206 Bilderwelten in Traum und Psychose – kunsttherapeutische Aspekte Zeichen auf seinen Bildern sei. Das laute Nein und die abwehrende Geste sollten sie schützen und auf die ihr drohende Gefahr aufmerksam machen. Die Kunsttherapeutin verstand die Reaktion des Patienten aber ganz richtig als Abwehr gegen eine zu große Nähe. Ihr Beziehungsangebot hatte der junge Mann in der akuten Wahnphase wohl als feindliches »Eindringen« von außen in seine Person erleben müssen (vgl. Benedetti 2001). Zum Traumerleben in der Psychose Wenn wir annehmen, dass der schizophrene Mensch in der Psychose einen ebensolchen Kontrollverlust erleidet, wie ihn der »normale« Träumer im Schlaf erlebt, müsste sich auch dessen bildnerische Darstellung, genau wie der Traum, einer willentlichen Steuerung entziehen. Das heißt, die inneren Bilder des Wahns überfluten das bildnerische Gestalten des Kranken in ähnlicher Weise mit bizarren, verzerrten, phantastischen und der Vernunft des Wachbewusstseins fremden Geschehnissen wie das Traumbild den Schlafenden. Dieser Gedanke wird von Hobson (1998) aufgegriffen, der den Traum als eine »gesunde psychische Störung« bezeichnet. Dazu passt die schon erwähnte Hypothese, dass psychotisches Erleben den Durchbruch von Träumen in den Wachzustand darstellt (Noble 1951). Obwohl wissenschaftlich kontrovers diskutiert (vgl. Kramer und Roth 1978), steht diese Überlegung in Einklang mit Eindrücken und Beobachtungen, die ich im Rahmen meiner kunsttherapeutischen Arbeit machen konnte. Vertiefen wir uns in die Deutungen von Träumen in alten Traumbüchern, so lesen wir, dass um 200 v. Chr. der griechische Traumdeuter Artemidoros den Traum vom »Irresein« in überraschender Weise auslegt: »Irrsinnig sein im Traum bringt Glück, und Kranken kündigt es Gesundheit«. In Umkehrung dieser Deutung könnte man dem Schizophrenen möglichst viele nächtliche »Wahnsinnsträume« wünschen; die Rückverlagerung des »Irreseins« in die Nacht könnte dazu beitragen, dass er gesund wird und seine Tage wieder wahnfrei erleben kann (Abb. 3). Wissenschaftlich umstritten ist auch, ob die Träume psychotischer Patienten spezifische Charakteristika aufweisen. Strunz (1989) zeigte, dass schizophrene Patienten auch im Traum Stimmen hören können, und dass sich ihre Träume durch häufigeres Auftreten von Konflikten und erhöhter Bizarrheit auszeichnen. Auch Schredl und Engelhardt (2001) fanden einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Bizarrheit der Träume und dem Schweregrad der Psychose. Andere, auch neuere Studien fanden dagegen keinen gravierenden Unterschied zwischen den Träumen neurotischer und psychotischer Patienten. Somit ist es durchaus legitim zu vermuten, der Schlaf sei beim Schizophrenen eine »Insel der Zum Traumerleben in der Psychose »Auf Händen tragen?« Bild einer Patientin mit schizoaffektiver Störung, die sich in den Hochstimmungen ihrer Psychose von der Erkrankung getragen und herausgehoben fühlte. 207 Abb. 3 208 Bilderwelten in Traum und Psychose – kunsttherapeutische Aspekte (allenfalls neurotisch deformierten) Normalität«. Dafür spricht die Arbeit von Bochnik und Gärtner-Huth (1987) zur »Traumstimmung bei endogenen Psychosen und bei Neurosen«, die zeigt, dass Neurotiker mehr träumen als Psychotiker, und dass ihr Traumerleben weniger vom Schweregrad der psychotischen Symptomatik abhängig ist als das Wacherleben. Im Laufe meiner langjährigen klinischen Tätigkeit fiel mir immer wieder auf, dass Psychotiker viel weniger über ihre Träume erzählten als Neurotiker. Ich frage mich, ob die nächtlichen Traumbilder der schizophrenen Patienten, im Kontrast zu ihrem psychotischen Erleben, eher entlastend, »bieder« und »normal« sind. Könnte es dann nicht Zeichen einer beginnenden Genesung sein, wenn die Träume wieder bizarrer, verrückter, »psychotischer« werden? Die Abbildungen 4 und 5 stammen von zwei verschiedenen Patienten und wurden in der akuten Phase der schizophrenen Erkrankung gestaltet. Die Bilder muten wie geheimnisvolle Traumbilder an, die sich nicht so leicht entschlüsseln lassen. Beide Patienten äußerten sich nicht zu ihren Werken. Der Traum von Himmel und Erde Ein nicht psychotischer Patient , der im Rahmen einer Trennungsproblematik in eine kürzere, reaktive Depression gefallen war, träumte, dass er, befreit von aller Erdenschwere, sich ohne weiteres in die Lüfte erheben konnte und dort zu seiner Freude den altbekannten Bewohnern des »Himmels« – und ihn besonders entzückend, der Hl. Jungfrau Maria – begegnet sei. Bis dahin war sein Traum von reinen Glücksgefühlen begleitet. Bevor sein verstorbener Vater, den er ebenfalls im Himmel antraf, zu ihm sprechen konnte, wechselte das Bild. Der Patient fuhr im Traum mit so schrecklicher Wucht in die Erde hinein, dass sie sich unter ihm öffnete und ihn all das sehen ließ, was sonst in ihrem Inneren so gnädig verborgen war. Vielleicht tauchen hier vor unserem inneren Auge abermals die rätselhaften Phantasiegestalten aus den Bildern des Hieronymus Bosch auf. Auch unseren Patienten bedrohten in seinem Traum Angst machende Schattenwesen der Tiefe. Schweißgebadet wachte er aus diesem zum Albtraum gewordenen Glückstraum auf. Im Tagesgeschehen war der Träumer ein eher etwas zwanghafter, pflichtbewusster und beruflich durchaus erfolgreicher Maschinenbauingenieur. Das folgende Bild (Abb. 6), das ohne weiteres auch vom eben beschriebenen Träumer stammen könnte, wurde von einer schizophrenen Patientin in der Kunsttherapie gestaltet. Im Gegensatz zur Bildaussage empfand sie, wie sie mir sagte, das Antlitz auf ihrer Darstellung als freundliches Wesen aus einer anderen Welt. Für andere unsichtbar, war es ihr täglicher treuer Begleiter. Der Traum von Himmel und Erde 209 »Aus der Tiefe« Abb. 4 »Phantastische Landschaft« Abb. 5