Professionalisierung der pflegerischen Verantwortung im Wundmanagement im Rahmen einer Akademisierung Von einer therapiebegleitenden Pflege zur evidenzbasierten heilkundlichen Tätigkeit Autor: Friederike Rösner Corresponding author Friederike Rösner Im Weiherfeld 12 41334 Nettetal [email protected] Abstract Deutschland hat ca. 3-4 Millionen Betroffene die an chronische Wunden leiden. Die häufigsten Ursachen für die Entstehung sind zivilisatorische Ursachen sowie der demographische Wandel und die damit verbundene Morbidität. Die Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden sowohl im stationären als auch im ambulanten Sektor stellen eine multiprofessionelle Herausforderung dar. Defizite ergeben sich aus fehlenden Standards. In diesem Artikel werden die verschiedenen Ebenen der Versorgung im Wundmanagement sowie ihr Übergreifen in transsektoraler, interprofessioneller sowie interdisziplinärer Form beschrieben und die typischen, immanenten Probleme er einzelnen Akteure im Wundmanagement in Deutschland beschrieben. Komplexe und vielschichtige Interaktionen und Arbeitsabläufe prägen den medizinischen Versorgungsalltag. Medizinische Fachbereiche können nur funktionieren, wenn die Tätigen unterschiedlicher Professionen zusammenarbeiten. Eine zentrale Schnittstelle bei der Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden, bildet hier der Arzt und die Pflegekraft. Was in den meisten europäischen Ländern und in den USA längst implementiert ist, nämlich eigenverantwortliches Arbeiten im Pflegeberuf, wie z.B. im Wundmanagement, obliegt in Deutschland immer noch der traditionellen Auffassung nach der Arzthoheit. Das Thema Übertragung ärztlicher Tätigkeiten an das Pflegepersonal ist schon seit Jahren in der Diskussion. Im Kern geht es hierbei um die Realisierung einer neuen Arbeitsteilung zwischen den Professionen Arzt und Pflege. Die Professionalisierung der Pflege ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Thema, dazu gehört auch die Forderung nach einer universitären Ausbildung in vollständiger Erfüllung der PISA-Kriterien. Bereits jetzt werden viele ärztliche Aufgaben von Pflegefachkräften im Wundmanagement übernommen, ohne dass sie formal oder rechtlich ausreichend abgesichert sind. Um eine sichere und professionelle Ausübung der Tätigkeit zu gewährleisten, ist das entsprechende Wissen der Pflegepersonen über evidenzbasierte Maßnahmen im Bereich der Wundversorgung erforderlich und der rechtliche Rahmen für eine Übertragung heilkundlicher Tätigkeiten zu schaffen. In seiner Sitzung vom 20.�Oktober 2011 hat der gemeinsame Bundesausschuss beschlossen, dass im Rahmen von Modellvorhaben künftig ärztliche Leistungen auf Fachkräfte der Alten- und Krankenpflege übertragen werden können. In diesem Artikel soll erörtert werden, ob der § 63 Abs 3 c SGB V eine Möglichkeit der Realisierung eines Modellvorhabens bieten kann. Key words: Wundmanagement, Professionalisierung, Allgemeine Grundlagen: Vielfältige Verletzungen wie auch chronische Erkrankungen können zu einem Integritätverlust der Körperhülle, der Haut, führen. Diese stellen, seit jeher, die Heilkundigen vor großen Herausforderungen. Über viele Jahrhunderte hinweg haben sich die Therapieprinzipien bei der Versorgung chronischer Wunden nur wenig verändert. Das systematische Austrocknen der Wunden, sowie ständig wechselnde und polypragmatische Behandlungen mit Lokaltherapeutika, kurze Verbandwechselintervalle und der Irrglauben, die „atmende“ Wunde („da muss Luft an die Wunde“) würde schneller heilen, dominierte und dominieren auch heute zum Teil noch die Therapie. Kannte man früher die komplexen Zusammenhänge der Wundheilung und die Entstehung vieler Wunden nicht, so stehen heute Schlagwörter wie Kostendruck, multiprofessionelle Zusammenarbeit, mangelndes evidenzbasiertes Wissen bei der Wirkung der Verbandmaterialien, uneinheitliche Strategien bei der Behandlung von Menschen mit chronischen Wunden im Vordergrund. Standortbestimmung, Situation in Deutschland Der Betroffene Immer mehr Menschen in Deutschland, Experten sprechen von 3 - 4 Millionen, leiden an chronischen