Landesbildungsserver Baden-Württemberg, Fachredaktion Gemeinschaftskunde Unterrichtsmaterial Nichtwähler Immer mehr Menschen gehen nicht wählen. Die Unterrichtssequenz beleuchtet das Thema „Nichtwähler“ und „Einführung einer „Wahlpflicht“. Einsetzbar ist das Material ab Klasse 9 bis in die Oberstufe. M1 gibt Einblicke zu Wahlen in Deutschland, M2 geht auf Nichtwähler im Allgemeinen ein. In M3 und M4 wird mit Grafiken zur Wahlbeteiligung und den sozialen Milieus gearbeitet, die Grafik M4 wurde der jüngsten Studie (4.9.2015) der Bertelsmann-Stiftung entnommen. M4 kann bei Mittelstufe-Klassen außer Acht gelassen werden Anschließend sollen die Schülerinnen und Schüler sich in M5 mit der Möglichkeit der Einführung einer Wahlpflicht auseinandersetzen. Es sollen Vor- und Nachteile dieser erarbeitet werden. In ca. 31 Ländern ist die Wahlpflicht zurzeit eingeführt, d.h., die Menschen müssen wählen gehen, weil sie sonst mit Sanktionen rechnen müssen1. Die Mehrheit unserer Nachbarn haben eine Wahlteilnahmepflicht und langjährige Erfahrung damit, zum Beispiel Luxemburg, die Schweiz, Österreich oder Belgien. Die Länder mit einer Wahlpflicht weisen meist eine Wahlbeteiligung von über 90% auf, sie liegen um bis zu 24% über Ländern ohne Wahlpflicht. Kaeding sieht die Einführung einer Wahlpflicht als einziges Mittel, „um das Kernproblem der sinkenden Wahlbeteiligung, die soziale Schieflage, zu beseitigen (a.a.O.). Die Lösungen für die Lehrerhand finden Sie auch in einer extra Datei. Übersicht auf der bpb-Seite über die einzelnen Facetten der Wahlbeteiligung Manfred Güllner: Nichtwähler in Deutschland (2013). Artikel vom 3.8.2015, Regierungsforschung.de (PDF): Die soziale Schieflage der Wahlbeteiligung: Nutzloser Zwang oder Stein der Weisen? Die Wahlteilnahmepflicht in der Empirie. Pro und Contra: Politiker über die Einführung einer Wahlpflicht Prof. Dr. Michael Kaeding, Die soziale Schieflage der Wahlbeteiligung: Nutzloser Zwang oder Stein der Weisen? Die Wahlteilnahmepflicht in der Empirie. Online abrufbar: Regierungsforschung.de In dem Artikel befindet sich eine Tabelle der Länder mit Wahlpflicht (S. 4). 1 Landesbildungsserver Baden-Württemberg, Fachredaktion Gemeinschaftskunde Nichtwähler – Sollte eine Wahlpflicht in der BRD eingeführt werden? M1: Wahlen in der BRD 1 5 Artikel 38 (1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. (2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt. Ausschluss von Wahlen 1 5 10 15 20 Wähler müssen seit mindestens drei Monaten Ihre Wohnung in der Bundesrepublik Deutschland haben oder sich sonst im Normalfall dort aufhalten. „§ 13 Nr. 1 Bundeswahlgesetz (BWG) bestimmt, dass vom Wahlrecht unter anderem ausgeschlossen ist, wer infolge Richterspruchs das Wahlrecht nicht besitzt. […] Dieser Ausschluss infolge Richterspruchs eines deutschen Gerichts ist allerdings nur in wenigen, im Strafgesetzbuch (StGB) und im Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) ausdrücklich genannten Fällen möglich und gilt für zwei bis maximal fünf Jahre. Der Ausschluss vom Wahlrecht erfolgt, wenn es zu Verurteilungen zu Freiheitsstrafen von mindestens sechs Monaten bzw. von mindestens einem Jahr zum Beispiel wegen folgender Straftaten gekommen ist: Vorbereitung eines Angriffskrieges und Hochverrat gegen den Bund Landesverrat und Offenbarung von Staatsgeheimnissen Angriff gegen Organe und Vertreter ausländischer