Gern oder gerne - Lektorat in Bremen

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Gern oder gerne?
von Lektorat in Bremen, Samstag, 28. April 2012 um 18:42 ·
Zunächst einmal: Mir ist es schnurz, ob jemand gern oder gerne schreibt oder spricht.
Hauptsache, er folgt seiner Leidenschaft! Und auch die anerkannten Autoritäten sind sich
einig: Ein Unterschied ist nicht feststellbar. Trotzdem hat mich die Frage, ob es eine Regel
gibt, nach der gern und gerne zu unterscheiden sind, nicht losgelassen. Eine Regel gefunden
habe ich nicht – wohl aber Aspekte, die zu einer Unterscheidung führen. Gern stelle ich diese
hier zur Diskussion.
Wortbedeutung und -herkunft
Gut und gern sind Adjektive, denen es an Steigerungsformen fehlt. Daher ist eine Sache nicht
guter, sondern besser und wir erledigen etwas nicht gerner, sondern lieber. Die Grundform
von gern lässt sich nicht flektieren, kann also nicht attributiv verwendet werden. Keine gerne
Arbeit, nur Leute, die gern arbeiten. Weshalb es sich auch nicht wirklich um ein Adjektiv,
sondern um ein Adverb handelt. Das Mittelhochdeutsche kannte die Formen gërne/gërn und
fügte auch gern mal ein -lich hinzu: So konnte man eine Aufgabe willig, gërneliche,
übernehmen. Wer etwas gern tut, der ist besonders eifrig, erfreut, begierig darauf. Die
althochdeutsche Form lautete gerno, da aber die Mittelhochdeutschen bekanntermaßen gern
nuschelten, wurde daraus gerne. Dieses gerne hat sich in Zusammensetzungen wie
„Gernegroß“ erhalten. Auch ein Verb gërn existierte, Synonyme dafür sind beispielsweise
begehren, verlangen oder neudeutsch: habenwollen.
Wenn du gern schreibst oder liest oder über Grammatik nachdenkst, dann spürst du ein
starkes Verlangen danach. Deshalb kann auch nur ein Wesen, das zur willentlichen
Entscheidung fähig ist, etwas gern tun. Eine Blume blüht nicht gern oder ungern. Sie folgt
noch nicht einmal ihrer Bestimmung. Sie steht da so rum und blüht, bis es eben vorbei ist.
Gern ist also ein Ausdruck unseres freien Willens und eine Sympathiebekundung zugleich. Es
spricht von unserer Bereitschaft oder Leidenschaft, etwas zu tun – in vielen Nuancierungen.
Gern/e als notwendiges Übel und als Ausrufezeichen
Etwas leidenschaftsloser betrachtet kann gern als notwendiges Übel betrachtet werden, das in
bestimmten Wendungen einfach nicht fehlen darf. Da wäre zunächst das gern als Ergänzung
zum Konjunktiv II: Ich hätte gern … Ich wäre gern …
Ich hätte ein Pfund Äpfel. Ein schöner Irrealis. Der natürlich nach einer Erklärung schreit: Ich
hätte ein Pfund Äpfel, wenn der Sepp sie mir nicht vor der Nase weggefuttert hätte. Ebenso:
Ich wäre Herr im eigenen Haus, wenn nicht ... Fügen wir ein gern hinzu, wird daraus der
sogenannte Optativ, die Wunschform: Ich hätte gern ein Pfund Äpfel. Ich wäre gern Herr im
eigenen Haus. Gern dient hier also der Grammatik. Durch gern verwandeln wir den Irrsinn in
einen Wunsch. Die Betonung liegt dabei auf dem letzten Satzglied. Oder sagt jemand beim
Einkaufen: Ich hätte GERN ein Pfund Äpfel?
