Der "erfolgreiche" Lehrer - erlernbar oder persönlichkeitsabhängig ? Vorwort: Ich vertrete die These, dass jeder Lehrer erfolgreich sein kann. Grundvoraussetzung ist natürlich eine positive Sichtweise zum Kind. Als Hilfen für angehende Lehrer möchte ich hier deshalb einige Hinweise geben, die helfen sollen, einen erfolgreichen Unterricht planen, durchführen und reflektieren zu können. Drei zentrale Strategien der Gestaltung des Schulalltags bei erfolgreichen Lehrern sind: 1. Auf sich selbst und auf die Kinder achten meint im Kern, dass die Sorge für die Schüler und das Verhältnis zu ihnen sowie das legitime Eigeninteresse ausbalanciert werden. 2. Den eigenen Weg gehen meint: eigene Ideen und Vorstellungen von der Berufsarbeit beharrlich, argumentativ, kollegial, aber auch gegen Widerstände durchsetzen. 3. Erfahrungen machen und reflektieren meint, dass die professionelle Entwicklung ein Wechselspiel von Erfahrung und Reflexion ist, in dem Theorie und Praxis verbunden werden. Lehrer brauchen vier Kompetenzen: Selbstkompetenz: Selbstwahrnehmung, Selbstbewusstsein, Stabilität, Realitätssinn, Abgrenzungsfähigkeit. Sozialkompetenz: Einfühlungsvermögen, Empathie, Toleranz, Offenheit, Konflikt- und Vereinbarungsfähigkeit Fachkompetenz: Also fachliches Wissen, zum Beispiel über Mathematik als Wissenschaftsdisziplin; curriculares Wissen, zum Beispiel über Mathematik als Schulfach und deren Beitrag zur Allgemeinbildung; Philosophie als Schulfach meint eine bewertende Perspektive auf zum Beispiel Mathematik als Inhalt von Schulunterricht, "wofür der Fachinhalt nützlich ist und in welcher Beziehung er zu anderen Bereichen menschlichen Lebens und Wissens steht" pädagogisches Wissen umfasst alle Kenntnisse über Fakten, Techniken und Zusammenhänge von Erziehung und Unterricht bis hin zum pädagogischen Ethos; fachspezifisch-pädagogisches Wissen wird durch die Fachdidaktiken zum großen Teil bereitgestellt, dieses wird integriert mit psychologischpädagogischem Wissen sowie eigener Praxiserfahrung und Methodenkompetenz: Es geht also um die Kenntnisse und Handhabung fachspezifischer Methoden z.B. im Bereich der Mathematik, des Sachunterrichts usw. , aber auch um die breite Palette der unterschiedlichsten Unterrichtsmethoden, also vom guten Lehrervortrag über die Tafelarbeit bis zur Organisation einer Werkstattarbeit. Lehrerpersönlichkeit und Unterricht* Im Folgenden zeige ich einige Aspekte der Lehrerpersönlichkeit auf, ohne dabei den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben: Der Lehrer als soziales Wesen Lehrer sind Ansprechpartner für Eltern, Ausbilder, Mitarbeiter des Jugendamtes, der Polizei usw. Gespräche erfolgen häufig in den Unterrichtspausen, aber auch nachmittags, samstags oder sogar sonntags. Die Vielzahl von Sozialkontakten stellt für viele Lehrer die größte Berufsbelastung dar. Sich immer wieder auf neue Menschen einzulassen, sie über einen längeren oder kürzeren Zeitraum in ihrer Entwicklung verantwortlich zu begleiten kann nur gelingen, wenn ich Menschen mag. Der Lehrer als Erzieher Häufigste Themen in den Pausengesprächen sind solche mit folgendem Inhalt bzw. Beginn: "Du, der Alexander aus deiner Klasse ist heute wieder unmöglich..." Lehrer übernehmen in immer stärkerem Maße Erziehungsaufgaben. Wenn klar ist, dass ich dieser Rolle nicht "entkommen" kann, dann sollte ich die Rolle lieber bewusst annehmen. Der Lehrer als kommunikatives Wesen Unterricht ist Kommunikation. Wenn unter dieser Grundvoraussetzung der Kommunikationsvorgang in