Leseprobe: Nichts wird die Dinge ändern – Teil 1 Zeitkreise Andrea folgte dem Pfad zwischen dem hohen Heidekraut, der deutlich zu erkennen war, so ausgetreten oder besser ausgespült war er, bis zu einem Bergrücken unterhalb des Gipfels des Pap of Glen Coe. Die Bäume, hauptsächlich Birken, Erlen und Ebereschen waren jung und licht, so dass sie einen guten Rundblick von der Felsnase aus hatte, auf der sie stand. Zu ihrer Rechten zog sich bleigrau die Wasserfläche des Loch Leven, auf der gegenüberliegenden Seite erhoben sich die mächtigen Berge von Mamore. Sie konnte Brians Hütte nicht mehr sehen. Ein merkwürdiger Felsbuckel, der tief in die Bucht ragte und sie kurz vor Caillich einengte, versperrte ihr die Sicht. Auch hier waren einige Häuser zu sehen, die Streifen der Felder, die Rigs oder Lazy Beds, wie sie auch genannt wurden, die zum Meer hinunter liefen, Vieh, das auf den kargen Weideflächen graste. Es war ein friedlicher und zugleich befremdlicher Anblick für Andrea. Sie war schon einmal hier gewesen, an dieser Stelle und es hatte alles anders ausgesehen. Es war nicht das Schottland, das sie kannte. Es war die Vergangenheit, für Andrea ein unbekanntes Land, wie für die Menschen dieser Zeit die Zukunft. Die Zukunft, die ihr nicht unbekannt war, eine Zukunft, die sie kannte. Ein Blick fiel auf die Meerenge von Ballachulish, die in der Ferne zu sehen war, unterhalb der Bergformation des Ben a Bhethir und ein Schauer rieselte ihren Rücken herunter. Es war eine dunkle Vorahnung. Es würde etwas passieren, etwas Unangenehmes, das fühlte sie. Sie sah plötzlich jene Filmszene vor sich, wie es ihr schon in Morvern gegangen war, als John Bishop ihr von Colin Campbell of Glenure, Cailean Ruadh, dem roten Colin erzählt hatte. Sie wusste nicht, wie nah Stevenson mit seiner Geschichte den historischen Tatsachen gekommen war, einem Ereignis, das hier und jetzt wirklich geschehen würde. Andrea seufzte und schüttelte diese verwirrenden Gedanken ab. Sie folgte dem Pfad weiter, der sie den Hang hinunter zum Tal des Glen Coe führte, zu einem Ort, der Carnoch genannt wurde und den sie im 20. Jahrhundert als Glen Coe Village kannte. Sie erreichte die Militärstraße, die ihren Namen halbwegs verdiente, kurz hinter einer Brücke, die den River Coe hinter der Ortschaft, die ebenfalls nichts weiter als eine Ansammlung elender Hütten war, bis auf ein etwas größeres Haus. Die Straße führte durch einen lichten Auwald hinein ins Glen Coe. Sie war breit genug, dass man mit einem Fuhrwerk darauf fahren konnte und bequem zwei Reiter nebeneinander Platz hatten. Andrea kam ein zweirädriger Ochsenkarren entgegen. Auf dem Bock, des mit Säcken beladenen und gefährlich schaukelnden Gefährts, saß ein großer, vielleicht vierzigjähriger Mann, mit pechschwarzen Haaren und einem zotteligen Bart von derselben Farbe. Er grüßte Andrea freundlich, als er passierte und das Mädchen erwiderte genauso freundlich den Gruß. Im Auwald hatte der Frühling eine verschwenderische Pracht entfaltet. Glockenblumen und Primeln bildeten blaue oder weiße Teppiche. Zwischen den herrlich frischen Duft der erwachenden Natur mischte sich der Geruch von Torfrauch und Stall. ›Highland smoke‹, dachte Andrea noch schmunzelnd, als plötzlich eine zottelige, schwarze Kuh mit riesigen Hörnern, mitten auf dem Weg stand. Das Tier sah nicht gerade wohlgenährt aus. Sogar durch das verfilzte Fell sah man die Knochen spießen. Die Kuh trottete vom Weg herunter zwischen die Bäume des Auwaldes und ließ sich dort das saftige Grün schmecken. Andrea wusste, dass die Tiere nicht gefährlich waren, aber sie hatte einen Höllenrespekt vor den mächtigen Hörnern. Es war angenehm zu laufen und immer wieder begegneten ihr Leute, hauptsächlich Bauern, ärmlich gekleidet, aber bei weitem nicht so wie die Pächter, denen sie auf Mull begegnet war. Sie waren wohl auf dem Weg nach Carnoch oder zu ihren Feldern, die in dem hier breiten Flusstal überall auftauchten. Die vereinzelten Hütten, die sie sah, waren nichts weiter als mit Heidekraut gedeckte Steinhaufen, ohne Fenster und Kamine. Dass solche Behausungen noch bis in die 50er Jahre ihres eigenen Jahrhunderts auf den Äußeren Hebriden bewohnt wurden, konnte sie kaum fassen. So etwas hatte es in Deutschland nicht einmal vor 200 Jahren gegeben. Aber es war eben die Realität des 18. Jahrhunderts in den schottischen Highlands. Schon bald hatte sie das fruchtbare Gebiet des Glen Coe hinter sich gelassen und gelangte in jenen Teil, der auch den Reisenden im 20. Jahrhundert das Blut in den Adern gefrieren ließ, wenn sie etwas von der Geschichte des Tales wussten. 