Warum eine Frauenpartei feministisch sein muß Dr. Britta Zangen Inhalt: 1. Überblick über die Situation der Frauen. 2. Warum müssen wir Frauen in einer Partei politisch tätig sein? 3. Warum müssen wir Frauen in einer Frauenpartei tätig sein? 4. Warum muß diese Partei feministisch sein? 1. Überblick über die Situation der Frauen Um aufzuzeigen, warum wir überhaupt politisch tätig sein müssen - weil nämlich die Situation der Frauen weltweit noch immer von Benachteiligungen geprägt ist: Laut UNO leisten Frauen weltweit 75% der bezahlten und unbezahlten Arbeit, erhalten dafür 10% aller bezahlten Löhne und Gehälter und nennen 1% des Besitzes ihr Eigen. Ach ja, werden Sie einwenden, in der Dritten Welt, aber bei uns doch nicht! Sie irren. In der BRD sieht es konkret so aus - und wir wollen das nicht länger hinnehmen: Obwohl Mädchen bessere Schulabschlüsse haben (29% der Mädchen machen Abitur, 18% der Jungen; 7% der Mädchen sind ohne Schulabschluß, 14% der Jungen), finden sie häufiger keine Lehrstelle. Obwohl Frauen die besseren Qualifikationen haben, sind 22% der Frauen, aber nur 11% der Männer erwerbslos (sagen Sie ja nicht arbeitslos - wenn Männer erwerbslos sind, sind sie häufig auch arbeitslos - Frauen haben immer mehr als reichlich zu arbeiten). Wir treffen Frauen viel weniger häufig in den gut bezahlten höheren Etagen des Berufslebens an: Im öffentlichen Dienst sind 47% Frauen beschäftigt, aber nur 27% im sogenannten höheren Dienst; in der Wirtschaft sind 8% des mittleren und 6% des Top-Management weiblich. Verdienen Frauen durchschnittlich 30% weniger, auch bei gleicher oder vergleichbarer Tätigkeit. Stellen 80% der SozialhilfeempfängerInnen und 90% der Teilzeitbeschäftigung und der 630 DM-Job-InhaberInnen. Kein Wunder also, daß Männer durchschnittlich 1800 DM Rente im Monat bekommen, Frauen aber durchschnittlich nur 900 DM (was unter dem Existenzminimum liegt). Zu der krassen Benachteiligung der Frauen im Erwerbsleben kommt die Belastung der Familienarbeit hinzu: 65% der Frauen mit Kindern sehen ihre eigene Freizeitgestaltung durch die Kinder stark eingeschränkt, aber nur 23% der Männer. 40% der Frauen, die ihr Studium abbrachen, tun das wegen der Kinder; kein Prozent der Männer, die ihr Studium abbrachen, geben als Grund dafür Kinder an. Keine 2% der Männer nehmen Erziehungszeiten; dabei finden 70% der Männer Erziehungsurlaub für Männer theoretisch gut; 40% fänden ihn noch gut, wenn das in der eigenen Familie anstünde; keine 2% tun es tatsächlich. 80% aller Frauen sind allein für Putzen und Kochen zuständig. Diese Zahlen beweisen, daß die Benachteiligung der Frauen noch nicht der Vergangenheit angehört, wie viele Männer und Frauen uns weismachen wollen. Diese Benachteiligung ist sachlich nicht zu begründen, ist ungerecht und gehört dringend geändert! Dafür müssen wir weiterkämpfen, vorrangig: für eine echte Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit, für die Verteilung von Familien- und Erwerbsarbeit auf beide Geschlechter, für die individuelle finanzielle Absicherung jeder Frau, für eine gerechte Entlohnung, für die 50%-Quote in allen Bereichen der Erwerbsarbeit, um nur einiges zu nennen. Kämpfen? Aber lohnt das Kämpfen denn? Bringt es denn was? Und wie! Wir Frauen hatten stets Erfolge, wenn wir kämpften. Die erste deutsche Frauenbewegung, in deren Nachfolge wir Feministinnen der zweiten Frauenbewegung stehen, belegt