DOC - Europa.eu

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SPEECH/07/341
Benita Ferrero-Waldner
Kommissarin
für
Außenbeziehungen
Nachbarschaftspolitik
und
Europa – Träume und Traumata
Pfingstdialog „Geist und Gegenwart“ 2007
Seggau, Steiermark, 25. Mai 2007
Europäische
Sehr geehrte Damen und Herren!
Zunächst möchte ich mich bei den Veranstaltern ganz herzlich für die Einladung
zum diesjährigen Pfingstdialog bedanken. Das diesjährige Thema „Europa-Träume
und Traumata“ lässt in jedem von uns sofort ein imaginäres Bild entstehen und ich
bin überzeugt davon, dass, wenn wir diese miteinander vergleichen würden, keines
gleich dem anderen wäre.
Ein solches Traumbild hat gestern Jeremy Rifkin sehr eindrücklich für uns
gezeichnet. Wer seine Bücher etwas kennt, wußte, was uns erwartete. Dennoch
glaube ich sagen zu können, ihn persönlich bei einem Vortrag seine Thesen
präsentieren zu sehen, ist schon ein Erlebnis. Jedenfalls schaffte er es, einen echt
amerikanischen Optimismus zu verbreiten.
Seine Thesen haben sicher viel Treffendes für sich, wenn auch oft mit einem sehr
breiten Pinsel gemalt wird. Das Grundverständnis des Europäers ist natürlich auf
soziale Sicherheit und Stabilität viel mehr ausgerichtet als das dynamischkompetitive und individualistische Verständnis der auf sich selbst zuerst
schauenden Amerikaner. Und natürlich schauen wir viel mehr auf die USA, als die
Amerikaner auf uns. Das hat sicher auch mit dem komplexen Selbstverständnis der
Europäer und ihren literarisch verbürgten Selbstzweifeln zu tun, die oft nicht
eingestehen wollen, daß es bei uns etwas Gutes geben kann. Erfolge sind
Selbstverständlichkeiten, und daher nicht weiter erwähnenswert. Aber unsere
Schwachstellen, die kann man so richtig ergründen und analysieren, bis sie alles
andere überschatten.
Im Europäischen Traum von Jeremy Rifkin ist Europa die „neue Stadt auf dem
Berg“, von der sich die Welt „Orientierungshilfen für die Menschheit in einer
globalisierten Welt“ erhofft. Tatsächlich belegen Umfragen, wie etwa jüngst auch
durch das BBC World Service, diese Hoffnung vieler Menschen rund um den
Globus. Weit mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung würden sich einen stärkeren
Einfluss Europas in der Weltpolitik wünschen.
Hier zeigt sich eine Perzeption Europas von außen, die uns, die wir drinnen sind,
erstaunt. In unserer Eurosklerose, in der sich viele so wohl fühlen, wollen viele nicht
verstehen, warum uns andere als Leuchtturm sehen und uns entweder nachahmen
oder am Liebsten gleich beitreten wollen. Damit bin ich tagtäglich konfrontiert: in
Lateinamerika, Afrika, Asien gibt es zaghafte Ansätze zu regionaler Integration à la
EU – aber von echter Supranationalität, von Aufgabe von Souveränität für das
größere Ganze kann noch keine Rede sein. Dieser Quantensprung ist nur in
Europa gelungen.
Umso mehr ist es entscheidend, dass wir unser erfolgreiches europäisches
Lebensmodell nach außen strahlen. Für mich ist dies eine zentrale Mission und
gleichzeitig eine Vision für die Union im 21. Jahrhundert. Dies gelingt uns sehr
erfolgreich durch die Heranführung im Rahmen der Erweiterung und im Rahmen
der Europäischen Nachbarschaftspolitik. Es sind aber zudem gezielte Massnahmen
wie unser Einsatz für Frieden durch Vermittlung und zunehmend EU-Truppen,
humanitäre Hilfe in Katastrophenfällen, unsere führende Stellung im Rahmen der
Entwicklungszusammenarbeit, unsere Rolle als veritabler Reformmotor in vielen
Regionen der Welt. Dieses Engagement zeigt auch den europäischen Bürgern
daheim, was unser Lebensmodell auf der Grundlage guter Regierungsführung,
Stärkung von menschlicher Sicherheit sowie von Wohlstand und Stabilität für
andere bedeutet.
