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DIPLOMARBEIT
Street Art als Feldüberschreitung:
subversives Potential im Zeitalter der
Postdemokratie
eingereicht bei
Univ.-Prof. Dr. Martin Sexl
Diplomstudiengang Vergleichende Literaturwissenschaft
Institut für Sprachen und Literaturen
Leopold-Franzens Universität Innsbruck
Eingereicht von
Christoph Koroknai [0615937]
Reichenauerstraße 88
A-6020 Innsbruck
[email protected]
[W]e ›feel free‹ because we lack the very language to articulate our
unfreedom...[T]oday all the main terms we use to designate the
present conflict – ›war on terror‹, ›democracy and freedom‹, ›human
rights‹, etc – are false terms, mystifying our perception of the situation
instead of allowing us to think it. In this precise sense, our ›freedoms‹
serve to mask and sustain our deeper unfreedom.
-
Slavoj Žižek, Welcome to the Desert of the Real!
Some people become cops because they want to make the world a
better place. Some people become vandals because they want to make
the world a better looking place.
-
Banksy, Wall and Piece
Inhaltsverzeichnis
Einführung .................................................................................................................... 4
1.
2.
3.
Kunst und Revolution......................................................................................... 10
1.1.
Postdemokratie ............................................................................................ 10
1.2.
Problematisierung der Masse(nkultur) ........................................................ 12
1.3.
Street Art...................................................................................................... 16
1.4.
Subversion durch Feldüberschreitung ......................................................... 18
Subversion qua media ........................................................................................ 22
2.1.
›Public Space‹ als Text ................................................................................ 22
2.2.
Der Street Artist als Produzent .................................................................... 24
2.3.
Kritische Interventionen .............................................................................. 32
Semiologische Guerilla ...................................................................................... 37
3.1.
›Iconic Turn‹ ‒ neue gesellschaftskonstituierende Macht der Bilder .......... 37
3.2.
Street Art als Semiologische Guerilla ......................................................... 40
3.3.
Insurrektion und das kollektive Unbewusste ............................................... 45
3.4.
Re-Branding: Umkodieren .......................................................................... 54
3.5.
Autoreflexion und Paradoxie ....................................................................... 57
3.6.
Ambivalenz .................................................................................................. 61
3.7.
De-/Rekontextualisierung und Hybridität ................................................... 64
3.8
Institutions- und Institutionalisierungskritik ............................................... 69
Resümee ..................................................................................................................... 76
Literaturverzeichnis:................................................................................................... 78
Einführung
Der Begriff Street Art umschreibt eine interdisziplinäre, vielgestaltige und zusehends
in vielen Bereichen an Relevanz gewinnende künstlerische Praxis, gleichzeitig steht
der vergleichsweise junge Terminus für die sehr alte Ausübung von Kunst abseits der
dafür vorgesehenen Kanäle und im Schatten der linearen Abfolge der Epochen der
offiziellen Kunstgeschichte. Die Wände von Siedlungen dienten bereits lange vor
unserer Zeit als wichtige Kommunikationsmedien einer Gegenöffentlichkeit und
blicken auf eine lange Tradition als Trägerinnen von Informationen abseits der
etablierten Kanäle zurück. Seit Jahrhunderten befördern sie auf der ganzen Welt
künstlerische Ausdrucksformen und politische Botschaften jenseits des Mainstreams.
Sie gelten als Indikatoren politischer und ästhetischer Ideale, oft ehe diese zum
Allgemeingut
der
offiziellen
Diskurse
werden:
als
Medien
geheimer
Erkennungszeichen, provokanter Zeugnisse des Widerstands und künstlerischer
Experimente. So zeugen etwa konservierte Inschriften von (unter anderem)
politischen Mitteilungen an Hauswänden im alten Rom vom aufkommenden
Christentum1. Christliche Symbole wie das Kreuz und das ICHTYS-Signum
fungierten
als
geheime
Erkennungszeichen
und
trugen
wesentlich
zur
Konsolidierung der jungen Kirche bei. An Hausmauern angebrachte Karikaturen des
Königs Louis-Phillippe erfreuten sich im Frankreich um 1830 großer Beliebtheit, der
Habsburgische Wahlspruch A.E.I.O.U. erfuhr während des österreichischen
Widerstands im Dritten Reich eine veritable Renaissance in den Straßen Wiens, wo
es zum »inoffiziellen Logo« des österreichischen Widerstands wurde (vgl. Stahl
2012, 66ff.). Auch die französischen Studentenproteste der Enragés im Jahr 1968
fanden nicht zuletzt an den Wänden des Campus Nanterre ihren Niederschlag, unter
dessen Betonoberflächen die Sozialrevolutionäre die Idylle und Freiheit eines
Strandes orteten, den es durch die Mittel der Kunst freizulegen galt: »Sous les pavés
la plage!«.
Graffiti und die daraus entwickelte Street Art weisen wie die beschriebenen Formen
von inoffiziellen Wandmalereien einen engen Bezug zu den historischen
Bedingungen ihrer Zeit auf und können, wie in dieser Arbeit gezeigt werden soll,
1
Die sehr vitale Ausbreitung von inoffiziellen Wandzeichnungen und -kerbungen in Pompeji ist
historisch sehr genau erfasst und erschlossen. (vgl. Weeber 1996)
4
fruchtbare Verbindungen zu sozialen Bewegungen initiieren, sich subtil unter
bestimmten Bedingungen in revolutionäre Bestrebungen einspeisen. In der
Gegenwart des 21. Jahrhunderts sind unter anderem Mitbestimmung, Artikulation
und Selbstbestimmung im öffentlichen Raum zentrale Anliegen der vorgestellten
Kunstformen, die durch formale und inhaltliche Qualitäten der Kunstwerke
thematisiert werden. Der Kampf gegen die Kolonisierung des Blickfelds im urbanen
Raum, die Kritik am Schilderwald der Werbeträger und am bunten Gestöber der
Reklamebotschaften, die ungefragt (und für viele unerwünscht) die Straßen urbaner
Ballungsräume säumen, wird von Graffiti-Writern und Street Artists in situ, im
sogenannten ›public space‹ aufgenommen, wo sie Werbeplakate, Architektur, andere
Kunstwerke mit aufgesprühten Kommentaren, Schablonen-Bildern, Comics,
Stickern, Postern, Installationen, Skulpturen versehen. Darüber hinaus stoßen sie
aber durch ihre Kritik an der Kommodifizierung vieler Lebensbereiche (insbesondere
des
städtischen
öffentlichen
Raumes)
in
tiefer
reichende
Ebenen
der
Gesellschaftskritik vor, die sich in einem symbolischen Kampf um politische
Konventionen und Wahrnehmungsmuster artikuliert.
Formal sind die vielfältigen Ausprägungen der Street Art dabei kaum zu fassen, eine
(zwangsläufig unabgeschlossene) Typologie Jan Gabberts umfasst über 15
verschiedene Spielarten der Straßenkunst von Kreidezeichnungen bis zu Aufklebern
(Vgl. Gabbert 2007), deren wichtigster gemeinsamer Nenner die nicht-autorisierte
Anbringung der Kunstwerke im öffentlichen Raum und die differenziale Abgrenzung
vom traditionellen, überwiegend kryptischen Graffiti ist.
Die hybride Kunstform bedient sich dabei eklektizistisch verschiedener Einflüsse
vorangegangener Bewegungen, die, wie sich zeigen wird, als kunstinternes
Referenzsystem auch im politischen Bereich Assoziationen befördern und Effekte
zeitigen können. So verweisen die Methoden und Einstellungen der Situationisten,
Fluxisten, Pop-Artists, Land-Artists, Culture Jammer, Ad-Busters und noch vieler
anderer intertextueller Bezüge auf ähnliche Bewegungen in der Geschichte und
geben ein Kaleidoskop an Assoziationen und Bezugspunkten preis. So trifft in
manchem Exponat der Street Art die Nonchalance der Beatniks auf die
Gesellschaftsverweigerung der Punks, der desintegrative Impetus der Dadaisten auf
das politische Programm der Situationistischen Internationale, die institutionalisierte
Konsumkritik der Pop-Artists auf die kurzlebigen Aktionen der Performance-Kunst.
5
Der Mannigfaltigkeit der auf Intertextualität und Hybridität
aufbauenden
künstlerischen Erscheinungsformen sind kaum Grenzen gesetzt.
Street Art ist innerhalb weniger Jahre zu einem relativ gründlich erforschten und
akademisch ausgiebig bearbeiteten Feld geworden, nachdem die Kunstform
jahrelang insbesondere vom Fachgebiet der Kunstgeschichte weitgehend ignoriert
worden war. Auch heute ist ihr Status als Kunst und damit ihre Weihung zu einer
schützenswerten sozialen Praxis heftig umstritten, im öffentlichen Diskurs wird sie
oft auf Sachbeschädigung und Vandalismus reduziert. Allein ein Blick auf die Titel
der jüngsten Publikationen offenbart, dass über einen Aspekt der Kunstform
allerdings breiter Konsens herrscht: Aufmacher wie The Art Of Rebellion (Christian
Hundertmark) lenken den Fokus klar auf politische Wirkmacht und Widerständigkeit
der im städtischen Raum angebrachten Bilder, auch die Positionierung von urbaner
Kunst »zwischen Partizipation, Intervention und Neuer Urbanität«, wie sie Uwe
Lewitzky im Untertitel seiner Untersuchung vornimmt, lässt keinen Zweifel an der
weit
verbreiteten
politischen
Leseart
der
zusehends
aufsehenerregenden
künstlerischen Betätigung. Bei all dem politischen Potential, das Street Art
offenkundig
zugetraut
wird,
gehen
nur
wenige
Publikationen
auf
die
feldüberschreitende Funktionsweise der Kunstwerke ein, häufig wird auf die
Illegalität und die unautorisierte Raumeroberung verwiesen, die für viele Autoren
bereits Indikatoren für die Schaffung eines politischen Raumes sind. Allein
(polizeiliche) Repression kann aber, wie auch der Kunstwissenschaftler Jens Kastner
darlegt, kein befriedigender Hinweis auf subversive Effekte sein, die weit verbreitete
Formel nach der Graffiti schon durch ihre selbstautorisierte Anbringung
zwangsläufig Träger einer politischen Aussage seien, ist, um nur ein Beispiel zu
nennen, angesichts der aufkeimenden Formen des Guerilla Marketings zu
hinterfragen (vgl. Kastner 2012b). Neben dem Aspekt der Selbstermächtigung ist es
vordergründig die hybride Stellung der Street Art zwischen Alltag und NichtAlltäglichem,
zwischen
»Kunst« und
»Teil
von
sozialen
Kämpfen
und
Bewegungen«, die einer Neubewertung und einer genauen Untersuchung bedarf,
denn wie sich zeigen soll, ist es genau jene Erschwernis in der unmittelbaren
Funktionalisierung der Installationen, die – so eine These dieser Arbeit – besonderes
emanzipatorisches
Potential
birgt.
Jenseits
von
politischer
Parole
und
Warencharakter laviert das hybride Genre zwischen den Klassifizierungen und
6
eröffnet gerade dadurch die Möglichkeit über den ins Symbolische ragenden Kampf
um Wahrnehmungsmuster das politische Feld zu beeinflussen.
So wird diese Arbeit die oft vorangestellte Frage, ob Street Art nun Kunst oder
politisches Instrument sei, keineswegs letztgültig beantworten, schon die
Fragestellung würde ja die Bestrebung, den Begriff Street Art zu beherrschen, durch
Kategorisierung zu kontrollieren und zu entschärfen, implizieren. Insofern soll diese
Abhandlung auch ein Plädoyer des Schwebezustands und des Spiels sein und ein
Schlaglicht auf die gezielten, konkreten und beobachtbaren Wechselwirkungen
zwischen dem politischen Feld und der kontroversen urbanen Praxis werfen, die aus
vielerlei Hinsicht emanzipatorische Effekte zeitigen können. Sie wird der zentralen
Fragestellung nachgehen, wie die urbane Kunstform Street Art als emanzipatives
Medium wirksam sein kann, das der fortschreitenden Schließung des politischen
Feldes und den damit einhergehenden Ausschlussmechanismen trotzt.
Die Notwendigkeit solcher Interventionen ergibt sich aus einer Notlage
repräsentativer Demokratien, die im wissenschaftlichen Diskurs auf breiten
interdisziplinären Konsens stößt und in der Gegenwart, die unter anderem von einer
globalen Krise des Finanzwesens, enormem Ungleichgewicht in der Verteilung von
(materiellen und immateriellen) Gütern und institutionellem Ausschluss weiter Teile
der Bevölkerung aus Entscheidungsprozessen geprägt ist, virulent wird. Schlagworte
wie
die
postmoderne
Lebensbereiche
und
Gesellschaftskonstellation
Depression,
die
die
neoliberale
lähmende
Immanenz
prägen
philosophische
Ökonomisierung
der
Debatten
aller
gegenwärtigen
und
kritische
Gesellschaftsanalysen, parallel dazu schwindet offenkundig das Vertrauen und die
Hoffnung in die Institutionen der repräsentativen Politik. Die komplexe Problematik
eines postmodernen Herrschaftsparadigmas und der Ausschlussmechanismen des
politischen Feldes wird in einem ersten Abschnitt der vorliegenden Arbeit genauer
behandelt, die Möglichkeiten der Kunst, die seit jeher als (mitunter gefährlicher)
alternativer Aushandlungsort von Utopien galt, werden hinsichtlich ihres
emanzipatorischen
Potentials
kritisch
ausgelotet.
Auch
die
Problematik
›traditioneller‹ Artikulationsformen und Emanzipationsbestrebungen, die außerhalb
der demokratischen Institutionen stattfinden, wird in diesem Teil angerissen. Street
Art wird in den Kontext neuartiger kreativer Protestformen und –bewegungen (die
7
nicht in Massenmobilisierung und –integration kulminieren) gesetzt und unter
diesem Aspekt untersucht.
Die Frage nach politischer Mitbestimmung und Ermächtigung kristallisiert sich ganz
besonders im öffentlichen Raum,
Formen des Aufbegehrens
gegen das
Bestimmungsmonopol einer relativ exklusiven politischen Klasse, konzentrieren sich
bevorzugt in den Straßen großer Städte, wo sich auch ein Ensemble von
performativen Herrschaftssymbolen kondensiert. Operativ gleichen zahlreiche
kreative Formen des Aufbegehrens, die für unsere Zeit paradigmatisch sind, den
Interventionen der Street Artists: Flashmobs2, (ungenehmigte) spontane Konzerte
und Parties, mobile Filmprojektionen an Hauswänden, Guerilla Knitting3, Guerilla
Gardening4, die Sportart Parkour5, Skateboarding: sie alle haben gemeinsam, dass sie
im urbanen öffentlichen Raum stattfinden und bewusst oder unbewusst die Frage
nach der Hegemonie über die Zeichen aufwerfen, ihr Mitbestimmungsrecht in den
von neoliberalen Interessen geprägten und kodifizierten Flächen der Allgemeinheit
einfordern und sich nicht mit den traditionellen Wegen zu kommunizieren und sich
zu organisieren zufriedengeben. Im radikalen, oft illegalen und selbstautorisierten
Eingriff in den urbanen Raum, sind diese Manifestationen des Gestaltungswillens
unabhängig
von
Demarkationslinie
einer
inhaltlichen
zwischen
Ebene,
Zeichensendern
Angriffe
und
auf
die
-empfängern,
wichtige
zwischen
Produzenten und Konsumenten, und stellen somit die Gesellschaftsordnung, die
gemäß Jean Baudrillard auf diese zentrale Unterscheidung aufbaut, in Frage. Dem
›Ausstellungsort‹ im öffentlichen Raum und der medialen Beschaffenheit der
Kunstwerke der Street Artists ist daher der zweite Teil der Arbeit gewidmet, der die
Fragestellung
nach
dem
emanzipatorischen
Potential
der
Kunstform
auf
medientheoretischer Ebene zu beantworten sucht.
Teil drei der Arbeit nähert sich der inhaltlichen Ebene der Kunstwerke und analysiert
wie die Installationen im urbanen Raum durch feldübergreifende, punktuelle
2
Der Begriff Flashmob bezeichnet spontane, kurzfristig organisierte, themenbezogene,
unangemeldete Versammlungen an öffentlichen Plätzen, die über Mobiltelefone, Internetforen, E-Mail
Kettenbriefe oder Online-Communities organisiert werden.
3
Beim Guerilla Knitting werden Gegenstände im öffentlichen Raum durch Einstricken oder durch das
Anbringen gestrickter Verzierungen modifiziert.
4
Guerilla Gardening bezeichnet die nicht-autorisierte Bepflanzung öffentlicher, nicht-eigener
Grünflächen, üblicherweise in urbanen Räumen.
5
Parkour ist eine in Frankreich entstandene, urbane Sportart, bei der Athleten unter spektakulärer
Überwindung sämtlicher Hindernisse den kürzesten und effizientesten Weg zwischen zwei Punkten
der Stadt zurücklegen müssen.
8
Verknüpfungen konkret ins politische Feld intervenieren können. Zentral ist dabei
die Grundannahme, dass solche Austauschverhältnisse zwischen der Ästhetik
künstlerischer/kultureller Praktiken und der allgemeineren Ebene der Ästhetik von
Denk- und Wahrnehmungsmustern, die auf das (bei Bourdieu) weit gefasste Feld des
Politischen einwirken können, existent und beobachtbar sind. Dafür bürgen in
diesem Teil der Ausführungen insbesondere der Soziologe Pierre Bourdieu, der vor
allem seit den 1990er Jahren Kunst affirmativ als »Instrument einer Freiheit«
(Bourdieu 2001, 524) beschrieb, und der (streitbare) postoperaistische Philosoph
Antonio Negri, der in seiner Vorstellung der »Insurrektion« die punktuelle
Verbindung zu sozialen Kämpfen konzeptualisierbar macht6. Anhand von Beispielen
und Interpretationen wird versucht, die feldübergreifenden Durchkreuzungen,
Beeinflussungen und Interventionen zu verdeutlichen, und der Frage nach dem
subversiven Potential der Wandmalereien und Installationen nachzuspüren. Auch auf
die jüngere Etablierung von Street Artists am Kunstmarkt und die Problematisierung
kommerzieller Arbeiten, wird kurz eingegangen und gezeigt, wie Street Art als
hybrides Genre die Institutionalisierung der eigenen Kunstform thematisiert und
gegebenenfalls überschreitet.
6
Auf die pragmatische Verbindung zweier so unterschiedlicher Theoretiker und ihrer Konzepte wird
von Jens Kastner ausführlich eingegangen. (vgl. Kastner 2012b, 50f)
9
1. Kunst und Revolution
»Die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts
ist eine Geschichte der Subversion. Die
Museen abfackeln! Die Opernhäuser
sprengen! Die Welt zur Bühne machen! Das
war der Traum vieler Künstler. Nichts
Geringeres hatten sie vor, als Kunst und
Leben zu einem neuen Glück verschmelzen.
Und immer neue Künstler kamen und
versuchten sich an diesem Glück. Ob Dada,
Surrealismus oder Fluxus – sie alle wollten
die Verhältnisse zum Kippen bringen.
Subversion hieß: das herrschende System
unterwandern, es mit allen Mitteln der
Kunst bekämpfen.«
-
1.1.
Rauterberg 2009
Postdemokratie
Kapitalismuskritik, Globalisierungsgegnerschaft und ein diffuses Unbehagen in der
Postmoderne haben die Mitte unserer Gesellschaft erreicht, an Kritik am sich
ausbreitenden neoliberalen Machtparadigma herrscht in seiner unverbindlichen,
feuilletonistischen Form wahrlich kein Mangel. Diese Tendenz manifestiert sich
nicht zuletzt an den kulturellen Erzeugnissen unserer Gegenwart – zum
künstlerischen Habitus unserer Zeit gehört eine verwegene Haltung der Dissidenz:
Das gesellschaftskritische Moment reüssiert zielsicher auf den renommierten
Festivals der Filmbranche, und für eine Karriere in der Musikindustrie scheint der
revolutionäre Gestus eine Grundvoraussetzung zu sein, während vielbeachtete
Bestsellerautoren wie Michel Houellebecq die verhängnisvolle Ökonomisierung aller
Lebensbereiche in der pragmatischen, kühlen Sprache unserer Zeit sezieren. »Die
Welt ist ein Supermarkt«, und aus Hochglanzmagazinen blicken uns Models und
Schauspieler als Botschafter des zeitgeistigen »Radical Chic« entgegen, kokettieren
frivol mit Zeichen der Insurrektion, die durch ihre wiederholte Omnipräsenz auf alles
und nichts verweisen.
All dies ruft den resignierten Typus des Zynikers auf den Plan, der die leeren,
unverbindlichen Gesten kritisiert, auf die sich der Widerstand dieser Generation
10
vermeintlich beschränkt, indem sie via »Gefällt mir«-Angaben ihrer Ablehnung des
»Systems« eine Stimme verleiht. Die moralisierende und daher zahnlose Entrüstung,
gepaart mit der scheinbaren Ausweglosigkeit und Fatalität der fortschreitenden
Proliferation
eines
im
öffentlichen
Diskurs
so
häufig
problematisierten
Herrschaftsparadigmas, schlägt sich prominent in der weit verbreiteten These einer
Krise der repräsentativen Demokratie nieder. Insbesondere seit der zyklischen
Wiederkehr ökonomischer Erschütterungen, die im September 2008 in der
symbolträchtigen Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers einen vorläufigen
Höhepunkt erfuhr und seither das Bild der reiterierenden (Finanz-)Krise (die
zusehends zum Normalzustand werde) den politischen Diskurs westlicher
Demokratien dominiert, offenbart sich die Impotenz politischer Institutionen und das
schwindende Vertrauen in die klassischen Staatsapparate (vgl. Crouch 2008).
So fühle sich ein bedeutender Bevölkerungsanteil liberaler Demokratien nicht mehr
im repräsentativen System vertreten, das die Politik auf einen »Despotismus der
Zahl« beschränkt und sich in Simulakren der Mitbestimmung durch Stimmenanteile
und Hochrechnungen erschöpft (vgl. Badiou 1990). Wie die Autoren des 2012
erschienenen Sammelbandes Kunst, Krise, Subversion. Zur Politik der Ästhetik
analysieren sucht sie nach Auswegen aus der »postdemokratischen Erstarrung«:
Während Finanzmärkte psychologisiert und emotionalisiert werden, wird den
Menschen unter dem Deckmantel unterstellter ökonomisch-deterministischer
Zusammenhänge die
Fähigkeit
abgesprochen, ihre
gesellschaftlichen
Verhältnisse partizipativ und selbstbestimmt zu organisieren und den Raum
des Sag- und Machbaren neu zu definieren. (Bandi/Kraft/Lasinger 2012)
So zeitigt die Suche nach alternativen Artikulationsweisen und Medien zu Beginn
des 21. Jahrhunderts eine neue Aktualität und Relevanz. Dass dabei das Feld der
Kunst in den Blickpunkt gerät, ist zunächst wenig überraschend.