Wunden. (22) Medizinisch-technische Fortschritte, veränderte Lebensbedingungen sowie die Lebenszeitverlängerung führen in unserer Gesellschaft zu einer Veränderung des Krankheitsspektrums. Demnach gewinnen chronische Wunden stetig mehr an epidemiologisch individueller, sozialpolitischer sowie gesundheitsökonomischer Bedeutung. Bei der stetig steigenden Anzahl der Betroffenen, sollen hier einige Beispiele für kausale Zusammenhänge erläutert werden. Zwischen 1998 und heute ist die Anzahl der stark übergewichtigen Menschen in Deutschland, mit einem BMI von mehr als 30, stark gestiegen. Stark übergewichtigen Menschen (Adipositas) sind, verursacht durch ihre Körpermasse, der Gefahr ausgesetzt, im Laufe ihres Lebens an Folgekrankheiten, zu erkranken. (21) Der Diabetes und seine Folgen sind bei dieser Gruppe adipöser Menschen besonders bedeutend. In Deutschland leben laut Schätzungen etwa 6 Mio. Menschen mit Diabetes. Es wird vermutet, dass der Typ 2-Diabetes teilweise erst bis zu 10 Jahren nach seinem Auftreten diagnostiziert wird. Bei Diagnosestellung, finden sich dann häufig bereits vaskuläre Spätschäden, in deren Folge Komplikationen wie Herzinfarkt, Schlaganfall und Nierenschäden auftreten (1). Weitere Folgekomplikationen sind diabetische Fußprobleme, die auch unter dem Begriff des „diabetischen Fußsyndromes“ („Diabetische Podopathie“ nach Chantelau) zusammengefasst werden. Die bedeutsamsten unerwünschten Konsequenzen sind Fußulzerationen. Die jährliche Neuerkrankungsrate liegt bei 2,2–5,9 %. Ein Teil dieser Fußulzerationen heilen nicht ab und führen im schlechtesten Fall in der Folge zur Minor- und Majoramputationen. Mit über 60 000 Amputationen pro Jahr liegt Deutschland europaweit im oberen Bereich. Ca. 70 % aller Amputationen werden bei Patienten mit Diabetes mellitus durchgeführt. (2) Auswirkungen auf die Morbidität im Alter Die Alterung des Menschen ist zwar nicht notwendig mit Krankheit verbunden, allerdings ist ein altersabhängiger Anstieg chronischer Krankheiten festzustellen. Charakteristisch ist hierbei dass gleichzeitige Vorliegen mehrerer, chronischer Erkrankungen (Multimorbidität). (3) Alte multimorbiden Menschen leiden demnach häufiger an chronischen Krankheiten wie Diabetes mellitus, chronisch venöse Insuffizienz, oder die PAVK, die zu chronischen Wunden führen können. Der Dekubitus (Druckgeschwür) ist eine weitere schwere Komplikation von Multimorbidität und Immobilität im Alter. Studien haben ermittelt, dass in der ambulanten pflegerischen Versorgung weit über 30% der Klienten, in Pflege- und Altenheimen sogar über 50% der Bewohner ein erhöhtes Dekubitusrisiko haben (Hamburger Projekt »Qualitätsvergleich in der Dekubitusprophylaxe«). Gleich welche Ursache zu Grunde liegt, Menschen mit chronischen Wunden stellen ein vielschichtiges Versorgungsproblem dar. So haben viele Betroffene einen jahrelangen Leidensweg mit den unterschiedlichsten Therapieversuchen hinter sich. Neben der sozialen Dramatik in jedem Einzelfall ist die Versorgung von Problemwunden mit einem enormen Pflege- und Kostenaufwand verbunden. Der Pflegebedarf von Wundpatienten entsteht aus den wund- und therapiebedingten Einschränkungen auf das Alltagsleben der Betroffenen. Mit jeder chronischen Wunde sind Einschränkungen der Selbstständigkeit und des sozialen Lebens der Patienten verbunden. Bereits vor ca. 50 Jahren kamen die ersten „modernen Verbandstoffe“ auf dem Markt. Seither ist wissenschaftlich belegt, dass die Schaffung eines feuchten Wundmilieus durch Verwendung von okkludierenden Wundverbänden, die Heilungsdauer verkürzt wird, dennoch werden in Deutschland nur maximal etwa 20% der Wundpatienten adäquaten Mitteln versorgt. „Nach Angaben der Initiative Chronische Wunden (ICW) wird in Deutschland nur jede fünfte chronische Wunde richtig versorgt“. (23) Warum werden die Betroffenen auf ganz unterschiedlichem Niveau versorgt? Die Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden in Deutschland, sowohl im stationären als auch im ambulanten Sektor, ist ein multiprofessioneller Prozess (Problem). Aufgrund der Komplexität der Wundbehandlung