Schulklassen beobachtet wird, so lässt sich oft Folgendes feststellen: Unterricht verläuft nach festen Kommunikationsmustern, die in der Regel den Lehrer im Mittelpunkt sehen (Lehrer fragt - Schüler antwortet). Der Sprachanteil des Lehrers ist überproportional hoch. Die Kommunikation im Unterricht ist asymmetrisch in ihrer Zielsetzung - was Jochen Grell zu der Aussage verleitet hat, dass "im Normalfall der Lehrer den Unterricht an den Schülern vollstreckt" .Es gibt kaum Schüler-Schüler-Kommunikation über längere Zeiträume ohne Eingreifen seitens des Lehrers. Lehrer wissen normalerweise sehr wenig bzw. zu wenig über Kommunikationsstrukturen. Wenn wir Schule aber als Erfahrungsraum begreifen, in denen Schüler lernen sich mit anderen Menschen (Lehrern, Schülern) auseinander zu setzen, unbekannte Dinge zu erforschen (und ein Zahlenraum bis 100 kann ein ebenso unbekanntes Ding sein wie ein Schmetterling und dessen Flugverhalten), selbstständig Informationen zu finden und sie zu bearbeiten, dann benötigen wir ein verändertes Kommunikationsverhalten bei den Lehrern. Viele Konflikte in Klassen entstehen aus Kommunikationsproblemen. Der Lehrer als der "Profi" in diesem Konflikt ist gefordert den Konflikt zu lösen. Ein erster Schritt dahin ist ein systematisches Training in Kommunikationstechniken in der Lehrerausbildung und die regelmäßige Wiederholung in der Berufspraxis. Ein denkbarer zweiter Schritt wäre die dauerhafte Einrichtung von Supervisionsgruppen für Lehrer an Schulen. Während die Supervisionsarbeit für viele Berufsgruppen, die mit Menschen arbeiten, integrierter Bestandteil ihres Arbeitslebens ist, ist dieses in der Lehrerschaft immer noch die Ausnahme. Der Lehrer als Konfliktmoderator Die offenen oder versteckten Konflikte und Gewalttätigkeiten in der Schule erleben viele Kollegen als weitere besondere Belastung ihres Arbeitslebens. Verbalen und/oder körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Schülern stehen sie ebenso hilflos gegenüber wie einem veränderten Verhalten der Schüler gegenüber ihren Lehrern. Ziel muss es sein, Konflikte gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen zu bearbeiten und nicht, sie als "nicht beschulbar" von der Schule auszuschließen. Dazu bedarf es einer Ausbildung in Techniken der Konfliktbewältigung, den Einsatz von Sozialarbeitern in Brennpunktklassen und Team. Ein weiterer Konfliktbereich in der Schule, der des "Mobbings", hat erst in den letzten Jahren mehr Öffentlichkeit erfahren. Mobbing meint einen über einen längeren Zeitraum verlaufenden Prozess der Gewaltanwendung gegenüber einem Kollegen. Ich weiß nicht, ob Mobbing bei Lehrern ein besonders häufig vorkommendes Verhalten darstellt, ihre Arbeitsweise ist dem Mobbingprozess aber zumindest förderlich, weil sie gekennzeichnet ist durch Einzeleinsatz in Klassen statt Team-Teaching ("In der Klasse bin ich König und der Kollege hat keine Ahnung."); ein geringes Maß an Kommunikation außerhalb des Unterrichts anstelle gemeinsamer Unterrichtsplanung, Unterrichtsnachbesprechungen, pädagogischer Tagungen, Lehrertreffs usw.; Missbrauch von Macht seitens der Schulleitung/Schulverwaltung statt demokratischer Führungsstrukturen; Unterrichtseinsatz nach dem Motto "Hauptsache, ich habe kleine, einfache Klassen" statt gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir in der Schule mit schwierigen Lernsituationen umgehen können. Auch für diese Fälle bedarf es konfliktbearbeitender Maßnahmen um zu vermeiden, dass Kollegen an ihrer Arbeit zerbrechen. Der