Nicht erst seit den künstlerischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts ist die diskursive
Verbindung von Politik, Revolution und Kunst im akademischen Kontext wie im
Feuilleton omnipräsent und zu einer selten hinterfragten, vermeintlichen Evidenz
geronnen. Gerade angesichts der angesprochenen Notlage der repräsentativen
Demokratien und der vielbeschworenen Krise marktkapitalistischer Ökonomien,
stellt sich verstärkt die Frage nach neuen Orten der Aushandlung, neuen
11
Verhandlungsstätten und Foren für Utopien. Und damit auch nach neuen Formen von
Partizipation, etwa durch neue Abwicklungsformen der Abstimmung (z. B. ›liquid
democracy‹), auch, und in besonderem Maße durch neue Ausprägungen des
kreativen Protests. Der Rückgriff auf die Kunst als partiell autonomen Raum, der
zumindest teilweise nach eigenen Regeln funktioniert, erscheint zunächst aus einer
historischen Perspektive naheliegend, der (direkte) Zusammenhang kultureller
Revolution mit politischer Umwälzung hat zumindest in einer linearen und
teleologisierenden Historiografie Tradition. Gleichzeitig entbehrt gerade diese
spezifische These der Feldüberschreitung durch gegenseitige Einverleibung und
Instrumentalisierung nicht einer schwerwiegenden Problematik: Die angestrebte
Entgrenzung des politischen- und des künstlerischen Feldes mündet nicht selten in
einer totalisierenden Entdifferenzierung von Kunst und Leben, die im integrativen
›Gesamtkunstwerk‹ des Volksfestes und der Totalitätsfantasie der Verschmelzung
der Volksmassen in der Kunst kulminiert, oder aber, und das ist gewissermaßen die
ebenso problembehaftete Kehrseite der Medaille, in der umso rigideren
Festschreibung der Grenzen, im »[e]ntpolitisierende[n] Abdriften in hermetische
Pseudoautonomien«. (Raunig 2005, 185)
In Abgrenzung zu derart totalisierenden Vorstellungen »politischer/revolutionärer
Kunst«, die zwangsläufig in der Hierarchisierung und Unterwerfung der Kunst unter
die Ideologie ihren Niederschlag finden, müssen die eingangs angeführten
Begrifflichkeiten genau definiert und an die Gesellschaftskonstellation des
beginnenden 21. Jahrhunderts angepasst werden. Es liegt auf der Hand, dass Kunst
nicht autonom, also ohne ihre politischen und ökonomischen Verschränkungen
betrachtet werden kann. Die Art und Weise dieser gegenseitigen Interdependenzen
und konkreter Feldüberschreitungen ist primärer Untersuchungsgegenstand dieser
Arbeit.
1.2.
Problematisierung der Masse(nkultur)
Der Kunsttheoretiker Gerald Raunig schlägt in diesem Zusammenhang die
Untersuchung punktueller, mikropolitischer Overlaps des künstlerischen und
politischen (revolutionären) Feldes vor – ein Modell, das vor allem dem Gedanken
eines essentialistischen gegenseitigen Einverleibens trotzt, das den Diskurs des 20.
Jahrhunderts geprägt hatte und auch in der Gegenwart zentrale Narrationen und
Revolutionsfantasien
befördert.
Die
Problematik
12
dieser
auch
heute
noch
einflussreichen Vorstellung, Kunst könne direkt in einem politischen Umsturz
kulminieren oder in Gestalt einer Avantgarde im Großen weitreichende (molare – im
Gegensatz zu molekularen7) gesellschaftliche Umwälzungen anstoßen, entlarvt
Raunig als Resultat einer fragwürdigen Komplexitätsreduktion, die unter anderem im
Rahmen der Geschichtsschreibung ex post in Stand gesetzt wird. In Abgrenzung zu
dieser vereinfachenden Praxis zielt Raunigs Werk Kunst und Revolution in erster
Linie darauf ab, eine Geschichte der »spezifischen Verkettung von Kunst und
Revolution« (Raunig 2012, 18) zu schreiben und mit einer poststrukturalistischen
Herangehensweise große lineare und nachträglich teleologisierte Erzählungen zu
dekonstruieren.
Dies geschieht – wie gesagt – im Gegensatz zu einer weit verbreiteten, oft
angestrebten Entdifferenzierung der Begriffe, deren Problematisierung allerdings
ebenfalls ein kulturwissenschaftlicher Dauerbrenner ist. So ist in der zentralen
Debatte, die schon seit Platons utopischer Staatskonzeption in der Politeia um das
Verhältnis zwischen Politik und Kunst kreist, die vielerorts affirmierte Figur der
»totalisierenden Entgrenzung von Kunst und Leben« ein wiederkehrender Topos und
stellt gemäß Raunig ein »gleichsam transhistorische[s] Muster der Kunstpraxis und politik« (Raunig 2012, 13) dar: Die Ausbreitung der Kunst in den Alltag, auf die
Straße und in das Leben sowie die Mobilisierung der Massen galten vielen
künstlerischen Strömungen (nicht erst) seit dem 19.Jahrhundert als Ideal. Dies habe
nicht nur die Überwindung von Genregrenzen und eine Tendenz zum Aufgehen im
totalen Gesamtkunstwerk zur Folge, sondern impliziere insbesondere die
problematische Integration der Volksmassen – »jene Ästhetisierung des Politischen
[…],
die
zwingend
Effekte
der
Hierarchisierung,
Strukturalisierung
und
Totalisierung zeitigt«. (Raunig 2005, 13)
Als frappierendes Beispiel hierzu wird oft die ästhetische Massenorganisation der
Nationalsozialisten angeführt, die in fanatisierenden Massenmobilisierungen gipfelte
und ihren gefährlichen integrativen Impetus
inszenierten,
durchkomponierten
und
vor
offenbarte. Die monumental
allem
exzessiv
reproduzierten
Großveranstaltungen, die als gigantische Gesamtkunstwerke konzipiert wurden und
einem architektonischen Programm, das in der Tat auf eine vollkommene
7
Raunig unterscheidet in seiner Terminologie molare (weitreichende und auf einen integrativen
Impetus abzielende Interventionen) von molekularen Eingriffen, die konzentriert, lokal und konkret
zielgerichtet Effekte zeitigen sollen.
13
Durchdringung aller Lebensbereiche durch die Staatsideologie zielte, bot der
Bevölkerung die neuartige Erfahrung der Masse und mündete in einem Punkt, vor
dem Walter Benjamin schon früh (1935) und eindringlich zu warnen wusste: »Alle
Bemühungen um die Ästhetisierung der Politik gipfeln in einem Punkt. Dieser eine
Punkt ist der Krieg«. (Benjamin 1966, 42)
Diese Problematik der Massenkultur, die aus der technischen Reproduzierbarkeit von
Kulturgütern hervorgeht, ist allerdings kein Unikum des Nationalsozialismus,
sondern ruht vielmehr in den Mechanismen der kollektiven Erfahrung, und dem
nivellierenden Impetus der ›Gesamtkunstwerke‹, wie Gerald Raunig expliziert:
Genau darauf läuft die Integration der Volksmassen durch die Kunst nicht erst
von Riefenstahl bis zu gegenwärtigen Masseninszenierungen, sondern schon
in den Konzepten Wagners und Lunatscharskis hinaus. Nicht um Collagen
von Singularitäten geht es in derartigen Masse-Kunst-Relationen, nicht um
organisierende
Verkettungen,
die
auf
eine
Veränderung
der
Produktionsverhältnisse hinaus wollen, nicht um die zerstreute Verteilung im
Raum, sondern um Integration der Differenzen, um territorialisierende und
segmentierende Aufteilung des Raums, um das Einswerden der Masse mit
den Mitteln der Kunst. (Raunig 2005, 14)
Das gleiche Dilemma berührt auch auf den ersten Blick unverdächtige
Protestbewegungen der jüngeren Vergangenheit. So entlarvt sich der integrative
Impetus etwa in der Form der Massendemonstration, die ja durch ihr
Begleitprogramm, Musik und anderen Elementen, durchaus den Charakter und die
Dynamik des Volksfestes annimmt, als Problem: Die blinde und widersprüchliche
Addition von Subjekten, Anliegen und Stimmen kommt einer Reduktion auf einen
Minimalkonsens und einer repressiven Hierarchisierung gleich. Das Beispiel der
Widerstandsbewegungen marginalisierter Gruppen gegen die undemokratischen
Auswüchse der Globalisierung, die im WTO-Protest in Seattle und in der
Massendemonstration von Genua 2001 markante Höhepunkte der Eskalation
zeitigten, zeigt die Problematik der Homogenisierung und Vereinfachung von
Partizipationsversuchen auf, die unter anderem in ihrer Konzentration auf das
wirkungsmächtige Bild einer kollektiven, geeinten Bewegung, politische Anliegen
auf Allgemeinplätze reduzierten. Andere Kämpfe rund um den Globus wurden dabei
in einer (auch eurozentristischen) Verkürzung ausgeblendet. Letztlich entluden sie
14
sich, wie Aktivistin Tina Leisch beschreibt, in einer ritualisierten Eskalation mit
quasi-religiösen Zügen, deren Begehren sich auf das »Allerheiligste« ‒ die von der
Exekutive abgesperrte rote Zone ‒ richtete, und deren traurigen Höhepunkt ein
»Menschenopfer« (gemeint ist ein tragischer Todesfall im Zuge der eskalierenden
Demonstrationen) in den Straßenschlachten von Genua darstellte. Die Bewegung
verschiedener marginalisierter Gruppen wurde in dieser speziellen Form des
Volksfestes homogenisiert und erschöpfte sich in der politisch folgenlosen,
massenhaften Insurrektion letztlich in einem Stellvertreterkampf um das tabuisierte
Sanktuarium in Gestalt der Sperrzone. (vgl. Raunig 2012, 215-222)
Parallel zur Kritik an den problematischen Effekten von Menschenansammlungen
und herkömmlichen Protestformen, könnte man auf einer allgemeinen Ebene
Adornos und Horkheimers pessimistische Vorstellung der Kulturindustrie als
»Massenbetrug« anführen, die in der Totalität der Erzeugnisse der Massenkultur eine
veritable Integrationsmaschine unterhält, die »die Macht der ökonomisch Stärksten
über die Gesellschaft« (Adorno/Horkheimer 1988, 129) sichert, subtil ein
normierendes Raster über die Lebensgewohnheiten der Individuen stülpt und damit
unausweichlich das gesellschaftliche Herrschaftsverhältnis reproduziert. Auch bei
Foucaults Modell der verwirklichten Kontrollgesellschaft macht gewissermaßen
»massenkulturelle« Prägung eine externe normative Disziplinierung durch
Institutionen (wie sie in der vorangehenden Stufe der Disziplinargesellschaft üblich
war) zusehends obsolet. Die Reproduktion der Arbeitskraft erfolgt Foucault zufolge
internalisiert in der Subjektivierung, dieser Gedanke wird auch bei Hardts und Negris
Konzeption des Empire fortgeführt, einem netzwerkartigen (»rhizomatischen«)
Herrschaftsparadigma, das im Wesentlichen erst aus Kommunikation, also
reproduzierten und verbreiteten Zeichen und Codes und ihrer Allgegenwart erwächst
(vgl. Hardt/Negri 2002, 354f). Angesichts dieser prominenten Exponenten linker
Theorieproduktion wächst Zweifel am Nimbus der Kunst als revolutionärem
Katalysator und ihrem subversiven Potential.
Im Lichte der kulturpessimistischen Position Adornos stellen sich die Erzeugnisse
der Kulturindustrie vielmehr als machtvolle Herrschaftsinstrumente dar, die sich
durch ihren ständigen Ausverkauf einem ausweglosen Kreislauf der Vereinnahmung
ausgesetzt sehen.
»Amusement ist die Verlängerung der Arbeit unterm
Spätkapitalismus« (Adorno/Horkheimer 1988, 129), dient also der Reproduktion der
15
Arbeitskraft und unterwirft das Subjekt, gerade in seiner Omnipräsenz und kraft
seines integrativen Impetus, einem totalitären Zwang der Selbstausbeutung, die auch
das Paradigma der Kontrollgesellschaft ist, wie sie Michel Foucault beschrieb. Durch
zwanghaftes Konsumverhalten und Selbstoptimierung in der »Freizeit« erweitert das
Leistungssubjekt demnach seine Produktivität auf die gesamte Lebenszeit, die
Totalität der Aufklärung kennt kein Außen mehr – durch entsprechendes Training
kann man selbst im Schlaf noch Gedächtnisübungen ausführen, seine Wachsamkeit
steigern oder seine Bauchmuskeln stärken.
Diese (etwas überspitzt formulierte und extrem verkürzt dargestellte) hermetische
und ziemlich pessimistische Konzeption der Kulturindustrie muss man allerdings in
ihrer Ausschließlichkeit nicht teilen. Die beschriebene postdemokratische Krise
könnte sich auch als Chance einer Emanzipation darstellen, in dem Maße nämlich, in
dem sich die Verfahren der politischen Aushandlung, Konsensbildung und
Legitimation zusehends den klassischen repräsentativen Staatsapparaten entziehen
und sich ins Feld der kulturellen Erzeugnisse verlagern. Hardt und Negri sehen
gerade in diesem, ins politische Feld ragenden, Kampf um Gefühls-, Denk- und
Wahrnehmungsstrukturen eine Möglichkeit, Partizipation zu erlangen, allerdings
unter
Vermeidung
der
geschilderten
bedenklichen
Mechanismen
der
Massenmobilisierung, deren Offenlegung eigentlich auch als Kritik an der
wirkmächtigen Idee der Repräsentation verstanden werden kann (vgl. Hardt/Negri
2002).
1.3.
Street Art
Ein Ausweg aus dem Dilemma der geschilderten Formen hierarchischer
Massenintegration könnte demnach ein gewandelter Begriff von Revolution und
neue Formen kleinerer Verknüpfungen sein, die die Verkettung heterogener Subjekte
zulassen, ohne sie im massenhaften Homogenisierungsdrang zu nivellieren und einer
neuen Hierarchie der Anliegen zu unterwerfen. Um sich von diesen verhängnisvollen
Repräsentationsmechanismen zu befreien, ist es naheliegend sich von klassischen
Narrationen
kunstindizierter
Revolutionen/Bewegungen
zu
lösen,
die
die
Verschmelzung von Kunst in einer politischen Bewegung glorifizieren und ein
instrumentales Verhältnis zu Kunst unterhalten. Ex negativo kann man dem
obenstehenden Raunig-Zitat (vgl. Seite 13 dieser Arbeit) entnehmen, wo seiner
16
Ansicht nach Kunst subversiv wirken kann: im Rahmen temporärer Overlaps,
Collagen von Singularitäten, im konkreten mikropolitischen Bezug.
In Kunstwerken der Street Art können diese Kriterien erfüllt sein, ihre spezifische
Form, die zu großen Teilen nicht-institutionaliserte, illegale Verbreitung letzterer und
die zwangsläufig enge Beziehung zu ihren Ausstellungsorten – Straßen und
Verkehrsmittel im öffentlichen Raum – bieten häufig einen geeigneten Kontext, um
ebendiese Bedingungen zu erfüllen. Schon in der ersten wissenschaftlichen
Aufarbeitung Jean Baudrillards, die sich Graffiti und daher implizit dem Nachfolger
Street Art widmet, werden die Bilder, die unbekannte Akteure in selbstermächtigten
Aktionen auf Waggons der New Yorker U-Bahnen sprühen und malen, als
emanzipatorischer Aufschrei einer marginalisierten Jugend interpretiert. Als relativ
geschlossene Bewegung und soziologisches Forschungsobjekt wurde Graffiti, das
sich ab den 1960er Jahren zu einem urbanen Phänomen in verschiedenen
Ballungsräumen entwickelte, durch Baudrillard im Jahre 1978 wissenschaftlich
erfasst. Zehn Jahre zuvor hatten in New York Jugendliche begonnen, sich in ihren
Vierteln mit Filzstiften zu verewigen und ihrem Namenskürzel durch Niederschrift
an möglichst vielen freien Flächen zu einer gewissen Bekanntheit zu verhelfen.
Schon bald breiteten sich die Tags8 in der ganzen Stadt aus und die aufgesprühten
Werke einiger Jugendlicher wuchsen sich zu einer großen Bewegung und zu einer
globalen künstlerischen Praxis aus.
Die tendenziell bildliche Street Art kann man als Weiterentwicklung des kryptischen
Graffiti verstehen, wobei beide Kunstrichtungen aus vielfältigen kunsthistorischen
und kulturellen Quellen schöpfen und an unterschiedlichen Teilen der Welt, zu
verschiedenen Zeitpunkten mannigfaltige Ausprägungen hervorriefen. So entstanden
in Paris zeitgleich mit der New Yorker Graffiti-Welle, im Umfeld der
Studentenproteste Schablonen-Graffiti und Plakate, seit 1977 verändert Harald
Naegeli das Züricher Stadtbild mit seinen eigentümlichen Figuren und ab 1980
sorgte Keith Haring mit seinen Kreidezeichnungen in der New Yorker U-Bahn für
großes Aufsehen (vgl. Gabbert 2007, 12). Die Unterscheidung zwischen Graffiti und
Street Art ist angesichts der Vielfältigkeit der Bewegung umstritten, die Begriffe
werden auch von Künstlern oft synonym verwendet. Der Diskurs zu dieser
aufsteigenden Kunstform ist keineswegs abgeschlossen, in der seit den 1990ern
8
Schnell aufgetragene, wenig aufwendige, meist einfarbige Signatur eines Sprayers.
17
aufkommenden, als Street Art, Urban Art, Post-Graffiti oder auch Urban Intervention
klassifizierten Szene handelt es sich jedoch um eine Bewegung, deren formale
Mannigfaltigkeit unterschiedliche Kunstgattungen (Skulptur, Grafik, aber auch
Darstellende Kunst, Performances), Materialien, Techniken und ein breites Spektrum
an Inhalten umfasst (von einer geschlossenen oder gar hierarchisch organisierten
Bewegung kann also keine Rede sein), wogegen Graffiti per definitionem oft auf
kryptische, ›writing‹-basierte Objekte bezogen ist. Gemäß einer etablierten
Begriffsbestimmung Julia Reineckes, die auch uns als Arbeitsdefinition dienen soll,
ist der gemeinsame Nenner aller Street Art die unautorisierte Positionierung von
Zeichen, Skulpturen, Texten im öffentlichen Raum und die Abgrenzung bzw.
Unterscheidung vom traditionellen Graffiti (vgl. Reinecke 2007, 9; Blanché 2010,
13f.).
1.4.
Subversion durch Feldüberschreitung
Um nun der Frage nachzugehen, wie die Erzeugnisse dieser konkreten Kunstform in
politischem Kontext wirksam sein können, ohne durch ihren Ausverkauf und durch
ihre Institutionalisierung ein Machtverhältnis zu reproduzieren, kommt einem
angepassten Subversionsbegriff in der vorliegenden Arbeit eine besondere Relevanz
zu. Der Soziologe und Kunsthistoriker Jens Kastner verneint zwar eine allgemeine
überhistorische
Begriffsdefinition
von
Subversion,
stellt
jedoch
für
den
Forschungsgegenstand subversive Street Art einige fruchtbare Kriterien auf.
Er benennt Subversion als politisches Mittel, dessen Stoßrichtung von einer
marginalisierten Position ausgehend auf das dauerhafte Untergraben eines
vorherrschenden Machtverhältnisses abzielt. Bemerkenswert ist, besonders im
Hinblick auf Graffiti und Street Art, dass die primäre Intention des Künstlers nicht
zwangsläufig jenes Untergraben sein muss:
Subversive Praktiken bedürfen nicht unbedingt subversiver Akteure und
Akteurinnen und müssen überhaupt nicht als solche beabsichtigt sein, auch
nicht intendierte Handlungen und absichtsloses Verhalten können subversive
Effekte haben. (Kastner 2012b, 42)
Festzuhalten ist auch Kastners Problematisierung des Subversionsbegriffs, der auf
einer relativ stabilen, von der Mehrheit der Bevölkerung getragenen Ordnung
aufbaut, die – so seine Meinung – immer weniger als gegeben anzusehen sei. So wird
18
auch diese Arbeit sich an seinen relativen Kriterien für subversive Kunstwerke in
konkretem historischem Kontext entlangarbeiten und sich gleichzeitig – in
Anlehnung an Gerald Raunig – der Untersuchung verschiedener Praxen widmen, die
entgegen den Modellen totaler Entgrenzung und Entdifferenzierung von Kunst und
Leben, mikropolitische Versuche der transversalen Verkettung von künstlerischen
und politischen Praktiken bewirken. Also in konkrete, zeitlich begrenzte Interaktion
treten, ohne sich in die herkömmlichen vereinnahmenden Narrative von Revolution
und Widerstand einzufügen.
Zur
Sichtbarmachung
künstlerischer
Praktiken,
deren
Effekte
über
den
kunstimmanenten Bezugsrahmen hinausragen, kann die Feldtheorie Pierre Bourdieus
ins Treffen geführt werden. Auch in Abgrenzung zu Althussers Konzeption der
Staatsapparate, die entscheidende Aspekte des politischen Diskurses, die über die
bürokratisierten Organe politischer Aushandlung hinausgehen, nicht erfassen könne,
entwickelt Bourdieu mit seinem Feldbegriff eine Aktionssphäre des Politischen, die
mehr als die offiziellen Institutionen einschließt. Denn Bourdieus symbolische
Dimension
des
Politischen
umfasst
Aushandlungsprozesse,
die
vor
den
institutionalisierten Verfahren der Politik stattfinden: nämlich im Kampf um
kollektive Denk- und Wahrnehmungsstrukturen, die die Basis der Legitimation eines
jeden politischen Systems, ja, jeden gesellschaftlich organisierten Zusammenlebens
sind.
