DIPLOMARBEIT Street Art als Feldüberschreitung: subversives Potential im Zeitalter der Postdemokratie eingereicht bei Univ.-Prof. Dr. Martin Sexl Diplomstudiengang Vergleichende Literaturwissenschaft Institut für Sprachen und Literaturen Leopold-Franzens Universität Innsbruck Eingereicht von Christoph Koroknai [0615937] Reichenauerstraße 88 A-6020 Innsbruck [email protected] [W]e ›feel free‹ because we lack the very language to articulate our unfreedom...[T]oday all the main terms we use to designate the present conflict – ›war on terror‹, ›democracy and freedom‹, ›human rights‹, etc – are false terms, mystifying our perception of the situation instead of allowing us to think it. In this precise sense, our ›freedoms‹ serve to mask and sustain our deeper unfreedom. - Slavoj Žižek, Welcome to the Desert of the Real! Some people become cops because they want to make the world a better place. Some people become vandals because they want to make the world a better looking place. - Banksy, Wall and Piece Inhaltsverzeichnis Einführung .................................................................................................................... 4 1. 2. 3. Kunst und Revolution......................................................................................... 10 1.1. Postdemokratie ............................................................................................ 10 1.2. Problematisierung der Masse(nkultur) ........................................................ 12 1.3. Street Art...................................................................................................... 16 1.4. Subversion durch Feldüberschreitung ......................................................... 18 Subversion qua media ........................................................................................ 22 2.1. ›Public Space‹ als Text ................................................................................ 22 2.2. Der Street Artist als Produzent .................................................................... 24 2.3. Kritische Interventionen .............................................................................. 32 Semiologische Guerilla ...................................................................................... 37 3.1. ›Iconic Turn‹ ‒ neue gesellschaftskonstituierende Macht der Bilder .......... 37 3.2. Street Art als Semiologische Guerilla ......................................................... 40 3.3. Insurrektion und das kollektive Unbewusste ............................................... 45 3.4. Re-Branding: Umkodieren .......................................................................... 54 3.5. Autoreflexion und Paradoxie ....................................................................... 57 3.6. Ambivalenz .................................................................................................. 61 3.7. De-/Rekontextualisierung und Hybridität ................................................... 64 3.8 Institutions- und Institutionalisierungskritik ............................................... 69 Resümee ..................................................................................................................... 76 Literaturverzeichnis:................................................................................................... 78 Einführung Der Begriff Street Art umschreibt eine interdisziplinäre, vielgestaltige und zusehends in vielen Bereichen an Relevanz gewinnende künstlerische Praxis, gleichzeitig steht der vergleichsweise junge Terminus für die sehr alte Ausübung von Kunst abseits der dafür vorgesehenen Kanäle und im Schatten der linearen Abfolge der Epochen der offiziellen Kunstgeschichte. Die Wände von Siedlungen dienten bereits lange vor unserer Zeit als wichtige Kommunikationsmedien einer Gegenöffentlichkeit und blicken auf eine lange Tradition als Trägerinnen von Informationen abseits der etablierten Kanäle zurück. Seit Jahrhunderten befördern sie auf der ganzen Welt künstlerische Ausdrucksformen und politische Botschaften jenseits des Mainstreams. Sie gelten als Indikatoren politischer und ästhetischer Ideale, oft ehe diese zum Allgemeingut der offiziellen Diskurse werden: als Medien geheimer Erkennungszeichen, provokanter Zeugnisse des Widerstands und künstlerischer Experimente. So zeugen etwa konservierte Inschriften von (unter anderem) politischen Mitteilungen an Hauswänden im alten Rom vom aufkommenden Christentum1. Christliche Symbole wie das Kreuz und das ICHTYS-Signum fungierten als geheime Erkennungszeichen und trugen wesentlich zur Konsolidierung der jungen Kirche bei. An Hausmauern angebrachte Karikaturen des Königs Louis-Phillippe erfreuten sich im Frankreich um 1830 großer Beliebtheit, der Habsburgische Wahlspruch A.E.I.O.U. erfuhr während des österreichischen Widerstands im Dritten Reich eine veritable Renaissance in den Straßen Wiens, wo es zum »inoffiziellen Logo« des österreichischen Widerstands wurde (vgl. Stahl 2012, 66ff.). Auch die französischen Studentenproteste der Enragés im Jahr 1968 fanden nicht zuletzt an den Wänden des Campus Nanterre ihren Niederschlag, unter dessen Betonoberflächen die Sozialrevolutionäre die Idylle und Freiheit eines Strandes orteten, den es durch die Mittel der Kunst freizulegen galt: »Sous les pavés la plage!«. Graffiti und die daraus entwickelte Street Art weisen wie die beschriebenen Formen von inoffiziellen Wandmalereien einen engen Bezug zu den historischen Bedingungen ihrer Zeit auf und können, wie in dieser Arbeit gezeigt werden soll, 1 Die sehr vitale Ausbreitung von inoffiziellen Wandzeichnungen und -kerbungen in Pompeji ist historisch sehr genau erfasst und erschlossen. (vgl. Weeber 1996) 4 fruchtbare Verbindungen zu sozialen Bewegungen initiieren, sich subtil unter bestimmten Bedingungen in revolutionäre Bestrebungen einspeisen. In der Gegenwart des 21. Jahrhunderts sind unter anderem Mitbestimmung, Artikulation und Selbstbestimmung im öffentlichen Raum zentrale Anliegen der vorgestellten Kunstformen, die durch formale und inhaltliche Qualitäten der Kunstwerke thematisiert werden. Der Kampf gegen die Kolonisierung des Blickfelds im urbanen Raum, die Kritik am Schilderwald der Werbeträger und am bunten Gestöber der Reklamebotschaften, die ungefragt (und für viele unerwünscht) die Straßen urbaner Ballungsräume säumen, wird von Graffiti-Writern und Street Artists in situ, im sogenannten ›public space‹ aufgenommen, wo sie Werbeplakate, Architektur, andere Kunstwerke mit aufgesprühten Kommentaren, Schablonen-Bildern, Comics, Stickern, Postern, Installationen, Skulpturen versehen. Darüber hinaus stoßen sie aber durch ihre Kritik an der Kommodifizierung vieler Lebensbereiche (insbesondere des städtischen öffentlichen Raumes) in tiefer reichende Ebenen der Gesellschaftskritik vor, die sich in einem symbolischen Kampf um politische Konventionen und Wahrnehmungsmuster artikuliert. Formal sind die vielfältigen Ausprägungen der Street Art dabei kaum zu fassen, eine (zwangsläufig unabgeschlossene) Typologie Jan Gabberts umfasst über 15 verschiedene Spielarten der Straßenkunst von Kreidezeichnungen bis zu Aufklebern (Vgl. Gabbert 2007), deren wichtigster gemeinsamer Nenner die nicht-autorisierte Anbringung der Kunstwerke im öffentlichen Raum und die differenziale Abgrenzung vom traditionellen, überwiegend kryptischen Graffiti ist. Die hybride Kunstform bedient sich dabei eklektizistisch verschiedener Einflüsse vorangegangener Bewegungen, die, wie sich zeigen wird, als kunstinternes Referenzsystem auch im politischen Bereich Assoziationen befördern und Effekte zeitigen können. So verweisen die Methoden und Einstellungen der Situationisten, Fluxisten, Pop-Artists, Land-Artists, Culture Jammer, Ad-Busters und noch vieler anderer intertextueller Bezüge auf ähnliche Bewegungen in der Geschichte und geben ein Kaleidoskop an Assoziationen und Bezugspunkten preis. So trifft in manchem Exponat der Street Art die Nonchalance der Beatniks auf die Gesellschaftsverweigerung der Punks, der desintegrative Impetus der Dadaisten auf das politische Programm der Situationistischen Internationale, die institutionalisierte Konsumkritik der Pop-Artists auf die kurzlebigen Aktionen der Performance-Kunst. 5 Der Mannigfaltigkeit der auf Intertextualität und Hybridität aufbauenden künstlerischen Erscheinungsformen sind kaum Grenzen gesetzt. Street Art ist innerhalb weniger Jahre zu einem relativ gründlich erforschten und akademisch ausgiebig bearbeiteten Feld geworden, nachdem die Kunstform jahrelang insbesondere vom Fachgebiet der Kunstgeschichte weitgehend ignoriert worden war. Auch heute ist ihr Status als Kunst und damit ihre Weihung zu einer schützenswerten sozialen Praxis heftig umstritten, im öffentlichen Diskurs wird sie oft auf Sachbeschädigung und Vandalismus reduziert. Allein ein Blick auf die Titel der jüngsten Publikationen offenbart, dass über einen Aspekt der Kunstform allerdings breiter Konsens herrscht: Aufmacher wie The Art Of Rebellion (Christian Hundertmark) lenken den Fokus klar auf politische Wirkmacht und Widerständigkeit der im städtischen Raum angebrachten Bilder, auch die Positionierung von urbaner Kunst »zwischen Partizipation, Intervention und Neuer Urbanität«, wie sie Uwe Lewitzky im Untertitel seiner Untersuchung vornimmt, lässt keinen Zweifel an der weit verbreiteten politischen Leseart der zusehends aufsehenerregenden künstlerischen Betätigung. Bei all dem politischen Potential, das Street Art offenkundig zugetraut wird, gehen nur wenige Publikationen auf die feldüberschreitende Funktionsweise der Kunstwerke ein, häufig wird auf die Illegalität und die unautorisierte Raumeroberung verwiesen, die für viele Autoren bereits Indikatoren für die Schaffung eines politischen Raumes sind. Allein (polizeiliche) Repression kann aber, wie auch der Kunstwissenschaftler Jens Kastner darlegt, kein befriedigender Hinweis auf subversive Effekte sein, die weit verbreitete Formel nach der Graffiti schon durch ihre selbstautorisierte Anbringung zwangsläufig Träger einer politischen Aussage seien, ist, um nur ein Beispiel zu nennen, angesichts der aufkeimenden Formen des Guerilla Marketings zu hinterfragen (vgl. Kastner 2012b). Neben dem Aspekt der Selbstermächtigung ist es vordergründig die hybride Stellung der Street Art zwischen Alltag und NichtAlltäglichem, zwischen »Kunst« und »Teil von sozialen Kämpfen und Bewegungen«, die einer Neubewertung und einer genauen Untersuchung bedarf, denn wie sich zeigen soll, ist es genau jene Erschwernis in der unmittelbaren Funktionalisierung der Installationen, die – so eine These dieser Arbeit – besonderes emanzipatorisches Potential birgt. Jenseits von politischer Parole und Warencharakter laviert das hybride Genre zwischen den Klassifizierungen und 6 eröffnet gerade dadurch die Möglichkeit über den ins Symbolische ragenden Kampf um Wahrnehmungsmuster das politische Feld zu beeinflussen. So wird diese Arbeit die oft vorangestellte Frage, ob Street Art nun Kunst oder politisches Instrument sei, keineswegs letztgültig beantworten, schon die Fragestellung würde ja die Bestrebung, den Begriff Street Art zu beherrschen, durch Kategorisierung zu kontrollieren und zu entschärfen, implizieren. Insofern soll diese Abhandlung auch ein Plädoyer des Schwebezustands und des Spiels sein und ein Schlaglicht auf die gezielten, konkreten und beobachtbaren Wechselwirkungen zwischen dem politischen Feld und der kontroversen urbanen Praxis werfen, die aus vielerlei Hinsicht emanzipatorische Effekte zeitigen können. Sie wird der zentralen Fragestellung nachgehen, wie die urbane Kunstform Street Art als emanzipatives Medium wirksam sein kann, das der fortschreitenden Schließung des politischen Feldes und den damit einhergehenden Ausschlussmechanismen trotzt. Die Notwendigkeit solcher Interventionen ergibt sich aus einer Notlage repräsentativer Demokratien, die im wissenschaftlichen Diskurs auf breiten interdisziplinären Konsens stößt und in der Gegenwart, die unter anderem von einer globalen Krise des Finanzwesens, enormem Ungleichgewicht in der Verteilung von (materiellen und immateriellen) Gütern und institutionellem Ausschluss weiter Teile der Bevölkerung aus Entscheidungsprozessen geprägt ist, virulent wird. Schlagworte wie die postmoderne Lebensbereiche und Gesellschaftskonstellation Depression, die die neoliberale lähmende Immanenz prägen philosophische Ökonomisierung der Debatten aller gegenwärtigen und kritische Gesellschaftsanalysen, parallel dazu schwindet offenkundig das Vertrauen und die Hoffnung in die Institutionen der repräsentativen Politik. Die komplexe Problematik eines postmodernen Herrschaftsparadigmas und der Ausschlussmechanismen des politischen Feldes wird in einem ersten Abschnitt der vorliegenden Arbeit genauer behandelt, die Möglichkeiten der Kunst, die seit jeher als (mitunter gefährlicher) alternativer Aushandlungsort von Utopien galt, werden hinsichtlich ihres emanzipatorischen Potentials kritisch ausgelotet. Auch die Problematik ›traditioneller‹ Artikulationsformen und Emanzipationsbestrebungen, die außerhalb der demokratischen Institutionen stattfinden, wird in diesem Teil angerissen. Street Art wird in den Kontext neuartiger kreativer Protestformen und –bewegungen (die 7 nicht in Massenmobilisierung und –integration kulminieren) gesetzt und unter diesem Aspekt untersucht. Die Frage nach politischer Mitbestimmung und Ermächtigung kristallisiert sich ganz besonders im öffentlichen Raum, Formen des Aufbegehrens gegen das Bestimmungsmonopol einer relativ exklusiven politischen Klasse, konzentrieren sich bevorzugt in den Straßen großer Städte, wo sich auch ein Ensemble von performativen Herrschaftssymbolen kondensiert. Operativ gleichen zahlreiche kreative Formen des Aufbegehrens, die für unsere Zeit paradigmatisch sind, den Interventionen der Street Artists: Flashmobs2, (ungenehmigte) spontane Konzerte und Parties, mobile Filmprojektionen an Hauswänden, Guerilla Knitting3, Guerilla Gardening4, die Sportart Parkour5, Skateboarding: sie alle haben gemeinsam, dass sie im urbanen öffentlichen Raum stattfinden und bewusst oder unbewusst die Frage nach der Hegemonie über die Zeichen aufwerfen, ihr Mitbestimmungsrecht in den von neoliberalen Interessen geprägten und kodifizierten Flächen der Allgemeinheit einfordern und sich nicht mit den traditionellen Wegen zu kommunizieren und sich zu organisieren zufriedengeben. Im radikalen, oft illegalen und selbstautorisierten Eingriff in den urbanen Raum, sind diese Manifestationen des Gestaltungswillens unabhängig von Demarkationslinie einer inhaltlichen zwischen Ebene, Zeichensendern Angriffe und auf die -empfängern, wichtige zwischen Produzenten und Konsumenten, und stellen somit die Gesellschaftsordnung, die gemäß Jean Baudrillard auf diese zentrale Unterscheidung aufbaut, in Frage. Dem ›Ausstellungsort‹ im öffentlichen Raum und der medialen Beschaffenheit der Kunstwerke der Street Artists ist daher der zweite Teil der Arbeit gewidmet, der die Fragestellung nach dem emanzipatorischen Potential der Kunstform auf medientheoretischer Ebene zu beantworten sucht. Teil drei der Arbeit nähert sich der inhaltlichen Ebene der Kunstwerke und analysiert wie die Installationen im urbanen Raum durch feldübergreifende, punktuelle 2 Der Begriff Flashmob bezeichnet spontane, kurzfristig organisierte, themenbezogene, unangemeldete Versammlungen an öffentlichen Plätzen, die über Mobiltelefone, Internetforen, E-Mail Kettenbriefe oder Online-Communities organisiert werden. 3 Beim Guerilla Knitting werden Gegenstände im öffentlichen Raum durch Einstricken oder durch das Anbringen gestrickter Verzierungen modifiziert. 4 Guerilla Gardening bezeichnet die nicht-autorisierte Bepflanzung öffentlicher, nicht-eigener Grünflächen, üblicherweise in urbanen Räumen. 5 Parkour ist eine in Frankreich entstandene, urbane Sportart, bei der Athleten unter spektakulärer Überwindung sämtlicher Hindernisse den kürzesten und effizientesten Weg zwischen zwei Punkten der Stadt zurücklegen müssen. 8 Verknüpfungen konkret ins politische Feld intervenieren können. Zentral ist dabei die Grundannahme, dass solche Austauschverhältnisse zwischen der Ästhetik künstlerischer/kultureller Praktiken und der allgemeineren Ebene der Ästhetik von Denk- und Wahrnehmungsmustern, die auf das (bei Bourdieu) weit gefasste Feld des Politischen einwirken können, existent und beobachtbar sind. Dafür bürgen in diesem Teil der Ausführungen insbesondere der Soziologe Pierre Bourdieu, der vor allem seit den 1990er Jahren Kunst affirmativ als »Instrument einer Freiheit« (Bourdieu 2001, 524) beschrieb, und der (streitbare) postoperaistische Philosoph Antonio Negri, der in seiner Vorstellung der »Insurrektion« die punktuelle Verbindung zu sozialen Kämpfen konzeptualisierbar macht6. Anhand von Beispielen und Interpretationen wird versucht, die feldübergreifenden Durchkreuzungen, Beeinflussungen und Interventionen zu verdeutlichen, und der Frage nach dem subversiven Potential der Wandmalereien und Installationen nachzuspüren. Auch auf die jüngere Etablierung von Street Artists am Kunstmarkt und die Problematisierung kommerzieller Arbeiten, wird kurz eingegangen und gezeigt, wie Street Art als hybrides Genre die Institutionalisierung der eigenen Kunstform thematisiert und gegebenenfalls überschreitet. 6 Auf die pragmatische Verbindung zweier so unterschiedlicher Theoretiker und ihrer Konzepte wird von Jens Kastner ausführlich eingegangen. (vgl. Kastner 2012b, 50f) 9 1. Kunst und Revolution »Die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts ist eine Geschichte der Subversion. Die Museen abfackeln! Die Opernhäuser sprengen! Die Welt zur Bühne machen! Das war der Traum vieler Künstler. Nichts Geringeres hatten sie vor, als Kunst und Leben zu einem neuen Glück verschmelzen. Und immer neue Künstler kamen und versuchten sich an diesem Glück. Ob Dada, Surrealismus oder Fluxus – sie alle wollten die Verhältnisse zum Kippen bringen. Subversion hieß: das herrschende System unterwandern, es mit allen Mitteln der Kunst bekämpfen.