Eine Analyse der Erzählung Die Beschneidung von Bernhard Schlink Stine Lykke Hagerup Bachelorprojekt 2013 Tysk 5. semester Abstract Dette projekt undersøger, hvilke problemer 2. Verdenskrig har ført med sig og hvilke problemer, der opstår, når jøder og tyskere skal leve sammen efter krigen. Et problem er, at tyskerne først efter murens fald i 1989 blev accepteret som ofre under 2. Verdenskrig. Dette var førhen et stort tabu. De tyskere som havde deltaget aktivt i krigen og dermed var gerningsmændene tiede længe efter krigens afslutning. Dette gjorde de for at beskytte sig selv og opbygge et liv efter krigen. Dette er et tegn på den kulturelle hukommelse, hvor alle erfaringer ikke kan blive gemt, man må derimod vælge, hvilke der skal blive og hvilke, der skal glemmes. Det er også typisk for første generation af erindringskulturen, at de ikke lige efter krigens afslutning havde lyst til at snakke om deres handlinger under krigen. Først flere år senere havde de lyst til at dele deres handlinger med andre. Anden generation af erindringskulturen må leve med en kollektiv skyld, på grund af det deres forældre foretog sig under krigen. Det er svært for anden generation at snakke og forholde sig til krigen og deres forældre som gerningsmænd. Den har derfor et anstrengt forhold til fortiden. Både Aleida Assmann og Michael Braun beskæftiger sig med erindringskultur og dermed også med hukommelse og generationer. Et andet problem i forhold til at jøder og tyskere skal leve sammen, er deres forskellige kulture. Der opstår ofte problemer, når mennesker ikke kan forstå hinandens kulture. Den tyske filosof Wolfgang Welsch beskæftiger sig med kultur som begreb og forskellige tilgange dertil. Han forklarer, hvilke problemer der er ved det traditionelle kulturbegreb og hvilke andre tilgange han så foretrækker. Den tyske forfatter Bernhard Schlink forholder sig til bearbejdelse af fortiden og hvad det vil sige. Han forklarer, hvad han synes er rigtig og forkert i forhold til at bearbejde fortiden og hvordan han forstår kollektiv skyld. Schlink mener ikke, at fortiden han forbedres eller forandres, ved at den bearbejdes, men den må derimod accepteres og integreres i nutiden. Den kollektive skyld mener Schlink ikke, at de efterfølgende tyske generationer har, fordi de er født tyskere men derimod, fordi de tager ansvar over for ofrene. I fortællingen Die Beschneidung (2000) af Bernhard Schlink kommer disse teorier og tilgange til udtryk. Den tyske unge mand Andi skriver sin afhandling om ”Rechts- und Ordnungsvorstellungen in amerikanischen utopischen Projekten” (Schlink 2000: 234) i New York, hvor han møder den jødiske unge kvinde Sarah. Der opstår adskillige konflikter mellem dem på grund af deres forskellige kulture. De læner sig begge op ad det traditionelle kulturbegreb og de kan derfor ikke få deres forhold til at fungere. Andi bliver hele tiden mindet om, at han er tysker og at tyskerne var de skyldige i 2. 2 Verdenskrig. Andis far har deltaget i krigen, hvilket har stor betydning for Andi, da han skal forholde sig til, at han har en far, som var gerningsmand under krigen, men han er trods det stadig hans far. Både Sarah og hendes familie stiller Andi til ansvar for fortiden, hvilket frustrerer Andi. Han vælger derfor at konvertere til jødedommen og bliver omskåret. Han tror, at alle problemer med kultur og fortid vil blive løst, hvis han har samme kultur som Sarah. Han glemmer blot, at han stadig er tysker og derfor er han ikke som Sarah. Andi indser til sidst, at han må acceptere sin tyske oprindelse og fortiden. Han fortryder det valg, han har taget og forlader Sarah. 3 Inhaltsverzeichnis Einleitung ............................................................................................................................................ 5 Theorie ................................................................................................................................................. 7 Erinnerungskultur ..................................................................................................................................... 7 Kulturelles und kommunikatives Gedächtnis.................................................................................. 7 Kulturelles Gedächtnis .......................................................................................................................................... 8 Kommunikatives Gedächtnis .............................................................................................................................. 8 Generationen................................................................................................................................................ 9 Erste Generation – Primärzeugen .................................................................................................................... 9 Zweite Generation – Sekundärzeugen ............................................................................................................ 9 Dritte Generation – Tertiärzeugen ................................................................................................................ 10 Der veränderte Zugang zu den Deutschen als Opfern ................................................................. 10 Wolfgang Welsch und seine Kulturbegriffe .................................................................................... 11 Der traditionelle Kulturbegriff........................................................................................................................ 11 Interkulturalität .................................................................................................................................................... 12 Multikulturalität ................................................................................................................................................... 12 Transkulturalität .................................................................................................................................................. 13 Schlink und seiner Zugang zu der Bewältigung der Vergangenheit ...................................... 13 Methode ............................................................................................................................................ 16 Analyse .............................................................................................................................................. 17 Resümee der Erzählung ......................................................................................................................... 17 Der Bar-Mizwa von Sarahs Bruders ................................................................................................... 17 Andis Ausflug mit Sarahs Schwester Rachel ................................................................................... 19 Andis Geburtstag ...................................................................................................................................... 20 Die Reise nach Deutschland.................................................................................................................. 22 Die Rückkehr nach New York............................................................................................................... 27 Andis Konvertierung und die Beschneidung .................................................................................. 30 Das Ende....................................................................................................................................................... 31 Zusammenfassung ........................................................................................................................ 33 Literaturverzeichnis..................................................................................................................... 35 Bücher........................................................................................................................................................... 35 Artikel ........................................................................................................................................................... 35 Websites....................................................................................................................................................... 36 4 Einleitung Der Zweite Weltkrieg hat die Gegenwart sehr beeinflusst und spielt immer noch eine große Rolle in der Gegenwart. Der Zweite Weltkrieg hat viele Menschen betroffen und ist immer noch eine Behinderung für sie. Sowohl die Deutschen als auch die Juden müssen nach dem Krieg mit traumatischen Erlebnissen leben. Obwohl die Deutschen auch Opfer während des Krieges waren, dürfen sie nicht darüber sprechen, weil sie die Kriegsschuldigen und damit die Täter des Krieges waren. Deshalb haben die Deutschen ihre traumatischen Erlebnissen geschwiegen: „Dazu gehört, um nur wenige Beispiele zu nennen, das Schweigen über die konkreten Kriegserfahrungen sowie, eng damit verbunden, die Mythisierung des konkreten Kriegserlebnisses“ (Cornelißen 2012: 5). Es ist schwierig für die betreffenden Menschen des Krieges mit den traumatischen Erlebnissen zu leben und sie zu bearbeiten, wenn sie nicht darüber sprechen dürfen. Die Deutschen als Opfer wurden aber doch ein Thema in den 1990er Jahren: „It has often been claimed that until the 1990s there had existed a taboo, or at least strict discursive rules in German public discourse, regarding depictions of ‘German as victims,’ which made it difficult for Germans to remember and mourn their own wartime suffering“ (Schödel 2009: 219). Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Umgang mit der Vergangenheit mit dem Begriff Vergangenheitsbewältigung beschrieben, aber dies hat sich verändert. Nach dem Fall der Mauer 1989 hat sich die Erinnerungsdebatte verändert und der Begriff Erinnerungskultur wurde in die Diskussion eingeführt: „Insgesamt deutet sich inzwischen die Tendenz zu einem zeitlich, räumlich und inhaltlich weit ausgreifenden Verständnis von Erinnerungskulturen an“ (Cornelißen 2012: 5). Die nachfolgenden deutschen Generationen sind auch vom Krieg beeinflusst, weil sie die Kinder der Täter sind. Es gibt deshalb mehrere Probleme im Zusammenleben von Juden und Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie sollen Juden und Deutsche eigentlich miteinander nach dem Krieg weiterleben? Sie haben verschiedene Kulturen, was eine große Rolle spielt. Mehrere Begriffe der Erinnerungskultur sind in diesem Zusammenhang relevant zu beschreiben, weil sie die Probleme und Konflikte erklären können, die auf den Zweiten Weltkrieg folgten. Sowohl das Gedächtnis als auch die Generation sind zentrale Begriffe bei Aleida Assmann, die sich ausführlich mit der Erinnerungskultur beschäftigt hat. (Assmann 2006) 5 Die obenstehenden Probleme nach dem Zweiten Weltkrieg kommen in der Erzählung Die Beschneidung (2000) von Bernhard Schlink zum Ausdruck. Die Erzählung erklärt genau, welche Probleme und Konflikte im Zusammenleben zwischen Juden und Deutschen entstehen. Die Erzählung zeigt auch, welche Probleme es gibt, wenn die Vergangenheit eine Rolle in der Gegenwart spielt. Schlink hat geäußert: „ At beskæftige sig med historie betyder at slå bro mellem fortid og nutid og betragte begge bredder og virke på dem begge“ (Schramm 2003: 279). Das ist genau, was Schlink in der Erzählung Die Beschneidung macht. Der deutsche Schriftsteller Bernhard Schlink wurde 1944 geboren und ist Jurist. Schlink wurde international bekannt, als er im Jahr 1995 den Roman Der Vorleser herausgab. Der Roman wurde in 25 Sprachen übersetzt und wurde 2008 verfilmt. Die Beschneidung ist eine Erzählung im Buch Liebesfluchten, das im Jahr 2000 herausgegeben wurde (Schlink 2000) Das Buch besteht aus sieben Erzählungen, die Männer in der Hauptrolle haben. Die Männer haben alle Beziehungsprobleme und müssen sie lösen. In diesem Projekt sollen die Probleme im Umgang zwischen Juden und Deutschen untersucht werden, wie sie in Bernhard Schlinks Erzählung Die Beschneidung dargestellt werden. Zuerst werden im Theoriekapitel einige Begriffe der Erinnerungskultur beschrieben. Das kulturelle und kommunikative Gedächtnis, samt die drei Generationen der Erinnerungskultur. Diese Begriffe werden beschrieben, um das Benehmen und die Konflikte der Personen in der Erzählung Die Beschneidung zu verstehen. Außerdem wird der Umgang mit den Deutschen als Opfern beschrieben, weil er sich in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Dies wird getan, um zu verstehen, warum Die Beschneidung geschrieben worden ist. Weiter werden verschiedene Zugänge zu dem Kulturbegriff dargestellt, weil Kultur ein zentraler Begriff in der Erzählung ist. Zuletzt wird Bernhard Schlinks Zugang zu der Bewältigung der Vergangenheit dargestellt, weil er wichtige Themen behandelt, die zentral in der Erzählung sind. 6 Theorie In dem Theoriekapitel wird zuerst eine Einleitung der Erinnerungskultur dargestellt und danach werden Begriffe als das kulturelle und das kommunikative Gedächtnis und die drei Generationen der Erinnerungskultur dargestellt. Der veränderte Zugang zu den Deutschen als Opfern wird außerdem dargestellt. Weiter werden verschiedene Zugänge zu dem Kulturbegriff dargestellt und zuletzt wird Bernhard Schlinks Zugang zu der Bewältigung der Vergangenheit dargestellt. Erinnerungskultur Der Begriff Erinnerungskultur wurde in den 1990er Jahren in die deutsche Debatte über Geschichte und Gedächtnis eingeführt. Erinnerungskultur wird „als einen formalen Oberbegriff für alle denkbaren Formen der bewussten Erinnerung an historische Ereignisse, Persönlichkeiten und Prozesse“ (Cornelißen 2012: 1) verstanden. Der Begriff enthält außerdem den geschichtswissenschaftlichen Diskurs als auch private Erinnerungen. Die Träger der Erinnerungskultur sind sowohl Individuen, soziale Gruppen als auch Nationen. Sie können in Übereinstimmung miteinander sein, aber auch gegeneinander (2). Laut des Begriffs sollen alle Formen erinnerter Vergangenheit gleichberechtigt betrachtet werden. Eine zentrale Frage der Erinnerungskultur ist: „Wem gehört die Geschichte? Die Politik gedenkt der Geschichte, die Wissenschaft erforscht sie, die Künste erzählen von ihr und interpretieren sie“ (Braun 2013: 9). Um die Geschichte weiterzugeben, muss sie erinnert werden. Erinnerungsliteratur ist deshalb ein wichtiger Teil der Erinnerungskultur. Erinnerungsliteratur wurde wie Erinnerungskultur einen wichtigen Begriff in den 1990er Jahren: „Es ist auffällig, wie sehr seit den 1990er Jahren der Anspruch gerade von Film und Literatur auf die Deutungshoheit über die Geschichte zugenommen hat“ (9). Erinnerungsliteratur wurde in den 1990er Jahren ein viel diskutierter Begriff, weil sie ein Teil der Erinnerungskultur ist und damit ein Teil der Erinnerungsdebatte war. Kulturelles und kommunikatives Gedächtnis In diesem Kapitel wird das kulturelle und kommunikative Gedächtnis mithilfe Aleida Assmann und Michael Braun dargestellt. 7 Kulturelles Gedächtnis Eine Gesellschaft kann nicht alles Vergangene gegenwärtig erhalten, und so ist ein wichtiger Teil des kulturellen Gedächtnisses das Vergessen, um zu überleben. „Wie im Kopf des Einzelnen muss auch in der Gesellschaft ständig vergessen werden, um sich von schmerzhaften Erfahrungen zu lösen, um Konflikte zu überwinden, um Neuem Platz zu machen und sich den Aufgaben der Gegenwart stellen zu können“ (Assmann 2006: 51). Das kulturelle Gedächtnis ist der Ort, wo ausgewählte Erinnerungen langfristig ausbewahrt werden können, weil nicht alles erinnert werden kann. Es wird als „Sammelbegriff für den jeder Gesellschaft und jeder Epoche eigentümlichen Bestand an Wiedergebrauchstexten, Bildern und –Riten“ (Mayer) bezeichnet. Es ist ein materieller Träger, transgenerationell und entfristet1 (Assmann 2006: 54). Das kulturelle Gedächtnis kann sowohl mündlich als auch schriftlich weitergegeben werden, außerdem kann es auch ein physisches Ding sein, z.B. ein Monument (54). Es ist alltagsfern und umfasst eine längere Zeitspanne. „Das kulturelle Gedächtnis ist die Voraussetzung für überlebenszeitliche Kommunikation und mit ihr die Möglichkeit für kontinuierliche Selbst- und Fremdbegegnungen von Menschen im geschichtlichen Wandel der Zeit“ (61). Die Geschichte und damit auch die Folgen des Zweiten Weltkrieges werden versichert (Braun 2013: 33). Kommunikatives Gedächtnis Der Begriff kommunikatives Gedächtnis bezeichnet die mündliche Weitergabe von persönlichen Erfahrungen und umfasst eine Zeitspanne von etwa 80 Jahren, damit drei oder vier Generationen. „Die persönliche Erinnerung gehört zum kommunikativen Gedächtnis und wird in der Erzählgemeinschaft von drei Generationen tradiert“ (Braun 2013: 33). Nach etwa 40 Jahren erlebt das kommunikative Gedächtnis einen Höhepunkt, weil die Primärzeugen ein Alter erreichen, in dem sie sich wieder mit ihren Erinnerungen und ihrer Geschichte beschäftigen möchten. Die verbalen Erzählungen sind veränderbar und alltagsnah. Es ist auch gruppengebunden (Mayer). „Das Band, das die auseinanderlaufenden Erinnerungen der Generationen zusammenhält, ist das kommunikative Gedächtnis.“ (Braun 2013: 47) Entfristen: nicht (mehr) mit einer bestimmten Frist belegen, von einer Befristung lösen: Tarifverträge. Der Dudenredaktion (Hrsg.), Duden Deutsches Universalwörterbuch, 7., überarbeitete Auflage. Dudenverlag; 2011. 517 1 8 Generationen In diesem Kapitel werden die Generationen der Erinnerungskultur mithilfe Aleida Assmann und Michael Braun dargestellt. Außerdem wird ein Artikel von Per Øhrgaard verwendet. Erste Generation – Primärzeugen Die Primärzeugen werden auch als Zeitzeugen bezeichnet, weil sie das Erinnerte, in diesem Fall den Zweiten Weltkrieg, erlebt haben. Ihre Erinnerungen sind Zeugnisse der Zeit. Sie sind selbst Täter oder Opfer des Krieges gewesen. Es ist kein Zufall, dass am Anfang des 21. Jahrhunderts viele Erinnerungswerke entstanden. Die Primärzeugen von Krieg und Holocaust, Flucht und Vertreibung sterben langsam aus, deshalb müssen ihre Erinnerungen niedergeschrieben werden. Sie sollen ihre individuellen Erfahrungen und Erinnerungen überliefern (Braun 2013: 17). Die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg wurden erst Jahrzehnte nach seinem Ende 1945 akzeptiert. Obwohl viele ihre Erinnerungen niederschrieben und erschienen, wurden sie oft nicht gut empfangen. Die Erinnerungen wurden sozusagen verschwiegen. Dies wurde getan, „um die Entwicklung eines neuen Lebens und einer neuen Identität nicht zu gefährden“ (Assmann 2006: 98). Das Ziel nach dem Krieg war natürlich ein neues Leben aufzubauen und deshalb mussten die Erinnerungen vergessen werden. Die Erinnerungen wurden auch vergessen, um die Schuld nicht zu erinnern. Diese Generation war nach dem Krieg traumatisiert und wollte vergessen, aber Jahre später wollte sie von den Erfahrungen des Krieges berichten (Braun 2013: 45-46). Zweite Generation – Sekundärzeugen Die Sekundärzeugen der Erinnerungskultur werden auch als die 1968er Generation bezeichnet. Die Sekundärzeugen haben nicht selbst den Zweiten Weltkrieg erlebt, aber sie können mit den Primärzeugen sprechen. Sekundärzeugen sind oft kritisch: „weil sie erst in der Vermittlung des Zeugnisses, das heißt in der Kritik der Erinnerung und im Dialoge zwischen den Generationen, beglaubigt wird“ (Braun 2013: 20). Die Sekundärzeugen sind Kinder der Primärzeugen und denken, dass ihre Eltern ihre Verantwortung für den Krieg übernehmen sollen. Sie sind sehr kritisch gegenüber deren Erinnerungen: „Die Söhne konnten nicht verstehen, warum der gute Vater ein Nazi und ein Mörder gewesen sein sollte. Diese Generation war erinnerungsversessen. Sie wollte die Vergangenheit ‚aufarbeiten’ und war mit einem schlechten Gewissen und einem guten Gedächtnis ausgestattet“ (25-26). Diese Generation war nach dem Krieg sehr verurteilend und die 9 Deutschen wurden nur als Täter gesehen. Die Vergangenheit wurde tabuisiert, um sie zu vermeiden (Assmann 2006: 99). Diese Generation vermeidet die Vergangenheit, weil sie die kollektive Schuld vermeiden will, sie müssen aber doch mit der kollektiven