Predigt zum Stephanustag, 26.Dezember 2012 Matthäus 2,1-18: Gott mit uns – trotz Flucht, Mord und Elend Kirche Oberkirch, Frauenfeld Lesung 1: aus Jer 31,2-17a Lesung 2: Joh 1,1-5 & 9-12 Pfr. Samuel Kienast-Bayer Bibeltext Mt 2,1-18 Liebe Gemeinde, Vielleicht haben Sie aus einem der anderen Weihnachts-Gottesdienste noch das Ende der Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium im Ohr. Da heisst es: Und die Hirten kehrten zurück und priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten...“ Wie anders endet die Geschichte bei Matthäus: Flucht, Mord und Elend! Ein Desaster! Das Christuskind auf der Flucht vor dem wutentbrannten und machtversessenen König Herodes, welcher aus Angst vor einem Widersacher alle kleinen Knaben in Bethlehem umbringen lässt. All die Trauer und Not, die er damit anrichtet scheinen ihm egal zu sein, wenn er nur seine Macht behält! Das Ende der Weihnachtsgeschichte bei Matthäus ist ein Zitat aus Jeremia 31, dem Text, den wir gemeinsam in der Lesung gelesen haben: Rahel weinte um ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn da sind keine mehr. Tränen, statt Weihnachtsfreude. Verzweiflung statt Gotteslob. Hass und Mord statt Engelchöre. Und ein Christus auf der Flucht. Kaum ist er da, ist er schon wieder weg: in Ägypten, hunderte Kilometer entfernt von seinem Volk, das dem machtgierigen und mordenden König Herodes ausgeliefert ist. Die Szene erinnert an aktuelle Ereignisse: „Wenn der Krieg das Fest der Freude zerstört“, titelte der Tagesanzeiger diese Woche einen Bericht über Weihnachten im kriegsgeschüttelten Syrien. Newtown in Amerika erlebte ein ähnliches Massaker wie Bethlehem zu Zeit Jesu. Vielleicht erinnerte sogar Weihnachten bei ihnen zuhause mehr an die Geschichte bei Matthäus als an die bei Lukas. Tränen und Unfriede am Fest, das für Liebe und harmonische Familienfeiern stehen soll. Aber das ist zum Glück nicht alles! Da sind auch die Sterndeuter, die weisen Menschen aus dem Osten, vielleicht aus Babylon. Keine Juden, Heiden sind sie. Auf der Suche nach dem neugeborenen König der Juden. Ihre Ankunft in Jerusalem erschüttert die Menschen der Stadt: Ein neuer König? Vielleicht der Christus, der Messias? Vermutungen werden geäussert, Erwartungen und Hoffnungen geschürt. Der immer argwöhnische König Herodes wird rasend vor Eifersucht und Angst. Aber er nimmt sich zusammen, gibt sich fromm und freundlich und forscht mit den Gelehrten nach Hinweisen in der Bibel. Mit einem Zitat über den Messias aus dem Buch Micha in der Tasche gehen die Sterndeuter weiter in Richtung Bethlehem. Trotz all der Aufregung in der Stadt scheint niemand sonst mitgegangen zu sein. Alle warten mal ab, was weiter passiert. So kommt es, dass nur die Fremden den Stern über dem Haus sehen; nur sie den kleinen Christus finden und besuchen; nur sie vor ihm niederfallen, ihm Geschenke übergeben und ihn anbeten. Und nun kommt auch im Matthäusevangelium Freude auf. Und wie! Im Vers 10 heisst es wörtlich übersetzt: „Und sie freuten sich mit überschwänglicher, grosser Freude“. „Megalän sfodra“ ist die Freude: Mega überwältigend! Matthäus scheint mit den Worten zu ringen um die unglaubliche Freude dieser Fremden zu beschreiben, als sie Seite 1 schliesslich vor dem Christuskind stehen. Unbeschreibliche Freude inmitten der Not und dem Leid der Zeit! Wie das?! Was war an diesem Baby so besonders dass seine Ankunft alles andere überstrahlt?! Den Dreck der Zeit, alle Not, die Grausamkeit und Machtgier des Königs, das Elend seiner eigenen Flucht?! Zwei Gedanken dazu: 1) Er heisst Immanuel – Gott mit uns Als der Engel kurz vor unserem Text dem Joseph erklärt, was mit seiner Verlobten los ist, sagt er ihm in einem Zitat aus dem Buch Jesaja: Man wird ihm den Namen Immanuel geben. Das heisst: Gott mit uns.