« - 1.1. Rauterberg 2009 Postdemokratie Kapitalismuskritik, Globalisierungsgegnerschaft und ein diffuses Unbehagen in der Postmoderne haben die Mitte unserer Gesellschaft erreicht, an Kritik am sich ausbreitenden neoliberalen Machtparadigma herrscht in seiner unverbindlichen, feuilletonistischen Form wahrlich kein Mangel. Diese Tendenz manifestiert sich nicht zuletzt an den kulturellen Erzeugnissen unserer Gegenwart – zum künstlerischen Habitus unserer Zeit gehört eine verwegene Haltung der Dissidenz: Das gesellschaftskritische Moment reüssiert zielsicher auf den renommierten Festivals der Filmbranche, und für eine Karriere in der Musikindustrie scheint der revolutionäre Gestus eine Grundvoraussetzung zu sein, während vielbeachtete Bestsellerautoren wie Michel Houellebecq die verhängnisvolle Ökonomisierung aller Lebensbereiche in der pragmatischen, kühlen Sprache unserer Zeit sezieren. »Die Welt ist ein Supermarkt«, und aus Hochglanzmagazinen blicken uns Models und Schauspieler als Botschafter des zeitgeistigen »Radical Chic« entgegen, kokettieren frivol mit Zeichen der Insurrektion, die durch ihre wiederholte Omnipräsenz auf alles und nichts verweisen. All dies ruft den resignierten Typus des Zynikers auf den Plan, der die leeren, unverbindlichen Gesten kritisiert, auf die sich der Widerstand dieser Generation 10 vermeintlich beschränkt, indem sie via »Gefällt mir«-Angaben ihrer Ablehnung des »Systems« eine Stimme verleiht. Die moralisierende und daher zahnlose Entrüstung, gepaart mit der scheinbaren Ausweglosigkeit und Fatalität der fortschreitenden Proliferation eines im öffentlichen Diskurs so häufig problematisierten Herrschaftsparadigmas, schlägt sich prominent in der weit verbreiteten These einer Krise der repräsentativen Demokratie nieder. Insbesondere seit der zyklischen Wiederkehr ökonomischer Erschütterungen, die im September 2008 in der symbolträchtigen Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers einen vorläufigen Höhepunkt erfuhr und seither das Bild der reiterierenden (Finanz-)Krise (die zusehends zum Normalzustand werde) den politischen Diskurs westlicher Demokratien dominiert, offenbart sich die Impotenz politischer Institutionen und das schwindende Vertrauen in die klassischen Staatsapparate (vgl. Crouch 2008). So fühle sich ein bedeutender Bevölkerungsanteil liberaler Demokratien nicht mehr im repräsentativen System vertreten, das die Politik auf einen »Despotismus der Zahl« beschränkt und sich in Simulakren der Mitbestimmung durch Stimmenanteile und Hochrechnungen erschöpft (vgl. Badiou 1990). Wie die Autoren des 2012 erschienenen Sammelbandes Kunst, Krise, Subversion. Zur Politik der Ästhetik analysieren sucht sie nach Auswegen aus der »postdemokratischen Erstarrung«: Während Finanzmärkte psychologisiert und emotionalisiert werden, wird den Menschen unter dem Deckmantel unterstellter ökonomisch-deterministischer Zusammenhänge die Fähigkeit abgesprochen, ihre gesellschaftlichen Verhältnisse partizipativ und selbstbestimmt zu organisieren und den Raum des Sag- und Machbaren neu zu definieren. (Bandi/Kraft/Lasinger 2012) So zeitigt die Suche nach alternativen Artikulationsweisen und Medien zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine neue Aktualität und Relevanz. Dass dabei das Feld der Kunst in den Blickpunkt gerät, ist zunächst wenig überraschend. Nicht erst seit den künstlerischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts ist die diskursive Verbindung von Politik, Revolution und Kunst im akademischen Kontext wie im Feuilleton omnipräsent und zu einer selten hinterfragten, vermeintlichen Evidenz geronnen. Gerade angesichts der angesprochenen Notlage der repräsentativen Demokratien und der vielbeschworenen Krise marktkapitalistischer Ökonomien, stellt sich verstärkt die Frage nach neuen Orten der Aushandlung, neuen 11 Verhandlungsstätten und Foren für Utopien. Und damit auch nach neuen Formen von Partizipation, etwa durch neue Abwicklungsformen der Abstimmung (z. B. ›liquid democracy‹), auch, und in besonderem Maße durch neue Ausprägungen des kreativen Protests. Der Rückgriff auf die Kunst als partiell autonomen Raum, der zumindest teilweise nach eigenen Regeln funktioniert, erscheint zunächst aus einer historischen Perspektive naheliegend, der (direkte) Zusammenhang kultureller Revolution mit politischer Umwälzung hat zumindest in einer linearen und teleologisierenden Historiografie Tradition. Gleichzeitig entbehrt gerade diese spezifische These der Feldüberschreitung durch gegenseitige Einverleibung und Instrumentalisierung nicht einer schwerwiegenden Problematik: Die angestrebte Entgrenzung des politischen- und des künstlerischen Feldes mündet nicht selten in einer totalisierenden Entdifferenzierung von Kunst und Leben, die im integrativen ›Gesamtkunstwerk‹ des Volksfestes und der Totalitätsfantasie der Verschmelzung der Volksmassen in der Kunst kulminiert, oder aber, und das ist gewissermaßen die ebenso problembehaftete Kehrseite der Medaille, in der umso rigideren Festschreibung der Grenzen, im »[e]ntpolitisierende[n] Abdriften in hermetische Pseudoautonomien«. (Raunig 2005, 185) In Abgrenzung zu derart totalisierenden Vorstellungen »politischer/revolutionärer Kunst«, die zwangsläufig in der Hierarchisierung und Unterwerfung der Kunst unter die Ideologie ihren Niederschlag finden, müssen die eingangs angeführten Begrifflichkeiten genau definiert und an die Gesellschaftskonstellation des beginnenden 21. Jahrhunderts angepasst werden. Es liegt auf der Hand, dass Kunst nicht autonom, also ohne ihre politischen und ökonomischen Verschränkungen betrachtet werden kann. Die Art und Weise dieser gegenseitigen Interdependenzen und konkreter Feldüberschreitungen ist primärer Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit. 1.2. Problematisierung der Masse(nkultur) Der Kunsttheoretiker Gerald Raunig schlägt in diesem Zusammenhang die Untersuchung punktueller, mikropolitischer Overlaps des künstlerischen und politischen (revolutionären) Feldes vor – ein Modell, das vor allem dem Gedanken eines essentialistischen gegenseitigen Einverleibens trotzt, das den Diskurs des 20. Jahrhunderts geprägt hatte und auch in der Gegenwart zentrale Narrationen und Revolutionsfantasien befördert. Die Problematik 12 dieser auch heute noch einflussreichen Vorstellung, Kunst könne direkt in einem politischen Umsturz kulminieren oder in Gestalt einer Avantgarde im Großen weitreichende (molare – im Gegensatz zu molekularen7) gesellschaftliche Umwälzungen anstoßen, entlarvt Raunig als Resultat einer fragwürdigen Komplexitätsreduktion, die unter anderem im Rahmen der Geschichtsschreibung ex post in Stand gesetzt wird. In Abgrenzung zu dieser vereinfachenden Praxis zielt Raunigs Werk Kunst und Revolution in erster Linie darauf ab, eine Geschichte der »spezifischen Verkettung von Kunst und Revolution« (Raunig 2012, 18) zu schreiben und mit einer poststrukturalistischen Herangehensweise große lineare und nachträglich teleologisierte Erzählungen zu dekonstruieren. Dies geschieht – wie gesagt – im Gegensatz zu einer weit verbreiteten, oft angestrebten Entdifferenzierung der Begriffe, deren Problematisierung allerdings ebenfalls ein kulturwissenschaftlicher Dauerbrenner ist. So ist in der zentralen Debatte, die schon seit Platons utopischer Staatskonzeption in der Politeia um das Verhältnis zwischen Politik und Kunst kreist, die vielerorts affirmierte Figur der »totalisierenden Entgrenzung von Kunst und Leben« ein wiederkehrender Topos und stellt gemäß Raunig ein »gleichsam transhistorische[s] Muster der Kunstpraxis und politik« (Raunig 2012, 13) dar: Die Ausbreitung der Kunst in den Alltag, auf die Straße und in das Leben sowie die Mobilisierung der Massen galten vielen künstlerischen Strömungen (nicht erst) seit dem 19.Jahrhundert als Ideal. Dies habe nicht nur die Überwindung von Genregrenzen und eine Tendenz zum Aufgehen im totalen Gesamtkunstwerk zur Folge, sondern impliziere insbesondere die problematische Integration der Volksmassen – »jene Ästhetisierung des Politischen […], die zwingend Effekte der Hierarchisierung, Strukturalisierung und Totalisierung zeitigt«. (Raunig 2005, 13) Als frappierendes Beispiel hierzu wird oft die ästhetische Massenorganisation der Nationalsozialisten angeführt, die in fanatisierenden Massenmobilisierungen gipfelte und ihren gefährlichen integrativen Impetus inszenierten, durchkomponierten und vor offenbarte. Die monumental allem exzessiv reproduzierten Großveranstaltungen, die als gigantische Gesamtkunstwerke konzipiert wurden und einem architektonischen Programm, das in der Tat auf eine vollkommene 7 Raunig unterscheidet in seiner Terminologie molare (weitreichende und auf einen integrativen Impetus abzielende Interventionen) von molekularen Eingriffen, die konzentriert, lokal und konkret zielgerichtet Effekte zeitigen sollen. 13 Durchdringung aller Lebensbereiche durch die Staatsideologie zielte, bot der Bevölkerung die neuartige Erfahrung der Masse und mündete in einem Punkt, vor dem Walter Benjamin schon früh (1935) und eindringlich zu warnen wusste: »Alle Bemühungen um die Ästhetisierung der Politik gipfeln in einem Punkt. Dieser eine Punkt ist der Krieg«. (Benjamin 1966, 42) Diese Problematik der Massenkultur, die aus der technischen Reproduzierbarkeit von Kulturgütern hervorgeht, ist allerdings kein Unikum des Nationalsozialismus, sondern ruht vielmehr in den Mechanismen der kollektiven Erfahrung, und dem nivellierenden Impetus der ›Gesamtkunstwerke‹, wie Gerald Raunig expliziert: Genau darauf läuft die Integration der Volksmassen durch die Kunst nicht erst von Riefenstahl bis zu gegenwärtigen Masseninszenierungen, sondern schon in den Konzepten Wagners und Lunatscharskis hinaus. Nicht um Collagen von Singularitäten geht es in derartigen Masse-Kunst-Relationen, nicht um organisierende Verkettungen, die auf eine Veränderung der Produktionsverhältnisse hinaus wollen, nicht um die zerstreute Verteilung im Raum, sondern um Integration der Differenzen, um territorialisierende und segmentierende Aufteilung des Raums, um das Einswerden der Masse mit den Mitteln der Kunst. (Raunig 2005, 14) Das gleiche Dilemma berührt auch auf den ersten Blick unverdächtige Protestbewegungen der jüngeren Vergangenheit. So entlarvt sich der integrative Impetus etwa in der Form der Massendemonstration, die ja durch ihr Begleitprogramm, Musik und anderen Elementen, durchaus den Charakter und die Dynamik des Volksfestes annimmt, als Problem: Die blinde und widersprüchliche Addition von Subjekten, Anliegen und Stimmen kommt einer Reduktion auf einen Minimalkonsens und einer repressiven Hierarchisierung gleich. Das Beispiel der Widerstandsbewegungen marginalisierter Gruppen gegen die undemokratischen Auswüchse der Globalisierung, die im WTO-Protest in Seattle und in der Massendemonstration von Genua 2001 markante Höhepunkte der Eskalation zeitigten, zeigt die Problematik der Homogenisierung und Vereinfachung von Partizipationsversuchen auf, die unter anderem in ihrer Konzentration auf das wirkungsmächtige Bild einer kollektiven, geeinten Bewegung, politische Anliegen auf Allgemeinplätze reduzierten. Andere Kämpfe rund um den Globus wurden dabei in einer (auch eurozentristischen) Verkürzung ausgeblendet. Letztlich entluden sie 14 sich, wie Aktivistin Tina Leisch beschreibt, in einer ritualisierten Eskalation mit quasi-religiösen Zügen, deren Begehren sich auf das »Allerheiligste« ‒ die von der Exekutive abgesperrte rote Zone ‒ richtete, und deren traurigen Höhepunkt ein »Menschenopfer« (gemeint ist ein tragischer Todesfall im Zuge der eskalierenden Demonstrationen) in den Straßenschlachten von Genua darstellte. Die Bewegung verschiedener marginalisierter Gruppen wurde in dieser speziellen Form des Volksfestes homogenisiert und erschöpfte sich in der politisch folgenlosen, massenhaften Insurrektion letztlich in einem Stellvertreterkampf um das tabuisierte Sanktuarium in Gestalt der Sperrzone. (vgl. Raunig 2012, 215-222) Parallel zur Kritik an den problematischen Effekten von Menschenansammlungen und herkömmlichen Protestformen, könnte man auf einer allgemeinen Ebene Adornos und Horkheimers pessimistische Vorstellung der Kulturindustrie als »Massenbetrug« anführen, die in der Totalität der Erzeugnisse der Massenkultur eine veritable Integrationsmaschine unterhält, die »die Macht der ökonomisch Stärksten über die Gesellschaft« (Adorno/Horkheimer 1988, 129) sichert, subtil ein normierendes Raster über die Lebensgewohnheiten der Individuen stülpt und damit unausweichlich das gesellschaftliche Herrschaftsverhältnis reproduziert. Auch bei Foucaults Modell der verwirklichten Kontrollgesellschaft macht gewissermaßen »massenkulturelle« Prägung eine externe normative Disziplinierung durch Institutionen (wie sie in der vorangehenden Stufe der Disziplinargesellschaft üblich war) zusehends obsolet. Die Reproduktion der Arbeitskraft erfolgt Foucault zufolge internalisiert in der Subjektivierung, dieser Gedanke wird auch bei Hardts und Negris Konzeption des Empire fortgeführt, einem netzwerkartigen (»rhizomatischen«) Herrschaftsparadigma, das im Wesentlichen erst aus Kommunikation, also reproduzierten und verbreiteten Zeichen und Codes und ihrer Allgegenwart erwächst (vgl. Hardt/Negri 2002, 354f). Angesichts dieser prominenten Exponenten linker Theorieproduktion wächst Zweifel am Nimbus der Kunst als revolutionärem Katalysator und ihrem subversiven Potential. Im Lichte der kulturpessimistischen Position Adornos stellen sich die Erzeugnisse der Kulturindustrie vielmehr als machtvolle Herrschaftsinstrumente dar, die sich durch ihren ständigen Ausverkauf einem ausweglosen Kreislauf der Vereinnahmung ausgesetzt sehen. »Amusement ist die Verlängerung der Arbeit unterm Spätkapitalismus« (Adorno/Horkheimer 1988, 129), dient also der Reproduktion der 15 Arbeitskraft und unterwirft das Subjekt, gerade in seiner Omnipräsenz und kraft seines integrativen Impetus, einem totalitären Zwang der Selbstausbeutung, die auch das Paradigma der Kontrollgesellschaft ist, wie sie Michel Foucault beschrieb. Durch zwanghaftes Konsumverhalten und Selbstoptimierung in der »Freizeit« erweitert das Leistungssubjekt demnach seine Produktivität auf die gesamte Lebenszeit, die Totalität der Aufklärung kennt kein Außen mehr – durch entsprechendes Training kann man selbst im Schlaf noch Gedächtnisübungen ausführen, seine Wachsamkeit steigern oder seine Bauchmuskeln stärken. Diese (etwas überspitzt formulierte und extrem verkürzt dargestellte) hermetische und ziemlich pessimistische Konzeption der Kulturindustrie muss man allerdings in ihrer Ausschließlichkeit nicht teilen. Die beschriebene postdemokratische Krise könnte sich auch als Chance einer Emanzipation darstellen, in dem Maße nämlich, in dem sich die Verfahren der politischen Aushandlung, Konsensbildung und Legitimation zusehends den klassischen repräsentativen Staatsapparaten entziehen und sich ins Feld der kulturellen Erzeugnisse verlagern. Hardt und Negri sehen gerade in diesem, ins politische Feld ragenden, Kampf um Gefühls-, Denk- und Wahrnehmungsstrukturen eine Möglichkeit, Partizipation zu erlangen, allerdings unter Vermeidung der geschilderten bedenklichen Mechanismen der Massenmobilisierung, deren Offenlegung eigentlich auch als Kritik an der wirkmächtigen Idee der Repräsentation verstanden werden kann (vgl. Hardt/Negri 2002). 1.3. Street Art Ein Ausweg aus dem Dilemma der geschilderten Formen hierarchischer Massenintegration könnte demnach ein gewandelter Begriff von Revolution und neue Formen kleinerer Verknüpfungen sein, die die Verkettung heterogener Subjekte zulassen, ohne sie im massenhaften Homogenisierungsdrang zu nivellieren und einer neuen Hierarchie der Anliegen zu unterwerfen. Um sich von diesen verhängnisvollen Repräsentationsmechanismen zu befreien, ist es naheliegend sich von klassischen Narrationen kunstindizierter Revolutionen/Bewegungen zu lösen, die die Verschmelzung von Kunst in einer politischen Bewegung glorifizieren und ein instrumentales Verhältnis zu Kunst unterhalten. Ex negativo kann man dem obenstehenden Raunig-Zitat (vgl. Seite 13 dieser Arbeit) entnehmen, wo seiner 16 Ansicht nach Kunst subversiv wirken kann: im Rahmen temporärer Overlaps, Collagen von Singularitäten, im konkreten mikropolitischen Bezug. In Kunstwerken der Street Art können diese Kriterien erfüllt sein, ihre spezifische Form, die zu großen Teilen nicht-institutionaliserte, illegale Verbreitung letzterer und die zwangsläufig enge Beziehung zu ihren Ausstellungsorten – Straßen und Verkehrsmittel im öffentlichen Raum – bieten häufig einen geeigneten Kontext, um ebendiese Bedingungen zu erfüllen. Schon in der ersten wissenschaftlichen Aufarbeitung Jean Baudrillards, die sich Graffiti und daher implizit dem Nachfolger Street Art widmet, werden die Bilder, die unbekannte Akteure in selbstermächtigten Aktionen auf Waggons der New Yorker U-Bahnen sprühen und malen, als emanzipatorischer Aufschrei einer marginalisierten Jugend interpretiert. Als relativ geschlossene Bewegung und soziologisches Forschungsobjekt wurde Graffiti, das sich ab den 1960er Jahren zu einem urbanen Phänomen in verschiedenen Ballungsräumen entwickelte, durch Baudrillard im Jahre 1978 wissenschaftlich erfasst. Zehn Jahre zuvor hatten in New York Jugendliche begonnen, sich in ihren Vierteln mit Filzstiften zu verewigen und ihrem Namenskürzel durch Niederschrift an möglichst vielen freien Flächen zu einer gewissen Bekanntheit zu verhelfen. Schon bald breiteten sich die Tags8 in der ganzen Stadt aus und die aufgesprühten Werke einiger Jugendlicher wuchsen sich zu einer großen Bewegung und zu einer globalen künstlerischen Praxis aus. Die tendenziell bildliche Street Art kann man als Weiterentwicklung des kryptischen Graffiti verstehen, wobei beide Kunstrichtungen aus vielfältigen kunsthistorischen und kulturellen Quellen schöpfen und an unterschiedlichen Teilen der Welt, zu verschiedenen Zeitpunkten mannigfaltige Ausprägungen hervorriefen. So entstanden in Paris zeitgleich mit der New Yorker Graffiti-Welle, im Umfeld der Studentenproteste Schablonen-Graffiti und Plakate, seit 1977 verändert Harald Naegeli das Züricher Stadtbild mit seinen eigentümlichen Figuren und ab 1980 sorgte Keith Haring mit seinen Kreidezeichnungen in der New Yorker U-Bahn für großes Aufsehen (vgl. Gabbert 2007, 12). Die Unterscheidung zwischen Graffiti und Street Art ist angesichts der Vielfältigkeit der Bewegung umstritten, die Begriffe werden auch von Künstlern oft synonym verwendet. Der Diskurs zu dieser aufsteigenden Kunstform ist keineswegs abgeschlossen, in der seit den 1990ern 8 Schnell aufgetragene, wenig aufwendige, meist einfarbige Signatur eines Sprayers. 17 aufkommenden, als Street Art, Urban Art, Post-Graffiti oder auch Urban Intervention klassifizierten Szene handelt es sich jedoch um eine Bewegung, deren formale Mannigfaltigkeit unterschiedliche Kunstgattungen (Skulptur, Grafik, aber auch Darstellende Kunst, Performances), Materialien, Techniken und ein breites Spektrum an Inhalten umfasst (von einer geschlossenen oder gar hierarchisch organisierten Bewegung kann also keine Rede sein), wogegen Graffiti per definitionem oft auf kryptische, ›writing‹-basierte Objekte bezogen ist. Gemäß einer etablierten Begriffsbestimmung Julia Reineckes, die auch uns als Arbeitsdefinition dienen soll, ist der gemeinsame Nenner aller Street Art die unautorisierte Positionierung von Zeichen, Skulpturen, Texten im öffentlichen Raum und die Abgrenzung bzw. Unterscheidung vom traditionellen Graffiti (vgl. Reinecke 2007, 9; Blanché 2010, 13f.). 1.4. Subversion durch Feldüberschreitung Um nun der Frage nachzugehen, wie die Erzeugnisse dieser konkreten Kunstform in politischem Kontext wirksam sein können, ohne durch ihren Ausverkauf und durch ihre Institutionalisierung ein Machtverhältnis zu reproduzieren, kommt einem angepassten Subversionsbegriff in der vorliegenden Arbeit eine besondere Relevanz zu. Der Soziologe und Kunsthistoriker Jens Kastner verneint zwar eine allgemeine überhistorische Begriffsdefinition von Subversion, stellt jedoch für den Forschungsgegenstand subversive Street Art einige fruchtbare Kriterien auf. Er benennt Subversion als politisches Mittel, dessen Stoßrichtung von einer marginalisierten Position ausgehend auf das dauerhafte Untergraben eines vorherrschenden Machtverhältnisses abzielt. Bemerkenswert ist, besonders im Hinblick auf Graffiti und Street Art, dass die primäre Intention des Künstlers nicht zwangsläufig jenes Untergraben sein muss: Subversive Praktiken bedürfen nicht unbedingt subversiver Akteure und Akteurinnen und müssen überhaupt nicht als solche beabsichtigt sein, auch nicht intendierte Handlungen und absichtsloses Verhalten können subversive Effekte haben. (Kastner 2012b, 42) Festzuhalten ist auch Kastners Problematisierung des Subversionsbegriffs, der auf einer relativ stabilen, von der Mehrheit der Bevölkerung getragenen Ordnung aufbaut, die – so seine Meinung – immer weniger als gegeben anzusehen sei. So wird 18 auch diese Arbeit sich an seinen relativen Kriterien für subversive Kunstwerke in konkretem historischem Kontext entlangarbeiten und sich gleichzeitig – in Anlehnung an Gerald Raunig – der Untersuchung verschiedener Praxen widmen, die entgegen den Modellen totaler Entgrenzung und Entdifferenzierung von Kunst und Leben, mikropolitische Versuche der transversalen Verkettung von künstlerischen und politischen Praktiken bewirken. Also in konkrete, zeitlich begrenzte Interaktion treten, ohne sich in die herkömmlichen vereinnahmenden Narrative von Revolution und Widerstand einzufügen. Zur Sichtbarmachung künstlerischer Praktiken, deren Effekte über den kunstimmanenten Bezugsrahmen hinausragen, kann die Feldtheorie Pierre Bourdieus ins Treffen geführt werden. Auch in Abgrenzung zu Althussers Konzeption der Staatsapparate, die entscheidende Aspekte des politischen Diskurses, die über die bürokratisierten Organe politischer Aushandlung hinausgehen, nicht erfassen könne, entwickelt Bourdieu mit seinem Feldbegriff eine Aktionssphäre des Politischen, die mehr als die offiziellen Institutionen einschließt. Denn Bourdieus symbolische Dimension des Politischen umfasst Aushandlungsprozesse, die vor den institutionalisierten Verfahren der Politik stattfinden: nämlich im Kampf um kollektive Denk- und Wahrnehmungsstrukturen, die die Basis der Legitimation eines jeden politischen Systems, ja, jeden gesellschaftlich organisierten Zusammenlebens sind. Die Feld-Theorie beansprucht, die Gesamtheit gesellschaftlicher Interaktionen darzustellen und unterscheidet hierzu einzelne Felder und Subfelder, die ihrerseits von internen Kämpfen um die Definitionsmacht zwischen ihren Akteuren geprägt sind. Diese können kraft feldspezifischer Kapitalformen (ökonomisches Kapital, soziales Kapital, symbolisches Kapital und kulturelles Kapital) in den Hierarchien aufsteigen, wobei eine Dynamik zwischen arrivierten Verteidigern ihrer Hegemonie und herausfordernden Emporkömmlingen charakteristisch ist. Im Zuge ihrer Entwicklung und Institutionalisierung schließen sich die Felder von ihrer Außenwelt ab und erlangen eine gewisse Autonomie. Dabei bildet das politische Feld keine Ausnahme, obwohl ihm