in Verbindung mit schwerwiegenden Grunderkrankungen wie der Diabetes mellitus oder Erkrankungen der Gefäße wie die PAVK oder CVI und der auch hygienisch sehr anspruchsvollen Thematik (u.a. Rolle der rezidivierenden Infektionen; häufiger Befall mit multiresistenten Keimen z.B. MRSA) sind die Anforderungen an die behandelnden Ärzte sehr groß. Vielfach kommt es nach einer Krankenhausbehandlungen zur Diskontinuität in der Weiterbehandlung und mangelnder Kommunikation der unterschiedlichen Sektoren. Die Folgen sind stationäre Wiederaufnahme, es kommt zu einem sogenannten Drehtüreffekt, welcher hohe Kosten nach sich zieht. Aber auch das Zusammenarbeiten, ob interdisziplinär oder auch interprofessionell, ist eine schwierige Herausforderung. Defizite ergeben sich aus fehlenden Standards und Informationen, fehlende oder nicht genügende Kommunikation, durch mangelnde ganzheitliche Konzepte, sowie durch nicht genügende interdisziplinäre Zusammenarbeit. Risse schreibt in diesem Zusammenhang, dass die Versorgung des diabetischen Fußes kein Problem in technischer oder medizinischer Hinsicht sei, wohl aber ein Feld enormer, bisher nicht überwundenen organisatorischen Schwierigkeiten in der interdisziplinären Kooperation. (5) Die Pflege Wundmanagement ist primär eine ärztliche Tätigkeit die an die Pflege deligiert wird. Die Versorgung der Betroffenen durch Fachkräfte wird zwar heute einheitlich als wichtig und wertvoll erachtet, allerdings ist die Verrichtung nur mit sehr geringen autonomen Handlungsspielräumen gekennzeichnet. Wundmanagement ist ein sehr aufwendiger Aufgabenkomplex und erfordert ein hohes Maß an Wissen und praktischem Können; allgemeine pflegerische Expertise reicht hier allein nicht aus. Die Pflege leidet unter anderem an einem Mangel an Pflegefachkräften, darüber hinaus verfügen nur wenige über eine Spezialisierung. Darüber hinaus beeinflussen strukturellen Bedingungen und der Kostendruck in Deutschland die Qualität der Wundversorgung stark. Betrachtet man die Preisentwicklung ambulanter Pflegeleistung, so befinden sich die Pflegedienste was die ökonomische Ausstattung ausmacht, immer noch auf einem Stand von Entwicklungsländern. Bei einer Vergütung für den ambulanten Pflegedienst für einen Verbandwechsel, der im deutschlandweiten Durchschnitt (Stand 2006) bei 10,86 € liegt, ist die Wundversorgung im ambulanten Bereich ökonomisch defizitär und Investitionen in Schulungen und Spezialisierung, sind so gut wie unmöglich. Trotzdem oder gerade deshalb, scheinen sich aus diesen Problemen und deren Herausforderungen eine Reihe motivationaler Aspekte zu entwickeln. Es zeigt sich eine Tendenz, dass, die Fort- und Weiterbildungen genutzt werden, um den neuen Herausforderungen im Wundmanagement im Arbeitsalltag sowie den berufspolitischen Veränderungen zu begegnen. Wie bereits beschrieben, ist die Wundversorgung zwar primär eine ärztliche Tätigkeit, aber bereits jetzt scheint der Wissensstand der Pflegenden im Wundmanagement oftmals höher zu sein als die der Ärzte. Nach und nach werden Zahlen bekannt, wie viele Pflegende und wie viele Ärzte an entsprechenden Weiterbildungen teilnehmen. So bestätigen die Zahlen der Akademie ZWM Kammerlander diese Entwicklung, so haben in der Zeit von 2006 – 2010, 1026 Personen an einem Baisiskurs im Wundmanagement teilgenommen. Weiterqualifiziert zum zertifizierten Wundmanager ZWM® haben sich insgesamt 551 Personen hiervon waren lediglich 32 Ärzte. (28) Trotzdem, so Panfil, beklagen Experten oft die als mangelhaft einzustufende Versorgungsqualität von Menschen mit chronischen Wunden, vor allem in Pflegeheimen und in der ambulanten Versorgung (Panfil) Die zertifizierten Ausbildungen wie z.B. Wundexperte oder Wundmanager sind Ausdruck eines großen Engagements der Pflegefachkräfte, reicht aber nach Ansicht von Experten nicht aus. Der Ruf nach Spezialisierung in der akademischen Pflegebildung auf spezifische klinische Handlungsfelder wird immer lauter (7). Die Kostenträger In dem systemgebundenen Gebilde der gesetzlichen Krankenversicherung werden mittlerweile zwar Versorgungsverbesserungen wie explizit