Russland der „NUR Rohstofflieferant“ ? Russland muss seit zwei Jahrzehnten große Herausforderungen meistern: Die Auflösung der Sowjetunion, welche zusätzlich zu Russland 14 neue Staaten entstehen ließ, die zeitweilige politische Schwäche, welche dem fortbestehenden Weltmachtanspruch widersprach, und die ererbten Defizite, welche sich in der Transformationsphase nicht überwinden ließen, bildeten ein ganzes Bündel von Problemen Suche nach der Stärkung des Staates – Ein Staat zerfällt (Gorbatschow – Jelzin – Putin) Der Zerfall der Sowjetunion wurde in Russland als Schwäche gesehen: So sehr man die formelle Gleichberechtigung der Republiken innerhalb der Union betonte, so wenig sollten Zweifel an der Führungsrolle der Russländischen Föderation aufkommen. die Ära Jelzin führte Russland mit den Forderungen nach regionaler Autonomie an den Rand der Auflösung. Die frühere Stärke wiederzuerlangen, wurde daher zum übergeordneten Staatsziel, seitdem Wladimir Putin im Jahr 2000 das Präsidentenamt angetreten hatte. Ursprünglich lagen im ländlichen Raum wesentlichen Aufgaben bei den landwirtschaftlichen Großbetrieben (Kolchose, Sowchose). Nach ihrer Auflösung oder Umgründung in andere Rechtsformen blieben manche Aufgaben, insbesondere im sozialen Bereich, teilweise unerledigt. Die sozialistischen Großunternehmen, vielfach Konzerne im Rahmen der Zweig Ministerien, übernahmen in Großstädten auch Aufgaben, die üblicherweise in den kommunalen Bereich fallen. So übte der Großmaschinen- und Rüstungsbetrieb Uralmasch in Swerdlowsk (heute Jekaterinburg) die Governance über einen großen Stadtteil mit ausgedehnten Wohnsiedlungen, Kindertagesstätten, Schulen, Gesundheitsversorgung, Einzelhandel und anderen Dienstleistungen aus; nach der partiellen Zerschlagung dieses zeitweise 130.000 Arbeitskräfte beschäftigenden Unternehmens Anfang der 1990er Jahre musste die Stadt völlig unvorbereitet diese Aufgaben übernehmen. Versuche, die Nachbarn in der GUS wirtschaftlich wieder enger an Russland zu binden, waren nicht immer erfolgreich. Die energiepolitische Dominanz führte zu einseitigen Preisanhebungen, denen sich die Ukraine und Belarus jeweils erst nach Lieferblockaden beugten. Turkmenistan wird durch die russische Abnahme von Erdgas gebunden, das über Russland leichter den Märkten zuzuführen ist, als es Turkmenistan über Iran vermag. Mit Kasachstan wurde nach vielen erfolglosen Versuchen im Jahr 2010 eine Zollunion vereinbart, die Russland auch anderen GUS-Staaten zu öffnen bereit ist. 1 Russlands Stellung in der Welt In den 1990er Jahren zeigte sich Russland unter der Präsidentschaft von Boris Jelzin den Herausforderungen an eine Großmacht kaum gewachsen, zu der Russland seit der Mitte des 16. Jhs. geworden war. Erst Wladimir Putin gelang es, in Russland einen Nationaldiskurs zum Russland-Verständnis der Bevölkerung zu entwickeln, innenpolitisch die Fragmentierung in zahlreiche politische Gruppieren, die kaum die Bezeichnung „Partei" verdienten, durch eine starke und omnipräsente Kremlpartei („Einiges Russland") zu überwinden und nach außen ein neues Selbstbewusstsein Russlands als Weltmacht zu dokumentieren. Hatte Russland anfangs nur Beobachterstatus innerhalb der Gruppe der weltweit wichtigsten Wirtschaftsnationen („G-7"), so ist es seit 1998 anerkannter Teilnehmer dieser Gruppe („G-8"). Der dauerhafte Sitz im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen mit Vetorecht war nie umstritten und hielt Russland im Konzert der Weltmächte. Das politische Handeln der russischen Führung macht deutlich, dass das Land anders als die ehemalige Sowjetunion in globale Macht- und Handlungsstrukturen eingebunden ist, sie mit trägt und -gestaltet, dabei aber eigene Position durchzusetzen versucht. Zugleich unterliegt Russland aber auch den Auswirkungen des globalen Wandels. Russlands „Bevölkerungskatastrophe" Bis Mitte der 1990er Jahre