Alltagsdeutsch (43/04) Auf zum fröhlichen Jagen Sprecherin: Wenn es langsam Herbst wird, die Bäume kahler und die Nächte länger werden, beginnt traditionell die Jagdsaison. Dann erklingen die Jagdsignale, und die Waidmänner, wie Jäger auch genannt werden, machen sich auf die Pirsch, um im Wald und auf dem Feld Rehe und Füchse, Kaninchen und Tauben, Enten und Hasen zu erlegen. Sprecherin: Die Geschichte der Jagd geht bis in die Steinzeit zurück. Später war die Jagd auch in Griechenland und Rom sehr beliebt und diente der Erziehung zur Männlichkeit, wie man damals meinte. Ein griechischer Heerführer war der festen Überzeugung, dass man allein durch die Jagd einen schärferen Blick für das Wesentliche bekomme. Seit dem Mittelalter entwickelte sich die Jagd zu einem gesellschaftlichen Ereignis, das strengen Regeln folgt: Im Jahre 1016 erließ König Knut in England das erste Jagdgesetz, das für das Jagen auf königlichen Gründen die Todesstrafe vorsah. Sprecherin: Seit dem Mittelalter folgt die Verständigung der Jäger untereinander strengen Regeln: So werden schon seit Jahrhunderten Signale auf Hörnern geblasen, um den Jägern die unterschiedlichsten Botschaften zu übermitteln, erklärt Reinhard Wolf, erster Vorsitzender der Kreisjägerschaft Bonn. O-Ton: Reinhard Wolf: "Da gab es das Jagdhorn als Verständigungsmittel. Mit dem Jagdhorn hat man sich während einer Jagd verständigt, indem man die Treiber beirief und den anderen signalisierte, wo sie sich hinstellen sollten, wann nicht mehr geschossen werden sollte. Man hat aber auch, wenn Wild erlegt war, zu Ehren des Wildes, sogenannte Todsignale geblasen." O-Ton: Reinhard Wolf: "Um zu signalisieren, was alles erlegt wurde, was alles auf der Strecke lag an Vielfalt. Und so werden diese Signale eigentlich heute verwendet, vor allen Dingen zur Verständigung." Sprecher: Die Jäger werden auf der Jagd von Treibern begleitet. Treiber bezeichnen in der Jägersprache Helfer, die keine ausgebildeten Jäger sind und bei einer Pirsch vorangehen, um das Wild aus den Büschen zu treiben. Im Deutschen gibt es viele Redewendungen, deren Ursprung in der Jägersprache liegen. Wie Reinhard Wolf erklärt, streckt ein Jäger das Wild, wenn er es tötet. In Adelungs Wörterbuch von 1774 heißt es: Die Jäger strecken das Wild, wenn sie es auf den Boden der Länge nach hinlegen. Das getötete Tier streckte dann alle Viere von sich. Ein Vorgang, der zu einer Redensart wurde, die einen Menschen meint, der sich faul oder ermüdet ausstreckt, um zu schlafen oder sich zu erholen. Wird jemand zur Strecke gebracht, ist er überwältigt oder zur Niederlage gezwungen worden; war er ein Verbrecher, ist er gefangen genommen worden. Die modernere Redewendung auf der Strecke bleiben hat ihren Ursprung hingegen nicht in der Jägersprache, sondern im Sport und bezieht sich auf eine Rennstrecke. Im Auf zum fröhlichen Jagen Seite 1 von 6 übertragenen Sinne bleibt jemand auf der Strecke, wenn er am Ende seiner Kräfte ist, versagt und deshalb ein Ziel nicht erreichen kann. Sprecherin: Rund um die Jagd gibt es also eine Fülle von Redewendungen. Allein daran sieht man, wie sehr sie sich in das alltägliche Leben eingeschrieben hat. Die Jäger verständigen sich in einer ihnen eigenen Sprache, von der man als Laie weitgehend ausgeschlossen bleibt. O-Ton: Reinhard Wolf: "Wer so richtige Jäger mal belauscht, die sich über die Jagd unterhalten, der versteht kaum was. Da kommt es her. Das Jägerlatein ist also nicht nur, dass man einem etwas erzählt, sozusagen einen Bären aufbinden will, sondern es ist eine sehr eigene Fachsprache, die aus der Geschichte entstanden ist." Sprecher: Wenn