durch seine Stellung besondere Autorität und Wirkmacht zukommt: Denn das politische Feld normiert weit mehr als die interne bürokratische Organisation der Staatsapparate. Es reguliert nicht nur die Gesetze und Rahmenbedingungen des Zusammenlebens einer Gesellschaft, sondern garantiert für 19 soziale Austauschverhältnisse und ist die Grundlage unserer Denk- und Wahrnehmungsschemata. Die symbolische Dimension des Politischen umfasst also sehr grundlegende Aspekte der moralisch-politischen Ordnung, der Staat bürgt für Bourdieu in gewisser Weise für die legitime Sicht auf die Welt. (vgl. Kastner 2012b, 54f) Gleichzeitig bedingen die immer rigideren Ausschlussmechanismen des politischen Feldes und die gleichzeitige Durchdringung (nicht nur) desselbigen durch ökonomische Kriterien in der Gegenwart eine Ausgangssituation, die Colin Crouch als postdemokratische Krise beschreibt und die eingangs bereits umrissen wurde. Der Bürger wird in dieser Konzeption weniger als Souverän betrachtet, in dessen Auftrag die politischen Institutionen ein ideales Allgemeinwohl anstreben. Crouch konstatiert vielmehr eine Tendenz, in der privilegierte Eliten, insbesondere ökonomisch potente Unternehmen, einen großen Einfluss auf Regierungen ausüben und das Feld der Politik zusehends nach ihren Interessen gestalten. Eine produktive und (aus emanzipatorischer Sicht) vorsichtig optimistische Interpretation von Kunstwerken kann daher in der Leseart Jens Kastners durchaus auf eine »emanzipatorische Utopie« abzielen, die die Sphäre der Kultur als alternatives Instrument einer Befreiung begreift, das gegen die allgemeine ökonomische Durchsetzung aller Lebensbereiche, den als sehr wirkmächtig konstatierten neoliberalen Diskurs, in Anschlag zu bringen sei. Hier können sich auch (und ganz besonders) künstlerische Praktiken, wie Street Art und Graffiti einklinken: Fasst man das Politische nun so weit, dass es den Kampf um die Bedeutung der sozialen Welt mit einschließt, ermöglicht das zweierlei: Zum einen kann der politische Gehalt jener künstlerischen Aktionen ermessen werden, die aus dem kulturellen Feld heraus sich in diesen Kampf einmischen – und damit auch temporär und partiell die Feldgrenzen überwinden. Und zum anderen kann die Frage nach der Politik künstlerischer Aktionen auch über konkrete Beispiele […] hinaus erörtert werden. (Kastner 2012b, 54) Denn obwohl Bourdieus Theorie insbesondere jene Aspekte des Kunstfelds betont, die Ausschlussmechanismen und speziell bürgerliche Privilegien reproduzieren und sich zu einer bestehenden Ordnung konservativ verhalten9, liefert sie gerade durch 9 Jacques Rancières entschiedene Kritik an Bourdieu beruht unter anderem auf diesem Aspekt seiner theoretischen Arbeit. Insbesondere wirft Rancière Bourdieu vor, durch seine Analysen die 20 ihren aufklärerischen, entschleiernden Impetus die Grundlage für emanzipatorische Akte, die Bourdieu zwar eher für unwahrscheinlich, doch keinesfalls für unmöglich hält. Auch Jens Kastners vergleichende Auseinandersetzung zur Politik der Kunst hebt im Bezug auf Bourdieus (und Rancières) Theoriegebäude den grundlegenden Gedanken hervor, »dass die Ästhetik im engeren Sinne der Kunstproduktion und rezeption mit einer Ästhetik im weiteren Sinne, den Denk- und Wahrnehmungsmöglichkeiten, verknüpft ist« (Kastner 2012a, 7). Kunst kann also unter bestimmten Umständen, die Gegenstand der folgenden Kapitel sein sollen, von einem Herrschaftsinstrument und Re-Produzenten bourgeoiser (neoliberaler) Vorrechte zu einer emanzipatorischen Möglichkeit aller werden. (Vgl. Kastner 2012a, 98f) bürgerlichen Privilegien noch weiter einzuzementieren. Hier wird die Frage nach dem ästhetischem Blick zum Objekt einer Untersuchung kritischer Wissenschaft und ihrer Performativität (vgl. Kastner 2012a). 21 2. Subversion qua media Bei der Erwägung dieses emanzipatorischen Potentials ist es zunächst unerlässlich, sich mit den Bedingungen auseinanderzusetzen, die unserer Art zu kommunizieren vorgelagert sind. Im Falle der Street Art gilt es den urbanen öffentlichen Raum zu analysieren, den schon Baudrillard als wichtiges Artikulationsmedium von Herrschaftsverhältnissen interpretiert hat. Der öffentliche Raum unserer Städte offenbart ein Ensemble herrschaftlicher Symbole, ist durchsetzt von regulierenden Instrumenten (der Kontrollgesellschaft), und die Architektur ist nach vorherrschenden neo-liberalen Interessen strukturiert – die Zeichenhoheit im urbanen Raum ist demnach mehr als nur ein Repräsentationselement der Macht: Der Zeichenwald des public space ist gemäß Baudrillards Theorie semiotischer Machtausübung »die wirkliche Form des gesellschaftlichen Verhältnisses« (Baudrillard 1988, 22). Das Souveränitätsrecht über den öffentlichen Raum ist ein zentraler Bestandteil der Machtausübung selbst, der Unterschied zwischen Zeichenproduzenten und Konsumenten muss laut Baudrillard »total« bleiben. In Bourdieus Terminologie ausgedrückt offenbart sich genau hier die problematische Schließung des politischen Feldes: Die Gestaltung des öffentlichen Raumes, ist institutionell geregelt und einigen wenigen vorbehalten, unter anderem jenen, die ihr Gestaltungsrecht durch ökonomisches Kapital erlangen. Die Straßen, Flächen, Häuserfassaden der Stadt, die sich heute als unsere Umgebung präsentieren, sind also in Wirklichkeit das Ergebnis sozialer, kultureller, ideologischer Städteplanung, hinter ihnen verbirgt sich die semiologische Vormachtstellung einer neoliberalen Gesellschaftsordnung. Schilder, Schaufenster, Litfasssäulen, Banner, leuchtende Reklamewände säumen die Wege (post-)moderner Städte, das bunte, grelle Gestöber der omnipräsenten Werbung weist symbolisch auf jene Interessen hin, die bei der Gestaltung urbaner Lebensräume besonders ausschlaggebend sind und steht metaphorisch für die wachsende Relevanz ökonomischen Kapitals im politischen Feld, die es im Sinne einer Emanzipation und (Wieder-)Erlangung von Mitbestimmung tätig zu hinterfragen gilt. 2.1. ›Public Space‹ als Text Die Frage nach autonomen und nicht okkupierbaren Interventionen ins politische Feld, muss im Zeitalter einer spätkapitalistischen Hegemonie (einer Dominanz der ökonomischen Kapitalform auch im politischen Feld) eine medienästhetische sein, die Erörterung der komplexen Funktionsbeziehungen der Öffentlichkeit muss also 22 vor dem Hintergrund seiner medialen Beschaffenheit erfolgen. Betrachten wir den öffentlichen Raum als Text, so ist sein Autor das öffentliche Verhältnis, das ihn koordiniert, kontrolliert und hervorbringt. »Öffentlicher Raum ist ein durchherrschtes, ökonomisch und politisch vor(infra)strukturiertes und damit unserer Kommunikation immer schon vorgelagertes Gebilde, dem die Subjekte im Sinne einer Herrschaftsbeziehung ausgesetzt sind«. (Schneider/Friesinger/monochrom 2009) An diesem großen Text schreiben theoretisch zwar alle mit, doch müssen sich Nachrichten, Wünsche, Kritik, um eine »kommunikable« Form zu erreichen, an die Darstellungsformen, die das Medium der Öffentlichkeit anbietet, anpassen. Die Medien, die unsere Botschaften als solche erst erschaffen, sind allerdings selbst Erzeugnisse der sozialen Produktion, und sind somit ihrerseits als Produkt einer allgemeinen Ökonomisierung bereits ›ideologisch vergesellschaftet‹. [I]m medialen Kommunikationswettbewerb wird dasjenige kommunikative Begehren am erfolgreichsten sein, dem es gelingt, sich den Funktionsprinzipien und Äußerungsbedingungen eines gewählten Mediums (und der in ihm enthaltenen gesellschaftlichen Form) am besten anzupassen. In der Praxis führt dies dazu, dass die Optimierung der eigenen medialen Anpassungsform in den Vordergrund des kommunikativen Begehrens tritt. […] Von daher dominiert ein bestimmter Typus von medialen Karrieristen die spätbürgerliche Öffentlichkeit. (Schneider/Friesinger/monochrom 2009) In dieser, zur Kommunikation erforderlichen, Anpassung liegt das Problem, denn in der Benützung der Form (ihrer »Ästhetik« und »Grammatik«) und sogar in der Kritik an ihr, wird die inhaltliche und formale Fremdbestimmung zwangsläufig legitimiert und bestätigt. Dadurch werden die Grenzen der Kommunikation unwillkürlich verfestigt, in ihnen ist das soziale Machtgefüge selbst enthalten. Es ist dies die medientheoretische Re-Formulierung der Zwangslage der vereinnahmenden Kulturindustrie und eines internalisierten Machtparadigmas, die hier von Theoretikern des »Urban Hacking« artikuliert wird und die im öffentlichen Raum virulent wird. Allerdings ist es ein großer Fehler, diese Grammatik und Ästhetik als unveränderbar und abgeschlossen zu betrachten. Das Abdrängen sozialer, von Menschenhand hervorgebrachter und historisch gewachsener Sachlagen in die Sphäre der Natur ist ein Grundstein der unsichtbaren durch die Form des Mythos 23 verschleierten Herrschaft der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer auf ökonomischer Rationalität gründenden Herrschaftsparadigmen, wie sie Roland Barthes beschreibt. Zentral ist dabei das semiologische System des Mythos, dessen Form sich über Zeichen aller Art stülpen kann, dabei enthistorisierend und somit entpolitisierend wirkt. In Barthes Konzeption des Mythos ist eine Form der Naturalisierung und Essenzialisierung beschrieben, deren Funktionsweise den geschichtlich hervorgebrachten status quo als Natur, den Zufall als Ewigkeit auszulegen trachtet (vgl. Barthes 1964, 130), was sich in einer zwangsläufig reaktionären, systemerhaltenden Funktionsweise niederschlägt (vgl. Barthes 1964). In eben diesen mythisch-unantastbaren Zusammenhang, den es aufzudecken und zu überwinden gilt, stellen Schneider, Friesinger und die Künstlergruppe monochrom die Zeichenträger im urbanen Raum. Als Texte schreiben diese sich immer wieder neu, aktualisieren sich und reagieren auf ihre Umwelt, updaten sich und schreiben sich fort, wichtig ist demnach sich selbst als (Mit-)Autor dieser ›Grammatik‹10, der medialen Beschaffenheit des Mediums zu begreifen: Was sich uns als öffentliche Räume darstellt, sind also gemeinsam verfasste, sich beständig verändernde und dennoch von bestimmten privilegierten Positionen aus kontrollierte und korrigierte Texte. Wenn wir sie als Texte verstehen, an denen wir – ob wir es wollen oder nicht – mitschreiben, dann verleihen wir uns das Potential sie zu gestalten, indem wir sie anders fortschreiben. (Schneider/Friesinger/monochrom 2009) Ein Schlüssel zur Partizipation und zur Emanzipation von der ökonomischen Zurichtung unserer Kommunikation ist also offensichtlich der Entschluss der Selbstermächtigung, den öffentlichen Raum mitzugestalten. Kunst im öffentlichen Raum scheint daher prädestiniert zu sein, die Fragen nach dem subversiven Potential im Zeitalter der »Postdemokratie« und den ausschließenden Mechanismen eines neoliberal geprägten politischen Diskurses neu zu stellen. 2.2. Der Street Artist als Produzent Dieser ›langue‹, die sich mit jedem Akt der ›parole‹ modifiziert (vgl. das Konzept der différance bei Derrida 2004) 10 24 Eine wichtige Voraussetzung dabei ist die Auseinandersetzung mit den Produktionsfaktoren, als Grundlage ihrer Subversion. In dieser aufklärerischen Grundannahme hat Bourdieu in Walter Benjamin einen prominenten Vorredner. Denn in seiner Ansprache »Der Autor als Produzent« stellt Benjamin eine entscheidende Qualität revolutionärer Kunst vor, die heute, fast 80 Jahre nach seiner Rede, immer noch den Kern der Debatte um künstlerischen Aktionismus berührt: Sie betrifft das Bewusstsein des Künstlers um die eigene Stellung im Produktionsprozess und im Besonderen das Verändern der Produktionsfaktoren. Benjamin beschreibt den Künstler als kämpfenden Aktivisten mit politischer Agenda in der dialektischen Diktion des Klassenkampfes, die auf ihren spezifischen historischen Ort verweist. Doch auch in der hybriden Welt des Empire, wie sie Negri und Hardt in ihrer postoperaistischen Analyse ausführen und auf unsere Gegenwart applizieren, hat das Modell des operierenden Autors, Künstlers, Spezialisten seinen Platz: Vielleicht in der Figur des Internet-Aktivisten, der Regierungsgegnern in Ägypten trotz Internetsperren zu einem Zugang zu Produktionsinstrumenten11 in ganz ursprünglichem Sinne verhilft, in der Figur des Hackers, der an der Befreiung der Produktionsmittel mitwirkt indem er als Whistleblower geheime Informationen verbreitet und allen zur Verfügung stellt. Vielleicht auch in der Figur des StreetArtists, der durch seine Kunst Produktionsverhältnisse und Strukturen reflektiert und offenlegt, anstatt unmittelbar einen Konsum- und Produktionsapparat zu beliefern, wie es Benjamin an der ihm zeitgenössischen »linken« Literatur kritisierte. Da die Frage nach dem revolutionären Impetus eines Kunstwerks also bei Benjamin ganz vordergründig eine der Form ist12, stellt sich das vielseitige Genre der Street Art, die im Folgenden insbesondere hinsichtlich dieses Aspektes untersucht und 11 Als Husni Mubarak die Internetverbindungen beinahe aller Internet Provider Ägyptens am 27.Jänner 2011 trennte, um eine weitere Ausbreitung der regierungskritischen Proteste zu unterbinden »habe man ägyptische Aktivisten auf Umleitungen wieder ans Netz gebracht. Dazu organisierten die Telecomix-Agenten [Anm.: eine int. Gruppe von Internet-Aktivisten] zuerst sogenannte Modem-Pools in Ländern, in denen besonders viele ihrer Gesinnungsgenossen aktiv sind, also in Schweden, Frankreich, den Niederlanden und Deutschland. Dann suchten sie über den Zwischenspeicher von Suchmaschinen Faxnummern von ägyptischen Bibliotheken, Hotels und IT-Firmen heraus und verschickten darauf Telefonnummern, über die sich Ägypter an ihren dienstverweigernden Internetanbietern vorbei ins Netz einwählen konnten.« (Reißmann, Ole/Rosenbach, Marcel: »Internet: Europäische Netzaktivisten unterstützen Blogger und Dissidenten des arabischen Frühlings«, in: Spiegel Online. 41/2011, 10.Oktober 2011. http://www.spiegel.de/spiegel/a-791039.html (23.04.2013). 12 im Gegensatz zu »inhaltistischen« Vereinnahmungen und Klassifizierungen (»Wie steht ein Werk zu den Produktionsverhältnissen seiner Epoche?«) ergibt sich die subversive Qualität bei Walter Benjamin primär aus der Form, bzw. aus der Überschreitung letzterer (»Wie steht das Werk in den jeweiligen Produktionsverhältnissen?«). (Vgl. Benjamin 2002a; Raunig 2000) 25 vorgestellt werden soll, als mögliche Praxis des Widerstands dar. Über die offengelegte Reflexion der Produktionsbedingungen überschreitet das Kunstwerk unter anderem den kunstfeldinternen Kontext und kann so auf das Politische verweisen und im Politischen Effekte zeitigen. Mit der Kritik an der Ästhetisierung – und damit Verschleierung – politischer Ungleichheiten im Rahmen der Kunst13 führt Gerald Raunig in einem Essay die »Großeltern der Interventionskunst« ein, um auf effektive Praxen der Intervention und mikropolitischen Einflussnahme hinzuweisen. Das Beispiel Sergej Tretjakows, das Walter Benjamin in seiner Rede vorstellt, wird von Raunig als exemplarisch für Interventionskünstler bis zum heutigen Tag präsentiert. Denn dem Schriftsteller, der sich in den 1920er Jahren einer ländlichen Kolchose anschloss, gelang es im weiteren Verlauf »immer radikaler seine Kunstproduktion in konkrete mikropolitische Interventionen« (Raunig 2010) münden zu lassen und vom beschreibenden Beobachter zum aktiven, operierenden Künstler zu werden. Sein neues Tätigkeitsfeld im Kolchos zeugt von einer grundlegenden Neuinterpretation der Positionen in der Kunstproduktion und -rezeption und liest sich auf den ersten Blick untypisch und wenig künstlerisch: Unter anderem führte Tretjakow, neben zahlreichen administrativen Beschäftigungen, Radio und Wanderkinos ein, etablierte Zeitungen und bildete Arbeiter und Bauern zu schriftkundigen Korrespondenten aus. Tretjakows dokumentierte Arbeit am Land prägte allerdings einen neuen Begriff politisierter Kunst: Nicht in der zum Klischee verkommenen Widerständigkeit des autonomen Kunstwerks, aber auch nicht in der plumpen Tendenz des revolutionären Sujets, sondern in der Übersetzung der formalen Fähigkeiten der KünstlerInnen vom Kunstwerk auf die Organisationsformen der Gesellschaft liegt demnach die politische Bedeutung der Kunst. (Raunig 2010) Der »operierende« Künstler nutzt demnach seine formalen Kenntnisse und sein Wissen, um Arbeitsbedingungen herzustellen, die Ungleichheiten offenlegen, gibt Denkanstöße, zeigt Strukturen auf, hinter denen sich Missstände verbergen und arbeitet selbst an der Abschaffung von sozialen Ungerechtigkeiten. Im Falle von Tretjakow bedeutete dies Bildungs- und Alphabetisierungsarbeit, die Bereitstellung 13 Raunig führt insbesondere die zeitgenössische Community Art kritisch an, seine Kritik kann man aber ohne Weiteres auf sehr umfassende Gebiete der Kunst und des Kunsthandwerks (und der Reklame) ausweiten. 26 neuer Kommunikationskanäle, die erst einen Diskurs ermöglichten und nicht zuletzt die Dokumentation seiner Tätigkeiten, die anderen Produzenten als Modell dienlich sein konnte. Die etwas naive und idealistische Schlussfolgerung Benjamins, in der Sowjetunion käme so die Arbeit selbst zu Wort, erfuhr zwar keine historische Verwirklichung, das wichtige Ideal des eingreifenden Künstlers und Intellektuellen, der tätig den bestehenden Produktionsapparat (und damit die herrschenden Lebensbedingungen) offenlegt und modifiziert, hat auch heute noch seine Gültigkeit. Dabei betont Raunig, dass der Schwerpunkt interventionistischer Kunst unbedingt in der präproduktiven Arbeit an den Produktionsverhältnissen liege und nicht in der Herstellung von Kunstwerken. Was ihre formalen Aspekte angeht, bedeutet dies oft ein »weitgehendes Ausfallen der Ausstellbarkeit von Produkten, des Zirkulierens im Kunstmarkt, der Notwendigkeit von Vermittlung« (Raunig 2010). Im Kontext der Gegenwart kann die Beschäftigung mit Produktionsverhältnissen von Kunst mit einigem Recht eine Auseinandersetzung mit einer »Konsumgesellschaft« (vgl. hierzu Blanché 2012) und mit weitgehend durch-ökonomisierten Kommunikationswegen befördern. Ihr Überschreiten kann in der Verweigerung eben jenes Werkcharakters liegen, den Benjamin als ausschlaggebend für die marktkonforme Zirkulation von Kunstobjekten ansah. Mit Benjamin trat eine politische Wende in die Theorie der Kunstproduktion und rezeption. Unter anderem beeinflusst von Bertolt Brecht konstatierte er einen Wandel in der Wahrnehmung von Kunstwerken, die sich nicht mehr in Kontemplation und Versenkung vollzog, sondern durch Mobilität, Transportabilität und Wiederholbarkeit eine neue Art von Aufnahme zur Folge hatte. Dies schlug sich in seiner Hoffnung auf eine neue, politische Fundierung der Kunst und einer insgesamt eher optimistischen Perspektive auf die massenhafte Teilnahme vieler Menschen an Kultur nieder, nicht ohne gleichzeitig auf die Gefahren hinzuweisen, die Adorno und Horkheimer allerdings viel radikaler hervorhoben. Benjamins Medienhistoriografie kehrt den Faktor der Materialität hervor, im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit tritt an die Stelle der Einmaligkeit des Kunstwerks seine massenhafte Verfügbarkeit, erst durch seine neu erlangte Mobilität und seine Lösung aus dem Register des Kultischen, kann es zum Warenartikel werden. Er nahm in seiner materialistischen Zugangsweise Überlegungen Marshall McLuhans, Friedrich Kittlers und auch Jean Baudrillards vorweg, die alle in der Beschaffenheit der 27 Leitmedien, den Technologien der Informationsvermittlung und -speicherung zentrale Instanzen sahen, die Diskursregeln bestimmten und setzten. Diesbezüglich entscheidend für unsere Argumentation ist der widerständige Impetus, der den Graffiti aus ihrem Medium erwächst: Nicht zuletzt aufgrund ihres Mangels an Beweglichkeit, die für die Ausstellbarkeit von Kunst zentral ist (bemalte Wände und Züge eignen sich nicht als Ausstellungsstücke, sie können nicht ohne weiteres von ihrem Standort entfernt werden) und wegen der Anonymität ihrer Schöpfer war und ist Graffiti für den Markt weitgehend unverwertbar, ihre Kriminalisierung und Verfolgung versinnbildlicht bis heute den Kampf um die Zeichenhoheit im öffentlichen Raum. Street Art und Graffiti tritt der Öffentlichkeit im Alltag entgegen und zeigt durch ihre Existenz auf, dass sich auch außerhalb der etablierten Gestaltungsmöglichkeiten Interventionen realisieren lassen. Der öffentliche Raum wird durch selbstautorisierte Aktionen von seinen Bewohnern selbst erschlossen und aus dem »unveränderlichen« Herrschaftszusammenhang gelöst in dem wir die Entwicklung der Stadt wähnen (vgl. Kapitel 2.1.). Street Art zeigt uns eine alternative Sphäre der Kunst, die offensichtlich nicht von dem Prinzip der unmittelbaren ökonomischen Nützlichkeit durchdrungen ist, nähert sich ihrem