Schuld leben. Objektiv haben diese Generation nichts mit den Verbrechen des Zweiten Weltkrieges zu tun, aber sie müssen trotzdem mit einem Schuldgefühl leben. (Øhrgaard 2003: 238) Dritte Generation – Tertiärzeugen Die dritte Generation, wird auch Tertiärzeugen von Braun genannt, kennen die Geschichte und damit den Zweiten Weltkrieg vom Hörensagen, aus dem Schulunterricht, aus Büchern, Filmen und aus dem Fernsehen. Sie haben keine Schuld, aber sie sind Mitwisser und damit haben sie auch eine Verantwortung gegenüber der Geschichte (Braun 2013: 26). Sie wollen die Geschichte erkunden. Die Tertiärzeugen sind die Enkelkinder der Primärzeugen und sind bereit, die Erfahrungen und Erinnerungen zu akzeptieren. Die Erinnerungen ihrer Großeltern sind aber anders als das Wissen, welches sie in der Schule und aus Geschichtsbüchern erfahren haben (26). Die Großeltern können über Episoden des Zweiten Weltkrieges berichten, die sie erlebt haben. Sie waren da während des Krieges. Die Bücher berichten nur von oberflächlichen Episoden, wo dagegen die Großeltern von ihren eigenen Erlebnissen erzählen können. Die Erlebnisse der Großeltern enthalten Gefühle. Diese Generation möchte sich mit der Geschichte beschäftigen und die Deutschen wurden auch als Opfer gesehen. Die Deutschen als Opfer zu zeigen, war lange Zeit schwierig, weil sie die Kriegsschuldigen, die Täter, waren. Der veränderte Zugang zu den Deutschen als Opfern Die Deutschen als Opfer waren nach dem Zweiten Weltkrieg ein großes Tabu und deshalb war es schwierig für die Deutschen die grausamen Erlebnissen des Krieges zu bearbeiten (Schödel 2009: 219). Als der Begriff Erinnerungskultur in den 1990er Jahren ein zentrales Thema wurde, wurden die Deutschen als Opfer auch ein zentrales Thema und mehrere Debatten entstanden darüber: „In diesem Erinnerungswettbewerb gibt es eine Reihe von Debatten, die nach 1989/90 mit wachsender Polarisierungskraft über den vermeintlich richtigen oder falschen Umgang mit der Vergangenheit geführt wurden“ (Braun 2013: 18). Eine der Debatten stellte genau die Deutschen als Opfer dar. Mehrere Schriftsteller stellten die Deutschen als Opfer dar und diskutierten die Vergangenheit. Der deutsche Schriftsteller Günter Grass stellt die Deutschen als Opfer dar, außerdem zeigt er auch, wie die 10 Vergangenheit die Gegenwart beeinflusst und welche Probleme die Vergangenheit gibt. Grass war von dem Schriftsteller Winfried Georg Sebald inspiriert. Sebald äußerte Ende der neunziger Jahre: Flucht und Vertreibung, Bombenkrieg und Luftkrieg hätten keine Rolle im literarischen Erinnerungsdiskurs gespielt; die wenigen Werke, die Flüchtlingsleid und Luftkriegsopfer behandeln, seien mehr oder mindre radikal ’aus dem kulturellen Gedächtnis ausgeschlossen’ worden“ (45-46). Beim Nobelpreisträgertreffen in Vilnius im Jahre 2000 wies Grass auf Sebalds Äußerung hin und fügte hinzu: „’wie spät und noch immer zögerlich an die Leiden erinnert wird, die während des Krieges den Deutschen zugefügt wurden’“ (46). Im Roman Im Krebsgang (2002) von Grass stellt er dar, wie eine große Schiffskatastrophe Ende des Zweiten Weltkrieges die Gegenwart beeinflusst (Grass 2011). Er zeigt wie die Katastrophe die drei Generationen der Erinnerungskultur beeinflusst und wie sie sich auf die Vergangenheit reagieren. Diese Katastrophe zeigt, dass auch die Deutschen Opfer während des Zweiten Weltkrieges waren. Das Schiff war mit deutschen Kindern, Frauen und Alten erfüllt. Grass versucht in seiner Novelle mit diesem Tabu in der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg zu brechen. Wolfgang Welsch und seine Kulturbegriffe Wolfgang Welsch ein deutscher Philosoph erklärt in seiner Arbeit „Transkulturalität“ verschiedene Zugänge zu dem Kulturbegriff. Dies wird im Folgenden dargestellt. Die heutigen Kulturen sind nicht wie früher geschlossen, sondern haben sie grenzüberschreitende Konturen: „Das Konzept der Transkulturalität beschreibt diese Veränderung“ (Welsch 1995: 1). Der traditionelle Kulturbegriff Der traditionelle Kulturbegriff wurde erstmals 1684 von dem Naturrechtslehrer Samuel von Pufendorf verwendet. Pufendorf meinte, dass Kultur nur Tätigkeiten eines Volkes, einer Gesellschaft oder einer Nation umfasste (Welsch 1995: 1). Hundert Jahre später kommt der deutsche Philosoph Johann Gottfried Herder mit seinem Zugang zu dem Kulturbegriff. Sein Kulturbegriff ist durch drei Momente charakterisiert: 11 Die Kultur soll erstens das Leben der jeweiligen Gesellschaft im ganzen wie im einzelnen prägen, sie soll jede Handlung und jeden Gegenstand zu einem unverwechselbaren Bestandteil gerade dieser Kultur machen. Sie soll zweitens die Kultur eines bestimmten Volkes sein, das auf dem Weg der Kultur sein spezifisches Wesen zur Entfaltung bringt. Damit ist drittens eine Abgrenzung nach außen verbunden: Jede Kultur soll als Kultur eines bestimmten Volkes von den Kulturen anderer Völker spezifisch unterschieden sein und bleiben (1). Herder beschreibt Kulturen als Kugeln, die genau separatistisch leben sollen. Dieser Kulturbegriff ist heute nicht haltbar, weil Gesellschaften differenziert sind. Moderne Gesellschaften sind multikulturell und enthalten verschiedene Lebensstile. Es gibt mehrere Kulturen in einer Gesellschaft. Es ist schwierig eine Kultur in einer Gesellschaft abzugrenzen, weil es zu Problemen führt, z.B. Kriege. Deshalb ist der traditionelle Kulturbegriff unfähig. Interkulturalität Das Konzept der Interkulturalität ist zu ergänzen, welche problematischen Folgen der traditionelle Kulturbegriff hat, aber es versucht nicht, der traditionelle Kulturbegriff zu überwinden. Es weist darauf hin, dass Kulturen, die wie Kugeln beschrieben werden, nicht einander verstehen können, sondern versuchen sie einander zu bekämpfen (Welsch 1995: 1). Das Konzept der Interkulturalität wünscht, dass Kulturen miteinander kommunizieren, einander verstehen und anerkennen können. Welsch meint aber doch, dass das Konzept ergebnislos und kosmetisch ist, weil das Konzept versäumt, die Wurzel des Problems anzugehen. Multikulturalität Das Konzept der Multikulturalität bemüht sich Toleranz, Verständigung, Akzeptanz und Konfliktvermeidung zu erzielen. Das Konzept versucht sich aber nicht vom traditionellen Kulturbegriff zu distanzieren. Das Konzept ist zwar gegenüber konservativen Forderungen nach gesellschaftlicher Homogenität progressiv, in seinem Kulturverständnis aber ist es traditionell und droht, regressiven Tendenzen Vorschub zu leisten. Sie führen unter Berufung auf kulturelle Identität zu Gettoisierung und Kulturfundamentalismus (Welsch 1995: 2). 12 Welsch kritisiert sowohl das Konzept der Interkulturalität als auch der Multikulturalität, weil Kulturen heute nicht als Kugeln beschrieben werden können. Transkulturalität Dass Kulturen nicht als Kugeln beschrieben werden können, ist der Ausgangspunkt des Konzepts der Transkulturalität. Kulturen sind dagegen durch eine Pluralisierung gekennzeichnet und sind von grenzüberschreitenden Konturen geprägt (Welsch 1995: 2). Das Konzept der Transkulturalität nimmt Rücksicht darauf, dass der Kulturbegriff sich verändert hat und versucht sich diese Veränderungen einzuordnen. Moderne Kulturen bestehen von unterschiedlichen Lebensformen und Lebensstilen. „Die Kulturen sind hochgradig miteinander verflochten und durchdringen einander. Die Lebensformen enden nicht mehr an den Grenzen der Nationalkulturen, sondern überschreiten diese und finden sich ebenso in anderen Kulturen“ (2). Kulturen überschreiten einander wegen Migrationsprozessen und neuen Kommunikationssystemen. Alle Informationen sind immer zugänglich und das Fremde gibt es im Grunde nicht mehr. Statt separierten Einzelkulturen ist eine Globalkultur entstanden, die sämtliche Nationalkulturen verbindet (3). Obwohl das Konzept der Transkulturalität nicht Kulturen als separatistische Kugeln sieht, sondern als Instanzen, die zusammenarbeiten können, verschwinden die Unterschiede nicht, aber die Verständnismöglichkeiten nehmen zu. Welsch meint: „Gewiß enthält dieses Konzept Zumutungen gegenüber liebgewonnenen Gewohnheiten – wie die heutige Wirklichkeit überhaupt. Im Vergleich zu anderen Konzepten skizziert es aber den am ehesten gangbaren Weg“ (4). Welsch akzeptiert, dass es andere Zugänge gibt, er meint aber, dass das Konzept der Transkulturalität die heutigen Kulturen am besten beschreibt. Schlink und seiner Zugang zu der Bewältigung der Vergangenheit Die Auffassung vom Vergangenen und wie es hantiert werden soll, ist sehr verschieden und hängt davon ab, wer gefragt wird. Schlick hat seine Meinung zu dem Vergangenen geäußert und in diesem Kapitel wird seine Position dargestellt. Schlink distanziert sich vom Begriff der Vergangenheitsbewältigung: Was vergangen ist, kann nicht bewältigt werden. Es kann erinnert, vergessen oder verdrängt werden. Es kann gerächt, bestraft, gesühnt und bereut 13 werden. Es kann wiederholt werden, bewußt oder unbewußt. Es kann in seinen Folgen betroffen werden, so daß es sich auf Gegenwart oder Zukunft nicht oder nicht in bestimmter Weise oder gerade in bestimmter Weise auswirkt. Aber was geschehen ist, ist geschehen. Das Vergangene ist unerreichbar und unveränderbar (Schlink 1998: 433). Das heißt, dass das Vergangene nicht erledigt werden kann. Es wirkt weiter fort. Er meint, dass der Begriff Vergangenheitsbewältigung entstanden ist, um das Vergangene in Ordnung zu bringen und zu verhindern, dass die Erinnerung die Gegenwart lastet. Er weist zu der Pointe des Römischen Rechts hin, um diese Äußerung zu wiederlegen: „Seine rechtsphilosophische Bedeutung ist, daß wir in der Gegenwart und in die Zukunft leben, nicht in der oder in die Vergangenheit, und daß auch das Recht nicht das vergangene, sondern nur das gegenwärtige und zukünftige Leben gestalten und in Ordnung bringen kann“ (433). Schlink meint damit, dass der Begriff Vergangenheitsbewältigung unbrauchbar ist, weil das Vergangene nicht durch Recht in Ordnung gebracht werden kann. Laut des Römischen Rechts soll das Vergangene abgeschlossen sein. Das Vergangene kann nicht durch Rechtsprechung verändert oder verbessert