das auf beeindruckende Weise. Trotz ununterbrochenen Widerstandes der Männer errangen die Frauen während der letzten 30 Jahre des 19. und den ersten 20 Jahren des 20. Jahrhunderts, beispielsweise: daß Frauen ihr eigenes Geld bei Verheiratung behalten dürfen; daß sie ihre Kinder nach der Scheidung behalten dürfen; daß sie - Schritt für Schritt - ins Gymnasium gehen dürfen, Abitur machen dürfen, als Gasthörerinnen an den Unis zugelassen sind, sich immatrikulieren dürfen und Universitätsabschlüsse machen dürfen; zu Gewerkschaften zugelassen werden; als angestellte Frauen im Staatsdienst bei Heirat nicht automatisch entlassen werden; nach 50 Jahren Kampf das sog. Stimmrecht (aktives und passives Wahlrecht) erhalten; und schließlich 1949 setzen die vier Mütter des Grundgesetzes mit Hilfe von Tausenden von Protestbriefen die Aufnahme des Satzes "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" ins Grundgesetz durch. Ist das eine Erfolgsstory?! Die Größe, ja die Unglaublichkeit dieser Erfolge wird um so deutlicher, wenn wir uns vor Augen halten, wogegen unsere Vormütter haben ankämpfen müssen. Für jede zwei Schritte, die sie nach vorne machten, wurden sie wieder einen zurückgedrängt. Kaum wurden deutsche Frauen im Vorfeld der Märzrevolution von 1848 erstmals politisch aktiv, da untersagte ihnen das "Preußische Vereinsgesetz" für die kommenden 58 Jahre jedwede politische Aktivität. Kaum hatte die erste feministische Frauenzeitung auf deutschem Boden zur selben Zeit Erfolg, da verbat - diesmal der sächsische Staat - den Frauen das Herausgeben von Zeitungen. Und so geht es die ganze Zeit weiter: Gründung "Deutscher Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation"; Gründung "Antifrauenstimmrechtsbund"; Gelehrte und Männer, die sich so bezeichnen, diskutieren ununterbrochen die sog. Frauenfrage (dabei ist es ein Erfolg der Frauenbewegung, daß das Wort in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts überhaupt aufkommt); SCHOPENHAUER bezeichnet den Mann als den eigentlichen Menschen; ein Mediziner erklärt die Frau als minderwertig, weil ihr Gehirn weniger wiege; NIETZSCHE befindet, die Frau sei nur dazu da, die Bedürfnisse des Mannes zu befriedigen; FREUDS Theorie vom Penisneid beweist der "kastrierten" Frau , daß sie minderwertig sei; WEININGER spricht ihr den Besitz einer Seele ab; MÖBIUS hält sie für ein tierähnliches Wesen. Angesichts solchen Gegenwinds, sind die Erfolge der ersten Frauenbewegung atemberaubend : 1908 dürfen sie sich wieder politisch, also auch parteipolitisch, beteiligen. 1918 erringen sie das Wahlrecht, d.h. die Grundvoraussetzung für die Teilnahme am demokratischen System. 1920 ziehen sie mit 9,6% aller Abgeordneten in den Deutschen Reichstag ein (höchster weiblicher Anteil weltweit und erst 1983 in der BRD wieder erreicht). 1933 beenden die Nazis 80 Jahre erfolgreichen Kampfes der ersten Frauenbewegung. 2. Warum müssen wir Frauen in einer Partei politisch tätig sein? Heute, in der zweiten Frauenbewegung, führt uns unser Kampf zwangsläufig in die Parlamente, denn da liegt in einer Demokratie die Macht, und an die Macht wollen und müssen wir, um zu verändern. In ein Parlament kommt mensch nur als Teil einer Partei. Deshalb arbeiten wir heute in einer Partei. 