PREDIGT HILDESHEIM, 1.n. Epiphanias, 11.1.2015, Mt.3,13-17 Superintendent Helmut Aßmann 13 Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, daß er sich von ihm taufen ließe. 14 Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf dessen, daß ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir? 15 Jesus aber antwortete ihm und sprach zu ihm: Laß es jetzt geschehen! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er’s geschehen. 16 Und es geschah, als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe da tat sich der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. 17 Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Liebe Schwestern und Brüder, Epiphanias liegt jetzt 5 Tage hinter uns. Es ist der Tag, an dem wir dreier ganz verschiedener Dinge gedenken. Zum einen der Ankunft der drei Weisen aus dem Morgenland. Zum anderen des ersten Wunders Jesu, der Verwandlung von Wasser zu Wein bei der Hochzeit zu Kana. Und zum dritten, darum soll es uns heute mit Vorzug gehen, der Taufe Jesu durch Johannes den Täufer im Jordan bei Jericho. Ich möchte das verbinden mit den aktuellen Ereignissen, die uns in den vergangenen Tagen so sehr beschäftigt haben, der Anschlag vermutlich islamistischer Attentäter auf ein Redaktionsbüro in Paris und die ungeheure Erregung, die das in der ganzen Welt ausgelöst hat. Das mag auf den ersten Augenblick etwas merkwürdig erscheinen. Was hat die Taufe von damals mit den Extremistenattacken von heute zu tun? Nun, es ist nicht ganz so fernliegend, wie es aussieht. Denn es geht um die Erleuchtungserlebnisse bei Jesus am Jordan und dem Propheten Mohammed am Berg Hira bei Mekka. Die Taufe Jesu gilt gemeinhin als der Moment, von dem an er sich als den Gesandten Gottes verstand. In diesem Matthäustext kommt das sehr deutlich zum Ausdruck: bei der Taufe erscheint Gott selbst und zeigt sich als der, der hinter Jesus steht und sich in ihm den Menschen zu Gehör bringen will: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“. Jesus, und vermutlich er allein, sieht den Geist Gottes wie eine Taube über sich kommen und hört die Stimme des Allerhöchsten, die ihn sozusagen an Ort und Stelle adoptiert und als den Sohn Gottes erklärt. Damit ist die spirituelle und auch theologische Beglaubigung seines Wirkens gegeben und festgeschrieben. Es war zwar schon vorher deutlich, daß es sich bei Jesus nicht um einen gewöhnlichen Sterblichen handelte. Dazu gab es zuviele Vorzeichen und besondere Ereignisse, die sich mit ihm verbanden. Dem dient unter anderem die Geschichte von den drei Weisen aus dem Morgenland, die eigens von fernen Ländern ausgezogen sind, um dem neugeborenen König der Juden zu huldigen und ihm sozusagen die erste ausländische Reverenz zu erweisen. Aber erst dieser Augenblick der Taufe macht im Blick des Evangeliums nach Matthäus Jesus zum Begründer eines neuen Glaubens, eines neuen Umgangs mit Gott, macht ihn zu einer ausgesonderten und auserwählten Person. Jesus wird mit dem Geist Gottes ausgestattet, der nun in ihm Platz nimmt und ihn erfüllt. Jesus ist zu diesem Zeitpunkt etwa 35 Jahre alt. Orts- und Zeitwechsel. Wir befinden uns im Mekka des Jahres 610. Mohammed, mit vollständigem Namen Abū l-Qāsim Muhammad ibn ʿAbd Allāh ibn ʿAbd alMuttalib ibn Hāschim ibn ʿAbd Manāf al-Quraschī, verheiratet mit der deutlich älteren Kaufmannswitwe Chadidscha, beschäftigt sich immer intensiver mit religiösen Übungen