werden. Dies wird in Schlinks Roman Der Vorleser angedeutet, wo der Leser die frühere KZ-Wärterin Hanna Schmitz in einem Kriegsverbrecherprozess folgt. Hanna wird in diesem Prozess verurteilt. Obwohl Hanna verurteilt wird, ist das Vergangene nicht verändert oder verbessert. Obwohl die Schuldigen im Zweiten Weltkrieg gestraft werden, kann dies auch nicht das Vergangene bewältigt. Das Vergangene bleibt unverändert. Schlink schreib: „Aber auch eine vergangene unzulängliche Strafverfolgung kann nicht bewältigt werden“ (434). Die Strafverfolgung ändert nichts. Das Recht kann das Erinnern, das Vergessen und das Verdrängen unterstützen. Schlink unterscheidet zwischen dem Vergangenen und der Vergangenheit: „Vergangenheit ist nicht das Vergangene, sondern dessen Konstruktion derart, daß seine Integration in die individuelle oder kollektive Biographie gelingt“ (435). Die Vergangenheit ist ein Konstrukt und kann bewältigt werden, aber das kann das Vergangene nicht. Um zu vermeiden, dass das Vergangene die Gegenwart zerstört, muss es in die Vergangenheit integriert werden. Schlink sagt über kollektive Schuld: „Kollektivschuld ist nicht eine Befindlichkeit einer Gemeinschaft, wie Krankheit eine Befindlichkeit eines Körpers ist; Schuld wird nicht von den kranken, schuldigen Teilen der Gemeinschaft auf die gesunden übertragen wie ein Bazillus und nicht von der einen Generation auf die nächste vererbt wie ein Gen“ (437). Er meint 14 dagegen: „Die Vorstellung einer Kollektivschuld kann sinnvoll nur meinen, daß eine Gemeinschaft dadurch, daß sie mit den Tätern eines Verbrechens Solidarität übt, auch an deren Schuld teilhat und gegenüber den Opfern des Verbrechens Verantwortung übernimmt“ (437). Schlink beschreibt auch kollektive Schuld als „’en realitet, vi måtte leve med’“ (Schramm 2003: 282). Er meint eigentlich, dass die nachfolgenden deutschen Generationen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht eine kollektive Schuld haben, weil sie Kinder der Teilgenommenden sind, sondern weil sie Verantwortung gegenüber die Opfer im Krieg übernehmen. Die Täter nach dem Zweiten Weltkrieg wurden immer noch als Eltern akzeptiert und dies hat die zweite Genration in Verbrechen und Schuld des Krieges verstrickt (Schlink 1998: 437). Schlink argumentiert dafür, dass Eltern, die die Vergangenheit verdrängen und ihre Täterund Schuldrolle verschweigen, ihre Individualität nicht leben und ihren Kindern nicht mit Offenheit und Vertrauen begegnen. Deshalb lernen die Kinder nicht Offenheit und Vertrauen und sie können nicht eine kraftvolle, kompromiss- und widerstandsfähige Individualität entwickeln (439). Dem Recht wohnt beides inne: das Erinnern und das Vergessen. Es verlangt, daß Täter an ihrer Schuld festgehalten werden und für ihre Schuld einstehen und daß mit ihrer Bestrafung ein Zeichen dafür gesetzt wird, daß Vergleichbares nicht geschehen darf, dass es nicht hingenommen, ihm vielmehr entgegentreten wird. Zugleich verlangt es, daß Vergangenes abgeschlossen und erledigt sein soll (441). Schlink meint aber nicht, dass dies den Konflikt mit der Vergangenheit löst. Er meint dagegen, dass Schuldspruch und Bestrafung in der Gegenwart geschehen. Das Vergangene kann nicht, laut Schlink abgeschlossen werden. Schlink sieht es als ein Problem, dass die Täter der nationalsozialistischen Vergangenheit nicht bestraft wurden, weil ihre Taten dann nicht strafbar waren (443). Die Täter halten sich deshalb nicht für schuldig. Das Problem liegt darin, dass ihre Taten damals nicht strafbar waren, aber heute sind sie es. 15 Methode Angesichts der behandelten theoretischen Begriffe im Theoriekapitel wird in diesem Kapitel meine Methode dieses Projekts dargestellt. Es wird beschrieben, wie die theoretischen Begriffe in dem Analysekapitel verwendet werden. Folgende theoretische Begriffe werden als Analysedimensionen verwendet: das kulturelle Gedächtnis, das kommunikative Gedächtnis, die drei Generationen der Erinnerungskultur, der veränderte Zugang zu den Deutschen als Opfern, Wolfgang Welsch und seine verschiedenen Zugänge zu dem Kulturbegriff und zuletzt Bernhard Schlink und seiner Zugang zu der Bewältigung der Vergangenheit. Die Analyse dieses Projekts ist eine chronologische Behandlung der einzelnen Kapitel, wo wichtige Episoden mithilfe von den theoretischen Begriffen untersucht werden. In der Erzählung Die Beschneidung gibt es meiner Ansicht nach sieben relevanten Episoden, die in Verbindung mit den theoretischen Begriffen gesetzt werden können. Die ausgewählten Episoden sind: der Bar-Mizwa von Sarahs Bruders, Andis Ausflug mit Sarahs Schwester Rachel, Andis Geburtstag, die Reise nach Deutschland, wo Andi und Sarah Andis Familie, Berlin und ein KZ-Lager in Oranienburg besuchen, die Rückkehr nach New York, wo Andi und Sarah mehrere Themen diskutieren, Andis Konvertierung zum Judentum und seine Beschneidung und zuletzt das Ende der Erzählung. Die Analyse fängt mit einem Resümee der Erzählung an, um einen Einblick in die Handlung der Erzählung zu gewinnen. 16 Analyse In diesem Kapitel werden die relevanten Episoden der Erzählung chronologisch analysiert und die theoretischen Begriffe werden pointiert. Zuerst ein Resümee der Erzählung. Resümee der Erzählung Im Mittelpunkt der Erzählung Die Bescheidung steht ein Liebespaar. Sarah ist eine amerikanische Jüdin und Andi ist ein Deutscher. Sarah und Andi treffen sich in New York, wo Sarah wohnt und Andi seine juristische Doktorarbeit schreibt. Seine Arbeit handelt von den Rechts- und Ordnungsvorstellungen in amerikanischen utopischen Projekten. Sarah arbeitet am Programm eines Computerspiels. Sarah und Andi haben schon am Anfang ihres Verhältnisses Probleme. Sowohl ihre verschiedenen Kulturen als auch die nationalsozialistische Vergangenheit sind eine Behinderung für sie. Z.B. als sie zum BarMizwa von Sarahs Bruders sind, weil Andi Sarahs Familie treffen soll. Ihre verschiedenen Kulturen sind auch ein Problem, als sie in Deutschland sind, um Andis Familie zu treffen. Im Laufe der Erzählung kommen Andis Überlegungen und Gedanken zu seiner Nationalität und wie er sich verändert zum Ausdruck. Die Verschiedenheiten und die Vergangenheit führen oft zu Streiten zwischen Andi und Sarah und Andi möchte diese Streite vermeiden und denkt, dass sie nicht zusammenbleiben können, wenn sie in zwei verschiedenen Kulturen leben. Andi entschließt sich deshalb dafür, zum Judentum zu konvertieren und am Ende lässt Andi sich bescheiden. Die Konvertierung und die Beschneidung macht aber nicht Andi glücklich und am Ende verlässt Andi Sarah. Der Bar-Mizwa von Sarahs Bruders Zum Bar-Mizwa von Sarahs Bruders fühlt Andi sich zusammen mit Sarahs Familie nicht geborgen. Er will nicht allein mit ihr sein: „Andi wünschte, Sarah käme wieder und sie könnten gehen“ (Schlink 2000: 199). Er findet Sarahs Familie freundlich, er ist aber sehr nervös und unsicher, weil er weiß, dass sie aus zwei verschiedenen Kulturen kommen. In seinen Überlegungen spielt es eine große Rolle, dass er aus der Nation der Täter kommt und Sarah und ihre Familie aus der Gruppe der Opfer kommen. Er macht sich viele Gedanken, wenn er mit Sarahs Familie spricht: „Die falschen Worte und falschen Gesten zu vermeiden war anstrengend“ (200). Sarahs Onkel Aaron spricht sehr viel von der schwierigen Vergangenheit ihrer Vorfahren, wenn er mit Andi spricht. Er will, dass Andi viel von der 17 Vergangenheit der Juden und der Familiengeschichte erfährt (201-202). Andi denkt darüber, ob er ein falsches Wort sagt, das alles zerstören würde, als er mit Onkel Aaron über die Familiengeschichte spricht: „’Oh, die Liebe schlägt die Börse.’ Einen Moment hatte Andi Angst, seine Bemerkung sei zu keck“ (202). Er will Sarahs Familie nicht beleidigen. Er ist sich im Klaren darüber, dass er als Deutscher eine belastende Vergangenheit hat und deshalb wollen viele Leute und damit auch Sarahs Familie ihn verurteilen. Im Gespräch zwischen Onkel Aaron und Andi fragt Onkel Aaron, was Andis Vater im Krieg gemacht hat. Andi antwortet, aber als er sagt, dass sein Vater Soldat während des Krieges war, will Onkel Aaron in die Synagoge gehen und deshalb hört Onkel Aaron nichts von Andis Familiengeschichte (203). Onkel Aaron unterstreicht weiter, als er vom Bar-Mizwa von Sarahs Bruders spricht, dass die Juden zusammenhalten müssen: „’Er darf nicht verlorengehen. Keiner darf mehr verlorengehen’“ (204). Er meint, dass Juden nicht zu anderen Religionen konvertieren dürfen. Während des Heimwegs nach Hause, sprechen Andi und Sarah über das Gespräch zwischen Andi und Onkel Aaron, weil Andi nicht versteht, warum Onkel Aaron ihm die Familiengeschichte erzählt hat: „’Warum hat Onkel Aaron mir eure Familiengeschichte erzählt? Ich fand sie interessant, aber ich hatte nicht das Gefühl, daß er sie mir deswegen erzählt hat’“ (204). Andi hat ganz bestimmte Vermutungen, was Sarah irritiert: „’Sondern? Warum hat er sie dir erzählt?’