Staaten Wahlbehinderung und Fälschung von Wahlunterlagen Abgeordnetenbestechung Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln oder sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst (Voraussetzung in diesem Fall ist die Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr). Die Aberkennung des Wahlrechts ist in diesen Fällen nach Maßgabe der speziellen Strafrechtsvorschriften in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt und nicht automatische Folge der Verurteilung wegen dieser Straftaten.“2 M2: Nichtwähler 1 5 10 2 Bis das Wahlrecht für alle gleichermaßen galt, mussten viele Kämpfe und Revolutionen ausgestanden werden. Bei der ersten Volkskammer-Wahl nach dem Ende der DDR-Diktatur lag die Wahlbeteiligung bei 93,4 %. Bei den letzten Bundestagswahlen sank die Wahlbeteiligung immer weiter, zuletzt 2009 auf 70,8 % und 2013 auf 71,5%. Immer mehr wahlberechtigte Personen machen nicht von ihrem Recht Gebrauch, sich aktiv an politischen Wahlen zu beteiligen, es sind sogenannte Nichtwähler. Gründe gibt es einige, warum Menschen nicht zur Wahl gehen: viele zeigen eine Parteien- und Politikverdrossenheit, viele sind Unzufriedenheit mit dem politischen System, gehen aber trotzdem nicht zur Wahl, die soziale und wirtschaftliche Unzufriedenheit spielt eine große Rolle oder einfach Desinteresse am politischen Geschehen und der Glaube, man könne „ja doch nichts ändern“. Text: Mirja Schweigert Bundeswahlleiter, http://www.bundeswahlleiter.de/de/glossar/texte/Aberkennung_des_Wahlrechts.html Landesbildungsserver Baden-Württemberg, Fachredaktion Gemeinschaftskunde M3: Die sozialliberale Koalition platzt Ende 1982, die FDP wechselte die Seite. 1983 gab es Neuwahlen, Helmut Kohl wollte seine neue Regierung vom Volk bestätigen lassen. Infolge der vorzeitigen Auflösung des 15. Deutschen Bundestags fand die Bundestagswahl 2005 bereits am 18. September 2005 statt. M4: Wahlbeteiligung 2013 nach Milieus3 3 Mit freundlicher Genehmigung der Bertelsmann Stiftung, Quelle: https://www.bertelsmannstiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/ZD_EINWURF_2_2015.pdf und „sinus, microm und infratest, 2013“ Landesbildungsserver Baden-Württemberg, Fachredaktion Gemeinschaftskunde M5: Einführung einer Wahlpflicht? 1 5 10 15 20 25 30 35 40 45 Die Bertelsmann-Stiftung gab Anfang September 2015 eine neue Studie4 heraus und konnte das erste Mal beweisen, dass „die Wahlbeteiligung der sozialen Oberschicht […] um bis zu 40 Prozentpunkte über der Wahlbeteiligung der sozial schwächeren Milieus“ liegt. Diese sind bei dem Wahlergebnis bis zu einem Drittel unterrepräsentiert und die Anzahl der Nichtwähler ist fast doppelt so hoch wie die der Wahlberechtigten. Dadurch sind die sozial stärkeren Milieus überrepräsentiert. Vermutet wurde schon lange, dass die Wahlbeteiligung sinkt, je geringer das Einkommen / die Bildung sind und je höher die Arbeitslosigkeit ist. Die Bertelsmann-Stiftung hat nun bewiesen, „je prekärer die soziale Lage eines Wohnumfeldes ist, umso höher ist der Anteil der Nichtwähler.