Die Feld-Theorie beansprucht, die Gesamtheit gesellschaftlicher Interaktionen
darzustellen und unterscheidet hierzu einzelne Felder und Subfelder, die ihrerseits
von internen Kämpfen um die Definitionsmacht zwischen ihren Akteuren geprägt
sind. Diese können kraft feldspezifischer Kapitalformen (ökonomisches Kapital,
soziales Kapital, symbolisches Kapital und kulturelles Kapital) in den Hierarchien
aufsteigen, wobei eine Dynamik zwischen arrivierten Verteidigern ihrer Hegemonie
und herausfordernden Emporkömmlingen charakteristisch ist. Im Zuge ihrer
Entwicklung und Institutionalisierung schließen sich die Felder von ihrer Außenwelt
ab und erlangen eine gewisse Autonomie. Dabei bildet das politische Feld keine
Ausnahme, obwohl ihm durch seine Stellung besondere Autorität und Wirkmacht
zukommt: Denn das politische Feld normiert weit mehr als die interne bürokratische
Organisation der Staatsapparate. Es reguliert nicht nur die Gesetze und
Rahmenbedingungen des Zusammenlebens einer Gesellschaft, sondern garantiert für
19
soziale Austauschverhältnisse und ist die Grundlage unserer Denk- und
Wahrnehmungsschemata. Die symbolische Dimension des Politischen umfasst also
sehr grundlegende Aspekte der moralisch-politischen Ordnung, der Staat bürgt für
Bourdieu in gewisser Weise für die legitime Sicht auf die Welt. (vgl. Kastner 2012b,
54f)
Gleichzeitig bedingen die immer rigideren Ausschlussmechanismen des politischen
Feldes und die gleichzeitige Durchdringung (nicht nur) desselbigen durch
ökonomische Kriterien in der Gegenwart eine Ausgangssituation, die Colin Crouch
als postdemokratische Krise beschreibt und die eingangs bereits umrissen wurde. Der
Bürger wird in dieser Konzeption weniger als Souverän betrachtet, in dessen Auftrag
die politischen Institutionen ein ideales Allgemeinwohl anstreben. Crouch konstatiert
vielmehr eine Tendenz, in der privilegierte Eliten, insbesondere ökonomisch potente
Unternehmen, einen großen Einfluss auf Regierungen ausüben und das Feld der
Politik zusehends nach ihren Interessen gestalten. Eine produktive und (aus
emanzipatorischer Sicht) vorsichtig optimistische Interpretation von Kunstwerken
kann daher in der Leseart Jens Kastners durchaus auf eine »emanzipatorische
Utopie« abzielen, die die Sphäre der Kultur als alternatives Instrument einer
Befreiung begreift, das gegen die allgemeine ökonomische Durchsetzung aller
Lebensbereiche, den als sehr wirkmächtig konstatierten neoliberalen Diskurs, in
Anschlag zu bringen sei. Hier können sich auch (und ganz besonders) künstlerische
Praktiken, wie Street Art und Graffiti einklinken:
Fasst man das Politische nun so weit, dass es den Kampf um die Bedeutung
der sozialen Welt mit einschließt, ermöglicht das zweierlei: Zum einen kann
der politische Gehalt jener künstlerischen Aktionen ermessen werden, die aus
dem kulturellen Feld heraus sich in diesen Kampf einmischen – und damit
auch temporär und partiell die Feldgrenzen überwinden. Und zum anderen
kann die Frage nach der Politik künstlerischer Aktionen auch über konkrete
Beispiele […] hinaus erörtert werden. (Kastner 2012b, 54)
Denn obwohl Bourdieus Theorie insbesondere jene Aspekte des Kunstfelds betont,
die Ausschlussmechanismen und speziell bürgerliche Privilegien reproduzieren und
sich zu einer bestehenden Ordnung konservativ verhalten9, liefert sie gerade durch
9
Jacques Rancières entschiedene Kritik an Bourdieu beruht unter anderem auf diesem Aspekt seiner
theoretischen Arbeit. Insbesondere wirft Rancière Bourdieu vor, durch seine Analysen die
20
ihren aufklärerischen, entschleiernden Impetus die Grundlage für emanzipatorische
Akte, die Bourdieu zwar eher für unwahrscheinlich, doch keinesfalls für unmöglich
hält. Auch Jens Kastners vergleichende Auseinandersetzung zur Politik der Kunst
hebt im Bezug auf Bourdieus (und Rancières) Theoriegebäude den grundlegenden
Gedanken hervor, »dass die Ästhetik im engeren Sinne der Kunstproduktion und rezeption
mit
einer
Ästhetik
im
weiteren
Sinne,
den
Denk-
und
Wahrnehmungsmöglichkeiten, verknüpft ist« (Kastner 2012a, 7). Kunst kann also
unter bestimmten Umständen, die Gegenstand der folgenden Kapitel sein sollen, von
einem Herrschaftsinstrument und Re-Produzenten bourgeoiser (neoliberaler)
Vorrechte zu einer emanzipatorischen Möglichkeit aller werden. (Vgl. Kastner
2012a, 98f)
bürgerlichen Privilegien noch weiter einzuzementieren. Hier wird die Frage nach dem ästhetischem
Blick zum Objekt einer Untersuchung kritischer Wissenschaft und ihrer Performativität (vgl. Kastner
2012a).
21
2. Subversion qua media
Bei der Erwägung dieses emanzipatorischen Potentials ist es zunächst unerlässlich,
sich mit den Bedingungen auseinanderzusetzen, die unserer Art zu kommunizieren
vorgelagert sind. Im Falle der Street Art gilt es den urbanen öffentlichen Raum zu
analysieren, den schon Baudrillard als wichtiges Artikulationsmedium von
Herrschaftsverhältnissen interpretiert hat. Der öffentliche Raum unserer Städte
offenbart ein Ensemble herrschaftlicher Symbole, ist durchsetzt von regulierenden
Instrumenten
(der
Kontrollgesellschaft),
und
die
Architektur
ist
nach
vorherrschenden neo-liberalen Interessen strukturiert – die Zeichenhoheit im urbanen
Raum ist demnach mehr als nur ein Repräsentationselement der Macht: Der
Zeichenwald des public space ist gemäß Baudrillards Theorie semiotischer
Machtausübung »die wirkliche Form des gesellschaftlichen Verhältnisses«
(Baudrillard 1988, 22). Das Souveränitätsrecht über den öffentlichen Raum ist ein
zentraler Bestandteil der Machtausübung selbst, der Unterschied zwischen
Zeichenproduzenten und Konsumenten muss laut Baudrillard »total« bleiben. In
Bourdieus Terminologie ausgedrückt offenbart sich genau hier die problematische
Schließung des politischen Feldes: Die Gestaltung des öffentlichen Raumes, ist
institutionell geregelt und einigen wenigen vorbehalten, unter anderem jenen, die ihr
Gestaltungsrecht durch ökonomisches Kapital erlangen. Die Straßen, Flächen,
Häuserfassaden der Stadt, die sich heute als unsere Umgebung präsentieren, sind also
in Wirklichkeit das Ergebnis sozialer, kultureller, ideologischer Städteplanung, hinter
ihnen verbirgt sich die semiologische Vormachtstellung einer neoliberalen
Gesellschaftsordnung. Schilder, Schaufenster, Litfasssäulen, Banner, leuchtende
Reklamewände säumen die Wege (post-)moderner Städte, das bunte, grelle Gestöber
der omnipräsenten Werbung weist symbolisch auf jene Interessen hin, die bei der
Gestaltung urbaner Lebensräume besonders ausschlaggebend sind und steht
metaphorisch für die wachsende Relevanz ökonomischen Kapitals im politischen
Feld, die es im Sinne einer Emanzipation und (Wieder-)Erlangung von
Mitbestimmung tätig zu hinterfragen gilt.
2.1.
›Public Space‹ als Text
Die Frage nach autonomen und nicht okkupierbaren Interventionen ins politische
Feld, muss im Zeitalter einer spätkapitalistischen Hegemonie (einer Dominanz der
ökonomischen Kapitalform auch im politischen Feld) eine medienästhetische sein,
die Erörterung der komplexen Funktionsbeziehungen der Öffentlichkeit muss also
22
vor dem Hintergrund seiner medialen Beschaffenheit erfolgen. Betrachten wir den
öffentlichen Raum als Text, so ist sein Autor das öffentliche Verhältnis, das ihn
koordiniert,
kontrolliert
und
hervorbringt.
»Öffentlicher
Raum
ist
ein
durchherrschtes, ökonomisch und politisch vor(infra)strukturiertes und damit unserer
Kommunikation immer schon vorgelagertes Gebilde, dem die Subjekte im Sinne
einer Herrschaftsbeziehung ausgesetzt sind«. (Schneider/Friesinger/monochrom
2009) An diesem großen Text schreiben theoretisch zwar alle mit, doch müssen sich
Nachrichten, Wünsche, Kritik, um eine »kommunikable« Form zu erreichen, an die
Darstellungsformen, die das Medium der Öffentlichkeit anbietet, anpassen. Die
Medien, die unsere Botschaften als solche erst erschaffen, sind allerdings selbst
Erzeugnisse der sozialen Produktion, und sind somit ihrerseits als Produkt einer
allgemeinen Ökonomisierung bereits ›ideologisch vergesellschaftet‹.
[I]m medialen Kommunikationswettbewerb wird dasjenige kommunikative
Begehren
am
erfolgreichsten
sein,
dem
es
gelingt,
sich
den
Funktionsprinzipien und Äußerungsbedingungen eines gewählten Mediums
(und der in ihm enthaltenen gesellschaftlichen Form) am besten anzupassen.
In der Praxis führt dies dazu, dass die Optimierung der eigenen medialen
Anpassungsform in den Vordergrund des kommunikativen Begehrens tritt.
[…] Von daher dominiert ein bestimmter Typus von medialen Karrieristen
die spätbürgerliche Öffentlichkeit. (Schneider/Friesinger/monochrom 2009)
In dieser, zur Kommunikation erforderlichen, Anpassung liegt das Problem, denn in
der Benützung der Form (ihrer »Ästhetik« und »Grammatik«) und sogar in der Kritik
an ihr, wird die inhaltliche und formale Fremdbestimmung zwangsläufig legitimiert
und bestätigt. Dadurch werden die Grenzen der Kommunikation unwillkürlich
verfestigt, in ihnen ist das soziale Machtgefüge selbst enthalten. Es ist dies die
medientheoretische
Re-Formulierung der
Zwangslage
der
vereinnahmenden
Kulturindustrie und eines internalisierten Machtparadigmas, die hier von
Theoretikern des »Urban Hacking« artikuliert wird und die im öffentlichen Raum
virulent wird. Allerdings ist es ein großer Fehler, diese Grammatik und Ästhetik als
unveränderbar und abgeschlossen zu betrachten. Das Abdrängen sozialer, von
Menschenhand hervorgebrachter und historisch gewachsener Sachlagen in die
Sphäre der Natur ist ein Grundstein der unsichtbaren durch die Form des Mythos
23
verschleierten Herrschaft der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer auf ökonomischer
Rationalität gründenden Herrschaftsparadigmen, wie sie Roland Barthes beschreibt.
Zentral ist dabei das semiologische System des Mythos, dessen Form sich über
Zeichen aller Art stülpen kann, dabei enthistorisierend und somit entpolitisierend
wirkt. In Barthes Konzeption des Mythos ist eine Form der Naturalisierung und
Essenzialisierung
beschrieben,
deren
Funktionsweise
den
geschichtlich
hervorgebrachten status quo als Natur, den Zufall als Ewigkeit auszulegen trachtet
(vgl. Barthes 1964, 130), was sich in einer zwangsläufig reaktionären,
systemerhaltenden Funktionsweise niederschlägt (vgl. Barthes 1964). In eben diesen
mythisch-unantastbaren Zusammenhang, den es aufzudecken und zu überwinden
gilt, stellen Schneider, Friesinger und die Künstlergruppe monochrom die
Zeichenträger im urbanen Raum.
Als Texte schreiben diese sich immer wieder neu, aktualisieren sich und reagieren
auf ihre Umwelt, updaten sich und schreiben sich fort, wichtig ist demnach sich
selbst als (Mit-)Autor dieser ›Grammatik‹10, der medialen Beschaffenheit des
Mediums zu begreifen:
Was sich uns als öffentliche Räume darstellt, sind also gemeinsam verfasste,
sich beständig verändernde und dennoch von bestimmten privilegierten
Positionen aus kontrollierte und korrigierte Texte. Wenn wir sie als Texte
verstehen, an denen wir – ob wir es wollen oder nicht – mitschreiben, dann
verleihen wir uns das Potential sie zu gestalten, indem wir sie anders
fortschreiben. (Schneider/Friesinger/monochrom 2009)
Ein Schlüssel zur Partizipation und zur Emanzipation von der ökonomischen
Zurichtung unserer Kommunikation ist also offensichtlich der Entschluss der
Selbstermächtigung, den öffentlichen Raum mitzugestalten. Kunst im öffentlichen
Raum scheint daher prädestiniert zu sein, die Fragen nach dem subversiven Potential
im Zeitalter der »Postdemokratie« und den ausschließenden Mechanismen eines
neoliberal geprägten politischen Diskurses neu zu stellen.
2.2.
Der Street Artist als Produzent
Dieser ›langue‹, die sich mit jedem Akt der ›parole‹ modifiziert (vgl. das Konzept der différance bei
Derrida 2004)
10
24
Eine wichtige Voraussetzung dabei ist die Auseinandersetzung mit
den
Produktionsfaktoren, als Grundlage ihrer Subversion. In dieser aufklärerischen
Grundannahme hat Bourdieu in Walter Benjamin einen prominenten Vorredner.
Denn in seiner Ansprache »Der Autor als Produzent« stellt Benjamin eine
entscheidende Qualität revolutionärer Kunst vor, die heute, fast 80 Jahre nach seiner
Rede, immer noch den Kern der Debatte um künstlerischen Aktionismus berührt: Sie
betrifft das Bewusstsein des Künstlers um die eigene Stellung im Produktionsprozess
und im Besonderen das Verändern der Produktionsfaktoren. Benjamin beschreibt den
Künstler als kämpfenden Aktivisten mit politischer Agenda in der dialektischen
Diktion des Klassenkampfes, die auf ihren spezifischen historischen Ort verweist.
Doch auch in der hybriden Welt des Empire, wie sie Negri und Hardt in ihrer
postoperaistischen Analyse ausführen und auf unsere Gegenwart applizieren, hat das
Modell des operierenden Autors, Künstlers, Spezialisten seinen Platz: Vielleicht in
der Figur des Internet-Aktivisten, der Regierungsgegnern in Ägypten trotz
Internetsperren
zu
einem
Zugang
zu
Produktionsinstrumenten11
in
ganz
ursprünglichem Sinne verhilft, in der Figur des Hackers, der an der Befreiung der
Produktionsmittel mitwirkt indem er als Whistleblower geheime Informationen
verbreitet und allen zur Verfügung stellt. Vielleicht auch in der Figur des StreetArtists, der durch seine Kunst Produktionsverhältnisse und Strukturen reflektiert und
offenlegt, anstatt unmittelbar einen Konsum- und Produktionsapparat zu beliefern,
wie es Benjamin an der ihm zeitgenössischen »linken« Literatur kritisierte.
Da die Frage nach dem revolutionären Impetus eines Kunstwerks also bei Benjamin
ganz vordergründig eine der Form ist12, stellt sich das vielseitige Genre der Street
Art, die im Folgenden insbesondere hinsichtlich dieses Aspektes untersucht und
11
Als Husni Mubarak die Internetverbindungen beinahe aller Internet Provider Ägyptens am
27.Jänner 2011 trennte, um eine weitere Ausbreitung der regierungskritischen Proteste zu unterbinden
»habe man ägyptische Aktivisten auf Umleitungen wieder ans Netz gebracht. Dazu organisierten die
Telecomix-Agenten [Anm.: eine int. Gruppe von Internet-Aktivisten] zuerst sogenannte Modem-Pools
in Ländern, in denen besonders viele ihrer Gesinnungsgenossen aktiv sind, also in Schweden,
Frankreich, den Niederlanden und Deutschland. Dann suchten sie über den Zwischenspeicher von
Suchmaschinen Faxnummern von ägyptischen Bibliotheken, Hotels und IT-Firmen heraus und
verschickten darauf Telefonnummern, über die sich Ägypter an ihren dienstverweigernden
Internetanbietern vorbei ins Netz einwählen konnten.« (Reißmann, Ole/Rosenbach, Marcel: »Internet:
Europäische Netzaktivisten unterstützen Blogger und Dissidenten des arabischen Frühlings«, in:
Spiegel Online. 41/2011, 10.Oktober 2011. http://www.spiegel.de/spiegel/a-791039.html
(23.04.2013).
12
im Gegensatz zu »inhaltistischen« Vereinnahmungen und Klassifizierungen (»Wie steht ein Werk
zu den Produktionsverhältnissen seiner Epoche?«) ergibt sich die subversive Qualität bei Walter
Benjamin primär aus der Form, bzw. aus der Überschreitung letzterer (»Wie steht das Werk in den
jeweiligen Produktionsverhältnissen?«). (Vgl. Benjamin 2002a; Raunig 2000)
25
vorgestellt werden soll, als mögliche Praxis des Widerstands dar. Über die
offengelegte Reflexion der Produktionsbedingungen überschreitet das Kunstwerk
unter anderem den kunstfeldinternen Kontext und kann so auf das Politische
verweisen und im Politischen Effekte zeitigen.
Mit der Kritik an der Ästhetisierung – und damit Verschleierung – politischer
Ungleichheiten im Rahmen der Kunst13 führt Gerald Raunig in einem Essay die
»Großeltern der Interventionskunst« ein, um auf effektive Praxen der Intervention
und mikropolitischen Einflussnahme hinzuweisen. Das Beispiel Sergej Tretjakows,
das Walter Benjamin in seiner Rede vorstellt, wird von Raunig als exemplarisch für
Interventionskünstler bis zum heutigen Tag präsentiert. Denn dem Schriftsteller, der
sich in den 1920er Jahren einer ländlichen Kolchose anschloss, gelang es im weiteren
Verlauf »immer radikaler seine Kunstproduktion in konkrete mikropolitische
Interventionen« (Raunig 2010) münden zu lassen und vom beschreibenden
Beobachter zum aktiven, operierenden Künstler zu werden. Sein neues Tätigkeitsfeld
im Kolchos zeugt von einer grundlegenden Neuinterpretation der Positionen in der
Kunstproduktion und -rezeption und liest sich auf den ersten Blick untypisch und
wenig
künstlerisch:
Unter
anderem
führte
Tretjakow,
neben
zahlreichen
administrativen Beschäftigungen, Radio und Wanderkinos ein, etablierte Zeitungen
und bildete Arbeiter und Bauern zu schriftkundigen Korrespondenten aus.
Tretjakows dokumentierte Arbeit am Land prägte allerdings einen neuen Begriff
politisierter Kunst:
Nicht in der zum Klischee verkommenen Widerständigkeit des autonomen
Kunstwerks, aber auch nicht in der plumpen Tendenz des revolutionären
Sujets, sondern in der Übersetzung der formalen Fähigkeiten der
KünstlerInnen vom Kunstwerk auf die Organisationsformen der Gesellschaft
liegt demnach die politische Bedeutung der Kunst. (Raunig 2010)
Der »operierende« Künstler nutzt demnach seine formalen Kenntnisse und sein
Wissen, um Arbeitsbedingungen herzustellen, die Ungleichheiten offenlegen, gibt
Denkanstöße, zeigt Strukturen auf, hinter denen sich Missstände verbergen und
arbeitet selbst an der Abschaffung von sozialen Ungerechtigkeiten. Im Falle von
Tretjakow bedeutete dies Bildungs- und Alphabetisierungsarbeit, die Bereitstellung
13
Raunig führt insbesondere die zeitgenössische Community Art kritisch an, seine Kritik kann man
aber ohne Weiteres auf sehr umfassende Gebiete der Kunst und des Kunsthandwerks (und der
Reklame) ausweiten.
26
neuer Kommunikationskanäle, die erst einen Diskurs ermöglichten und nicht zuletzt
die Dokumentation seiner Tätigkeiten, die anderen Produzenten als Modell dienlich
sein konnte. Die etwas naive und idealistische Schlussfolgerung Benjamins, in der
Sowjetunion käme so die Arbeit selbst zu Wort, erfuhr zwar keine historische
Verwirklichung, das wichtige Ideal des eingreifenden Künstlers und Intellektuellen,
der tätig den bestehenden Produktionsapparat (und damit die herrschenden
Lebensbedingungen) offenlegt und modifiziert, hat auch heute noch seine Gültigkeit.
Dabei betont Raunig, dass der Schwerpunkt interventionistischer Kunst unbedingt in
der präproduktiven Arbeit an den Produktionsverhältnissen liege und nicht in der
Herstellung von Kunstwerken. Was ihre formalen Aspekte angeht, bedeutet dies oft
ein »weitgehendes Ausfallen der Ausstellbarkeit von Produkten, des Zirkulierens im
Kunstmarkt, der Notwendigkeit von Vermittlung« (Raunig 2010).
Im Kontext der Gegenwart kann die Beschäftigung mit Produktionsverhältnissen von
Kunst mit einigem Recht eine Auseinandersetzung mit einer »Konsumgesellschaft«
(vgl.
hierzu
Blanché
2012)
und
mit
weitgehend
durch-ökonomisierten
Kommunikationswegen befördern. Ihr Überschreiten kann in der Verweigerung eben
jenes Werkcharakters liegen, den Benjamin als ausschlaggebend für die
marktkonforme Zirkulation von Kunstobjekten ansah.
Mit Benjamin trat eine politische Wende in die Theorie der Kunstproduktion und rezeption. Unter anderem beeinflusst von Bertolt Brecht konstatierte er einen Wandel
in der Wahrnehmung von Kunstwerken, die sich nicht mehr in Kontemplation und
Versenkung
vollzog,
sondern
durch
Mobilität,
Transportabilität
und
Wiederholbarkeit eine neue Art von Aufnahme zur Folge hatte. Dies schlug sich in
seiner Hoffnung auf eine neue, politische Fundierung der Kunst und einer insgesamt
eher optimistischen Perspektive auf die massenhafte Teilnahme vieler Menschen an
Kultur nieder, nicht ohne gleichzeitig auf die Gefahren hinzuweisen, die Adorno und
Horkheimer allerdings viel radikaler hervorhoben. Benjamins Medienhistoriografie
kehrt den Faktor der Materialität hervor, im Zeitalter der technischen
Reproduzierbarkeit tritt an die Stelle der Einmaligkeit des Kunstwerks seine
massenhafte Verfügbarkeit, erst durch seine neu erlangte Mobilität und seine Lösung
aus dem Register des Kultischen, kann es zum Warenartikel werden. Er nahm in
seiner materialistischen Zugangsweise Überlegungen Marshall McLuhans, Friedrich
Kittlers und auch Jean Baudrillards vorweg, die alle in der Beschaffenheit der
27
Leitmedien, den Technologien der Informationsvermittlung und -speicherung
zentrale Instanzen sahen, die Diskursregeln bestimmten und setzten.
Diesbezüglich entscheidend für unsere Argumentation ist der widerständige Impetus,
der den Graffiti aus ihrem Medium erwächst: Nicht zuletzt aufgrund ihres Mangels
an Beweglichkeit, die für die Ausstellbarkeit von Kunst zentral ist (bemalte Wände
und Züge eignen sich nicht als Ausstellungsstücke, sie können nicht ohne weiteres
von ihrem Standort entfernt werden) und wegen der Anonymität ihrer Schöpfer war
und ist Graffiti für den Markt weitgehend unverwertbar, ihre Kriminalisierung und
Verfolgung versinnbildlicht bis heute den Kampf um die Zeichenhoheit im
öffentlichen Raum. Street Art und Graffiti tritt der Öffentlichkeit im Alltag entgegen
und zeigt durch ihre Existenz auf, dass sich auch außerhalb der etablierten
Gestaltungsmöglichkeiten Interventionen realisieren lassen. Der öffentliche Raum
wird durch selbstautorisierte Aktionen von seinen Bewohnern selbst erschlossen und
aus dem »unveränderlichen« Herrschaftszusammenhang gelöst in dem wir die
Entwicklung der Stadt wähnen (vgl. Kapitel 2.1.).
Street Art zeigt uns eine alternative Sphäre der Kunst, die offensichtlich nicht von
dem Prinzip der unmittelbaren ökonomischen Nützlichkeit durchdrungen ist, nähert
sich ihrem Publikum, mit dem Ziel dessen Wahrnehmung seiner kapitalisierten
Umwelt zu verändern. Im beschriebenen ›Defizit‹ an Mobilität, die die urbane Kunst
von ihrer ökonomischen Verwertung bewahrt, vollzieht die Kunstform scheinbar
einen interessanten Rückschritt gemäß Walter Benjamins linearer Material-Theorie.
Auch der Künstler Banksy diagnostiziert Graffiti eine Unberührtheit von
technischem Fortschritt und sieht sie als Nachfolger frühzivilisatorischer
Höhlenmalereien in einer jahrtausendealten Tradition verankert:
TV has made going to the theatre seem pointless [sic!], photography has pretty much killed painting, but graffiti remains gloriously unspoilt by progress.