geschulte Fachkräfte, Wundkonzepte oder auch Wundbehandlungszentren ausdrücklich begrüßt – dennoch aber nicht adäquat vergütet. So müssen sich hochqualifizierte Fachkräfte über den Verkauf von Verbandsmaterialien finanzieren um Wundzentren oder Versorgungskonzepte realisieren zu können. Nach Meinung der Fachleute wäre durch Spezialisierung und fachübergreifende Kooperation auf der Basis von Expertenstandards und Leitlinien eine massive Kostenreduktion möglich. Akademisierung und Professionalisierung im pflegerischen Kontext In Deutschland ist die Diskussion um die Professionalisierung der Pflege ist ein wichtiges Thema, dazu gehört auch die Forderung nach einer universitären Ausbildung in vollständiger Erfüllung der PISA-Kriterien. Die Begriffe Akademisierung und Professionalisierung ziehen sich wie ein roter Faden durch die deutsche Pflegelandschaft. Im Zuge der Akademisierung von Pflege sind strukturelle Voraussetzungen geschaffen worden, um Pflegewissen und die Etablierung pflegewissenschaftlicher Studiengänge an Fachhochschulen und Universitäten sowie notwendiges differenziertes und anspruchsvolles Expertenwissen zu generieren. Ist Pflege eine Profession? Die traditionelle Auffassung die Pflege als hausarbeitsnahe und Diffusität pflegerischer Arbeit beschreibt, scheint weitgehend aus den Köpfen verschwunden. Durch neue gesetzliche Rahmenbedingungen, demographischer Wandel und auch die Empfehlung des Sachverständigenrates hat der Prozess der Professionalisierung an Dynamik und Selbstbewusstsein gewonnen. Es herrscht mittlerweile ein breiter Konsens darüber, dass der Pflegeberuf als eine moderne hochwertige, qualitative Tätigkeit anzusehen ist. Im Zentrum steht hierbei die Erschaffung einer wissenschaftlichen Basis, die das Konzept einer evidenzbasierten Praxis implementiert. Gegenüber anderen Ländern befindet sich der Pflegeberuf in Deutschland erst seit ca. 3 Jahrzehnten in der Neuorientierung, hat also ihren Professionalisierungsprozess erst begonnen. (9) Bedeutend für das Vorankommen der Professionalisierung, ist das Fortschreiten der Akademisierung in den Funktionsbereichen wie Lehre und Management, sowie der Ausbau und die Weiterentwicklung spezialisierter, evidenzbasierter beruflicher Handlungskompetenz. Ein weiteres entscheidendes Kriterium, ist die Regelung der Zuständigkeit im Bereich der Verantwortung für Handlungsabläufe und damit die Herausbildung einer Autonomie der beruflichen Tätigkeit. Die Verwissenschaftlichung eines berufseigenen "body of knowledge" und damit die Bildung einer eigenen beruflichen Identität sind wichtige Aspekte für die Ausbildung einer Profession Pflege. (10) Trotz dieser wichtigen Weichenstellungen lässt sich jedoch konstatieren, dass die Professionalisierung noch nicht oder nur in bescheidenem Maße in der beruflichen Praxis angekommen ist. Im internationalen Vergleich kann man den Nachholbedarf der Professionalisierung in der Pflege nicht übersehen. Ein Handicap beim Professionalisierungsprozess ist, dass Pflege immer noch keine eigenständige Wissensdisziplin darstellt und das Expertenwissen der Berufsgruppe, nicht selber oder nur in geringen Maßen über Ausbildung, Studium und Forschung generiert und legitimiert wird, so dass man auf Fremdexpertisen angewiesen ist. Allzu häufig dienen auch noch mündlich tradierte Mythen als Legitimation und Argumentation von Pflegehandlungen. Darüber hinaus fehlen wichtige Elemente einer Profession. So beschreibt Lorenz, dass Deutschland - neben Österreich - als einzigem EUMitgliedsstaat, keinen Schutz der Berufsausübung, sondern lediglich einen Schutz der Berufsbezeichnung hat. Das heißt, nicht jeder darf sich Gesundheits- und Krankenpfleger/-in, Altenpfleger/-in nennen, aber Pflegen als Tätigkeit ausüben, darf in Deutschland jeder. (11) Um die Pflege zu stärken, sind motivierende, leistungsfähige akademische Ausbildungswege und die Etablierung von Studiengängen notwendig. Darüber hinaus müssen Rahmenbedingungen entwickelt werden um damit die gesetzlichen Grundlagen für die Weiterentwicklung einer erweiterten Pflegepraxis zu schaffen. Kann der § 63 SGB