STIMMEN ZUR LOGIK

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PS Einführung in die formale Logik (Wintersemester 2007/2008)
Handout zur Sitzung vom 27. November 2007
PARADOXIEN
1. Paradoxien im Allgemeinen
Eine Paradoxie liegt dann vor, wenn sich durch einen annehmbaren Gedankengang aus annehmbaren Prämissen eine im logischen Sinne unannehmbare Konklusion ergibt (vgl. SAINSBURY, 11).
Unannehmbar im logischen Sinn ist eine Schlussfolgerung dann, wenn sie mit sich selbst oder mit
ihren eigenen Prämissen in kontradiktorischem Widerspruch steht (vgl. RHEINWALD, 9).
Lange Zeit war folgende Einteilung der Paradoxien geläufig:

Logische bzw. mengentheoretische Paradoxien verwenden Begriffe wie „Menge“ oder
„Unendlichkeit“, nicht aber semantische Begriffe.

Semantische Paradoxien beruhen nicht auf logischen oder mengentheoretischen Begriffen, sondern auf semantischen Begriffen wie „Wahrheit“, „Definition“, „Bezeichnung“,
„Name“.
Diese Unterscheidung spielt gegenwärtig keine große Rolle mehr, da heute viele semantische
Begriffe logisch und mengentheoretisch interpretiert werden und da die Zuordnung einzelner Paradoxien oft unklar ist (RHEINWALD, 14f.).
Nach einem weiter gefassten Paradoxiebegriff ist jede Aussage eine Paradoxie, die in Widerspruch
zu bewährten, als wahr geltenden Aussagen steht oder aus einem sonstigen Grund zugleich begründet und absurd wirkt. Statt von ‚Paradoxie’ kann hier auch von ‚Paradoxon’ die Rede sein
(FALETTA). Dieser Paradoxiebegriff wird hier nicht weiter berücksichtigt.
2. Ausgewählte Paradoxien
2.1 RUSSELLsche Antinomie
Die auf BERTRAND RUSSELL zurückgehende Paradoxie ist zugleich eine Paradoxie der (naiven)
Mengenlehre. Gegeben sei die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten:
P = {X | X  X}. X ist dabei eine Variable, die für beliebige Mengen steht.
Enthält K sich selbst als Element oder nicht? Es gibt zwei – und nur zwei – Möglichkeiten, von
denen eine jede zu einem kontradiktorischen Widerspruch führt.

P enthält sich als Element nicht selbst. Dann ist P eine der Mengen, die sich selbst nicht
enthalten, und enthält sich daher selbst.
PPPP

P enthält sich als Element selbst. Dann ist P eine der Mengen, die sich selbst enthalten,
und enthält sich daher selbst nicht.
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PPPP
Beispiel aus der Informatik: „Viele Webseiten enthalten Links auf bestimmte Abschnitte
oder Überschriften in ihnen selbst. Ein Computerprogramm soll nun täglich eine Webseite mit Links auf alle diejenigen Webseiten anlegen und ins Internet stellen, die nicht auf
sich selbst verweisen. Seit dem zweiten Betriebstag verabschiedet sich das Programm jedes Mal in einer Endlosschleife. Warum?“ (SPIES, 227)
Diese Paradoxie wird in der neueren Mengenlehre durch die Forderung vermieden, dass eine
Menge dann gebildet ist, wenn von jedem Objekt eindeutig feststeht, ob es Element der Menge ist
oder nicht. Damit wird eine Menge wie P ausgeschlossen, von der nicht eindeutig feststehen kann,
ob sie ihr eigenes Element ist oder nicht.
2.2 Die Barbier-Paradoxie
Diese auf ARISTOTELES zurückgehende Paradoxie ist in ihrer Formulierung durch B. RUSSELL
bekannt. Es gelte: Der Barbier von Sevilla rasiert alle Männer von Sevilla, mit Ausnahme
derer, die sich selbst rasieren. Rasiert sich der Barbier von Sevilla nun selbst oder nicht? Die
Antwort fällt in jedem Fall paradox aus: Wenn er sich selbst rasiert, dann rasiert er sich nicht
selbst; wenn er sich nicht selbst rasiert, dann rasiert er sich selbst.
Diese Paradoxie lässt sich folgendermaßen vermeiden: Der Widerspruch steckt bereits in dem
Prädikat „… rasiert alle Männer von Sevilla, mit Ausnahme derer, die sich selbst rasieren“; dieses
Prädikat kann aus diesem Grund nicht ohne Verstoß gegen den Satz vom (Nicht-)Widerspruch
angewandt werden und daher auch nicht in einer sinnvollen prädikativen Aussage verwendet werden.
2.3 Lügner-Paradoxie
Die einfachste Form der Lügner-Paradoxie stellt folgende Aussage p dar:
„p ist falsch.“
p
Im Hinblick auf die Wahrheit bzw. Falschheit von p gibt es nur zwei Möglichkeiten, die wiederum
in kontradiktorische Widersprüche führen:

Wenn p wahr ist, dann ist p falsch.