Und was ist mit gerne? Ich hätte gerne ein Pfund Äpfel. Ich wäre gerne Herr im eigenen
Haus. Auch das ist möglich, verschiebt aber den Schwerpunkt der Aussage. ICH hätte
GERNE einen Garten, Rosa hingegen ist das zu viel Arbeit. Gerne bringt Nachdruck ins
Spiel. Das angehängte -e ist wie ein vorweggenommenes Ausrufezeichen. Daher nutzen wir
es auch gern als Satzäquivalent: Kommst du mich mal wieder besuchen? Gerne!
Gerne ist kommunikativer als gern
Gerne ist die Reaktion auf einen Stimulus. Es kann als Kurzform von Bitte, gern geschehen!
betrachtet werden. Es wird verwendet, wenn wir betonen wollen, wie außerordentlich gern
wir einer Bitte nachkommen. Es besetzt die Positionen von Bitte und Danke: auf eine
Dankesbekundung für unseren wunderbaren Text oder Vortrag etwa: gerne! (Bitte, gern
geschehen!). Auf die Frage, ob wir etwas trinken möchten – gerne (ja, bitte)! Möchten Sie
sich setzen? Gerne! (Danke, ja!) Darf ich hier Platz nehmen? Gerne! (Aber bitte doch!). Was
wohl niemandem in den Sinn käme: In einer der genannten Situationen „ungern“ zu erwidern.
Auch ein lieber oder am liebsten wäre an dieser Stelle nicht möglich.
Der Unterschied zwischen gern und gerne gleicht dem zwischen einer überschwänglichen
Begrüßung mit Küsschen hier und Küsschen dort und einem zurückhaltenden Händedruck.
Händeschütteln ist in Deutschland ein Gebot der Höflichkeit – gern reiche ich dir die meine.
Küsschengeben ist etwas, mit dem man seine besondere Nähe ausdrückt oder auch seine
Weltoffenheit, manchmal gleicht es auch einem zwanghaften Überschüttetwerden mit
Sympathie: aber gerne doch!
Gerne ist kontextbezogen
Gern gehört zur Gruppe der Adverbien, die ohne Kontext verständlich sind. Zwar kann dieses
gern viele Nuancen umfassen, doch braucht der Leser oder Hörer keine zusätzlichen
Informationen, um es in seiner Grundaussage zu verstehen. Anders verhält es sich
beispielsweise bei Adverbien wie dort. Diese müssen erläutert werden oder Sprecher und
Hörer müssen sich in Sichtweite befinden, damit klar ist, welches dort gemeint ist. Gerne ist
so autonom wie gern, wird aber vor allem mit Kontextbezug benutzt. Gerne antworte ich auf
Ihr Schreiben. Möchtest du das haben? Gerne!
Umgekehrt lässt sich feststellen: Gern bezeichnet eher einen generellen Sachverhalt, gerne
bezieht eine weitere Person, an die der Sprecher sich wendet oder für die er sich verwendet,
ein. Eine generelle Aussage wäre: Wissenschaftler drücken sich gern kompliziert aus.
Der Bezug zum Adressaten besteht beispielsweise hier: Wir suchen Ihnen gerne ein paar
komplizierte Wendungen aus dem Wörterbuch heraus. Ich kenne keine Statistiken über die
Verwendung von gern und gerne, aber genau dies behaupte ich: Wer etwas Allgemeines
ausdrücken will, greift eher zum gern. Wer sich im Dialog befindet, eher zum gerne. (Es sei
denn, er lehnt wie mein guter alter Deutschlehrer ohnehin alle überflüssigen e-s ab und bleibt
gern vorn allein.)
Gern lässt sich steigern, gerne ist sich selbst genug
Aus meiner Sicht erfüllen also gern und gerne ganz unterschiedliche Funktionen. Diese sind
aber nicht rein syntaktisch oder semantisch zu bestimmen. Gern ist Modaladverb, das mir
sagt, wie bzw. in welcher Intensität jemand etwas tut. Ich singe gern. Ich lese gern. Ich
schreibe gern. Anstelle von gern kann dann auch die Steigerungsform verwendet werden: Ich
singe lieber (als dass ich spreche). Ich lese lieber (statt fernzusehen). Ich schreibe am liebsten.
