Predigt 9-13-2015 Umgang mit Sorgen

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Umgang mit Sorgen, Mt. 6, 25-34
Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei
mit Euch allen.
Liebe Deutsche Gemeinde
Danke Euch, liebe Deutsche Gemeinde hier in Atlanta! Danke, liebe Dorothea, dass Du uns in unserer
grossen Not mit dieser schön gestalteten Email wegen der Jobsuche von Ulrich an den Empfängerkreis
der Deutschen Gemeinde schnell und unkompliziert geholfen hast!
Was war passiert?
Am letzten Freitag im Juli fand mein Mann mittags auf seinem Schreibtisch einen Zettel. Darauf stand:
Du bist entlassen! Zwei Stunden später stand er mit einer Schachtel mit all seinen Arbeitshabseligkeiten
auf der Strasse. Das war Amerika pur! - Und wir machten als Paar in den nächsten Wochen ein
Wechselbad der Gefühle durch. Wie weiter? Wie lange können wir ohne Einkommen hier in den USA
leben? Welche Versicherung sollen wir kündigen? Für mich wäre es ja leicht, wieder nach Europa zu
gehen und dort eine Stelle zu finden. Aber Ulrich hatte sich dort nicht mehr akklimatisieren können. Das
schränkte unseren Spielraum gehörig ein. Und da ich bisher in den USA auch nicht angefangen hatte zu
arbeiten, waren wir von jetzt auf gleich im Land der Sorgen. Die existentielle Bedrohung war gewaltig.
Immer wieder lagen unsere Nerven blank. Bald hatte ich mit Sara einen Flug nach Deutschland gebucht,
damit Ulrich und ich etwas mehr Abstand hatten.
Was haben wir in diesem Land der Sorgen und Bedrohung als hilfreich erlebt?
Da sind die Jobseeker-Gruppen in ein paar grösseren Kirchen. Ein Meer von Menschen engagiert sich
dort, um Arbeitssuchende zu unterstützen. Zum einen ist ihr Ziel, dass sie erfolgreich eine neue Stelle
finden. Dann aber auch, dass diese Krisenzeit für sie eine wertvolle wird, in der sie neu Weichen für ihr
Leben stellen. Ich bin dann zu ein paar dieser Treffen gegangen und habe viel gelernt über Networking,
die amerikanische Arbeitskultur und einen sehr interessanten Lebensimpuls mit auf den Weg
bekommen. Letzterer lautet: Werde eine Geberin! Gerade in der Zeit der Arbeitslosigkeit oder auch in
solchen mit anderen grossen Sorge, fokussieren wir ganz leicht immer mehr auf uns selbst. Die Frage,
wie schaffe ich es, frisst alle anderen Gedanken auf. Und mein Gesichtsfeld und auch Mitgefühl wird
immer kleiner. Werde eine Geberin, ein Geber, der seine Umgebung aus der Perspektive anschaut, was
der Andere braucht. Nicht: Was brauche ich? Wie schaffe ich es? Sondern: Was braucht der andere?
Was kann ich geben? Nebenbei soll das auch eine gute Haltung in einem Bewerbungsgespräch sein. Ein
Mann erzählte, wie ihn die plötzliche Arbeitslosigkeit nach dem Umzug mit seiner Familie nach Atlanta
schwer getroffen hatte. Die Sorgen erdrückten ihn. Auch er hörte diesen Impuls und versuchte ihn, in
seinem Schmerz umzusetzen. Da stand er in einem Schnellrestaurant in der Schlange. Die Frau vor ihm
hatte ihren Geldbeutel vergessen. Er erinnerte den Impuls und spendierte dieser Familie das Essen –
gegen jede finanzielle Vernunft. Und bei sich konnte er beobachten, wie ihn diese Haltung in der
bedrohlich Zeit der Arbeitslosigkeit weiter und offener für andere Menschen und ihre Sorgen machte.
„Sorgt nicht um Euer Leben, was Ihr essen, was Ihr trinken werdet, auch nicht um Euren Leib, was Ihr
anziehen werdet. Ist das Leben nicht mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?“
Geben in der Zeit der Sorgen habe ich erlebt wie den Sorgen ein Schnippchen schlagen.
Sorgen müssen ein Gen haben, das Komparativ heisst: „Mehr, mehr, mehr!“ Wenn sich eine Sorge in
einen bohrt, dann mag sie klein beginnen. Von ihrem Naturell wird sie versuchen zu wachsen, grösser zu
werden, mehr Raum einzunehmen. Wenn Sorgen sprechen könnten, würden sie ununterbrochen sagen:
„Es wird schlimmer. Das reicht nie! Die Zukunft sieht schwarz aus. Ich brauche viel mehr, ganz dringend
und sofort!“
Das gute Recht der Sorge ist, auf Missstände und Bedrohliches hinzuweisen. Sie ist ernst zu nehmen. Es
ist richtig, vorsichtig zu wirtschaften, wenn das Geld knapp wird oder sogar gar nichts mehr einkommt.