3. Warum müssen wir Frauen in einer Frauenpartei tätig sein? Wir könnten doch in die bestehenden Männerparteien gehen! Könnten wir, sollten wir aber nicht, denn: 1. Wir sollten unsere Kraft nicht in internen Auseinandersetzungen mit Männern vergeuden. Daß die Frauen in den Männerparteien das tun müssen, verraten diese Frauen nur unter vier Augen. Eine Untersuchung diesbezüglich in Bayern hat Gründe für das vorschnelle Aufgeben der Frauen in der Politik herausgefunden: Platzhirschgehabe der Männer, stundenlanges unqualifiziertes Geschwätz. 2. Wir müssen aufhören, frauenpolitische Interessen den Männermehrheiten zu opfern. In Parteien brauchen Frau oder Mann Mehrheiten für die eigenen politischen Ziele; in Männerparteien gibt es die nicht für frauenpolitische Ziele. Die Quote hat daran nichts geändert, die Männer halten sich nicht einmal an die eigene Quote: bei der letzten Bundestagswahl waren in NRW von 71 DirektkandidatInnen der SPD 17 Frauen aufgestellt - trotz einer Quote von 40% (demnach hätten es eigentlich 28 Kandidatinnen sein müssen). Außerdem kandidierten diese 17 Frauen mehrheitlich in CDU-Hochburgen und hatten kaum eine Chance, in den Bundestag einzuziehen. Das heißt, wir müssen unsere Kraft also voll und ganz für uns selbst einsetzen - in einer Frauenpartei. Aber Frauen gehören nicht nur in die Politik, um sich besonders für Frauen einzusetzen, sondern auch weil sie eine andere Politik machen, denn es sind nachweislich vor allem die Frauen, die sich Sorgen machen um: gentechnisch manipulierte Lebensmittel, geklonte Menschen, die mögliche Strahlung von Kernkraftwerken, die besonders gegen Frauen gerichtete, alltägliche MännerGewalt in unserer Gesellschaft, um nur einiges zu nennen. Es sind nachweislich Frauen, die kritischer als Männer militärischer und staatlicher Gewalt gegenüberstehen, die umweltbewußter sind, aufgeschlossener gegenüber Fremden, mitleidender gegenüber Alten, Kranken und Behinderten. MARIE JUCHACZ, die erste Frau, die in der allerersten Rede einer Frau in einem deutschen Parlament 1919, sagte: "Es geht um scharfes, kluges Denken, ruhiges Abwägen und warmes menschliches Fühlen." Dies ist im besonderem Maße den Frauen eigen, und sie gehören im positiven Sinne qua Frauenpartei dringend an die Macht. 4. Warum muß diese Partei feministisch sein? Was ist das überhaupt? Vielleicht sind Sie ja Feministinnen und wissen es gar nicht, oder - schlimmer - wollen es nicht wissen, leiten Ihre Kritik am System immer mit "Ich bin zwar keine Feministin (Gott bewahre), aber ..." ein. Sie sind eine, wenn Sie nicht den Mund halten, wenn in Ihrem Beisein sexistische Sprüche geklopft oder sexistische Witze gemacht werden, wenn Frauen in Ihrem Beisein benachteiligt, belästigt, abgewertet oder lächerlich gemacht werden, wenn Sie gemeinsam mit anderen Frauen aktiv für Veränderungen im Sinne der Frauen kämpfen. Ich gebe Ihnen aber auch gerne eine Definition von ALICE SCHWARZER. Danach ist Feminismus: "der Kampf gegen die Unterdrückung von Frauen in einer patriarchalen Welt". Hilfreicher ist es vielleicht, ein paar Dinge konkret zu benennen, die Feministinnen tun (in Anlehnung an Jutta Limbach). Wir Feministinnen: nennen Macht- und Gewaltverhältnisse, die Frauen zum Objekt machen beim Namen; lenken die allgemeine Aufmerksamkeit auf die speziellen Lebensverhältnisse von Frauen; helfen anderen Frauen zu begreifen, daß ihr vermeintlich individuelles Schicksal Frauenschicksal ist; und unterstützen andere Frauen auf dem Weg zur Selbständigkeit und Unabhängigkeit, damit