jemand die unwahrscheinlichsten Dinge von sich gibt, redet er pures oder reines Jägerlatein. Der Ausdruck Jägerlatein bezeichnet zunächst die Sondersprache des Jägers, bald aber auch die beliebten Aufschneidereien erzählfreudiger Waidmänner. Anstoß für die redensartliche Wahl gerade der lateinischen Sprache war ihre Funktion im mittelalterlichen Gelehrten- und Bildungsbetrieb. Die positive Bedeutung schlug dann ins Gegenteil um. Latein reden bedeutete später Verkehrtes reden, umständlich erzählen, Ungewöhnliches zu Abenteuerlichem hochstilisieren. Wenn diese Übertreibungen dann in die Nähe der Unwahrheit rücken und den Leichtgläubigen zu täuschen vermögen, wird diesem ein Bär aufgebunden. Das Bären-Aufbinden nach heutigem Sprachgebrauch findet sich erstmals in der mittelalterlichen, dann auch in der barocken Literatur. Es ist nicht eindeutig nachgewiesen, aber wohl wahrscheinlich, dass sich auch diese Redenwendung aus der Jägersprache herleitet. So galt es früher als besonders schwer, einen Bären zu fesseln. Wenn nun ein Jäger mit seinem Latein anderen eine tolle Jagdgeschichte aufbinden wollte, so konnte er sich einer solchen Heldentat rühmen. Nicht zufällig sind von daher Gedichte über Jäger, die es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen: Sprecher: Die Stimme hab ich noch im Ohr, seh sein verschmitztes Lachen, wenn von dem Keiler er erzählt, und andern tollen Sachen. "Auf einer Jagd, beim Herzog war´s, ich stand an einer Schneise, da wechselt eine grobe Sau, es knistert nur ganz leise. Die Waffe hoch; es brach der Schuss, verfehlt jedoch das Leben, der Keiler nimmt mich sofort an, den Fang musst ich ihm geben. Frontal ins offene Gebräch Bohrt sich das Blei nach innen; Auf zum fröhlichen Jagen Seite 2 von 6 Da dreht sich die Sau blitzschnell um, ich konnt ihm kaum entrinnen. Zum Waidloch fuhr die Kugel raus, genau in meine Richtung, ich bückte mich, ein Loch im Hut, dann schlug sie in die Lichtung." Was aus der Sau geworden ist, hat Opa nie berichtet; denn die Geschichte war so gut, er hat darauf verzichtet." Sprecherin: Wer in Deutschland Jäger werden möchte, muss sich einer harten Jagdprüfung unterziehen, weiß Stephan Bonnekessen, in dessen Familie es seit Generationen Tradition ist, auf die Pirsch zu gehen. O-Ton: Stephan Bonnekessen: "Es muss nicht sein, dass man als Kind viel Zeit in der Natur verbringt, dass man dann auch gleich im jugendlichen Alter von 16 Jahren den Jagdschein macht. Also bei mir ist das erst zehn, zwölf Jahre später entstanden, wie ich dann erst die nötige Zeit hatte, und so hat sich das verfestigt. Ja, und dann meldet man sich an bei Leuten, die diese Jagdscheinkurse ausrichten, und dann geht das grüne Abitur seinen Gang." Sprecher: Die Farbe Grün, die ursprünglich das Wachsende und Frische in der allgegenwärtigen Natur bezeichnet, auch neues Leben und neue Kraft, führte zu einer Reihe übertragener Bedeutungen. In der Blumensprache des Mittelalters meint die Farbe Grün ausdrücklich den Anfang einer Liebe, und in letzter Steigerung galt sie als Symbolfarbe für die Liebe selbst. Der Begriff der Grünen Hochzeit geht auf die Pflanzensymbolik zurück. Schon in der Antike schmückten sich Bräute mit Kränzen aus immergrüner Myrte, einem Liebessymbol, das der Göttin Aphrodite geweiht war. Grün in ebensolch positiver Bedeutung findet sich auch in der Redensart der grünen Seite, von der man sich zeigt. Hier ist das frische, lebensspendende Grün der Natur auf die Herzseite des Menschen übertragen worden, die Seite also, die den Sitz der menschlichen Lebenskraft bezeichnet und damit die günstige, liebenswerte Seite eines