Es ist angemessen, in politisch schwierigen Zeiten gf. eine Schlusslinie zu ziehen und das Land zu
verlassen, was seit Beginn der Menschheit viele mutige Flüchtlinge machen. Es ist verantwortlich, die
Warnsignale des Körpers und der Seele zu beachten und einen Arzt aufzusuchen.
Jesus unterstützt und rät, die Sorge des heutigen Tages ernst zu nehmen. Eine Grenze zieht er dort, wo
diese Sorge sich in die Zukunft hineindenkt und –lebt. „Jeder Tag hat seine eigenen Sorgen!“ Deshalb
höre auf, Dir über morgen Sorgen zu machen. Stopp die Sorge am Übergang zum Morgen. Lass sie mit
dem Ende des Tages einschlafen. Morgen früh geht es weiter – auch mit den Sorgen, vielleicht den alten,
vielleicht neuen.
Wie soll ich das verstehen?
Weiss Jesus nicht von der schweren Last existentiell bedrohlicher Sorgen? Hundertprozentig! Die
meisten von Jesu Zuhörern wurden von existentiellen Sorgen niedergedrückt: Hunger, Krankheit,
Einsamkeit und Armut hatten sich in die Seelen seiner Nachfolgerinnen gefressen. Er wusste das. Gerade
deshalb sein Rat, das Augenmerk auf etwas anderes zu richten: auf Gott, auf sein Reich. Trachtet zuerst
nach Gottes Reich…
Look at the big picture, das Grössere, dann ist manche Durststrecke besser auszuhalten, auch manche
Sorge!
Ich habe erzählt, wie der Impuls „Geber/ Geberin“ zu werden, solch ein Impuls für mich war, die Sorge
nicht riesengross werden zu lassen. Mein inneres Auge wurde aus der Fokussierung auf mich und meine
Situation gelöst und sah vielleicht sogar intensiver als sonst die Not von anderen.
Im Prinzip mache ich es bei Sara ähnlich. Wenn sie unbedingt etwas möchte, was ich falsch oder
gefährlich finde, dann weise ich sie oft auf etwas anderes hin, was ganz spannend ist: eine Katze, ein
Baum, ein Streifen am Himmel, ein Auto auf der Strasse. Wenn sie dann dorthin schaut, ist (heutzutage
noch) ihr altes Thema ganz schnell vergessen. Das neue Objekt hat alle ihre Aufmerksamkeit, und das
Leben macht wieder Spass.
Wenn Sorgen uns aufzufressen drohen, hilft Jesus unserem inneren Auge, das manchmal wie ein Zombie
starr die Sorge fixiert, den Blick langsam wieder zu lösen. Schau woanders hin, schau hinaus! Beobachte
die Vögel, wie sie fliegen, wie sie leben, wie sie sich um ihr Futter bemühen. Lass Dir Zeit zum Hinsehen!
Und sieh die Schönheit einer Lilie an, das Wunder einer Kornblume, die feine Zeichnung eines
Gänseblümchens! Nimm wahr, nimm in Dich auf! Entspanne Deinen Zombie-Blick: Gott ist da. Er ist Dein
Versorger. Trachte zuerst nach seinem Reich – das hilft!
Wolfgang Thierse, der langjährige deutsche Bundestagspräsident, nennt unseren heutigen Bibeltext
seinen Lieblingstext. Im Jahr 2000 drückte er es so aus. Der Text ist für ihn eine „Einladung zur
Gelassenheit: sich weniger wichtig zu nehmen oder auch selbst zu überschätzen beim Lösen von
Problemen/ Sorgen, was eine Berufskrankheit von Politikern (und auch anderen) ist. Dazu hilft ihm der
federleichte Hinweis Jesu auf die Vögel und Lilien.
Und die Aufforderung, zuerst nach dem Reich Gottes zu trachten, ist für ihn eine heitere Absage an die
Kultur des Egoismus und Habenwollens. Eine Einladung zu einer befreienden christlichen Sorglosigkeit,
die kein Leichtsinn ist, sondern Vertrauen in Gottes Hilfe.
Da stehe ich jetzt mit Lilien und Vögeln in meinen Sätzen und möchte Euch noch einmal für die
verbindliche Reaktion auf Ulrichs Entlassung danken. Lilien und Vögel helfen, nicht in den Sorgen
unterzugehen, der weite Blick zum Reich Gottes, aber auch andere Menschen, die da sind, reagieren,
sich Zeit nehmen.
Und vielleicht kann ich auch im Sinne der Bergpredigt sagen: „Danke, Ihr seid uns sehr schöne Lilien und
Vögel geworden! Und natürlich wünsche ich Euch in Euren Sorgenzeiten auch Menschen, die wie Lilien
und Vögel Eure Sorgen etwas leichter machen. Bleibt behütet und heiter auf Eurem Weg!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Jesus Christus!
Amen
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