Publikum, mit dem Ziel dessen Wahrnehmung seiner kapitalisierten Umwelt zu verändern. Im beschriebenen ›Defizit‹ an Mobilität, die die urbane Kunst von ihrer ökonomischen Verwertung bewahrt, vollzieht die Kunstform scheinbar einen interessanten Rückschritt gemäß Walter Benjamins linearer Material-Theorie. Auch der Künstler Banksy diagnostiziert Graffiti eine Unberührtheit von technischem Fortschritt und sieht sie als Nachfolger frühzivilisatorischer Höhlenmalereien in einer jahrtausendealten Tradition verankert: TV has made going to the theatre seem pointless [sic!], photography has pretty much killed painting, but graffiti remains gloriously unspoilt by progress. (Banksy 2005, 184) Die charakteristische Kurzlebigkeit der Graffiti – die ephemeren Kunstwerke werden übermalt, kommentiert, in andere Objekte einbezogen oder einfach durch Reinigungskräfte gelöscht – ist ebenfalls ein wesentliches Moment dieses ›Rückschritts‹: Die Objekte existieren häufig nur während einer ungewissen Zeitspanne, nehmen oft zu tagesaktuellen Themen Stellung und funktionieren in 28 ihrem ›Hier und Jetzt‹. Ein Graffito ist immer eine Momentaufnahme eines sich wandelnden Umfeldes und Teil eines unsteten Gesamtzusammenhanges. Die Bilder, die dabei entstehen, sind Bilder für den Augenblick. […] Schon morgen können sie abgerissen, überklebt oder verändert worden sein. Sie sind abhängig von der Witterung und Einflüssen, die der freiliegende Stadtraum mit sich bringt. (Krause/Heinike 2006, 60) Das Kunstwerk erlangt auf den palimpsesthaften Wänden der Stadt eine Art Aura zurück, gerade die Exponate der Street Art nehmen in besonderem Ausmaß Bezug auf ihre direkte Umgebung, sind sehr eng mit ihrem ›Ausstellungsort‹ verbunden und thematisieren nicht Sozialwissenschaftler selten Hans direkt Christian ihren unmittelbaren Psaar verdeutlicht Kontext. den Aspekt Der der Vergänglichkeit, der eine Auseinandersetzung mit den industriell gefertigten Waren der Kulturindustrie befördern kann: Gerade in ihrer Vergänglichkeit durch Witterung, Entfernung, Überkleben und Verfall macht Street Art darauf aufmerksam, dass den von Menschen produzierten Dingen nicht die materiellen Eigenschaften innewohnen, die ihnen üblicherweise zugeschrieben werden. Kunst wird durch die Offenlegung ihres temporären Charakters als Prozess sozialen Austauschs dargestellt. (Psaar 2007) Der interessante formale Aspekt der Street Art lässt sich also nicht auf eine simple mediale Rückentwicklung beschränken, ihre materielle Sonderstellung hat durchaus progressive Aspekte, was die Rezeption und ihr Verhältnis zum technologischen Fortschritt angeht. So deutet die interaktive Praxis des Graffiti auf eine, gemäß Benjamin, fortschrittliche Rezeption hin, es wird distanzlos, taktil wahrgenommen, übermalt und beiläufig (nicht kontemplativ) verarbeitet. Als postmodernes, selbstreflexives und intertextuelles Genre baut die urbane Kunst auf die gewandelten Parameter der Wahrnehmung auf, sie greift auf neueste Errungenschaften der technischen Reproduzierbarkeit zurück. Ihre Entwicklung verläuft parallel zum Progress materieller Bedingungen. Schnellauftragende Marker beflügelten die Graffiti-Szene in gleichem Maße, wie später immer besser überdeckende Spraydosen, verschiedene Aufsätze (caps) und qualitativ bessere Farben. In ihrem Übergang zur piktoralen Street Art sind Techniken des Offset- und des Siebdrucks 29 enthalten, in der Anwendung von Collage, Crossover und Schnitt beerbt sie Avantgarde-Künste des 20. Jahrhunderts, den Dadaismus und die Filmkunst. In ihren Inhalten ist sie determiniert von der diskursiven Ubiquität des Bildes nach dem ›Iconic Turn‹, der postmoderne Charakter zeigt sich unter anderem in der autoreflexiven Betonung der Serialität, die explizit auf den Aspekt der Reproduktion rekurriert. In diesem geschilderten Aspekt reflektiert der Street Artist die Bedingungen seiner Produktion. Die offensichtliche Verwendung von Schablonen und das häufige Verschleiern und Weglassen von Künstlernamen befördern eine Auseinandersetzung mit dem Geniebegriff in der Kunst, die exponierte Arbeit in der Öffentlichkeit dekonstruiert die Vorstellung des zurückgezogenen Künstlerphilosophen des 19. Jahrhunderts in seiner autonomen Sphäre und propagiert das Ideal des (tages-) politisch aktiven Intellektuellen. Psaar expliziert hierzu: »Street Art legt durch ihre Fragmentiertheit den Prozess ihrer Entstehung offen. Als Kollage tritt sie dem Werkcharakter der Montage entgegen, der den Rezipientinnen und Rezipienten eine geschlossene Interpretation vorgibt«. (Psaar 2007) Auch kann man in der Street Art den von Benjamin und Raunig hervorgehobenen präproduktiven Aspekt der Interventionskunst ausfindig machen. Durch die Offenlegung ihrer Arbeitsweise, durch das großzügige Bereitstellen eigener Motive und die Veröffentlichungen zahlreicher Tipps und Anleitungen (vgl. etwa Banksy 2005, 236f), stellen die Künstler Produktionsvoraussetzungen zur Verfügung und nehmen eine Rolle ein, die vielleicht mit jener von Tretjakow vergleichbar ist, wie sie von Walter Benjamin geschildert wurde. Darüber hinaus wenden sie allerdings auch Street Art-spezifische Mittel an, um die bestehenden Produktionsverhältnisse zu überschreiten und neue Räume der Kommunikation zu erschaffen. In diesem Zusammenhang ist die Etablierung von Wandzeitungen zu erwähnen 14, das Verteilen von Aufklebern und vor allem die Praxis der »Designated Graffiti Areas« (Banksy 2005, 58-67), der ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Banksys Re-Formulierung der »Broken-Window Theory« (ebd. 130), die von Kriminalisten in den 1980er Jahren erstmals aufgestellt wurde, beschreibt die Auswirkungen unreparierter eingeschlagener Fenster auf die Nachbarschaft und die Kriminalität in der unmittelbaren Umgebung letzterer. Die in Banksys dokumentarischem Buch zitierten 14 Auch Tretjakow führte im Kolchos Wandzeitungen ein um sein avantgardistisches Ideal der »Literarisierung der Lebensverhältnisse« (Benjamin 2002a, 236) zu verfolgen. 30 Sozialforscher James Q. Wilson und George L. Kelling legen dar, dass vergleichsweise harmlose Delikte zu Folgekriminalität und gar zur Verwahrlosung einzelner Nachbarschaften führen können. Umgelegt auf Street Art kann man darauf schließen, dass bereits bemalte Häuserfassaden zu weiteren Graffiti einladen können und daher unter Umständen ›verbesserte Produktionsbedingungen‹ für nachfolgende Künstler hinterlassen. Als Anspielung auf die vorgestellte Theorie sind eingebrochene Fensterscheiben ein beliebtes Motiv Banksys, sie sollen zu weiteren Interventionen einladen und können daher durchaus als Arbeit an den Produktionsbedingungen im Sinne Benjamins interpretiert werden (vgl. Banksy 2005, 130). Abbildung 1: »Broken Window Theory« (Ausschnitt aus Banksy 2005, 131) Zentraler Bezugspunkt der Street Art ist die zeitgenössische Kultur, in deren Bildern sich das Machtverhältnis reproduziert und in der die Proliferation kommerzialisierter Zeichen und die Ästhetisierung des Konsums, in der Gestalt der Werbung, vorangetrieben wird. Street Art ist kraft ihrer materiellen Beschaffenheit nicht so leicht (ohne Vermittlung durch fotografische Verfahren etwa) von der Kulturindustrie vereinnahmbar und nimmt die von Benjamin geforderte Politisierung der Kunst vor. Der urbane Raum mit seinen Kondensationen der Macht ist die ›Kampfzone‹, in der sich Street Art Aktivisten ikonoklastisch gegen das Zeichenmonopol der politisch-ökonomischen Klasse wenden und durch das Umkodieren der Architektur, entgegen ihrer Funktion als strukturierendes Element und als Träger von Reklame, symbolischen Widerstand üben. 31 Zusammenfassend stellen die selbstermächtigten Interventionen in mehrfacher Hinsicht qua media Angriffe auf die gesellschaftliche Ordnung dar, da sie einerseits das semiotische Monopol der machthabenden »Sender«15 untergräbt, die den öffentlichen Raum flächendeckend mit Zeichen ihrer Autorität und Reklame eingenommen haben: The people who truly deface our neighbourhoods are the companies that scrawl their giant slogans across buildings and buses trying to make us feel inadequate unless we buy their stuff. They expect to be able to shout their message in your face from every available surface but you’re never allowed to answer back. (Banksy 2005, 8) Andererseits bricht sie mit gestalterischer Kraft das konservierende Blendwerk des Mythos auf und zeigt, dass das Erscheinungsbild der Stadt durch mutige Eigeninitiative, durch Menschenhand, veränderbar ist und nicht das Ergebnis eines unveränderlichen, ›natürlichen‹ Prozesses ist, dem man machtlos ausgeliefert ist. Darüber hinaus stellt Street Art einen radikalen Ausbruch dar, sie entgeht der alles durchdringenden Logik der ökonomischen Rationalität, die jeden Lebensbereich prägt und in der öffentliche Flächen nur gegen Miete und selbst wiederum fast ausschließlich zur Realisation ökonomischer Gegenwerte zu erwerben sind. In einem System in dem sich alles, selbst die Kunst, durch wirtschaftliche Rentabilität rechtfertigt, schafft gerade die unmittelbare Unverwertbarkeit der Objekte dem künstlerischen Ausdruck eine autonome Sphäre und gibt einem alternativen, ästhetischen Gegendiskurs einen Raum, der sich gegen die wirtschaftliche Vereinnahmung und Funktionalisierung des public space wendet und die globale Homogenisierung und Sterilisierung der Städte durch ökonomische Interessen und die zentralen Dispositive der Sicherheit und Kontrolle in der Praxis, am Ort des Geschehens kritisiert. 2.3. Kritische Interventionen Besonders paradigmatisch stellt sich die Arbeit an den Produktionsbedingungen etwa im Rahmen von Banksys »Designated Graffiti Areas« dar: Im Rahmen dieser Intervention weist der Künstler durch amtlich aussehende Schablonen-Graffiti 15 Der Begriff wird in Anlehnung an das Kommunikationsmodell Jean Baudrillards verwendet, in dem die Unterscheidung von »Sendern« und »Empfängern« von Botschaften und das Machtverhältnis, das sich daraus ergibt, eine entscheidende Rolle spielen (vgl. Baudrillard 1978). 32 bestimmte Wände eigenmächtig als offiziell genehmigte Sprühflächen aus. Das Imitieren des visuellen Stils öffentlicher amtlicher Botschaften in Form und Inhalt, das Einfügen eines reduzierten Englischen Wappens und das Versehen mit einer fiktiven Lizenznummer verliehen dem Graffito eine Autorität und Glaubwürdigkeit, was zur Folge hatte, dass die ausgewiesenen Wände in nur wenigen Tagen mit Graffiti übersät waren16. Abbildung 2: »Designated Graffiti Area« (Ausschnitt aus Banksy 2005, 58) Die angesprochenen Sprayer erkannten die Fälschung nicht und konnten auch kaum dafür belangt werden, sogar die örtliche Polizeidienststelle sah Banksys stencil auf Anfrage eines Sprayers als offizielle Botschaft an (vgl. Banksy 2007, 60). »This ›Graffiti Area‹ stencil is without a doubt the best thing I've done, because it's introducing the X-Factor - a load of s**t you have no control over. I put the stencil up and a week later kids have written everywhere all over the wall. I spoke to this Lawyer and he reckoned in his experience that it would be enough of a defence if you were a kid and got picked up by the old bill writing on one of these walls. That would give you enough, [sic!] ›reasonable doubt‹ to beat the case. The National Highways Agency doesn't exist and the official crest on it is off a packet of Benson & Hedges.« Shok1: »A chat with Banksy«. In: Big Daddy Magazine Ausgabe 7/2001. http://banksyforum.proboards.com/index.cgi?board=banksybook&action=display&thread=45965#ixz z1na5I7eGt (27.02.2012.). 16 33 Abbildung 3: »Graffiti Area, Day 15« (Ausschnitt aus Banksy 2005, S. 60) Die »Designated Graffiti Areas« greifen in den öffentlichen Raum ein, beschlagnahmen ihn, um Banksys ästhetisches Ideal, einer vor Farbe und Botschaften strotzender, kreativen Stadt zu verwirklichen, in der das Kommunikationsmonopol nicht bei einer ökonomisch potenten Elite liegt und die Banksy folgendermaßen beschreibt: Imagine a city where graffiti wasn't [sic!] illegal, a city where everybody could draw whatever they liked. Where every street was awash with a million colours and little phrases. Where standing at a bus stop was never boring. A city that felt like a party where everyone was invited, not just the estate agents and barons of big business. (Vgl. Banksy 2005, 97) Dazu wurden die Codes offizieller Botschaften und Hinweistafeln ›entführt‹. Aus der imitierten grafischen Anordnung, aus der charakteristischen Typografie und dem autoritativen Stil der Botschaft erwächst der normative Charakter der Fälschung, die kaum mehr als solche zu erkennen ist. Banksy kommentiert dazu ironisch die problematische Autorität, die scheinbar nur aus der Erscheinungsform offizieller Botschaften erwächst: »DON’T BELIEVE THE TYPE […] In fact it’s [sic!] been said that more crimes are commited in the name of obedience than disobedience.« (Banksy 2001, 25) Die Imitation und der Einbezug offizieller Hinweistafeln in Kunstwerken ist ein wiederkehrendes Motiv bei Banksy und zeigt das künstlerische Spiel mit dem Erscheinungsbild der Stadt und den Imperativen und Verboten, die uns im Alltag begegnen, die die Ästhetik des urbanen Raumes bestimmen und denen wir 34 gezwungenermaßen ausgesetzt sind. Banksys selbst-autorisierten (und darüber hinaus andere autorisierenden) Aktionen hinterfragen die Legitimität der geschilderten Zeichenhegemonie und greifen gleichzeitig ihre Ausschließlichkeit sowie ihre vermeintliche Alternativlosigkeit an. Sein Angriff richtet sich verstärkt gegen eben diese Kondensierungen der Macht im öffentlichen Raum und ihrer kolonialistischen Funktionsweise. Besonders explizit wird der Angriff auf Werbung in einer anderen Formulierung der »Designated Graffiti Areas«, in der er die Anbringung von Werbung ausdrücklich verbietet: Abbildung 4: »Post no bills« (Ausschnitt aus: Banksy 2005, 63) Seinen Angriff auf die Kommodifizierung des öffentlichen Raumes und die Rechtfertigung Werbung zu zerstören, zu entstellen und in ihr Gegenteil zu verkehren, formuliert er in der Strategie des »brandalism«: Any advertisement in public space that gives you no choice whether you see it or not is yours. It belongs to you. It’s yours to take, re-arrange and re-use it. Asking for permission is like asking to keep a rock someone just threw at your head. (Banksy 2005, 196) Auch hier steht die Selbstautorisierung im Vordergrund. Banksy kritisiert den durchmachteten öffentlichen Raum und weist die Legitimierungsstrategien des Öffentlichen zurück. Der beschriebene Widerstand basiert in diesen Aktionen vordergründig auf der medialen Beschaffenheit, auf dem ›Ausstellungsort‹ der Kunstwerke, die den öffentlichen Raum als Kommunikationsmedium erobern und 35 nutzen, um potentiell einen alternativen Gegen-Diskurs zu befördern, der wie gezeigt wurde, nicht unmittelbar von der Kulturindustrie vereinnahmbar ist. Allerdings ist Zweifel an jener einflussreichen Formel angebracht, nach welcher alleine die illegale Anbringung der Graffiti, unabhängig von Inhalt und Intention der Autoren bereits als Raumaneignung und tätige Infragestellung von Machtverhältnissen anzusehen sei. Jens Kastner kritisiert explizit diese Annahme, die von Baudrillard ausgehend bis zur zeitgenössischen Subkulturforschung (Kastner zitiert hierzu Baeumer und García Canclini; vgl. Kastner 2012b, 38) relativ breite Akzeptanz genießt. Damit ein Wandbild tatsächlich einen neuen Raum für politische Anliegen eröffnet, bedarf es einiger zusätzlicher ästhetischer Merkmale, denn nicht jedes Graffito ist per se als subversiver Akt anzusehen. Die Beispiele von aus dieser Hinsicht ›unwirksamen‹ Graffiti reichen schließlich vom konservativen (mexikanischen) Muralismus, der (heute) eine ebenso systemerhaltende Rolle einnimmt, wie die Praxis des Guerilla-Marketing, bei dem die Formensprache und Technik der Street Art zu Werbezwecken verwendet wird, über unzählige Akte simpler Zerstörungslust, die die eingangs aufgestellten Kriterien der Subversion nicht erfüllen. Auch der von Baudrillard euphorisch beschriebene Einfall der »leeren Signifikanten« der Graffiti in die Herrschaftsverhältnisse reproduzierende Matrix des öffentlichen Raumes, war eigentlich nur für einen kurzen Moment ein politischer Aufschrei um Mitbestimmung, ehe er zu einem subkulturellen Wettstreit nach Anerkennung und symbolischem Kapital zwischen Akteuren der Graffiti-Bewegung wurde17. Will man also das subversive Potential der Street Art untersuchen, kommt man auch nicht um die inhaltlichen Bezugspunkte der postmodernen Kunstform herum, in denen sich einerseits Parallelen und Gemeinsamkeiten zu ähnlichen sozialen Bewegungen widerspiegeln und in denen sich die eingangs angeführten »mikropolitischen Overlaps«, die kleinen Feldüberschreitungen zum Politischen verwirklichen können. 17 Hans Christian Psaar bemerkt dazu: »Baudrillard beschreibt Tags als leere Signifikanten, die auf keine Inhaltsebene mehr verweisen. Die reale Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat in diesem Fall aber leider die Hoffnungen nicht ganz erfüllt. Graffiti ist selbst zum Zeichensystem geworden, wo jedes Tag sich auf ein vorher gesetztes bezieht; wo das Tag den Namen der Crew repräsentiert; wo es beim Taggen um Statuskämpfe innerhalb der Graffitiszene geht.« (Psaar 2007) 36 3. Semiologische Guerilla Im Wandel der kryptischen Graffiti (deren inhaltliche Ebene eher sekundär oder gar Gegenstand einer Negation wurde) zu den bildlich geprägten Objekten der Street Art ist auch ein Wandel des Wissensdiskurses enthalten. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die immer größer werdende Dominanz bildlicher Medien im öffentlichen Diskurs, die unter anderem von Susan Sontag theoretisiert wurde. Der sogenannte ›Iconic Turn‹ umschreibt die neue gesellschaftskonstituierende Macht von Bildern, die sich etwa in den Werbesujets von Konzernen, aber auch prominent in Gegendiskursen wie der Street Art niederschlägt. Im Zusammenspiel mit den gewandelten Medien, gewissermaßen der Syntax der sozialen Gesellschaftsreproduktion, hat sich, wie wir sehen werden, auch die Semantik der Botschaften beachtlich verändert, parallel dazu vollzogen sich auch in den hier untersuchten Kunstformen kleine Revolutionen, die symptomatisch für den Wandel des gesamten öffentlichen Diskurses stehen. Daraus ergeben sich neue Formen und Funktionsweisen der Kritik, deren Analyse der Kernpunkt des bevorstehenden Abschnitts sein wird. 3.1. ›Iconic Turn‹ ‒ neue gesellschaftskonstituierende Macht der Bilder Vorstellungen von Geschichte, zurückliegenden Ereignissen werden seit dem 20. Jht. zunehmend von visuellen Medien geprägt, parallel zur Entwicklung des bebilderten Journalismus, zur flächendeckenden Verbreitung des Fernsehers und des internetfähigen PCs, bildete sich eine neue Qualität des kollektiven Bildgedächtnisses heraus, das zentral unseren Eindruck von vergangenen Geschehnissen prägt. Der Journalismus, mit all seinen Interdependenzen und Verstrickungen, dient hierbei als Hauptproduzent diskursbestimmender Ikonen, definiert damit maßgeblich Vorstellungen von Geschichte und ist einer der mächtigsten Autoren kollektiver Narrative. Er re-aktualisiert durch fortwährende Berichterstattung die Einheit der Gesellschaft und schreibt durch die dadurch gewährleistete laufende »Synchronisation der Weltgesellschaft« (Blöbaum 1994, 259) das soziale Verhältnis immerwährend neu (vgl. Grittmann/Ammann 2008). Dabei kommt insbesondere der Fotografie kraft ihrer indexikalischen Qualität eine beglaubigende, beweisende Funktion zu. Neben dieser synchronen Funktion der Selbstvergegenwärtigung und Aktualisierung Journalismus auch eine wichtige diachrone Rolle: 37 der Gesellschaft, erfüllt der Der Journalismus koordiniert […] nicht nur die Gegenwart und stellt somit Gleichzeitigkeit her, sondern ermöglicht auch die Ausdehnung der Zeit. Indem er vergangene Themen sammelt, selektiert und sie der Umwelt als Diskussionsangebote zur Verfügung stellt, ermöglicht er Kontinuität und Vergegenwärtigung der Vergangenheit. (Grittmann/Ammann 2008, 302) Es sind vor allem sogenannte ikonisierte Bilder, die einerseits aufgrund von ästhetischen und kompositionellen Kriterien und einer gewissen Referentialität (Bezug zu gemeinsamen Mythen, Narrativen und geschichtlicher Ikonografie) wichtige Ereignisse besonders gut verdichten können und andererseits einen fest umrissenen Reproduktions- und Kanonisierungsprozess durchlaufen. Kommunikationswissenschaftler Reinhold Viehoff zufolge ist dazu ein bestimmter kultureller Verbrauch vonnöten, ein mehrschichtiger Kreislauf aus vielfacher Reproduktion, sekundärer Inszenierung in Kunst, Verwertung und Verbreitung in Konsumgesellschaft