“ Immer wieder stellt sich deshalb die Frage, ob es eine Wahlpflicht geben sollte, wie es bereits in den meisten unserer Nachbarländer, zum Beispiel Liechtenstein, Österreich, der Schweiz und Belgien, der Fall ist. Befürworter meinen, dass Demokratie kein selbstverständliches Gut sei, sondern verteidigt werden müsse, jeder habe die Pflicht, zu wählen. Es stellt sich die Frage, ob man von einer funktionierenden Demokratie sprechen kann, wenn 50% oder weniger der Wahlberechtigten nicht wählen gehen, wie es 2015 in Bremen der Fall war (Wahlbeteiligung 50%5). Eine Wahlpflicht verpflichtet die Wahlberechtigten zur Stimmabgabe, zum Beispiel einer Parlamentswahl oder bei Universitätswahlen. Normalerweise werden Wählerlisten geführt, um eine Kontrolle der Stimmabgabe zu gewährleisten. Auch die DDR handhabte die Pflichtwahl mit Wählerlisten. In vielen Ländern werden Geldstrafen verhängt, wenn die Wahlberechtigten nicht zur Wahl erscheinen, es gibt aber auch Länder, die Gefängnisstrafen vorsehen6. Die Wahlbeteiligung in Belgien und Luxemburg hat sich mittlerweile zwischen 91 und 92 Prozent eingependelt, Länder wie Italien und Griechenland zeigen, dass in innenpolitischen Krisenzeiten auch eine Wahlpflicht kein Allheilmittel ist. Die Wahlbeteiligungen lagen bei den vergangenen Parlamentswahlen bei 65 (Griechenland) bzw. 75 Prozent (Italien).7 Viele lehnen die Verpflichtung, zu wählen, ab, weil sie der Meinung sind, es sei gegen das Persönlichkeitsrecht, gezwungen zu werden. Die Zeugen Jehovas wählen aus religiöser Überzeugung nicht, beziehen sich dabei auf die Bibel, und lassen sich auch nicht für politische Ämter aufstellen. Als Gründe für eine geringe Wahlbeteiligung werden oft eine ermüdete Demokratie genannt und eine Entfremdung von Politik und Wählern. Die Politik und Medien müssten wieder politisches Handeln erklären und vermitteln, die Schule müsste die Jugendlichen viel stärker zum demokratische Handeln und Denken hinführen, dazu wäre es auch nötig, früher mit politischer Bildung – im einfachen Rahmen – zu beginnen und die Stundenzahlen, gerade in der Oberstufe, zu erhöhen. Der Politik fehlt es zudem an einer Pluralität politischer Meinungen und Handlungen, es wird sich zu wenig gerieben, Unterschiede der Parteien sind oft kaum deutlich, der potentielle Wähler zeigt Verdruss, verweigert die Wahl, weil es zu wenig Wahlmöglichkeiten gibt. Dabei könnten diese Menschen ihren Ärger über den Wahlakt deutlich machen, indem sie in der Wahlkabine ungültig wählen, indem sie zum Beispiel nichts ankreuzen oder den Zettel durchstreichen. Dieser Protest würde statistisch erhoben werden und wäre ein deutliches Zeichen. Text: Mirja Schweigert 4 5 6 7 https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/ZD_EINWURF_2_2015.pdf https://wahl.tagesschau.de/wahlen/2015-05-10-LT-DE-HB/umfrage-wahlbeteiligung.shtml Vgl. u.a. Badische Zeitung vom 26.8.2013. Badische Zeitung: Wahlpflicht? Experten sehen viele Vorteile (26.8.2013) Landesbildungsserver Baden-Württemberg, Fachredaktion Gemeinschaftskunde Fassen Sie zusammen, wer in der Bundesrepublik Deutschland bei Bundestagswahlen wählen darf und wer aus welchen Gründen nicht (M1). Definieren Sie den Begriff Nichtwähler (M2) und nennen Sie Gründe für das Nichtwählen (M5). Analysieren Sie die Grafik zur Wahlbeteiligung und erklären Sie den Aspekt der Nichtwähler (M3). Analysieren Sie die Grafik zur Wahlbeteiligung nach Milieus (M4). Nennen Sie Gründe, warum sozial besser gestellte Schichten eine höhere Wahlbeteiligung haben könnten. Erklären Sie in eigenen Worten, was eine Wahlpflicht bedeutet (M5). Erstellen Sie anhand von M5 eine Pro- und Contra-Liste, ob in Deutschland eine Wahlpflicht eingeführt werden sollte. Nennen Sie weitere Argumente.