Lehrer als Teamarbeiter Die im letzten Abschnitt angeführten Aspekte der Lehrerpersönlichkeit (und es scheint manchmal tatsächlich so zu sein, dass Lehrer nicht konfliktfähig sind) verlangen neben einer veränderten Ausbildungsstruktur (zum Beispiel viel früheres und längeres Unterrichten in der Schule für Lehramtsstudenten) auch eine veränderte Arbeitsweise in der Schule. Einhergehend mit Begriffen wie Schulautonomie, Schulprofil, handlungsorientierter Unterricht, Gewalt an den Schulen, Drogenprävention usw. kann Schule ihren Auftrag nur erfüllen, wenn die Mitglieder sich als Team verstehen. Gefordert ist die Bereitschaft zu mehr Zusammenarbeit, Kommunikation und Auseinandersetzung mit dem Kollegium. Das bedeutet für den Lehrer zwar, dass eine zusätzliche Arbeitsbelastung auf ihn zukommt, der Gewinn bei dieser Art von Arbeit liegt jedoch darin, gemeinsam etwas zu erarbeiten, gemeinsam etwas durchzuführen, Probleme gemeinsam zu lösen und auch gemeinsam für Erfolg oder Misserfolg verantwortlich zu sein. Und wenn wir derartige Arbeitsweisen von unseren Schülern verlangen, weil sie als so genannte Schlüsselqualifikationen auch von der Schulaußenwelt eingefordert werden, dann müssen wir sie unseren Schülern vorleben und sie mit ihnen gemeinsam erarbeiten. Der Lehrer als Lernmoderator Veränderte Anforderungen an die Schüler, wie sie oben beschrieben worden sind, verbunden damit auch nach einer Veränderung der Lehrerrolle. Eine Vielzahl von Unterrichtsstunden läuft nach dem gleichen Schema ab. Warum ist das so? Erklärung: In seinen Vorbereitungen geht der Lehrer von Lerntechniken aus, die er selbst kennt, die sich für ihn als erfolgreich herausgestellt haben, die tradiert sind. Diese Lerntechniken müssen aber nicht bei allen Schülern erfolgreich sein. Lehrer müssen sich, wenn sie erfolgreich sein wollen, vielmehr mit den folgenden Fragen auseinander setzen: Wie lernen Menschen, welche Unterschiede gibt es? Was behalten sie und was nicht? Was sind für welche Lerntypen günstige Lerntechniken? Ein weiterer Aspekt der veränderten Lehrerrolle betrifft die Stellung des Lehrers im Lernprozess. Der Amerikaner Nathaniel Cantor 1953 ermittelte folgende Lehrerauffassungen, die - mit Einschränkungen - auch heute noch Gültigkeit haben: • "dass es alleinige Aufgabe des Lehrers sei, den Lernstoff festzusetzen; • dass der Lehrer dafür verantwortlich sei, dass Schüler Wissen erwerben; • dass Schüler zur Arbeit gezwungen werden müssten; • das Wissen wichtiger sei als Lernen; • dass Erziehung im Wesentlichen ein kognitiver Prozess sei“. Dieser heimliche Lehrplan hat in offenen Lern- und Unterrichtsformen keinen Bestand (mehr). Der Lehrer muss sich vielmehr als Helfer bei Lernprozessen und als Wegweiser bei der Informationsbeschaffung verstehen. Er kann bzw. muss akzeptieren, dass das "Wie wird gelernt" zumindest gleichberechtigt ist mit dem "Was wird gelernt". Im Gegensatz zum Planer und Lenker im Frontalunterricht (der nach wie vor seine Wichtigkeit besitzt) ist er Begleiter eines Unterrichtsgeschehens, dessen zeitlicher und inhaltlicher Ausgang nicht immer so exakt voraussehbar ist. Das führt natürlich zu einer gewissen Planungsunsicherheit, die nur durch ein hohes Maß an persönlicher Kompetenz ausgeglichen werden kann. Als Gewinn für den Lehrer und natürlich auch die Schüler steht dem aber gegenüber, mit welcher Begeisterung die Schüler ihre neu gewonnene Lernfreiheit bei der Umsetzung von teilweise erstaunlichen Ergebnissen nutzen. Der Lehrer als Beobachter von