sie dazu kommen können, selbst zu entscheiden, wie sie ihr Leben gestalten wollen. Wie wird Frau eigentlich zur Feministin? Abgesehen von ein paar wenigen geborenen Feministinnen, läuft das oft in folgenden Schritten ab: Nach häufig jahrzehntelangem Unbehagen kommt die Erkenntnis, daß da was nicht stimmt mit der Behandlung von Frauen in unserer Gesellschaft, daß Frauen in eng vorgegebene Rollen gepreßt werden, die von ihnen verlangen, daß sie abhängig und passiv sind, daß sie sich um andere kümmern, aber niemals um sich selbst; daß sie aufgrund ihrer biologischen Fähigkeit, Kinder zu gebären, auf die ernährende Rolle reduziert werden. Aus der Entdeckung, daß das eigene Leben kein Einzelschicksal ist, daß die einzelne Frau nicht spinnt, nicht übertreibt, wenn sie mit ihrer Mehrfachbelastung nicht fertig wird, sondern es anderen Frauen genauso geht, folgt daraus der wichtigste Schritt: Solidarität mit anderen Frauen. Die eine Frau analysiert jetzt erst einmal, überlegt, was da eigentlich abläuft; die andere überspringt diesen Schritt. Aber beide treffen sich wieder im Handeln, im aktiven, offenen sich Einsetzen, sich Einmischen für Frauen. Ich habe eine Freundin, die nennt sich under-cover-Feministin, also Geheimfeministin in Anlehnung an das amerikanische Wort für Geheimagent. Damit meint sie, daß sie feministische Positionen im Stillen teilt, jedoch sich nicht traut, im Beisein von Männern und natürlich auch nicht-feministischen Frauen offen für Frauen einzutreten. Sie ärgert sich zwar, daß sie sich nach der Scheidung allein um die zwei Kinder kümmert, eine Halbtagsstelle suchen muß, obwohl sie Vollzeit würde arbeiten wollen, die halbe Stelle nicht mal bekommt, und wenn sie sie bekommt, ihre Rentenanteile winzig sein werden, während ihr gut verdienender Mann fröhlich mit einer neuen Frau und voller Rente alt werden kann. Aber das traut sie sich nicht laut zu sagen und traut sich nicht, aktiv für Veränderungen in ihrem Sinne zu kämpfen. Geheimfeministin - das ist ein Widerspruch in sich, das kann es nicht geben, und es wäre auch sinnlos. Denn was soll der heimliche Einsatz für eine Sache bringen? Ebenso sinnlos wäre eine nicht-feministische Frauenpartei, wenn die Frauen darin dann dieselbe Politik machen würden wie in den Männerparteien. Dann können sie wirklich gleich bei denen eintreten. Was wir in der Politik dieses Landes brauchen, sind bekennende Feministinnen, Frauen, die Stellung beziehen; die offen Partei ergreifen; die den Begriff "Frauenpolitik" nicht als Abwertung empfinden, mit dem sie nichts zu tun haben wollen; die sich nicht genieren, sich in die Tradition der Frauenbewegung zu stellen; die darauf verzichten können, Männer bloß nachzuahmen und nach dem Mund zu reden; die ihre Kommunikationsfähigkeit, ihre Kompromißbereitschaft, ihren Teamgeist, ihre soziale Kompetenz in die Politik einbringen, aber natürlich auch ihre Intelligenz, ihr Denkvermögen und ihren Humor. Was soll ich noch aufzählen?! Feministinnen eben! 80% der Bürgerinnen und Bürger können sich vorstellen, von einer Bundeskanzlerin regiert zu werden. Super! Ein toller Erfolg der Frauenbewegung! Aber wenn die nicht feministisch ist, nützt sie uns gar nichts. Deshalb: jetzt und in den nächsten Jahren Feministinnen in alle deutschen Parlamente - und danach ins Bundeskanzlerinnenamt! Zurück zur Startseite / Back to the homepage [email protected] 03.01.02