konnten die durch relativ geringe Lebenserwartung und rückläufige Geburtenzahlen verursachten Verluste noch durch Zuwanderung aus anderen GUS-Staaten kompensiert werden, dann aber setzte ein allmählicher Bevölkerungsrückgang ein. Hatte Russland als Unionsrepublik bei der letzten sowjetischen Bevölkerungszählung 1989 noch 147 Mio. Einwohner, waren es beim russischen Zensus 2002 gerade 145,2 Mio. Die Fortschreibung nennt für 2009 noch 141,9 Mio. Menschen. Dabei darf nicht übersehen werden, dass in den Jahren 2007 und 2008 ein Migrationsüberschuss von jeweils rund 240.000 Personen ein weiteres Absinken verhinderte. Aus der Sicht der russischen Politik ergibt sich daraus das Szenario einer „demographischen Katastrophe". Alle damit verbundenen Prozesse besitzen eine deutliche regionale Komponente. Sowohl die Geburtlichkeit, Sterblichkeit und Lebenserwartung als auch die Migrationssalden zeigen erhebliche Unterschiede. Während die durch Erdöl und Erdgas besser gestellten Gebiete Westsibiriens eine durchschnittliche Lebenserwartung von mehr als 68 Jahren und eine gewisse Zuwanderung erfahren, sind mehrere Regionen im Fernen Osten durch andauernde Abwanderung und eine durchschnittliche Lebenserwartung von weniger als 65 Jahren gekennzeichnet. Qualitätsmängel im Gesundheitswesen der Sowjetzeit, der Rückgang der Geburten in der Transformationskrise, ungesunde Lebensführung bis in die Gegenwart (qualitative Ernährungsdefizite, Alkoholkonsum, Rauchen, Drogenkonsum), die relativ große Häufigkeit von Morden und Selbstmorden wirken sich damit auf Jahrzehnte aus. Die Ausbreitung von HIV/AIDS wirft neue Probleme auf. Russlands „Boomtown“ Moskau Zwischen 2000 und 2010 erwirtschaftete Moskau 22 – 24% des russischen BIP, konzentrierte 1/3 des russischen Handels und der bezahlten Dienstleitungen auf sich. 50% der Wissenschaft Tätigkeiten, 7% der Bevölkerung und 20% der Einnahmen. 2 Einbindung in die globale Wirtschaft – der Rohstofflieferant Die Sowjetunion hatte sich zwar nicht von der Weltwirtschaft abgekoppelt, aber sie hatte einen eigenen Weltwirtschaftsraum sozialistischer Prägung zu entwickeln versucht, für den sie selbst die Standards setzte. Fehlende Privatinitiative vor dem Hintergrund staatlicher Lenkung in einer Zentralverwaltungswirtschaft, mangelhafte Kapitelausstattung der Betriebe, zunehmende Überalterung der Betriebsanlagen und weitere innovationshemmende Erscheinungen reduzierten die Wettbewerbsfähigkeit und führten zu einer massiven Deindustrialisieren nach Auflösung der Sowjetunion. Das Hauptinteresse der Weltwirtschaft an Russland konzentriert sich heute auf Rohstoffe. Bei fast allen mineralischen Rohstoffen konnte Russland im zurückliegenden Jahrzehnt seine Produktion zum Teil erheblich steigern, durch Konzentrationsvorgänge große, spezialisierte Konzerne bilden, unternehmerische Verflechtungen mit dem Ausland schaffen, in vielen Fällen auch einen der vordersten Plätze unter den Produzenten auf dem Weltmarkt einnehmen. Einzelne Unternehmen entwickelten sich zu Global Players, insbesondere in der Energiewirtschaft, für die die drei führenden Energiekonzerne, Gasprom, Lukoil und EES (Edinnaja elektriceskaja sistema), in erster Linie zu nennen sind. Auch für andere Rohstoffmärkte (Kupfer, Nickel, Molybdän, Lithium) ist Russland ein wichtiger Handelspartner: Rohstoffexporte machen rund 70% des russischen Exportwertes aus, wobei Erdöl und Erdgas dominieren. Drei Beispiele mögen die globale Einbindung verdeutlichen: Die steigende Nachfrage aus China ließ die Weltmarktpreise für Nichteisenmetalle steigen, wovon insbesondere die Kupferund Nickelproduktion profitierte, die in Russland von Norilsk Nikel (Anteil von 75% an Russlands Kupfer- und von 90% an der Nickelproduktion) dominiert wird. Zu dem Unternehmen gehören auch Produktionsanlagen in Australien, Finnland und Botswana. Bei der Diamantenförderung konnte