und Alltagskultur (vgl. Viehoff 2005, 117). Damit werden Ikonen zu bestimmenden Ankern und Orientierungspunkten kollektiver Erinnerung, erlangen einen performativen und gesellschaftskonstitutiven Charakter und bilden gemeinsam das kollektive Gedächtnis, dessen konstruierte Qualität Susan Sontag betont: Was man als kollektives Gedächtnis bezeichnet, ist kein Erinnern, sondern ein Sicheinigen – darauf, dass dieses wichtig sei, dass sich eine Geschichte so und nicht anders zugetragen habe, mit den Bildern, mit deren Hilfe die Geschichte in unseren Köpfen befestigt wird. (Sontag 2010, 100) Anhand der ausgestrahlten, omnipräsenten Bilder untermauert sich also eine Herrschaftsordnung, verankert die bindenden großen Erzählungen, die als grundlegende Identifikationsfaktoren fungieren, in den Köpfen und schreibt sich mit jeder weiteren Veröffentlichung, jeder weiteren Reproduktion, fort. Sie sind elementare Bestandteile der sozialen Identität und wirken gemäß Foucaults Konzept der Bio-Macht direkt auf die Menschen in ihrer Subjektivierung ein. Ex negativo definieren sie damit auch jenen Bereich der Geschichte, den eine Gesellschaft als nicht relevant qualifizieren will – das »kollektiv Verdrängte«. Die Selektion von Fotos bestimmt den Diskurs unserer (Zeit-) Geschichte und findet im Zeitalter der ›Mediendemokratie‹ täglich realpolitischen Niederschlag. Der große 38 Anteil, der suggestiven Bildern bei der Rechtfertigung von Kriegseinsätzen, bei der Herstellung von Stimmungen, in der strategischen Lenkung des öffentlichen Meinung zukommt, ist längst im wissenschaftlichen Diskurs angekommen, so ist etwa der große Einfluss der Kriegsfotografie seit dem Aufkommen des ›embedded journalism‹ im Vietnamkrieg ein Allgemeinplatz, auch die Instrumentalisierung von Bildern während der Balkankriege der 1990er Jahre ist medienwissenschaftlich und in der Friedensforschung ausführlich dokumentiert (vgl. Becker/Beham 2008; Merlino 1993). Doch auch wo die performative Kraft von Bildern nicht so offensichtlich und unmittelbar auf die Gesellschaft und ihre Entscheidungsträger wirkt, ist die subtile konstitutive Macht der Bilder ungebrochen: »Photographs have an insuperable power to determine what we recall of events«. (Sontag 2004) Die affektive Macht der Bilder macht diese zum paradigmatischen Zeichen unserer Zeit und zum besonders wirkungsvollen, zu hinterfragenden Träger des Mythos, der beständig den gesellschaftlichen status quo perpetuiert und konservierend Machtkonstellationen einzementiert. Die Signifikate auf welche die Bilder verweisen, werden gemäß der Funktionsweise des Mythos (vgl. Barthes 1964) ihrer Geschichte entkleidet und nach einem Zyklus hochfrequentierter Wiederholung, Verbreitung und öffentlicher Präsenz bleibt als Bedeutetes nur eines über: die Allgegenwart der immergleichen Bilder, die für die Rezipienten die konstituierende Zugehörigkeit zu einer Bildkultur (Bedeutung) stiften. Der Reproduktionsdrang der Medienindustrie führt trotz der radikalen Potenzierung der Bildproduzenten und der begleitenden Hoffnung auf Demokratisierung, zur Homogenisierung unseres kollektiven Bildinventars. Der angebissene Apfel des Apple Logos, das Konterfrei Barack Obamas oder Homer Simpsons, die stilisierte Guy Fawkes Maske der Anonymous Bewegung, Pop-Stars und Supermodels auf Titelseiten von Hochglanz-Magazinen – sie alle verschweißen Menschen letztlich zu einer gemeinsamen Bildkultur, geeint durch die persistente Rezeption dieser omnipräsenten Bilder (die Bio-Macht des Empire wirkt in keinem Bereich so greifbar und offenkundig, wie im Effekt propagierter, allgegenwärtiger Schönheitsideale auf die Selbstwahrnehmung von Individuen. Die normierende Relevanz von Werbung und Massenmedien manipuliert letztlich direkt »Köpfe und Körper« der Subjekte – vgl. Hardt/Negri 2002). Seit den 1990er Jahren sieht man in der von Susan Sontag proklamierten »unüberwindbaren Macht der Fotografien« über die Erinnerung einen Indikator für 39 einen kulturellen Paradigmenwechsel: Als ›Iconic Turn‹, als Wende zum Bild wurde im wissenschaftlichen Diskurs die zunehmende Dominanz visueller Medien und die massenmediale Verbreitung von Bildern in öffentlicher Zirkulation bezeichnet und kontroversiell diskutiert. Die Vorherrschaft des bildlichen Ausdrucks in der Öffentlichkeit gegenüber der jahrhundertealten Dominanz der schriftlichen Expression verstärkt sich in den letzten Jahrzehnten zusehends, im Spiegel der ›Piktorialen Revolution‹ der Medienkultur, wandeln sich natürlich auch künstlerische Artikulationen und Formen des Widerstands. 3.2. Street Art als Semiologische Guerilla Die Subkultur des Graffiti und die daraus entwickelte Street Art kann man als Teile einer übergreifenden, sozialen Bewegung betrachten, die durch Bewusstseinsprozesse eine Änderung herbeiführen kann. Aufbauend auf der frühen Punkbewegung, den Dadaisten, der Situationistischen Internationale, den Hippies, Yuppies, Beatniks, Avantgardisten und Surrealisten und zuletzt den Culture Jammern stehen die behandelten Kunstformen in der Tradition einflussreicher grenzüberschreitender Kunstbewegungen, deren Praxis eben durch punktuelle Overlaps auf das Feld der Politik wirken kann. Die semiologische, inhaltliche Dimension dieses symbolischen Kampfes der Zeichen wurde unter anderem in Umberto Ecos und Guy Debords Werken theoretisiert. Ecos Forderung nach einer »Semiologischen Guerilla« kam 1967, im Rahmen eines gleichnamigen Vortrags zur Geltung und fußt auf einer Kritik der weitgehenden Macht der Massenmedien. Er pocht auf die Notwendigkeit eines unabhängigen Gegendiskurses, der als Kontrollinstrument die massenmediale Vorherrschaft eindämmen soll. Gleichzeitig macht er allerdings auf die Gefahren des »Reformismus« aufmerksam: Trotz seiner vehementen Kritik an der postmodernen Erstarrung und Resignation angesichts der scheinbaren Ausweglosigkeit des sozialen Verhältnisses, räumt er ein, dass in vielen Domänen eine Vielzahl kleinerer Kurskorrekturen lediglich Widersprüche mildern und dadurch eine Entladung des Unbehagens für lange Zeit verhindern können, ein Umstand der auch als problematischer Reformismus im marxistischen Gedankengebäude behandelt wird. Doch sieht Eco im Kontext kultureller Entwicklungen andere Gesetzmäßigkeiten wirken: 40 Im Bereich der Kultur gibt es keine reformistische Erstarrung; es gibt hier nur Prozesse zunehmender Bewusstwerdung, die, wenn sie einmal ausgelöst sind, nicht mehr von dem, der sie ausgelöst hat kontrollierbar sind. Daher die Dringlichkeit aktiver Eingriffe auf dem Gebiet der Massenkommunikation. (Eco 1984, 50) Der Aspekt des Bewusstseins scheint an dieser Stelle besonders interessant: Wo könnte eine Bewegung effektiver die unüberwindbar anmutenden Missstände aufzeigen und bekämpfen, als am Ort ihrer Entfaltung? Die Bio-Macht des herrschenden Machtparadigmas wirkt laut Foucault (und Negri) in der Subjektivierung eines jeden Individuums, es ist daher naheliegend ihr auf dem primären Gebiet ihrer Vermittlung (den Massenmedien und dem öffentlichen Raum) entgegenzutreten und auf ein deterritorialisiertes und dezentrales Ordnungsschema mit einer ebenso dezentralen und nichtlokalisierbaren Gegenbewegung zu antworten. In seiner Hoffnung auf bewusstseinsbildende Intervention will Eco das einseitige, »diktatorische« Verhältnis der Massenkommunikation aufbrechen. Die Leugnung der Möglichkeit der Einflussnahme sieht er als das Ergebnis verwerflicher Mystifikationen, denen sich viel zu viele poststrukturalistische Intellektuelle unter dem Eindruck eines falschen Totalitätsglaubens beugen, indem sie sich dem Diskurs verweigern oder passiv verhalten (vgl. Eco 1984, 49f.). Im Gegensatz zur allgemeinen Schockstarre der postmodernen Depression plädiert er für Aktionismus und betont die Dringlichkeit bewusstseinsbildender Handlungen. Methodisch setzt die Bewegung des Culture Jamming, die in den 1990er Jahren in Erscheinung trat, die Forderungen Ecos um. Durch Interventionen in den Alltag durchbrechen die Medien-Aktivisten eingefahrene Wahrnehmungsmuster, decken die fraglichen Subtexte von Werbebotschaften und ihre sinnentleerte Tautologie auf (die keiner Rückkopplung auf einen reellen Signifikaten mehr standhalten würde – vgl. das Konzept der Hyperrealität bei Baudrillard 1978, 83ff.). Durch die Manipulation ihrer Sujets kehren sie ihre Motive gegen ihre ursprüngliche Intention und zeigen ihrerseits die manipulativen Effekte der Marketing-Strategien auf. Sie entlarven das Monopol der Medienkonzerne und das Beschlagnahmen jeden Lebensbereichs durch die Spektakelwirtschaft, durch Akte des zivilen Ungehorsams, durch Ausbrüche aus erwarteten Handlungsweisen, das Übertreten von Grenzen und durch das Umdeuten der omnipräsenten Zeichen der Kontrollgesellschaft. Bei den Aktionen der 41 Kommunikationsguerilla handelt es sich also um eine künstlerische Strategie zur Subversion von Kommunikationsstrukturen. Ihre Techniken beinhalten Verfremdung, Collage, Überidentifikation, sowie die Entwendung, Umdeutung und das sogenannte »Kidnappen« von Zeichen – Strategien die sich auch auf Guy Debords Praxis der Détournements berufen (vgl. Debord 1996). In diesem Vorgang des »Kidnapping« wird die vereinnahmende, koloniale Funktionsweise des barthesschen Mythos offengelegt und gegen ihn gewandt: Das entführen von Zeichen und deren Dienstbarmachung im Namen eines übergestülpten Bedeuteten ist der modus operandi der Akteure der Werbeindustrie, der die allgemeine Kommodifizierung erst ermöglicht. In der Aneignung dieser Funktionsweise liegt aber auch eine Chance wie Roland Barthes selbst formuliert: »Ist die beste Subversion nicht die, Codes zu entstellen, statt sie zu zerstören?« (Barthes 1980, 141) In der Umdeutung der omnipräsenten Codes der Konsumgesellschaft und der Herrschaftszeichen der ökonomischen Eliten, die sich über die Massenmedien artikulieren und in deren Präsenz sich ihre Macht gleichzeitig ausdrückt und herstellt, wirken die Aktivisten des Culture Jamming am (Nicht-)Ort der Machtausübung – in den Köpfen der Individuen. Sie stellen die weitverbreiteten suggestiven und mythisch vereinnahmten Bilder in Frage, deren übergeordnetes Bedeutendes stets die Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung ist, platzieren sie in anderen Kontexten, unterminieren und entlarven damit ihre Funktion dauerhaft, wodurch sie unter Umständen Jens Kastners vorgestellter Subversions-Definition gerecht werden können. Die Rückeroberung von Kommunikationskanälen und des öffentlichen Raumes, die Kritik an Kulturindustrie und an der Kommerzialisierung jedes Lebensbereiches, die unsere Lebensrealität zu einem »Spektakel« (Vgl. Debord 1999) macht und die Kreativität und Selbstbestimmung der Menschen in starre Schemata zwängt – das sind einige Ziele des Culture Jamming, wie sie Lasn, in Anlehnung an Debord, Barthes, McLuhan und Eco ausführlich beschreibt. Es geht nicht um eine neue Gesellschaftsordnung, oder einen revolutionären Umsturz, sondern primär um die Schaffung eines Problembewusstseins, einer neu entfachten Skepsis und um einen Ausbruch aus dem lähmenden, defätistischen Zynismus, in dem Unzufriedene sich angesichts ihrer empfundenen Machtlosigkeit gefangen wähnen (vgl. Lasn 1999). 42 Während sich etwa die Medienguerilla, auf das Unterwandern und Nutzbarmachen massenmedialer Kanäle konzentriert und dieses Ziel durch die Produktion von (oft absichtsvoll übergangenen) Dokumentarfilmen, Anti-Werbung, dem Aufbau alternativer Medien-Netzwerke und Gegendiskurse verfolgt (vgl. Lasn 1999), richten sich die hier behandelten Kunstformen Street Art und Graffiti auf den öffentlichen Raum, der ihnen als Medium, ›Kampfzone‹ und Zielpunkt dient. Was mit den amerikanischen Graffiti-Writern als Territorialkampf und als scheinbar »zeichenlose Invasion des öffentlichen Raumes« begann, wurde mit der Entwicklung der gestalterischen Mittel und unter dem Eindruck verschiedenster Einflüsse und Umweltfaktoren zu einer irritierenden Kunstform, die mit ihren Anliegen reflektiert umgeht und im Sinne des Culture Jamming auch ein geändertes Bewusstsein, neue Subjektivierungsweisen transportieren will. Die New Yorker Graffiti Bewegung kam schon bald nach ihrem Aufkommen und im Zuge ihrer ästhetischen Entfaltung mit vielfältigen Einflüssen und Interessen in Berührung, Interaktionen mit den Sphären des Kunstmarktes, der Werbeindustrie, der akademischen Kunstwissenschaft, der Szenekultur kamen zustande und befruchteten die junge Subkultur in vielerlei Hinsicht. Schon in den 1980er Jahren konnte man auf einen großen Formenreichtum und eine beachtliche Chronologie der Stilrichtungen zurückblicken, die Quellen der vielgestaltigen Bilderwelten waren polymorph und reichten von der eigenen komplexen Typografie bis zu Sujets aus Comics und popkulturellen Referenzen. Auch die Anlehnung an die Reklame, mit der man im öffentlichen Raum konkurrierte setzte wichtige Impulse, der direkte Bezug zur Straße und damit zum ›Ausstellungsort‹ der urbanen Kunst führte, so scheint es, zwangsläufig zu einer Auseinandersetzung mit der Ästhetik und Politik des öffentlichen Raumes: zur Frage nach der Gestaltungshoheit und dem sozialen Verhältnis. Im schleichenden Übergang zum bildlichen Ausdruck spiegelt sich in der urbanen Kunst der Wandel des öffentlichen Diskurses von der Schrift- zur Bildkultur. Der kryptischen Geheimsprache des Graffiti, die vordergründig an Akteure einer hermetischen Subkultur gerichtet ist, folgt die tendenziell bildliche Street Art, die sich in ihrer picturalen Lingua franca an eine Öffentlichkeit wendet und so eine »Politisierung der Ästhetik« vorantreibt. 43 Die formellen und inhaltlichen Anleihen sind programmatisch, so deutet die Tendenz zur Verwendung von Schablonen in der Street Art, auf den Drang zu einer größeren Lesbarkeit und das Verfolgen einer bestimmten Ästhetik hin; explizit bezieht sie sich außerdem auf die Form und den normativen Charakter offizieller Zeichen im urbanen Raum und den künstlichen Phänotyp gedruckter Reklame (vgl. Teil 2.3 dieser Arbeit). Die Erscheinungsform der stencils leitet sich genetisch von funktionalen Schablonierungen ab, die zu ökonomischen Zwecken, etwa zur Beschriftung von Kisten oder offiziellen Botschaften erfunden worden waren. So sind viele der schriftlichen stencils an die Schriftart »Tea Chest« angelehnt, die 1936 zur Beschriftung von Teekisten erfunden wurde; ein weiterer typografischer Bezugspunkt ist die am Bauhaus entwickelte Kombinationsschrift Josef Albers‘ (vgl. Blanché 2010, 30f.). Der Einfluss der Pop-Art und des Fluxus sind im Nachfolger des Graffiti – der Street Art – maßgebend. Einerseits in der Betonung der hintergründigen Banalität der Alltagsgegenstände, der Auseinandersetzung mit der Tautologie der Werbung und dem zentralen Aspekt der Serialität, andererseits in der Negierung des Kunstwerks als bürgerlichen Fetisch, im ephemeren und ereignishaften Charakter, der auch in ihrer Ästhetik an diese kanonisierten modernen Künste gemahnenden Street Art. In Anlehnung an die Performances und Aktionen der Fluxus-Bewegung, sind die im urbanen Raum ausgestellten Objekte als vergängliche Beiträge in einem interaktiven Medium konzipiert. Temporalität, Interaktion, Rezeption und Umwelt werden als relevante Teile des Kunstwerks angesehen, dessen unabgeschlossene Gestalt ständigem Wandel ausgesetzt ist. Lebensgroße Figuren, in Großbuchstaben prangende Befehle und aufwändige Kampagnen mit großer Verbreitung und Dichte sind auch darauf ausgerichtet, ihrem Publikum im Alltag entgegenzutreten, mit ihm zu interagieren und treiben darüber hinaus die Rückeroberung der besetzten und von Reklame und offiziellen Botschaften eingenommenen öffentlichen Räume voran. Auch durch das Evozieren des »kollektiv Verdrängten«, wie wir es bereits kurz eingeführt hatten (dazu mehr in Teil 3.3 dieser Arbeit), kann Street Art ein verändertes Bewusstsein, eine neue Wahrnehmung befördern. Parallel zur Pop Art, die unter anderem durch das Ausstellen von isolierten Alltagsgegenständen in Museen die Banalität von Konsumgütern 44 thematisierte und gleichzeitig gewissermaßen den Eintritt der ›Realität in die Kunst‹18zelebrierte, wird auch in der Street Art die selbe zentrale Entgrenzung virulent: Der Einzug der ›Kunst in die Realität‹, seine Verankerung im Alltag, wie sie schon von zahlreichen Bewegungen vor den genannten vorbereitet und eingeleitet wurde, erlangt im Zeitalter der Hyperrealität eine neue Bedeutung. So gilt es etwa die Bilder, die im Rahmen von Nachrichtensendungen regelmäßig flächendeckend konsumiert werden in einen anderen Rezeptionszusammenhang zu versetzen, wo sie mit anderen Erwartungshaltungen kollidieren und unvermittelt auf ihr Publikum einwirken können. 3.3. Insurrektion und das kollektive Unbewusste Dabei gilt es die Funktionsweise dieser Interventionen zu untersuchen, eine wichtige Spezifikation betrifft dabei die inhaltliche Ebene der Street Art Kunstwerke. So macht der Soziologe Hans Christian Psaar Kriterien gegen die politische »Parolisierung« der Kunst, also gegen die eindeutige ideologische Instrumentalisierung letzterer stark, die auf die Autonomie und Nicht-Festlegbarkeit von Kunstwerken abzielen (vgl. Psaar 2007). Dabei kritisiert er auch und insbesondere Werke von Street Artists und Culture Jammern, deren Botschaften platt, aufgesetzt, demagogisch und plakativ sind, indem er ihren Schöpfern letztlich denselben Vorwurf macht, wie Walter Benjamin seinen Zeitgenossen: die Politisierung der Kunst, ihre Instrumentalisierung zu Propaganda. Darin stimmt er mit Jens Kastner (und Gerald Raunig, dessen Kritik an der Ästhetisierung der Politik bereits ausführlich dargelegt wurde) überein, für den gerade die hybride Stellung von Street Art zwischen Alltag und Nicht-Alltäglichem entscheidend für ihr Gelingen ist. Das Blockieren einer direkten, unmittelbaren Funktionalisierung zu politischer Parole oder zum vorgeblich zweckfreien Kunstobjekt (dessen Fetischisierung und Warenwerdung vorgezeichnet ist) löst Irritation aus. Diese Uneindeutigkeit ermöglicht das, was Kastner in Anlehnung an Antonio Negri als das mögliche Eingliedern in einen »insurrektionalen Blitz« bezeichnet und als wichtige Praxis sozialer Kämpfe ausweist.19 18 Unter anderem in Abgrenzung von der betont intellektuellen und idealistischen abstrakten Kunst, wendete sich die Pop Art dem Trivialen zu. 19 In Abgrenzung zu einem problematischen und Kastner zufolge gescheiterten Revolutionsmodell, das auf Staatsübernahmen abzielt, etabliert Antonio Negri ein dreistufiges Modell gesellschaftlicher 45 Das plötzliche Aufflackern einer Plausibilität […], das momenthafte Aufbrechen zu einer zugleich alltäglichen und nicht alltäglichen Praxis […], das spontane Durchkreuzen eingeschliffener Gewohnheiten (wie die aktive Gestaltung von Medien, statt des Konsums ihrer Sendungen), solche alltäglichen und doch den Alltag durchbrechenden Praktiken können durch Kunstpraktiken reflektiert und/oder methodisch vorweggenommen werden. (Kastner 2012b, 48) Demnach können solche momenthaften »Insurrektionen« Potential für Veränderungen aufzeigen und dazu beitragen, für einen Augenblick die eingeschliffenen Muster zu durchbrechen und eine politische Wahrnehmung des Alltags zu befördern. Als Medien einer solchen ›aufflackernden Erkenntnis‹ klinken sich die Werke der Street Artists in die dargelegte symbolische Arbeit an eben jenen Denk- und Wahrnehmungsmustern ein, die unseren Denk- und Sichtweisen vorgelagert sind. Diese grundlegenden, unhinterfragten Episteme, die gewissermaßen den Raum des Denk- und Sagbaren vordefinieren, beschreibt Pierre Bourdieu in seiner Konzeption der doxa, deren »verhüllte Willkür« (Bourdieu 2001, 241) aufgezeigt und durchbrochen werden muss.20 Es geht laut Jens Kastner um »den theoretisch so bedeutsamen Augenblick, […] in dem für einen Moment der symbolischen Gewalt, die eine/n zum unhinterfragten Akzeptieren des Bestehenden zwingt, widerstanden werden kann« (Kastner 2012a, 106). In diesen Kampf um das kollektive Unbewusste können sich also Kunstwerke der Street Art einspeisen, indem sie ihrem Publikum im Alltag entgegentreten und über Symbole und Referenzen eine Wieder-Aneignung des politischen Feldes vornehmen. Kastner bringt die potentielle Wirksamkeit dieser insurrektionalen Blitze auf den Punkt: Einerseits erfüllen sie damit die klassisch aufklärerischen Dienste des Aufdeckens und Anprangerns. Als symbolische Formen erreichen sie dabei andererseits Ebenen, die von vornehmlich auf ambivalenzfreie Inhalte zielendem, herkömmlichem politischen Aktivismus seltener berührt werden. (Kastner 2012b, 55) Emanzipationspraxen, das aus Widerstand, Aufstand/Insurrektion und konstituierender Macht besteht (vgl. dazu Birkner/Foltin 2006, 180ff; Kastner 2005, 40ff). 