In Jeremy Rifkin’s Traum haben die Europäer „einen visionären Weg vorgezeichnet,
wie der Lebenstrieb und die Unteilbarkeit der Erde wieder in Kraft gesetzt werden“.
Er hat gestern eine Politik der Biosphäre ausgerufen, die von den Europäern auf die
Banner geschrieben wird.
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Können wir diesen schmeichelnden Traum aber auch wirklich erfüllen? Sind wir
dem gewachsen? Es wird vor allem davon abhängen, wie wir auf die
Herausforderungen wie Klimawandel, Migration, die Bedrohung unserer Sicherheit,
die
Ausbreitung
von
Pandemien,
oder
die
Verbreitung
von
Massenvernichtungswaffen reagieren.
Aber für mich zeigt sich: sogar in Zeiten, in denen viele von einer Krise auf
europäischer Ebene sprechen, haben wir viel Entscheidendes bewegt. Auf dem
Frühjahrsgipfel im März haben wir die Tür in ein neues Kapitel der Energie- und
Umweltpolitik aufgestoßen, mit den ehrgeizigsten Zielen, den Trend der
Erderwärmung einzudämmen. Wir in der Kommission haben hier die
Weichenstellungen vorgegeben und so kopflos, wie Rifkin die institutionelle EU
gestern darstellte, sind wir offensichtlich doch nicht. Strenge Vorschriften in der
Abfallentsorgung und unser gemeinsames Bekenntnis zur Verringerung der
Treibhausgasemissionen um 30% und das verbindliche Ziel, den Anteil an
erneuerbaren Energien auf 20% anzuheben, geben klar zu erkennen, dass unsere
Umwelt keine Grenzen kennt. Sie sind aber auch ein Ergebnis unseres Europas der
Resultate, das die Barroso-Kommission sich vorgenommen hat.
Damit haben wir auch anderen einen echten Anstoß gegeben. Wir sind uns
bewusst, dass wir sowohl mit anderen Industriestaaten als auch den
Entwicklungsländern zusammenarbeiten müssen, um die Energie- und Klimaziele
global zu erreichen. Es war daher kein Zufall, dass ich heuer schon in China,
Indien, Russland und den USA diese Themen aktiv angesprochen habe. Wir
erzielten bei diesen Treffen zwar noch nicht ganz das gewünschte Ergebnis, aber
ich konnte eine zunehmende echte Sensibilität für ein gemeinsames Vorgehen
feststellen. Mit China haben wir beispielsweise vereinbart, dass die EU und China
gemeinsam bis 2015 ein sauberes Kohlekraftwerk errichten werden. Wenn wir
diese Pionierleistung schaffen, wird das die Energie- und Umweltsituation für China
und die Welt entscheidend verbessern. Das ist „Leadership“ durch europäische
„soft power“. Wir dürfen vor allem nicht vergessen, dass eine gemeinsame Position
in dieser wichtigen Frage zu einer viel stärkeren Ausgangsposition für
Verhandlungen beim G8-Gipfel im Juni führt. Meine nächste Station nach Graz ist
übrigens nächste Woche Berlin und das G8-Treffen der Außenminister, an dem ich
teilnehme.
Meine Damen und Herren!