1752 war es gerade ein Menschenleben her, dass hier an einem frostigen Februar Morgen, die Campbells über ihre schlafenden Gastgeber, die MacDonalds herfielen. Auf Befehl des Königs in London, ermordeten sie die Männer, die ihnen zuvor tagelang Gastfreundschaft gewährt hatten. Vor Andrea lag der Loch Achtriochtan, ein kleiner, flacher See, der auf beiden Seiten von düsteren, hoch aufragenden Bergen eingerahmt wurde. Es waren steile Felsformationen, welche den finsteren und gespenstischen Eindruck noch verstärkten. Doch auch hier klebten Hütten wie kleine steinerne Nester unterhalb der Hänge. Der Weg führte sie an einer Gruppe größerer und kleinerer Behausungen vorbei, die sich bei näherem Hinsehen als eine Wassermühle mit Nebengebäuden entpuppte, die das Wasser des River Coe zum Mahlen von Getreide nutzte. Im Gegensatz zum 20. Jahrhundert, wo die intensive Schafzucht die Vegetation sehr geschädigt hatte, war der Teil des Tales, der nicht landwirtschaftlich genutzt wurde, von einem schier undurchdringlichen Gestrüpp aus jungen Birken, Erlen, Buschwerk, Heide und Farnflächen bedeckt, das sich zwischen teilweise riesigen Findlingen und Geröllfeldern, Hinterlassenschaften der letzten Eiszeit, erstreckte. Die Straße schlängelte sich zwischen diesen Flächen hindurch und man wusste nicht, was hinter der nächsten Wegbiegung wartete. Das Wetter verschlechterte sich zusehends. Düstere Wolken hatten sich über dem Tal zusammengeballt und hüllten alles in ein finsteres Zwielicht. Böiger Wind ließ die Schöße ihrer Jacke flattern und trieb Staubwolken über den Weg. Andrea holte das Plaid aus ihrem Seesack und wickelte sich in das große karierte Wolltuch. Das Tal wurde immer enger und die Hänge auf beiden Seiten immer steiler. Flächen mit mannshohem Adlerfarn bedeckten sie teilweise. Zu ihrer Linken erhoben sich die drei seltsam geformten Gipfel, die als die ›Three Sisters of Glen Coe‹ bekannt waren. Sie waren düster und zum Greifen nahe im Zwielicht des aufziehenden Unwetters. Andrea bog gerade um eine Felsnase herum, als der Wind ihr ein seltsames Klirren zuwehte, das sie anfänglich nicht einordnen konnte. Doch dann sah sie aus einem Farnfeld einen Trupp englischer Soldaten auftauchen, die gerade eine kleine Brücke über einen rauschenden Bach überquerten. Voran ritt ein Offizier mit Federhut und weißer Perücke. Die ihm folgenden Soldaten waren bis auf den Sergeanten, der sie ebenfalls zu Fuß anführte, mit jenen seltsamen Mitras, Bischofsmützen ausstaffiert und alle mit Musketen bewaffnet. Nach dem ersten Zusammenstoß mit der Staatsmacht des Vereinigten Königreichs an der Fähre von Corran hatte Andrea ein äußerst ungutes Gefühl, wenn sie einen Rotrock sah und das war wohl nicht unbegründet. Sie war vor einem steilen Felsen stehen geblieben um die Soldaten passieren zu lassen. Mit finsterer Miene steuerte der berittene Offizier auf sie zu und ließ den Trupp halten. Er drängte sein Pferd so nah an Andrea heran, dass sie an die Felswand gedrückt wurde. Andrea wurde mit einem Schlag bewusst, dass sie erneut mit dem verbotenen Plaid unterwegs war. Angst schnürte ihr die Kehle zu. Mit seiner Reitpeitsche fuchtelte der Offizier ihr vor dem Gesicht herum und tippte auf das karierte Plaid. »Fragt ihn, wo er herkommt, dieser aufsässige Highlander, MacDonald!« Er wandte er sich an den Sergeanten, der hinter ihm stand. Mit Entsetzen erkannte Andrea ihn. Es war eben jener Sergeant, mit dem sie schon an der Fähre aneinandergeraten war. Wie konnte sie auch so unvorsichtig sein und in einer Gegend, wie dem Glen Coe, das von den Soldaten seiner Majestät kontrolliert wurde, in einem Tartanplaid oder etwas, was man dafür hielt, herumlaufen. Der Zwischenfall an der Fähre hätte ihr eine Warnung sein sollen. Auf das Tragen der Hochlandtracht standen schwere Strafen. Der Soldat packte Andrea unsanft an der Jacke und schüttelte sie. Sie sah erschrocken in sein gerötetes Gesicht. Der Mann hatte seine Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst und eine tiefe Falte lief von seinem Nasenflügel zum Mundwinkel herunter. »Se an amadan tha anad, amadan dearg a ghille! Du bist ein Dummkopf, ein verdammter Dummkopf, Junge!