(Banksy 2005, 184)
Die charakteristische Kurzlebigkeit der Graffiti – die ephemeren Kunstwerke werden
übermalt, kommentiert, in andere Objekte einbezogen oder einfach durch
Reinigungskräfte gelöscht – ist ebenfalls ein wesentliches Moment dieses
›Rückschritts‹: Die Objekte existieren häufig nur während einer ungewissen
Zeitspanne, nehmen oft zu tagesaktuellen Themen Stellung und funktionieren in
28
ihrem ›Hier und Jetzt‹. Ein Graffito ist immer eine Momentaufnahme eines sich
wandelnden Umfeldes und Teil eines unsteten Gesamtzusammenhanges.
Die Bilder, die dabei entstehen, sind Bilder für den Augenblick. […] Schon
morgen können sie abgerissen, überklebt oder verändert worden sein. Sie sind
abhängig von der Witterung und Einflüssen, die der freiliegende Stadtraum
mit sich bringt. (Krause/Heinike 2006, 60)
Das Kunstwerk erlangt auf den palimpsesthaften Wänden der Stadt eine Art Aura
zurück, gerade die Exponate der Street Art nehmen in besonderem Ausmaß Bezug
auf ihre direkte Umgebung, sind sehr eng mit ihrem ›Ausstellungsort‹ verbunden und
thematisieren
nicht
Sozialwissenschaftler
selten
Hans
direkt
Christian
ihren
unmittelbaren
Psaar
verdeutlicht
Kontext.
den
Aspekt
Der
der
Vergänglichkeit, der eine Auseinandersetzung mit den industriell gefertigten Waren
der Kulturindustrie befördern kann:
Gerade in ihrer Vergänglichkeit durch Witterung, Entfernung, Überkleben
und Verfall macht Street Art darauf aufmerksam, dass den von Menschen
produzierten Dingen nicht die materiellen Eigenschaften innewohnen, die
ihnen üblicherweise zugeschrieben werden. Kunst wird durch die
Offenlegung ihres temporären Charakters als Prozess sozialen Austauschs
dargestellt. (Psaar 2007)
Der interessante formale Aspekt der Street Art lässt sich also nicht auf eine simple
mediale Rückentwicklung beschränken, ihre materielle Sonderstellung hat durchaus
progressive Aspekte, was die Rezeption und ihr Verhältnis zum technologischen
Fortschritt angeht. So deutet die interaktive Praxis des Graffiti auf eine, gemäß
Benjamin, fortschrittliche Rezeption hin, es wird distanzlos, taktil wahrgenommen,
übermalt und beiläufig (nicht kontemplativ) verarbeitet. Als postmodernes,
selbstreflexives und intertextuelles Genre baut die urbane Kunst auf die gewandelten
Parameter der Wahrnehmung auf, sie greift auf neueste Errungenschaften der
technischen Reproduzierbarkeit zurück. Ihre Entwicklung verläuft parallel zum
Progress materieller Bedingungen. Schnellauftragende Marker beflügelten die
Graffiti-Szene in gleichem Maße, wie später immer besser überdeckende
Spraydosen, verschiedene Aufsätze (caps) und qualitativ bessere Farben. In ihrem
Übergang zur piktoralen Street Art sind Techniken des Offset- und des Siebdrucks
29
enthalten, in der Anwendung von Collage, Crossover und Schnitt beerbt sie
Avantgarde-Künste des 20. Jahrhunderts, den Dadaismus und die Filmkunst. In ihren
Inhalten ist sie determiniert von der diskursiven Ubiquität des Bildes nach dem
›Iconic Turn‹, der postmoderne Charakter zeigt sich unter anderem in der
autoreflexiven Betonung der Serialität, die explizit auf den Aspekt der Reproduktion
rekurriert.
In diesem geschilderten Aspekt reflektiert der Street Artist die Bedingungen seiner
Produktion. Die offensichtliche Verwendung von Schablonen und das häufige
Verschleiern und Weglassen von Künstlernamen befördern eine Auseinandersetzung
mit dem Geniebegriff in der Kunst, die exponierte Arbeit in der Öffentlichkeit
dekonstruiert die Vorstellung des zurückgezogenen Künstlerphilosophen des 19.
Jahrhunderts in seiner autonomen Sphäre und propagiert das Ideal des (tages-)
politisch aktiven Intellektuellen. Psaar expliziert hierzu: »Street Art legt durch ihre
Fragmentiertheit den Prozess ihrer Entstehung offen. Als Kollage tritt sie dem
Werkcharakter der Montage entgegen, der den Rezipientinnen und Rezipienten eine
geschlossene Interpretation vorgibt«. (Psaar 2007)
Auch kann man in der Street Art den von Benjamin und Raunig hervorgehobenen
präproduktiven Aspekt der Interventionskunst ausfindig machen. Durch die
Offenlegung ihrer Arbeitsweise, durch das großzügige Bereitstellen eigener Motive
und die Veröffentlichungen zahlreicher Tipps und Anleitungen (vgl. etwa Banksy
2005, 236f), stellen die Künstler Produktionsvoraussetzungen zur Verfügung und
nehmen eine Rolle ein, die vielleicht mit jener von Tretjakow vergleichbar ist, wie
sie von Walter Benjamin geschildert wurde. Darüber hinaus wenden sie allerdings
auch Street Art-spezifische Mittel an, um die bestehenden Produktionsverhältnisse zu
überschreiten und neue Räume der Kommunikation zu erschaffen. In diesem
Zusammenhang ist die Etablierung von Wandzeitungen zu erwähnen 14, das Verteilen
von Aufklebern und vor allem die Praxis der »Designated Graffiti Areas« (Banksy
2005, 58-67), der ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Banksys Re-Formulierung der
»Broken-Window Theory« (ebd. 130), die von Kriminalisten in den 1980er Jahren
erstmals
aufgestellt
wurde,
beschreibt
die
Auswirkungen
unreparierter
eingeschlagener Fenster auf die Nachbarschaft und die Kriminalität in der
unmittelbaren Umgebung letzterer. Die in Banksys dokumentarischem Buch zitierten
14
Auch Tretjakow führte im Kolchos Wandzeitungen ein um sein avantgardistisches Ideal der
»Literarisierung der Lebensverhältnisse« (Benjamin 2002a, 236) zu verfolgen.
30
Sozialforscher James Q. Wilson und George L. Kelling legen dar, dass
vergleichsweise harmlose Delikte zu Folgekriminalität und gar zur Verwahrlosung
einzelner Nachbarschaften führen können. Umgelegt auf Street Art kann man darauf
schließen, dass bereits bemalte Häuserfassaden zu weiteren Graffiti einladen können
und daher unter Umständen ›verbesserte Produktionsbedingungen‹ für nachfolgende
Künstler hinterlassen. Als Anspielung auf die vorgestellte Theorie sind
eingebrochene Fensterscheiben ein beliebtes Motiv Banksys, sie sollen zu weiteren
Interventionen einladen und können daher durchaus als Arbeit an den
Produktionsbedingungen im Sinne Benjamins interpretiert werden (vgl. Banksy
2005, 130).
Abbildung 1: »Broken Window Theory« (Ausschnitt aus Banksy 2005, 131)
Zentraler Bezugspunkt der Street Art ist die zeitgenössische Kultur, in deren Bildern
sich das Machtverhältnis reproduziert und in der die Proliferation kommerzialisierter
Zeichen und die Ästhetisierung des Konsums, in der Gestalt der Werbung,
vorangetrieben wird. Street Art ist kraft ihrer materiellen Beschaffenheit nicht so
leicht
(ohne
Vermittlung
durch
fotografische
Verfahren
etwa)
von
der
Kulturindustrie vereinnahmbar und nimmt die von Benjamin geforderte Politisierung
der Kunst vor. Der urbane Raum mit seinen Kondensationen der Macht ist die
›Kampfzone‹, in der sich Street Art Aktivisten ikonoklastisch gegen das
Zeichenmonopol der politisch-ökonomischen Klasse wenden und durch das
Umkodieren der Architektur, entgegen ihrer Funktion als strukturierendes Element
und als Träger von Reklame, symbolischen Widerstand üben.
31
Zusammenfassend stellen die selbstermächtigten Interventionen in mehrfacher
Hinsicht qua media Angriffe auf die gesellschaftliche Ordnung dar, da sie einerseits
das semiotische Monopol der machthabenden »Sender«15 untergräbt, die den
öffentlichen Raum flächendeckend mit Zeichen ihrer Autorität und Reklame
eingenommen haben:
The people who truly deface our neighbourhoods are the companies that
scrawl their giant slogans across buildings and buses trying to make us feel
inadequate unless we buy their stuff. They expect to be able to shout their
message in your face from every available surface but you’re never allowed
to answer back. (Banksy 2005, 8)
Andererseits bricht sie mit gestalterischer Kraft das konservierende Blendwerk des
Mythos auf und zeigt, dass das Erscheinungsbild der Stadt durch mutige
Eigeninitiative, durch Menschenhand, veränderbar ist und nicht das Ergebnis eines
unveränderlichen, ›natürlichen‹ Prozesses ist, dem man machtlos ausgeliefert ist.
Darüber hinaus stellt Street Art einen radikalen Ausbruch dar, sie entgeht der alles
durchdringenden Logik der ökonomischen Rationalität, die jeden Lebensbereich
prägt und in der öffentliche Flächen nur gegen Miete und selbst wiederum fast
ausschließlich zur Realisation ökonomischer Gegenwerte zu erwerben sind. In einem
System in dem sich alles, selbst die Kunst, durch wirtschaftliche Rentabilität
rechtfertigt,
schafft gerade die unmittelbare Unverwertbarkeit der Objekte dem
künstlerischen Ausdruck eine autonome Sphäre und gibt einem alternativen,
ästhetischen Gegendiskurs einen Raum, der sich gegen die wirtschaftliche
Vereinnahmung und Funktionalisierung des public space wendet und die globale
Homogenisierung und Sterilisierung der Städte durch ökonomische Interessen und
die zentralen Dispositive der Sicherheit und Kontrolle in der Praxis, am Ort des
Geschehens kritisiert.
2.3.
Kritische Interventionen
Besonders paradigmatisch stellt sich die Arbeit an den Produktionsbedingungen etwa
im Rahmen von Banksys »Designated Graffiti Areas« dar: Im Rahmen dieser
Intervention weist der Künstler durch amtlich aussehende Schablonen-Graffiti
15
Der Begriff wird in Anlehnung an das Kommunikationsmodell Jean Baudrillards verwendet, in dem
die Unterscheidung von »Sendern« und »Empfängern« von Botschaften und das Machtverhältnis, das
sich daraus ergibt, eine entscheidende Rolle spielen (vgl. Baudrillard 1978).
32
bestimmte Wände eigenmächtig als offiziell genehmigte Sprühflächen aus. Das
Imitieren des visuellen Stils öffentlicher amtlicher Botschaften in Form und Inhalt,
das Einfügen eines reduzierten Englischen Wappens und das Versehen mit einer
fiktiven Lizenznummer verliehen dem Graffito eine Autorität und Glaubwürdigkeit,
was zur Folge hatte, dass die ausgewiesenen Wände in nur wenigen Tagen mit
Graffiti übersät waren16.
Abbildung 2: »Designated Graffiti Area« (Ausschnitt aus Banksy 2005, 58)
Die angesprochenen Sprayer erkannten die Fälschung nicht und konnten auch kaum
dafür belangt werden, sogar die örtliche Polizeidienststelle sah Banksys stencil auf
Anfrage eines Sprayers als offizielle Botschaft an (vgl. Banksy 2007, 60).
»This ›Graffiti Area‹ stencil is without a doubt the best thing I've done, because it's introducing the
X-Factor - a load of s**t you have no control over. I put the stencil up and a week later kids have
written everywhere all over the wall. I spoke to this Lawyer and he reckoned in his experience that it
would be enough of a defence if you were a kid and got picked up by the old bill writing on one of
these walls. That would give you enough, [sic!] ›reasonable doubt‹ to beat the case. The National
Highways Agency doesn't exist and the official crest on it is off a packet of Benson & Hedges.«
Shok1: »A chat with Banksy«. In: Big Daddy Magazine Ausgabe 7/2001.
http://banksyforum.proboards.com/index.cgi?board=banksybook&action=display&thread=45965#ixz
z1na5I7eGt (27.02.2012.).
16
33
Abbildung 3: »Graffiti Area, Day 15« (Ausschnitt aus Banksy 2005, S. 60)
Die »Designated Graffiti Areas« greifen in den öffentlichen Raum ein,
beschlagnahmen ihn, um Banksys ästhetisches Ideal, einer vor Farbe und
Botschaften
strotzender,
kreativen
Stadt
zu
verwirklichen,
in
der
das
Kommunikationsmonopol nicht bei einer ökonomisch potenten Elite liegt und die
Banksy folgendermaßen beschreibt:
Imagine a city where graffiti wasn't [sic!] illegal, a city where everybody
could draw whatever they liked. Where every street was awash with a million
colours and little phrases. Where standing at a bus stop was never boring. A
city that felt like a party where everyone was invited, not just the estate
agents and barons of big business. (Vgl. Banksy 2005, 97)
Dazu wurden die Codes offizieller Botschaften und Hinweistafeln ›entführt‹. Aus der
imitierten grafischen Anordnung, aus der charakteristischen Typografie und dem
autoritativen Stil der Botschaft erwächst der normative Charakter der Fälschung, die
kaum mehr als solche zu erkennen ist. Banksy kommentiert dazu ironisch die
problematische Autorität, die scheinbar nur aus der Erscheinungsform offizieller
Botschaften erwächst: »DON’T BELIEVE THE TYPE […] In fact it’s [sic!] been
said that more crimes are commited in the name of obedience than disobedience.«
(Banksy 2001, 25)
Die Imitation und der Einbezug offizieller Hinweistafeln in Kunstwerken ist ein
wiederkehrendes Motiv bei Banksy und zeigt das künstlerische Spiel mit dem
Erscheinungsbild der Stadt und den Imperativen und Verboten, die uns im Alltag
begegnen, die die Ästhetik des urbanen Raumes bestimmen und denen wir
34
gezwungenermaßen ausgesetzt sind. Banksys selbst-autorisierten (und darüber
hinaus andere autorisierenden) Aktionen hinterfragen die Legitimität der
geschilderten Zeichenhegemonie und greifen gleichzeitig ihre Ausschließlichkeit
sowie ihre vermeintliche Alternativlosigkeit an. Sein Angriff richtet sich verstärkt
gegen eben diese Kondensierungen der Macht im öffentlichen Raum und ihrer
kolonialistischen Funktionsweise. Besonders explizit wird der Angriff auf Werbung
in einer anderen Formulierung der »Designated Graffiti Areas«, in der er die
Anbringung von Werbung ausdrücklich verbietet:
Abbildung 4: »Post no bills« (Ausschnitt aus: Banksy 2005, 63)
Seinen Angriff auf die Kommodifizierung des öffentlichen Raumes und die
Rechtfertigung Werbung zu zerstören, zu entstellen und in ihr Gegenteil zu
verkehren, formuliert er in der Strategie des »brandalism«:
Any advertisement in public space that gives you no choice whether you see
it or not is yours. It belongs to you. It’s yours to take, re-arrange and re-use it.
Asking for permission is like asking to keep a rock someone just threw at
your head. (Banksy 2005, 196)
Auch hier steht die Selbstautorisierung im Vordergrund. Banksy kritisiert den
durchmachteten öffentlichen Raum und weist die Legitimierungsstrategien des
Öffentlichen zurück. Der beschriebene Widerstand basiert in diesen Aktionen
vordergründig auf der medialen Beschaffenheit, auf dem ›Ausstellungsort‹ der
Kunstwerke, die den öffentlichen Raum als Kommunikationsmedium erobern und
35
nutzen, um potentiell einen alternativen Gegen-Diskurs zu befördern, der wie gezeigt
wurde, nicht unmittelbar von der Kulturindustrie vereinnahmbar ist.
Allerdings ist Zweifel an jener einflussreichen Formel angebracht, nach welcher
alleine die illegale Anbringung der Graffiti, unabhängig von Inhalt und Intention der
Autoren
bereits
als
Raumaneignung
und
tätige
Infragestellung
von
Machtverhältnissen anzusehen sei. Jens Kastner kritisiert explizit diese Annahme, die
von Baudrillard ausgehend bis zur zeitgenössischen Subkulturforschung (Kastner
zitiert hierzu Baeumer und García Canclini; vgl. Kastner 2012b, 38) relativ breite
Akzeptanz genießt. Damit ein Wandbild tatsächlich einen neuen Raum für politische
Anliegen eröffnet, bedarf es einiger zusätzlicher ästhetischer Merkmale, denn nicht
jedes Graffito ist per se als subversiver Akt anzusehen. Die Beispiele von aus dieser
Hinsicht
›unwirksamen‹
Graffiti
reichen
schließlich
vom
konservativen
(mexikanischen) Muralismus, der (heute) eine ebenso systemerhaltende Rolle
einnimmt, wie die Praxis des Guerilla-Marketing, bei dem die Formensprache und
Technik der Street Art zu Werbezwecken verwendet wird, über unzählige Akte
simpler Zerstörungslust, die die eingangs aufgestellten Kriterien der Subversion nicht
erfüllen. Auch der von Baudrillard euphorisch beschriebene Einfall der »leeren
Signifikanten« der Graffiti in die Herrschaftsverhältnisse reproduzierende Matrix des
öffentlichen Raumes, war eigentlich nur für einen kurzen Moment ein politischer
Aufschrei um Mitbestimmung, ehe er zu einem subkulturellen Wettstreit nach
Anerkennung und symbolischem Kapital zwischen Akteuren der Graffiti-Bewegung
wurde17.
Will man also das subversive Potential der Street Art untersuchen, kommt man auch
nicht um die inhaltlichen Bezugspunkte der postmodernen Kunstform herum, in
denen sich einerseits Parallelen und Gemeinsamkeiten zu ähnlichen sozialen
Bewegungen widerspiegeln und in denen sich die eingangs angeführten
»mikropolitischen Overlaps«, die kleinen Feldüberschreitungen zum Politischen
verwirklichen können.
17
Hans Christian Psaar bemerkt dazu: »Baudrillard beschreibt Tags als leere Signifikanten, die auf
keine Inhaltsebene mehr verweisen. Die reale Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat in diesem Fall
aber leider die Hoffnungen nicht ganz erfüllt. Graffiti ist selbst zum Zeichensystem geworden, wo
jedes Tag sich auf ein vorher gesetztes bezieht; wo das Tag den Namen der Crew repräsentiert; wo es
beim Taggen um Statuskämpfe innerhalb der Graffitiszene geht.« (Psaar 2007)
36
3. Semiologische Guerilla
Im Wandel der kryptischen Graffiti (deren inhaltliche Ebene eher sekundär oder gar
Gegenstand einer Negation wurde) zu den bildlich geprägten Objekten der Street Art
ist auch ein Wandel des Wissensdiskurses enthalten. Bemerkenswert ist in diesem
Zusammenhang die immer größer werdende Dominanz bildlicher Medien im
öffentlichen Diskurs, die unter anderem von Susan Sontag theoretisiert wurde. Der
sogenannte ›Iconic Turn‹ umschreibt die neue gesellschaftskonstituierende Macht
von Bildern, die sich etwa in den Werbesujets von Konzernen, aber auch prominent
in Gegendiskursen wie der Street Art niederschlägt. Im Zusammenspiel mit den
gewandelten
Medien,
gewissermaßen
der
Syntax
der
sozialen
Gesellschaftsreproduktion, hat sich, wie wir sehen werden, auch die Semantik der
Botschaften beachtlich verändert, parallel dazu vollzogen sich auch in den hier
untersuchten Kunstformen kleine Revolutionen, die symptomatisch für den Wandel
des gesamten öffentlichen Diskurses stehen. Daraus ergeben sich neue Formen und
Funktionsweisen der Kritik, deren Analyse der Kernpunkt des bevorstehenden
Abschnitts sein wird.
3.1.
›Iconic Turn‹ ‒ neue gesellschaftskonstituierende Macht der
Bilder
Vorstellungen von Geschichte, zurückliegenden Ereignissen werden seit dem 20. Jht.
zunehmend von visuellen Medien geprägt, parallel zur Entwicklung des bebilderten
Journalismus, zur flächendeckenden Verbreitung des Fernsehers und des
internetfähigen
PCs,
bildete
sich
eine
neue
Qualität
des
kollektiven
Bildgedächtnisses heraus, das zentral unseren Eindruck von vergangenen
Geschehnissen prägt. Der Journalismus, mit all seinen Interdependenzen und
Verstrickungen, dient hierbei als Hauptproduzent diskursbestimmender Ikonen,
definiert damit maßgeblich Vorstellungen von Geschichte und ist einer der
mächtigsten Autoren kollektiver Narrative. Er re-aktualisiert durch fortwährende
Berichterstattung die Einheit der Gesellschaft und schreibt durch die dadurch
gewährleistete laufende »Synchronisation der Weltgesellschaft« (Blöbaum 1994,
259) das soziale Verhältnis immerwährend neu (vgl. Grittmann/Ammann 2008).
Dabei kommt insbesondere der Fotografie kraft ihrer indexikalischen Qualität eine
beglaubigende, beweisende Funktion zu. Neben dieser synchronen Funktion der
Selbstvergegenwärtigung
und
Aktualisierung
Journalismus auch eine wichtige diachrone Rolle:
37
der
Gesellschaft,
erfüllt
der
Der Journalismus koordiniert […] nicht nur die Gegenwart und stellt somit
Gleichzeitigkeit her, sondern ermöglicht auch die Ausdehnung der Zeit.
Indem er vergangene Themen sammelt, selektiert und sie der Umwelt als
Diskussionsangebote zur Verfügung stellt, ermöglicht er Kontinuität und
Vergegenwärtigung der Vergangenheit. (Grittmann/Ammann 2008, 302)
Es sind vor allem sogenannte ikonisierte Bilder, die einerseits aufgrund von
ästhetischen und kompositionellen Kriterien und einer gewissen Referentialität
(Bezug zu gemeinsamen Mythen, Narrativen und geschichtlicher Ikonografie)
wichtige Ereignisse besonders gut verdichten können und andererseits einen fest
umrissenen
Reproduktions-
und
Kanonisierungsprozess
durchlaufen.
Kommunikationswissenschaftler Reinhold Viehoff zufolge ist dazu ein bestimmter
kultureller Verbrauch vonnöten, ein mehrschichtiger Kreislauf aus vielfacher
Reproduktion, sekundärer Inszenierung in Kunst, Verwertung und Verbreitung in
Konsumgesellschaft und Alltagskultur (vgl. Viehoff 2005, 117). Damit werden
Ikonen zu bestimmenden Ankern und Orientierungspunkten kollektiver Erinnerung,
erlangen einen performativen und gesellschaftskonstitutiven Charakter und bilden
gemeinsam das kollektive Gedächtnis, dessen konstruierte Qualität Susan Sontag
betont:
Was man als kollektives Gedächtnis bezeichnet, ist kein Erinnern, sondern
ein Sicheinigen – darauf, dass dieses wichtig sei, dass sich eine Geschichte so
und nicht anders zugetragen habe, mit den Bildern, mit deren Hilfe die
Geschichte in unseren Köpfen befestigt wird. (Sontag 2010, 100)
Anhand der ausgestrahlten, omnipräsenten Bilder untermauert sich also eine
Herrschaftsordnung, verankert die bindenden großen Erzählungen, die als
grundlegende Identifikationsfaktoren fungieren, in den Köpfen und schreibt sich mit
jeder weiteren Veröffentlichung, jeder weiteren Reproduktion, fort. Sie sind
elementare Bestandteile der sozialen Identität und wirken gemäß Foucaults Konzept
der Bio-Macht direkt auf die Menschen in ihrer Subjektivierung ein.