20 Im Gegensatz zum öffentlichen bürokratischen System der Staatsapparate umfasst das Politische bei Bourdieu eben auch das verborgene weite Feld der inkorporierten Regeln, deren wir uns nicht bewusst sind. 46 Exemplarisch für eine solche Auseinandersetzung mit den impliziten, unausgesprochenen Regeln des Alltags und darüber hinaus eine Wieder-Aneignung des Politischen ist eine Kampagne Shepard Faireys, der als einer der einflussreichsten wegbereitenden Aktivisten und Künstler der Street Art Szene gilt. Seine berühmt gewordene Aktion »OBEY GIANT« bezeichnet der Künstler in seinem 1990 verfassten Manifesto als »phänomenologisches Experiment«, in dem der Künstler alltägliche Begebenheiten, (und damit die eingeschriebenen Regeln der doxa) die von Menschen üblicherweise nicht wahrgenommen werden, obwohl sie unmittelbar vor ihren Augen stattfinden, anhand von verfremdenden Effekten in aller Deutlichkeit in Erscheinung treten lässt. Kernpunkt seiner Aktion war die massenhafte Reproduktion des stilisierten Portraits eines Ringers und dessen Verteilung in Form von Vinyl-Aufklebern und Plakaten. Das dumpfe Konterfrei des Profiwrestlers wurde mit dem redundanten Befehl zu gehorchen versehen und erfuhr eine beachtliche Verbreitung und öffentliche Präsenz in Rhode Island, ehe sich die Aktion zu einer weltweiten Kampagne auswuchs. Abbildung 5: »OBEY GIANT« (Shepard Fairey, URL: http://obeygiant.com/prints/griny-obey; [02.03.2012]) Aus dem Umfeld der Rhode Island School of Design und von der Skateboard-Szene ausgehend breitete sich der fingierte Werbefeldzug aus und erregte viel Aufmerksamkeit, sein Subtext barg eine interessante, reflektierte Auseinandersetzung mit der Kulturindustrie, ein Spiel mit dem Aspekt der technischen Reproduktion und eine ironische Konfrontation mit der in der Öffentlichkeit omnipräsenten politischen Parole (insbesondere zum Anlass 47 verschiedener Wahlkämpfe), die in Gestalt von Wahlplakaten und Slogans den öffentlichen Raum besetzt. Die unvermittelte plötzliche Omnipräsenz der schematischen Abbildung des apathischen, dumpfen, immergleichen Gesichts, die repetitive Wiederkehr des eingängigen Logos, entlarvt die Mechanismen zeitgenössischer Publicity-Kampagnen und medialer Ubiquität. Sie interveniert auf eben jenem Terrain, das üblicherweise auf ambivalenzfreie Inhalte abzielt und ironisiert implizit die starren Regeln der repräsentativen Demokratie und das Spektakel der Wahlen, das auch Colin Crouch kritisiert. Die Parole »OBEY GIANT« erscheint als platter, tautologischer Befehl der Unterordnung, die artikulierte Forderung nach Konformismus, Anerkennung der Autorität und Gehorsam (»OBEY«) wird mit offensichtlicher Aussichtslosigkeit, der Konfrontation mit einer Übermacht (»GIANT«) verbunden. Die Kombination enttäuscht allerdings die Erwartungshaltung, die aus der Erscheinungsform politischer Botschaften erwächst – ein positiver Ausblick oder ein Versprechen wird dem Rezipienten ebenso verwehrt wie ein Überraschungsmoment oder eine Pointe. Die Parole prangt wie die Wiederholung des Offensichtlichen im Stadtbild, eine Überzeichnung, die durch das Portrait der trägen und schwerfälligen, doch keinen Widerstand zulassenden Übermacht verstärkt wird. Die Anspielung auf politische Publicity stellt ein kritisches Sinnangebot in den Raum: »OBEY GIANT« führt die Funktionsweise postmoderner, repräsentativer Demokratien ad absurdum und versetzt den Rezipienten in die Position des aufdeckenden und enthüllenden Mythologen, wie sie Barthes beschrieb: Ausgehend von einem erfüllten Bedeutenden (Werbung für einen politischen Bewerber), deckt er die Deformation von Wahlplakaten auf, er entlarvt ihre Parolen als Alibi von Mitbestimmung und Souveränität (vgl. Barthes 1964, 111; Crouch 2008). Im schematischen, deutlich reduzierten Portrait spiegelt sich die Austauschbarkeit und der schablonenhafte Charakter der Darsteller der politischen Inszenierung, der man in der spektakelhaften Mediendemokratie ausgesetzt ist, und kann damit als satirische Persiflage (vgl. Genette 1996) der Werbe- und Propagandaindustrie verstanden werden. Die Plakate und Sticker der Kampagne überraschen den Rezipienten, da dieser das ›beworbene Produkt‹ und seine Aussage nicht ad hoc identifizieren kann: 48 Because people are not used to seeing advertisements or propaganda for which the product or motive is not obvious, frequent and novel encounters with the sticker provoke thought and possible frustration, nevertheless revitalizing the viewer’s perception and attention to detail. The sticker has no meaning but exists only to cause people to react, to contemplate and search for meaning in the sticker. (vgl. Fairey 1990) Die an Heidegger angelehnte Intention, ein »phänomenologisches Experiment« ins Treffen zu führen, lässt sich in der Tat in der Anwendung Viktor Šklovskijs Theorie der Verfremdung analysieren. In diesem Fall funktioniert Kunst tatsächlich als Verfremdung alltäglicher Begriffe, durch die ein veränderter, reflektierter Wahrnehmungsprozess angestoßen wird und an die Stelle der automatisierten Sinnesverarbeitung des täglichen Lebens tritt. Dadurch wird ein neues Sehen befördert, das den Dingen, mit denen man tagtäglich konfrontiert ist, die Selbstverständlichkeit und Gewöhnlichkeit nimmt. Die ›Verfremdung‹ der Alltagsrede und -bilder führt zu einer Befreiung von der Automatisierung, die all unsere Angewohnheiten betrifft und im Bereich des Automatisch-Unbewussten ablaufen lässt, insofern bedeutet sie ihrerseits eine Aneignungsbewegung: Durch das Entrücken aus der Sphäre der unbewussten, reflexhaften Automatismen verlassen die täglichen Sensationen unserer Umwelt das Terrain der vermeintlich unantastbaren »Natürlichkeit« des Mythos, wie sie Barthes herausstellte, und gelangen in die Einflusssphäre des Menschen (vgl. Šklovskij 1994). Faireys Kampagne trifft den Rezipienten als »insurrektionaler Blitz« (vgl. Kastner 2012b), die unbewussten, eingeschriebenen Regeln der inszenierten Wahlkämpfe werden aufgezeigt, treten dem Publikum als unvermittelte Plausibilität entgegen und werden ad absurdum geführt. Dies ist auch laut Bourdieu notwendig, »um sich der stummen Evidenz der doxa zu entziehen und um die von ihr verhüllte Willkür auszusprechen und anzuprangern« (Bourdieu 2001, 241), insofern eignet sich OBEY GIANT hervorragend als Beispiel einer gelungenen Intervention, die sich in die angesprochene symbolische Arbeit am kollektiven Unbewussten einklinkt. In ihrer Strategie gleichen Mark Jenkins‘ Installationen im Straßenraum der Arbeit Shepard Faireys. Seine lebensgroßen, täuschend echt wirkenden Figuren, die er aus 49 Klebeband anfertigt, stellen oft Menschen21 dar, die durch ihre realistische Bekleidung zunächst mit dem Straßenbild verschmelzen und wie Passanten, Mitmenschen, Verkehrsteilnehmer wirken. Die Figuren wirken lebhaft und naturgetreu, was im Anblick ihrer aufsehenerregenden Positionierung oft heftige Reaktionen hervorruft. Denn Jenkins platziert seine Modelle an Hausdächern, lässt sie buchstäblich mit dem ›Kopf durch die Wand‹ laufen oder postiert sie als Bettler. All diese Installationen regen dazu an, das Wundern über die Umwelt, insbesondere an den Menschen, die sich im öffentlichen Raum bewegen, wiederzuerlangen. Vor allem durch ihre starre Bewegungslosigkeit fallen auch die unauffälligeren Figuren auf und können durch ihre regungslose Anwesenheit (die zu einem zweiten oder dritten oft ungläubigen Blick anregt) an Menschen erinnern, die den öffentlichen Raum nicht als Durchgangszone wahrnehmen (können) und an denen ständig vorbeigelaufen wird, ohne ihnen Beachtung zu schenken. Obdachlose, Zeitungsverkäufer, »Leute von der Straße« sind Gegenstände des kollektiv Verdrängten, davon zeugen nicht zuletzt Bettelverbote, Platzverweise und die bewusste Ignoranz mit denen ihnen alltäglich begegnet wird. Die verfremdende, oft auch ins Absurde und Surreale abgleitende Darstellung, die auch eine performative Komponente hat, eine Situation herstellt und mit dem Publikum interagiert, befördert also ganz klar eine politische Betrachtung und Hinterfragung des Alltags im Sinne eines mikropolitischen Overlaps. 21 Auch exotische Tiere, wie Giraffen oder verfremdete Objekte, wie etwa Telefonhörer gehören zum breit Aufgestellten Oeuvre des Künstlers aus Washington DC. 50 Abbildung 5: »Installation« (Mark Jenkins, Washington DC, URL: http://www.xmarkjenkinsx.com/outside.html [29.05.2013]) Ähnliche Strategien werden auch von Robin Banksy verfolgt, dem anonymen Street Artist aus Bristol, dessen Werke auf der ganzen Welt verstreut sind und der zu den exponiertesten und einflussreichsten zeitgenössischen Künstlern überhaupt zählt. In seinen stencils, Installationen und verwandten Interventionen werden häufig die beschriebenen Strategien der Kommunikationsguerilla umgesetzt, und in besonders ausdrucksstarken Objekten zitiert er ikonische Bilder aus dem visuellen Museum unserer kollektiven Erinnerung (vgl. Sontag 2010). Seine berühmten, entlarvenden Kommentare zu Überwachungskameras verfolgen genau das Ziel, das Wundern über die Umwelt zu erwecken und auf die omnipräsenten Organe der Kontrollgesellschaft aufmerksam zu machen. Die spielerische Auseinandersetzung mit offiziellen Zeichen und Apparaten, beweist nicht zuletzt ihre Unwirksamkeit, was die Erhöhung der Sicherheit und die Bekämpfung von Kriminalität angeht, schließlich zeugen seine Kunstwerke und provokanten Botschaften im unmittelbaren Sichtfeld der Kameras von der Nutzlosigkeit letzterer, denn Banksy schafft es nun schon seit Jahrzehnten ungesühnt und anonym illegale Graffitis anzubringen. 51 Abbildung 6: »One Nation Under CCTV« (Banksy, Ausschnitt aus Foto: Fiona Hanson / PA, URL: http://www.time.com/time/arts/article/0,8599,1854616,00.html?xid=rss-arts [28.05.2013]) Offizielle Überwachungssysteme, die in unserer alltäglichen Wahrnehmung mit unserer urbanen Umwelt verschmelzen und nicht auffallen, werden mit Zusätzen wie Tierkörpern oder Figuren versehen, wodurch sie anders (bewusster) wahrgenommen werden, zusätzlich werden Kontrollorgane explizit angesprochen, kritisiert oder ironisch hinterfragt. Durch Objekte wie »One nation under CCTV« wird die Aufmerksamkeit auf mehreren Bedeutungsebenen auf den Diskurs des öffentlichen Raumes, der Herrschaftsverhältnisse und öffentlicher Kontrolle gerichtet: Durch das schiere Erscheinen des sieben Meter hohen Graffitos, das durch die Nähe zu Überwachungskameras eine Verbindung zu seiner Aussage herstellt, durch die Nachricht und durch die farblich hervorgehobenen Figuren, die unter anderem die Tatenlosigkeit und das zwiespältige Verhältnis der Öffentlichkeit (verkörpert durch den Polizisten, der nichts anderes macht, wie einerseits die Überwachungsanlage und andererseits das Publikum, das durch den Schriftzug angezogen wird: nämlich fotografieren) zum Künstler widerspiegelt. Denn die verlangte rasche Entfernung des Kunstwerks konnte wegen der unsicheren Besitzverhältnisse der Hausfassade nicht 52 ad hoc durchgeführt werden, und ist insbesondere aufgrund der Wertsteigerung, welche die Wand durch die illegale Intervention erfahren hatte nun überhaupt fraglich. Ironischerweise bringt gerade das Primat des ökonomischen Wertes die Behörden, die den »Vandalenakt« ungeschehen machen wollen, in die Zwickmühle, denn der Wertezuwachs der Immobilie, die Attraktivität des Standortes, der seit der Platzierung des bisher größten Banksy-Graffitos viele Interessenten, Touristen und Fotografen anzieht, verhindert als letztgültiges Argument die Entfernung des Kunstwerks. So bleibt die großflächige, ironische Anklage des Londoner Überwachungsnetzes in der Londoner Newman Street stehen und rückt die ansonsten unauffälligen, doch omnipräsenten Instrumente der Kontrollgesellschaft in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Auch andere Gegenstände des »kollektiv Verdrängten« werden von Banksy in der öffentlichen Wahrnehmung re-aktualisiert und zur Diskussion gestellt. In einer betriebsamen Londoner Geschäftsstraße, oder in Disneyland (in vielerlei Hinsicht eine Hochburg der Spektakelgesellschaft und Ablenkungsindustrie schlechthin) hat die Darstellung eines gefesselten, durch einen Stoffsack seiner Sicht beraubten Guantanamo-Häftlings in Lebensgröße eine andere Wirkung, als in der gewohnten medialen Berichterstattung. Auf der Mülltonne eines Burger King Restaurants weckt das Abbild eines offensichtlich Hunger leidenden, afrikanischen Kindes natürlich wesentlich andere Assoziationen, als in den Fernseh-Nachrichten, wo der schockierende Anblick aufgrund seiner Wiederkehr redundant, beziehungslos, fern und fremd erscheint. 53 Abbildung 7: »Angel, London 2005« (Ausschnitt aus: Banksy 2005, 111) Der Rezipient sieht sich also einem »insurrektionalen Blitz« par excellence ausgesetzt, eine verdrängte oder unbeachtete Plausibilität flackert durch Banksys mikropolitische Intervention in seinem Alltag auf und schafft durch kunstfeldinterne oder medienbezogene Assoziationen Verknüpfungen zu politischen Sachverhalten22. Er befördert dadurch eine politische Wahrnehmung des Alltags, legt die ungeschriebenen Gesetze und Mechanismen der doxa offen und kehrt durch die Aktion, zu der er sich selbst autorisiert hat, zudem die Veränderbarkeit der uns umgebenden Verhältnisse in den Vordergrund. 3.4. Re-Branding: Umkodieren Das als interaktiv wahrgenommene Medium der Straße gewährleistet darüber hinaus eine bemerkenswerte Aktualität und eine intensive Auseinandersetzung mit der direkten und situativen Umwelt des Werkes, was Street Art in die Nähe der ihr verwandten Land Art rückt. Dies erlaubt etwa Banksy, die zeitgleich in London stattfindenden Olympischen Spiele kritisch zu kommentieren, und zwar in »Echtzeit«: 22 In Jens Kastners Diktion: »Implizite Bezüge, explizite Verknüpfungen« (Kastner 2012b, 45) 54 Abbildung 4: »Going For Mould« (Banksy, http://www.banksy.co.uk/outdoors/images/pv12.jpg. [14.09.2012]) Die radikale Verankerung des Kunstwerkes im ›Hier und Jetzt‹ ist evident, die Verbindung zum aktuellen Anlass (Olympische Spiele, London 2012) ergibt sich nur aus der zeitlichen Nähe zu letzterem und seiner Omnipräsenz im öffentlichen Diskurs23. Das Beispiel lässt sich mit einiger Berechtigung als »mikropolitischer Overlap«, als »molekulare Intervention« beschreiben, wie sie Raunig im Interesse revolutionärer Bestrebungen einfordert. Der Stacheldrahtzaun und die Matratze werden in das Kunstwerk mit einbezogen, durch die Überschreitung seines ›Rahmens‹ überschreitet das Kunstwerk seinen hermetisch abgeschlossenen Raum und tritt ein in das offene Feld, in die Sphäre der Interaktion. Dadurch ist das Überschreiten des kunstimmanenten Kontextes im Kunstwerk selbst angelegt und stellt laut Ulrich Blanché einen spielerischen Weg dar, sich die Umgebung anzueignen (Blanché vergleicht Street Art in diesem Punkt mit Skateboarden und Breakdancen, ihrerseits spielerische Wege den öffentlichen Raum zu nutzen und zu reklamieren – vgl. Blanché 2012, 292). 23 Der Ort des Graffito ist zum aktuellen Zeitpunkt unbekannt, da die Entfernung des Objekts durch öffentliche Organe, im Rahmen verstärkter Reinigungskampagnen, vor den Spielen drohte. 55 Das Motiv des Stabhochspringers erlangt durch den Kontext eine neue Bedeutung und lässt viele Assoziationen und Interpretationen zu. So könnte zum Beispiel die Landung auf der schmutzigen Matratze auf den olympischen Austragungsort in Hackney anspielen, einem Bezirk im Nordosten Londons, das als Problemviertel gilt und dessen Gentrifizierung allgemein ebenso kritisch beleuchtet wurde, wie das Übergehen der ansässigen Bürger und das Verdrängen der lokalen Bevölkerung im Rahmen des repräsentativen internationalen Großereignisses. Der Stacheldrahtzaun ist ein sehr stark konnotiertes Symbol, das unter anderem Assoziationen zu Unfreiheit, Eingesperrtsein und Flüchtlingslagern weckt und könnte im Zusammenhang mit dem dunkelhäutigen Athleten auf den dramatischen Hintergrund und Einsatz verweisen, der etwa bei Sportlern aus Entwicklungsländern auf dem Spiel steht. Er kann ebenso daran erinnern, dass das Überwinden von Hürden, Zäunen oder Absperrungen abseits der mediatisierten und öffentlichkeitswirksamen Spiele, vielerorts keineswegs spielerisch-sportlichen Charakter hat, sondern häufig unter dem Einsatz des eigenen Lebens riskiert werden muss. Insofern lässt die Montage der einzelnen Teile kritische Interpretationen zu, die subtile Gleichsetzung eines olympischen Athleten mit Flüchtlingen, die Mauern und Zäune in Lampedusa oder Melilla überwinden müssen24, stellt ein sehr zynisches Sinnangebot in den Raum. Bei all den möglichen Assoziationen stellt das Kunstwerk nur ein Diskussionsangebot, es ist dialogisch an den Zuschauer gerichtet, behält jedoch stets seine wesenhafte Ambivalenz bei. Anhand seiner formalen Beschaffenheit tritt das Werk dem Beobachter entgegen und konfrontiert ihn unter Umständen unerwartet mit seiner, medial vermittelten, ungetrübten Perspektive auf die Olympischen Festspiele. Durch die Kontextualisierung werden neue Zusammenhänge hergestellt und Assoziationen geweckt, Bilder die uns vielleicht in Nachrichtensendungen alltäglich und gut verdaulich begegnen und an weit entfernten Orten außerhalb unseres Wirkungsbereichs verortet werden, treten in unseren Alltag und scheinen plötzlich mit unserer Lebensweise, unserem Schicksal zusammenzuhängen. Die beschriebene 24 Die somalische Sprinterin und designierte Fahnenträgerin Samia Yusuf Omar, die acht Monate vor den Spielen im Rahmen ihrer ›Anreise‹ nach London in einem Flüchtlingsboot kenterte und im Kanal von Sizilien ertrank, verkörpert die Vereinigung dieser beiden Dimensionen in tragischer Weise. Ihr Schicksal ging im ubiquitären Wettkampf um Medaillen, Marken- und Erfolgsnarrative allerdings bezeichnenderweise unter (Vgl. hierzu etwa http://www.welt.de/sport/article108698291/21-jaehrigeFahnentraegerin-starb-bei-Olympia-Anreise.html). 56 Methode des »rebranding« oder des »adbusting« bedient sich der Marketingstrategie des Entführens und kehrt sie gegen ihre ursprüngliche Intention. Die Assoziation mit Stacheldrähten, Flüchtlingen und globalem Ungleichgewicht ist wohl aus der Sicht der Organisatoren der Olympischen Spiele und deren ökonomischen Dependenzen keine wünschenswerte Verbindung, die suggestive Operation in der Aktivisten die Gegen-Mythen produzieren verläuft auf derselben Ebene, auf der sonst Erfolgsnarrative und Ikonen den Mythos der Olympischen Bewegung aufbauen. Jede der dekonstruierenden Interventionen verknüpft neue, in diesem Fall kritische, Assoziationen mit dem gekidnappten Image der Olympischen Bewegung, unter deren Flagge unter anderem die Ausweitung von Märkten, der Ausbau von Kontrollapparaten, die exzessive Diffusion von Reklame, die Zerstreuung der Menschen vorangetrieben wird. Das Umkodieren zentraler identitätsstiftender Ikonen wirft im Zeitalter der gesellschaftskonstituierenden Bilder und Medien konsequenterweise die Frage nach dem gesamten sozialen Zusammenhang und Machtverhältnis auf, werden doch in diesen zentralen Mythen wichtige Identifikationsmerkmale chiffriert, die jedes Individuum in seiner Subjektivierung berühren. Dies gilt besonders für Marken, große und mächtige Konzerne, die oft mehr als nur symbolisch für die Ausbreitung eines Herrschaftsparadigmas stehen und wesentliche Instrumente einer kulturellen Homogenisierung, Expansion und Kontrolle darstellen, wie sie im ersten Abschnitt der Arbeit umrissen wurde. In der Tat sind Logos, Slogans, Produkte und Maskottchen in gleichem Maße gesellschaftskonstituierende Einigungsapparate, wie zu Ikonen geronnene Kriegsfotos und analoge Erzeugnisse des Journalismus. In ihrer Präsenz übertreffen die Werbesujets sogar die Produkte der medialen Berichterstattung, der Gebrauch und die Wahrnehmung derselben genormten Kulturgüter ist der ›Kitt‹, der die globale Konsumgesellschaft zusammenfügt. Somit ist ein Angriff auf die großen Konzerne und ihre Mythen zugleich ein Angriff auf das Machtgefüge an deren Spitze sie stehen. Das Aufgreifen von derartigen ikonischen Bildern thematisiert immer auch gesellschaftliche Konstellationen und Identifikationsmechanismen. 