«, fuhr er sie an. Dann folgte ein Schwall Gälisch, bei dem Andrea nur einzelne Worte erahnen konnte. Das Ganze verwirrte sie vollkommen, denn der Sergeant kannte sie, er wusste dass sie kaum Gälisch sprach und dass sie Ausländer war. Trotzdem spielte er hier eine Komödie, die auf nichts anderes hinzielte, als sie zu schützen. Ihr war klar, dass, wenn der Offizier erfuhr, dass sie nicht zum ersten Mal mit einem Plaid erwischt wurde, ihr eine Gefängnisstrafe drohte. Trotz alledem war der Sergeant keinesfalls freundlich zu ihr. Im Gegenteil, er stieß sie so grob an, dass sie gegen die Felswand prallte und fast stürzte. »A bheil thu tuigsinn? Verstehst du mich?«, schrie er sie an. Andrea schüttelte den Kopf und versuchte das Gleichgewicht zu halten. »Der Kerl versteht kein Gälisch. Er ist nicht von hier, fürchte ich Sir«, erklärte der Sergeant nun dem Offizier, der beunruhigt zu den düsteren, regenschweren Wolken aufschaute, die sich über ihren Köpfen zusammen ballten. »Lasst uns zu einem Ende kommen. Wenn du nicht sofort sagst, wo du das Plaid herhast und wo du hin willst, du kleiner, dreckiger Schurke, dann lasse ich dich in Fort William in Ketten legen. Dann wirst du dich als Zwanzigpfünder auf einem Schiff in die Kolonien wiederfinden!«, schrie er Andrea in seinem abgehackten mittelenglischen Akzent ungehalten an. Sie zögerte nur einen Augenblick. Was sollte sie nun wieder erzählen, nichts anderes als das, was sie dem Sergeanten an der Fähre berichtet hatte, beschloss sie. Doch ihr Zögern hatte Folgen. »Antworte du maulfauler, stinkender Trottel!« Mit diesen Worten begann der Offizier mit seiner Reitpeitsche auf den vermeintlichen Jungen einzuschlagen. Andrea versuchte ihr Gesicht zu schützen und sank zu Boden, doch die Peitsche traf ihre Wange und eine brennende Strieme zog sich darüber. »Haltet ein Sir, ich bin fremd in diesem Land und es war mir nicht bekannt, dass es verboten ist, diese karierte Decke zu tragen. Arme Leute haben sie mir geschenkt, weil ich bei einem Schiffbruch auf Mull alles verloren habe!«, rief sie in höchster Not, bemüht dialektfrei englisch zu sprechen. Der Sergeant zog Andrea wieder auf die Füße, schüttelte sie erneut grob. »Warum antwortest du König Georges Soldaten nicht sofort, was für ein Fremder bist du, wohl Franzose?«, fuhr er sie an. Andrea sah erschrocken in sein Gesicht, das finster und entschlossen wirkte. Nur in seinen unergründlich tiefblauen Augen las sie etwas anderes. »Ich bin kein Franzose Sir. Ich bin Deutscher«, antwortete sie ängstlich. »Bitte, Ihr müsst mir glauben, Sir!«, fügte sie noch vorsichtshalber auf Deutsch hinzu. Der Offizier musterte sie überlegend. »Deutscher also, was treibst du dich in dieser Gegend herum?«, fragte er scheinbar wohlgestimmt. »Ich habe Schiffbruch erlitten Sir, vor zwei Wochen auf Mull und versuche zurück nach Glasgow zu kommen, wo ich seit zwei Jahren lebe«, antwortete Andrea vorsichtig. »Nun gut, das will ich dir glauben, Bursche. Aber wer seit zwei Jahren in Schottland lebt, sollte seiner Majestät Gesetze kennen und ohne Strafe kommst du mir nicht davon!«, erwiderte der Offizier mit finsterer Miene. »Haltet den Burschen fest, MacDonald«, fügte er noch hinzu und stieg vom Pferd. Der Sergeant packte sie grob an den Armen und drehte sie mit dem Rücken zu dem Offizier. Erschrocken sah Andrea in sein Gesicht, das starr wie eine Maske war, während der Engländer anfing, ihren Rücken mit der Reitpeitsche zu traktieren. Laut begann er zu zählen und die Soldaten im Chor mit. Zum Glück dämpfte die dicke Kleidung die Schläge, doch der Offizier traf sie auch mehrmals am Kopf und dem Nacken, was fürchterlich brannte und ihr die Tränen in die Augen trieb. Aber Andrea gab keinen Laut von sich. Der Sergeant stemmte sich gegen sie, weil sie auszuweichen versuchte. Als sie kurz aufsah, fing sie erneut einen seltsamen Blick des Soldaten auf. Bei »Fünfzehn!« ließ er sie los und Andrea kippte vornüber in den Schlamm auf dem Weg. Sie rollte sich schützend zusammen, weil sie weitere Schläge erwartete. Doch der Offizier schien zufrieden mit dem Ergebnis seiner Bestrafung zu sein. Der Sergeant beugte sich zu Andrea herunter. »Lass dir das eine Lehre sein, Bursche«, flüsterte er in seinem weichen Highland Dialekt, zerrte ihr grob das Plaid weg und beförderte es in den rauschenden Gebirgsbach unter der Brücke. »Mach, dass du nach Glasgow kommst, a Ghearmailteach!