Hier sind einige Hinweise zur Interpretation von Albertines Traum (in der Reclam-Ausgabe Seite 60ff.) Der Traum beginnt damit, dass die Eltern sich auf Reisen befinden. Albertine ist alleine. Dies ist merkwürdig, weil am folgenden Tag ihre Hochzeit stattfinden soll. Außerdem ist das Brautkleid nicht da. Statt des Brautkleides hängen viele andere Kleider im Schrank. Es handelt sich um sehr schöne und prächtige Kleider, „Kostüme eigentlich“. Albertine weiß nicht, welches Kleid sind denn nun anziehen soll. Interpretationshinweise: Die Traumsequenz greift das Motiv der Maskierung wieder auf. Dieses Motiv durchzieht die gesamte Erzählung. Es weist auf das Thema der Verstellung hin, die offenbar von Beginn an mit Sexualität in Verbindung gebracht wird. Sexualität erscheint als ein Spiel mit Masken, und Maskeraden sind gewissermaßen in dem Text stets mit Sexualität assoziiert. Es ist letztlich auch die Maske, welche die Unbekannte derart attraktiv erscheinen lässt. -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Plötzlich sieht Albertine Fridolin vor dem Fenster. „Galeerensklaven haben ihn zu Albertine gebracht. Fridolin ist sehr kostbar gekleidet. Er hebt Albertine aus dem Fenster. Sie fliegen über Nebel hinweg. Sie kommen zu einer Lichtung. Unter freiem Himmel verbringen sie die Nacht. Interpretationshinweise: Man kann an der Stelle die Märchenstruktur des Textes erkennen. Fridolin erscheint als Prinz, Albertine ist seine Prinzessin. Der Traum selbst ähnelt einem Märchen. Man sieht, wie der Text den realistischen Rahmen sprengt, es geht weniger um die Darstellung einer bestimmten Realität als um einen Bereich, der sich der einfachen Darstellung entzieht. Traum und Märchen sind Mittel um eine Kommunikation jenseits der alltäglichen Sprache zu etablieren. Was zwischen den Ehepartnern zu kommunizieren wäre, stößt an die Grenzen der Sprache, an die Grenzen ihrer Ausdrucksfähigkeit. Der Text schildert offenbar nicht nur eine „Ehekrise“, sondern auch eine Sprachkrise, die freilich durch „Poetisierung“ (Traum, Märchen) der Sprache überwunden wird. -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Nach der Nacht unter freiem Himmel stellen Albertine und Fridolin fest, dass Ihre Kleider verschwunden sind. Fridolin stürzt davon, um sich auf die Suche nach den Kleidern zu machen. Als Fridolin weg ist, geht es Albertine besser. Weder tut ihr Fridolin leid, noch sorgt sie sich um ihn. Albertine ist glücklich. Sie singt, tanzt und wünscht sich, dass sie in der ganzen Stadt gehört wird. Plötzlich tritt ein junger Mann aus dem Wald, in einem „modernen Anzug“. Es scheint der Däne zu sein. Er grüßt sehr höflich und geht seines Weges. Er schaut so auf die Felswand am Ende der Lichtung, als ob er sie bezwingen wollte. Währenddessen eilt Fridolin in der Stadt von Haus zu Haus und kauft für Albertine die „schönsten Dinge“ ein, die er finden kann. All diese Dinge steckt er in eine Handtasche, die zwar klein ist, aber in die alles Platz findet. Er wird von einer Menschenmenge verfolgt. Inzwischen ist der Däne zu Albertine mehrmals zurückgekehrt. Schließlich legt er sich zu ihr auf die Wiese. Interpretationshinweise: Während Albertine sich vor allem schämt, dass Sie nackt ist, fühlt sich Fridolin schuldig. Scham ist ein Gefühl, das entsteht, wenn man sich beobachtet, beurteilt und erkannt im weitesten Sinne fühlt. Auch die empfundene Scham und die Kleiderepisode stehen mit dem Motiv der Maske in Verbindung. Denn die Maske ermöglicht es, dass man gerade nicht erkannt wird und die ausgeführten Handlungen nicht mit der Person in Verbindung gebracht werden können. Man kann gewissermaßen „schamlos“ agieren. Entsprechend fühlt sich Albertine frei, als Fridolin sie verlässt, um neue Kleider in der Stadt zu finden. Denn er kann sie nun nicht mehr beobachten. Anders als Albertine fühlt sich Fridolin vor allem schuldig. Dies war auch das Grundgefühl bei seinem nächtlichen Ausflug und bei den Begegnungen mit den unterschiedlichen Frauen. Albertine weiß, was inzwischen mit ihrem Mann geschieht. Er wird verfolgt und von Soldaten ergriffen und gefesselt. Er wird in eine Art Burghof geführt. An einem hohen Bogenfenster erscheint eine junge, offenbar reiche Frau: die Fürstin des Landes. Sie hält ein Blatt in den Händen, auf dem Fridolins Todesurteil steht. Die Fürstin fragt, ob Fridolin ihr Geliebter werden wolle. In dem Falle würde sie das Todesurteil aufheben. Fridolin verneint und wird von seinen Peinigern gefoltert. In Albertines Traum wird die Fürstin mit „dem Mädchen vom dänischen Strand“ identifiziert. Plötzlich ist die Fürstin verschwunden und Fridolin kann Albertine entgegeneilen, um ihr die Kleider zu bringen. Es ist aber auch klar, dass Fridolin nicht fliehen kann. Albertine empfindet Fridolins Verhalten als lächerlich. Als die beiden Ehepartner im Traum aufeinander zulaufen, beginnen sie zu schweben. Doch sie begegnen sich nicht in der Luft, sondern fliegen aneinander vorbei. Im Traum findet Albertine Fridolins Verhalten derart lächerlich, dass sie sich wünscht, dass er ihr Lachen höre, während er ans Kreuz geschlagen wird. Albertine beendet die Erzählung von ihrem Traum mit dem Satz: „Das war das Lachen, Fridolin, - mit dem ich erwacht bin.“ Interpretationshinweise: Anders als Albertine fühlt sich Fridolin in der Traumnovelle ständig schuldig. Der Traum versinnbildlicht dies, indem er Fridolin vor ein imaginäres Gericht führt. Dass er Albertine die Treue hält, erscheint ihr angesichts der Gefahr für Fridolins Leben lächerlich. Da Albertines Gefühle vor allem von ihrer Scham bestimmt werden, Fridolins Innenwelt aber von dem Gefühl der Schuld regiert wird, verstehen sie aneinander nicht, was dadurch symbolisiert wird, dass sie im Traum aneinander vorbeifliegen. Durch Strategien, die viel mit den in der Moderne aufgegriffenen Ideen zu haben, wird dieses Nicht-Verstehen in Schnitzlers Text letztlich überwunden. Durch Mythisierung, dem Einsatz einer von Strukturen des Traums bestimmten Sprache, die auch an die Tabus der Gesellschaft rührt, durch eine Entsakralisierung der Institution Ehe und durch eine radikale Abkehr von einer realistischen Erzählweise werden die so schwer fassbaren Verhaltens- und Gefühlsmuster der Eheleute offen gelegt und auch für den Leser zugänglich gemacht.