Ex negativo definieren sie damit auch jenen Bereich der Geschichte, den eine
Gesellschaft als nicht relevant qualifizieren will – das »kollektiv Verdrängte«. Die
Selektion von Fotos bestimmt den Diskurs unserer (Zeit-) Geschichte und findet im
Zeitalter der ›Mediendemokratie‹ täglich realpolitischen Niederschlag. Der große
38
Anteil, der suggestiven Bildern bei der Rechtfertigung von Kriegseinsätzen, bei der
Herstellung von Stimmungen, in der strategischen Lenkung des öffentlichen
Meinung zukommt, ist längst im wissenschaftlichen Diskurs angekommen, so ist
etwa der große Einfluss der Kriegsfotografie seit dem Aufkommen des ›embedded
journalism‹ im Vietnamkrieg ein Allgemeinplatz, auch die Instrumentalisierung von
Bildern während der Balkankriege der 1990er Jahre ist medienwissenschaftlich und
in der Friedensforschung ausführlich dokumentiert (vgl. Becker/Beham 2008;
Merlino 1993). Doch auch wo die performative Kraft von Bildern nicht so
offensichtlich und unmittelbar auf die Gesellschaft und ihre Entscheidungsträger
wirkt, ist die subtile konstitutive Macht der Bilder ungebrochen: »Photographs have
an insuperable power to determine what we recall of events«. (Sontag 2004)
Die affektive Macht der Bilder macht diese zum paradigmatischen Zeichen unserer
Zeit und zum besonders wirkungsvollen, zu hinterfragenden Träger des Mythos, der
beständig den gesellschaftlichen status quo perpetuiert und konservierend
Machtkonstellationen einzementiert. Die Signifikate auf welche die Bilder verweisen,
werden gemäß der Funktionsweise des Mythos (vgl. Barthes 1964) ihrer Geschichte
entkleidet und nach einem Zyklus hochfrequentierter Wiederholung, Verbreitung und
öffentlicher Präsenz bleibt als Bedeutetes nur eines über: die Allgegenwart der
immergleichen Bilder, die für die Rezipienten die konstituierende Zugehörigkeit zu
einer Bildkultur (Bedeutung) stiften. Der Reproduktionsdrang der Medienindustrie
führt trotz der radikalen Potenzierung der Bildproduzenten und der begleitenden
Hoffnung auf Demokratisierung, zur Homogenisierung unseres kollektiven
Bildinventars. Der angebissene Apfel des Apple Logos, das Konterfrei Barack
Obamas oder Homer Simpsons, die stilisierte Guy Fawkes Maske der Anonymous
Bewegung, Pop-Stars und Supermodels auf Titelseiten von Hochglanz-Magazinen –
sie alle verschweißen Menschen letztlich zu einer gemeinsamen Bildkultur, geeint
durch die persistente Rezeption dieser omnipräsenten Bilder (die Bio-Macht des
Empire wirkt in keinem Bereich so greifbar und offenkundig, wie im Effekt
propagierter, allgegenwärtiger Schönheitsideale auf die Selbstwahrnehmung von
Individuen. Die normierende Relevanz von Werbung und Massenmedien manipuliert
letztlich direkt »Köpfe und Körper« der Subjekte – vgl. Hardt/Negri 2002).
Seit den 1990er Jahren sieht man in der von Susan Sontag proklamierten
»unüberwindbaren Macht der Fotografien« über die Erinnerung einen Indikator für
39
einen kulturellen Paradigmenwechsel: Als ›Iconic Turn‹, als Wende zum Bild wurde
im wissenschaftlichen Diskurs die zunehmende Dominanz visueller Medien und die
massenmediale Verbreitung von Bildern in öffentlicher Zirkulation bezeichnet und
kontroversiell diskutiert. Die Vorherrschaft des bildlichen Ausdrucks in der
Öffentlichkeit gegenüber der jahrhundertealten Dominanz der schriftlichen
Expression verstärkt sich in den letzten Jahrzehnten zusehends, im Spiegel der
›Piktorialen Revolution‹ der Medienkultur, wandeln sich natürlich auch künstlerische
Artikulationen und Formen des Widerstands.
3.2.
Street Art als Semiologische Guerilla
Die Subkultur des Graffiti und die daraus entwickelte Street Art kann man als Teile
einer
übergreifenden,
sozialen
Bewegung
betrachten,
die
durch
Bewusstseinsprozesse eine Änderung herbeiführen kann. Aufbauend auf der frühen
Punkbewegung, den Dadaisten, der Situationistischen Internationale, den Hippies,
Yuppies, Beatniks, Avantgardisten und Surrealisten und zuletzt den Culture Jammern
stehen
die
behandelten
Kunstformen
in
der
Tradition
einflussreicher
grenzüberschreitender Kunstbewegungen, deren Praxis eben durch punktuelle
Overlaps auf das Feld der Politik wirken kann.
Die semiologische, inhaltliche Dimension dieses symbolischen Kampfes der Zeichen
wurde unter anderem in Umberto Ecos und Guy Debords Werken theoretisiert. Ecos
Forderung nach einer »Semiologischen Guerilla« kam 1967, im Rahmen eines
gleichnamigen Vortrags zur Geltung und fußt auf einer Kritik der weitgehenden
Macht der Massenmedien. Er pocht auf die Notwendigkeit eines unabhängigen
Gegendiskurses, der als Kontrollinstrument die massenmediale Vorherrschaft
eindämmen soll. Gleichzeitig macht er allerdings auf die Gefahren des
»Reformismus« aufmerksam: Trotz seiner vehementen Kritik an der postmodernen
Erstarrung und Resignation angesichts der scheinbaren Ausweglosigkeit des sozialen
Verhältnisses, räumt er ein, dass in vielen Domänen eine Vielzahl kleinerer
Kurskorrekturen lediglich Widersprüche mildern und dadurch eine Entladung des
Unbehagens für lange Zeit verhindern können, ein Umstand der auch als
problematischer Reformismus im marxistischen Gedankengebäude behandelt wird.
Doch sieht Eco im Kontext kultureller Entwicklungen andere Gesetzmäßigkeiten
wirken:
40
Im Bereich der Kultur gibt es keine reformistische Erstarrung; es gibt hier nur
Prozesse zunehmender Bewusstwerdung, die, wenn sie einmal ausgelöst sind,
nicht mehr von dem, der sie ausgelöst hat kontrollierbar sind. Daher die
Dringlichkeit aktiver Eingriffe auf dem Gebiet der Massenkommunikation.
(Eco 1984, 50)
Der Aspekt des Bewusstseins scheint an dieser Stelle besonders interessant: Wo
könnte eine Bewegung effektiver die unüberwindbar anmutenden Missstände
aufzeigen und bekämpfen, als am Ort ihrer Entfaltung? Die Bio-Macht des
herrschenden
Machtparadigmas
wirkt
laut
Foucault
(und
Negri)
in
der
Subjektivierung eines jeden Individuums, es ist daher naheliegend ihr auf dem
primären Gebiet ihrer Vermittlung (den Massenmedien und dem öffentlichen Raum)
entgegenzutreten und auf ein deterritorialisiertes und dezentrales Ordnungsschema
mit einer ebenso dezentralen und nichtlokalisierbaren Gegenbewegung zu antworten.
In seiner Hoffnung auf bewusstseinsbildende Intervention will Eco das einseitige,
»diktatorische« Verhältnis der Massenkommunikation aufbrechen. Die Leugnung der
Möglichkeit
der
Einflussnahme
sieht
er
als
das
Ergebnis
verwerflicher
Mystifikationen, denen sich viel zu viele poststrukturalistische Intellektuelle unter
dem Eindruck eines falschen Totalitätsglaubens beugen, indem sie sich dem Diskurs
verweigern oder passiv verhalten (vgl. Eco 1984, 49f.). Im Gegensatz zur
allgemeinen Schockstarre der postmodernen Depression plädiert er für Aktionismus
und betont die Dringlichkeit bewusstseinsbildender Handlungen.
Methodisch setzt die Bewegung des Culture Jamming, die in den 1990er Jahren in
Erscheinung trat, die Forderungen Ecos um. Durch Interventionen in den Alltag
durchbrechen die Medien-Aktivisten eingefahrene Wahrnehmungsmuster, decken die
fraglichen Subtexte von Werbebotschaften und ihre sinnentleerte Tautologie auf (die
keiner Rückkopplung auf einen reellen Signifikaten mehr standhalten würde – vgl.
das Konzept der Hyperrealität bei Baudrillard 1978, 83ff.). Durch die Manipulation
ihrer Sujets kehren sie ihre Motive gegen ihre ursprüngliche Intention und zeigen
ihrerseits die manipulativen Effekte der Marketing-Strategien auf. Sie entlarven das
Monopol der Medienkonzerne und das Beschlagnahmen jeden Lebensbereichs durch
die Spektakelwirtschaft, durch Akte des zivilen Ungehorsams, durch Ausbrüche aus
erwarteten Handlungsweisen, das Übertreten von Grenzen und durch das Umdeuten
der omnipräsenten Zeichen der Kontrollgesellschaft. Bei den Aktionen der
41
Kommunikationsguerilla handelt es sich also um eine künstlerische Strategie zur
Subversion
von
Kommunikationsstrukturen.
Ihre
Techniken
beinhalten
Verfremdung, Collage, Überidentifikation, sowie die Entwendung, Umdeutung und
das sogenannte »Kidnappen« von Zeichen – Strategien die sich auch auf Guy
Debords Praxis der Détournements berufen (vgl. Debord 1996). In diesem Vorgang
des »Kidnapping« wird die vereinnahmende, koloniale Funktionsweise des
barthesschen Mythos offengelegt und gegen ihn gewandt: Das entführen von Zeichen
und deren Dienstbarmachung im Namen eines übergestülpten Bedeuteten ist der
modus
operandi
der
Akteure
der
Werbeindustrie,
der
die
allgemeine
Kommodifizierung erst ermöglicht. In der Aneignung dieser Funktionsweise liegt
aber auch eine Chance wie Roland Barthes selbst formuliert: »Ist die beste
Subversion nicht die, Codes zu entstellen, statt sie zu zerstören?« (Barthes 1980,
141)
In der Umdeutung der omnipräsenten Codes der Konsumgesellschaft und der
Herrschaftszeichen der ökonomischen Eliten, die sich über die Massenmedien
artikulieren und in deren Präsenz sich ihre Macht gleichzeitig ausdrückt und herstellt,
wirken die Aktivisten des Culture Jamming am (Nicht-)Ort der Machtausübung – in
den Köpfen der Individuen. Sie stellen die weitverbreiteten suggestiven und
mythisch vereinnahmten Bilder in Frage, deren übergeordnetes Bedeutendes stets die
Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung ist, platzieren sie in anderen Kontexten,
unterminieren und entlarven damit ihre Funktion dauerhaft, wodurch sie unter
Umständen Jens Kastners vorgestellter Subversions-Definition gerecht werden
können. Die Rückeroberung von Kommunikationskanälen und des öffentlichen
Raumes, die Kritik an Kulturindustrie und an der Kommerzialisierung jedes
Lebensbereiches, die unsere Lebensrealität zu einem »Spektakel« (Vgl. Debord
1999) macht und die Kreativität und Selbstbestimmung der Menschen in starre
Schemata zwängt – das sind einige Ziele des Culture Jamming, wie sie Lasn, in
Anlehnung an Debord, Barthes, McLuhan und Eco ausführlich beschreibt. Es geht
nicht um eine neue Gesellschaftsordnung, oder einen revolutionären Umsturz,
sondern primär um die Schaffung eines Problembewusstseins, einer neu entfachten
Skepsis und um einen Ausbruch aus dem lähmenden, defätistischen Zynismus, in
dem Unzufriedene sich angesichts ihrer empfundenen Machtlosigkeit gefangen
wähnen (vgl. Lasn 1999).
42
Während sich etwa die Medienguerilla, auf das Unterwandern und Nutzbarmachen
massenmedialer Kanäle konzentriert und dieses Ziel durch die Produktion von (oft
absichtsvoll übergangenen) Dokumentarfilmen, Anti-Werbung, dem Aufbau
alternativer Medien-Netzwerke und Gegendiskurse verfolgt (vgl. Lasn 1999), richten
sich die hier behandelten Kunstformen Street Art und Graffiti auf den öffentlichen
Raum, der ihnen als Medium, ›Kampfzone‹ und Zielpunkt dient.
Was mit den amerikanischen Graffiti-Writern als Territorialkampf und als scheinbar
»zeichenlose Invasion des öffentlichen Raumes« begann, wurde mit der Entwicklung
der gestalterischen Mittel und unter dem Eindruck verschiedenster Einflüsse und
Umweltfaktoren zu einer irritierenden Kunstform, die mit ihren Anliegen reflektiert
umgeht und im Sinne des Culture Jamming auch ein geändertes Bewusstsein, neue
Subjektivierungsweisen transportieren will.
Die New Yorker Graffiti Bewegung kam schon bald nach ihrem Aufkommen und im
Zuge ihrer ästhetischen Entfaltung mit vielfältigen Einflüssen und Interessen in
Berührung, Interaktionen mit den Sphären des Kunstmarktes, der Werbeindustrie,
der akademischen Kunstwissenschaft, der Szenekultur kamen zustande und
befruchteten die junge Subkultur in vielerlei Hinsicht. Schon in den 1980er Jahren
konnte man auf einen großen Formenreichtum und eine beachtliche Chronologie der
Stilrichtungen zurückblicken, die Quellen der vielgestaltigen Bilderwelten waren
polymorph und reichten von der eigenen komplexen Typografie bis zu Sujets aus
Comics und popkulturellen Referenzen. Auch die Anlehnung an die Reklame, mit
der man im öffentlichen Raum konkurrierte setzte wichtige Impulse, der direkte
Bezug zur Straße und damit zum ›Ausstellungsort‹ der urbanen Kunst führte, so
scheint es, zwangsläufig zu einer Auseinandersetzung mit der Ästhetik und Politik
des öffentlichen Raumes: zur Frage nach der Gestaltungshoheit und dem sozialen
Verhältnis.
Im schleichenden Übergang zum bildlichen Ausdruck spiegelt sich in der urbanen
Kunst der Wandel des öffentlichen Diskurses von der Schrift- zur Bildkultur. Der
kryptischen Geheimsprache des Graffiti, die vordergründig an Akteure einer
hermetischen Subkultur gerichtet ist, folgt die tendenziell bildliche Street Art, die
sich in ihrer picturalen Lingua franca an eine Öffentlichkeit wendet und so eine
»Politisierung der Ästhetik« vorantreibt.
43
Die formellen und inhaltlichen Anleihen sind programmatisch, so deutet die Tendenz
zur Verwendung von Schablonen in der Street Art, auf den Drang zu einer größeren
Lesbarkeit und das Verfolgen einer bestimmten Ästhetik hin; explizit bezieht sie sich
außerdem auf die Form und den normativen Charakter offizieller Zeichen im urbanen
Raum und den künstlichen Phänotyp gedruckter Reklame (vgl. Teil 2.3 dieser
Arbeit). Die Erscheinungsform der stencils leitet sich genetisch von funktionalen
Schablonierungen ab, die zu ökonomischen Zwecken, etwa zur Beschriftung von
Kisten oder offiziellen Botschaften erfunden worden waren. So sind viele der
schriftlichen stencils an die Schriftart »Tea Chest« angelehnt, die 1936 zur
Beschriftung von
Teekisten
erfunden
wurde;
ein
weiterer
typografischer
Bezugspunkt ist die am Bauhaus entwickelte Kombinationsschrift Josef Albers‘ (vgl.
Blanché 2010, 30f.).
Der Einfluss der Pop-Art und des Fluxus sind im Nachfolger des Graffiti – der Street
Art – maßgebend. Einerseits in der Betonung der hintergründigen Banalität der
Alltagsgegenstände, der Auseinandersetzung mit der Tautologie der Werbung und
dem zentralen Aspekt der Serialität, andererseits in der Negierung des Kunstwerks
als bürgerlichen Fetisch, im ephemeren und ereignishaften Charakter, der auch in
ihrer Ästhetik an diese kanonisierten modernen Künste gemahnenden Street Art. In
Anlehnung an die Performances und Aktionen der Fluxus-Bewegung, sind die im
urbanen Raum ausgestellten Objekte als vergängliche Beiträge in einem interaktiven
Medium konzipiert. Temporalität, Interaktion, Rezeption und Umwelt werden als
relevante Teile des Kunstwerks angesehen, dessen unabgeschlossene Gestalt
ständigem Wandel ausgesetzt ist. Lebensgroße Figuren, in Großbuchstaben
prangende Befehle und aufwändige Kampagnen mit großer Verbreitung und Dichte
sind auch darauf ausgerichtet, ihrem Publikum im Alltag entgegenzutreten, mit ihm
zu interagieren und treiben darüber hinaus die Rückeroberung der besetzten und von
Reklame und offiziellen Botschaften eingenommenen öffentlichen Räume voran.
Auch durch das Evozieren des »kollektiv Verdrängten«, wie wir es bereits kurz
eingeführt hatten (dazu mehr in Teil 3.3 dieser Arbeit), kann Street Art ein
verändertes Bewusstsein, eine neue Wahrnehmung befördern. Parallel zur Pop Art,
die unter anderem durch das Ausstellen von isolierten Alltagsgegenständen in
Museen
die
Banalität
von
Konsumgütern
44
thematisierte
und
gleichzeitig
gewissermaßen den Eintritt der ›Realität in die Kunst‹18zelebrierte, wird auch in der
Street Art die selbe zentrale Entgrenzung virulent: Der Einzug der ›Kunst in die
Realität‹, seine Verankerung im Alltag, wie sie schon von zahlreichen Bewegungen
vor den genannten vorbereitet und eingeleitet wurde, erlangt im Zeitalter der
Hyperrealität eine neue Bedeutung. So gilt es etwa die Bilder, die im Rahmen von
Nachrichtensendungen regelmäßig flächendeckend konsumiert werden in einen
anderen
Rezeptionszusammenhang
zu
versetzen,
wo
sie
mit
anderen
Erwartungshaltungen kollidieren und unvermittelt auf ihr Publikum einwirken
können.
3.3.
Insurrektion und das kollektive Unbewusste
Dabei gilt es die Funktionsweise dieser Interventionen zu untersuchen, eine wichtige
Spezifikation betrifft dabei die inhaltliche Ebene der Street Art Kunstwerke. So
macht der Soziologe Hans Christian Psaar Kriterien gegen die politische
»Parolisierung«
der
Kunst,
also
gegen
die
eindeutige
ideologische
Instrumentalisierung letzterer stark, die auf die Autonomie und Nicht-Festlegbarkeit
von Kunstwerken abzielen (vgl. Psaar 2007). Dabei kritisiert er auch und
insbesondere Werke von Street Artists und Culture Jammern, deren Botschaften
platt, aufgesetzt, demagogisch und plakativ sind, indem er ihren Schöpfern letztlich
denselben Vorwurf macht, wie Walter Benjamin seinen Zeitgenossen: die
Politisierung der Kunst, ihre Instrumentalisierung zu Propaganda. Darin stimmt er
mit Jens Kastner (und Gerald Raunig, dessen Kritik an der Ästhetisierung der Politik
bereits ausführlich dargelegt wurde) überein, für den gerade die hybride Stellung von
Street Art zwischen Alltag und Nicht-Alltäglichem entscheidend für ihr Gelingen ist.
Das Blockieren einer direkten, unmittelbaren Funktionalisierung zu politischer
Parole oder zum vorgeblich zweckfreien Kunstobjekt (dessen Fetischisierung und
Warenwerdung vorgezeichnet ist) löst Irritation aus. Diese Uneindeutigkeit
ermöglicht das, was Kastner in Anlehnung an Antonio Negri als das mögliche
Eingliedern in einen »insurrektionalen Blitz« bezeichnet und als wichtige Praxis
sozialer Kämpfe ausweist.19
18
Unter anderem in Abgrenzung von der betont intellektuellen und idealistischen abstrakten Kunst,
wendete sich die Pop Art dem Trivialen zu.
19
In Abgrenzung zu einem problematischen und Kastner zufolge gescheiterten Revolutionsmodell,
das auf Staatsübernahmen abzielt, etabliert Antonio Negri ein dreistufiges Modell gesellschaftlicher
45
Das plötzliche Aufflackern einer Plausibilität […], das momenthafte Aufbrechen
zu einer zugleich alltäglichen und nicht alltäglichen Praxis […], das spontane
Durchkreuzen eingeschliffener Gewohnheiten (wie die aktive Gestaltung von
Medien, statt des Konsums ihrer Sendungen), solche alltäglichen und doch den
Alltag durchbrechenden Praktiken können durch Kunstpraktiken reflektiert
und/oder methodisch vorweggenommen werden. (Kastner 2012b, 48)
Demnach
können
solche
momenthaften
»Insurrektionen«
Potential
für
Veränderungen aufzeigen und dazu beitragen, für einen Augenblick die
eingeschliffenen Muster zu durchbrechen und eine politische Wahrnehmung des
Alltags zu befördern. Als Medien einer solchen ›aufflackernden Erkenntnis‹ klinken
sich die Werke der Street Artists in die dargelegte symbolische Arbeit an eben jenen
Denk- und Wahrnehmungsmustern ein, die unseren Denk- und Sichtweisen
vorgelagert sind. Diese grundlegenden, unhinterfragten Episteme, die gewissermaßen
den Raum des Denk- und Sagbaren vordefinieren, beschreibt Pierre Bourdieu in
seiner Konzeption der doxa, deren »verhüllte Willkür« (Bourdieu 2001, 241)
aufgezeigt und durchbrochen werden muss.20 Es geht laut Jens Kastner um »den
theoretisch so bedeutsamen Augenblick, […] in dem für einen Moment der
symbolischen Gewalt, die eine/n zum unhinterfragten Akzeptieren des Bestehenden
zwingt, widerstanden werden kann« (Kastner 2012a, 106). In diesen Kampf um das
kollektive Unbewusste können sich also Kunstwerke der Street Art einspeisen, indem
sie ihrem Publikum im Alltag entgegentreten und über Symbole und Referenzen eine
Wieder-Aneignung des politischen Feldes vornehmen. Kastner bringt die potentielle
Wirksamkeit dieser insurrektionalen Blitze auf den Punkt:
Einerseits erfüllen sie damit die klassisch aufklärerischen Dienste des
Aufdeckens und Anprangerns. Als symbolische Formen erreichen sie dabei
andererseits Ebenen, die von vornehmlich auf ambivalenzfreie Inhalte
zielendem, herkömmlichem politischen Aktivismus seltener berührt werden.
(Kastner 2012b, 55)
Emanzipationspraxen, das aus Widerstand, Aufstand/Insurrektion und konstituierender Macht besteht
(vgl. dazu Birkner/Foltin 2006, 180ff; Kastner 2005, 40ff).
20
Im Gegensatz zum öffentlichen bürokratischen System der Staatsapparate umfasst das Politische bei
Bourdieu eben auch das verborgene weite Feld der inkorporierten Regeln, deren wir uns nicht bewusst
sind.