«, fügte er noch laut hinzu und versetzte Andrea, die sich gerade aufrappelte, einen Fußtritt, so dass sie erneut im Schlamm landete. Schallendes Gelächter folgte von den Rotröcken, die sich wieder auf Befehl des Offiziers in Marsch gesetzt hatten. Andrea versuchte auf die Beine zu kommen, doch fast jeder Soldat, der vorüberlief, versetzte ihr erneut einen Fußtritt, so dass sie sich nur wie ein Igel zusammenrollte und wenigstens ihren Kopf und das Gesicht zu schützen versuchte. Es trieb ihr die Tränen ins Gesicht und sie weinte lautlos, bis der Trupp sich endlich entfernt hatte. Warum war sie nur so unvorsichtig gewesen? John hatte sie ja zur Genüge gewarnt. Andrea lauschte angespannt. Die Geräusche der Soldaten waren verstummt, nur das Rauschen des Baches und das Pfeifen des Windes, der über sie strich, war zu hören. Mühevoll rappelte sie sich auf. Ihre Kleidung war vollkommen schlammbesudelt und nass. Die Haare hingen ihr wirr ins Gesicht, auf dem die Strieme, welche die Reitpeitsche des Offiziers hinterlassen hatte, wie Feuer brannte. Langsam ging sie zum Bach hinunter und säuberte sich das Gesicht und ihre Kleidung – so gut es ging. Erst jetzt bemerkte Andrea, dass sie ihren Seesack verloren hatte und sie erschrak für einen Moment. Der Inhalt durfte keinesfalls in die Hände eines Menschen des 18. Jahrhunderts gelangen! Doch dann erinnerte sie sich, dass er während der ersten Schüttelattacke des Sergeanten von ihrer Schulter und in die Farne am Wegrand gerutscht war. Andrea band ihre Haare wieder zusammen und lief hinauf zum Weg, ein Stück zurück bis zu der Stelle, an der sie gestanden hatte. Sie rutschte einen kleinen Abhang hinunter zu den Farnen. Einige Stängel waren umgeknickt, doch von dem Seesack war keine Spur zu sehen. Andrea lief tiefer hinein in das Gewirr des Adlerfarns, der höher als sie selbst war. Sie fluchte leise in ihrem Glaswegian Slang, als sie über einen Stein stolperte und auf allen Vieren landete. Gerade als Andrea wieder aufstehen wollte, sah sie in das Gesicht eines Mannes. Sie sank zurück und presste sich die Hand auf den Mund, um nicht laut zu schreien, was wohl das Klügste war, denn ihr Gegenüber hatte einen langen Dolch gezückt und hielt ihn ihr an den Hals. »Dun do beul, a ghille! Halte den Mund Junge!«, zischte er auf Gälisch. Andreas Herz schlug wie ein Trommelwirbel, ihr war übel und sie hatte Mühe, nicht vollkommen vor Angst die Fassung zu verlieren. Was würde noch kommen, bis sie Glasgow erreichte. Ihre dunkle Vorahnung vor wenigen Stunden schien sich zu bestätigen. Ein Mann, der sich in den Farnen vor den Rotröcken verbarg, konnte nichts Gutes bedeuten. Stumm musterte sie ihr Gegenüber. Der Fremde war jung, sie schätzte ihn auf Ende zwanzig. Er trug einen braunen, langen, grob gewebten Umhang, unter dem sie eine dunkelblaue Jacke, mit auffälligen Borten und Metallknöpfen und eine rote Weste ausmachte. Auf dem Kopf hatte er ein blaues Bonett, eine dieser barettähnlichen Mützen, unter dem pechschwarze, lockige Haare hervorquollen. Um die Haare unter Kontrolle zu bringen, hatte er sie zu einem festen Zopf geflochten, der noch mit einem breiten Stoffband umwickelt war. Sein Gesicht war sonnengebräunt, länglich, markant geschnitten und irgendwie fleckig pigmentiert, was Andrea etwas seltsam vorkam. Die Augenfarbe konnte sie unter den dichten schwarzen Brauen, über den tief liegenden Augen, im Zwielicht, das in den Farnen herrschte, nicht genau ausmachen. Aber sie vermutete dunkle Augen, was zu den schwarzen Haaren passen würde. Auch der Mann musterte Andrea aufmerksam, zog schließlich seinen Dolch zurück und ließ ihn verschwinden. »’Ist nicht gut Kirschen essen mit den Rotröcken a Ghearmailteach?«, sagte er dann mit einer angenehmen, tiefen Stimme, mit dem sanften Hauch der Hochlandschotten, deren Muttersprache Gälisch war. Ein freches Grinsen erschien dabei auf seinem Gesicht. Andrea erwiderte nichts, schluckte nur und sah den Mann an wie eine Erscheinung. »Du suchst nicht zufälligerweise das hier?« Er griff hinter sich und drückte ihr den Seesack in die Hände. Immer noch fehlten ihr die Worte. »Hätte mich fast erschlagen, das Ding. Schleppst du Steine mit dir herum?