Menschen. Neuere sprachliche Wendungen, die sich auf die Symbol- und Signalfarbe Grün beziehen, sind unter anderem die grüne Woche, eine einwöchige Ausstellung von landwirtschaftlichen Produkten in Berlin, der grüne Daumen, den derjenige besitzt, der viel Geschick in der Blumenpflege hat, und nicht zuletzt die Partei der "Grünen". Die Farbe Grün steht hier für die Natur und deren Erhaltung als natürliche Lebensgrundlage. Das "Grüne Abitur" meint die Jagdscheinprüfung, bei der das Wissen um Flora und Fauna im Vordergrund steht. Sprecherin: Der Jäger aus Kurpfalz – ein altes Jägerlied, das den Waidmann als einen stattlichen und stolzen Menschen beschreibt. Welche auch im Einzelnen die Motive sein mögen, einen Jagdschein zu machen, eine Sache fasziniere alle Jäger auf gleiche Weise, meint Reinhard Wolf: Auf zum fröhlichen Jagen Seite 3 von 6 O-Ton: Reinhard Wolf: "Das ist auch das Beute machen. Wenn Sie Leute im Winterschlussverkauf beobachten, das ist genau dasselbe Verhalten: das Beute machen. Das ist die Freude am Schnäppchen, die Freude an der Beute, und das ist eigentlich, was in uns allen schlummert, diese Freude am Erjagen einer Beute. Und das ist natürlich beim Grundbedürfnis Ernährung genauso gegeben. Wir sind ja noch Jäger und Sammler, wir jagen hinter dem Wild her, um es in der Küche zuzubereiten." Sprecher: Beute machen, und zwar häufig eine fette, kann man nicht nur auf der Jagd, sondern auch im übertragenen Sinne, wenn man es versteht, auf geschickte Art, oft zum Nachteil anderer, einen persönlichen Vorteil oder Gewinn zu erzielen. Wenn es jemandem gelingt, ein Schnäppchen zu machen, so hat er es geschafft, zum richtigen Zeitpunkt bei schneller Entschlusskraft eine im Preis deutlich reduzierte Ware zu erhalten. Er war als Schnäppchenjäger erfolgreich. Sprecherin: Dass die Jäger diesem instinkthaften Urgefühl, Beute machen zu wollen, nachgehen und Tiere töten, wird von vielen Tierschützern kritisiert. Die Jäger wiederum verweisen darauf, dass die Jagd vornehmlich auch der Hege der Tiere dient. Jäger halten Schonzeiten des Wildes ein und erlegen nur solche Tiere, die krank oder in einer solchen Überzahl vorhanden sind, dass sie das Ökosystem eines Waldes oder eines anderen Landschaftsgebiets erheblich gefährden können. Sicherlich kann es auf einer Jagd aber auch schon mal passieren, dass ein Tier, das eigentlich nicht zum Abschuss freigegeben ist, getötet wird, sagt Reinhard Wolf: O-Ton: Reinhard Wolf: "Vor allem jetzt im Herbst, wenn die Herbstjagden sind, die sogenannten Drückjagden, kann man einen Bock, der dann Schonzeit hat, sehr leicht mit einem weiblichen Rehwild verwechseln, denn der hat sein Gehörn abgeworfen gerade. Böcke werfen einmal im Jahr, zur Winterzeit, also zur kalten Zeit, das Gehörn ab, und dann meint jeder, ach, nichts auf dem Kopf, so wie die weiblichen Tiere, ist wohl ein weibliches Tier. Es wird erlegt, und dann geht man hin und sieht, oh Gott, es ist ein männliches Tier, nur die Hörner waren ab. Das ist ein Schonzeitvergehen. In der Regel muss dann der Schütze, der den Bock geschossen hat, sich selbst anzeigen, sonst macht´s der Jagdherr, und das wird als Ordnungswidrigkeit dann auch ganz ordentlich geahndet." Sprecher: In der Jägersprache schießt man also einen Bock, wenn man diesen versehentlich für ein weibliches Rehwild gehalten hat. Man kann auch im übertragenen Sinne einen Bock schießen, wenn man einen Fehler oder eine Dummheit gemacht hat. Es gibt aber noch eine andere Erklärung für die Herkunft dieser Wendung. Demnach leitet sie sich von der früheren Sitte der Schützengilden her. Dem schlechtesten Schützen wurde als Trostpreis