Die Wahrheit der Beseitigung Der Zustand, in dem man keine Kontrolle über seinen Tod und seine Geburt hat, sondern einzig als Wirkung der eigenen Handlungen und der Verblendungen von einer Existenz zur anderen geht, wird im Buddhismus als Samsara oder bedingtes Dasein bezeichnet. Solange wir uns in bedingtem Dasein befinden, erfahren wir nur gegenwärtiges Glück, aber kein bleibendes Glück. Um ein reines und bleibendes Glück zu erlangen, ist es notwendig, von bedingtem Dasein freizukommen. Freiheit von bedingtem Dasein erreicht man, indem die Hauptursache bedingten Daseins beseitigt wird. Aufgrund heilsamer und unheilsamer Handlungen nehmen wir innerhalb des bedingten Daseins gute und schlechte Existenzen (an). Das, was Geburt nimmt, ist das Kontinuum des Bewusstseins. Das Kontinuum des Bewusstseins besteht in verschiedenen Ebenen der Feinheit. Lediglich der feinste Zustand geht von einer Existenz zur nächsten. Das Kontinuum des Bewusstseins ist eine Abfolge von ständig entstehenden und vergehenden Zuständen des Geistes. Auf der subtilsten Ebene des Kontinuums des Bewusstseins werden positive und negative Eindrücke hinterlassen, wenn wir positive oder negative Handlungen ausführen. Der Augenblick, wo aus dem subtilsten Zustand des Geistes die ersten gröberen Zustände des Geistes zu entstehen beginnen, wird, in präziser Weise betrachtet, als Geburt bezeichnet. Das Entstehen der gröberen Zustände des Geistes bis zu den gröbsten und die Zeitspanne des Verweilens dieser gröbsten Zustände wird als Lebensspanne bezeichnet. Wenn sich der Geist von den groben Zuständen wieder auflöst, bis nur noch der subtilste Zustand vorhanden ist, spricht man vom Vorgang des Todes. Die Zeitspanne, während der der Geist im subtilsten Zustand ist, wird als Tod bezeichnet. In der Auffassung des Buddhismus liegt der eigentliche Zeitpunkt des Todes also später als der des sogenannten klinischen Todes. Der Augenblick der Geburt liegt vor dem Zeitpunkt der üblichen Auffassung von Geburt. Mit was für einem Körper sich unser Kontinuum des Geistes verbindet, wird von den positiven und negativen Eindrücken auf der subtilsten Ebene des Geistes bestimmt. Jede Handlung, die wir während des Lebens ausführen, hat zwei Resultate. Um das am Beispiel des Tötens eines Wesens zu zeigen: Wenn ein Wesen getötet wird, ist das eine Resultat das Leid, das dem anderen Wesen zugefügt wird. Gleichzeitig wird im Kontinuum des Geistes der tötenden Person ein starkes negatives Potential erzeugt. Dieses negative Potential ist eine bedeutende Ursache für Leid, das diese Person in der Zukunft erfahren wird. Was immer wir an Glück und Leid erfahren, sei es individuelles Glück und Leid oder das einer ganzen Gesellschaft, es ist immer das Resultat positiver und negativer Eindrücke im Kontinuum der Wesen. Diese positiven und negativen karmischen Potentiale sind verantwortlich sowohl für die Erscheinungen der Objekte, die ein Wesen erfährt, als auch für die grundlegenden Neigungen des erfahrenden Geistes. Deshalb wird im Buddhismus deutlich gemacht, dass das bedingte Dasein, das man erfährt, vom eigenen Karma erzeugt wird. Dadurch erfahren manche Wesen aufgrund starker positiver Eindrücke außerordentliches Glück und Wohlbehagen; andere wiederum aufgrund starker negativer Eindrücke außerordentliches Leid. Die innerste Wurzel des bedingten Daseins ist die Un-Erkenntnis; und im besonderen die Un-Erkenntnis des Greifens nach einer unabhängigen Identität der eigenen Person. Die Wirklichkeit ist, dass ein Wesen eine Ansammlung der fünf Aggregate darstellt. Das sind Körper, Empfindung, Unterscheidung, Faktoren des Geistes und Bewusstsein. Die Person ist ein Objekt, das als Benennung auf der Grundlage dieser Aggregate in relativer Weise existiert. In dieser Art der Existenz sind wir auch vollständig funktionsfähig. Unsere Un-Erkenntnis jedoch projiziert ganz im Widerspruch zu dieser Wirklichkeit etwas, das gar nicht existiert. Unsere Un-Erkenntnis projiziert auf der Grundlage der Aggregate eine unabhängige Identität, obwohl es keine solche gibt. Eine solche Identität erscheint uns von der Seite der Aggregate, wir glauben, dass sie existiert, und greifen in starker Weise danach