V eine Möglichkeit für die Professionalisierung im Pflegeberuf bieten? Bereits jetzt werden viele ärztliche Aufgaben von Pflegefachkräften im Wundmanagement übernommen ohne das sie formal oder rechtlich ausreichend abgesichert sind. Was in vielen europäischen Ländern längst implementiert ist, nämlich eigenverantwortliches Arbeiten im Pflegeberuf, wie z.B. im Wundmanagement etc., obliegt in Deutschland immer noch der traditionellen Auffassung nach der Arzthoheit. Das Thema Übertragung ärztlicher Tätigkeiten an das Pflegepersonal ist schon seit Jahren in der Diskussion. Im Kern geht es hierbei um die Realisierung einer neuen Arbeitsteilung zwischen den Professionen Arzt und Pflege, die den Anforderungen eines zunehmend komplexer werdenden Gesundheitswesen und Versorgungsgeschehens, gerecht werden sollen. Um eine sichere und professionelle Ausübung der Tätigkeit zu gewährleisten, ist das entsprechende Wissen der Pflegepersonen über evidenzbasierte Maßnahmen im Bereich der Wundversorgung erforderlich und der rechtliche Rahmen für eine Übertragung heilkundlicher Tätigkeiten zu schaffen. Der gemeinsame Bundesausschuss hat in einer Sitzung vom 20.�Oktober 2011 beschlossen, dass auf der Grundlage des § 63 Abs. 3c SGB V eine selbständige Ausübung von heilkundlicher Tätigkeit, im Rahmen von Modellvorhaben erprobt werden kann. (12) Analyse der Richtlinie des § 63 Abs. 3c SGB V Die Richtlinie gliedert sich in zwei Teile, einen allgemeinen Textteil (A) und einen besonderen Teil (B). Teil A regelt als allgemeiner Teil die rechtlichen Grundlagen der Übertragung von Heilkunde auf Berufsangehörige der Alten- und Krankenpflege sowie Inhalt und Umfang der selbständigen Ausübung der Heilkunde. Teil B benennt als Besonderer Teil die einzeln übertragbaren ärztlichen Tätigkeiten, bei denen im Rahmen von Modellvorhaben nach § 63 Abs. 3c SGB V eine Übertragung von Heilkunde auf Berufsangehörige der Alten- und Krankenpflege zur selbständigen Ausübung erfolgen kann. Zu den einzelnen Tätigkeiten gibt die Richtlinie vor, welche Qualifikationen jeweils erworben werden müssen, damit die ärztliche Tätigkeit von Berufsangehörigen der Alten- und Krankenpflege erbracht werden kann. Besonderer Teil (B) Im Teil B (besonderer Teil) der Richtlinien wird der Tätigkeitskatalog konkretisiert, innerhalb dessen die Modellvorhaben durchgeführt werden können. Der Tätigkeitskatalog beinhaltet eine Mischung aus diagnosebezogenen Leistungskomplexen (Krankheitsbildern) und prozedurenbezogenen Einzeltätigkeiten Diagnosebezogener Abschnitt Beim ersten Abschnitt des Teil B der Richtlinie „besonderen Teil“, wird eine Auflistung der diagnosebezogen Tätigkeiten, für die übertragbaren heilkundlichen Tätigkeit auf explizit folgende vier Krankheitsbilder bezogen. Diabetes mellitus Typ 1, Typ 2, Chronische Wunden, Demenz und - Hypertonus. Am Beispiel der Diagnose „Chronische Wunden Ulcus cruris“ sind die übertragbaren heilkundlichen Tätigkeit untergliedert in: Assessment, Verlaufsdiagnostik, Planung einzuleitender Interventionen, Algorithmus Behandlungspfad, Umsetzung des Therapieplans (Wundmanagement). Im zweiten Abschnitt des Teil B der Richtlinie befindet sich der Tätigkeitskatalog der die folgenden prozedurenbezogene Einzeltätigkeiten definiert. Infusionstherapie/Injektionen, Stomatherapie, Tracheostomamanagement, Legen und Versorgung Magensonde, Legen und Überwachen eines transurethralen Blasenkatheters, Ernährung und Ausscheidung, Schmerztherapie, Atemtherapie, Patientenmanagement, Casemanagement und Überleitungsmanagement die bei verschiedenen Erkrankungen durchgeführt werden können. Eine Bedingung für die Durchführung von heilkundlichen Tätigkeiten durch spezialisierte Pflegefachkräfte ist neben dem Vorliegen einer ärztlichen Diagnose und Indikationsstellung, die in der Benennung von Tätigkeiten aus dem Tätigkeitskatalog bestehen kann, jeweils die Übertragung (Veranlassung) durch den Arzt/die Ärztin. Interpretation des § 63 Abs. 3 c SGB V Komplexe und vielschichtige Interaktionen und Arbeitsabläufe prägen den medizinischen Versorgungsalltag. Medizinische Fachbereiche können nur