ein Bock überreicht. Dieser Brauch ist bereits seit dem 15. Jahrhundert nachgewiesen. Das Wort Bock bedeutet ursprünglich Fehler und wird vielleicht auch deshalb neben anderen Tiernamen wie Pudel, Ente oder auch Schwein zur Bezeichnung von Versehen gebraucht. Sprecherin: Reinhard Wolf bildet seit 20 Jahren Jungjäger aus. Es scheint nicht so einfach zu sein, sie auf die Prüfungen vorzubereiten, und bei weitem nicht jeder Auf zum fröhlichen Jagen Seite 4 von 6 erhält den Jagdschein. Während seiner Übungsstunden freut es den Vorsitzenden der Bonner Kreisjägerschaft, die Prüfungsanwärter darauf aufmerksam zu machen, wie viele Redewendungen auf Jagdpraktiken zurückzuführen sind, die heute längst nicht mehr gebräuchlich sind. O-Ton: Reinhard Wolf: "Da hat man auch mit Treibern ganz bestimmte Strecken wie Straßen rechts, links, mit gestänkerten Lappen, also eine Schnur gezogen, mit einem gestänkerten Lappen behangen – und da das Wild dann diese verstänkerten Lappen gemieden hat, konnte man in Ruhe von hinten das Wild in eine bestimmte Richtung treiben – kommt aus der höfischen Jagd, wo dann die Fürsten das zugetriebene Wild erlegten, von Prunksitzen aus, das waren dann wirklich Schlachten. Und wenn irgendwelche Stück Wildarten nicht ankamen, dann waren die trotzdem durch die Lappen gegangen. Dann hatten die also Angst, sich unter den verstänkerten Lappen durchgedrückt und waren weg." Sprecher: Die Redensart durch die Lappen gehen ist erst seit dem 18. Jahrhundert gebräuchlich und bedeutet so viel wie entwischen, entgehen oder entkommen. Das Verb stänkern hat im Laufe der Zeit eine übertragene Bedeutung erfahren. Im konkreten Fall beschreibt stänkern etwas, das Gestank erregt. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts erhielt das Verb dann eine zweite Ebene, ohne dass die ursprüngliche vergessen worden ist. Wer im übertragenen Sinne stänkert, stiftet Unfrieden, beginnt grundlos einen kleinlichen Streit. Entsprechend heißt ein Mensch, der ständig nörgelt, auch Stänker oder Stänkerer. O-Ton: Reinhard Wolf: "Nach ein, zwei Stunden wird in der Regel abgeblasen. Da kommt das Signal "Hahn in Ruh". Das sind nur drei Töne, Sicherheitstöne, da muss jeder sofort Waffen entladen, und dann ist Sicherheit gegeben." O-Ton: Reinhard Wolf: "Und dann wird gesammelt, "Sammeln der Jäger" wird meistens geblasen, es wird zu einem verabredeten Treffpunkt gegangen (...), und dann, entweder gibt es noch ein Treiben (...) oder ein Signal "Ende der Jagd", Halali, zum Essen, und dann ist auch keiner böse, wenn das Signal erklingt." Sprecher: Das Abblasen kündigt durch ein bestimmtes Hornsignal das Ende einer Jagd an. Das Verb abblasen ist auch im übertragenen Sinne gebräuchlich und meint: erklären, dass etwas nicht stattfindet. Man kann übrigens auch von Tuten und Blasen keine Ahnung haben, also völlig unwissend oder unfähig sein. Wer früher nicht recht tuten noch blasen konnte, waren die Kuhhirten oder auch die Nachtwächter, deren Laute und Rufe außerdem nicht besonders beliebt waren. Der waidmännische Ruf des Halali am Ende der Jagd schließlich ist im 18. Jahrhundert aus dem gleichklingenden gleichbedeutenden französischen Wort entlehnt. Für den französischen Ruf vermutet man einen maurischen Ursprung. Andere sehen im Halali-Ruf eine lautmalerische Übertragung eines hebräischen Psalms, der durch Pilger aus dem Heiligen Land ins Französische übertragen sein könnte. Sprecherin: Und so wollen wir es den Waidmännern gleichtun und uns mit einem zünftigen Halali von Ihnen verabschieden. Auf zum fröhlichen Jagen Seite 5 von 6 Antje Allroggen Auf zum fröhlichen Jagen Seite 6 von 6