Russland Mitte des zurückliegenden Jahrzehnts Botswana überholen, hinsichtlich des Wertes blieb es an zweiter Stelle. Wichtigster Produzent ist Al-rosa (Alamazy Rossii Sacha) mit 98% Produktionsanteil in Russland und 22% der Weltproduktion. Das Unternehmen ist auch in Angola aktiv. Anteilseigner sind das russische Ministerium für Staatseigentum mit 37% vor der Republik Sacha-Jakutien (32%), Beschäftigten der Betriebe und privaten Eignern (23%) sowie den Verwaltungen der Abbaugebiete (8%). Die Hälfte der Diamanten werden im Ausland verkauft, wobei ein Abkommen mit De Beers besteht. Mit dem Übergang von den großen Tagebauten zum Untertageabbau soll die Förderung erhalten und ausgebaut werden. In der Aluminiumindustrie ist RUSAL seit 2000 größter Produzent. Das Unternehmen mit 50.000 Beschäftigten verzeichnet die größten Zuwächse im zurückliegenden Jahrzehnt im Ausland (u. a. Armenien, Australien, Irland, Nigeria, Ukraine). Als Ziel für ausländische Direktinvestitionen bietet sich Russland dagegen nur bedingt an, denn es besteht nach wie vor nur mäßiges Vertrauen in die institutionelle Sicherheit. Als größte Handicaps gelten die weit verbreitete Korruption — Transparency International gruppiert Russland im Jahr 2009 an 146. (von 180 Staaten) Stelle des Corruption Perceptions Index — und die noch immer relativ häufige Änderung von Bestimmungen. Immerhin schneidet Russland beim internationalen Rating auf den Finanzmärkten trotz der Auswirkungen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise relativ gut ab. Innerhalb Russlands wirken sich Phänomene der Globalisierung in der Zunahme räumlicher Disparitäten zwischen einigen wenigen globalen Zentren und einer riesigen globalen Peripherie. Moskau entwickelte sich zu einer Boomtown mit überbordender Bautätigkeit. St. Petersburg, Nischni-Nowgorod, Jekaterinburg und Nowosibirsk sind weitere 3 Wirtschaftszentren mit wirtschaftlicher Öffnung und Modernisierung. Davon profitieren auch die entsprechenden Ergänzungsräume wie zum B.: die Altai Region für Nowosibirsk 4 Veränderungen der Klima- und Umweltbedingungen Ganz andere Probleme werden bei einem Blick auf Auswirkungen globalen Klima- und Umweltwandels angesprochen. In der öffentlichen Wahrnehmung rücken die russischen Anteile an der Arktis und Subarktis ins Bewusstsein Dabei rufen drei Teilräume unterschiedliche Assoziationen hervor: In den Festlandgebieten zieht die Erwärmung ein partielles Auftauen von Permafrost, insbesondere eine Zunahme der Mächtigkeit der alljährlichen Auftauschicht nach sich. Dies verursacht in den Abbaugebieten von Erdöl und Erdgas zusätzliche Kosten: Die Pipelinerohre müssen durch immer tiefer begründete Stelzen gesichert werden, um nicht in die Auftauschicht einbezogen und der dort herrschenden Dynamik ausgesetzt zu werden. Entlang der Küste könnte der Nordöstliche Seeweg, den Adolf Erik Nordenskiöld 1878/79 mit der „Vega" erkundet hatte, an Bedeutung gewinnen. Während derzeit nur die westlichen Häfen bis Dikson wenigstens jahreszeitlich angelaufen werden können und die weiter östlich gelegenen Häfen wie Tiksi vor allem zum Überwintern genutzt werden, wird es bei Zunahme der Erwärmung der Atmosphäre regelmäßig möglich sein, die Passage in einer Saison durchzuführen. Damit könnte ein im Vergleich zur Route um das Kap der guten Hoffnung oder durch den Suezkanal deutlich verkürzter Schifffahrtsweg nach Ostasien an Transportbedeutung gewinnen. Im Offshore-Bereich des Nordpolarmeeres und seiner Randmeere werden umfangreiche Vorkommen von Bodenschätzen vermutet, die bisher nicht erkundet, geschweige denn genutzt werden konnten. Das neue geopolitische Interesse an der Arktis wurde sichtbar, als im April 2010 nach jahrzehntelangen Diskussionen ein Grenzabkommen zwischen Russland und Norwegen für den maritimen Bereich gültige Grenzen festlegte. Damit ist der Weg frei für Prospektionen und