GLAUBEN HEISST VERTRAUEN 5 10 15 20 25 30 35 40 45 Wir gebrauchen in unserer Alltagssprache das Wort "glauben" oft mit dem Zusatz: "Ich glaube dir dies und jenes. Wenn mir einer ein Erlebnis erzählt oder eine Information übermittelt, kann ich ihm das zunächst einmal glauben oder auch nicht. Das hängt eben ganz davon ab, ob ich dem anderen vertrauen kann. Denn gerade da, wo ich mich nicht auf eigene Kenntnisse stützen kann, ist die Glaubwürdigkeit der Person des anderen Grund, warum ich seinen Worten glaube: Ich nehme ihm das Gesagte ab, weil ich mich auf ihn verlassen kann, weil ich ihn als glaub-würdig erfahren habe. In diesem Sinn ist "glauben" eine Grundform aller zwischenmenschlichen Beziehungen: nämlich jemanden Vertrauen schenken. Solange sich dieses Vertrauen im Bereich geschäftlichen Umgangs miteinander oder beruflich - fachlicher Qualifikation bewegt, kann man es weitgehend an bestimmten, eindeutig um schreibbaren Kriterien festmachen. Ob ich z.B. einem Arzt vertraue, hängt weitgehend vom allgemein anerkannten Maß seiner Heilkunst ab. Wo das Vertrauen jedoch in das Feld mitmenschlicher Zuneigung und Liebe fällt, ändert sich dies grundlegend; denn jetzt kommt viel stärker der Mensch als Person ins Spiel, als dieses einmalige "Ich" in seiner ganzen menschlichen Bedeutsamkeit. Wenn in einer solchen Beziehung Menschen einander vertrauen, geht das weit über eine kontrollierbare Erkenntnis von Tatsachen und Fähigkeiten hinaus, die das Vertrauen logisch einwandfrei rechtfertigen könnten. Trotzdem braucht es nicht einfach ein verschwommenes "Gefühl" zu sein! Nein, es hängt von einer verstehenden Einsicht in die "Werthaftigkeit" dieser konkreten Person ab... . Dieses Glaubensverständnis spielt nun auch im Bereich des christlichen Glaubens an Gott eine große Rolle. Im Glaubensbekenntnis übernimmt der einzelne den Glauben der Kirche. Konkret heißt das zunächst: Er vertraut denen, die ihm den Glauben bezeugen (z.B. seinen Eltern, den anderen Glauben den, die ihm menschlich etwas bedeuten, auch den amtlich beauftragten Verkündern usw.), daß sie ihm die Wahrheit über Gott und seine Geschichte mit uns sagen. Er hält sie für glaubwürdig. Ohne dieses Vertrauen den "Zeugen" des Glaubens gegenüber kommt es niemals zum Glauben an den Gott Jesu Christi. Es ist aber auch hier kein blindes Vertrauen: Es bewährt sich an den vielen Zeichen eines überzeugend vorgelebten Glaubens, der eben das, was er sagt, auch in der Praxis seines Lebens einzuholen versucht. Hier liegt die große Verantwortung jedes Glaubenden für die Weitergabe des Glaubens! In dieses zwischenmenschliche Vertrauen sind zugleich, auf einer tiefer reflektierenden Ebene, die auch die grundlegenden "Zeugnisse" des Glaubens: die Heilige Schrift und die sie auslegende Verkündigung der Kirche und ihre Tradition eingeschlossen. Wer glaubt, vertraut eben diesen Zeugnis sen, daß sie die ursprüngliche Glaubenserfahrung getreu und wahrhaftig weitersagen, so daß wir uns heute darauf verlassen können. Dafür werden, gerade auch mit Hilfe geschichtlicher Untersuchungen, viele Zeichen der Glaubwürdigkeit angeführt: z.B. die unmittelbare Nähe der ersten Zeugen zum ganzen Christusgeschehen, ihre persönliche Lauterkeit und die Ehrlichkeit ihrer Motive, der uneigennützige Einsatz des Lebens so vieler Zeugen des Glaubens für diese Botschaft, die Wachsamkeit der Kirche über die bleibende Identität des ursprünglichen Glaubenszeugnisses (z.B. durch den "Kanon" der Heiligen Schriften, durch ihre Konzilien, ihre Heiligen, ihr Lehramt