“ (204). Kleine Diskussionen und Streite entstehen oft, wenn Andi und Sarah miteinander sprechen, weil sie ihre Kulturen als zwei Instanzen sehen, die nicht zusammenarbeiten können. Sie lassen ihre zwei Kulturen nicht zusammenarbeiten, aber versuchen dagegen sie zu trennen. Ihr Benehmen kann mit dem traditionellen Kulturbegriff erklärt werden, weil er auch Kulturen als zwei Instanzen sieht. Sarahs Onkel Josef und Tante Leah sind Überlebende des Holocausts und sie repräsentieren damit die erste Generation der Erinnerungskultur. Sie haben die Grausamkeiten der Vergangenheit überlebt. Andi weiß deshalb auch, dass es für sie schwierig ist, freundlich gegenüber ihm zu sein, weil sie Opfer des Holocausts sind und Andi ist Deutscher und kommt damit aus der Nation der Täter (205). Andis Herkunft ist wirklich eine Behinderung für ihn, wenn er mit Sarahs Familie zusammen ist. Andi macht sich weitere Gedanken darüber, warum Onkel Aaron nichts von seiner Familiengeschichte wissen wollte. Sarah macht sich aber keine großen Gedanken darüber. Sie meint: „’Was sollen sie dich mit deiner Geschichte plagen? Daß du Deutscher bist, wissen 18 sie’“ (206). Sie tritt ein bisschen rücksichtslos auf, weil Andis Familiengeschichte nicht auf seine deutsche Herkunft reduziert werden kann. Andi fühlt auch in diesem Zusammenhang, dass seine Familiengeschichte gleichgültig für Sarah und ihre Familie ist: „Angesichts dessen ist alles weitere irrelevant? Aber er dachte es nur, er fragte es nicht“ (206). Um eine Diskussion mit Sarah zu vermeiden, sagt er nichts. Er mag nicht, wenn sie sich streiten und er denkt viel darüber nach: „Er dachte an ihren Streit. Es war das erste Mal gewesen, daß sie miteinander gestritten hatten“ (206). Er kann kleine Streite nicht vergessen. Sowohl der traditionelle Kulturbegriff als auch die erste Generation der Erinnerungskultur kommen in dieser Episode zum Ausdruck. Andis Ausflug mit Sarahs Schwester Rachel Andi und Sarahs Schwester Rachel machen eine Fahrt zusammen, um einander kennenzulernen. Rachel fragt über Andis und Sarahs Verhältnis und sie erzählt auch sehr viel von ihrer Familie. Sie erzählt von ihrem Mann, ihren Kindern, ihrer Schwiegermutter und ihrem Schwiegervater und Andi hört zu. Andi erzählt Rachel von seiner Kindheit in Deutschland und wie er aufgewachsen ist (Schlink 2000: 208). Zuerst scheint alles friedlich und dann kommt ein Thema im Gespräch, das alles zerstört. Sie sprechen darüber, was das Schlimmste für ihre Kinder wäre. Als sie darüber sprechen, fahren sie an einem Ort vorbei, der ihre verschiedenen Haltungen symbolisiert: „Die Stelle, die sie passierten, als ihre Antwort kam, prägte sich ihm dagegen deutlich ein. Von der Straße, die dem Ufer in Kurven folgte, zweigte links eine andere Straße ab, die auf einer langen Brücke über den Fluß führte“ (209). Andi beantwortet die Frage, wie die meisten Eltern sie beantworten würden, nämlich dass er Drogen auf dem College fürchtet. Aber Rachel beantwortet die Frage so: „’Das Schlimmste wäre, wenn die Buben einmal eine Frau heiraten würden, die nicht Jüdin ist’“ (210). Sie könnte sich damit nicht versöhnen, wenn ihre Jungen ohne die jüdischen Traditionen leben würden. Rachel tritt sehr unsensibel auf, wenn sie dies sagt, weil Andi nicht Jude ist, aber er ist zusammen mit Rachels jüdischer Schwester. Andi wird auch schweigsam, als Rachel dies sagt und denkt gleich an das Verhältnis zwischen ihm und Sarah. Rachel sagt indirekt, dass eine Ehe zwischen Andi und Sarah nicht möglich ist wegen ihrer verschiedenen Hintergründe. Wie Onkel Aaron sagt Rachel, dass die Juden zusammenhalten müssen: „’Wir können niemanden verlieren’“ (211). Es ist wichtig für Rachel, dass ihre Religion weitergeführt wird: „’Ich will, daß meine lebt und meine Familie mit ihr und in ihr’“ (212). Sarah ist Anhänger des traditionellen Kulturbegriffs. Sie will nicht, dass ihre Kultur mit 19 anderen Kulturen vermischt wird. Sie will, dass ihre Kultur separat bleibt. Diese Position entspricht einem traditionellen Kulturbegriff, der ursprünglich auf Johann Gottfried Herder zurückgeht. Andis Geburtstag Es ist nicht nur Andi, der sich Gedanken über den Kulturunterschied zwischen ihm und Sarah macht, Sarah macht sich auch Gedanken darüber: „’Wir kommen aus zwei verschiedenen Kulturen, wir sprechen zwei verschiedene Sprachen, auch wenn du aus deiner gut in meine übersetzt, wir leben in zwei verschiedenen Welten - wenn wir aufhören, miteinander zu reden, treiben wir auseinander“ (Schlink 2000: 213). Sarah meint, dass das Wichtigste in ihrem Verhältnis ist, dass sie miteinander reden können. Sie weiß schon am Anfang, dass ihr Verhältnis wegen ihrer verschiedenen Kulturen schwierig wird. Obwohl Sarah meint, dass es wichtig ist, dass sie miteinander reden, müssen sie aufpassen, was sie sagen und wie sie es sagen. Sie haben deshalb verschiedene Weisen miteinander zu reden, um Konflikte zu vermeiden: Die eine war leicht und schnell und ging, weil manchmal unbedacht, nicht ohne Korrekturen, Verletzungen und Entschuldigungen ab. Aber es blieb nichts zurück. Die andere war langsam und behutsam. Wenn sie auf ihre verschiedenen Religionen zu sprechen kamen oder das Deutsche in seiner Welt und das Jüdische in ihrer, paßten sie auf, daß sie einander nicht in Frage stellten (213). Sie wissen beide, dass ihre verschiedenen Kulturen ein Problem für ihr Verhältnis sind. Es kommt zum Ausdruck, dass sowohl Andi als auch Sarah eher einen traditionellen Kulturbegriff haben, weil sie nicht ihre zwei Kulturen zu mischen versuchen. Sie finden sich damit ab, dass sie in zwei verschiedenen Kulturen leben und versuchen damit die Probleme zu vermeiden statt sie zu lösen. Sie sehen nicht, dass Kulturen grenzüberschreitend sein können wie das Konzept der Transkulturalität beinhalt. Das Konzept der Transkulturalität ist auch, dass Kulturen zusammenarbeiten können, aber das ist keine Möglichkeit für Sarah und Andi, sondern dagegen gehen sie davon aus, dass sie zwei völlig voneinander separaten Kulturen angehören. Laut des Konzepts der Transkulturalität wären die Verständnismöglichkeiten größer, wenn die zwei Kulturen zusammenarbeiten würden. 20 Obwohl Sarah und Andi ihre jeweiligen Kulturen voneinander separat halten, interessiert Andi sich für Sarahs Kultur: „Wenn er mit ihr in die Synagoge ging, fand er es eindrucksvoll; wenn er mit ihr einen Vortrag über Chassidismus hörte, fand er es interessant; wenn er mit ihr am Freitagabend bei ihren Eltern war, fand er es schön. Er ging wirklich gern mit; er wollte ihre Welt kennenlernen“ (213). Andi ist mit dieser Äußerung auch Anhänger des Konzepts der Interkulturalität, weil er versucht Sarahs Kultur zu verstehen und anzuerkennen. Die Kulturen sind aber doch voneinander getrennt. Dass er nicht Anhänger der Transkulturalität ist, kommt bei diesem Zitat zum Ausdruck: „Was ihn befremdete, verschwieg er nicht nur ihr, sondern sich selbst; er gestand es sich nicht ein“ (213). Er versucht also nicht eine Brücke zwischen den beiden Kulturen zu bauen, er versucht aber Sarahs zu verstehen und anzuerkennen. Nicht nur zwischen Andi und Sarah entstehen Konflikte und Missverständnisse. Zu Andis Geburtstag wird es klar, dass es auch Konflikte und Missverstände zwischen der deutschen und der amerikanischen Kultur entstehen können. Andi und seine amerikanischen Freunde verhalten sich verschieden zu ethnischen Witzeleien. Sie diskutieren, welche Bedeutung der Begriff „Bis zur Vergasung“ (214) hat. Einer der amerikanischen Freunde meint: „’Die Deutschen sagen, wenn sie von etwas genug haben, daß sie es vergasen? Und wenn sie von Menschen genug haben?’“ (215). Der amerikanische Freund verweist auf die nationalsozialistische Vergangenheit und erwartet, dass Andi die Frage beantworten kann, weil er Deutscher ist. Andi gibt ihm eine Antwort, aber sie hat nichts mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zu tun: ’Bis man nicht mehr kann – es geht darum, daß man etwas tut, bis man nicht mehr kann. Bis man kotzt, weil man nicht mehr essen kann, bis man stirbt, durch Gas stirbt, weil man mit dem Leben nicht mehr zurechtkommt. Es geht um einen selbst, nicht um etwas, was man einem anderen antut’ (215). Sarah erwähnt nach dem Geburtstag, als sie mit Andi spricht: „’Mein treuer kleiner Soldat, warum kämpfst du für etwas, das du selbst nicht gut findest? Du schuldest niemandem die Verteidigung bösartiger ethnischer Witzeleien. Die Vergasung, die jüdische Hast – es kränkt einfach’“ (216). Wenn Sarah dies sagt, ist sie mit Schlink und seiner Haltung zu der kollektiven Schuld einig. Schlink sagt, dass die Kinder der Täter nicht die Schuld für die Taten ihrer Eltern übernehmen sollen. Andi soll nicht die Taten der Täter des Zweiten Weltkrieges verteidigen, weil er kein Teil dieser Taten war. 21 In diese Episode sind der traditionelle Kulturbegriff, Interkulturalität und Schlinks Erklärung zu der kollektiven Schuld deutlich. Die Reise nach Deutschland Andi und Sarah reisen nach Deutschland, um Andis Familie in Heidelberg, Berlin und das KZLager in Oranienburg zu besuchen. Es ist deutlich, dass die Reise nach Deutschland Andi sehr froh macht und dass er stolz auf seine Herkunft ist: „Andi zeigte ihr alles mit kindlichem Eifer: die Allee des Brühler Schlosses, die Insel Nonnenwerth, die Loreley und die Pfalz bei Kaub.“ (Schlink 2000: 219). Als sie durch Deutschland fahren, bekommt Andi ein Gefühl von Heimweh: „Als der Zug in die Rheinebene bog, wurde ihm heimatlich und wehmütig ums Herz. Die weite Ebene, die Berge im Osten und im Westen, die roten Sandsteinbrüche, als der Zug von Mannheim auf Heidelberg zufuhr – da kam er her, und da gehörte er hin“ (219). Andi sehnt sich nach Deutschland und seiner Heimat, weil er sich hier zuhause fühlt. In New York wird er oft mit Vorurteilen getroffen, weil er Deutscher ist. Er muss sich immer wieder verteidigen, wenn er mit seinen amerikanischen Freunden oder Sarahs Familie spricht, weil er aus der Nation der Täter kommt. Wenn er zuhause ist, kann er sich entspannen. Andis Stolz kommt wieder zum Ausdruck: Sie stiegen aus, gingen zum Philosophenweg, und dann legte er ihr stolz seine Heimatstadt zu Füßen: Schloß, Altstadt, Alte Brücke und Neckar, das Gymnasium, das er als Schüler besucht, die Stadthalle, in der er bei der Abiturfeier mit einem Klassenkameraden ein Konzert für zwei Flöten gespielt, und die Mensa, in der er als Student gegessen hatte (219). Er mag Sarah Deutschland zu zeigen und er will, dass Sarah auch Deutschland mag. Es ist eigentlich sehr wichtig für ihn, dass sie Deutschland mag, weil es ein Teil von ihm ist. Sarah merkt, dass Andi nervös ist, als er ihr seine Heimat zeigt und er hat auch Angst, dass sie nicht Deutschland mag und dann beruhigt sie ihn: „’Mein Schatz’, sagte sie und legte ihm den Finger auf den Mund, ’mein Schatz. Du mußt keine Angst haben, daß ich deine Stadt nicht mag. Ich sehe sie und sehe den kleinen Andi in ihr zur Schule und später in die Mensa gehen, ich mag sie, und ich liebe dich’“ (219). Sarah tritt fürsorglich auf, weil sie sich für Andi und seine Gefühle interessiert. Andis Eltern haben vierzigsten Hochzeitstag und die ganze Familie ist eingeladen. Sarah trifft deshalb Andis Familie, als sie seine Eltern besuchen. Andi freut sich darüber, dass Sarah mit 22 seiner Familie spricht: „Wie leicht sich Sarah in meiner Familie bewegt, dachte er, wie gut sie mit ihrem Gemisch aus Deutsch und Englisch mit allen redet, wie frisch sie aussieht, obwohl sie kaum geschlafen hat. Was für eine wunderbare Frau ich habe!