Auf die Frage: Kommst du mich mal wieder besuchen? – kann ich ein empathisches Gerne!
erwidern. Ein Lieber! ist nicht möglich. (Allenfalls „lieber nicht“ – aber eine solche Antwort
ist kaum zu empfehlen.)
Ungern oder nicht gern?
Womit wir bei einer weiteren Unterscheidung von gern und gerne angekommen wären: Das
Gegenteil von gern ist ungern. Ungerne ist kein Bestandteil der deutschen Sprache. Gerne
lässt sich nur mithilfe von nicht in sein Gegenteil verwandeln. Für ungern gibt es kein
passendes Synonym. Am nächsten käme vielleicht noch die Bedeutung von lustlos oder von
unwillig. Das hängt auch damit zusammen, dass gern sich eben ganz anders verhält als andere
Modaladverbien.
Ich arbeite gut. Frage: Wie arbeitest du? Klar, gut.
Ich arbeite gern. Frage: Wie arbeitest du? Nö, im Leben nicht.
Gern bezeichnet keine Qualität, sondern ist wie oben bereits erwähnt, der Ausdruck meines
Wollens, meiner Leidenschaft. Es bereitet mir Freude, zu arbeiten. Gern gehört daher
semantisch eher zur Gruppe der Modalwörter, die sich in einen übergeordneten Satz
transformieren lassen:
Er wird vermutlich morgen fehlen. Ich vermute, dass er morgen fehlen wird.
Er wird morgen gern/ungern antworten. Er ist (nicht) gewillt, morgen zu antworten.
Kurz und knapp:
Gerne
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übernimmt die Funktion von Bitte und Danke;
wird vor allem in der wörtlichen Rede verwendet;
bezieht sich auf einen situativen oder kommunikativen Kontext;
trägt sein eigenes Ausrufezeichen bei sich;
dient der Veränderung der Satzmelodie und damit des betonten Satzgliedes;
wird durch „nicht“ verneint;
gleicht eher einer Abtönpartikel als einem Modaladverb.
Gerne verwende ich(,)
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als Satzäquivalent (Gerne!);
wenn ich besonders nachdrücklich auf meine Bereitwilligkeit verweisen möchte;
wenn ich den situativen/kommunikativen Kontext betonen will.
Gern
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ist grammatikalisch notwendiger Bestandteil beim Optativ;
ist lexikalisch notwendiger Bestandteil bei Zusammensetzungen wie gernhaben,
gernsehen (reformiert: gern haben, gern gesehen);
ist als Modaladverb valenzunabhängige Ergänzung (ich arbeite gern);
kann von seiner Funktion her auch als Modalwort verstanden werden, das sich in
einen übergeordneten Satz transformieren lässt.
Gern verwende ich, wenn
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ich auch eine der Steigerungsformen einsetzen könnte (ich singe gern);
ich einen Wunsch ausdrücke (Optativ);
die Verneinung „ungern“ wäre.
Gerne ist eine spontan wirkende Verheißung, aber keine übergeordnete Modalität. Gerne ist
Ausdruck der Begeisterung, Zustimmung pur. Gern drückt mein Wollen, mein Begehren auf
eine zurückhaltendere Weise aus. Vornehm, willig, aber nicht unterwürfig. Schon deshalb ist
gern mir immer noch am liebsten. Aber das ist eine Sache des Temperaments, nicht der
Zulässigkeit oder der sprachlichen Konvention.
Fragen, Anregungen, Kommentare? Schreibe ich wirr? Bin ich des Wahnsinns fette
Beute? Auch Widerspruch wird gern gesehen!
Links und Literatur, die mir auf die Sprünge halfen:
Duden. Das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen
Sprache. Mannheim/Wien/Zürich: 1989.
Helbig/Buscha: Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Leipzig et
al.: 1998.
Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch. Stuttgart: 1986.
http://www.belleslettres.eu/artikel/optativ-potentialis-konjunktiv.php
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