« Erneut musterte er Andrea mit durchdringendem Blick. »Hast du die Sprache verloren a ghille? «, fragte er schließlich und tippte sie mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand an. Andrea schüttelte apathisch den Kopf. »Ihr … Ihr macht … mir Angst …«, antwortete sie stockend. »’War nicht meine Absicht, Bursche, du solltest ja nicht unbedingt hier in den Farnen über mich stolpern.« Erneut huschte ein Grinsen über sein Gesicht und er entblößte eine Reihe weißer, leicht schiefer Zähne. Eine Windböe bog die Farne und es wurde zusehends finster. »Wir sollten uns einen geschützten Platz suchen, denn hier wird es bald ungemütlich werden. Es zieht ein Unwetter auf!« Vorsichtig erhob er sich und spähte über die hohen Pflanzen. Andrea sah erstaunt auf. Der Mann war ungewöhnlich groß. Die blaue Jacke war lang geschnitten und reichte ihm bis an die Knie. Darunter trug er schwarze, leicht abgewetzte Kniebundhosen und karierte Strümpfe, was genauso wie ihr Plaid ein Verstoß gegen das Gesetz war, welches das Tragen der Hochlandtracht verbot. Das war sicher nicht der einzige Grund, warum sich der junge Mann hier in den Farnen vor den Rotröcken verborgen hatte. Ihr fiel plötzlich ein, dass ihr Neil einmal von den sogenannten Jakobiten berichtet hatte, Anhängern des verbannten König James des Vierten. Sie vermutete hier einen jener verzweifelten und todesmutigen Männer vor sich zu haben, die für ihren verbannten Clan Chief die Verbindung zu den Zurückgebliebenen aufrecht hielten, Geld und Nachrichten schmuggelten. Offensichtlich war er auch noch Angehöriger des französischen Heeres, denn sie hatte auf den Metallknöpfen seiner Jacke die Lilie, das Symbol des französischen Königs, entdeckt. Der Farbe und dem Schnitt nach war die Jacke Teil einer Uniform, so auffällig, wie sie war. Andrea konnte sich allerdings dunkel erinnern, dass die Farbe der Franzosen im 18. Jahrhundert weiß oder graue war. »Was ist, a Ghearmailteach, willst du hier in den Farnen anwachsen?«, unterbrach der Fremde Andreas Gedanken und hielt ihr seine kräftige Rechte hin, um ihr aufzuhelfen. »Komm Bursche!« Sie sah verwirrt auf die Hand und dann ins Gesicht des Mannes über ihr. Schließlich fasste sie zu und er zog sie zum Stehen. Er war mehr als einen Kopf größer als sie, also genauso groß wie Neil, was sie schon vermutet hatte. Schweigend folgte Andrea dem Fremden, der sich seinen Weg durch die Farne in Richtung des Baches bahnte. Sie beobachtet ihn mit einem seltsamen Gefühl. Irgendetwas in ihrem Hinterkopf warnte sie, weiter in Gesellschaft dieses Menschen zu bleiben. Andererseits hatte der Mann Recht. Ein Unwetter zog auf und hier war weit und breit kein Unterschlupf zu sehen. Offensichtlich war er mit der Gegend vertraut und würde wissen, wo man einen geschützten Platz fand. Mit ausgreifenden Schritten, denen Andrea kaum folgen konnte und sehr gewandt, lief der Fremde durch die Farne, bis diese an einer sumpfigen Wiese, in der Nähe des Baches, den die Brücke der Militärstraße weiter oben überspannte, endete. Hier blieb er stehen und wartete auf sie. Eine Windböe ließ seinen langen Umhang wie ein Segel flattern und zerzauste seine dunklen Locken. Er zog sich das blaue Bonett tiefer ins Gesicht und spähte mit in Falten gezogener Stirn zu den tiefschwarzen Wolken, die sich über dem mittleren Gipfel der Three Sisters zusammengezogen hatten. »Beeile dich, es wird gleich losgehen! Pass auf, wo du hintrittst, sonst steckst du bis zu den Knien im Moor. Wo Heide wächst, ist es sicher«, gab er Anweisungen, als Andrea ihn erreicht hatte, und begann flink über die Moorfläche zu laufen. »Was tue ich eigentlich hier?«, fragte sie sich selbst, zögerte einen Moment, folgte dem Mann aber schließlich. Andrea war froh endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Nun überquerten sie den Bach an einigen Trittsteinen und liefen einen kaum erkennbaren schmalen Pfad zum Ufer des River Coe hinab. Sie musste heideüberwucherter Felsen überklettern und folgte dem Fremden schließlich einige Steinstufen hinunter zu einem weiteren Wasserlauf, den sie ebenfalls überquerten. Die eigentliche Straße führte weiter oberhalb von ihnen durch ein Gewirr von riesigen Steinquadern, so dass sie, falls dort ein Posten der Rotröcke war, nicht gesehen werden konnten. Zwischen den Hügeln, die mit Farnen bewachsen waren, erkannte Andrea das mit Heidekraut gedeckte Dach einer Hütte. Das schien wohl das Ziel ihrer eiligen Wanderung zu sein und das schützende Dach kam keine Minute zu