“ (220). Er ist auf Sarah stolz. Die Reise scheint wunderbar und schön, aber ein Gespräch zwischen Andis Vater und Sarah bezeugt, dass alles nicht wunderbar und schön ist. Sarah spricht mit Andis Vater über die Familiengeschichte, aber auch darüber, was er im Krieg gemacht hat. Er erzählt, dass er etwas mit Organisierung gemacht hat: „’Alles mögliche. In Rußland hatte ich mit Kunst zu tun. Die Kommunisten hatten aus den Kirchen Lagerhallen, Werkstätten, Scheunen und Ställe gemacht, und wir haben unter Schutt und Müll die wunderbarsten Ikonen, Leuchter und Kirchengewänder geborgen’“ (220-221). Sarah ist sehr neugierig und fragt weiter. Andi wirft eine Bemerkung ein: „’Soviel hast du noch nie vom Krieg erzählt’“ (221). Dass Andis Vater wenig vom Krieg erzählt hat, hat mit dem kulturellen Gedächtnis zu tun. Ein wichtiger Teil des kulturellen Gedächtnisses ist zu vergessen, um weiterzuleben. Andis Vater hat seine Taten im Krieg sich hinterlassen, um weiterzuleben. Das kommunikative Gedächtnis spielt auch eine Rolle, weil Andis Vater seine persönlichen Erfahrungen des Krieges erzählen kann. Nach etwa 40 Jahre erlebt das kommunikative Gedächtnis einen Höhenpunkt, deshalb erzählt Andis Vater mehr von seinen Taten als er früher zu Andi erzählt hat. Andis Vater ist erste Generation der Erinnerungskultur und diese Generation verschwieg die Taten des Krieges, um ihre Schuld zu vergessen. Andis Vater hat offenbar Dinge im Krieg gemacht, die er vergessen will und deshalb hat er Andi immer nur in Andeutungen von seinen Taten erzählt. Nach dem Krieg sollte er ein neues Leben aufbauen und deshalb war Vergessen eine Notwendigkeit. Andis Vater erzählt auch Sarah von seinen Taten im Krieg, weil: „’Ich muß wohl, wenn sie nicht ewig mißtrauisch bleiben soll’“ (221). Er versucht Sarahs Zweifel zu vermeiden, Sarah ist trotzdem sehr misstrauisch gegenüber Andis Vater und denkt, dass er nicht sie die Wahrheit erzählt. Sie will eigentlich mehr von seinen Taten wissen, aber sie fragt nicht weiter, weil sie weiß, dass Andis Vater ihr nie die ganze Wahrheit erzählen will wegen seines Blicks: „’Deswegen rede ich von seinem Blick. Er hat mir mit seinem Blick gesagt, daß er auf meine Fragen jedesmal eine Antwort haben, mich mit meinem Mißtrauen jedesmal ins Unrecht setzen, mir aber nichts sagen wird’“ (222). Andi denkt auch: „Andi erinnerte sich an Auseinandersetzungen mit seinem Vater, bei denen er ein ähnliches Gefühl gehabt hatte“ (222). Obwohl Andis Vater mehr von seinen Taten im Krieg als früher erzählt, erzählt er nicht alles. Er versucht immer seine Taten zu vergessen oder zu verschweigen. Laut Schlink wurde 23 die zweite Generation in Verbrechen und Schuld des Krieges verstrickt, weil die Täter des Krieges als Eltern akzeptiert wurden. Andis Vater wurde als Vater akzeptiert und deshalb ist Andi in Verbrechen und Schuld des Krieges verstrickt. Schlink argumentiert auch, dass Eltern, die die Vergangenheit verdrängen und ihre Täter- und Schuldrolle verschweigen, nicht ihren Kindern mit Offenheit und Vertrauen begegnen. Andi ist nie mit Offenheit und Vertrauen begegnet worden. Sein Vater hat nie ihm von seinen Taten im Krieg erzählt. Andis Vater hält sich wahrscheinlich nicht für schuldig, weil er nie bestraft worden ist. Schlink meint auch, dass dies miteinander zusammenhängt. Dass Andis Vater in irgendeiner Form im Krieg schuldig wurde, kommt durch Andis Gedanken zum Ausdruck: „Aber Andi war froh, daß sie seinen Vater nicht gefragt, daß er ihr nicht geantwortet und nicht die Ikone in seinem Arbeitszimmer gezeigt hatte“ (222). Andis Vater hat eine Ikone und muss deshalb das nationalsozialistische Reich gedient haben. Obwohl Andi genießt, Sarah Deutschland zu zeigen, kommt seine Angst immer wieder zum Ausdruck: „In Berlin hatte er erstmals Angst, die Verschiedenheit der Welten, aus denen sie kamen, könnte ihre Liebe in Gefahr bringen“ (223). Andi weiß, dass ihre verschiedenen Kulturen ein Problem sein können. Er sieht ihre zwei Kulturen als ein Problem. Sarah spottet über alles, was sie sehen: „In den Städten, die sie besuchten, spottete sie über die Verläßlichkeit, mit der die Deutschen auf die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs hinwiesen“ (224). Andi wird deshalb nervös, wenn er Sarah neue Sehenswürdigkeiten zeigt. Andi versucht seine Nervosität zu verbergen, aber er fühlt sich nicht wohl: „Er lachte mit, aber mit verspannten Mund- und Backenmuskeln“ (225). Als Sarah und Andi Berlin besuchen, wohnen sie bei Andis Onkel. Andi und Sarah wollen nach dem KZ-Lager in Oranienburg, aber das versteht der Onkel nicht. Er denkt, dass die nationalsozialistische Vergangenheit Ruhe verdient: „’Was soll´s. Es ist fünfzig Jahre her. Ich verstehe nicht, warum wir die Vergangenheit nicht ruhen lassen können. Warum wir diese Vergangenheit nicht ebenso ruhen lassen können wie die anderen Vergangenheiten“ (225). Das kulturelle Gedächtnis spielt eine Rolle bei der Haltung des Onkels, weil er eigentlich die Vergangenheit vergessen will. Das Vergessen ist ein wichtiger Teil des kulturellen Gedächtnisses. Wie Schlink meint der Onkel, dass was in der Vergangenheit geschehen ist, nicht verändert oder verbessert werden kann. Deshalb denkt der Onkel, dass es besser sie zu vergessen ist. Der Onkel wird immer wieder auf die nationalsozialistische Vergangenheit aufmerksam und kann sie damit nicht vergessen. Sarah meint aber nicht, dass diese 24 Vergangenheit vergessen werden soll: „’Vielleicht ist es eine besondere Vergangenheit?’“ (226). Sie hält an der deutschen Schuld fest. Die kollektive Schuld bringt der Onkel zur Sprache, als sie von der Vergangenheit sprechen: Natürlich war das furchtbar. Aber müssen deswegen die Leute in Oranienburg oder Dachau oder Buchenwald eine furchtbare Gegenwart haben? Leute, die lange nach dem Krieg geboren sind und niemandem etwas getan haben? Weil die besondere Vergangenheit ihrer Orte erinnert und ihnen angelastet wird? (226). Der Onkel meint wie Schlink, dass die Taten der deutschen Täter nicht die folgenden Generationen belasten sollen. Das können sie auch nicht, weil die kollektive Schuld nicht von Generation zu Generation wie ein Gen übertragen werden kann. Das ganze Gespräch mit dem Onkel führt zu einem Streit zwischen Andi und Sarah, weil sie verschiedene Meinungen dazu haben. Schlink äußert sich darüber, dass die zweite Generation in Verbrechen und Schuld des Krieges verstickt ist, was Andi auch ist. Er ist in der Problematik des Zweiten Weltkrieges verstickt, ohne dass er selbst schuldig ist, weil sein Vater Täter des Krieges war. Andi ist verstickt zwischen der Loyalität gegenüber seinem Vater und der Einsicht, dass sein Vater etwas Falsches im Krieg gemacht hat. Er mag deshalb nicht über die Vergangenheit zu sprechen. Andi findet es kompliziert und schwierig über die Vergangenheit zu sprechen: ’Wie kompliziert es ist? Die Vergangenheit muß erinnert werden, damit sie sich nicht wiederholt; sie muß erinnert werden, weil es der Respekt gegenüber den Opfern und ihren Kindern fordert; der Holocaust wie der Krieg ist fünfzig Jahre her; was immer die Generationen der Väter und Söhne an Schuld auf sich geladen haben, die Generation der Enkel hat sich nichts zuschulden kommen lassen; wer im Ausland sagen muß, daß er aus Oranienburg kommt, ist schlecht dran; Jugendliche werden Neonazis, weil sie von der Bewältigung der Vergangenheit genug haben – mit alledem richtig umzugehen, finde ich nicht einfach’ (227). Für Sarah ist die Vergangenheit nicht kompliziert, weil sie sich als Opfer identifiziert. Sie ist nicht wie Andi verstickt. Sie kann sich nicht vorstellen, wie Andi sich fühlt. 25 Andi freut sich Sarah Berlin zu zeigen, aber er weiß auch, dass sie sehr verurteilend gegenüber Deutschland ist: Aber als er sich vorstellte, wie er mit ihr die Baustellen am Potsdamer Platz, in der Friedrichstraße und beim Reichstag besichtigen und auch sonst überall auf Baustellen stoßen würde, wußte er, was Sarah sagen oder, wenn nicht sagen, dann doch denken würde. Warum muß alles schon morgen fertig werden und aussehen, als hätte die Stadt keine Geschichte? Als hätte sie keine Wunden und Narben?“ (229). Sarah versteht nicht, warum die Deutschen versucht, den Krieg zu verbergen. Andi möchte mit Sarah leben und er versucht sich einzuordnen. Er ist aber sehr unsicher und vorsichtig, wenn er zusammen mit Sarah ist. Er macht sich viele Gedanken über sein Verhältnis zu Sarah. Er wünscht ein Verhältnis ohne Streite, aber er weiß nicht, wie das möglich ist, ohne seine eigenen Grundwerte aufzugeben: „Aber dann fragte er weiter, ob sie einander vielleicht nur ertragen, weil die einen oder die anderen aufgeben, was sie sind“ (230). Der traditionelle Kulturbegriff ist wieder in Andis Haltung zu finden. Er meint nicht, dass zwei verschiedene Kulturen zusammenleben können, weil sie wie Kugeln sind. Andi hat wieder Angst, dass Sarah nicht seine Kultur mag, als er sie zu Bachs h-Moll-Messe einladet, weil er fürchtet: „daß sie die Musik zu christlich und zu deutsch fände“ (231). Er möchte Sarah viele Haltungen und Gefühle erzählen, aber er tut es nicht: „Gerne hätte er mit ihr über all das geredet. Aber auch davor hatte er Angst“ (231). Er entspannt sich nie, wenn er zusammen mit Sarah ist. Die Angst beeinträchtigt das Verhältnis, weil Andi nie sagt, was er eigentlich fühlt. Er zeigt nie wer er eigentlich ist, er ist, wie Sarah es wünscht oder wie er meint, dass Sarah es wünscht. In dieser Episode sind viele der theoretischen Begriffen zu finden: das kulturelle und kommunikative Gedächtnis, die erste und zweite Generation der Erinnerungskultur, Schlinks Haltung zu der Bewältigung zu der Vergangenheit, z.B. dass die zweite Generation in Verbrechen und Schuld des Krieges verstickt ist und die kollektive Schuld, der traditioneller Kulturbegriff, die Deutschen als Nation der Täter und die Juden als Gruppe der Opfer. 