als Ich, Person oder Selbst. Es erscheint uns dieses Ich wie ein Besitzer der Aggregate, der mitten in den Aggregaten wohnt. Es erscheint uns so, als ob die Aggregate auf diesem Ich beruhten, während die Wirklichkeit genau umgekehrt ist und das Ich gänzlich von den Aggregaten abhängig ist. Dieses Greifen nach Ich führt dann weiter zum Betrachten anderer Objekte als Mein, wie zum Beispiel mein Körper, mein Geist, meine Freunde, meine Feinde, mein Land, meine Religion und so weiter. Alle diese Dinge scheinen ein Besitz dieses unabhängigen Ichs zu sein. Und dadurch entstehen viele getäuschte Zustände des Geistes wie das Hängen an den einen, die Abneigung gegenüber anderen, Egoismus, Stolz und so weiter. Nun, das soll nicht heißen, dass es kein Ich gibt, sondern vielmehr gilt es zu verstehen, dass das wirklich vorhandene Ich ein abhängiges Ich ist, das lediglich in nomineller Weise besteht. Diese Auffassung, die die eigene Wirklichkeit in verkehrter Weise erfasst, wird als UnErkenntnis des Greifens nach Selbstexistenz bezeichnet, und das ist die Wurzel bedingten Daseins. Um von bedingtem Dasein freizukommen, ist es notwendig, diese Un-Erkenntnis nicht nur in intellektueller Weise als falschen Geisteszustand zu erkennen, sondern diese Un-Erkenntnis gänzlich aus dem Geist zu entfernen. Wenn einem das gelungen ist, sind dadurch auch alle falschen Vorstellungen und anderen Verblendungen, die auf der Un-Erkenntnis gründen, ebenfalls entfernt. Dadurch sind auch alle Handlungen, die Leid erzeugen, beendet. Und damit hat das leidvolle Dasein ein Ende. Und wenn das erreicht ist, hat man vollständige Kontrolle über sein Dasein. Diesen Zustand bezeichnet man als individuelle Befreiung. Manche stellen sich unter Befreiung einen äußeren Ort vor, der schon irgendwo existiert, und das Erreichen der Befreiung wie das Erreichen dieses Ortes. Es gibt die Befreiung, es gibt auch Personen, die die Befreiung erreicht haben. Aber die eigene Befreiung besteht im Moment noch nicht, diese muss man erst selbst noch zum Vorschein bringen, indem man seine Art des Daseins verändert. Auch mit dem Ausdruck Nirvana wird dieser Zustand bezeichnet. Nirvana bedeutet jenseits von Leid. Nirvana bedeutet also nicht eine vollständige Auflösung der eigenen Existenz. Es ist auch gar nicht möglich, aufzuhören zu existieren. Auch wäre es in keiner Weise erstrebenswert, aufzuhören zu existieren. Vielmehr versteht man unter Nirvana den Zustand, in dem man eine vollständige Kontrolle über sein Schicksal gewonnen hat und somit vollständige Freiheit von der Fremdmacht der Handlungen und Verblendungen erreicht hat. Wenn man eine solche Freiheit erreicht hat, dann wird jede Bemühung, sowohl für eigenes Wohl als auch das Wohl anderer wesentlich effizienter und reiner. Selbst wenn man sich in bedingtem Dasein befindet, ist es möglich, aufgrund einer guten Motivation sehr umfangreiche heilsame Handlungen durchzuführen. Aber immer wird ein gewisser unreiner Einfluss durch Un-Erkenntnis und Verblendungen vorhanden sein. Deshalb ist es wichtig, die heilsamen Handlungen so rein und perfekt wie möglich zu machen. Wesen, die Freiheit erlangt haben, nehmen für das Wohl der Wesen auch in bedingtem Dasein Geburt. Es besteht jedoch ein großer Unterschied zwischen dieser Art, Geburt zu nehmen, und der Art, wie gewöhnliche Wesen innerhalb des bedingten Daseins Geburt nehmen. Solche Wesen nehmen für das Wohl anderer Wesen mit einer präzisen Absicht und mit vollständiger Freiheit Geburt. Die Wahrheit des Weges Der Zustand der Befreiung wird als edle Wahrheit der Beseitigung bezeichnet. Wie wird diese Freiheit erreicht? Sie wird erreicht, indem die edle Wahrheit des Weges angewendet und im eigenen Kontinuum erzeugt wird. Es gibt viele Aspekte der Anwendung, die wichtigsten sind jedoch Ethik, Konzentration und Weisheit. Denn ohne diese drei ist es nicht möglich, die Wurzel des bedingten Daseins, die Un-Erkenntnis, zu zerstören. Denn die Un-Erkenntnis des Greifens nach Selbstexistenz kann einzig durch eine Weisheit beseitigt werden, die der Un-Erkenntnis direkt entgegengesetzt ist. Diese Weisheit wird als Erkenntnis der Identitätslosigkeit bezeichnet. Diese Weisheit der Erkenntnis der