46
Exemplarisch
für
eine
solche
Auseinandersetzung
mit
den
impliziten,
unausgesprochenen Regeln des Alltags und darüber hinaus eine Wieder-Aneignung
des Politischen ist eine Kampagne Shepard Faireys, der als einer der
einflussreichsten wegbereitenden Aktivisten und Künstler der Street Art Szene gilt.
Seine berühmt gewordene Aktion »OBEY GIANT« bezeichnet der Künstler in
seinem 1990 verfassten Manifesto als »phänomenologisches Experiment«, in dem
der Künstler alltägliche Begebenheiten, (und damit die eingeschriebenen Regeln der
doxa) die von Menschen üblicherweise nicht wahrgenommen werden, obwohl sie
unmittelbar vor ihren Augen stattfinden, anhand von verfremdenden Effekten in aller
Deutlichkeit in Erscheinung treten lässt. Kernpunkt seiner Aktion war die
massenhafte Reproduktion des stilisierten Portraits eines Ringers und dessen
Verteilung in Form von Vinyl-Aufklebern und Plakaten. Das dumpfe Konterfrei des
Profiwrestlers wurde mit dem redundanten Befehl zu gehorchen versehen und erfuhr
eine beachtliche Verbreitung und öffentliche Präsenz in Rhode Island, ehe sich die
Aktion zu einer weltweiten Kampagne auswuchs.
Abbildung 5: »OBEY GIANT« (Shepard Fairey, URL:
http://obeygiant.com/prints/griny-obey; [02.03.2012])
Aus dem Umfeld der Rhode Island School of Design und von der Skateboard-Szene
ausgehend breitete sich der fingierte Werbefeldzug aus und erregte viel
Aufmerksamkeit,
sein
Subtext
barg
eine
interessante,
reflektierte
Auseinandersetzung mit der Kulturindustrie, ein Spiel mit dem Aspekt der
technischen Reproduktion und eine ironische Konfrontation mit der in der
Öffentlichkeit omnipräsenten politischen Parole (insbesondere zum Anlass
47
verschiedener Wahlkämpfe), die in Gestalt von Wahlplakaten und Slogans den
öffentlichen Raum besetzt. Die unvermittelte plötzliche Omnipräsenz der
schematischen Abbildung des apathischen, dumpfen, immergleichen Gesichts, die
repetitive Wiederkehr des eingängigen Logos, entlarvt die Mechanismen
zeitgenössischer Publicity-Kampagnen und medialer Ubiquität. Sie interveniert auf
eben jenem Terrain, das üblicherweise auf ambivalenzfreie Inhalte abzielt und
ironisiert implizit die starren Regeln der repräsentativen Demokratie und das
Spektakel der Wahlen, das auch Colin Crouch kritisiert.
Die Parole »OBEY GIANT« erscheint als platter, tautologischer Befehl der
Unterordnung, die artikulierte Forderung nach Konformismus, Anerkennung der
Autorität und Gehorsam (»OBEY«) wird mit offensichtlicher Aussichtslosigkeit, der
Konfrontation mit einer Übermacht (»GIANT«) verbunden. Die Kombination
enttäuscht allerdings die Erwartungshaltung, die aus der Erscheinungsform
politischer Botschaften erwächst – ein positiver Ausblick oder ein Versprechen wird
dem Rezipienten ebenso verwehrt wie ein Überraschungsmoment oder eine Pointe.
Die Parole prangt wie die Wiederholung des Offensichtlichen im Stadtbild, eine
Überzeichnung, die durch das Portrait der trägen und schwerfälligen, doch keinen
Widerstand zulassenden Übermacht verstärkt wird.
Die Anspielung auf politische Publicity stellt ein kritisches Sinnangebot in den
Raum: »OBEY GIANT« führt die Funktionsweise postmoderner, repräsentativer
Demokratien ad absurdum und versetzt den Rezipienten in die Position des
aufdeckenden und enthüllenden Mythologen, wie sie Barthes beschrieb: Ausgehend
von einem erfüllten Bedeutenden (Werbung für einen politischen Bewerber), deckt er
die Deformation von Wahlplakaten auf, er entlarvt ihre Parolen als Alibi von
Mitbestimmung und Souveränität (vgl. Barthes 1964, 111; Crouch 2008). Im
schematischen, deutlich reduzierten Portrait spiegelt sich die Austauschbarkeit und
der schablonenhafte Charakter der Darsteller der politischen Inszenierung, der man
in der spektakelhaften Mediendemokratie ausgesetzt ist, und kann damit als
satirische Persiflage (vgl. Genette 1996) der Werbe- und Propagandaindustrie
verstanden werden. Die Plakate und Sticker der Kampagne überraschen den
Rezipienten, da dieser das ›beworbene Produkt‹ und seine Aussage nicht ad hoc
identifizieren kann:
48
Because people are not used to seeing advertisements or propaganda for
which the product or motive is not obvious, frequent and novel encounters
with the sticker provoke thought and possible frustration, nevertheless revitalizing the viewer’s perception and attention to detail. The sticker has no meaning but exists only to cause people to react, to contemplate and search for
meaning in the sticker. (vgl. Fairey 1990)
Die an Heidegger angelehnte Intention, ein »phänomenologisches Experiment« ins
Treffen zu führen, lässt sich in der Tat in der Anwendung Viktor Šklovskijs Theorie
der Verfremdung analysieren. In diesem Fall funktioniert Kunst tatsächlich als
Verfremdung alltäglicher Begriffe, durch die ein veränderter, reflektierter
Wahrnehmungsprozess angestoßen wird und an die Stelle der automatisierten
Sinnesverarbeitung des täglichen Lebens tritt. Dadurch wird ein neues Sehen
befördert, das den Dingen, mit denen man tagtäglich konfrontiert ist, die
Selbstverständlichkeit und Gewöhnlichkeit nimmt. Die ›Verfremdung‹ der
Alltagsrede und -bilder führt zu einer Befreiung von der Automatisierung, die all
unsere Angewohnheiten betrifft und im Bereich des Automatisch-Unbewussten
ablaufen lässt, insofern bedeutet sie ihrerseits eine Aneignungsbewegung: Durch das
Entrücken aus der Sphäre der unbewussten, reflexhaften Automatismen verlassen die
täglichen Sensationen unserer Umwelt das Terrain der vermeintlich unantastbaren
»Natürlichkeit« des Mythos, wie sie Barthes herausstellte, und gelangen in die
Einflusssphäre des Menschen (vgl. Šklovskij 1994). Faireys Kampagne trifft den
Rezipienten als »insurrektionaler Blitz« (vgl. Kastner 2012b), die unbewussten,
eingeschriebenen Regeln der inszenierten Wahlkämpfe werden aufgezeigt, treten
dem Publikum als unvermittelte Plausibilität entgegen und werden ad absurdum
geführt. Dies ist auch laut Bourdieu notwendig, »um sich der stummen Evidenz der
doxa zu entziehen und um die von ihr verhüllte Willkür auszusprechen und
anzuprangern« (Bourdieu 2001, 241), insofern eignet sich OBEY GIANT
hervorragend als Beispiel einer gelungenen Intervention, die sich in die
angesprochene symbolische Arbeit am kollektiven Unbewussten einklinkt.
In ihrer Strategie gleichen Mark Jenkins‘ Installationen im Straßenraum der Arbeit
Shepard Faireys. Seine lebensgroßen, täuschend echt wirkenden Figuren, die er aus
49
Klebeband anfertigt, stellen oft Menschen21 dar, die durch ihre realistische
Bekleidung zunächst mit dem Straßenbild verschmelzen und wie Passanten,
Mitmenschen, Verkehrsteilnehmer wirken. Die Figuren wirken lebhaft und
naturgetreu, was im Anblick ihrer aufsehenerregenden Positionierung oft heftige
Reaktionen hervorruft. Denn Jenkins platziert seine Modelle an Hausdächern, lässt
sie buchstäblich mit dem ›Kopf durch die Wand‹ laufen oder postiert sie als Bettler.
All diese Installationen regen dazu an, das Wundern über die Umwelt, insbesondere
an den Menschen, die sich im öffentlichen Raum bewegen, wiederzuerlangen. Vor
allem durch ihre starre Bewegungslosigkeit fallen auch die unauffälligeren Figuren
auf und können durch ihre regungslose Anwesenheit (die zu einem zweiten oder
dritten oft ungläubigen Blick anregt) an Menschen erinnern, die den öffentlichen
Raum nicht als Durchgangszone wahrnehmen (können) und an denen ständig
vorbeigelaufen
wird,
ohne
ihnen
Beachtung
zu
schenken.
Obdachlose,
Zeitungsverkäufer, »Leute von der Straße« sind Gegenstände des kollektiv
Verdrängten, davon zeugen nicht zuletzt Bettelverbote, Platzverweise und die
bewusste Ignoranz mit denen ihnen alltäglich begegnet wird. Die verfremdende, oft
auch ins Absurde und Surreale abgleitende Darstellung, die auch eine performative
Komponente hat, eine Situation herstellt und mit dem Publikum interagiert, befördert
also ganz klar eine politische Betrachtung und Hinterfragung des Alltags im Sinne
eines mikropolitischen Overlaps.
21
Auch exotische Tiere, wie Giraffen oder verfremdete Objekte, wie etwa Telefonhörer gehören zum
breit Aufgestellten Oeuvre des Künstlers aus Washington DC.
50
Abbildung 5: »Installation« (Mark Jenkins, Washington DC, URL:
http://www.xmarkjenkinsx.com/outside.html [29.05.2013])
Ähnliche Strategien werden auch von Robin Banksy verfolgt, dem anonymen Street
Artist aus Bristol, dessen Werke auf der ganzen Welt verstreut sind und der zu den
exponiertesten und einflussreichsten zeitgenössischen Künstlern überhaupt zählt. In
seinen stencils, Installationen und verwandten Interventionen werden häufig die
beschriebenen Strategien der Kommunikationsguerilla umgesetzt, und in besonders
ausdrucksstarken Objekten zitiert er ikonische Bilder aus dem visuellen Museum
unserer kollektiven Erinnerung (vgl. Sontag 2010).
Seine berühmten, entlarvenden Kommentare zu Überwachungskameras verfolgen
genau das Ziel, das Wundern über die Umwelt zu erwecken und auf die
omnipräsenten Organe der Kontrollgesellschaft aufmerksam zu machen. Die
spielerische Auseinandersetzung mit offiziellen Zeichen und Apparaten, beweist
nicht zuletzt ihre Unwirksamkeit, was die Erhöhung der Sicherheit und die
Bekämpfung von Kriminalität angeht, schließlich zeugen seine Kunstwerke und
provokanten Botschaften im unmittelbaren Sichtfeld der Kameras von der
Nutzlosigkeit letzterer, denn Banksy schafft es nun schon seit Jahrzehnten ungesühnt
und anonym illegale Graffitis anzubringen.
51
Abbildung 6: »One Nation Under CCTV« (Banksy, Ausschnitt aus Foto: Fiona
Hanson / PA, URL:
http://www.time.com/time/arts/article/0,8599,1854616,00.html?xid=rss-arts
[28.05.2013])
Offizielle Überwachungssysteme, die in unserer alltäglichen Wahrnehmung mit
unserer urbanen Umwelt verschmelzen und nicht auffallen, werden mit Zusätzen wie
Tierkörpern oder Figuren versehen, wodurch sie anders (bewusster) wahrgenommen
werden, zusätzlich werden Kontrollorgane explizit angesprochen, kritisiert oder
ironisch hinterfragt. Durch Objekte wie »One nation under CCTV« wird die
Aufmerksamkeit auf mehreren Bedeutungsebenen auf den Diskurs des öffentlichen
Raumes, der Herrschaftsverhältnisse und öffentlicher Kontrolle gerichtet: Durch das
schiere Erscheinen des sieben Meter hohen Graffitos, das durch die Nähe zu
Überwachungskameras eine Verbindung zu seiner Aussage herstellt, durch die
Nachricht und durch die farblich hervorgehobenen Figuren, die unter anderem die
Tatenlosigkeit und das zwiespältige Verhältnis der Öffentlichkeit (verkörpert durch
den Polizisten, der nichts anderes macht, wie einerseits die Überwachungsanlage und
andererseits das Publikum, das durch den Schriftzug angezogen wird: nämlich
fotografieren) zum Künstler widerspiegelt. Denn die verlangte rasche Entfernung des
Kunstwerks konnte wegen der unsicheren Besitzverhältnisse der Hausfassade nicht
52
ad hoc durchgeführt werden, und ist insbesondere aufgrund der Wertsteigerung,
welche die Wand durch die illegale Intervention erfahren hatte nun überhaupt
fraglich. Ironischerweise bringt gerade das Primat des ökonomischen Wertes die
Behörden, die den »Vandalenakt« ungeschehen machen wollen, in die Zwickmühle,
denn der Wertezuwachs der Immobilie, die Attraktivität des Standortes, der seit der
Platzierung des bisher größten Banksy-Graffitos viele Interessenten, Touristen und
Fotografen anzieht, verhindert als letztgültiges Argument die Entfernung des
Kunstwerks. So bleibt die großflächige, ironische Anklage des Londoner
Überwachungsnetzes in der Londoner Newman Street stehen und rückt die ansonsten
unauffälligen, doch omnipräsenten Instrumente der Kontrollgesellschaft in das
Zentrum der Aufmerksamkeit.
Auch andere Gegenstände des »kollektiv Verdrängten« werden von Banksy in der
öffentlichen Wahrnehmung re-aktualisiert und zur Diskussion gestellt. In einer
betriebsamen Londoner Geschäftsstraße, oder in Disneyland (in vielerlei Hinsicht
eine Hochburg der Spektakelgesellschaft und Ablenkungsindustrie schlechthin) hat
die Darstellung eines gefesselten, durch einen Stoffsack seiner Sicht beraubten
Guantanamo-Häftlings in Lebensgröße eine andere Wirkung, als in der gewohnten
medialen Berichterstattung. Auf der Mülltonne eines Burger King Restaurants weckt
das Abbild eines offensichtlich Hunger leidenden, afrikanischen Kindes natürlich
wesentlich andere Assoziationen, als in den Fernseh-Nachrichten, wo der
schockierende Anblick aufgrund seiner Wiederkehr redundant, beziehungslos, fern
und fremd erscheint.
53
Abbildung 7: »Angel, London 2005« (Ausschnitt aus: Banksy 2005, 111)
Der Rezipient sieht sich also einem »insurrektionalen Blitz« par excellence
ausgesetzt, eine verdrängte oder unbeachtete Plausibilität flackert durch Banksys
mikropolitische Intervention in seinem Alltag auf und schafft durch kunstfeldinterne
oder medienbezogene Assoziationen Verknüpfungen zu politischen Sachverhalten22.
Er befördert dadurch eine politische Wahrnehmung des Alltags, legt die
ungeschriebenen Gesetze und Mechanismen der doxa offen und kehrt durch die
Aktion, zu der er sich selbst autorisiert hat, zudem die Veränderbarkeit der uns
umgebenden Verhältnisse in den Vordergrund.
3.4.
Re-Branding: Umkodieren
Das als interaktiv wahrgenommene Medium der Straße gewährleistet darüber hinaus
eine bemerkenswerte Aktualität und eine intensive Auseinandersetzung mit der
direkten und situativen Umwelt des Werkes, was Street Art in die Nähe der ihr
verwandten Land Art rückt. Dies erlaubt etwa Banksy, die zeitgleich in London
stattfindenden Olympischen Spiele kritisch zu kommentieren, und zwar in
»Echtzeit«:
22
In Jens Kastners Diktion: »Implizite Bezüge, explizite Verknüpfungen« (Kastner 2012b, 45)
54
Abbildung 4: »Going For Mould« (Banksy,
http://www.banksy.co.uk/outdoors/images/pv12.jpg. [14.09.2012])
Die radikale Verankerung des Kunstwerkes im ›Hier und Jetzt‹ ist evident, die
Verbindung zum aktuellen Anlass (Olympische Spiele, London 2012) ergibt sich nur
aus der zeitlichen Nähe zu letzterem und seiner Omnipräsenz im öffentlichen
Diskurs23. Das Beispiel lässt sich mit einiger Berechtigung als »mikropolitischer
Overlap«, als »molekulare Intervention« beschreiben, wie sie Raunig im Interesse
revolutionärer Bestrebungen einfordert. Der Stacheldrahtzaun und die Matratze
werden in das Kunstwerk mit einbezogen, durch die Überschreitung seines
›Rahmens‹ überschreitet das Kunstwerk seinen hermetisch abgeschlossenen Raum
und tritt ein in das offene Feld, in die Sphäre der Interaktion. Dadurch ist das
Überschreiten des kunstimmanenten Kontextes im Kunstwerk selbst angelegt und
stellt laut Ulrich Blanché einen spielerischen Weg dar, sich die Umgebung
anzueignen (Blanché vergleicht Street Art in diesem Punkt mit Skateboarden und
Breakdancen, ihrerseits spielerische Wege den öffentlichen Raum zu nutzen und zu
reklamieren – vgl. Blanché 2012, 292).
23
Der Ort des Graffito ist zum aktuellen Zeitpunkt unbekannt, da die Entfernung des Objekts durch
öffentliche Organe, im Rahmen verstärkter Reinigungskampagnen, vor den Spielen drohte.
55
Das Motiv des Stabhochspringers erlangt durch den Kontext eine neue Bedeutung
und lässt viele Assoziationen und Interpretationen zu. So könnte zum Beispiel die
Landung auf der schmutzigen Matratze auf den olympischen Austragungsort in
Hackney anspielen, einem Bezirk im Nordosten Londons, das als Problemviertel gilt
und dessen Gentrifizierung allgemein ebenso kritisch beleuchtet wurde, wie das
Übergehen der ansässigen Bürger und das Verdrängen der lokalen Bevölkerung im
Rahmen des repräsentativen internationalen Großereignisses. Der Stacheldrahtzaun
ist ein sehr stark konnotiertes Symbol, das unter anderem Assoziationen zu
Unfreiheit,
Eingesperrtsein
und
Flüchtlingslagern
weckt
und
könnte
im
Zusammenhang mit dem dunkelhäutigen Athleten auf den dramatischen Hintergrund
und Einsatz verweisen, der etwa bei Sportlern aus Entwicklungsländern auf dem
Spiel steht. Er kann ebenso daran erinnern, dass das Überwinden von Hürden,
Zäunen oder Absperrungen abseits der mediatisierten und öffentlichkeitswirksamen
Spiele, vielerorts keineswegs spielerisch-sportlichen Charakter hat, sondern häufig
unter dem Einsatz des eigenen Lebens riskiert werden muss. Insofern lässt die
Montage der einzelnen Teile kritische Interpretationen zu, die subtile Gleichsetzung
eines olympischen Athleten mit Flüchtlingen, die Mauern und Zäune in Lampedusa
oder Melilla überwinden müssen24, stellt ein sehr zynisches Sinnangebot in den
Raum. Bei all den möglichen Assoziationen stellt das Kunstwerk nur ein
Diskussionsangebot, es ist dialogisch an den Zuschauer gerichtet, behält jedoch stets
seine wesenhafte Ambivalenz bei.
Anhand seiner formalen Beschaffenheit tritt das Werk dem Beobachter entgegen und
konfrontiert ihn unter Umständen unerwartet mit seiner, medial vermittelten,
ungetrübten
Perspektive
auf
die
Olympischen
Festspiele.
Durch
die
Kontextualisierung werden neue Zusammenhänge hergestellt und Assoziationen
geweckt, Bilder die uns vielleicht in Nachrichtensendungen alltäglich und gut
verdaulich
begegnen
und
an
weit
entfernten
Orten
außerhalb
unseres
Wirkungsbereichs verortet werden, treten in unseren Alltag und scheinen plötzlich
mit unserer Lebensweise, unserem Schicksal zusammenzuhängen. Die beschriebene
24
Die somalische Sprinterin und designierte Fahnenträgerin Samia Yusuf Omar, die acht Monate vor
den Spielen im Rahmen ihrer ›Anreise‹ nach London in einem Flüchtlingsboot kenterte und im Kanal
von Sizilien ertrank, verkörpert die Vereinigung dieser beiden Dimensionen in tragischer Weise. Ihr
Schicksal ging im ubiquitären Wettkampf um Medaillen, Marken- und Erfolgsnarrative allerdings
bezeichnenderweise unter (Vgl. hierzu etwa http://www.welt.de/sport/article108698291/21-jaehrigeFahnentraegerin-starb-bei-Olympia-Anreise.html).
56
Methode des »rebranding« oder des »adbusting« bedient sich der Marketingstrategie
des Entführens und kehrt sie gegen ihre ursprüngliche Intention.
Die Assoziation mit Stacheldrähten, Flüchtlingen und globalem Ungleichgewicht ist
wohl aus der Sicht der Organisatoren der Olympischen Spiele und deren
ökonomischen Dependenzen keine wünschenswerte Verbindung, die suggestive
Operation in der Aktivisten die Gegen-Mythen produzieren verläuft auf derselben
Ebene, auf der sonst Erfolgsnarrative und Ikonen den Mythos der Olympischen
Bewegung aufbauen. Jede der dekonstruierenden Interventionen verknüpft neue, in
diesem Fall kritische, Assoziationen mit dem gekidnappten Image der Olympischen
Bewegung, unter deren Flagge unter anderem die Ausweitung von Märkten, der
Ausbau von Kontrollapparaten, die exzessive Diffusion von Reklame, die
Zerstreuung der Menschen vorangetrieben wird.
Das Umkodieren zentraler identitätsstiftender Ikonen wirft im Zeitalter der
gesellschaftskonstituierenden Bilder und Medien konsequenterweise die Frage nach
dem gesamten sozialen Zusammenhang und Machtverhältnis auf, werden doch in
diesen zentralen Mythen wichtige Identifikationsmerkmale chiffriert, die jedes
Individuum in seiner Subjektivierung berühren. Dies gilt besonders für Marken,
große und mächtige Konzerne, die oft mehr als nur symbolisch für die Ausbreitung
eines Herrschaftsparadigmas stehen und wesentliche Instrumente einer kulturellen
Homogenisierung, Expansion und Kontrolle darstellen, wie sie im ersten Abschnitt
der Arbeit umrissen wurde. In der Tat sind Logos, Slogans, Produkte und
Maskottchen in gleichem Maße gesellschaftskonstituierende Einigungsapparate, wie
zu Ikonen geronnene Kriegsfotos und analoge Erzeugnisse des Journalismus. In ihrer
Präsenz
übertreffen
die
Werbesujets
sogar
die
Produkte
der
medialen
Berichterstattung, der Gebrauch und die Wahrnehmung derselben genormten
Kulturgüter ist der ›Kitt‹, der die globale Konsumgesellschaft zusammenfügt. Somit
ist ein Angriff auf die großen Konzerne und ihre Mythen zugleich ein Angriff auf das
Machtgefüge an deren Spitze sie stehen. Das Aufgreifen von derartigen ikonischen
Bildern
thematisiert
immer
auch
gesellschaftliche
Konstellationen
und
Identifikationsmechanismen.
3.5.
Autoreflexion und Paradoxie
Im folgenden Werk Banksys sind drei dieser Global Player vereint: Die Maskottchen
von Disney und McDonald’s sind die Protagonisten eines Bildes, dessen Titel einen
57
Werbeslogan von Coca Cola rezitiert. Durch die vorgenommene Collage mit dem
weltberühmten Abbild Kim Phúcs aus dem Jahr 1972, das zu einem der
wirkmächtigsten und einprägsamsten Ikonen des 20. Jahrhunderts wurde, wird ein
Zusammenhang hergestellt zwischen den Weltkonzernen und dieser, zum Symbol
der Grausamkeit des Vietnamkriegs schlechthin geronnenen Aufnahme, die ihrerseits
ein vielfach mythologisiertes, ihrer Geschichte entkleidetes, entführtes Zeichen ist.