26 Die Rückkehr nach New York Nach der Rückkehr nach New York entstehen mehrere Konflikte zwischen Andi und Sarah wegen ihrer verschiedenen Kulturen. Andi mag mit Sarah in Stille zu spazieren, wenn er nach Hause kommt, weil er nicht über seine Arbeit sprechen will, weil es zu einem Streit geführt hat und das will er nicht wieder riskieren (Schlink 2000: 233). Andis Arbeit handelt von den Rechts- und Ordnungsvorstellungen in amerikanischen utopischen Projekten und als Andi von dies erzählt, ist Sarahs Kommentar: „’Das ist deutsch, nicht wahr?’“ (234) und weiter „’Die Faszination der Utopie. Die Faszination der Verwandlung von Chaos in Kosmos, der perfekten Ordnung, der reinen Gesellschaft’“ (234). Sie tritt verurteilend auf, weil sie Andis Arbeit mit der nationalsozialistischen Vergangenheit vergleicht. Sie macht ihn für die Vergangenheit verantwortlich. Das kann sie nicht, laut Schlink, weil Andi nichts mit den Taten des Krieges zu tun hat. Er hat keine kollektive Schuld, weil er Deutscher ist, aber er muss Verantwortung für die deutsche Vergangenheit übernehmen. Sarah schließt dagegen, dass die nachfolgenden Generationen Züge des Nationalsozialismus haben. Man kann sogar schließen, dass sie meint, dass das deutsche Denken und deutsche Kunst vom Nationalsozialismus geprägt sind, z.B. Literatur: „’Die deutsche Literatur ist sachlich und gründlich, bildet Kategorien und Systeme, und die Leidenschaft, die in ihr zu spüren ist, ist die Leidenschaft wissenschaftlichen Sezierens’“ (235). Hitler versuchte während des Zweiten Weltkrieges Menschen in Kategorien und Systeme zu setzen und dies weist Sarah darauf hin in seiner Äußerung. Andi und Sarah sind ganz uneinig und es führt zu noch einem Streit. Sarah versucht nicht die deutsche Literatur zu verstehen und damit auch nicht Andis Kultur. Sie sieht damit ihre verschiedenen Kulturen wie Kugeln, die nicht zusammenarbeiten können. Sarah entwertet damit auch Andis Kultur. Sarah meint nicht, dass Andi sich genug für ihre Familie interessiert und Andi meint, dass sie ihm mit Vorurteilen begegnet (236). Sarah versucht nicht Andis Situation zu verstehen. Sie kann Andis Situation nicht verstehen, weil sie ihre Kulturen wie Kugeln sieht. Wenn sie nicht ihre Kulturen wie Kugeln gesehen hätte, hätte sie Andis Kultur und damit seine Situation besser verstanden. Sarah verweist an die nationalsozialistische Vergangenheit, wenn sie generell von der Deutschen spricht: „’Und warum kennen wir diese kalte Art nur von Deutschen?’“ (236). Sie meint, dass die Deutschen immer noch von der Vergangenheit geprägt ist. Wieder ein 27 Hinweis an die Vergangenheit und die Deutschen: „’Genug, und zu denen, die wir gerne kennenlernt haben, kommen die, die wir lieber nicht kennengelernt hätten, aber kennenlernen mußten’“ (236). Um Streite mit Sarah zu vermeiden, beschließt Andi sich dafür, nicht über seine Arbeit zu sprechen (237). Um Streite zu vermeiden: „schnitt er seine Liebe immer kleiner zu“ (237). Dieser Satz hat etwas mit der Überschrift zu tun und damit Andis Beschneidung. Andi lässt sich später beschneiden und dieser Satz ist eine Vorausdeutung zu der Beschneidung. Andi muss über alles was er sagt, nachdenken, er kann nicht alles sagen, weil er weiß, dass es wahrscheinlich zu einem Streit führt. Andi wird mental beschnitten, weil er zensiert, was er sagt (237). Er zensiert, wenn er über Deutschland, über Israel, über die Deutschen, über die Juden und über seine Arbeit spricht: „Er gewöhnte sich an, was er sagen wollte, zu zensieren, diesen und jenen kritischen Eindruck vom Leben in New York lieber zu verschweigen und lieber nicht zu erwähnen, wenn er Äußerungen ihrer Freunde über Deutschland und Europa falsch und anmaßend fand“ (237). Wenn Andi nicht sagt, was er eigentlich sagen würde, wird alles leichter und schöner. Das Verhältnis ist schöner, aber Andi ist nicht sich selbst. Er verändert sich, weil er denkt, dass es Sarah befriedigt. Er ist eigentlich eine ganz andere Person, weil er seine Persönlichkeit verändert. Er wagt nicht sich selbst zu sein, weil es zu Problemen führt und er gewöhnt sich eigentlich an die Zensur. Er genießt, dass ihr Verhältnis konfliktfreier geworden ist. Obwohl Andi versucht, die Streite über seine Arbeit und Deutschland zu vermeiden, entstehen Streite über andere Themen. Andi denkt, dass es merkwürdig ist, dass Sarah Kleider mit Löchern trägt, er versteht nicht, warum sie nicht die Löcher flickt. Sarah versteht nicht, warum Andi dies bemerkt und wird irritiert und dieser Unterschied führt zu einem weiteren Streit (238-239). Sarah bezieht auf die nationalsozialistische Vergangenheit, als sie sich streiten: „’Das hast es mit der Ordnung’“ (239) und weiter: „’Tina würde sagen, das ist der Nazi in dir’“ (239). Wenn Sarah sich äußert, wird Andi oft verletzt, weil sie oft an die nationalsozialistische Vergangenheit bezieht. Er kann nicht aushalten, dass er immer wieder mit der nationalsozialistischen Vergangenheit identifiziert wird: „’Es tut mir leid, aber ich kann es nicht mehr hören. Der Nazi in mir, der Deutsche in mir – ich kann es nicht mehr hören’“ (239). Sarah zieht Andi zur Verantwortung für die nationalsozialistische Vergangenheit, weil er Deutscher ist, aber das kann sie laut Schlink nicht. Andi hat nicht am Krieg teilgenommen, er ist die nachfolgende Generation. Sarah versteht nicht, dass sie Andi verletzt, wenn sie sich 28 äußert. Sie versteht auch nicht, dass ihre Familie und Freunde Andi verletzen, wenn sie immer noch sagen, dass Andi sich wie ein Deutscher benimmt. Andi und Sarah missverstehen oft einander, wenn sie miteinander sprechen. Andi und Sarah sehen ihre Kulturen als separatistische Kugeln und das macht ihr Verhältnis ganz schwierig. Sie haben im Großen und Ganzen verschiedene Auffassungen von allem, was sie besprechen. Sie sind fast immer uneinig, wenn sie miteinander sprechen. Dass Sarah aus der Gruppe der Opfer kommt und Andi aus der Nation der Täter, macht auch ihr Verhältnis schwierig. Trotzt Andi zu Sarah gesagt hat, dass es ihm verletzt, wenn sie erwähnt, dass er Deutscher ist, bringt sie es wieder zur Sprache: „’Ich liebe dich mit allem, was du Schönes in mein Leben gebracht hast, auch mit dem, was daran deutsch ist’“ (240). Sie kann überhaupt nicht etwas zu Andi sagen, ohne sie erwähnt, dass er Deutscher ist. Sie sieht nicht nur Andi als ihren Freund, sie sieht ihn als ihren deutschen Freund. Das Problem dabei ist, dass das Deutsche automatisch als etwas negatives gesehen wird. Sarah macht Andi für die Taten des Zweiten Weltkrieges verantwortlich: „’Was du mit dem Holocaust zu tun hast? Du bist Deutscher, das hat du mit dem Holocaust zu tun’“ (241). Sarah meint, dass Andi eine kollektive Schuld hat, weil er Deutscher ist, aber laut Schlink ist das nicht möglich, weil die kollektive Schuld nicht von Generation zu Generation wie ein Gen übertragen wird. Obwohl Sarah Andis Hintergrund mit dem Nationalsozialismus verbindet, sagt sie: „’Und ich will deinen Hintergrund besser kennenlernen’“ (242). Sarah sieht immer noch Kulturen wie Kugeln, aber sie möchte trotzdem Andis Kultur verstehen, deshalb folgt sie dem Konzept der Multikulturalität. Das Konzept der Multikulturalität bemüht sich um Verständigung zu erreichen. Sarah macht sich nicht viele Gedanken über das Verhältnis wie Andi. Sie weiß, dass sie aus zwei verschiedenen Kulturen kommen, aber deshalb will sie ihn nicht verlassen oder sich selbst verändern. In dieser Episode kommen die kollektive Schuld, der traditionelle Kulturbegriff und das Problem mit den Juden als Gruppe der Opfer und den Deutschen als Nation der Täter zu wiederholten Malen zum Ausdruck. Außerdem ist das Konzept der Multikulturalität zu finden. 29 Andis Konvertierung und die Beschneidung Andi macht sich wieder viele Gedanken über das Verhältnis zu Sarah: Wann muß man sich eingestehen, daß ein Streit nicht nur ein Streit ist? Daß er nicht ein Gewitter ist, nach dem die Sonne scheint, und auch nicht eine verregnete Jahreszeit, auf die eine freundliche folgt, sondern das normale schlechte Wetter? Daß Versöhnung nichts löst, nichts erledigt, sondern nur Erschöpfung anzeigt und eine kürzere oder längere Pause eröffnet, nach der der Streit weitergeht? (Schlink 2000: 243). Er denkt darüber nach, weil er eine Lösung für ihre Probleme finden will. Er denkt: „Menschen nehmen von ihren alten Religionen, Überzeugungen und Lebensweisen Abschied und lassen sich im utopischen Projekt auf neue ein“ (243). Andis Gedanken sind Auftakt zu seiner Konvertierung zum Judentum und der Beschneidung. Dass Andi Anhänger vom traditionellen Kulturbegriff kommt wieder zum Ausdruck: „Nötig war, die normale Welt aufzugeben, die einen vom anderen trennte“ (244). Er meint, dass zwei verschiedene Welten Menschen trennen, er sieht nicht, dass sie zusammenarbeiten können. Vor der Konvertierung und der Beschneidung untersucht Andi, was das zur Folge hat. Er befragt z.B. eine Kollegen: „’Wenn ein erwachsener Mann zum Judentum konvertiert und nicht beschnitten ist – muß er sich beschneiden lassen?’