Medienrohstoff Berufsgruppen um den Patienten besser vernetzen

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Berufsgruppen um den Patienten besser vernetzen
Johannes Brühwiler, Vorstand Hausärzte Schweiz, über fehlende Standardisierung von
elektronischen Patientenakten, Risikokommunikation und die Brauchbarkeit von
Gesundheitsapps.
Wie funktioniert derzeit der Datenfluss zwischen den Ärzten und den verschiedenen Institutionen?
Wenn einer meiner Patienten hospitalisiert wird, werde ich in der Regel telefonisch kontaktiert
und das Spital verlangt dann meine Unterlagen zum betreffenden Fall. Diese Kommunikation
geschieht entweder per Fax, Mail oder Briefpost. Austrittsberichte werden dem Patienten
mitgegeben, per Mail oder Post verschickt.
Welche Rolle spielt heute die gegenseitige Information zwischen patientenrelevanten
Berufsgruppen im Lauf eines Behandlungspfades?
Information würde eigentlich eine sehr grosse Rolle spielen, tut es aber de facto nicht. Wir
müssen dafür sorgen, dass alle fünf oder sechs involvierten Professionen besser vernetzt sind
und besser zusammenarbeiten. Heute kann ich beispielsweise noch nicht aus meiner
elektronischen Krankengeschichte eine Medikamentenliste generieren, welche die Spitex eins zu
eins übernehmen und damit weiterarbeiten kann. Das ist also ein wunder Punkt.
Warum ist das nicht möglich?
Das Problem ist die fehlende Standardisierung und die fehlenden Schnittstellen. Wir haben heute
gegen 70 Softwareanbieter in der Schweiz. Deren Produkte sind untereinander nicht kompatibel.
Selbst wenn ein Kollege in Basel das genau gleiche System hat wie ich, kann weder ich eine
Krankheitsgeschichte exportieren, noch kann er sie importieren. Es gibt keine Schnittstellen
dafür. Einzig die Dokumente externer Labors kann ich online abrufen und bei mir vollständig
integrieren.
Wie effizient schätzen Sie das gegenwärtige Datenmanagement in Hausarztpraxen ein?
Zweifellos ist das noch sehr ineffzient. Wir brauchen einen viel besseren und schnelleren
Datenaustausch.
Eine zentrale Gesundheitsdatenbank könnte den Datenfluss erleichtern. Was hätte das für
Auswirkungen auf die Teamarbeit?
Eine solche Entwicklung ist zwar zwingend, dennoch wird die Zusammenarbeit zu Beginn eher
holpriger werden. Plötzlich kann man einander in die Karten schauen – eine Spitexfrau hat aber
Verein Daten und Gesundheit, www.datenundgesundheit.ch, [email protected]
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einen anderen Blickwinkel als ein Physiotherapeut. Die Professionen müssen darum lernen, die
verschiedenen Perspektiven zu einem vollständigeren Bild zu integrieren. Erst wenn dies gelingt,
vereinfacht sich die Teamarbeit.
Als Hausarzt versuchen Sie stets, den besten Behandlungsweg für einen Patienten finden. Auf
welcher Informationsgrundlage entscheiden Sie normalerweise, wie dieser aussieht?
Das ist von der Situation abhängig. Die einfachste Situation ist, wenn ich direkt aus dem Gespräch
und einer Untersuchung heraus entscheiden kann. Das ist z.B. bei einem Fieberpatienten in einer
Grippewelle der Fall. Komplizierter wird es, wenn der Patient mit einem Symptom kommt und
ich zuerst herausfinden muss, wo genau das Problem liegt. Je nachdem werden dann
Zusatzinformationen nötig, z.B. von früheren Spitalaufenthalten. Im Idealfall ist ein
Familiendossier verfügbar, wodurch ich bereits einen groben Überblick der Gesamtsituation
erhalte. Manchmal muss ich auch weitere Untersuchungen anordnen.
Wenn eine Dokumentation nur lückenhaft vorhanden ist - wie aufwändig ist es dann, zu einer
soliden Entscheidungsgrundlage zu gelangen?
Unter Umständen ist das sehr aufwändig. Wenn mich jemand während eines laufenden
Krankheitsprozesses konsultiert, muss ich diesen rekonstruieren. Eventuell ist aber z.B. ein
bestimmter Kardiologe gerade in den Ferien und ich komme nicht an die gewünschten
Dokumente heran.
Müssen Sie dann eine Zwischendiagnose erstellen, bis eine solide Datengrundlage geschaffen ist?
Das hängt extrem von der Situation ab. In Notfallsituationen muss ich auf Grund dessen
entscheiden, was ich weiss. Falls ich noch etwas Zeit habe, muss ich die Umstände abschätzen. In
einer Samstagnacht brauche ich keine Dokumente zu suchen, weil die Sekretariate nicht besetzt
sind. Unter Umständen muss ich wichtige Untersuchungen wie ein EKG oder ein Röntgen darum
wiederholen, um rasch entscheiden zu können.
