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Große Freude in Namibia über Jahrhundertregen
von Helge Bendl
31.05.2011
In der Wüste Namib im südlichen Afrika hat es so viel geregnet, wie seit 120 Jahren
nicht mehr. Der Natur tut es gut, Tiere vermehren sich wie sonst nie.
Alle reden sie dieser Tage über das Wetter in Namibia. Monatelang hat es geregnet,
geregnet und geregnet – so viel wie nie zuvor in den letzten 120 Jahren. Meterhoch steht
nun das Gras in den sonst kargen Tälern der Wüste Namib. Wiesen breiten sich aus, wo
sonst nur toter Stein liegt. Selbst die Dünen haben ein grünes Make-up aufgelegt. Ein
Jahrhundertregen hat die Landschaft verwandelt. Die Wüste blüht.
Im südafrikanischen Herbst waren die vier großen Flüsse Kavango, Kunene, Orange und
Sambesi über die Ufer getreten – die meisten Schäden der Überflutungen sind behoben.
Zwar gab es im Mai noch einige Schauer, doch offiziell beginnt jetzt die Trockenzeit.
Auf einmal vernimmt man nun die Stimmen der Botaniker und Ornithologen, die der
Wildhüter und Nationalparkaufseher. Sie klingen euphorisch. "Was wir nach dieser
Regenzeit erleben, ist wirklich einzigartig“, sagt Manie Le Roux, Chef der Ranger im
Namib Naukluft Park.
"Eigentlich ist die Namib eine der trockensten und lebensfeindlichsten Wüsten der Welt.
Doch zum ersten Mal seit vielen Jahren floss der Tsauchab River so stark, dass sich bei
den Dünen von Sossusvlei ein großer See gebildet hat.“ In der Sprache der einst hier
siedelnden Nama bedeutet "Sossus“ in etwa "Blinder Fluss“, weil der Tsauchab seit
vielen tausend Jahren eigentlich im Nichts endet.
Heute steigt man als Besucher um sechs Uhr, wenn die Sonne noch nicht allzu sehr
brennt, Schritt um Schritt auf die Düne am Ende des Tals und blickt dann hinunter in die
Lehmpfanne. Als reale Fata Morgana liegt unten eine Oase, in deren blauem Wasser sich
die anderen Sandberge spiegeln. Wie bestellt schreitet eine Oryx-Antilope, den
gewölbten Bauch mit Gras gefüllt, zum Trinken herbei.
Im Allgemeinen ist die Namib ein Lebensraum für Überlebenskünstler, die sich Wasser
holen, wo eigentlich keines ist – Tiere, die Tau lecken und Feuchtigkeit speichern. Oder
es machen wie der Kopfstandkäfer: Er stellt sich auf den Dünenkämmen auf den Kopf,
um die Tröpfchen des vom Atlantik heranwallenden Nebels zu fangen. Dieses Jahr hat
auch er es einfacher.
2006 war für Namibia das letzte gute Regenjahr. Doch die aktuelle Saison ist so viel
niederschlagsreicher, dass die Meteorologen des Namib Naukluft Park die Maßstäbe
ihrer Statistiken verändern, weil die Balken sonst nicht mehr aufs Papier passen
würden.
"Im Norden haben wir an manchen Wetterstationen statt der üblichen 22 Millimeter
Niederschlag in dieser Regenzeit 187 Millimeter gemessen“, sagt Meteorologe Manie Le
Roux. Im Süden der Wüste ist es noch extremer: Die Spitzenwerte liegen bei über 250
Millimetern.
Die Natur hat ihre Chance erkannt – und ist explodiert. Millionen von Samen, die oft
Jahrzehnte im Sand schlummerten, in Erwartung einer Regenzeit wie dieser, sind
gekeimt. Und trafen, weil es weiter regnete, auf optimale Bedingungen.
"Das Gras ist doppelt so hoch wie üblich – und unglaublich dicht. Aus dem Flugzeug
wirken die Täler zwischen den rostroten Dünen heute so grün, dass man sich vorstellen
könnte, hier Milchkühe weiden zu lassen“, sagt Manie Le Roux.