in der Einsamkeit der Wüste. Er ist ungefähr 40 Jahre alt. Als er sich an den Berg Hira zurückzieht und dort Tage und Wochen im Fasten und der Einsamkeit zubringt, wird auch er auf eine besondere und überwältigende Weise angesprochen. Ich zitiere aus dem Buch „Kein Gott außer Gott“ von dem iranischen Islamwissenschaftler Reza Aslan: „Er saß in einer Höhle und betete. Plötzlich wurde er von einem unsichtbaren Wesen überwältigt. Er versuchte sich der Umklammerung zu entziehen, aber er konnte sich nicht bewegen. Dunkelheit umfing ihn. Der Druck auf seiner Brust nahm zu, bis ihm der Atem stockte. Er hatte das Gefühl, sterben zu müssen. Als er seinen letzten Atemzug tat, überflutete ihn ein Licht, und er hörte eine furchterregende Stimme wie die hereinbrechende Morgendämmerung. „Trag vor!“, befahl die Stimme. „Was soll ich vortragen“? erwiderte Mohammed. Das unsichtbare Wesen umklammerte ihn noch fester und wiederholte seinen Befehl. In dem Moment, da er glaubte, es nicht länger ertragen zu können, ließ der Druck in seiner Brust nach, und in der Stille, die jetzt die Höhle erfüllte, spürte Mohammed, wie die folgenden Worte in sein Herz geprägt wurden: „Trag vor im Namen deines Herrn, der geschaffen hat, den Menschen aus der Leibesfrucht geschaffen hat. Trag vor! Dein höchst edelmütiger Herr ist es ja, der den Gebrauch des Schreibrohr gelehrt hat, der den Menschen gelehrt hat, was er nicht wußte“ (Sure 96,1-5) Durch dieses Ereignis wird Mohammed zum Propheten, der sich in unmittelbarer Nachfolge der alttestamentlichen Großen Adam, Abraham, Noah, Jesaja und auch Jesus versteht. Aus dem Geschäfts- wird nun ein Gottesmann. Aus dem Mitglied der Mittelklasse im spätantiken Mekka der Begründer einer neuen Religion, die sich von Judentum und Christentum nach und nach absetzt, ganz so, wie es ein halbes Jahrtausend zuvor schon bei den ersten Christengemeinden gegenüber der jüdischen Mutterreligion stattgefunden hat. Beide, Jesus wie Mohammed, hatten keineswegs vor, eine neue Religion zu gründen, sondern verstanden sich als diejenigen, die die ihnen überkommene Religion, in der sie großgeworden waren, auf ihren eigentlichen und wesentlichen Kern zurückführen wollten. Und beide erlebten gleichermaßen, daß sie in ihrem Ansinnen abgelehnt wurden. Jesus so sehr, daß er für seine Verkündigung und seine Taten auf dem Galgen endete, Mohammed hingegen so, daß er nach einer gewissen Zeit mit großem Erfolg in seine Heimatstadt zurückkehrte und das erste muslimische Reich gründen konnte. Noch einmal: Jesus stieg aus dem Wasser des Jordan und hörte die Stimme Gottes, sah seinen Geist wie eine Taube auf ihm Platz nehmen und verwandelte sich vom Zimmermannssohn aus Nazareth zu Jesus, dem Erlöser der Welt. Mohammed hörte in der Höhle am Berg Hira die Stimme Gottes und wurde von seinem Auftrag überwältigt. So verwandelte er sich von einem arabischen Kaufmann in einen der großen Propheten der Religionsgeschichte. Nun hören wir, daß im Namen des Gottes, der damals zu Mohammed gesprochen hat, in Paris 12 Menschen erschossen worden sind. Im Irak und in anderen Ländern sind Millionen von Menschen auf der Flucht vor dem Islamischen Staat, der sich auf ebendiesen Gott und seine Gesetze beruft und in beispielloser Grausamkeit und Härte ganze Landstriche entvölkert – oft genug in krassem Widerspruch zu allem, was dem Koran als den Worten, die Allah an Mohammed gesprochen hat, ein