früh in Sicht. Ein heftiger Wind kam auf und die Böen rissen sie fast von den Füßen. Der junge Mann hatte sich in seinen langen Umhang gewickelt und stemmte sich in gegen den Sturm. Ein Blitz zuckte vom Himmel und der Donner wurde vom Tosen des Windes verschluckt. Plötzlich begann es zu hageln, haselnussgroße Eiskörner bombardierten sie. Er zog Andrea, die der Wind zu Fall gebracht hatte, wieder auf die Füße und hinter sich her zu der Hütte. Bei näherem Betrachten war diese halbverfallen und verlassen. Doch, obwohl das Dach einige Löcher hatte, bot es wenigstens etwas Schutz vor dem Unwetter. Sie schüttelten sich die Hagelkörner aus der Kleidung und den Haaren und der Fremde stemmte die halb aus den Angeln gehobene Tür wieder zu. »Puh, das war keine Minute zu früh«, meinte er. Als ob die Natur draußen das bestätigen wollte, schüttelte eine Windböe die Hütte, vergrößerte noch das Loch im vorderen Teil des Daches und ein Sturzbach von Regen ergoss sich ins Innere. Zum Glück war das Haus so gebaut, dass sich die Wassermassen einen Weg unter der Tür hindurch nach draußen suchen konnten. Im hinteren Teil der Hütte waren sie sicher, denn hier war das Dach dicht und sie blieben trocken. Was keinesfalls hieß, dass es gemütlich gewesen wäre, ganz im Gegenteil. Das Innere der Hütte strotzte vor Schmutz und Andrea stand mit vor der Brust verschränkten Armen fröstelnd da und versuchte auszumachen, was der Mann im Halbdunkel der Hütte trieb. Es raschelte in einer Ecke und er kam mit einem Haufen Heu auf den Armen zu ihr, breitete es vor der Mauer aus, legte seinen langen Mantel darüber und bat Andrea sich zu setzen. Sie kam seiner Bitte zögernd nach. Als sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, beobachtete sie, wie sich der junge Mann das Bonett vom Kopf zog und es ausschüttelte, schmelzende Hagelkörner aus den Haaren klaubte und sich schließlich das Heu von der Jacke putzte. Aus einer Tasche, die er über der Schulter hängen hatte, holte er einen Beutel Tabak sowie Stahl und Stein, heraus. Er stopfte sich eine Pfeife, zündete mit Stahl und Stein einen Heidezweig an und setzte sie die Pfeife in Gang. Im Schein des brennenden Zweiges sah Andrea sein Gesicht erneut und deutlicher. Die seltsame Pigmentierung entpuppte sich als tiefe Narben, die besonders seine Stirn und die Wangen bedeckten. ›Pockennarben‹, schoss es ihr durch den Kopf, das mussten Pockennarben sein. Noch nie hatte sie so etwas gesehen. Der Mann schien zu bemerken, wie sie ihn anstarrte. Den brennenden Heidezweig immer noch in der Hand, musterte er sie nun neugierig und Andrea erschrak, so durchdringend und forschend war sein Blick. Seine Augen waren nicht dunkel, sondern hell, grau wie das Meer bei Sturm. »Was ist los, Junge, was starrst du so, willst du auch rauchen?«, fragte er und ließ plötzlich mit einem leisen gälischen Fluch den Zweig fallen, da er sich wohl die Finger verbrannt hatte. »Nein danke, ich rauche nicht«, erwiderte Andrea darauf zögernd und schlang fröstelnd die Arme um ihre Knie. Sie fror nicht nur, weil ihre Kleidung feucht war, sondern auch, weil ihr die Situation irgendwie unheimlich erschien. Sie war schon einigen Menschen in dieser Zeit begegnet, angefangen bei dem armen Fischer auf Mull, John Bishop und Brian Cameron, den vielen einfachen Leuten unterwegs und nicht zu vergessen seiner Majestät Soldaten. Aber dieser vermeintliche Jakobit, der neben ihr saß, war ihr nicht geheuer. Ihr siebter Sinn ließ die Alarmglocken läuten und das ziemlich laut. Erneut zündete der Fremde einen Zweig an und hielt ihn vor Andreas Gesicht. »Wie alt bist du a ghille?«, fragte er mit einem seltsamen Gesichtsausdruck. Sie sah ihn kurz an und senkte den Blick, weil sie ihm nicht direkt in die Augen sehen konnte. »Drei … ah, ich bin sechzehn«, antwortete sie stockend. »Wie alt?«, fragte der Mann erneut, als hätte er durch Andreas Versprecher nicht richtig verstanden. »Sia deug. Sechzehn«, wiederholte sie auf Gälisch. »Och... a bheil Gaidhlig agad, a ghille? ...bàs mallaichte! Ach … du sprichst Gälisch, Junge … verflucht noch mal!