Wenn p falsch ist, dann ist p wahr.
Ein Ausweg aus dieser Paradoxie besteht in dem Hinweis, dass p unzulässigerweise zwei Sprachebenen miteinander vermengt, also einen syntaktischen Fehler enthält: Es gibt eine Sprachebene L,
auf der Aussagen gemacht werden, und eine andere Sprachebene L1, auf der sich die Wahrheit
oder Falschheit von Aussagen der Sprachebene L definieren lässt, indem Aussagen der Sprachebe-
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ne L erwähnt werden. Die Aussage p begeht den Fehler, eine Aussage zugleich zu machen und zu
erwähnen (WILHELM VON OCKHAM; A. TARSKI).
2.4 HEMPELs Raben-Paradoxie
C.G. HEMPELs Raben-Paradoxie lässt sich so rekonstruieren:
Aus der Beobachtung vieler einzelner schwarzer Raben – und nur aus dieser – ergibt sich
p
per Induktion die Aussage q: „Alle Raben sind schwarz.“
Die Aussage q ist äquivalent mit der Aussage S „Alles, was nicht schwarz ist, ist nicht ein
r
Rabe.“ (nach ├ ¬ p  (p  q) bzw. nach der einfachen Konversion von E im logischen
Quadrat).
Wenn alles, was nicht schwarz ist, ein Nicht-Rabe ist, so gilt u: „Auch aus der Beobach-
t
tung von vielen einzelnen nicht-schwarzen Nicht-Raben ergibt sich per Induktion die hypothetische Aussage Q: ‚Alle Raben sind schwarz.’“
P und U stehen in kontradiktorischem Gegensatz zueinander, sind aber über eine tautologische
Aussagenform miteinander verbunden. Ein Weg, diese Paradoxie zu vermeiden, besteht darin, P
fallen zu lassen: Induktion ist auch auf negativem Wege möglich.
2.5 Sorites-Paradoxien
Sorites-Paradoxien beziehen ihren Namen vom griechischen Wort ‚soros’ (Haufen). Sie haben
folgende Form:
p
Durch die Wegnahme eines einzigen Elements wird nicht aus einem Haufen (einer Menge
im umgangssprachlichen Sinn) ein Nicht-Haufen.
q
Durch die Wegnahme vieler einzelner Elemente wird aus einem Haufen ein NichtHaufen.
r
Die Wegnahme vieler einzelner Elemente geschieht durch die wiederholte Wegnahme
eines einzelnen Elements.
Wenn p und r wahr sind, dann enthält q einen Widerspruch, da die Wegnahme vieler einzelner
Elemente, die aus einem Haufen einen Nicht-Haufen machen soll, identisch ist mit der wiederholten Wegnahme eines einzelnen Elements, die niemals aus einem Haufen einen Nicht-Haufen machen soll. Beispiele:

Die Wegnahme eines einzelnen Reiskorns macht niemals aus einem Reishaufen einen
Nicht-Reishaufen. Die Wegnahme vieler einzelner Reiskörner macht aus einem Reishaufen einen Nicht-Reishaufen. Die Wegnahme vieler einzelner Reiskörner ist aber identisch
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mit der wiederholten Wegnahme jeweils eines Reiskorns und kann daher aus dem Reishaufen nicht einen Nicht-Reishaufen machen.

Der Ausfall eines einzigen Haars macht niemals aus einem Haarschopf eine Glatze. Der
Ausfall vieler einzelner Haare macht aus einem Haarschopf eine Glatze. Der Ausfall vieler einzelner Haare ist aber identisch mit dem wiederholten Ausfall jeweils eines Haares
und kann daher aus einem Haarschopf nicht eine Glatze machen.
Diese Paradoxie beruht auf dem Umstand, dass der umgangssprachliche Mengen- bzw. Haufenbegriff unscharf ist, es aber klare Kriterien zur Identifikation einzelner Elemente von damit jeweils
gemeinten Mengen oder Haufen gibt. Bislang ist kein restlos überzeugender Ausweg aus dieser
Paradoxie gefunden worden. Eine Möglichkeit besteht darin, q aufzugeben und stattdessen zu
behaupten, dass auch durch die Wegnahme beliebig vieler einzelner Elemente ein Haufen niemals
zu einem Nicht-Haufen wird. Diese Lösung hat jedoch den Nachteil, dass in ihr der umgangssprachliche Haufenbegriff mit dem mathematischen Mengenbegriff vermischt wird.
Literatur:
Falletta, N. (1988): Paradoxon. Widersprüchliche Streitfragen, zweifelhafte Rätsel, unmögliche
Erläuterungen. Frankfurt am Main
Rheinwald, R. (1988): Semantische Paradoxien. Typentheorie und ideale Sprache. Berlin-New
York
Sainsbury, R.M. (2001): Paradoxien. Erweiterte Ausgabe. Aus dem Englischen von Vincent C.
Müller. Stuttgart
Spies, M. (2004): Einführung in die Logik. Werkzeuge für Wissensrepräsentation und Wissensmanagement. Heidelberg-Berlin
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