Ich könnte jetzt ein Litanei verfassen über die vielen guten Taten der EU in all den
Bereichen, die Rifkin angesprochen hat. Sein europäischer Traum lockt uns ja in
eine „neue Zeit der Inklusivität, Diversität, Lebensqualität, spielerischen Entfaltung,
Nachhaltigkeit, der universellen Menschenrechte und Rechte der Natur und des
Friedens auf Erden“. In dieser Runde ist es wohl müßig, das im Einzelnen zu tun.
Wir wissen um unsere Stärken und Schwächen in diesen Bereichen. Aber eines ist
klar: Wir müssen die Gestaltungskraft der Union verstärken. Nur, wenn die
Europäische Union mit der nötigen Kompetenz und Fähigkeit ausgestattet ist, kann
sie effektiv und effizient handeln und diese in sie gesetzten Hoffnungen
verwirklichen.
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Daher war es ein wichtiges Signal, dass die Mitgliedstaaten „in dem Ziel geeint sind,
die Europäische Union bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament 2009 auf
eine erneuerte gemeinsame Grundlage zu stellen“. Darin werden zurecht große
Erwartungen gesetzt. Einerseits von unseren Bürgern, andererseits aber auch von
unseren Partnern. Für mich ist in der laufenden und bevorstehenden Diskussion
über eine EU-Verfassung wichtig, daß Europa inhaltlich einen echten Schritt
vorwärts macht. Mir geht es dabei um die Substanz vor der Form. Die Antwort auf
Unzulänglichkeiten der EU ist nicht weniger, sondern mehr Europa. Natürlich
müssen wir einen realistischen Ansatz wählen, um am Ende auch einen Erfolg zu
zeitigen, den alle 27 Mitgliedstaaten, vor allem aber die klare Mehrheit der fast 500
Millionen Bürger der EU unterstützen. Daher ist für mich ein auf ein institutionelles
Skelett abgespeckter Mini-Mini-Vertrag unzureichend. Wir brauchen echte
Fortschritte in Politikbereichen wie der Klima- und Umweltpolitik, der Sozialpolitik,
der Migrationspolitik und der Außenpolitik. Ich spreche mich hier für eine stärkere
Einführung von Mehrheitsentscheidungen in der Gemeinsamen Außen- und
Sicherheitspolitik aus, denn es geht in erster Linie um das Aufbringen des kritischen
politischen Willens, um effektiv zu handeln. Nur dann kann ein neuer Europäischer
Außenminister auch tatsächlich der globale Ansprechpartner und Akteur sein, den
sich Kissinger und Rifkin wünschen.
Meine Damen und Herren!
Was ist mein Traum von Europa? Oder ist das für eine in der täglichen Politik
stehende Akteurin eigentlich redundant? Diese Gefahr haben Träume oft für sich.
Sie sind Wunschbilder eines jeden einzelnen, und verzerren manchmal die Klarheit
der Entscheidungsfindung. Ich darf aber mit unserem Landsmann Graf
Coudenhove-Kalergi von einem echten föderalen Europa träumen, das ich noch
erleben möchte. Ich kehre damit – je mehr und je tiefer ich selbst in die Maschinerie
der EU Einblick habe – zu meinem Traum aus Jugendtagen zurück. Warum ein
föderales Europa? Ich glaube, nur ein solches kann im Endeffekt jene Dynamik und
jene Stärke entfalten, mit der wir im Zeitalter der Globalisierung und im Angesicht
starker und erstarkender Partner wie den USA, Rußland, aber auch China, Indien
und Brasilien bestehen können.
Viel wurde gestern schon von den Träumen und Traumata gesagt,
der
Verarbeitung des Erlebten oder der Lösung von Problemen. Nach 2 desaströsen
Weltkriegen, dem Holocaust, Diktaturen im Süden Europas, und dem
Kommunismus brauchte es viel Kraft und Willen, diese Traumata zu verarbeiten.