« Erneut hatte er sich die Finger verbrannt. »Beagan. Ein wenig«, meinte Andrea einsilbig darauf. »Wie kommt ein Ghearmailteach, der sechzehn ist, ins schottische Hochland und lässt sich wegen eines karierten Plaids von den Rotröcken verprügeln. Das ist schon etwas seltsam«, führte der Fremde das Gespräch fort und sog an seiner Pfeife, die kurz aufglimmte und sein Gesicht in der Dunkelheit der Hütte rötlich beleuchtete. Andrea überlegte einen Moment, das ungute Gefühl in ihrem Hinterkopf nahm noch zu und ihr gefielen die aufdringlichen Fragen des Mannes nicht. »Was sucht ein Mann in König Ludwigs Rock, in den Farnen und verbirgt sich dort vor König Georgs Soldaten?«, kam deshalb ziemlich aggressiv die Gegenfrage von ihr. Im Halbdunkel konnte Andrea nicht genau erkennen, was ihr Gegenüber tat und das tobende Unwetter draußen verschluckte jedes Geräusch. Doch das lange Schweigen des Fremden verhieß nichts Gutes. Plötzlich packte der Mann sie grob am Arm. Sie fühlte eine kalte Klinge an ihrem Hals unterhalb ihres rechten Ohres. »Noch eine solche Frage, Junge, und ich blase dir das Lebenslicht aus! Was ich in den Farnen zu suchen hatte, geht dich nichts an!«, fauchte er wie eine Wildkatze. »Verzeiht mir, Sir, ich wollte Euch nicht zu nahe treten. Ich habe nur eins und eins zusammengezählt«, versuchte Andrea mit zitternder Stimme die Situation zu entschärfen, doch der Druck der Klinge an ihrem Hals ließ nicht nach. »Ihr tragt einen französischen Uniformrock und verbergt Euch vor den Rotröcken, also könnt Ihr nur einer dieser Verwegenen sein, die für ihren Chief im Exil ihr Leben aufs Spiel setzen«, fügte sie schließlich noch hinzu. »Was weißt du von meinem Chief und was ich für ihn tue, a Ghearmailteach. Nichts, gar nichts, hoffe ich für dich. Beantworte meine Fragen, wie kommst du hier her?«, kam es mit nicht minder scharfem Ton von dem Fremden und um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, presste er das Messer so fest an ihr Kinn, dass Andrea einen brennenden Schmerz verspürte. Die Klinge schien sehr scharf zu sein. »Wenn Ihr mir die Kehle durchschneidet, kann ich Euch nicht mehr antworten. Nehmt um Gottes willen den Dolch weg, ich bin unbewaffnet, Mann!« entfuhr es ihr mit heiserer Stimme. Der Druck der Klinge ließ etwas nach, nicht aber der schraubstockartige Griff an ihrem Oberarm. »Ich warte, a Ghearmailteach«, zischte der Mann erneut. Andrea starrte auf die Pfeife des Fremden, die klimmend vor ihren Füßen lag. »Ich habe auf Mull Schiffbruch erlitten, dort meinen Freund begraben müssen und bin nun auf dem Weg nach Glasgow, von wo ich aufgebrochen bin, um mit einem Schiff in die Kolonien von Neuengland zu kommen«, antwortete sie schließlich. »Wie um Gottes Willen kommst du dann zu einem Tartan Plaid, Junge?« Mit diesen Worten ließ der junge Mann Andreas Arm los und auch das Messer verschwand. »Ich habe die Decke von armen Leuten auf Mull bekommen, ich wusste nicht, dass es ein Tartan Plaid war. Ich habe nicht daran gedacht, dass dieses karierte Zeug verboten ist. Es war ziemlich dumm von mir.« Andrea rieb sich den Oberarm, der ziemlich schmerzte und tastete nach ihrem Kinn, von dem Blut tropfte. »Du bist ein ziemlich einfältiger Bursche, a Ghearmailteach. Wenn du lebend nach Glasgow kommen willst, musst du noch einiges lernen«, kam es nun von dem Fremden, der seine Pfeife wieder aufgehoben hatte und mehrmals daran zog, um sie wieder in Gang zu bringen. Sein Gesicht leuchtete rot und gespenstisch in der Dunkelheit der Hütte auf. Starr vor Angst presste Andrea ein Taschentuch auf den Schnitt an ihrem Kinn. Sie versuchte das Zittern, das sie erfasst hatte zu unterdrücken, was ihr aber nicht wirklich gelang. Der Mann schien das gemerkt zu haben, kramte in seiner Tasche und hielt ihr schließlich eine Art Feldflasche hin. Alkoholdunst stieg ihr in die Nase. »Nimm einen Schluck, Bursche, ich denke du brauchst das jetzt«, sagte er, dem Klang nach mit jenem frechen Grinsen im Gesicht, das Andrea schon in den Farnen aufgefallen war. Es war wohl Whisky in der Flasche, und obwohl Andrea kein Freund dieses Getränkes war, nahm sie einen großen Schluck. Es rann ihr wie flüssiges Feuer die Kehle herunter. Der zweite Schluck verfehlte allerdings etwas sein Ziel und Andrea musste heftig husten. Der junge Mann nahm ihr lachend die Flasche ab und klopfte ihr derart heftig auf den Rücken, dass sie fast vornüber kippte. Ein glucksendes Lachen begleitete das Ganze, doch Andrea war absolut nicht nach Lachen zumute. »Nichts für ungut, aber wie du so weise festgestellt hast, bin ich für meinen Laird, leider nicht für meinen Chief, in Frankreich hier unterwegs und ich muss vorsichtig sein. Auch wenn ich ein Soldat seiner Majestät König Ludwigs bin, werden die Rotröcke nicht viel Federlesens mit mir machen, sollten sie mich erwischen«, kam es nach einer Weile von dem Fremden, dessen Gesicht immer wieder gespenstisch beleuchtet aus dem Dämmerlicht auftauchte. »Wie heißt du eigentlich, a ghille?