Anliegen ist. Wir wissen aber auch: Vor knapp tausend Jahren brachen die Kreuzfahrer aus Europa auf und zogen durch den Balkan und über den Bosporus zu den Heiligen Stätten in Israel, um mit einem beispiellosen Blutbad im Jahr 1099 die Stadt Jerusalem den muslimischen Heiden zu entreißen. Tausende von Toten, Juden und Muslime, Blut bis zu den Knöcheln und hinauf zum Zaumzeug der Pferde werden berichtet. Dieses abscheuliche Massaker wurde verstanden und gefeiert als ein spirituelles Großereignis, in dem der dreieinige Gott den Sieg über die Muslime, die an den einzigen Gott glauben, gegeben hat. Gewalt. Auf beiden Seiten Gewalt. Damals auf Seiten der Christen. Heute auf Seiten der Muslime. Und wer weiß, was die Kampfgeschichte dieser beiden Geschwister im Glauben, die gemeinsam den Urvater Abraham verehren, noch alles bereithält. Vielleicht steht Schlimmes bevor. Vielleicht passiert aber auch das Gegenteil. Genau dazu möchte ich folgende Überlegung anbieten. Wir kommen den religiösen Urereignissen am Jordan und am Berg Hira nicht mit Argumenten bei. Es hilft ja nichts, zu erklären, daß da epileptische Anfälle vorgelegen hätten oder psychische Überspannungen, die sich in solchen Überwältigungserlebnissen ein Ventil geschaffen hätten. Was hat man da erklärt? Es hilft auch nichts, den einen für heilig und den anderen für dämonisch zu proklamieren. Zumal Jesus aus Sicht der Muslime ein wichtiger Prophet gewesen ist, von der Jungfrau Maria geboren. Ob einer Recht hat oder nicht, läßt sich nicht nach Aktenlage entscheiden. Zu wem Gott wirklich gesprochen hat, wissen wir nicht – nur Jesus hat die Taube gesehen, nur Mohammed hat die Umklammerung Gottes gespürt. Beide Götter, Allah oder der dreieinige Gott, den wir in unseren Bekenntnissen beschreiben, haben es ganz offenkundig zugelassen, daß die jeweils Andersgläubigen nicht einfach ihre Meinung und ihren Glauben ändern, wenn sie von der neuen oder fremden Lehre hören. Beide leben damit, daß der eine Gott eben nicht nur auf eine Weise zu beschreiben ist. Beide Glaubenssysteme haben Gesellschaften hervorgebracht, die lebenstüchtig sind. Auch der Hinweis auf die Unterdrückungsszenarien der einzelnen Religionen verfängt nicht. Man vergleiche die islamischen Hochkulturen zur Zeit der Kreuzzüge mit den hinterwäldlerischen Gepflogenheiten, mit denen die abendländischen Ritter ihr Auskommen hatten. Erst danach komme man auf den Zivilisationsabstand des heutigen Europa zu Staaten wie Jemen oder Afghanistan. Aber schon in Dubai und Saudi – Arabien stimmt das alles nicht mehr so richtig. Es hilft nichts. Nur wenn wir beide, Christen und Muslime, unsere Gottheit tiefer erforschen, uns ihr tiefer hingeben, unsere Herzen offener halten, werden wir miteinander leben lernen. Nur wenn wir beide, Muslime und Christen, die Waffen beiseite legen und uns von dem einen Gott, an den wir beide glauben, inniger beseelen lassen, werden wir einander besser verstehen können. Nur wenn, wir anerkennen, daß auch die anderen etwas von Gott, der einzigen Wirklichkeit dieser Welt, erfaßt haben, können sie ihre Defensiv- und Aggressionstaktiken aufgeben und nicht nur neben oder unabhängig von uns, sondern mit uns leben. Deswegen, liebe Schwestern und Brüder, ist es nicht das Gebot der Stunde, irgendeinen Islamismus abzuwehren, sondern fromm zu werden, Gott zu suchen und sich ihm auszuliefern. Am besten heute damit zu beginnen. Amen.