Zwar werden sich die Gräser in den kommenden Monaten nach und nach gelb und dann
braun verfärben. Die ungewöhnlichen Ausblicke sind bis zum Ende der Trockenzeit im
Oktober aber gesichert, wenn in Namibia der Frühling beginnt.
Das private Naturschutzgebiet Namib Rand Nature Reserve, das im Südosten an den
Namib Naukluft Park angrenzt, bekommt auch in normalen Jahren etwas mehr
Feuchtigkeit ab als die trockensten Partien der Namib.
Wer mit Aufseher Mike Scott durch sein Revier fährt, erlebt dieser Tage einen
Wissenschaftler, dem das Staunen ins Gesicht geschrieben ist. "Im Oktober wuchs hier
vielleicht jeden Meter ein Halm – jetzt wogt das Gras wie in einem Weizenfeld“, sagt der
62-Jährige. Als Teppich breitet sich das Grün auch auf Flächen aus, die normalerweise so
trocken sind, dass hier keinerlei Pflanzen überleben.
Mike Scott kommt mit den Erklärungen gar nicht nach: Wie Unkraut wuchert der gelbe
Morgenstern, ein paar Meter weiter sprießt in dunklem Violett der wilde Sesam. Bienen
summen um Wüstenbohnen, Käfer sitzen auf Butterblumen, und mit kleinen roten
Blüten sorgt wilder Hibiskus für einen weiteren Farbtupfer im Meer der tausend Gräser.
Auch die Tierwelt hat sich verändert. "Zum ersten Mal sehen wir hier Vögel, die
eigentlich die Feuchtigkeit lieben“, sagt Mike Scott. Und die Antilopen des Namib Rand
Nature Reserve, das mit 170.000 Hektar mehr als doppelt so groß ist wie Berlin und sich
eine 100 Kilometer lange Grenze mit dem Namib Naukluft Park teilt, sind so fett wie nie
und produzieren reichlich Nachwuchs.
"2006 hat sich unsere Springbockpopulation nach der Regenzeit von 8000 Tieren auf
16.000 Tiere verdoppelt. Dieses Jahr gibt es so viel Nahrung, dass es vermutlich noch
mehr werden.“ Gute Nachrichten auch für die Jäger: Leoparden und Geparden werden
ihren Nachwuchs gut durchs Jahr bringen. Und vielleicht kann man die scheuen Tiere
dann als Besucher etwas einfacher als üblich erspähen.
Bei einer Fahrt im Heißluftballon zeigen die Menschen im Korb nicht wie sonst zu den
Dünen, die bis ans Meer reichen. Sondern nach unten. Man sieht sie auch vom Boden,
besser aber aus der Luft: Runde, bis zu zwölf Meter große kahle Stellen im Gras
perforieren zu Tausenden das wuchernde Grün am Rande des Sandmeers.
Sind es Termiten, die im Untergrund jede Wurzel abnagen und so die unbewachsenen
Kreise schaffen, in denen der rote Quarz leuchtet? "Feenkreise“ nennt man das
Phänomen, weil es Geschichten von Frauen in langen Gewändern gibt, die hier des
Nachts angeblich tanzen. Andere vermuten geomagnetische Felder oder
Meteoritenpartikel als Ursache. Die Namib schützt ihre Geheimnisse – endgültig ist das
Phänomen noch nicht erklärt.
Hier, im Tal der Feenkreise, liegt das Herz des Namib Rand Nature Reserve. Der
Namibiadeutsche Albi Brückner begann in den 80er-Jahren damit, die Zäune zwischen
den Schaffarmen abzubauen und aus den überweideten Flächen ein großes
Naturschutzgebiet zu schaffen.
Sein Sohn hat die auf Stelzen gebauten Zelte des Wolwedans Dune Camp konzipiert und
seine Kollektion inzwischen um vier weitere Unterkünfte erweitert. Die Segeltuchwände
lassen sich öffnen, und so kann man sogar vom Bett aus die ergrünte Landschaft
genießen.
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