«, fragte er nach einer Weile. »Andreas Schwarz, Andrew Black in Englisch«, antwortete Andrea zögernd. »Anndra Dubh, in Gälisch, kein übler Name, die Blacks folgen meinen Chief Appin, sie gehören zu meinem Clan. Aber, wo kommst du her, in Deutschland, meine ich. Ich hoffe nicht aus Hannover, wo German George herkommt«, fragte ihr Gegenüber im Plauderton weiter. »Nein, ich bin kein Landsmann des Königs, ich komme aus Franken, das ist im Süden Deutschlands«, antwortete Andrea nun schon bedeutend ruhiger. Der Whisky summte mittlerweile in ihrem Schädel wie ein Schwarm Bienen und eine dumpfe Müdigkeit erfasste sie. Sie kramte in ihrem Seesack und holte den Proviant heraus, den ihr John Bishop mitgegeben hatte. Es war Brot, Käse und Bannocks, kleine Haferkuchen. Das Letztere reichte sie dem jungen Mann, der ihn dankend annahm. Andrea kaute stumm und überlegte, was sie tun sollte. Irgendwie war der Fremde ihr nicht geheuer. Im Moment war er zwar friedlich, aber wenn sie nicht aufpasste, konnte eine unvorsichtige Äußerung das Ganze wieder eskalieren lassen. »Wie ist Euer Name, Sir?«, fragte sie nach einer Weile vorsichtig. Es herrschte wieder einen Moment Stille. Noch immer schüttete es wie aus Kannen und ein Sturzbach durchquerte den vorderen Teil der Hütte, doch es wurde schon heller, so dass sie erkennen konnte, was der junge Mann tat. Der kaute genüsslich, nahm noch einen Schluck aus seiner Feldflasche und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. Der Mann blinzelte in ihre Richtung und ein seltsames Lächeln huschte über sein Gesicht. »Nun gut, Andy Black. Ich weiß deinen Namen, und nachdem wir uns schon deinen Proviant teilen, ist es wohl nur höflich, wenn ich dir auch meinen Namen nenne. Auch wenn ich nicht unbedingt geneigt bin, ihn in die Gegend zu posaunen«, begann er, hob seine Pfeife wieder auf, klopfte sie an einem Stein aus und steckte sie zurück in seine Tasche. »Weißt du, welchen Weg du genommen hast von Mull bis hierher?«, fragte er jedoch erneut, statt einfach seinen Namen zu nennen. »Ich bin von Torosay nach Kinlochaline übergesetzt und dann durch Morvern, über die Corran Ferry nach Marmore und dann ins Glen Coe«, antwortet Andrea sichtlich verwundert. »Nun, dann hast du meine Heimat Appin von Morvern aus ja gesehen. Ich bin ein Stewart aus Duror«, sagte der Fremde darauf. ›Appin … Stewart … Duror‹, wiederholte Andrea in Gedanken und ein eiskalter Schauer rieselte ihr den Rücken hinunter. Sie schaute in das Gesicht des jungen Mannes und konnte das erste Mal seinem forschenden Blick standhalten. »Ailean Breac, nennt man mich in der Gegend hier«, fügte dieser noch hinzu und Andrea war, als hätte jemand eine Kanone neben ihr abgefeuert. Alan Breck Stewart aus Duror in Appin, das konnte nicht sein … das durfte nicht wahr sein! Sie wusste, dass Stevensons Buch auf historischen Tatsachen beruhte und dass sein Held Alan Breck eine real existierende Person gewesen war … aber nicht so real wie der Mann, der da vor ihr saß. Sie hatte das Gefühl, als summe der Whisky noch einen Ton lauter in ihren Ohren. Sie starrte den Fremden an wie ein Gespenst, was er letztendlich auch für sie war. »Ailean Breac …«, murmelte sie tonlos. Ihr wurde auf einmal schwindelig und übel. Sie sprang auf, stemmte sich gegen die Tür und rannte hinaus in den strömenden Regen. Neben einem großen Findling, an dem sie sich abstützte, übergab sie sich. Immer wieder würgte es sie und trieb es ihr die Tränen in die Augen. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich das Mädchen einigermaßen beruhigt hatte. Der Regen rann ihr übers Gesicht und durchnässte sie. Stumm sah Andrea zu den Bergen, den Gipfeln der Three Sisters, die in den Wolken hingen. »Mein Gott, lass diesen Albtraum vorüber gehen«, murmelte sie tonlos auf Deutsch. Ihr wurde auf einmal bewusst, in welcher Gefahr sie schwebte. Wie gefährlich dieser Mann war, der nun einen Namen besaß, hatte sie schon zu spüren bekommen … aber sollte sie in seiner Gesellschaft einer Patrouille der Rotröcke begegnen, würde es um sie geschehen sein