und ihre Theologen usw.). Der letzte Adressat dieses zwischenmenschlichen Vertrauens im Bereich des Glaubens ist Jesus selbst, der ursprüngliche "Zeuge" Gottes und seiner Liebe. Wer glaubt, vertraut ihm und seinem Wort; er "nimmt es ihm ab", daß in ihm Gott selbst am Werk ist; daß in seiner Sündenvergebung Gott selbst die Sünden vergibt; daß in seinem Wort Gott selbst sein befreiendes und rettendes Wort uns zusagt; daß in seiner heilenden Liebe Gott selbst sein Reich der Gerechtigkeit und des Friedens unter uns aufrichtet; daß in seinem Tod und in seiner Auferstehung das endgültige Heil aller von Gott her begründet ist. Die erfahrbare Glaubwürdigkeit dieses Zeugen liegt in der völligen Übereinstimmung von Wort und Leben: Die ungebrochene Menschlichkeit dieses Menschen, sein kompromißloses Einstehen für das Reich Gottes um der Menschen, zumal der Armen willen bis zum äußersten, bis zum Tod am Kreuz erweist ihn und sein Wort als dieses Vertrauens würdig. Aus: Medard Kehl SJ, Hinführung zum christlichen Glauben, Mainz, 1984. GLAUBE ALS AUFGABE Unser Glaube bleibt nicht bestehen ohne unser Zutun. Er ist etwas, dem man Aufmerksamkeit und Sorge zuwenden kann oder nicht. So ist Glaube eine Aufgabe. Wer innerlich Gottes Offenbarung erkennt, hat noch einen weiten Weg vor sich. Es geht darum, die tiefste Wahrheit, die einer glaubt, aber nicht sieht und oft nicht verspürt, zu verwirklichen. Der Glaube ist immer wieder ein Sprung ins Dunkle. Wird man durch das Verlockende einer Verführung angefallen, so muß man ins Dunkle springen, wenn man den Glauben wahrmachen und nein sagen will, das heißt ja sagen zu den Menschen, denen man treu sein will, und ja zu Gott. An einem Tag, an dem man nichts erfährt als Regen, unangenehme Kollegen und Krach zu Hause, ist es eine Tat der Hingabe, an den Heiligen Geist und damit an die mögliche Güte in den anderen und sich selbst zu glauben. Wird man durch sinnloses Leiden überwältigt, ist es eine Tat großen Glaubens, sich Gottes Treue vorzustellen und Jesu Sinngebung des Leids. Glauben ist darum nicht eine unbemerkt weitergehende Mitgliedschaft zur Kirche. Glauben hat immer etwas mit dem jetzt zu tun: daß Gott jetzt mächtig ist, uns nicht allein zu lassen; daß Gott jetzt mächtig ist, den Lauf der Dinge zu lenken; ja, daß Gott jetzt mächtig ist, in seiner Liebe Wunder zu wirken. „Und er stand auf, schalt den Wind und sprachzur See: „Schweige, sei still!“ Da legte sich der Wind, und es wurde große Stille. Und er sprach zu ihnen: „Was seid ihr so furchtsam ! Habt ihr noch keinen Glauben?“ (Mark. 4, 39-4o). Glaube ist Überwindung des Mißtrauens gegen Gottes Welt. Er ist eine der großen Kräfte im Fortgang der Menschheit. Ist es zu verwundern, daß Jesus diesen Sprung über uns selbst hinaus so oft empfiehlt? Zur Glaubenssicherheit gehört wesentlich der Zweifel: DER ZWEIFEL Wenn man sich auf sich selbst zurückzieht, kann man immer fragen: Betrüge ich mich nicht, oder werde ich nicht betrogen? Zeiten der Sicherheit können sich mit Zeiten der Erschütterung abwechseln. Der Glaube mancher Menschen ist fast immer in Ruhe, bei anderen ist er zumeist in Zweifel. ((Wir gebrauchen das Wort Zweifel für jede Versuchung im Glauben und für jede Glaubensschwierigkeit; wir meinen also mit Zweifel nicht, was einige Religionsbücher darunter verstehen: die Verweigerung der Glaubenshingabe. Üher die Sündhaftigkeit des Zweifels in diesem Sinne vgl. im dritten Teil )) Das Vorhandensein von Zweifel sagt an sich noch gar nichts über die Sicherheit, mit der man glaubt. Ein