Identitätslosigkeit wird durch Vervollkommnung in der konzentrativen und analytischen Meditation erreicht. Dadurch wird die Schulung der Konzentration unumgänglich. Denn ohne diese Konzentration hat man keine Freiheit über die Funktionen des Geistes und ist nicht in der Lage, den Geist nach Wunsch zu benützen. Perfekte Konzentration kann erreicht werden, wenn das Verhalten von Körper, Rede und Geist richtig geführt wird. Ohne richtiges Verhalten dieser drei ist Konzentration nicht erreichbar. Und dadurch wird die richtige Ethik entscheidend. Richtige Ethik ist das Vermeiden falscher Handlungen von Körper, Rede und Geist und das Befolgen korrekter Handlungen von Körper, Rede und Geist. Was heilsam ist und was unheilsam ist, hat nicht Buddha bestimmt. Die Einteilung in heilsame und unheilsame Handlungen ist nicht ein Gesetz, das von Buddha gemacht ist, sondern einzig in Bezug auf die Motivation und das Resultat einer Handlung kann zwischen heilsamen und unheilsamen Handlungen unterschieden werden. Eine Handlung, die von Verblendungen motiviert ist und den Wesen in direkter oder indirekter Weise Schaden zufügt, ist eine unheilsame Handlung. Eine Handlung, die durch die heilsamen Faktoren des Geistes motiviert ist und den Wesen in direkter oder indirekter Weise Hilfe bringt, ist eine heilsame Handlung, die es auszuführen gilt. Es werden zehn grundlegende unheilsame Handlungen beschrieben: Töten, Stehlen, sexuelles Fehlverhalten, Lügen, Zwietracht Säen, Schimpfen und Schwätzen, Begierde, Bosheit und falsche Ansichten; alles Handlungen, die den Wesen direkt Schaden zufügen. Darüber hinaus gibt es noch viele weitere Fehler, die man überwinden muss, und viele heilsame Handlungen, denen es zu folgen gilt. Die Grundlage jeglicher Ethik des Buddhismus ist Ahimsa. Und Ahimsa heißt Schadlosigkeit. Das Objekt dieser Schadlosigkeit sind nicht nur Menschen, sondern alle Wesen, einschließlich der Tiere. Entsprechend den eigenen Fähigkeiten gibt es noch viele weitere Ebenen der Ethik, denen man folgen kann, wie die Gelübde von Laien, Novizen, Mönchen, Nonnen, Bodhisattvas und so weiter. Ethik ist die Grundlage für alle positiven Eigenschaften. Im Buddhismus wird Ethik als die Grundlage aller guten Eigenschaften mit der Erde verglichen. Gelb ist die Farbe der Erde und symbolisiert die Ethik. Das ist der Grund, weshalb die buddhistischen Mönche gelbe Kleidung tragen. Manche große Meister Tibets tragen ebenfalls gelbe Kopfbedeckung. Auch hier symbolisiert die gelbe Farbe die Ethik. Das Anwenden von Ethik, Konzentration und Weisheit und dadurch das Verwirklichen dieser Schulung im eigenen Geist wird als edle Wahrheit des Weges bezeichnet, die zur Befreiung von bedingtem Dasein führt. Buddha hat die edlen Wahrheiten mit folgenden Worten unterrichtet: Dies ist die edle Wahrheit des Leids, dies ist die edle Wahrheit des Ursprungs, dies ist die edle Wahrheit der Beseitigung, dies ist die edle Wahrheit des Weges. Erkenne das Leid, entferne die Ursache, verwirkliche die Beseitigung schule dich auf dem Weg. Diese vier edlen Wahrheiten werden auch mit der Situation eines Kranken verglichen. Damit ein Kranker eine Heilung erreichen kann, muss er zuerst einmal verstehen, dass er krank ist. Auch muss er wissen, woher seine Krankheit kommt. Auch muss er den Wunsch haben, das Wohlbehagen der Gesundheit, der Freiheit von dieser Krankheit zu erreichen. Und wenn er diesen Wunsch hat, dann kann er eine richtige Behandlung suchen und durch Anwenden der Behandlung Freiheit von seiner Krankheit erreichen. Um diese Befreiung zu erreichen, gilt es in erster Linie, selbst sich zu bemühen. Ohne eigene Anstrengungen können nicht alle eigenen Notwendigkeiten von außen her erfüllt werden. Buddha hat das mit den folgenden Worten ausgesprochen: Ich habe dir den Weg zur Befreiung gezeigt. Wisse, dass die Befreiung jedoch von dir abhängt, von den eigenen Anstrengungen, Ethik zu befolgen und Weisheit zu entwickeln. Der achtfache Pfad: Ethik, Verhalten (Sila) 1. Rechte Rede 2. Rechtes Handeln 3. Rechter Lebenserwerb Konzentration (Samadhi) 4. Rechte Anstrengung 5. Rechte Achtsamkeit 6. Rechte Konzentration Weisheit (Panna) 7. Rechtes Verständnis 8. Rechtes Denken