Lernprozessen "Ein Lehrer muss sehen, was in der Klasse los ist." Ist der Kommunikationsprozess Lehrer - Schüler gestört, resultiert dies auf Wahrnehmungsdefizite. Eine Untersuchung in einer Klasse müsste zum Beispiel Fragestellungen umfassen wie: Wie bewege ich mich, wie präsent bin ich in der Klasse? Mit welchem Tonfall reagiere ich auf bestimmte Schüler? Gibt es Schülerkonstellationen, die ich noch nicht wahrgenommen habe? Was weiß ich überhaupt von den einzelnen Schülern? Wie reagiere ich auf Verfehlungen von Schülern? Ist mein Handeln gegenüber den Schülern für diese verständlich und stringent? Der Lehrer als Mensch Erwünschte Lehrereigenschaften auf der Grundlage von Schülerbefragungen: An die erste Stelle setzten die Schüler die Eigenschaft "Humor" Ein Lehrer, der auch mal über sich lachen, der sich selbst infrage stellen kann und nicht verbissen auf seiner Meinung beharrt, erzeugt ein positives Lernklima. Da Lernerfolg auch etwas mit Leichtigkeit, Stresslosigkeit und Angstfreiheit zu tun hat, ist hier der Lehrer gefragt. "Neugier" halte ich für eine weitere wichtige Eigenschaft von Lehrern. Kinder sind in diesem Sinn neugierig: Es gibt kein gesundes Kind, welches nicht gespannt neue Dinge erforscht, wissen will, wie etwas funktioniert, und das Wort "warum" ist in einer bestimmten Altersphase der wichtigste Motor kindlicher Entwicklung. Wir verlangen von unseren Schülern ständig, dass sie sich auf etwas Neues einlassen, dessen Nutzen sie oftmals nicht sehen oder einschätzen können. Und was ist mit uns? Wie oft erlebe ich es, dass meine Kollegen nicht mehr bereit sind, sich auf neue Unterrichtsformen, Unterrichtsinhalte oder auf neue Schüler einzulassen. Ein Mensch aber, der beschließt nichts mehr zu lernen, ist ein "totes" Lebewesen. Der Lehrer als emotionaler Eigenversorger Eine der wichtigsten Eigenschaften, die ein Lehrer für seinen Beruf mitbringen oder sich erarbeiten muss, ist die Bereitschaft, auf seine Gesundheit zu achten. Lehrer, die frühzeitig pensioniert werden müssen, eine hohe "Aussteiger"-Quote und das Etikett einer Berufsgruppe mit zum Teil erschreckend niedriger Lebenserwartung zeigen mir, dass viele Lehrer nicht achtsam genug mit sich und ihrer Gesundheit umgehen. Zugegeben: Das ist auch nicht ganz einfach. Öffentliche Missachtung für einen Berufszweig, Politikerschelte, Eltern, die meinen, es handele sich bei dem Lehrerberuf um etwas, was jeder kann, Zweifel über die eigene Erfolglosigkeit - all das ist nicht gerade ein Garant für Berufszufriedenheit. Emotionale Unterstützung gibt es derzeitig nicht von außen. (Dieses ist in vielen anderen Ländern ganz anders). Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir für unsere emotionale Gesundheit kämpfen, an ihr arbeiten. Dieses kann und muss in der Schule geschehen. Ein Weg in die richtige Richtung ist sicher, die Sprachlosigkeit, die in den Kollegien teilweise herrscht, zu überwinden. Ganz wesentlich ist aber auch für den Lehrer, dass es für ihn ein "Leben" außerhalb der Schule gibt. Sich mit Dingen zu beschäftigen, die nichts mit Schule zu tun haben, ist für einen Lehrer überlebensnotwendig. Ein Lehrer, der das nicht beachtet, handelt fahrlässig gegenüber seinen Schülern (er ist oft krank, schlecht gelaunt und zu sehr auf Schule fixiert), gegenüber seinen Kollegen (die müssen ihn vertreten, was wiederum zu einer höheren Belastung führt) und gegenüber seinem Lebenspartner bzw. der Familie (Lehrerehepaare reden manchmal nur noch über Schule oder überhaupt nicht mehr darüber).