Vordergründig erkennt man einen scharfen Angriff auf die zitierten Konzerne im
Sinne des strategischen Ad-Busting – das simple Abrufen negativer Konnotationen,
eine Neubesetzung und Umkodierung der Zeichen und das Herstellen eines
Zusammenhanges zwischen dem (als illegitim wahrgenommenen) Expansionsdrang
der USA und der parallelen, imperialistischen Ausbreitung der benannten
Weltmarken scheinen auf den ersten Blick das Ziel zu sein. Verharrte man auf dieser
Ebene der Betrachtung, wäre sicher die Kritik Psaars an der Parolisierung der Kunst
und am simplen Umkehren der Vorzeichen ins Treffen zu führen, das keinen Ausweg
aus dem dialektischen Kurzschluss bereitstellt.
Abbildung 8: »Can’t beat the feeling« (Ausschnitt: Banksy 2005, 191)
Auf einer Metaebene birgt das Werk allerdings eine subtile Thematisierung des
Umgangs mit Mythen und Zeichen, schließlich wird der Vorgang der Entführung in
einem selbstreflexiven Akt auf die inhaltliche Ebene gehievt und so die
58
Mythologisierung des Fotos thematisiert: Hier wird nicht nur illustriert, wie Ronald
McDonald und Mickey Mouse, das terrorisierte Mädchen Kim Phúc entführen. Es
wird der Vorgang des semiologischen Kindnapping dargestellt, die Vereinnahmung
zentraler
Mythen,
Narrative
und
Symbole
verhandelt
und
ihre
innere
Widersprüchlichkeit gezeigt. So wie die zwei fröhlichen Maskottchen das
ausdrucksstarke, geschichtsträchtige Abbild des Mädchens verschleppen, riss sich
Kalle Lasn zufolge Nike den Beatles-Song »Revolution«, Apple Bob Dylan, und Gap
den Beat-Schriftsteller Jack Kerouac unter den Nagel (vgl. Lasn 2005, 109). Als
Allegorie der Grausamkeit des Krieges wurde Kim Phúc auch von der pazifistischen
Hippie-Bewegung mythisch vereinnahmt, als Symbol der Unangepasstheit, als
Inkorporation des Rebellischen wurden allerdings gerade die Zeichen der
Nonkonformisten
zu
Konsumgütern
und
zu
Einigungs-Katalysatoren
der
Gesellschaftskonstellation. Banksy arbeitet hier als Mythologe und als Produzent von
Mythen, als ersterer ist seine Position entmystifizierend, denn sein Werk zeigt den
Mechanismus des Entführens auf (vgl. Barthes 1964, 111). Offensichtlich ist er sich
auch seiner Rolle als (Re-)Produzent von Mythen bewusst, im Rahmen dieser mise
en abyme zeigt er sich zynisch und hinterfragt auch seine Rolle als Künstler durch
das gezeigte Paradoxon, denn auch sein Schaffen beruht auf dem Entführen und
Umdeuten zentraler Ikonen.
Dieses paradoxe Schicksal teilt auch das wohl berühmteste und am öftesten
reproduzierte Abbild unserer Zeit: Alberto Kordas »Guerillero Heroico« aus 1967 ist
der Inbegriff einer ikonischen Fotografie, die kanonisierte Ikone ist in großem
Ausmaß das Produkt industrieller Reproduktion und Vermarktung. Die »gegenwärtig
wohl meist reproduzierte Medien-Ikone« (Viehoff 2005, 119), ist jedoch durch das
enthistorisierende Momentum des Mythos zu einer leeren Form verkümmert, das fast
beliebig mit Bedeutenden aufgeladen werden kann und dementsprechend von
ökonomischen und politischen Interessen instrumentalisiert wird. Diesen Aspekt
thematisiert Banksy in einer Plakat-Aktion in London, die er im begleitenden Text
»This revolution is for display purposes only« kommentiert:
I tried to paint a train bridge that spans Portobello Road in West London with
posters showing the revolutionary icon Che Guevara gradually dribbling off
the page. Every Saturday the market underneath the bridge sells Che Guevara
t-shirts, handbags, baby bibs and button badges. I think I was trying to make a
59
statement about the endless recycling of an icon by endlessly recycling an
icon. People always seem to think if they dress like a revolutionary they don’t
actually have to behave like one. (Banksy 2005, 47)
Abbildung 6: »This revolution is for display purposes only« (Ausschnitt: Banksy
2005, 46)
Auch hier wird das Kidnappen von Zeichen und das Einverleiben kritischer Stimmen
künstlerisch behandelt, nicht zuletzt wird durch den Ort der Installation ein Bezug
zum Warencharakter und zum Ausverkauf der Ikone hergestellt. Über dem
betriebsamen Markt, an dessen Ständen T-Shirts, Flaggen, Poster, Handtaschen und
ähnliche Produkte feilgeboten werden, ist die Referenz besonders deutlich. Neben
der direkten Interaktion mit dem Publikum, das durch die repetitiven Poster
überdeutlich auf die Omnipräsenz des Motivs hingewiesen wird, wird auch durch
gestalterische Mittel die Mythifikation des Abbildes kommentiert. Der Aspekt der
Serialität, der durch die streng parallele Abfolge der identischen Bilder betont wird,
weist das Portrait, angelehnt an Andy Warhols Bildserien, demonstrativ als technisch
reproduziertes Massenprodukt aus. Doch die graduelle Abnahme der Qualität, das
Verrinnen der Farbe und das fortschreitende Verwischen der Konturen verdeutlicht
die Zerstörung des Mythos durch die Reproduktion: Der ideelle ›Raubbau‹ an der
Ikone wird mit der materiellen Abnützung der Vorlage (der Schablone) in
Verbindung gebracht.
60
Das deutliche Warhol-Zitat ermöglicht zudem eine subversive Konstellation, wie
Jens Kastner (auf vergleichbare Interventionen während eines Aufstandes im
mexikanischen Bundesstaat Oaxaca rekurrierend) behauptet:
In
der
künstlerischen
Arbeit
sollen
über
die
Reflexion
des
Produktionsprozesses Zeichen auftauchen bzw. möglich werden, die über rein
kunstimmanente (methodische) Bezüge Verknüpfungen zu politischen
und/oder sozialen Ereignissen erlauben. (Kastner 2012b, 45)
Der kunstimmanente Bezug, in diesem Fall der Verweis auf die Anliegen und
Problemstellungen der Pop-Art, befördert eine re-aktualisierte Auseinandersetzung
mit den zu Ikonen geronnenen Bildern unserer Geschichte. Installationen wie das mit
Bedacht platzierte, rezitierte Guevara-Konterfrei oder die mit »Can’t beat the
feeling« betitelte Collage können mit einigem Recht als »künstlerische Intervention
auf konkret geschichtspolitischem Terrain« betrachtet werden, denn sie »ziel[en] auf
Fragen der Interpretation des Vergangenen und dessen Wert und Wertung für die
Gegenwart«. (Kastner 2012b, 47) Die Bildikone in Banksys Bearbeitung trägt
außerdem eine Sonnenbrille mit Dollarzeichen, in einer anderen Version »MickeyMouse-Ohren«, die wie explizite, vielleicht sogar zu plakative Symbole für die
ökonomische Ausbeutung des Mythos stehen.
3.6.
Ambivalenz
Oft sind Banksys Kunstwerke allerdings nicht so direkt und plakativ, ein gewisser
Hang zur Ambivalenz und Mehrdeutigkeit, vergrößert die Ausdruckskraft und
Eindringlichkeit seiner Werke, »[d]enn Street Art ist dort subversiv, wo sie sich
dagegen verweigert, die Verlängerung der Parole zu sein« (Psaar 2007). Zeichen die
sich jeglicher Vereinnahmung entziehen können, sind eine bessere Waffe als jeder
dialektisch ausgerichtete, diametral entgegengesetzte Gegen-Mythos, der ja schon
durch seine mythische Form Barthes zufolge zwangsläufig reaktionär ist und durch
das Wiederholen die aufgezeigten Grenzen festschreibt. Ambivalenz, innere
Widersprüchlichkeit, Paradoxie oder das Absurde entgehen dem Prinzip der
Festlegbarkeit und damit dem mythischen Überstülpen von Bedeuteten. Die NichtFestlegbarkeit der Arbeiten vieler Street Artists ist zudem eine Absage an das
Nützlichkeitsgebot und erzeugt Irritation, die beim Rezipienten eine neue
Perspektive, eine andere Dimension der Auseinandersetzung fordert. In Banksys
prominentesten Werken verschmelzen daher in einem Bild oft gegensätzliche
61
Begriffe, widersprüchliche Positionen treffen aufeinander, heben sich auf und
oszillieren in einem unendlichen Spiel der gegenseitigen Aufhebung.
Ein besonders bekanntes Beispiel hierfür ist Banksys »Flower Chucker«, ein in
verschiedenen Varianten weit verbreitetes Schablonen-Graffito einer vermummten,
im Profil abgebildeten männlichen Person, die mit einem dunklen Pullover und einer
helleren, jeans-artigen Hose bekleidet ist. Während sein linker Arm auf sein
mutmaßliches Ziel weist, holt der rechte Arm der monochrom gestalteten Figur zum
Wurf eines farblich bunt hervorgehobenen Blumenstraußes aus. Das Bild erfüllt viele
formale Kriterien für ein ikonisches Bild, es stellt einen so genannten »fruchtbaren
Moment« dar, verdichtet ein Ereignis auf ein emotional geladenes Bild, ist dabei
vereinfacht und wenig konkret.
Abbildung 9: »Flower Chucker« (Ausschnitt: Banksy 2005, 22)
Neben der kompositorischen Klarheit und der Darstellung einer Momentaufnahme,
die die Handlung am Punkt ihrer höchsten Intensität und Spannung erfasst, ist
hervorzuheben, dass es auf die etablierte Ikonologie zurückgreift, in der
mythologische Themen wie Aufopferung, Rache, Trauer, Heldentum kodiert sind. In
ihrer ikonografischen Beschaffenheit führt die Darstellung prominente Zitate aus
unserem kulturellen Erbe vor. So gemahnt die dynamische zentrifugale
62
Wurfbewegung an den Diskobolos des Myron, antike Darstellungen von
Speerwerfern auf Amphoren, Friesen und Fresken, und weist eine ähnliche Dynamik
auf wie Berninis berühmte Skulptur des David aus dem Barock. Das Zitat der
biblischen David-Geschichte verkörpert den Topos des Steinwurfs und verweist auf
das alttestamentarische Duell zwischen dem Jüngling und den übermächtigen Riesen
Goliath; der in dieser Fabel codierte Topos des ungleichen Zweikampfes, in dem der
Unterlegene den Sieg über den Riesen davonträgt, wird aktualisiert und mit der
aktuellen Umwelt assoziiert. In der Tat erweckt die Betrachtung des SchablonenGraffitos Gedankenverknüpfungen, die wahrscheinlich zuallererst auf journalistische
Berichte von eskalierenden Demonstrationen erinnert, an politische Kundgebungen,
bei denen radikale Demonstranten Sicherheitspersonal mit Molotow-Cocktails und
Steinwürfen attackieren. Konkret gemahnt das Motiv an Straßenschlachten im
Rahmen der Studentenunruhen 1968, oder an in Nachrichtensendungen verbreitete
Fotos von aus dem Ruder geratenen Demos, wie sie auch Kunsthistoriker Ulrich
Blanché in seiner Werkanalyse des »Flower Chuckers« herausarbeitet (vgl. Blanché
2010, 55f. bzw. 138).
Auf den zweiten Blick sticht der Blumenstrauß hervor, der in der Betrachtung des
ansonsten kämpferisch-heroisch konnotierten Motivs des Steinewerfers irritierend
auffällt. Der Blumenstrauß ist allgemein als positiv belegtes Zeichen anerkannt, ohne
tiefer in die sehr ergiebige und differenzierte Symbolik dieses bekannten
Bedeutungsträgers einzugehen, kann man festhalten, dass sein Gebrauch als
Liebesbeweis, als Glücksbote in vielen Kulturen und nicht zuletzt als
Friedenssymbol, wie es nach der Flower-Power Bewegung der 1960er zu großer
Prominenz kam, insgesamt die suggerierte Destruktivität und Gewalt der Darstellung
konterkariert. Durch das hinzugefügte Attribut, das häufig farblich abgesetzt ist, und
damit gegenüber der monochromen Gestalt besonders wirkungsvoll in Szene gesetzt
wird, erreicht Banksy eine Verschiebung auf der Bedeutungsebene, gleichzeitig
bleibt die Dynamik der Bewegung erhalten. Die Radikalität und die Widerständigkeit
des Steinewerfers werden verstärkt, die negativen und medial oft kritisierten Aspekte
des gewalttätigen, aggressiven Protestes werden aber durch das farblich
hervorgehobene positive Friedenssymbol abgeschwächt und ins Positive gekehrt. Der
»Flower Chucker« will auf den Betrachter »mit radikaler Energie, aber friedlichen
Mitteln« (Blanché 2010, 56) einwirken, die Diskrepanz der kombinierten Motive löst
63
eine neue Auseinandersetzung und ein verändertes Verständnis aus (vgl. Blanché
2010, 54ff.).
Es ist diese zentrale Ambivalenz, die in vielen Fällen die künstlerische Qualität der
Werke Banksys ausmacht, in vielen seiner Werke sieht man, wie die Widersprüche
der kombinierten, gegensätzlichen Elemente in einer unlösbaren Gegenüberstellung
kollidieren, eine differenziertere Reflexion befördern oder als paradoxe Denkanstöße
im öffentlichen Raum einfach nur irritieren. Die besondere subversive Qualität der
Werke erwächst aus dieser polyvalenten Aussage, die sich in diesem Fall in gleichem
Maße gegen die Stigmatisierung und mediale Verurteilung radikaler Demonstranten
richtet, wie sie die Mythifizierung und Verherrlichung des gewalttätigen,
terroristischen Widerstands zurückweist, wie sie gerade im Motiv des heroischen,
sich aufopfernden Steinewerfers oft betrieben wird. Gerald Raunigs angeführte
Kritik an traditionellen Formen des Massenprotests findet hier auch ihren Widerhall,
ebenso wie die Kritik an den nicht abreißenden Ästhetisierungversuchen ebensolcher
Massenaufstände. Die mythische Vereinnahmung wird dadurch für beide Seiten
verhindert, der Mythos für beide Seiten unnutzbar gemacht, auch hier wird das
Prinzip der unmittelbaren Nützlichkeit und Verständlichkeit untergraben. Gemäß
Barthes‘ Forderung werden die Symbole ›entstellt‹, die Codes werden durch die
Strategie der Nicht-Festlegbarkeit ihrer Verwertung und Vereinnahmung entzogen.
3.7.
De-/Rekontextualisierung und Hybridität
Die Strategien der Verfremdung und der mikropolitischen Verkettung, kommen auch
bei Banksys besonders öffentlichkeitswirksamen Museumsschmuggeln zur Geltung,
im Rahmen derer er eigene, oft ironisch kommentierende Kunstwerke (Tafelbilder,
Skulpturen und andere Werkstücke) samt Hinweistafeln in Museen anbringt und im
Anschluss die Dauer bis zu ihrer Entdeckung festhält. Die unautorisierten
Hängungen offenbaren einerseits einen situationistischen Impetus, schließlich ist die
Schaffung außergewöhnlicher Situationen und die Einbeziehung des Publikums
erklärtes Ziel dieser Befremden erweckenden Arbeiten, bei denen die Dokumentation
und die Rezeption durch Publikum und Organe des Museums stets als wesentliche
Teile des Kunstwerks zu betrachten sind. Andererseits ist es wieder die
Wechselwirkung zwischen der spezifischen Ästhetik der Kunstproduktion, die in
kollektiven (Schönheits-)Idealen kondensiert, in Museen konzentriert wird und der
allgemeineren, impliziten, symbolischen Dimension des Politischen, auf die der
64
Künstler abzielt. Über kunstfeldimmanente intertextuelle Bezüge werden Aussagen
über
die
verhüllten,
ungeschriebenen
Regeln
der
Politik
und
ihrer
Exklusionsmechanismen getroffen, die nicht-offizielle Hängung selbst befördert –
genau, wie ihre gesprühten Pendants auf der Straße – eine Institutionskritik, die im
exklusiven Schutzraum des Museums unter Umständen sogar noch eine Spur
vehementer und greller (um bei der Metapher des »insurrektionalen Blitzes« zu
bleiben) zur Geltung kommen kann, als an mancher vollgetaggten Hausfassade.
In Wall and Piece reflektiert Banksy den Produktionsprozess seiner für nichtautorisierte museale Installationen bestimmten Kunstwerke und legt offen, für seine
»Vandalised Oil Paintings«, Ölgemälde unbekannter Künstler, die er auf
Straßenmärkten erwirbt, zu modifizieren. Der modus operandi rechtfertigt ihre
Behandlung in einer Arbeit über Street Art, auch wenn der Ort des Geschehens nicht
die namensgebende ›Street‹ ist25. Immerhin wird selbstautorisiert öffentlicher Raum
in Besitz genommen, die interaktive und intertextuelle Strategie des Übermalens
praktiziert (die übermalten Tafelbilder sind genauso als Palimpseste anzusehen wie
die mehrfach übersprayten Fassaden urbaner Gebäude) und somit ein direkter Bezug
zum übermalten Hypotext, zu den umgebenden Werken und zur Institution Museum
ermöglicht, der seinerseits einen Raum für politische Interpretation und
Wahrnehmung aufstößt. Dabei reagiert Banksy in seinen musealen Werken ebenso
auf seine Umgebung, wie auf der Straße. So werden Bilder bukolischer Idyllen durch
Überwachungskameras,
Guantanamo-Häftlinge,
Kampfhubschrauber,
Einkaufswägen und Polizei-Absperrbänder kommentiert und dekonstruiert.
25
Ulrich Blanché spricht allgemeiner vom »Kunstprinzip des falschen Ortes« (Blanché 2012, 301).
65
Abbildung 10: »Vandalised Oil Painting« (Banksy, Ausschnitt: Reinecke 2007, 68)
Symbole einer suggerierten Konsumgesellschaft werden vor dem Hintergrund
klassischer Landschaftsmalerei als solche entlarvt, Alltagsgegenstände offenbaren
durch den Gegensatz zur Umgebung, in die sie projiziert werden, ihre Banalität und
halten unvermittelt zu einer aktualisierten, politischen Wahrnehmung an. Stilmittel
wie Kitsch und Überidentifikation vergrößern den Widerspruch zur ›vandalisierten‹
Vorlage und der Umgebung des Museums. Das Spiel mit als klassisch empfundenen
ästhetischen Idealen und die eklektizistische Kombination von Motiven und Stilen
offenbaren den hybriden Charakter Banksys Kunst: »[Er] bringt Collage-Karikaturen
auf der Straße an, wie er umgekehrt [in Galerien] mit Street Art Motiven pastorale
Ölgemälde umdeutet«. (Blanché 2012, 305)
66
Abbildung 11: »Vandalised Painting« (Ausschnitt aus: Banksy 2005, 160)
Die Strategie der »(De-)Platzierung und Inszenierung«, wie Blanché sie benennt
(vgl. Blanché 2012, 304f), ist ein Mittel der Verfremdung und lässt punktuelle
Overlaps zum Feld der Politik zu. Jens Kastner hält dazu an, die Institutionskritik an
der exklusiven Sphäre der Kunst und des Kunstmarkts, wie Banksy sie durch seine
selbstermächtigten Hängungen betreibt und in Wall and Piece ausformuliert, als
feldübergreifenden Teil antiautoritärer sozialer Bewegungen zu interpretieren, die
durch das gewandelte Bewusstsein (die unvermittelte, aufblitzende Erkenntnis) auf
die verschleierten Exklusionsmechanismen des politischen Feldes hinweist. Er
plädiert (unter Bezugnahme auf die universitäre Institutionskritik der 1968er, die sich
auf verschiedenen Feldern ausbreitete und so punktuell in einer interdisziplinären
antiautoritären sozialen Bewegung aufging) für eine analytische Öffnung der
strengen Feldimmanenz Bourdieus, die sich angesichts der zahlreichen, doch
unterschätzten »Inter- und Transfeldentwicklungen« (Kastner 2012a, 103) anböte.
Gerade die Overlaps und relativen Homologien zwischen unterschiedlichen Feldern
müssten in den Blick genommen und als Austauschverhältnisse untersucht werden
(vgl. Kastner 2012a, 103ff). Tatsächlich eignet sich die bewusst grenzüberschreitend
angelegte Street Art hervorragend als Anlass solcher Untersuchungen von
67
punktuellen Interaktionen zwischen den Feldern. Richtet sich Banksys Kunst auf der
Straße vordergründig gegen die Institution Werbung, so ist die primäre
Angriffsfläche in seinen ›musealen‹ Werken die Institution des Museums (des
Kunstmarkts).
Beides sind Konsumkultur repräsentierende Institutionen, deren Motive und
Methoden Banksy – schon allein durch die Umstände der Anbringung – in
Frage stellt, bricht, ad absurdum führt und der Lächerlichkeit preisgibt. Sein
humorvolles Adeln/Vorführen des Nicht-Legitimen stellt immer auch die
Legitimität der Obrigkeit in Frage. (Blanché 2012, 301)
In seinen klassischen Kunstwerken im urbanen Raum sticht Banksys Kunst unter
anderem durch das unvermittelt überraschende, nicht direkt funktionalisierbare und
spielerische
Erscheinen
im
ansonsten
nach
ökonomischen
Prinzipien
durchregulierten Raum heraus, doch selbst in Kunsträumen, wie Museen und
Galerien, die bis zu einem gewissen Grad Räume des gezielten Tabubruchs und Orte
einer entschärften, folgenlosen Konfrontation sind26, führt Banksy unerwartete
Assoziationen, insurrektionale Blitze ein und durchbricht damit die Routine des
Museumsbesuchs. Der nicht ad hoc klassifizierbare Schwebezustand zwischen Alltag
und Ausnahmesituation, der sich auch in der Spannung zwischen den konventionellpastoralen bis kitschigen Hintergründen und den von den Straßen hereinbrechenden
tagespolitischen, medialen und an den Alltag gemahnenden Motive widerspiegelt, ist
die entscheidende Voraussetzung für neue Subjektivierungsweisen und eine
gewandelte, politische Wahrnehmung vermeintlich apolitischer Tätigkeiten.
