Barbara Erskine - Die Herrin von Hay Zeitreise gefällig? Liebhaber von Zeitreise-Romanen werden ihre wahre Freude an diesem Werk haben. Allein schon das Eintauchen in eine andere Zeit hat etwas Magisches, Faszinierendes. Und wäre es nicht auch interessant zu wissen, ob wir schon einmal gelebt haben? Wo werden wir wohl gelebt haben und in welcher Stellung mögen wir gewesen sein? »... Ihre Hände bluteten...« 1970. Als sich die Journalistin Joanna, genannt Jo, im 2. Studienjahr entschließt, als „Versuchskaninchen“ für klinische Therapieversuche mittels hypnotischer Regression (Zurückführung in ein früheres Leben) zur Verfügung zu stellen, ahnt sie nicht, dass dies ihr gesamtes bisheriges Leben auf den Kopf stellen wird. Die Hypnose klappt so gut, dass sie bereits nach kurzer Zeit mit immer leiser werdender Stimme erzählt, was sie wahrnimmt. Der Professor ist begeistert. Doch dann geschieht das Unglaubliche: ihre Hände beginnen zu bluten und sie spricht mit völlig gebrochener Stimme stockend weiter... und dann setzt ihr Herzschlag aus. Sie ist klinisch tot. Die sofort erbrachte Erste-Hilfe-Leistung rettet ihr das Leben und Professor Cohen suggeriert Joanna völlig geschockt, dass sie alles vergessen soll, noch bevor sie aus der Trance erwacht. Sein Mitarbeiter und Protokollant Sam Franklyn schwört, sie von der Gefahr erneuter Regression fern zu halten und ist fortan Bestandteil ihres Lebens. Später ist sie mit Sam Franklyns Bruder Nicholas liiert. Kurz bevor sie den Auftrag zu einer Reportage über Regressionen erhält, trennt sie sich allerdings von ihm. So können weder Nick noch Sam verhindern, dass sie sich erneut einer Regression unterzieht. Jo ist der Meinung, nur dann objektiv über ein solches Thema (woran sie nicht glaubt) berichten zu können, wenn sie eigene Erfahrungen einbringen kann. In der Annahme, dass sowieso alles Lug und Trug ist, beobachtet sie die anderen Personen in der Runde... Doch während es bei den anderen offensichtlich erfundene Geschichten sind, findet sich Joanna plötzlich im 12. Jahrhundert wieder. Sie ist zu Pferde mit einer Eskorte auf dem Weg zu ihrem Gemahl, William de Braose unterwegs... Sie ist noch ein halbes Kind und froh darüber, nicht allein mit Nell zu ihrem Mann reiten zu müssen. Richard, der junge Earl von Clare und Hertford begleitet sie mit seinen Mannen, auch wenn er nicht begreifen kann, wie sie die Gegenwart ihres Gemahls dem seiner Mutter vorziehen kann. William de Braose ist ein grober, königstreuer Mann. Er scheut sich nicht, auf des Königs Geheiß die Männer von Gwent zusammen zu rufen und gnadenlos abzuschlachten. Er lässt sogar deren Frauen und Kinder, die in Castle Arnold zurück geblieben waren, ermorden. Diese Bluttat ging in die Geschichte ein als das Massaker von Abergavenny. Matilda findet heraus, wie sie ihre ehelichen Pflichten erfüllen und dennoch meistens von ihrem Gemahl in Ruhe gelassen werden kann: sie gebiert ihm Kinder. Als Herrin sämtlicher Sitze ihres Gemahls ist sie für den Haushalt und das Gesinde zuständig und wird als „Moll Walbee“ sehr verehrt. Doch ihr Herz schlägt für Richard. Einmal nur geben sie sich einander hin, aber die Folgen bleiben nicht unbemerkt. Und fortan muss Matilda um ihr Leben und das ihrer Kinder fürchten. Als der grausame Prinz John den Thron besteigt, gibt er de Braose nur wenig Zeit, um all seine Schulden gegenüber der Krone zu begleichen. Matilda versucht alles, um wenigstens einen Teil der Schulden zu begleichen, aber vergeblich. Der Sturz der Familie de Braose ist unausweichlich... Ist Reinkarnation möglich? Die Autorin konfrontiert den Leser mit der Vorstellung, bereits gelebt zu haben, ohne einen negativen Beigeschmack zu hinterlassen. Ganz im Gegenteil breitet sie sogar ein verwobenes Netz einzelner Leben aus, in welches ihre Protagonisten auf ganz unterschiedliche Weise verwickelt sind. Es wird dabei nie langweilig, langatmig oder eintönig. Mit einer Liebe fürs Detail schildert Barbara Erskine das sich vor uns entfaltende 12. Jahrhundert, dass man verschiedene Gerüche wahrzunehmen glaubt und eine Farbenpracht vor Augen hat, die einem manchmal den Atem zu rauben droht. Randpersonen werden wichtig und es scheint, als wage man nicht ein einziges Wort zu überlesen, um nicht am Ende die Zusammenhänge zu übersehen. Diese Dichte an Informationen und Vernetzung ist wohl die einzige Schwachstelle dieses Buches. Ein steter Wechsel zwischen dem Leben Matilda de Braose im 12. Jahrhundert und den kürzeren Episoden aus dem Leben der Journalistin Joanna im 20. Jahrhundert findet durch verschiedene anfangs mittels Hypnose herbeigeführter und später sogar unkontrolliert spontaner Rückverwandlungen statt. Barbara Erskine verbindet nicht nur Vergangenheit und Gegenwart durch die Hypnose miteinander, sie bringt uns die Geschichte der Familie de Braose zur Zeit Henrys II näher und hinterlässt beim aufgeschlossenen Leser ein vages Gefühl von Unsicherheit. Seelenwanderung - ist sie möglich? Bewertung : 85 ° © Elke Röhrig