Europa war oft die Antwort, „durch gemeinsames Handeln den wirtschaftlichen und
sozialen Fortschritt der Länder zu sichern, indem sie die Europa trennenden
Schranken beseitigen“ wie es so schön heisst. Natürlich sind noch nicht alle alten
Traumata endgültig überwunden, neue kommen hinzu und auch in Zukunft können
wir weitere erwarten. Aber gerade die größte Stärke Europas ist es, aus
fundamentalen Schwierigkeiten wieder gestärkt hervorzugehen, wie Phönix aus der
Asche.
Sind Europas Träume Schäume? Diese Frage müssen wir aus meiner Sicht
verneinen. Zu weit ist der Traum gediehen, als dass er wieder platzen kann. Wir
müssen ihn weiterträumen, aber als Tagtraum, in wachem Zustand, in vollem
Bewußtsein unserer Möglichkeiten, Fähigkeiten und Schwächen. Was uns vielleicht
noch fehlt, ist manchmal das notwendige Selbstvertrauen, es auch zu wagen. Aber
benötigt Europa wirklich den Anstoß von außen, um sein Potenzial zu entfalten?
Wenn ich so in die Runde blicke, dann sehe ich hochkarätige Persönlichkeiten aus
den verschiedensten Bereichen. Ich bin daher überzeugt, dass im Laufe der
einzelnen Diskussionsgruppen sehr viele großartige und visionäre Ideen und
Vorschläge für Europa erarbeitet und vorgestellt werden.
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Europa braucht diese Ideen für die Gestaltung seiner Zukunft. Aber vor allem
brauchen wir auch Mut. Den Mut, voranzugehen und den Mut, diese visionären
Ideen auch umzusetzen.
Jean Monnet, Robert Schuman, Konrad Adenauer, Alcide de Gasperi und viele
mehr hatten diesen Mut. Sie haben den europäischen Einigungsprozess und damit
die Wende in der Geschichte Europas eingeleitet. Führen wir ihn weiter in neue,
globale Gefilde. Ich wünsche uns dabei eines: im 20. Jahrhundert haben wir unser
kollektives menschliches Wissen enorm erweitert. Im 21. Jahrhundert hoffe ich, daß
wir unsere Weisheit ebenso erweitern, um mit diesem Wissen verantwortungsvoll
umzugehen.
Wir haben als Europäische Union unsere Verantwortung in der Welt als eine
„Weltmacht des Friedens und der Menschenrechte“ zu übernehmen. Dieser
Verpflichtung müssen wir vor allem in unserer nächsten Nachbarschaft wie im
Kosovo nachkommen. Aber auch neue sicherheitspolitische Herausforderungen wie
der internationale Terrorismus und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen
erfordern eine starke Union. Die Verbindung dieser beiden ist der neue Alp-Traum
unserer Zeit, wie es das Wettrüsten während des Kalten Krieges war.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Paul Henri Spaak, der große belgische Europäer, sagte:
„Entmutigt werden können nur diejenigen, die sich einbilden, Europa lasse sich
durch ein „Sesam-Öffne-Dich“ oder durch eine riesige Welle des Enthusiasmus
schaffen. Nichts dergleichen wird geschehen. Ein organisiertes und vereinigtes
Europa wird das Ergebnis langer und mühevoller Anstrengung sein.“
Das ist viel nüchterner als der europäische Traum Rifkins, entspricht aber der
Realität der bisherigen Integration. Ich kann dazu nur sagen: Die Anstrengung lohnt
sich. Dadurch wurden weltweit EU-Standards durchgesetzt, wie beispielsweise
europäische Normen in der chinesischen Automobilindustrie und bei der
Lebensmittelsicherheit, oder die GSM-Norm für Mobilkommunikation. Durch die
Einführung des Euro wurde nicht nur der Zahlungsverkehr erheblich erleichtert,
sondern auch unser Einfluss in der Außenwirtschaft verstärkt. Es sind konkrete
Schritte wie diese, an denen sich europäischer Traum und Wirklichkeit treffen
müssen.
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