heftiger Zweifel kann zusammengehen mit einer vollkommenen Hingabe, mit einem felsenfesten Glauben. Ja, gerade starker Glaube kennt oft großen Zweifel. Je mehr einer liebt, sich vollkommener hingibt, desto mehr hat er das eigene Ich verlassen; nun steht mehr auf dem Spiel. Ein angefochtener Glaube bleibt ein ganzer Glaube. Wirklicher Glaube ist immer ganz. Man kann nicht halb gläubig, halb ungläubig sein. Solange man sagt: ja, ich will glauben, ist man ganz gläubig. Niemand ist je von seinem Glauben abgefallen, wenn er es nicht wollte. Der Mann, der Jesus zurief: »Ich glaube. Hilf meinem Unglauben!«, glaubte ganz. Darum heilte Jesus seinen Sohn. Theresia von Lisieux hat schreckliche Glaubenszweifel gekannt, ehe sie in ihrem Kloster als Zweiundzwanzigjährige starb. Nichts war ihr von ihrem Glauben mehr übriggeblieben als die letzte Hingabe: Ich will glauben; hilf meinem Unglauben. So wurde dieses Mädchen eine Heilige, die einen Platz zwischen den Helden von Hebräer 11 verdient hat. In der großen Glaubenskrise, die ihre Zeitgenossen, die Intelligenz und die Arbeiter Europas durchzumachen hatten, litt sie dieses Leid mit in der äußersten Hingabe der Liebe, zweimal neun Monate lang. Wie viel Leben wird nicht daraus geboren sein! Betrachten wir den Herrn selbst in seinen Versuchungen in der Wüste und in seiner Klage am Kreuz. Besser als irgend sonst erkennen wir an ihm, wie der Zweifel die Sicherheit nicht aufhebt. Gerade in seinen Versuchungen, gerade am Kreuz ist seine Hingabe vollkommen. Überall in der Schrift stehen Menschen in Glaubens- und Vertrauenskrisen: Abraham (Genesis 22); das Volk in der Wüste (Exodus 17, 4-7); die Propheten (1 Könige 19, Jeremia 15, 10-21); das Volk nach der Zerstörung Jerusalems (Jesaia 49, 14); kranke Menschen (Psalm 22); verantwortliche Menschen (Luk. 22, 31). Jede Zeit hat ihre eigene Art Glaubenskrise. Es hat in der Kirchengeschichte Jahrhunderte gegeben, in denen das Dunkel eher als Verzweiflung hervortrat: man glaubte, für ewig verdammt zu sein: Gott rettet mich nicht; oder jemand litt eine Zeitlang unter Gewissensängsten (Skrupel). So ist eine häufig unter uns vorkommende Weise, daß man das Gefühl hat, die Existenz Gottes und des Geistes Jesu hinge völlig in der Luft Aus vielen Richtungen kommt der folgende Zweifel. Wie reimt sich diese grausame Welt mit Gottes Güte? Oder: Das verkündigte Heil ist absolut kein Heil für mich. Oder: Gott gehört nicht zu meiner Daseinserfahrung. Er sagt mir nichts. Oder: Menschen ohne Glauben führen ein genauso gutes Leben oder gar ein noch besseres. Über solche Frage wird an anderen Stellen dieses Buches gesprochen von Gottes Offenbarung aus. Hier fragen wir nur: Was fängt der Christ in Zeiten des Zweifels an? Wir haben so lange über den Glaubenszweifel gesprochen, weil er eben auf seine Weise auch zeigt, was der Glaube ist. Er gehört zum Glauben. Er hat in ihm einen Sinn und eine positive Funktion. Er zwingt den Gläubigen, sich Jesu Botschaft deutlicher zu vergegenwärtigen. Er macht die Hingabe bewußter. Er reinigt den Glauben von Nebentnotiven. Er macht den Glauben geräumiger, weil neu entdeckte Wirklichkeiten und Werte - die Quellen vieler Zweifel - nicht mehr erscheinen als etwas, was draußen ist, sondern als etwas, was uns von Gott herkommt. (Grandios geschieht das in der babylonischen Glaubenskrise Israels: Jesaja 40-55.) In einem Wort: Die Krise verinnerlicht und erwärmt eines jeden Kontakt mit Gott - denn sie ist ein Stück unserer Geschichte mit ihm. Quelle: „Holländischer Katechismus“