“ (244). Andi macht sich viele Gedanken über die Konvertierung und Bescheidung (245-246). Er kontaktiert einen Freund, der Chirurg ist, der die Beschneidung durchführen soll. Andi liebt Sarah und versucht alles, um das Verhältnis zu retten. Er gibt seine eigene Kultur auf, weil er nicht meint, dass zwei verschiedene Kulturen miteinander kompatibel sind: „’Ich liebe die Frau, und sie liebt mich, und mit unseren verschiedenen Welten kommen wir nicht zurecht. So wechsle ich eben meine Welt in ihre’“ (246). Andi denkt nicht, dass sie Kompromisse eingehen können, er ist damit nicht vom Konzept der Transkulturalität Anhänger. Der Beschluss zum Judentum zu konvertieren zeigt, dass Andi nicht an sich selbst glaubt. Er steht nicht für seine Kultur ein. Er möchte die Probleme zwischen ihm und Sarah lösen. Er möchte die Konflikte mit Sarah und die Anspielungen auf seine deutsche Herkunft vermeiden. Er wird sowohl physisch als auch psychisch beschnitten, wenn er seine eigene Kultur aufgibt. Andi sieht keinen anderen Ausweg als zum Judentum zu konvertieren, weil er 30 nicht die konstante psychische Belastung aushalten kann. Die Belastung verschwindet aber nicht, weil er trotz der Beschneidung immer noch Deutscher ist. Andis Entscheidung zum Judentum zu konvertieren zeigt auch, dass er nicht besonders religiös ist. Wenn er religiös wäre, wäre er nicht so schnell konvertiert. Er sagt zu seinem Freund: „’So, wie ich Christ bin, ohne Glauben und ohne Gebete, kann ich auch Jude sein’“ (247). Es ist ihm eigentlich egal, ob er Jude oder Christ ist. Er weiß nicht, wie er das Verhältnis zu Sarah retten soll und trifft deshalb diese verzweifelte Entscheidung. Andis Haltung zu Kulturen kommt wieder zum Ausdruck: „’Entweder sie wird wie ich, oder ich werde wie sie. Man erträgt nur seinesgleichen’“ (247). Verschiedene Kulturen können nicht miteinander kommunizieren. Die Unterschiede zwischen ihnen sind nicht zu überbrücken, laut Andi. Der traditionelle Kulturbegriff ist das Dominierende in dieser Episode. Das Ende Nach der Beschneidung fühlt Andi sich nicht in seiner Heimatstadt zuhause. Er fühlt sich überhaupt nicht wohl: „Aber er fühlte sich, als sei er gestrandet, als sei er angekommen, wo er nicht hingehöre, als seien die Stadt und das Land zwischen Bergen, Fluß und Ebene nicht mehr seine Heimat“ (Schlink 2000: 250). Er fühlt sich verändert, weil er sowohl physisch als auch psychisch verändert worden ist. Er weiß nicht, wo er eigentlich gehört. Er zweifelt daran, wer er eigentlich ist. Er steht zwischen zwei verschiedenen Welten. Er hat Sarahs Welt gewählt, aber jetzt bekommt er ein Problem mit seiner Wahl. Er fühlt nicht, dass er die zwei Welten mischen kann, er muss das eine oder das andere wählen. Das Konzept der Transkulturalität ist keine Möglichkeit für Andi, weil er dem traditionellen Kulturbegriff folgt. Sein Zweifel kommt bei diesem Zitat zum Ausdruck: „Er verstand jedes Wort und verstand doch nichts. Er hatte sein Gefühl für die Anspielungen, die Ironie, den Spott und den Ernst der New Yorker in New York gelassen. Oder war es ihm mit der Vorhaut abgeschnitten worden?“ (251). Vor die Beschneidung träumte Andi immer von Sarah, aber das tut er nicht mehr. Er ist entfremdet worden: „War es natürlich, daß er nicht mehr in die alte Heimat und noch nicht in die neue gehörte?“ (252). Sarah bemerkt nicht, dass Andi beschnitten worden ist: „Ihr fiel nicht auf, daß er beschnitten war. Nicht als sie zusammen schliefen, als er nackt aufstand, die Champagnerflasche öffnete und die gefüllten Gläser ans Bett brachte, nicht als sie gemeinsam duschten“ (253-254). 31 Andi stellt sich viele Fragen nach der Beschneidung wegen seiner Entfremdung z.B.: „Waren sie einander näher? Gehörte er mehr zu ihr, in ihre Welt, in diese Stadt und dieses Land?“ (254). Was Sarah denkt und sagt ist auch gleichgültig für ihn: „Sie sah ihn an, und er wußte, was sie dachte. Aber er merkte, daß es ihm gleichgültig geworden war“ (254). Früher war Sarahs Meinung nicht gleichgültig für ihn. Dass Andi beschnitten worden ist, ist für Sarah gleichgültig und sie bemerkt es auch nicht. Andi verlässt Sarah am Ende: Am nächsten Morgen wachte er um vier Uhr auf. Er wollte wieder einschlafen. Aber er konnte nicht. Drüben, bei ihm, war zehn Uhr und heller Tag. Er stand auf und zog sich an. Er machte die Tür des Apartments auf, stellte Schuhe und Gepäck in den Flur und zog die Tür so sachte ins Schloß, daß es nur leise klickte. Er zog die Schuhe an und ging (255). Andi hatte nicht geglaubt, dass es für Sarah gleichgültig war, ob er beschnitten war. Er ist überhaupt nicht froh und er fühlt sich nicht wohl nach der Beschneidung. Er sieht ein, dass es eine falsche Entscheidung war, sich bescheiden zu lassen. Andis Frustration über sich selbst als Deutscher, passt mit Schlinks Haltung zu der Vergangenheit und dass die Vergangenheit akzeptiert werden muss. Andi muss sich selbst als Deutscher und damit auch die nationalsozialistischen Vergangenheit akzeptieren. Schlink spricht davon, dass die Vergangenheit integrieren werden soll. Das muss Andi auch, um mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zu leben. Er kann sich nicht von der Vergangenheit distanzieren, weil sie ein Teil von ihm ist. Obwohl er versucht sich zu verändern, wird er immer noch Deutscher sein. In dieser Episode sind der traditionelle Kulturbegriff und Schlinks Zugang zu der Bewältigung der Vergangenheit verwendet worden. 32 Zusammenfassung In diesem Projekt ist es klar geworden, dass der Zweite Weltkrieg die Gegenwart sehr beeinflusst. Die Deutschen finden es schwierig mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zu leben, weil sie immer wieder als die Täter des Krieges gesehen werden. Nach dem Krieg wurden die Deutschen nur als Täter gesehen. Die Deutschen als Opfer wurden nicht akzeptiert. Erst nach dem Fall der Mauer 1989 und die Erinnerungsdebatte 1989/90 wurden die Deutschen als Opfer akzeptiert. Die erste Generation der Erinnerungskultur versucht ihre Taten im Krieges zu verbergen, um ein neues Leben aufzubauen. Dies tritt auch in der Erzählung Die Beschneidung hervor, wo Andis Vater nie von seinen Taten im Krieges erzählt hat. Das kulturelle Gedächtnis spielt eine Rolle in Verbindung mit dem Benehmen des Vaters, weil ein wichtiger Teil des kulturellen Gedächtnisses das Vergessen ist. Andis Vater kann seine persönlichen Erfahrungen aus dem Krieg überliefen, deshalb ist das kommunikatives Gedächtnis in dieser Verbindung wichtig. Die Vergangenheit ist eine Behinderung für Andi und er wird immer wieder darauf Aufmerksam gemacht. Die Vergangenheit verhindert Andi darin, sein Leben zu leben. Er ist in Verbrechen und Schuld des Krieges verstickt, wie Schlink es beschreibt. Dies ist für die zweite Generation typisch, weil ihre Eltern ein Teil des Krieges waren. Ein weiteres Problem nach dem Krieg war auch das Zusammenleben von Juden und Deutschen, weil die Juden aus der gruppe der Opfer kommen und die Deutschen aus der Nation der Täter kommen. In der Erzählung Die Beschneidung identifiziert Sarah sich mit der Gruppe der Opfer, weil sie Jüdin ist. Sie versteht nicht, dass die Deutschen auch Opfer des Krieges waren. Sie macht es für Andi schwierig, weil sie immer wieder darauf anspielt, dass Andi Deutscher ist. Sie macht Andi für die Taten seines Vaters verantwortlich, sie meint damit, dass Andi eine kollektive Schuld hat, weil er Deutscher ist. Schlink stellt fest, dass eine kollektive Schuld nicht wie ein Gen von Generation zu Generation übertragen werden kann, eine kollektive Schuld ist dagegen, wenn die Deutschen eine Verantwortung gegenüber den Opfern nehmen. Dass die Deutschen nach dem Fall der Mauer 1989 als Opfer während des Krieges akzeptiert wurde, hat dazu beigetragt, dass Literatur über die Deutschen als Opfer und den Umgang mit der Vergangenheit akzeptiert worden ist. Deshalb war es auch für Schlink möglich Die Beschneidung im Jahre 2000 zu herausgeben. 33 Die Kultur spielt auch eine Rolle im Zusammenleben von Juden und Deutschen, weil sie aus zwei verschiedenen Kulturen kommen. Andi und Sarah sind beide Anhänger des traditionellen Kulturbegriffs und das macht ihr Verhältnis ganz schwierig. Sie sehen ihre zwei Kulturen als zwei Kugeln, die nicht zusammenarbeiten können. Andi versucht aber Sarahs Kultur zu verstehen, was ein typisches Merkmal des Konzepts der Interkulturalität ist. Sarah versucht dagegen nicht Andis Kultur zu verstehen, aber sie akzeptiert sie. Akzeptanz ist im Konzept der Multikulturalität zu finden. Andi versucht die Probleme mit der Vergangenheit und der Kultur zu lösen und deshalb lässt er sich beschneiden. Er denkt, dass die Probleme verschwinden werden, wenn er beschnitten worden ist und zum Judentum konvertiert ist, weil er dann wie Sarah ist. Andi ist aber nicht wie Sarah, er ist immer noch Deutscher, er kann sich nicht von der nationalsozialistischen Vergangenheit distanzieren, er muss sie dagegen akzeptieren. Andi sieht am Ende ein, dass er sich nicht von der Vergangenheit distanzieren kann und deshalb sind die Probleme auch nicht gelöst. Er hat ein Problem damit, dass er Sarahs Welt gewählt hat und verlässt Sarah am Ende. 34 Literaturverzeichnis Bücher Assmann, Aleida: Der lange Schatten der Vergangenheit - Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. Verlag C.H. Beck, München 2006. Braun, Michael: Wem gehört die Geschichte? Erinnerungskultur in Literatur und Film. Verlag Aschendorff, Münster 2013. Der Dudenredaktion (Hrsg.), Duden Deutsches Universalwörterbuch, 7., überarbeitete Auflage. Dudenverlag; 2011. Grass, Günter: Im Krebsgang. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2011. Hoffmann, Birthe: Det onde i litteraturen. Akademisk forlag A/S, Danmark 2003. König, Helmut: Vergangenheitsbewältigung am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. Westdeutscher Verlag, Opladen/Wiesbaden 1998. Schlink, Bernhard: Der Vorleser. Diogenes Verlag, Zürich 1995. Schlink, Bernhard: Liebesfluchten – Die Beschneidung. Diogenes Verlag, Zürich 2000. Taberner, Stuart: Germans as victims – in the literary fiction of the Berlin republic. Camden house, Rochester 2009. Artikel Schlink, Bernhard: „Die Bewältigung von Vergangenheit durch Recht“ in: König 1998, 433-451. Schramm, Moritz: „At elske det onde“ in: Hoffmann 2003, 279-290. Schödel, Kathrin: „’Secondary Suffering’ and Victimhood: The ’Other’ of German Identity in Bernhard Schlink’s ’Die Beschneidung’ and Maxim Biller’s ’Harlem Holocaust’ in: Taberner 2009, 219-232. Welsch, Wolfgang: „Transkulturalität“. Institut für Auslandsbeziehungen: Migration und Kultureller Wandel, Schwerpunktthema der Zeitschrift für Kulturaustausch. Stuttgart 1995 Øhrgaard, Per: „Auschwitz og litteraturen“ in: Hoffmann 2003, 233-244. 35 Websites Christoph, Cornelißen: „Erinnerungskulturen“, Version: 2.0, in: Docupediazeitgeschichte, 22.10.2012, URL: http://docupedia.de/zg/Erinnerungskulturen_Version_2.0_Christoph_Cornelißen besucht am 13.12.2013 Mayer, Ruth: Kulturelles Gedächtnis, Forum Interkultur – Portal für Austausch und Information. http://www.forum-interkultur.net/Kulturelles-Gedaechtnis.190.0.html besucht am 11.12.2013 36