Ausgepackt

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22.11.2013 - 18:30 Uhr
Ausgepackt
Text: kathrin-hollmer - Foto und Ilistrationen: original unverpackt; Entwurf: NAU Berlin
Eine Tasse Mehl aus dem Supermarkt - diese Vorstellung könnte bald Realität werden: Drei Freundinnen
aus Berlin eröffnen 2014 "original unverpackt", den ersten Supermarkt, der fast komplett auf
Einzelverpackungen verzichtet.
Nehmen wir mal Müsli. Ein Müsli ist verpackungstechnisch eine Katastrophe. Da ist einmal die Schachtel.
Altpapier, immerhin. In der Schachtel befindet sich eine Tüte. Plastik, sehr schlecht. Und darin ist dann
endlich das Müsli, das man in ein hübsches Vorratsglas schüttet, weil die Schachtel nicht gerade dekorativ
aussieht. Dabei könnte es viel einfacher sein. Man könnte mit dem hübschen Vorratsglas zum Einkaufen
gehen und sich seinen Müslivorrat nachfüllen lassen. Kann man aber nicht.
Zwei Freundinnen aus
Berlin haben daraus eine
Geschäftsidee entwickelt.
Die Mediengestalterin und
Kommunikationswissenschaftlerin Milena
Glimbovski, 23, und Sara
Wolf, 30, Absolventin in
Internationalen
Beziehungen, wollen im
kommenden Jahr den
ersten Supermarkt in
Deutschland eröffnen, der
weitgehend auf
Einwegverpackungen
verzichtet. "original
unverpackt" soll er heißen.
Auf die Idee kamen Milena
und Sara, als sie an einem
Abend zusammen gekocht
haben, damals waren sie
Sara Wolf, Milena Glimbovski und Sarah Pollinger
noch Arbeitskolleginnen in
einer Agentur. "Plastiktüten zum Transportieren nehmen wir schon länger keine", sagt Sara, "aber das ist ja
nicht alles. Als wir nach dem Einkaufen die ganzen Tütchen und Dosen ausgepackt haben, sprachen wir
darüber, wie unsinnig das ist. Manche packen ja auch noch die Avocado oder die drei Tomaten in eine extra
Tüte."
Weniger Müll, weniger Ressourcen-Verschwendung
Über Müll, speziell in Form von Plastiktüten, wird zur Zeit viel diskutiert. Mehr als acht Milliarden werden
jedes Jahr allein in Europa weggeworfen. Die Grünen forderten Anfang des Jahres, jede Plastiktüte mit 22
Cent zu besteuern. Dabei entsteht der Müll schon vorher, und das ist die Idee von Sara und Milena:
Verpackungsmüll von vornherein vermeiden. "Precycling" nennen sie das. Das spart einerseits Ressourcen
wie Wasser und Erdöl, die man für die Produktion braucht, und es wird weniger Müll produziert.
Sara und Milena stellen
sich ihren Supermarkt so
vor: Die Kunden bringen
Gläser, Mehrwegflaschen,
Dosen oder waschbare
Nylonsäckchen mit, oder
kaufen beziehungsweise
leihen diese in ihrem
Geschäft. Die Behälter
werden vor dem Einkauf
ohne Inhalt gewogen, wie
beim Erdbeerenpflücken.
Und dann füllen die
Kunden ihre Döschen mit
allem auf, was sie so
brauchen. Nudeln, Reis,
getrocknete Erbsen und
Bohnen oder Linsen
könnten aus "Gravity Bins"
(siehe Skizze in der
Bildergalerie) rieseln.
Milch und Öl könnten wie
in einer Saftbar
ausgeschenkt werden. Und
Sachen, die man nicht ohne
Einzelverpackung
verkaufen darf, wie
Fleisch? "Das würden wir
dann umweltschonend
verpacken, zum Beispiel in
Bienenwachspapier", sagt
Sara.
