802, S. 9.
21
Carl Ludwig Costenoble, Tagebücher, von seiner Jugend bis zur Übersiedlung nach Wien
(1818) Hg. Von Alexander von Weilen. 2 Bde. (= Schriften der Gesellschaft für
Theatergeschichte Bd. 18 und 19). Berlin 1912.
22
Königliche Allergnädigst priviligierte Altonaer Addres-Comtoirs-Nachrichten, 31. Mai 1800.
23
Elise Bürger, das «Schwabenmädchen», wurde die dritte Frau des Göttinger
Dichtes Gottfried August Bürger. Die Ehe wurde unter unerquicklichen Umständen
geschieden. Vgl. zuletzt Hermann Kinder (Hg.), Bürgers Liebe. Dokmumente zu Elise
Hahns und Gottfried August Bürgers unglücklichem Versuch, eine Ehe zur führen. Neu
herausgegeben und mit einem Nachwort von Hermann Kinder. Göttingen 1999.
24
Carl Ludwig Costenoble, Tagebücher, von seiner Jugend bis zur Übersiedlung nach Wien
(1818) Hg. Von Alexander von Weilen. 2 Bde. (= Schriften der Gesellschaft für
Theatergeschichte Bd. 18 und 19). Berlin 1912. 1. Bd. S.130. Das Stück ist nicht
aufzufinden.
25
(Joachim Lorenz Evers), Das achtzehnte Jahrhundert allegorischs Gemälde in zwey
Aufzügen mit Gesang aufgeführt auf dem National-Theater zu Altona am 30sten und
31sten December 1800 und am 3ten und 7ten Januar 1801. Altona, 1801. Vgl. auch
Costenoble, S.137;
26
(Joachim Lorenz Evers), Das achtzehnte Jahrhundert allegorischs Gemälde in zwey
Aufzügen mit Gesang aufgeführt auf dem National-Theater zu Altona am 30sten und
31sten December 1800 und am 3ten und 7ten Januar 1801. Altona, 1801. S. 5
Vgl. auch:
Carl Ludwig Costenoble, Tagebücher, von seiner Jugend bis zur Übersiedlung nach Wien
(1818) Hg. Von Alexander von Weilen. 2 Bde. (= Schriften der Gesellschaft für
Theatergeschichte Bd. 18 und 19). Berlin 1912. 1. Bd. S.137.
27
(Joachim Lorenz Evers), Das achtzehnte Jahrhundert allegorischs Gemälde in zwey
Aufzügen mit Gesang aufgeführt auf dem National-Theater zu Altona am 30sten und
31sten December 1800 und am 3ten und 7ten Januar 1801. Altona, 1801. S. 27
10
11
28
Das Königliche Stammhaus Oldenburg oder: Die Wahl Christians des Ersten.
Historisch-romantisches Schauspiel mit Gesang, in zwei Aufzügen von Evers. Die Musik
vom Musikdirektor Hiller. Zur hohen Geburtsfeyer Sr. Majestät des Königs Christian des
Siebenten und Sr. Königlichen Hoheit des Kronprinzen Friedrichs von Dännemark
aufgeführt auf dem Nationaltheater zur Altona am 28sten Januar, und wiederholt am
31sten Januar, 9ten Febr. Und 12ten März 1801. Altona, gedruckt von Eckstorff junior.
29
Carl Ludwig Costenoble, Tagebücher, von seiner Jugend bis zur Übersiedlung nach Wien
(1818) Hg. Von Alexander von Weilen. 2 Bde. (= Schriften der Gesellschaft für
Theatergeschichte Bd. 18 und 19). Berlin 1912. 1. Bd. S.131.
30
H. von Montenglaut, Biographische Skizze der gewesenen Schauspielerin und noch
immer still-wirkenden Dichterin Sophie Albrecht in Hamburg, nebst einer Aufforderung an
die Deutsche Künstlerwelt. In: Der Freimüthige. Berlin, Dezember 1828, S. 969.
31
Königliche Allergnädigst priviligierte Altonaer Addres-Comtoirs-Nachrichten, Nr. 36 05. Mai
1804.
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Veröffentlichung: (1) Vortrag 12. September 2001, Johannis-Loge "Carl zum Felsen",
(2) Fulgura frango (Internet-Publikation: www.fulgura.de)
Copyright dieser Internet-Ausgabe: Collasius 2003
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