Erschließungsmaßnahmen in den Gebieten, in denen insbesondere umfangreiche Vorkommen von Erdöl und vor allem Erdgas vermutet werden. Die stark rückläufige Ergiebigkeit der westsibirischen Erdölvorkommen mit nur noch 60% nachgewiesener Reserven kann diese Aktivitäten vorantreiben. Mit der Entwicklung des Permafrostes hängt eng die CO2-Problematik zusammen. Man geht davon aus, dass das allmähliche Auftauen des Dauerfrostbodens Kohlendioxid und Methan freisetzt und damit zusätzlich zum Treibhauseffekt und zur globalen Erwärmung beiträgt. Die bisherigen CO2-Senken, unter denen der boreale Nadelwald auf Permafrost und die ausgedehnten Sumpfgebiete Sibiriens die weltweit bedeutendsten waren, verlieren an Gewicht. Entwicklungsgrenzen Überblickt man zwei Jahrzehnte postsowjetischer Entwicklung in Russland, kann man zusammenfassend Gewinne und Verluste, die sich aus dem Transformationsprozess ergaben, bilanzieren. Zu den Positiva zählen: Russland hat nach schwierigen Jahren der Selbstfindung wieder in den Kreis der Großmächte und der bedeutenden Handelspartner zurückgefunden. Mit seinen Rohstoffen bietet es Güter an, die auf dem Weltmarkt gefragt sind. Der Einfluss des Staates auf die Wirtschaft fehlt zwar nicht, ist aber nicht omnipräsent; die Handlungsspielräume einer neuen Unternehmerschicht wurden größer, wenn auch zahlreiche Akteure aus der früheren Nomenklatura stammen. Persönliche Freiheit erlaubt eine Präsenz von Russen an vielen touristischen Destinationen des internationalen Fremdenverkehrs (Mittelmeerküste mit Schwerpunkten in Spanien, Frankreich und der Türkei; Thailand). Teilweise wird ganz bewusst an alte Traditionen angeknüpft wie beim Besuch der Heilbäder Mitteleuropas (Wiesbaden, Baden-Baden, Badenweiler) oder der mediterranen Seebäder. Die recht einseitige Ausrichtung der Wirtschaft auf die Gewinnung und den Export von Rohstoffen, insbesondere aus dem hoch profitablen Erdöl-und Erdgassektor, bewirkt eine Vernachlässigung anderer Industriezweige zum Schaden regionaler und gesamtwirtschaftlicher Entwicklungsimpulse. Immerhin besteht eine enge Zusammenarbeit zwischen internen und externen Global Players. Die Kluft zwischen Arm und Reich hat in den beiden zurückliegenden Jahrzehnten deutlich zugenommen. Die „Neuen Reichen" sind eine teils aus der alten Nomenklatura hervorgegangene, teils neu entstandene Schicht, die in ihrem Lebensstil hedonistisch geprägt und auf Teilhabe an globalen Wohlstandsmerkmalen ausgerichtet ist. Analoge Disparitäten bestehen zwischen wohl situierten Regionen und solchen mit deutlichem Entwicklungsrückstand. Besonders problematisch ist Lage in Regionen, in denen Konflikte mit ethnischem Hintergrund mit wirtschaftlicher Unterentwicklung zusammenfallen wie in zahlreichen Gebieten Nordkaukasiens. Konflikte bestehen insbesondere in der ethnischen Gemengelage Nordkaukasiens fort, wo durch Flüchtlings Ströme seit Ende der 1980er Jahre zusätzliches Konfliktpotenzial entstanden war. Defizite bestehen im Bereich der Demokratie und der Entwicklung einer Zivilgesellschaft: Während die erforderlichen Institutionen geschaffen wurden, fehlen die sozialen Umsetzungen und die Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen. Mag der normative Rahmen für Umwelt- und Naturschutz hervorragend sein, so besteht die Diskrepanz zwischen Norm und Erfüllung fort. Energiemangel und -verschwendung, Überalterung technischer Ausrüstung und dadurch verursachte Umweltschäden, sorglose Umsetzung einer zum Lebensstil zählenden Nähe zur Natur sind einige Beispiele. Die Vorteile, die sich aus der polwärtigen Ausweitung landwirtschaftlicher Anbaugebiete ergeben mögen, werden durch die Belastung der dicht besiedelten und intensiv bewirtschafteten Gebiete durch Extremereignisse, zunehmenden Wassermangel in der Steppenzone, Unsicherheit der Agrarproduktion , ferner durch unvorhersehbare Migration wettgemacht 5