3.5. Autoreflexion und Paradoxie Im folgenden Werk Banksys sind drei dieser Global Player vereint: Die Maskottchen von Disney und McDonald’s sind die Protagonisten eines Bildes, dessen Titel einen 57 Werbeslogan von Coca Cola rezitiert. Durch die vorgenommene Collage mit dem weltberühmten Abbild Kim Phúcs aus dem Jahr 1972, das zu einem der wirkmächtigsten und einprägsamsten Ikonen des 20. Jahrhunderts wurde, wird ein Zusammenhang hergestellt zwischen den Weltkonzernen und dieser, zum Symbol der Grausamkeit des Vietnamkriegs schlechthin geronnenen Aufnahme, die ihrerseits ein vielfach mythologisiertes, ihrer Geschichte entkleidetes, entführtes Zeichen ist. Vordergründig erkennt man einen scharfen Angriff auf die zitierten Konzerne im Sinne des strategischen Ad-Busting – das simple Abrufen negativer Konnotationen, eine Neubesetzung und Umkodierung der Zeichen und das Herstellen eines Zusammenhanges zwischen dem (als illegitim wahrgenommenen) Expansionsdrang der USA und der parallelen, imperialistischen Ausbreitung der benannten Weltmarken scheinen auf den ersten Blick das Ziel zu sein. Verharrte man auf dieser Ebene der Betrachtung, wäre sicher die Kritik Psaars an der Parolisierung der Kunst und am simplen Umkehren der Vorzeichen ins Treffen zu führen, das keinen Ausweg aus dem dialektischen Kurzschluss bereitstellt. Abbildung 8: »Can’t beat the feeling« (Ausschnitt: Banksy 2005, 191) Auf einer Metaebene birgt das Werk allerdings eine subtile Thematisierung des Umgangs mit Mythen und Zeichen, schließlich wird der Vorgang der Entführung in einem selbstreflexiven Akt auf die inhaltliche Ebene gehievt und so die 58 Mythologisierung des Fotos thematisiert: Hier wird nicht nur illustriert, wie Ronald McDonald und Mickey Mouse, das terrorisierte Mädchen Kim Phúc entführen. Es wird der Vorgang des semiologischen Kindnapping dargestellt, die Vereinnahmung zentraler Mythen, Narrative und Symbole verhandelt und ihre innere Widersprüchlichkeit gezeigt. So wie die zwei fröhlichen Maskottchen das ausdrucksstarke, geschichtsträchtige Abbild des Mädchens verschleppen, riss sich Kalle Lasn zufolge Nike den Beatles-Song »Revolution«, Apple Bob Dylan, und Gap den Beat-Schriftsteller Jack Kerouac unter den Nagel (vgl. Lasn 2005, 109). Als Allegorie der Grausamkeit des Krieges wurde Kim Phúc auch von der pazifistischen Hippie-Bewegung mythisch vereinnahmt, als Symbol der Unangepasstheit, als Inkorporation des Rebellischen wurden allerdings gerade die Zeichen der Nonkonformisten zu Konsumgütern und zu Einigungs-Katalysatoren der Gesellschaftskonstellation. Banksy arbeitet hier als Mythologe und als Produzent von Mythen, als ersterer ist seine Position entmystifizierend, denn sein Werk zeigt den Mechanismus des Entführens auf (vgl. Barthes 1964, 111). Offensichtlich ist er sich auch seiner Rolle als (Re-)Produzent von Mythen bewusst, im Rahmen dieser mise en abyme zeigt er sich zynisch und hinterfragt auch seine Rolle als Künstler durch das gezeigte Paradoxon, denn auch sein Schaffen beruht auf dem Entführen und Umdeuten zentraler Ikonen. Dieses paradoxe Schicksal teilt auch das wohl berühmteste und am öftesten reproduzierte Abbild unserer Zeit: Alberto Kordas »Guerillero Heroico« aus 1967 ist der Inbegriff einer ikonischen Fotografie, die kanonisierte Ikone ist in großem Ausmaß das Produkt industrieller Reproduktion und Vermarktung. Die »gegenwärtig wohl meist reproduzierte Medien-Ikone« (Viehoff 2005, 119), ist jedoch durch das enthistorisierende Momentum des Mythos zu einer leeren Form verkümmert, das fast beliebig mit Bedeutenden aufgeladen werden kann und dementsprechend von ökonomischen und politischen Interessen instrumentalisiert wird. Diesen Aspekt thematisiert Banksy in einer Plakat-Aktion in London, die er im begleitenden Text »This revolution is for display purposes only« kommentiert: I tried to paint a train bridge that spans Portobello Road in West London with posters showing the revolutionary icon Che Guevara gradually dribbling off the page. Every Saturday the market underneath the bridge sells Che Guevara t-shirts, handbags, baby bibs and button badges. I think I was trying to make a 59 statement about the endless recycling of an icon by endlessly recycling an icon. People always seem to think if they dress like a revolutionary they don’t actually have to behave like one. (Banksy 2005, 47) Abbildung 6: »This revolution is for display purposes only« (Ausschnitt: Banksy 2005, 46) Auch hier wird das Kidnappen von Zeichen und das Einverleiben kritischer Stimmen künstlerisch behandelt, nicht zuletzt wird durch den Ort der Installation ein Bezug zum Warencharakter und zum Ausverkauf der Ikone hergestellt. Über dem betriebsamen Markt, an dessen Ständen T-Shirts, Flaggen, Poster, Handtaschen und ähnliche Produkte feilgeboten werden, ist die Referenz besonders deutlich. Neben der direkten Interaktion mit dem Publikum, das durch die repetitiven Poster überdeutlich auf die Omnipräsenz des Motivs hingewiesen wird, wird auch durch gestalterische Mittel die Mythifikation des Abbildes kommentiert. Der Aspekt der Serialität, der durch die streng parallele Abfolge der identischen Bilder betont wird, weist das Portrait, angelehnt an Andy Warhols Bildserien, demonstrativ als technisch reproduziertes Massenprodukt aus. Doch die graduelle Abnahme der Qualität, das Verrinnen der Farbe und das fortschreitende Verwischen der Konturen verdeutlicht die Zerstörung des Mythos durch die Reproduktion: Der ideelle ›Raubbau‹ an der Ikone wird mit der materiellen Abnützung der Vorlage (der Schablone) in Verbindung gebracht. 60 Das deutliche Warhol-Zitat ermöglicht zudem eine subversive Konstellation, wie Jens Kastner (auf vergleichbare Interventionen während eines Aufstandes im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca rekurrierend) behauptet: In der künstlerischen Arbeit sollen über die Reflexion des Produktionsprozesses Zeichen auftauchen bzw. möglich werden, die über rein kunstimmanente (methodische) Bezüge Verknüpfungen zu politischen und/oder sozialen Ereignissen erlauben. (Kastner 2012b, 45) Der kunstimmanente Bezug, in diesem Fall der Verweis auf die Anliegen und Problemstellungen der Pop-Art, befördert eine re-aktualisierte Auseinandersetzung mit den zu Ikonen geronnenen Bildern unserer Geschichte. Installationen wie das mit Bedacht platzierte, rezitierte Guevara-Konterfrei oder die mit »Can’t beat the feeling« betitelte Collage können mit einigem Recht als »künstlerische Intervention auf konkret geschichtspolitischem Terrain« betrachtet werden, denn sie »ziel[en] auf Fragen der Interpretation des Vergangenen und dessen Wert und Wertung für die Gegenwart«. (Kastner 2012b, 47) Die Bildikone in Banksys Bearbeitung trägt außerdem eine Sonnenbrille mit Dollarzeichen, in einer anderen Version »MickeyMouse-Ohren«, die wie explizite, vielleicht sogar zu plakative Symbole für die ökonomische Ausbeutung des Mythos stehen. 3.6. Ambivalenz Oft sind Banksys Kunstwerke allerdings nicht so direkt und plakativ, ein gewisser Hang zur Ambivalenz und Mehrdeutigkeit, vergrößert die Ausdruckskraft und Eindringlichkeit seiner Werke, »[d]enn Street Art ist dort subversiv, wo sie sich dagegen verweigert, die Verlängerung der Parole zu sein« (Psaar 2007). Zeichen die sich jeglicher Vereinnahmung entziehen können, sind eine bessere Waffe als jeder dialektisch ausgerichtete, diametral entgegengesetzte Gegen-Mythos, der ja schon durch seine mythische Form Barthes zufolge zwangsläufig reaktionär ist und durch das Wiederholen die aufgezeigten Grenzen festschreibt. Ambivalenz, innere Widersprüchlichkeit, Paradoxie oder das Absurde entgehen dem Prinzip der Festlegbarkeit und damit dem mythischen Überstülpen von Bedeuteten. Die NichtFestlegbarkeit der Arbeiten vieler Street Artists ist zudem eine Absage an das Nützlichkeitsgebot und erzeugt Irritation, die beim Rezipienten eine neue Perspektive, eine andere Dimension der Auseinandersetzung fordert. In Banksys prominentesten Werken verschmelzen daher in einem Bild oft gegensätzliche 61 Begriffe, widersprüchliche Positionen treffen aufeinander, heben sich auf und oszillieren in einem unendlichen Spiel der gegenseitigen Aufhebung. Ein besonders bekanntes Beispiel hierfür ist Banksys »Flower Chucker«, ein in verschiedenen Varianten weit verbreitetes Schablonen-Graffito einer vermummten, im Profil abgebildeten männlichen Person, die mit einem dunklen Pullover und einer helleren, jeans-artigen Hose bekleidet ist. Während sein linker Arm auf sein mutmaßliches Ziel weist, holt der rechte Arm der monochrom gestalteten Figur zum Wurf eines farblich bunt hervorgehobenen Blumenstraußes aus. Das Bild erfüllt viele formale Kriterien für ein ikonisches Bild, es stellt einen so genannten »fruchtbaren Moment« dar, verdichtet ein Ereignis auf ein emotional geladenes Bild, ist dabei vereinfacht und wenig konkret. Abbildung 9: »Flower Chucker« (Ausschnitt: Banksy 2005, 22) Neben der kompositorischen Klarheit und der Darstellung einer Momentaufnahme, die die Handlung am Punkt ihrer höchsten Intensität und Spannung erfasst, ist hervorzuheben, dass es auf die etablierte Ikonologie zurückgreift, in der mythologische Themen wie Aufopferung, Rache, Trauer, Heldentum kodiert sind. In ihrer ikonografischen Beschaffenheit führt die Darstellung prominente Zitate aus unserem kulturellen Erbe vor. So gemahnt die dynamische zentrifugale 62 Wurfbewegung an den Diskobolos des Myron, antike Darstellungen von Speerwerfern auf Amphoren, Friesen und Fresken, und weist eine ähnliche Dynamik auf wie Berninis berühmte Skulptur des David aus dem Barock. Das Zitat der biblischen David-Geschichte verkörpert den Topos des Steinwurfs und verweist auf das alttestamentarische Duell zwischen dem Jüngling und den übermächtigen Riesen Goliath; der in dieser Fabel codierte Topos des ungleichen Zweikampfes, in dem der Unterlegene den Sieg über den Riesen davonträgt, wird aktualisiert und mit der aktuellen Umwelt assoziiert. In der Tat erweckt die Betrachtung des SchablonenGraffitos Gedankenverknüpfungen, die wahrscheinlich zuallererst auf journalistische Berichte von eskalierenden Demonstrationen erinnert, an politische Kundgebungen, bei denen radikale Demonstranten Sicherheitspersonal mit Molotow-Cocktails und Steinwürfen attackieren. Konkret gemahnt das Motiv an Straßenschlachten im Rahmen der Studentenunruhen 1968, oder an in Nachrichtensendungen verbreitete Fotos von aus dem Ruder geratenen Demos, wie sie auch Kunsthistoriker Ulrich Blanché in seiner Werkanalyse des »Flower Chuckers« herausarbeitet (vgl. Blanché 2010, 55f. bzw. 138). Auf den zweiten Blick sticht der Blumenstrauß hervor, der in der Betrachtung des ansonsten kämpferisch-heroisch konnotierten Motivs des Steinewerfers irritierend auffällt. Der Blumenstrauß ist allgemein als positiv belegtes Zeichen anerkannt, ohne tiefer in die sehr ergiebige und differenzierte Symbolik dieses bekannten Bedeutungsträgers einzugehen, kann man festhalten, dass sein Gebrauch als Liebesbeweis, als Glücksbote in vielen Kulturen und nicht zuletzt als Friedenssymbol, wie es nach der Flower-Power Bewegung der 1960er zu großer Prominenz kam, insgesamt die suggerierte Destruktivität und Gewalt der Darstellung konterkariert. Durch das hinzugefügte Attribut, das häufig farblich abgesetzt ist, und damit gegenüber der monochromen Gestalt besonders wirkungsvoll in Szene gesetzt wird, erreicht Banksy eine Verschiebung auf der Bedeutungsebene, gleichzeitig bleibt die Dynamik der Bewegung erhalten. Die Radikalität und die Widerständigkeit des Steinewerfers werden verstärkt, die negativen und medial oft kritisierten Aspekte des gewalttätigen, aggressiven Protestes werden aber durch das farblich hervorgehobene positive Friedenssymbol abgeschwächt und ins Positive gekehrt. Der »Flower Chucker« will auf den Betrachter »mit radikaler Energie, aber friedlichen Mitteln« (Blanché 2010, 56) einwirken, die Diskrepanz der kombinierten Motive löst 63 eine neue Auseinandersetzung und ein verändertes Verständnis aus (vgl. Blanché 2010, 54ff.). Es ist diese zentrale Ambivalenz, die in vielen Fällen die künstlerische Qualität der Werke Banksys ausmacht, in vielen seiner Werke sieht man, wie die Widersprüche der kombinierten, gegensätzlichen Elemente in einer unlösbaren Gegenüberstellung kollidieren, eine differenziertere Reflexion befördern oder als paradoxe Denkanstöße im öffentlichen Raum einfach nur irritieren. Die besondere subversive Qualität der Werke erwächst aus dieser polyvalenten Aussage, die sich in diesem Fall in gleichem Maße gegen die Stigmatisierung und mediale Verurteilung radikaler Demonstranten richtet, wie sie die Mythifizierung und Verherrlichung des gewalttätigen, terroristischen Widerstands zurückweist, wie sie gerade im Motiv des heroischen, sich aufopfernden Steinewerfers oft betrieben wird. Gerald Raunigs angeführte Kritik an traditionellen Formen des Massenprotests findet hier auch ihren Widerhall, ebenso wie die Kritik an den nicht abreißenden Ästhetisierungversuchen ebensolcher Massenaufstände. Die mythische Vereinnahmung wird dadurch für beide Seiten verhindert, der Mythos für beide Seiten unnutzbar gemacht, auch hier wird das Prinzip der unmittelbaren Nützlichkeit und Verständlichkeit untergraben. Gemäß Barthes‘ Forderung werden die Symbole ›entstellt‹, die Codes werden durch die Strategie der Nicht-Festlegbarkeit ihrer Verwertung und Vereinnahmung entzogen. 3.7. De-/Rekontextualisierung und Hybridität Die Strategien der Verfremdung und der mikropolitischen Verkettung, kommen auch bei Banksys besonders öffentlichkeitswirksamen Museumsschmuggeln zur Geltung, im Rahmen derer er eigene, oft ironisch kommentierende Kunstwerke (Tafelbilder, Skulpturen und andere Werkstücke) samt Hinweistafeln in Museen anbringt und im Anschluss die Dauer bis zu ihrer Entdeckung festhält. Die unautorisierten Hängungen offenbaren einerseits einen situationistischen Impetus, schließlich ist die Schaffung außergewöhnlicher Situationen und die Einbeziehung des Publikums erklärtes Ziel dieser Befremden erweckenden Arbeiten, bei denen die Dokumentation und die Rezeption durch Publikum und Organe des Museums stets als wesentliche Teile des Kunstwerks zu betrachten sind. Andererseits ist es wieder die Wechselwirkung zwischen der spezifischen Ästhetik der Kunstproduktion, die in kollektiven (Schönheits-)Idealen kondensiert, in Museen konzentriert wird und der allgemeineren, impliziten, symbolischen Dimension des Politischen, auf die der 64 Künstler abzielt. Über kunstfeldimmanente intertextuelle Bezüge werden Aussagen über die verhüllten, ungeschriebenen Regeln der Politik und ihrer Exklusionsmechanismen getroffen, die nicht-offizielle Hängung selbst befördert – genau, wie ihre gesprühten Pendants auf der Straße – eine Institutionskritik, die im exklusiven Schutzraum des Museums unter Umständen sogar noch eine Spur vehementer und greller (um bei der Metapher des »insurrektionalen Blitzes« zu bleiben) zur Geltung kommen kann, als an mancher vollgetaggten Hausfassade. In Wall and Piece reflektiert Banksy den Produktionsprozess seiner für nichtautorisierte museale Installationen bestimmten Kunstwerke und legt offen, für seine »Vandalised Oil Paintings«, Ölgemälde unbekannter Künstler, die er auf Straßenmärkten erwirbt, zu modifizieren. Der modus operandi rechtfertigt ihre Behandlung in einer Arbeit über Street Art, auch wenn der Ort des Geschehens nicht die namensgebende ›Street‹ ist25. Immerhin wird selbstautorisiert öffentlicher Raum in Besitz genommen, die interaktive und intertextuelle Strategie des Übermalens praktiziert (die übermalten Tafelbilder sind genauso als Palimpseste anzusehen wie die mehrfach übersprayten Fassaden urbaner Gebäude) und somit ein direkter Bezug zum übermalten Hypotext, zu den umgebenden Werken und zur Institution Museum ermöglicht, der seinerseits einen Raum für politische Interpretation und Wahrnehmung aufstößt. Dabei reagiert Banksy in seinen musealen Werken ebenso auf seine Umgebung, wie auf der Straße. So werden Bilder bukolischer Idyllen durch Überwachungskameras, Guantanamo-Häftlinge, Kampfhubschrauber, Einkaufswägen und Polizei-Absperrbänder kommentiert und dekonstruiert. 25 Ulrich Blanché spricht allgemeiner vom »Kunstprinzip des falschen Ortes« (Blanché 2012, 301). 65 Abbildung 10: »Vandalised Oil Painting« (Banksy, Ausschnitt: Reinecke 2007, 68) Symbole einer suggerierten Konsumgesellschaft werden vor dem Hintergrund klassischer Landschaftsmalerei als solche entlarvt, Alltagsgegenstände offenbaren durch den Gegensatz zur Umgebung, in die sie projiziert werden, ihre Banalität und halten unvermittelt zu einer aktualisierten, politischen Wahrnehmung an. Stilmittel wie Kitsch und Überidentifikation vergrößern den Widerspruch zur ›vandalisierten‹ Vorlage und der Umgebung des Museums. Das Spiel mit als klassisch empfundenen ästhetischen Idealen und die eklektizistische Kombination von Motiven und Stilen offenbaren den hybriden Charakter Banksys Kunst: »[Er] bringt Collage-Karikaturen auf der Straße an, wie er umgekehrt [in Galerien] mit Street Art Motiven pastorale Ölgemälde umdeutet«. (Blanché 2012, 305) 66 Abbildung 11: »Vandalised Painting« (Ausschnitt aus: Banksy 2005, 160) Die Strategie der »(De-)Platzierung und Inszenierung«, wie Blanché sie benennt (vgl. Blanché 2012, 304f), ist ein Mittel der Verfremdung und lässt punktuelle Overlaps zum Feld der Politik zu. Jens Kastner hält dazu an, die Institutionskritik an der exklusiven Sphäre der Kunst und des Kunstmarkts, wie Banksy sie durch seine selbstermächtigten Hängungen betreibt und in Wall and Piece ausformuliert, als feldübergreifenden Teil antiautoritärer sozialer Bewegungen zu interpretieren, die durch das gewandelte Bewusstsein (die unvermittelte, aufblitzende Erkenntnis) auf die verschleierten Exklusionsmechanismen des politischen Feldes hinweist. Er plädiert (unter Bezugnahme auf die universitäre Institutionskritik der 1968er, die sich auf verschiedenen Feldern ausbreitete und so punktuell in einer interdisziplinären antiautoritären sozialen Bewegung aufging) für eine analytische Öffnung der strengen Feldimmanenz Bourdieus, die sich angesichts der zahlreichen, doch unterschätzten »Inter- und Transfeldentwicklungen« (Kastner 2012a, 103) anböte. Gerade die Overlaps und relativen Homologien zwischen unterschiedlichen Feldern müssten in den Blick genommen und als Austauschverhältnisse untersucht werden (vgl. Kastner 2012a, 103ff). Tatsächlich eignet sich die bewusst grenzüberschreitend angelegte Street Art hervorragend als Anlass solcher Untersuchungen von 67 punktuellen Interaktionen zwischen den Feldern. Richtet sich Banksys Kunst auf der Straße vordergründig gegen die Institution Werbung, so ist die primäre Angriffsfläche in seinen ›musealen‹ Werken die Institution des Museums (des Kunstmarkts). Beides sind Konsumkultur repräsentierende Institutionen, deren Motive und Methoden Banksy – schon allein durch die Umstände der Anbringung – in Frage stellt, bricht, ad absurdum führt und der Lächerlichkeit preisgibt. Sein humorvolles Adeln/Vorführen des Nicht-Legitimen stellt immer auch die Legitimität der Obrigkeit in Frage. (Blanché 2012, 301) In seinen klassischen Kunstwerken im urbanen Raum sticht Banksys Kunst unter anderem durch das unvermittelt überraschende, nicht direkt funktionalisierbare und spielerische Erscheinen im ansonsten nach ökonomischen Prinzipien durchregulierten Raum heraus, doch selbst in Kunsträumen, wie Museen und Galerien, die bis zu einem gewissen Grad Räume des gezielten Tabubruchs und Orte einer entschärften, folgenlosen Konfrontation sind26, führt Banksy unerwartete Assoziationen, insurrektionale Blitze ein und durchbricht damit die Routine des Museumsbesuchs. Der nicht ad hoc klassifizierbare Schwebezustand zwischen Alltag und Ausnahmesituation, der sich auch in der Spannung zwischen den konventionellpastoralen bis kitschigen Hintergründen und den von den Straßen hereinbrechenden tagespolitischen, medialen und an den Alltag gemahnenden Motive widerspiegelt, ist die entscheidende Voraussetzung für neue Subjektivierungsweisen und eine gewandelte, politische Wahrnehmung vermeintlich apolitischer Tätigkeiten. Banksy betrachtet das Museum keineswegs als apolitischen Raum, er betont die Homologien, Parallelen und Ausschlussmechanismen, die das Kunstfeld und das politisch-ökonomische Feld seiner Meinung nach teilen, und stellt assoziativ eine Verbindung her. Die verhüllten Gesetzmäßigkeiten der doxa sind in der Institution des Kunstmarkts wirksam, durch Überschreiten macht Banksy explizit darauf aufmerksam: The Art we look at is made by only a select few. A small group create, promote, purchase, exhibit and decide the success of Art. Only a few hundred people in the world have any real say. When you go to an Art gallery you are 26 Blanché spricht von einer »controlled exposure situation«, in der der Besucher erwartet provoziert zu werden. (Blanché 2012, 191) 68 simply a tourist looking at the trophy cabinet of a few millionaires. (Banksy 2005, 170) Ein ganz entscheidender Faktor zum Gelingen dieser Interventionen ist also die nun schon oft angesprochene Hybridität der beschrieben Kunstformen, die (auch) als Zurückweisung essentialistischer Diskurse verstanden werden kann (vgl. Bhabha 2000). So verschwimmen die Grenzen zwischen Populär- und Hochkultur, die Demarkationslinien zwischen den Feldern werden temporär überwunden, in Street Art wird dieser Vorgang selbstreflexiv vorgeführt und als Bewusstmachung der Produktionsbedingungen fruchtbar gemacht. Auch die selbstautorisierten Hängungen Banksys stehen für die Zurückweisung der essentialistischen Unterscheidung von Massenkultur und elitärer Hochkunst, die Konsekrationsmacht von Museen wird tätig in Frage gestellt und unterwandert. Implizit wird dadurch auch die Konsekrationsmacht von Banken, Regierungen und Universitäten in Frage gestellt. Denn Street Art, als konstitutiv hybrides Genre, das etwa literarische und visuelle Formen verknüpft, technische Massenproduktion mit Handarbeit verbindet (etwa beim Stencil-Graffiti durch die Kombination industriell reproduzierter, gedruckter Vorlagen, die oft am PC entstehen, im nächsten Arbeitsschritt allerdings händisch ausgeschnitten und aufgetragen werden), Motive der Hoch- und Massenkultur in Collagen vereint (wie etwa im Rahmen der »Vandalised Paintings«) kann auf einer allgemeinen Ebene als vehemente, tätige Kritik an dem von Essentialismus getragenen repräsentativen System und seinen Institutionen angesehen werden. 