Document

Werbung
Liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Anwesende
Ich bin in meiner Funktion als politischer Geschäftsführer des BdWi von den Veranstaltern
dieser Tagung - welche identisch sind mit den Herausgebern des Studienheftes »Wissenschaft
und Geschlecht«, das hier vorgestellt werden soll – gebeten worden, einige einführende
Überlegungen zur Begründung dieser Veröffentlichung und der heutigen Diskussion mit
einigen ihrer AutorInnen vorzustellen.
Wir geben diese Aufsatzsammlung deswegen heraus, um verschiedene, häufig getrennt
voneinander ablaufende gleichstellungspolitische Aktivitäten – in wissenschaftlicher
Forschung, politischer Intervention und institutioneller, gesetzlich in zunehmendem Maße
vorgeschriebener Frauenförderpolitik – in eine gemeinsame Perspektive zu rücken – und so
auch eine Diskussion zwischen ihnen zu ermöglichen.
Durch viele Beiträge zieht sich wie ein roter Faden die Klage darüber – oder besser sogar: die
Kritik daran - , dass Erfolge in der Gleichstellungspolitik häufig mit Verlusten einhergehen,
dass also die Dinge nie nur schwarz oder nur weiß zu bewerten sind. So sei etwa die
Institutionalisierung und Akademisierung des Feminismus, die auch hochschulstatistisch in
Form eines Zuwachses an gender studies und gender-Forschungsprojekten nachweisbar ist,
von einem Verlust an (frauen-)politischer Interventionsfähigkeit begleitet gewesen. Um nur
dieses eine Beispiel zu nennen.
Maßstab für eine solche Kritik ist zweifelsfrei die Geschichte der neuen Frauenbewegung seit
den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, genauer: der durch diese erzeugte erhebliche
politische Veränderungsdruck, der an mehreren Fronten gleichzeitig wirkte und Resultate
zeitigte. Diese Tradition lässt sich nun nicht im Sinne eines nostalgischen Seufzers ›Früher
war alles besser!‹ beerben. Erstens stimmt das in dieser schlichten Form nicht. Zweitens
weisen auch viele unserer Autorinnen darauf hin, dass diese Frauenbewegung keineswegs
politisch homogen war, sondern sogar häufig untereinander ziemlich zerstritten.
Gleichzeitig gilt aber auch der Satz, mit dem Frigga Haug unlängst einen Artikel überschrieb:
»Ohne Geschichte hat die Frauenbewegung keine Perspektive.« Es geht nicht darum, Formen
von früher zu kopieren, sondern einen bestimmten Anspruch aufrecht zu erhalten:
Theorieproduktion (etwa an Hochschulen), politische Intervention und soziale Bewegung
sowie grundsätzliche Gesellschaftskritik als integrales politisches Projekt zu begreifen. Mit
dieser Umschreibung würden sich vermutlich heterogene politische Strömungen der
Frauenbewegung identifizieren. Dieser Anspruch ist schwierig. Er kann auch scheitern.
Preisgeben sollte man ihn allerdings nie.
Die Frauenbewegung hat etwa nie Ungleichheit ›an sich‹ kritisiert, sondern immer in ihrer zu
analysierenden Verbindung mit Herrschafts-, Ausbeutungs- und Gewaltverhältnissen. Dazu
musste zwangsläufig das gesellschaftliche Ganze – gesellschaftliche Arbeitsteilung,
Produktions- und Reproduktionsverhältnisse – kritisch in den Blick genommen werden. Diese
Perspektive kann auch verloren gehen, wenn im Zusammenhang mit der Aufwertung des
Gleichstellungsthemas bis in die ›Mitte der Gesellschaft‹ und in die EU-Gesetzgebung das
Projekt selbst in eine gesellschaftspolitisch entleerte Differenzmanagementrhetorik mündet.