funktionieren, wenn die Tätigen unterschiedlicher Professionen zusammenarbeiten. Eine zentrale Schnittstelle bei der Versorgung kranker Menschen bildet hier die des Arztes und der Pflegekraft. Es gibt nun verschiedene Modelle der medizinischen Arbeitsteilung. Im Rahmen des § 63 Abs. 3c V bezieht sich die aktuelle Diskussion vor allem auf das Verhältnis von ärztlicher zu nichtärztlicher Tätigkeit, insbesondere pflegerischer Tätigkeiten. Im Blickpunkt steht hier die Definition und Interpreation der verschiedenen Arbeitsteilung In diesem Zusammenhang sollen die verschiedenen Formen der Arbeitsteilung kurz vorgestellt werden. Die Substitution ist eine Form der horizontalen Arbeitsteilung, hiervon wird fast ausschließlich im ärztlichen Bereich gesprochen. Sie ist gegeben bei der weisungsfreien Zusammenarbeit zwischen Ärzten verschiedener Fachrichtung, zwischen Ärzten und rechtlich selbstständigen nichtärztlichen Leistungserbringern oder zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhausärzten. Bei der Delegation handelt sich um eine vertikale Arbeitsteilung, die umfasst den Bereich der weisungsgebundenen Zusammenarbeit (hierarchischen Ordnung) zwischen verschiedenen in eine Behandlungsorganisation eingebundenen, untereinander weisungsberechtigten bzw. abhängigen Leistungserbringern. Eine solche liegt typischerweise vor, wenn die Arbeit zwischen Arzt und Pflegepersonal auf einer nicht gleichberechtigten Ebene stattfindet. Die Delegation beschreibt die Übertragung ärztlichen Tätigkeiten. Sie definiert die einseitige und angeordnete Übertragung von Tätigkeitsbereichen oder auch Einzelaufgaben der Ärzte auf die Pflege mit der Möglichkeit, die Tätigkeitsübertragung jederzeit auch wieder zurückzunehmen. Wie bereits beschrieben hat der gemeinsame Bundesausschuss beschlossen, dass im Rahmen von Modellvorhaben künftig ärztliche Leistungen auf Fachkräfte der Alten- und Krankenpflege „übertragen“ werden können. Ein sehr kontrovers diskutierter Punkt dieser Richtlinie ist, ob die Übertragung von heilkundlichen Tätigkeiten, in Form von Delegation oder Substitution an das Pflegepersonal erfolgen soll bzw. kann. Der Gesetzgeber hat hier keine klare gesetzliche Definition der zukünftigen Arbeitsteilung formuliert, also ob es sich hier um Delegation oder Substitution handeln soll. Die Formulierung „Übertragung und Übernahme heilkundlicher Tätigkeit“ soll wohl zum Ziel haben einen möglichst breiten Konsens zu erlangen, allerdings definiert diese Formulierung im allgemeinen Sprachverständnis nur den Oberbegriff aller Arbeitsteilungsformen. Der Begriff „Übertragung“ kann also für alle Formen der Arbeitsteilung gelten, wie für Delegation oder für Substitution. Den Akteuren bietet diese Formulierung eine wahre Steilvorlage, um ihre gegensätzlichen Positionen jeweils auf dem Fundament der Interpretationsmöglichkeiten des uneindeutig formulierten Gesetzesauftrages zu argumentieren. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Bundesärztekammer sprechen sich für die Übertragung von ärztlichen Tätigkeiten nur im Sinne der Delegation aus. “Die Bundesärztekammer lehnt im Interesse von Patientensicherheit,...., Strikt ab, plädiert jedoch – unter Voraussetzung der entsprechenden Qualifikation - für eine Ausschöpfung von Delegationsmöglichkeiten ...,“ (15) Der Katholische Pflegeverband e.V. begrüßt (in einer Pressmitteilung) die Richtlinie....,. Er fordert die Verantwortlichen im Gesundheitssystem auf, nicht mit hierarchischem und berufsbezogenem Privilegiendenken die volkswirtschaftlich und qualitativ sinnvollen Weiterentwicklungen zu blockieren...,. (25) Die Bundländergruppe orientiert sich in Richtung Delegation: „...Neben der umfassenden Qualifizierung in der Pflege werden die Schü̈lerinnen und Schüler auch zur Mitwirkung bei heilkundlichen Tätigkeiten im Rahmen der Delegation qualifiziert...,.