3.8 Institutions- und Institutionalisierungskritik All das gilt großteils auch für Arbeiten, die Street Artists legal, etwa im Rahmen von Ausstellungen veröffentlichen und berührt die in den Kulturwissenschaften und in der Subkulturforschung einflussreiche Debatte um die problematische Institutionalisierung von Graffiti und Street Art, die hier kurz dargestellt werden soll. Fast jede einschlägige wissenschaftliche Untersuchung befasst sich mit der beobachtbaren Institutionalisierung der Kunstform, zuletzt etwa Ulrich Blanché in seiner beachtenswerten Untersuchung Konsumkunst – Kultur und Kommerz bei Banksy und Damien Hirst. Die Graffiti-Bewegung und die Erzeugnisse der Street Art sind heute einer massiven gesellschaftlichen und ökonomischen Instrumentalisierung ausgesetzt. Das Faktum der fotografischen Verbreitung der Kunstwerke und ihres Ausverkaufs wurde in dieser Arbeit bislang weitgehend ausgeblendet, offensichtlich 69 existiert Street Art aber nicht nur auf den unverwertbaren Wänden und Zugwaggons, sondern gelangt über den Mittler der Fotografie und das Bindeglied der medialen Verbreitung auf den freien Markt. Durch die technische Reproduktion vergrößert sich freilich die politische Relevanz, die Ausbreitung der Abbilder lässt eine immense Reichweite zu und führt zu einer beachtlichen Expansion des Publikums, damit zu einer wichtigen Fortpflanzung der Botschaften und Ideen (was Walter Benjamin ja als große Chance der Politisierung der Kunst erkannte). Gleichzeitig kann durch die fotografische Distribution nur ein kleiner Teilaspekt der Werke transponiert werden. Unter anderem im Verlust der Wechselwirkung mit der Umwelt, des interaktiven und partizipativen Charakters, des Einflusses des Kontextes und der wesenhaften Kurzlebigkeit der Werke, die nicht vollständig übersetzbar sind und allenfalls leidlich durch Bildunterschriften oder Off-Stimmen angedeutet werden können, kommen der Kunstform paradigmatische Dimensionen abhanden. Dies kommt einer empfindlichen Reduktion der vielgestaltigen Kunstform gleich, die durch den Eintritt in den Markt ohnehin zu einem gewissen Grad verfälscht und entleert wird, sobald ihre Verbreitung zwangsläufig dem Prinzip der ökonomischen Verwertbarkeit unterworfen wird. Der kategorische Ausschluss jeglichen subversiven Potentials durch die vermittelte Verkaufbarkeit impliziert allerdings eine essentialistische Verkürzung, die der hybriden und an Stilmitteln reichen künstlerischen Praxis nicht gerecht wird. Die Vermarktung des Widerständigen und der vereinnahmende Mechanismus des Marktes macht natürlich nicht vor der als verwegen und rebellisch wahrgenommenen Straßenkunst halt, schon in den ersten Tendenzen zur Institutionalisierung der Graffiti im New York der 1980er Jahre, wurde bezeichnenderweise die Reduktion auf das Image, den Lebensstil der Writer evident: Die eigentliche Faszination [des Kunstmarktes] ging folgerichtig gar nicht von den Bildern und ihren Bildgegenständen aus, sondern vom Lebensstil der Sprayer. Ihr illegaler Status, ihre Herkunft »aus den Slums«, wie immer wieder behauptet wurde und ihre Einbindung in Mode, Rap und Breakdance waren gleichermaßen interessant. Die Malerei drückte zwar jene »urban high folk art« aus, wurde aber eben nicht als »Werke« wahrgenommen. Dass man einige Bilder sogar unter die Decke von Galerien hängte, ist in diesem Zusammenhang mehr als nur der Versuch, räumliche Kontexte mit dem 70 optischen Befund der zugetaggten U-Bahnen zu verbinden: Es drückt eine deutliche Missachtung der Arbeit als einzelnes Bildwerk aus. (Stahl 2012, 145f) Damit war der Weg der mythischen Entleerung der Kunstwerke vorgezeichnet: Selbst in ihren musealen Ausstellungsorten galten sie weniger als kreative Schöpfungen unterschiedlicher Künstler, sondern wurden als exotische Zeichen der Rebellion und Unangepasstheit kodiert, ihrer konkreten Historie entkleidet und zu austauschbaren Zeichen, deren Karriere als werbewirksame Marken der Jugendlichkeit und Dissidenz von diesem Punkt an ihren Anfang nahm. Heute begegnet uns Graffiti überall, Street Artists stellen in Museen aus, organisieren Events und Festivals, ihre Werke erzielen bei Auktionen beachtliche Preise – die urbane Kunst und ihre Akteure sind auf dem Parkett des Kunstmarktes angekommen, wie es scheint. Andererseits erfährt die Formensprache der Graffiti und Street Art eine rege Vereinnahmung durch die Werbeindustrie und wird als leeres Zeichen gekidnappt und mit politischen und ökonomischen Interessen aufgeladen. Diese zwei beschriebenen Aspekte der Institutionalisierung gilt es möglicherweise zu trennen, bevor man sich auf die Diskussion über die Kommerzialisierung der Kunst einlässt, auch wenn sich die Sphären punktuell überschneiden, etwa wenn zum Beispiel Banksy ein Plattencover der Rockband Blur konzipiert, oder Shepard Fairey die Präsidentschaftskampagne für Barack Obama designt. Der in Subkulturen immer wieder beobachtbare, allgemein kritische Diskurs über die Kommerzialisierung einer im Anfangsstadium hehren und idealistischen Praxis, die durch ihren mutwilligen Ausverkauf verraten wurde, ist ebenfalls ein populärer Mythos den es zu entlarven gilt, ehe man die immer wieder aufkeimende Dichotomie zwischen »Sell-Outs« und »authentischen« Vertretern thematisiert. So ist das Erklärungsmuster und die massive Kritik des Ausverkaufs durch einige Beteiligte, die sich besonders gegen sich etablierende Street Artists wie Banksy richtet, zumindest zu hinterfragen, nicht zuletzt, weil die Entscheidung Kunst zu betreiben stets auf ökonomischen Erwägungen beruht, wie der Soziologe HansChristian Psaar zu bedenken gibt: Auch in Subkulturen wird ganz klassisch gehandelt, nur zumeist auf niedrigerem Niveau als in etablierten Teilen des Kunstmarktes. Der Begriff 71 der Kommerzialisierung suggeriert dagegen, dass den Menschen von außen etwas aufgesetzt würde, wo davor keine ökonomischen Gesichtspunkte zählten. Das ist ein Trugschluss, denn es ändert sich einzig das Preisniveau. (Psaar 2007) Hinter dem Diskurs über die Kommerzialisierung verbirgt sich der Irrglaube von der Autonomie der Kunst oder das Ideal von wirtschaftlich unabhängigen Akteuren und Aktivisten, also eben jene essentialistischen Festschreibungen die an dieser Stelle schon mehrfach kritisch beleuchtet wurden. Nicht selten wird das (moralisierende) Argument des Ausverkaufs aus genuin ökonomischen Gründen ins Treffen geführt, um ein Unterscheidungsmerkmal einzuführen, was ebenso, wie der Hype um die Anonymität Banksys, zum erfolgreichen ›Branding‹ eines Künstlers gehört. Den Vorwurf der Vereinnahmung der Kunstform durch die Werbeindustrie kann man unter Umständen eher nachvollziehen, die Entführung der Ästhetik und der Techniken der Street Art um Werbebotschaften in »Guerilla Marketing« Aktionen zu verbreiten, indem etwa Aufkleber an Kunden verteilt werden, oder gar mit Schablonen-Graffiti für kommerzielle Produkte geworben wird, ist in der Tat problematisch und wird von der Szene aktiv bekämpft.27 Doch ist zu bemerken, dass der Zusammenhang, auch angesichts vieler personeller Verflechtungen (Psaar macht darauf aufmerksam, dass viele Street Artists selbst in der Werbebranche tätig sind) keineswegs so statisch und einseitig ist, wie er in der Debatte oft dargestellt wird. Die fortschreitende Institutionalisierung der Kunstform einzelnen Künstlern anzulasten, ist unaufrichtig und kurzsichtig. Es sind in Wirklichkeit Arbeiten wie die vorliegende, die, neben dem Drang der Künstler als solche wahrgenommen zu werden und neben den genannten ökonomischen Interessen, zentral an der »Verkunstung« der Street Art beteiligt sind – einer Tendenz, die man nicht mit unpassenden fatalistischen und moralischen Kategorien angehen sollte. Adorno und Horkheimer legen in der Dialektik der Aufklärung nahe, dass schon die aufklärerische, wissenschaftliche Erfassung von Phänomenen der erste Schritt ihrer Integration in die Kulturindustrie ist: »Der Generalnenner Kultur enthält virtuell bereits die Erfassung, Katalogisierung, Klassifizierung, welche die Kultur ins Reich der Administration hineinnimmt« (Adorno/Horkheimer 1988, 139), schon seit der 27 Der Graffiti Aktivist KIDULT etwa verunstaltet im Rahmen seiner Kampagne »Illegalize Graffiti« gezielt Schaufenster repräsentativer Boutiquen, deren Designer sich in ihrer Werbung und ihren Produkten an der Formensprache des Graffiti bedienen (vgl. http://kidultone.com/). 72 wissenschaftlichen Erfassung durch Baudrillard, spätestens seit der fotografischen Bestandsaufnahme der Bewegung durch die Journalistin Martha Cooper Ende der 1970er Jahre, ist Graffiti selbst Teil der Kulturindustrie, auf der sie aufbaut und die ihr künstlerisches Reservoir ist. Ihr fotografisch vermitteltes Eintreten in die allgemeine kulturelle Vergesellschaftung muss man nicht bewerten, sie ist ein positives Faktum, das allerdings auch fruchtbare Momente innehaben kann, was ihr Ziel, neue Subjektivierungsweisen, ein neues Bewusstsein anzustoßen, betrifft. Diese wurden insbesondere im Teil »Semiologische Guerilla« ausgeführt und es ist durchaus kein Zufall, dass Beispiele von etablierten Künstlern zur Veranschaulichung der Effektivität einzelner Kunstwerke herangezogen wurden. Ihr kommerzieller Erfolg und das erworbene kulturelle Kapital schließt offensichtlich nicht zwangsläufig Effekte im politischen Feld aus. Hans-Christian Psaar bescheinigt Künstlern, die mit dem Kunstmarkt vertraut sind, gar eine überlegene Kompetenz, die Praxis der Kulturindustrie anzuprangern, und sieht in der Institutionalisierung unter Umständen einen Erkenntnisgewinn: »Die Kritik ist nicht von der teilnehmenden Erfahrung zu trennen. (…) Nicht das Aussteigen der Hippies und Autonomen, sondern das Sich-Bewusstwerden, die Reflexion der eigenen Rolle in der Kulturindustrie wäre der erste Schritt hin zur Veränderung der Verhältnisse« (Psaar 2007). Gerade im Eintritt in die idealistische Werte beanspruchende Sphäre der Kunst, deren Vertreter in Auktionen die Reduktion des Kunstwerks auf ein Spekulationsobjekt besonders spektakulär vorantreiben und dabei ästhetische Qualität und künstlerischen Wert als Alibi der ökonomischen Wertsteigerung preisgeben, kann kritische Street Art den Warenfetisch und den beliebigen Status der Werke als Statthalter und Investitionsobjekt aufzeigen. Eine trennscharfe Abgrenzung der Felder ist im Zeitalter der allgemeinen gegenseitigen Durchdringung, einer zunehmend hybriden Kultur und angesichts der Krise der Institutionen (vgl. Deleuze 1993; Hardt/Negri 2002) ohnehin illusorisch, genauso, wie eine Einteilung in authentische und nicht-authentische Kunst, die – wie gezeigt – als moralische Verbrämung eher ein Instrument des Marketing darstellt und willkürlich eine wertende Unterscheidungsdimension einführt. Das aus vieler Hinsicht grenzüberschreitende Genre der Street Art vermag es, gerade im Bezug auf eine Konsumgesellschaft und trotz ihrer 73 Einbindung in wirtschaftliche Zusammenhänge punktuell im Politischen Effekte zu zeitigen und Werte bereitzustellen, die sich nicht in ihrer unmittelbaren Konsumation erschöpfen. Es liegt also nahe in diesem Punkt eine vermittelnde Position einzunehmen28. In den zurückliegenden Kapiteln wurden diesbezüglich bereits effektive Möglichkeiten der Kunstform aufgezeigt. Viele von ihnen sind auch im Rahmen offizieller Ausstellungen wirksam, allerdings ermangeln diese offiziellen Veröffentlichungen, Vernissagen und Art-Shows des Aspekts der illegitimen Wortergreifung, die ein wesentliches Charakteristikum der Street Art darstellt, weshalb sie an dieser Stelle nicht weiter verhandelt werden. Selbst der Aspekt der insurrektionalen Blitze geht weitgehend verloren, die Zuschauer einer Banksy-Show erwarten sich die Provokation und Gesellschaftskritik mit der sie letztlich befriedigt werden. Banksys Aktivitäten auf der Straße und ihre Wirksamkeit beeinflusst dies allerdings nur bedingt, die unzähligen oft anonymen Künstler, die weltweit auf den Wänden der Großstädte ihr Recht auf Mitsprache reklamieren, profitieren sogar eher vom symbolischen Kapital, das dem Genre in den letzten Jahrzehnten zuteil wurde. Denn auch wenn »Wertschätzung und Wirkung kultureller Produktionen […] nicht in einem direkten proportionalen Verhältnis« (Kastner 2012b, 57) stehen, kann die zumindest temporäre wissenschaftliche oder institutionelle Weihung der Street Art zu einer schützenswerten »künstlerischen Praxis« das Potential für emanzipative Effekte gerade außerhalb des Kunstfeldes steigern (vgl. Kastner 2012b, 57f). Anders ausgedrückt: Das kulturelle Kapital, das Street Artists wie Banksy aus ihrer künstlerischen Arbeit erwächst, verleiht ihnen und ihrem Genre, aufgrund teilweise ähnlicher Felddynamiken29, auch abseits des kunstimmanenten Bereichs eine gewisse Autorität. Die dadurch erworbene Wertschätzung schlägt sich in allgemeiner Akzeptanz, aber auch in realisierten mikropolitischen Interventionen nieder. So wurde etwa Banksys illegal angebrachtes Graffito »Ikea Punk« in London durch eine Gemeindeumfrage vor der Zerstörung bewahrt und so nachträglich legitimiert (93% der Befragten stimmten für den Erhalt des Kunstwerks – vgl. Blanché 2012, 105). Von einem neuen Bewusstsein, was die die Kommerzialisierung des öffentlichen Blickfeldes betrifft, zeugt auch die 2005 durchgeführte, genehmigte Kunstaktion »delete!«, im Rahmen derer die Künstler Christoph Steinbrener und Rainer Dempf 28 In diesem Punkt besonders aufschlussreich: Umberto Ecos »kritische Kritik der Massenkultur« (vgl. Eco 1984). 29 die Pierre Bourdieu am Beispiel des französischen Impressionismus herausstellte 74 eine »Entschriftung« der Neubaugasse in Wien vornahmen. Für zwei Wochen wurden in einem Teil der belebten Einkaufsstraße im 7.Bezirk alle Logos, kommerzielle Zeichen, Piktogramme und Firmennamen durch auffällige gelbe Folien überklebt und damit temporär gelöscht. Einen Schritt weiter gingen die Behörden der brasilianischen 20 Millionen Enwohner Metropole São Paulo, wo im Jahr 2007 die gesamte Stadt anlässlich eines neuen Gesetzes (»Lei Cidade Limpa«, Gesetz der sauberen Stadt), dauerhaft von Werbeträgern und kommerziellen Zeichen aller Art ab einer gewissen Größe befreit wurde (vgl. Hartmann 2010). Dies sind nur einige Beispiele, die aufgrund der offensichtlichen Übereinstimmungen mit einem Hauptanliegen vieler Street Artists (Werbung im öffentlichen Raum), exemplarisch für »messbare« Effekte im politischen Feld stehen können.30 30 Die Rolle, die Kunstwerke im Rahmen der symbolischen Arbeit im Kontext konkreter politischer Aufstände innehaben ist ungleich schwerer darzustellen. Jens Kastners bemerkens- und beachtenswerte Untersuchung Insurrektion und symbolische Arbeit – Graffiti in Oaxaca (Mexiko) als Subversion und künstlerische Politik widmet sich eben der Rolle von Street Art im unmittelbaren Dunstkreis eines Aufstandes in einer mexikanischen Provinz Oaxaca. 75 Resümee Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Kunstwerke der Street Art, unter bestimmten Voraussetzungen gegen die Schließung des politischen Feldes feldüberschreitend einwirken können. Im Kontext von politischen Bewegungen fordern sie durch ihre Präsenz öffentlich Mitsprache und eine Ausweitung des von professionellen Politikern und wirtschaftlichen Eliten beanspruchte Feld der offiziellen Politik. Dies artikulieren sie einerseits schon durch ihre selbstautorisierte, oft illegale und behördlich verfolgte Anbringung, die viele Kulturwissenschaftler bereits als politische Interventionen und Raumaneignungen werten. Dies allein reicht jedoch – wie festgestellt wurde – nicht unbedingt aus, um den eingangs vorgestellten Bedingungen der Subversion gerecht zu werden. Allerdings bietet die Anbringung im öffentlichen Raum und die konkrete (lokale) Bezugnahme auf letzteren, oft einen ausgesprochen fruchtbaren Hintergrund für das konstitutiv intertextuelle Genre der Street Art, das mittels bestimmter ästhetischer Qualitäten für eine politische Wahrnehmung des Alltäglichen und für eine Politisierung der Ästhetik eintritt: Durch das Reflektieren der Produktionsbedingungen, das Darstellen des Abwesenden, die Entschleierung des kollektiven Unbewussten und Verdrängten kann Street Art auf die unhinterfragten, unsichtbaren Gesetze der doxa hinweisen, sie durch ihr selbstautorisiertes Auftauchen im öffentlichen Raum überschreiten und damit die potentielle Veränderbarkeit dieser Regeln in Aussicht stellen. In der Bezugnahme auf gesellschaftskonstituierende Ikonen, wirkmächtige Werbesujets und einflussreiche Hypotexte aus dem Bereich der Künste und Medien, können sie Assoziationen zu konkreten politischen, also kunstfeld-externen Sachverhalten anregen, durch Rekontextualisierung der Motive erzielen sie Bedeutungsverschiebungen, Neubewertungen und Irritationen. Über die ästhetische (Neu-)Interpretation gesellschaftskonstituierender Zeichen klinken sich Kunstwerke in den Kampf um Denk- und Wahrnehmungsmuster ein, die den politischen Entscheidungsfindungen vorgelagert sind und von Bourdieu als »symbolische Dimension des Politischen« wissenschaftlich erfasst wurden (vgl. Bourdieu 2001). Damit können sie als Teil einer symbolischen Arbeit angesehen werden, die nötig ist, um gesellschaftliche Veränderungen von einer marginalen Position31 aus in die 31 Die gerade angesichts der unausgewogenen Verteilung materieller und immaterieller Güter keineswegs eine Minderheiten-Position sein muss, wie Kastner treffend bemerkt (vgl. Kastner 2012b, 42). 76 Wege zu leiten und neue Formen kollektiver und individueller Subjektivierungen ermöglichen, ohne neue Hierarchien zu schaffen. Wichtig ist dabei, die konstitutiv hybride Qualität des Genres hervorzuheben, die Jens Kastner zufolge ein entscheidender Faktor für das Gelingen urbaner Interventionen darstellt: Denn diese hybride Form oder dieses Hin- und Herlavieren verhindert oder blockiert zumindest erstens die schnelle Funktionalisierung zum (vorgeblich funktionslosen, d.h. künstlerischen) Prestigeobjekt und die anschließende reine Warenwerdung«. (Kastner 2012b, 56) Die Effektivität der Street Art ruht demnach genau in diesem hybriden Zwischenstadium zwischen Kunst und Alltagserscheinung, durch welches sie ihrem Publikum in unvermittelter Art und Weise, etwa auf seinem Weg zur Arbeit, entgegentreten und selbiges unvorbereitet mit einer aufflackernden Plausibilität konfrontieren kann. Die Werke weisen zwar eine genuin künstlerische Spezifik auf, doch für ihre Wirksamkeit ist es von immenser Bedeutung, dass ihre Rezeption aus dem Alltag heraus, gewissermaßen den Alltag und seine stummen, ungeprüften Regeln durchbrechend geschieht. Dadurch wird der Alltag, der zuvor unter Umständen gar nicht als solcher wahrgenommen wurde, zum Gegenstand politischer Debatten erhoben und tritt als veränderbares, soziales Konstrukt in Erscheinung. 77 Literaturverzeichnis: Adorno, Theodor Wiesengrund/Horkheimer, Max: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt am Main 1988. 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Alle Stellen, die wörtlich oder inhaltlich den angegebenen Quellen entnommen wurden, sind als solche kenntlich gemacht. Die vorliegende Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form noch nicht als Magister/Master-/Diplomarbeit/Dissertation eingereicht. 29.Mai 2013 Datum Unterschrift 83