Welche Vorteile könnte da eine zentrale, kooperativ organisierte Datenbank einem Hausarzt
bringen?
Als Hausarzt kämen Sie dadurch schnell – auch nachts und an Wochenenden – zu grundlegenden
Daten. Der Arzt erhielte also schnell Zugriff auf aktuelle Krankenakten. Dabei ist allerdings
wichtig, dass er zurückverfolgen kann, wer diese Daten generiert hat und ob und wie diese
seither verändert worden sind.
Was passiert heute mit den Testresultaten nach der Diagnosestellung?
Von jeder Untersuchung gibt es einen Befund. Diese Beurteilung kommt in die
Krankengeschichte, das Röntgenbild wandert in das Archiv. Das Archiv ist entweder noch analog
mit Registern und Patientennummern, oder – zunehmend – elektronisch.
Wie lange werden Patientenakten normalerweise erhalten?
Per Gesetz müssen wir Patientendaten zehn Jahre lang aufbewahren. Danach können wir sie
vernichten – und tun es auch. Niemand hat ein Interesse daran, riesige Papiermengen zu
behalten. Die Dokumente werden von einem Entsorgungsunternehmen gesetzeskonform und
anonym vernichtet.
Verein Daten und Gesundheit
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Werden die archivierten Patientendaten ausser für Ihre eigene Diagnosestellung auch für die
Forschung nutzbar gemacht?
Nur selten. Es kann sein, dass sich ein Krebsregister meldet und fehlende Daten – meist von
verstorbenen Krebspatienten – anfordert. Ausserdem wäre möglich, dass ein Patient zu einem
Forschungsprojekt einwilligt, das Archivmaterial braucht. Dieser Fall ist in meiner Praxis aber
noch nie eingetroffen. Die Forschung arbeitet sowieso meist mit einer in die Zukunft gerichteten
Datenerfassung.
Wie oft kommt es vor, dass ein Patient heute Kopien seiner Akten anfordert?
Das kommt häufig vor. Ich schätze, dass etwa 30 Prozent meiner Patienten eigene Dossiers
führen. Sie kommen mit einem Ordner in die Praxis, in den sie alle Akten ablegen. Andere Leute
sagen klar: „Die Dokumente interessieren mich nicht. Sie sind der Arzt und müssen dafür sorgen,
dass alles richtig läuft.“
Wie gross schätzen Sie die Bedeutung des Monitorings gewisser Körperfunktionen via digitalen
Apps ein in der Behandlung chronisch Kranker?
Das wird ein riesiger Hype werden. Monitoring ersetzt aber keine ärztliche Einschätzung.
Blutdruck- und Blutzuckerapps sind durchaus sinnvoll als alternative Form der
Datenspeicherung und - übersicht. Es gibt zudem bereits Software, die z.B. Empfehlungen zu der
Insulindosierung macht. Ob aber die kontinuierliche Aufzeichnung von Sauerstoffsättigung oder
Atemfrequenz für eine Behandlung relevant ist, bleibt fraglich. Immer gilt: Messwerte sind nur
ein Element einer Beurteilung. Entscheidend – besonders beim chronisch Kranken – ist der
Gesamteindruck.
Inwiefern könnte eine solche Gesundheitsdatenbank die Kommunikation und Beziehung zwischen
dem Hausarzt und einem Patienten verändern?
Längerfristig wird die Entwicklung dazu führen, dass wir Ärzte unsere Sprache verbessern – das
heisst, diese allgemeinverständlicher halten. Zusätzlich werden wir unsere Risikokommunikation
verbessern müssen. Eine Krankheit ist ja ebenso mit Risiken verbunden, wie es potentielle
Behandlungen sind. Wie kann ich einem Patienten diese Problematik so mitteilen, dass er sie
nachvollziehen kann? Die meisten Patienten können Rohdaten nicht einordnen und bei
Googlesuchen stossen sie auf die verrücktesten Sachen. Die ganze Information und Beurteilung
muss also in der nächsten Zeit besser aufbereitet werden.
Sind Sie dafür, dass eine zentrale Gesundheitsdatenbank in der Schweiz entwickelt wird?
Ja, natürlich. Sie wird uns helfen, Daten wirklich zu gebrauchen und besser auszutauschen. Für
mich als Arzt wäre allerdings wichtig, dass nicht nur Beurteilungen, sondern auch Rohdaten in
die digitalen Konti eingeschlossen würden. Nur so kann ich z.B. EKG`s und Röntgenbilder eins zu
eins vergleichen und rasch erkennen, ob sich etwas verändert hat. Wichtig sind ausserdem klar
definierte Datenschutzregeln und volle Transparenz dem Patienten gegenüber.
Rebecca Knoth, September 2013
Verein Daten und Gesundheit
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Medienanfragen:
Mathis Brauchbar: 079 407 9362
[email protected]
Verein Daten und Gesundheit
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