Banksy betrachtet das Museum keineswegs als apolitischen Raum, er betont die
Homologien, Parallelen und Ausschlussmechanismen, die das Kunstfeld und das
politisch-ökonomische Feld seiner Meinung nach teilen, und stellt assoziativ eine
Verbindung her. Die verhüllten Gesetzmäßigkeiten der doxa sind in der Institution
des Kunstmarkts wirksam, durch Überschreiten macht Banksy explizit darauf
aufmerksam:
The Art we look at is made by only a select few. A small group create, promote, purchase, exhibit and decide the success of Art. Only a few hundred
people in the world have any real say. When you go to an Art gallery you are
26
Blanché spricht von einer »controlled exposure situation«, in der der Besucher erwartet provoziert
zu werden. (Blanché 2012, 191)
68
simply a tourist looking at the trophy cabinet of a few millionaires. (Banksy
2005, 170)
Ein ganz entscheidender Faktor zum Gelingen dieser Interventionen ist also die nun
schon oft angesprochene Hybridität der beschrieben Kunstformen, die (auch) als
Zurückweisung essentialistischer Diskurse verstanden werden kann (vgl. Bhabha
2000). So verschwimmen die Grenzen zwischen Populär- und Hochkultur, die
Demarkationslinien zwischen den Feldern werden temporär überwunden, in Street
Art wird dieser Vorgang selbstreflexiv vorgeführt und als Bewusstmachung der
Produktionsbedingungen fruchtbar gemacht. Auch die selbstautorisierten Hängungen
Banksys stehen für die Zurückweisung der essentialistischen Unterscheidung von
Massenkultur und elitärer Hochkunst, die Konsekrationsmacht von Museen wird
tätig in Frage gestellt und unterwandert. Implizit wird dadurch auch die
Konsekrationsmacht von Banken, Regierungen und Universitäten in Frage gestellt.
Denn Street Art, als konstitutiv hybrides Genre, das etwa literarische und visuelle
Formen verknüpft, technische Massenproduktion mit Handarbeit verbindet (etwa
beim Stencil-Graffiti durch die Kombination industriell reproduzierter, gedruckter
Vorlagen, die oft am PC entstehen, im nächsten Arbeitsschritt allerdings händisch
ausgeschnitten und aufgetragen werden), Motive der Hoch- und Massenkultur in
Collagen vereint (wie etwa im Rahmen der »Vandalised Paintings«) kann auf einer
allgemeinen Ebene als vehemente, tätige Kritik an dem von Essentialismus
getragenen repräsentativen System und seinen Institutionen angesehen werden.
3.8
Institutions- und Institutionalisierungskritik
All das gilt großteils auch für Arbeiten, die Street Artists legal, etwa im Rahmen von
Ausstellungen veröffentlichen und berührt die in den Kulturwissenschaften und in
der
Subkulturforschung
einflussreiche
Debatte
um
die
problematische
Institutionalisierung von Graffiti und Street Art, die hier kurz dargestellt werden soll.
Fast jede einschlägige wissenschaftliche Untersuchung befasst sich mit der
beobachtbaren Institutionalisierung der Kunstform, zuletzt etwa Ulrich Blanché in
seiner beachtenswerten Untersuchung Konsumkunst – Kultur und Kommerz bei
Banksy und Damien Hirst. Die Graffiti-Bewegung und die Erzeugnisse der Street Art
sind heute einer massiven gesellschaftlichen und ökonomischen Instrumentalisierung
ausgesetzt. Das Faktum der fotografischen Verbreitung der Kunstwerke und ihres
Ausverkaufs wurde in dieser Arbeit bislang weitgehend ausgeblendet, offensichtlich
69
existiert Street Art aber nicht nur auf den unverwertbaren Wänden und Zugwaggons,
sondern gelangt über den Mittler der Fotografie und das Bindeglied der medialen
Verbreitung auf den freien Markt. Durch die technische Reproduktion vergrößert
sich freilich die politische Relevanz, die Ausbreitung der Abbilder lässt eine
immense Reichweite zu und führt zu einer beachtlichen Expansion des Publikums,
damit zu einer wichtigen Fortpflanzung der Botschaften und Ideen (was Walter
Benjamin ja als große Chance der Politisierung der Kunst erkannte). Gleichzeitig
kann durch die fotografische Distribution nur ein kleiner Teilaspekt der Werke
transponiert werden. Unter anderem im Verlust der Wechselwirkung mit der
Umwelt, des interaktiven und partizipativen Charakters, des Einflusses des Kontextes
und der wesenhaften Kurzlebigkeit der Werke, die nicht vollständig übersetzbar sind
und allenfalls leidlich durch Bildunterschriften oder Off-Stimmen angedeutet werden
können, kommen der Kunstform paradigmatische Dimensionen abhanden. Dies
kommt einer empfindlichen Reduktion der vielgestaltigen Kunstform gleich, die
durch den Eintritt in den Markt ohnehin zu einem gewissen Grad verfälscht und
entleert wird, sobald ihre Verbreitung zwangsläufig dem Prinzip der ökonomischen
Verwertbarkeit
unterworfen
wird.
Der
kategorische
Ausschluss
jeglichen
subversiven Potentials durch die vermittelte Verkaufbarkeit impliziert allerdings eine
essentialistische Verkürzung, die der hybriden und an Stilmitteln reichen
künstlerischen Praxis nicht gerecht wird.
Die Vermarktung des Widerständigen und der vereinnahmende Mechanismus des
Marktes macht natürlich nicht vor der als verwegen und rebellisch wahrgenommenen
Straßenkunst halt, schon in den ersten Tendenzen zur Institutionalisierung der
Graffiti im New York der 1980er Jahre, wurde bezeichnenderweise die Reduktion
auf das Image, den Lebensstil der Writer evident:
Die eigentliche Faszination [des Kunstmarktes] ging folgerichtig gar nicht
von den Bildern und ihren Bildgegenständen aus, sondern vom Lebensstil der
Sprayer. Ihr illegaler Status, ihre Herkunft »aus den Slums«, wie immer
wieder behauptet wurde und ihre Einbindung in Mode, Rap und Breakdance
waren gleichermaßen interessant. Die Malerei drückte zwar jene »urban high
folk art« aus, wurde aber eben nicht als »Werke« wahrgenommen. Dass man
einige Bilder sogar unter die Decke von Galerien hängte, ist in diesem
Zusammenhang mehr als nur der Versuch, räumliche Kontexte mit dem
70
optischen Befund der zugetaggten U-Bahnen zu verbinden: Es drückt eine
deutliche Missachtung der Arbeit als einzelnes Bildwerk aus. (Stahl 2012,
145f)
Damit war der Weg der mythischen Entleerung der Kunstwerke vorgezeichnet:
Selbst in ihren musealen Ausstellungsorten galten sie weniger als kreative
Schöpfungen unterschiedlicher Künstler, sondern wurden als exotische Zeichen der
Rebellion und Unangepasstheit kodiert, ihrer konkreten Historie entkleidet und zu
austauschbaren
Zeichen,
deren
Karriere
als
werbewirksame
Marken
der
Jugendlichkeit und Dissidenz von diesem Punkt an ihren Anfang nahm.
Heute begegnet uns Graffiti überall, Street Artists stellen in Museen aus, organisieren
Events und Festivals, ihre Werke erzielen bei Auktionen beachtliche Preise – die
urbane Kunst und ihre Akteure sind auf dem Parkett des Kunstmarktes angekommen,
wie es scheint. Andererseits erfährt die Formensprache der Graffiti und Street Art
eine rege Vereinnahmung durch die Werbeindustrie und wird als leeres Zeichen
gekidnappt und mit politischen und ökonomischen Interessen aufgeladen. Diese zwei
beschriebenen Aspekte der Institutionalisierung gilt es möglicherweise zu trennen,
bevor man sich auf die Diskussion über die Kommerzialisierung der Kunst einlässt,
auch wenn sich die Sphären punktuell überschneiden, etwa wenn zum Beispiel
Banksy ein Plattencover der Rockband Blur konzipiert, oder Shepard Fairey die
Präsidentschaftskampagne für Barack Obama designt. Der in Subkulturen immer
wieder beobachtbare, allgemein kritische Diskurs über die Kommerzialisierung einer
im Anfangsstadium hehren und idealistischen Praxis, die durch ihren mutwilligen
Ausverkauf verraten wurde, ist ebenfalls ein populärer Mythos den es zu entlarven
gilt, ehe man die immer wieder aufkeimende Dichotomie zwischen »Sell-Outs« und
»authentischen« Vertretern thematisiert.
So ist das Erklärungsmuster und die massive Kritik des Ausverkaufs durch einige
Beteiligte, die sich besonders gegen sich etablierende Street Artists wie Banksy
richtet, zumindest zu hinterfragen, nicht zuletzt, weil die Entscheidung Kunst zu
betreiben stets auf ökonomischen Erwägungen beruht, wie der Soziologe HansChristian Psaar zu bedenken gibt:
Auch in Subkulturen wird ganz klassisch gehandelt, nur zumeist auf
niedrigerem Niveau als in etablierten Teilen des Kunstmarktes. Der Begriff
71
der Kommerzialisierung suggeriert dagegen, dass den Menschen von außen
etwas aufgesetzt würde, wo davor keine ökonomischen Gesichtspunkte
zählten. Das ist ein Trugschluss, denn es ändert sich einzig das Preisniveau.
(Psaar 2007)
Hinter dem Diskurs über die Kommerzialisierung verbirgt sich der Irrglaube von der
Autonomie der Kunst oder das Ideal von wirtschaftlich unabhängigen Akteuren und
Aktivisten, also eben jene essentialistischen Festschreibungen die an dieser Stelle
schon mehrfach kritisch beleuchtet wurden. Nicht selten wird das (moralisierende)
Argument des Ausverkaufs aus genuin ökonomischen Gründen ins Treffen geführt,
um ein Unterscheidungsmerkmal einzuführen, was ebenso, wie der Hype um die
Anonymität Banksys, zum erfolgreichen ›Branding‹ eines Künstlers gehört.
Den Vorwurf der Vereinnahmung der Kunstform durch die Werbeindustrie kann
man unter Umständen eher nachvollziehen, die Entführung der Ästhetik und der
Techniken der Street Art um Werbebotschaften in »Guerilla Marketing« Aktionen zu
verbreiten, indem etwa Aufkleber an Kunden verteilt werden, oder gar mit
Schablonen-Graffiti für kommerzielle Produkte geworben wird, ist in der Tat
problematisch und wird von der Szene aktiv bekämpft.27 Doch ist zu bemerken, dass
der Zusammenhang, auch angesichts vieler personeller Verflechtungen (Psaar macht
darauf aufmerksam, dass viele Street Artists selbst in der Werbebranche tätig sind)
keineswegs so statisch und einseitig ist, wie er in der Debatte oft dargestellt wird.
Die fortschreitende Institutionalisierung der Kunstform einzelnen Künstlern
anzulasten, ist unaufrichtig und kurzsichtig. Es sind in Wirklichkeit Arbeiten wie die
vorliegende, die, neben dem Drang der Künstler als solche wahrgenommen zu
werden und neben den genannten ökonomischen Interessen, zentral an der
»Verkunstung« der Street Art beteiligt sind – einer Tendenz, die man nicht mit
unpassenden fatalistischen und moralischen Kategorien angehen sollte.
Adorno und Horkheimer legen in der Dialektik der Aufklärung nahe, dass schon die
aufklärerische, wissenschaftliche Erfassung von Phänomenen der erste Schritt ihrer
Integration in die Kulturindustrie ist: »Der Generalnenner Kultur enthält virtuell
bereits die Erfassung, Katalogisierung, Klassifizierung, welche die Kultur ins Reich
der Administration hineinnimmt« (Adorno/Horkheimer 1988, 139), schon seit der
27
Der Graffiti Aktivist KIDULT etwa verunstaltet im Rahmen seiner Kampagne »Illegalize Graffiti«
gezielt Schaufenster repräsentativer Boutiquen, deren Designer sich in ihrer Werbung und ihren
Produkten an der Formensprache des Graffiti bedienen (vgl. http://kidultone.com/).
72
wissenschaftlichen Erfassung durch Baudrillard, spätestens seit der fotografischen
Bestandsaufnahme der Bewegung durch die Journalistin Martha Cooper Ende der
1970er Jahre, ist Graffiti selbst Teil der Kulturindustrie, auf der sie aufbaut und die
ihr künstlerisches Reservoir ist. Ihr fotografisch vermitteltes Eintreten in die
allgemeine kulturelle Vergesellschaftung muss man nicht bewerten, sie ist ein
positives Faktum, das allerdings auch fruchtbare Momente innehaben kann, was ihr
Ziel, neue Subjektivierungsweisen, ein neues Bewusstsein anzustoßen, betrifft. Diese
wurden insbesondere im Teil »Semiologische Guerilla« ausgeführt und es ist
durchaus
kein
Zufall,
dass
Beispiele
von
etablierten
Künstlern
zur
Veranschaulichung der Effektivität einzelner Kunstwerke herangezogen wurden. Ihr
kommerzieller Erfolg und das erworbene kulturelle Kapital schließt offensichtlich
nicht zwangsläufig Effekte im politischen Feld aus.
Hans-Christian Psaar bescheinigt Künstlern, die mit dem Kunstmarkt vertraut sind,
gar eine überlegene Kompetenz, die Praxis der Kulturindustrie anzuprangern, und
sieht in der Institutionalisierung unter Umständen einen Erkenntnisgewinn: »Die
Kritik ist nicht von der teilnehmenden Erfahrung zu trennen. (…) Nicht das
Aussteigen der Hippies und Autonomen, sondern das Sich-Bewusstwerden, die
Reflexion der eigenen Rolle in der Kulturindustrie wäre der erste Schritt hin zur
Veränderung der Verhältnisse« (Psaar 2007). Gerade im Eintritt in die idealistische
Werte beanspruchende Sphäre der Kunst, deren Vertreter in Auktionen die
Reduktion des Kunstwerks auf ein Spekulationsobjekt besonders spektakulär
vorantreiben und dabei ästhetische Qualität und künstlerischen Wert als Alibi der
ökonomischen
Wertsteigerung
preisgeben,
kann
kritische
Street
Art
den
Warenfetisch und den beliebigen Status der Werke als Statthalter und
Investitionsobjekt aufzeigen.
Eine trennscharfe Abgrenzung der Felder ist im Zeitalter der allgemeinen
gegenseitigen Durchdringung, einer zunehmend hybriden Kultur und angesichts der
Krise der Institutionen (vgl. Deleuze 1993; Hardt/Negri 2002) ohnehin illusorisch,
genauso, wie eine Einteilung in authentische und nicht-authentische Kunst, die – wie
gezeigt – als moralische Verbrämung eher ein Instrument des Marketing darstellt und
willkürlich eine wertende Unterscheidungsdimension einführt. Das aus vieler
Hinsicht grenzüberschreitende Genre der Street Art vermag es, gerade im Bezug auf
eine
Konsumgesellschaft
und
trotz
ihrer
73
Einbindung
in
wirtschaftliche
Zusammenhänge punktuell im Politischen Effekte zu zeitigen und Werte
bereitzustellen, die sich nicht in ihrer unmittelbaren Konsumation erschöpfen. Es
liegt also nahe in diesem Punkt eine vermittelnde Position einzunehmen28. In den
zurückliegenden Kapiteln wurden diesbezüglich bereits effektive Möglichkeiten der
Kunstform aufgezeigt. Viele von ihnen sind auch im Rahmen offizieller
Ausstellungen wirksam, allerdings ermangeln diese offiziellen Veröffentlichungen,
Vernissagen und Art-Shows des Aspekts der illegitimen Wortergreifung, die ein
wesentliches Charakteristikum der Street Art darstellt, weshalb sie an dieser Stelle
nicht weiter verhandelt werden. Selbst der Aspekt der insurrektionalen Blitze geht
weitgehend verloren, die Zuschauer einer Banksy-Show erwarten sich die
Provokation und Gesellschaftskritik mit der sie letztlich befriedigt werden.
Banksys Aktivitäten auf der Straße und ihre Wirksamkeit beeinflusst dies allerdings
nur bedingt, die unzähligen oft anonymen Künstler, die weltweit auf den Wänden der
Großstädte ihr Recht auf Mitsprache reklamieren, profitieren sogar eher vom
symbolischen Kapital, das dem Genre in den letzten Jahrzehnten zuteil wurde. Denn
auch wenn »Wertschätzung und Wirkung kultureller Produktionen […] nicht in
einem direkten proportionalen Verhältnis« (Kastner 2012b, 57) stehen, kann die
zumindest temporäre wissenschaftliche oder institutionelle Weihung der Street Art
zu einer schützenswerten »künstlerischen Praxis« das Potential für emanzipative
Effekte gerade außerhalb des Kunstfeldes steigern (vgl. Kastner 2012b, 57f). Anders
ausgedrückt: Das kulturelle Kapital, das Street Artists wie Banksy aus ihrer
künstlerischen Arbeit erwächst, verleiht ihnen und ihrem Genre, aufgrund teilweise
ähnlicher Felddynamiken29, auch abseits des kunstimmanenten Bereichs eine gewisse
Autorität. Die dadurch erworbene Wertschätzung schlägt sich in allgemeiner
Akzeptanz, aber auch in realisierten mikropolitischen Interventionen nieder. So
wurde etwa Banksys illegal angebrachtes Graffito »Ikea Punk« in London durch eine
Gemeindeumfrage vor der Zerstörung bewahrt und so nachträglich legitimiert (93%
der Befragten stimmten für den Erhalt des Kunstwerks – vgl. Blanché 2012, 105).
Von einem neuen Bewusstsein, was die die Kommerzialisierung des öffentlichen
Blickfeldes betrifft, zeugt auch die 2005 durchgeführte, genehmigte Kunstaktion
»delete!«, im Rahmen derer die Künstler Christoph Steinbrener und Rainer Dempf
28
In diesem Punkt besonders aufschlussreich: Umberto Ecos »kritische Kritik der Massenkultur« (vgl.
Eco 1984).
29
die Pierre Bourdieu am Beispiel des französischen Impressionismus herausstellte
74
eine »Entschriftung« der Neubaugasse in Wien vornahmen. Für zwei Wochen
wurden in einem Teil der belebten Einkaufsstraße im 7.Bezirk alle Logos,
kommerzielle Zeichen, Piktogramme und Firmennamen durch auffällige gelbe Folien
überklebt und damit temporär gelöscht. Einen Schritt weiter gingen die Behörden der
brasilianischen 20 Millionen Enwohner Metropole São Paulo, wo im Jahr 2007 die
gesamte Stadt anlässlich eines neuen Gesetzes (»Lei Cidade Limpa«, Gesetz der
sauberen Stadt), dauerhaft von Werbeträgern und kommerziellen Zeichen aller Art
ab einer gewissen Größe befreit wurde (vgl. Hartmann 2010). Dies sind nur einige
Beispiele, die aufgrund der offensichtlichen Übereinstimmungen mit einem
Hauptanliegen vieler Street Artists (Werbung im öffentlichen Raum), exemplarisch
für »messbare« Effekte im politischen Feld stehen können.30
30
Die Rolle, die Kunstwerke im Rahmen der symbolischen Arbeit im Kontext konkreter politischer
Aufstände innehaben ist ungleich schwerer darzustellen. Jens Kastners bemerkens- und
beachtenswerte Untersuchung Insurrektion und symbolische Arbeit – Graffiti in Oaxaca (Mexiko) als
Subversion und künstlerische Politik widmet sich eben der Rolle von Street Art im unmittelbaren
Dunstkreis eines Aufstandes in einer mexikanischen Provinz Oaxaca.
75
Resümee
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Kunstwerke der Street Art, unter
bestimmten Voraussetzungen gegen die Schließung des politischen Feldes
feldüberschreitend einwirken können. Im Kontext von politischen Bewegungen
fordern sie durch ihre Präsenz öffentlich Mitsprache und eine Ausweitung des von
professionellen Politikern und wirtschaftlichen Eliten beanspruchte Feld der
offiziellen Politik. Dies artikulieren sie einerseits schon durch ihre selbstautorisierte,
oft illegale und behördlich verfolgte Anbringung, die viele Kulturwissenschaftler
bereits als politische Interventionen und Raumaneignungen werten. Dies allein reicht
jedoch – wie festgestellt wurde – nicht unbedingt aus, um den eingangs vorgestellten
Bedingungen der Subversion gerecht zu werden. Allerdings bietet die Anbringung im
öffentlichen Raum und die konkrete (lokale) Bezugnahme auf letzteren, oft einen
ausgesprochen fruchtbaren Hintergrund für das konstitutiv intertextuelle Genre der
Street Art, das mittels bestimmter ästhetischer Qualitäten für eine politische
Wahrnehmung des Alltäglichen und für eine Politisierung der Ästhetik eintritt:
Durch
das
Reflektieren
der
Produktionsbedingungen,
das
Darstellen
des
Abwesenden, die Entschleierung des kollektiven Unbewussten und Verdrängten
kann Street Art auf die unhinterfragten, unsichtbaren Gesetze der doxa hinweisen, sie
durch ihr selbstautorisiertes Auftauchen im öffentlichen Raum überschreiten und
damit die potentielle Veränderbarkeit dieser Regeln in Aussicht stellen. In der
Bezugnahme auf gesellschaftskonstituierende Ikonen, wirkmächtige Werbesujets und
einflussreiche Hypotexte aus dem Bereich der Künste und Medien, können sie
Assoziationen zu konkreten politischen, also kunstfeld-externen Sachverhalten
anregen,
durch
Rekontextualisierung
der
Motive
erzielen
sie
Bedeutungsverschiebungen, Neubewertungen und Irritationen. Über die ästhetische
(Neu-)Interpretation gesellschaftskonstituierender Zeichen klinken sich Kunstwerke
in den Kampf um Denk- und Wahrnehmungsmuster ein, die den politischen
Entscheidungsfindungen vorgelagert sind und von Bourdieu als »symbolische
Dimension des Politischen« wissenschaftlich erfasst wurden (vgl. Bourdieu 2001).
Damit können sie als Teil einer symbolischen Arbeit angesehen werden, die nötig ist,
um gesellschaftliche Veränderungen von einer marginalen Position31 aus in die
31
Die gerade angesichts der unausgewogenen Verteilung materieller und immaterieller Güter
keineswegs eine Minderheiten-Position sein muss, wie Kastner treffend bemerkt (vgl. Kastner 2012b,
42).
76
Wege zu leiten und neue Formen kollektiver und individueller Subjektivierungen
ermöglichen, ohne neue Hierarchien zu schaffen.
Wichtig ist dabei, die konstitutiv hybride Qualität des Genres hervorzuheben, die
Jens Kastner zufolge ein entscheidender Faktor für das Gelingen urbaner
Interventionen darstellt:
Denn diese hybride Form oder dieses Hin- und Herlavieren verhindert oder
blockiert zumindest erstens die schnelle Funktionalisierung zum (vorgeblich
funktionslosen, d.h. künstlerischen) Prestigeobjekt und die anschließende
reine Warenwerdung«. (Kastner 2012b, 56)
Die Effektivität der Street Art ruht demnach genau in diesem hybriden
Zwischenstadium zwischen Kunst und Alltagserscheinung, durch welches sie ihrem
Publikum in unvermittelter Art und Weise, etwa auf seinem Weg zur Arbeit,
entgegentreten und selbiges unvorbereitet mit einer aufflackernden Plausibilität
konfrontieren kann. Die Werke weisen zwar eine genuin künstlerische Spezifik auf,
doch für ihre Wirksamkeit ist es von immenser Bedeutung, dass ihre Rezeption aus
dem Alltag heraus, gewissermaßen den Alltag und seine stummen, ungeprüften
Regeln durchbrechend geschieht. Dadurch wird der Alltag, der zuvor unter
Umständen gar nicht als solcher wahrgenommen wurde, zum Gegenstand politischer
Debatten erhoben und tritt als veränderbares, soziales Konstrukt in Erscheinung.
77
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Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
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Die vorliegende Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form noch nicht als Magister/Master-/Diplomarbeit/Dissertation eingereicht.
29.Mai 2013
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