Wenn Lebensmittel nicht
mehr industriell verpackt
Bildergalerie starten
sind, hat das noch einen
zweiten Vorteil: Man kann nur die Mengen kaufen, die man wirklich braucht. Oft ist das nur ein Teelöffel
Kardamom für ein Rezept, und keine ganze Dose. Die Franchise-Kette "Kochhaus" (die Gründerin im
Interview mit jetzt.de) verkauft schon seit einer Weile mit Erfolg Zutaten nach Rezepten.
Das Sortiment von "original unverpackt" soll ebenso nachhaltig sein wie die Idee, auf Verpackungen zu
verzichten. Fleisch und Milchprodukte sollen Bio-Qualität haben, ansonsten ist ihnen regionale Herkunft
wichtiger. "Es wird auch konventionell produzierte Lebensmittel geben. Bio aus Israel oder China ist für uns
nicht Bio", sagt Sara. Auch Obst und Gemüse, das nicht den optischen Standards entspricht, wie es in Berlin
die Culinary Misfits verarbeiten, könnten sie sich vorstellen zu verkaufen. Preislich soll ihr Laden etwa auf
"Rewe-Niveau" kommen, sagt Sara. Eigentlich unvorstellbar für ein kleines Geschäft, wie ihres wenigstens
am Anfang sein wird. Mit ihren kleinen Bestellmengen haben sie viel höhere Ausgaben als die großen
Ketten. Doch das soll das Wegfallen der – nicht unerheblichen – Kosten für die Verpackung wettmachen,
erklärt Sara.
Vorbilder in London und Texas
Die Idee eines verpackungsfreien Supermarkts gibt es schon länger. Die Londonerin Catherine Conway
betreibt seit 2007 das Lebensmittelgeschäft Unpackaged (in diesem Video sieht man ganz gut, wie das
Konzept funktioniert). In Austin/Texas haben die Brüder Christian, Joseph und Patrick Lane 2012 ihren
Lebensmittelladen in.gredients eröffnet. Sie verkaufen ausschließlich Produkte aus der Region und ebenfalls
alles ohne Verpackung. In Deutschland ist das Konzept neu, wenigstens für Supermärkte.
Vor kurzem besuchten Sara und Milena das Geschäft von Catherine Conway. "Wir haben uns mehrere
Lebensmittelläden in London angesehen, dort ist die Stimmung ganz anders, viel herzlicher freundlicher,
hilfsbereiter", sagt Sara. So stellen sich die beiden auch ihren Laden vor: als Treffpunkt, mit
Veranstaltungen, Seminaren und Vorträgen über nachhaltiges Leben oder das Einkaufen der Zukunft.
Auch wenn noch kein
Eröffnungstermin steht,
wurden die drei mit ihrer
Idee schon mehrfach
ausgezeichnet: Beim
Businessplan Wettbewerb
Berlin-Brandenburg
belegten sie den ersten
Platz im Bereich "Beste
Idee und Marketing" und
in der Gesamtbewertung
Platz vier, außerdem
erhielten sie den
Nachhaltigkeitspreis des
Wettbewerbes. Vom
Bundeswirtschaftsministeri
um wurden sie als einer
von 32 "Kultur- und
Kreativpiloten
Deutschlands"
ausgezeichnet.
Ihre Jobs in der Agentur
So könnte "original unverpackt" später aussehen. Der Entwurf kommt vom
haben Sara und Milena
Architekturbüro NAU Berlin.
inzwischen gekündigt, und
Sarah Pollinger, 26, als Unterstützung in Einkauf und Logistik dazugeholt. Im kommenden Jahr wollen die
drei ihren Laden eröffnen, zunächst als Testmarkt, und am liebsten in Kreuzberg. "Da ist das junge kreative
Leben, also genau unsere Zielgruppe", sagt Sara. Gerade suchen sie noch nach Investoren, auch
Crowdfunding können sie sich vorstellen. "Das wird nur nicht reichen, wir brauchen etwa 100.000 Euro",
sagt Sara. Im Moment arbeiten sie nebenbei zwei Tage die Woche in einem veganen Supermarkt
beziehungsweise Café, um etwas dazuzuverdienen. Wenn alles klappt, wollen sie "original unverpackt" bald
hauptberuflich machen. Und ihr Konzept auch in andere Städte bringen.
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