Das zentrale Thema der Frauenbewegung war Autonomie im Sinne von Selbstbestimmung
über die eigenen Lebensbedingungen. Das erzeugte den Effekt einer gegenseitigen
Verstärkung von politischen Bestrebungen und Bewegungen, die auch aus anderen Motiven
und Interessenlagen als unmittelbar frauenbewegten entstanden sind. So ergab sich etwa ein
Zusammenwirken mit politischen Interventionen zur Demokratisierung der Hochschulen –
Demokratie als zwingende Form von Selbstbestimmung – seit den 60er Jahren. Wenn
heutzutage Gleichstellung in Form von Gender Mainstreaming, Gender Budgeting oder
Diversity Management auftritt, und zwar als ein Handlungsansatz, der ausdrücklich auf der
Ebene der Hochschuladministration im Sinne eines Top-down-Managements angesiedelt ist,
kann dieser radikaldemokratische Impuls auch verloren gehen. Ich sage ausdrücklich »kann«,
nicht »muss«. Wir werfen schließlich auch die Frage auf – und wollen diese mit der
Präsentation unserer Veröffentlichung stärker und fundierter diskutieren - ,wie diese
›offizielle‹ Anerkennung des Gleichstellungsthemas möglicherweise radikalisiert und
politisiert werden kann.
Diese Anerkennung und auch zunehmende gesetzlich-politische Regelung eines
Gleichstellungsauftrags ist ambivalent zu bewerten. Sie ist einerseits eine Wirkung des
unmittelbaren oder mittelbaren öffentlichen Drucks organisierter Frauen, auch des durch die
Frauenbewegung insgesamt und langfristig veränderten gesellschaftlichen und kulturellen
Klimas. Der Kapitalismus hat es seit je verstanden, Impulse und Forderungen sozialer
Bewegungen in seine eigene ›Modernisierung‹ zu integrieren – und damit zugleich
oppositionelle Milieus zumindest in Teilen sich zu kooptieren. Damit ist die offizielle
Aufwertung von Gleichstellung aber eben nicht nur Reaktion auf politischen Druck, sondern
gleichzeitig ein eigenständiges Herrschaftsprojekt. Dieses ist zutiefst interessenpolitisch –
ergo: materialistisch – fundiert und allein deswegen nicht nur eine bloße Show oder
ideologisches Manöver. Der ganzen Unternehmung liegt ein humankapitaltheoretischer
Ansatz zugrunde, keine Ressourcen ungefördert oder ungenutzt liegen zu lassen, die die
internationale Wettbewerbsfähigkeit stärken könnten. Wir bewegen uns hier natürlich im
Hochqualifikationsbereich. Für mich ist dieser Ansatz auch der tiefere polit-ökonomische
Kern der ›Exzellenzinitiative‹ als ein hochschulbezogenes Elitenförderprogramm - mit einer
stärkeren gleichstellungspolitischen Komponente als sie frühere solcher Sonderprogramme
hatten.
Diese Hochqualifikationspolitik sollte uns aber nicht blind machen gegenüber einer Tatsache,
die sich am entgegengesetzten Ende der sozialen Skala abspielt. Die Integration einer weitaus
höheren Zahl von Frauen ins Erwerbsleben erfolgt über Teilzeitarbeit, Minijobs, prekäre
Beschäftigungsverhältnisse generell. Gleichzeitig werden gesellschaftliche Aufgaben, die der
Abbau des Sozialstaates unbearbeitet hinterlässt, in den privaten Bereich zurückverlagert bzw.
entsorgt – und stärken dort möglicherweise eine traditionelle geschlechtshierarchische
Arbeitsteilung.
Das umreißt auch die Spannweite unserer notwendigen Debatte. Wir sollten den Anspruch
haben, Elitenprogramme, Niedriglohnsektor und Hartz IV nicht als zufällig nebeneinander
existierende Phänomene, sondern als integrale Erscheinungsformen ein und desselben
neoliberalen Gesellschaftsprojektes zu begreifen und zu analysieren zu versuchen. Das ist
auch der Anspruch, der sowohl an kritische Wissenschaft wie auch an die gesellschaftliche
Verantwortung der Hochschulen gestellt werden muss. In diesem Sinne freue ich mich auf die
Diskussion.
Herunterladen