(17) In diesem Themengebiet spezialisierte Juristen wie Abanador oder Rossbruch sprechen allerdings im Rahmen von Modellvorhaben explizit von Substitution von ärztlichen Tätigkeiten, (im Rahmen von Modellprojekten definierten Tätigkeiten), und nicht von Delegation. (18) Abschließend kann man sagen, dass eine Interpretation in Bezug auf Delegation eigentlich auch im Widerspruch zu den vielen bereits bestehenden Projekten zugunsten des Delegationsprinzip wie z.B. das AGnES steht. Die Delegation des Arztes an das Pflegepersonal ist im ambulanten Bereich eine längst gängige Praxis, gesetzliche Grundlagen für die Delegation finden sich bereits in den §§ 15 Abs.1, 28 Abs.1 sowie im Berufsrecht, was somit bedeutet, dass es eigentlich keinem gesetzlichen Auftrag in Punkto Delegation bedarf. Deshalb kann man davon ausgehen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss den gesetzlichen Auftrag bekommen hat, eine Richtlinie für die Übertragung ärztlicher Tätigkeiten an das Pflegepersonal in Form von Substitution zu formulieren. Aber nicht nur die Frage, der Delegation oder Substitution, steht in der Diskussion, sondern auch die Umsetzbarkeit der Richtlinie anhand von Modellprojekten. Einige Kriterien und Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen, um ein Modellprojekt starten zu können sollen hier betrachtet werden. Ein Modellvorhaben nach § 63 Abs.3c V wird durch den Kostenträger ins Leben gerufen. Die Basis für ein Modellprojekt ist der Zusammenschluss eines "Projektteams“, welches sich aus Anbieter, Leistungserbringer (z. B. Krankenhäuser) und Kostenträger zusammensetzt. Im § 63 Abs. 3 c sind die Aufgaben welche innerhalb des Modellvorhaben, die nur an explizit spezialisierte Fachkräfte vergeben werden dürfen, um substituiert oder delegiert werden zu können, eindeutig formuliert. Ob und in wie weit Interesse bei unterschiedlichen Kostenträger besteht hat eine Bayerische Bildungseinrichtung bei unterschiedlichen Kostenträger erfragt. Es scheitert bereits im Ansatz: ...., „unsere Ausrichtung zielt primär darauf ab, die Versorgung für unsere Versicherten zu verbessern. Ob und inwieweit Pflegekräfte ärztliche Leistung übernehmen können ist für uns nur insoweit von Bedeutung, als sich die Versorgung (qualitativ) oder die Versorgungskosten (finanziell) günstig beeinflussen lassen“...., „Vor dem Hintergrund der sehr guten medizinischen und pflegerischen Versorgungslage in Bayern sehen wir gegenwärtig keinen Handlungsbedarf für Modellvorhaben nach § 63 Abs. 3c SGB V“ „...., teilen wir ihnen mit, dass ein Interesse an einer Projektpartnerschaft zu den o.g. Modellvorhaben nicht besteht. Gleichwohl bekräftigen wir..., die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens zu erhalten, die Versorgung unserer auf Hilfe der Pflege angewiesenen Versicherten zu gewährleisten und die Wirtschaftlichkeit abzusichern. Die Teilnahme an Modellvorhaben halten wir dafür jedoch nicht erforderlich“. Eine weitere Hürde für die Umsetzbarkeit der Richtlinie und für die Ausübung heilkundlicher Tätigkeit und damit die Möglichkeit der Teilnahme an Modellprojekten, ist eine Zusatzqualifikation, die von der Pflegekraft erworben werden muss. Damit soll sichergestellt werden, dass ein beherrschbares Risiko für den Patienten, bei der Ausübung heilkundlicher Tätigkeit gewährleistet ist. Im § 63.., sind die Aufgaben, die innerhalb des Modellvorhaben, die nur an explizit spezialisierte Fachkräfte, substituiert oder delegiert werden können eindeutig formuliert, hierbei ist zu erwähnen, dass nur dreijährig examinierte Pflegefachkräfte mit expliziter Weiterbildung an Modellprojekten teilnehmen können. Wie diese Zusatzqualifikation erworben werden kann, ist nicht im ausreichenden Maße vom Gesetzgeber definiert. Hier soll eine Möglichkeit, im Rahmen der Ausbildung zur Pflegefachkraft, beschrieben werden. Besonders ist zunächst, dass die Ausgestaltung der Curricular den Vertragspartnern der Modellvorhaben nach § 63 Abs. 3c SGB V obliegt. Das heißt sie müssen selber ein Curriculum zur Erlangung der benötigten Zusatzqualifikation der beteiligten Pflegekräfte entwickeln. Die Vermutete Konsequenz daraus ist, dass jedes Modellprojekt ein eigenes, individuelles Curriculum für die Zusatzqualifikation entwickeln wird. Bisher Weitergebildete- oder materiell qualifizierte Fachkräfte, sind den „neuen“ Fachweitergebildeten nicht gleichzustellen. Das heißt, alle bisherigen Ausbildungen im Wundmanagement werden z.Z. nicht anerkannt (wie z.B. Schulungen bei der Akademie Kammerlander, ICW, DGfW ect). Soll nun ein Modellprojekt initiiert werden, dann müsste zunächst ein Ausbildungsträger gefunden werden, der gemeinsam mit den Modellteilnehmern ein Curriculum konzipiert, dass gem. §§ 4 Abs. 7 KrPflG, 4 Abs. 7 AltPflG über Regelausbildung hinausgeht ohne sie zu gefährden, und die Vermittlung der erweiterten Kompetenzen zur Heilkunde beinhaltet. Die Legislative bestimmt noch einen weiteren Punkt, auch wenn eine Bildungseinrichtung ein Curriculum sowohl inhaltlich als auch zeitlich entworfen hat, muss das Curriculum zum Bundesministerium für Gesundheit geschickt werden geprüft und im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend genehmigt werden. Die Frage nach welchen Kriterien die Curricular durch das BGA genehmigt oder auch nicht genehmigt werden ist nicht beantwortet. Bei Genehmigung könnte eine Ausbildungskohorte gestartet werden. Da die Regelausbildung nicht gefährdet werden darf und bereits drei Jahre umfasst, kann von einem zeitlichen Mehrbedarf ausgegangen werden (z.B. ein weiteres Jahr). Erst nach dem Erwerb der Zusatzqualifikation kann nach heutigen Stand mit einem Modellvorhaben begonnen werden. Betrachtet man die langwierige und hürdenreiche Prozedur der Modellvorhaben so wird schnell klar, dass sie mehrere Jahre in Anspruch nehmen werden. Angesetzt sind die Modellvorhaben zunächst auf 10 Jahre bis über die Implementierung (Überführung in die Regelversorgung) einer Veränderung entschieden werden kann. Sollte sich dieser Zeitplan bewahrheiten, so ist es relativ unwahrscheinlich, dass in den kommenden Jahren gravierende Auswirkungen in der Versorgungslandschaft zu spüren sind. (13) Fazit Die Richtlinie des G-BA macht Erprobung von Übertragung heilkundlicher Tätigkeiten im Sinne der Substitution grundsätzlich möglich, die dazu erforderliche Qualifikation kann z.Z. allerdings nicht als Zusatz-Qualifizierung (Fach-Weiterbildung) erworben werden. Das heilberufliche Tätigkeit an Pflegepersonal ohne Qualitätseinbußen übertragen werden können haben unsere europäischen Nachbarländer haben bereits bewiesen. Ob jedoch eine Umsetzung von Modellprojekten anhand des § 63 Abs3c SGB V eine realistische Chance hat, hängt von vielen Faktoren und nicht zuletzt auch von der Akzeptanz aller Beteiligten ab. Zu mindestens müssen einige Fragen und Punkte in diesem Zusammenhang gestellt und geklärt werden und möglichst von der Politik neu definiert werden um überhaupt ein Modellprojekt starten zu können. 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S.3 (12) Heberlein,, 2012 Arzthaftung bei Modellvorhaben nach § 63 Abs. 3c SGB V – Delegation impliziert Haftung S. 75 (13) Siebig, 2011 Die Krankenversicherung, Übertragung von Heilkunde: Eine schwierige Geburt, S. 318, 319) (14) Igl, 2010, Rechtsfragen bei den Gesundheitsfachberufen, Robert Koch Institut S. 24, 25) (15) Stellungnahme der Bundesärztekammer, Berlin, 16.05.2011 (16) Vortrag 2013, Übernahme ärztlicher Tätigkeiten durch Pflegepersonal aus Sicht der Ärzte, Dr. Heidemarie Lux, Vizepräsidentin der Bayerischen Landesärztekammer (17) Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Weiterentwicklung der Pflegeberufe Eckpunkte zur Vorbereitung des Entwurfs eines neuen Pflegeberufegesetzes, S. 23 (18) Rosshaupt, 2012 Interview, Die Schwester Der Pfleger (19) Abanador 2011, Die Zulässigkeit der Substitution ärztlicher Leistung durch nichtärztliches Pflegepersonal S. 78 (20) Brechtel, Smerka- Arhelger, 2012, Pflege im Wandel gestalten.., (21) Kurth, 2012 Robert Koch-Institut, Berlin Bundesgesundheitsblatt, Erste Ergebnisse aus der „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS) S. 982 (22) Sellmer, 2012, Die Zeitgemäße Versorgung chronischer Wunden, S. 2 (23) Initiative Chronische Wunden (ICW), www.ic-wunden.de (24) Kusus,Seligmann, 2012 Paradigmenwechsel in der deutschen Medizin durch die Substitution ärztlicher Leistungen. 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