“ (1,23) Die Weihnachtsgeschichte bei Matthäus macht uns deutlich, dass der Gott der Bibel nicht ein Gott ist, der aus der Ferne zuschaut, wenn wir leiden. So wie wir gerührt sind, wenn wir am Fernsehen einen Bericht über eine Katastrophe in einem fernen Land anschauen und uns dann abwenden und in unsere warmes Bett steigen. Nein, unser Leiden und unser Schmerz berührt Gott so sehr, dass selber mit uns hineinstieg, in die Tiefen unserer Not und sie am eigenen Leib erfahren hat. Schon als kleines Baby: Hass, Verfolgung, Flucht und später auch den eigenen Tod. Immanuel – Gott mit uns. Während dem 2.Weltkrieg weilte Dietrich Bonhoeffer für eine Weile im sicheren Amerika. Er hätte dableiben können. Aber er entschied sich anders. Er fühlte, dass er an die Seite seiner leidenden deutschen und jüdischen Brüder und Schwestern gehörte . Sie brauchten ihn mitten in ihrer Not – und wenn es ihn mein Leben kostet. So ging Dietrich Bonhoeffer zurück nach Deutschland und so kam er auch ums Leben. Und ebenso kam an Weihnachten in Christus auch Gott an unserer Seite. Weil sein Herz ihn zu uns zog. Weil er hierher gehört – an unsere Seite! Nicht in eine heile und schmerzlose Welt. In unsere Welt, in unsere Realität, in unseren Alltag. An die Seite der Mütter, die um ihre Kinder weinen. An die Seite der Menschen, die in Flucht und Armut leben. Zu dir und zu mir in die Herausforderungen unseres Alltags. Immanuel – Gott mit uns. Als ich in der Primarschule meine Arm brach, war meine Mutter nicht zuhause und in der Zeit vor dem Handy auch telefonisch nicht erreichbar. So begleitete mich die Mutter eines Freundes in den Spital. Das war in Ordnung. Aber wieviel tiefer war die Erleichterung und der Trost, als sie dann später davon hörte und sofort kam: Mein Arm war noch immer gebrochen – aber mit meiner Mutter in der Nähe, war es viel erträglicher. So steht auch Gott an unserer Seite, ganz besonders im Leid. Immanuel – Gott mit uns. Aber das ist nicht alles. Dass Gott im Leid bei uns ist, wäre wohl nicht Grund genug für die überschäumende Freude der weitgereisten Besucher, von der uns die Bibel berichtet. Der Stern, dem sie gefolgt sind steht für die Hoffnung, dass das Licht Gottes sich am Ende durchsetzen wird. Darum der zweite Gedanke: 2) Es ist nicht alles gut – aber es wird alles gut. Gottes Gegenwart auf der Erde, die Geburt von Jesus Christus, ist das untrügliche Zeichen dafür, dass er uns nicht aufgegeben hat. In Jeremia 31, dem Kapitel aus dem das Zitat mit den weinenden und untröstlichen Müttern stammt, und das wir gemeinsam gelesen haben, da sagt Gott: „Ich ging um Israel Ruhe zu schaffen. Mit unendlicher Liebe habe ich dich geliebt. Darum habe ich dich zu mir gezogen aus Güte.“ Und weiter: „Denn ich bin Israel zum Vater geworden ... Ich hüte es, wie ein Hirt seine Herde.“ Und schliesslich in Vers 17: „Denn es gibt Hoffnung auf Zukunft für dich.“ Seite 2 Ja, unsere Erde ist (noch) ein leidvoller Ort. Davor dürfen und wollen wir die Augen nicht verschliessen. Auch und gerade an Weihnachten nicht. Aber die Geburt Jesus ist auch die Verheissung, dass das Leid nicht das letzte Wort haben wird! Auch wenn das irdische Leben sogar den Sohn Gottes in die Flucht treibt und schliesslich sogar am Kreuz sterben lässt – das Ende ist dies nicht! Das Ende ist Ostern, ist die Auferstehung. Das Versprechen, dass unser Leben auf dieser Erde nicht alles ist und das Reich Gottes grad da beginnt, wo es zu scheitern scheint. Nur die heidnischen Sterndeuter standen neben Joseph und Maria an der Seite des neugeborenen Christus. Und wenn wir das Lukasevangelium noch dazu nehmen auch noch die Hirten. Alle anderen sahen nur was vor Augen war: Die Not, das Elend und eine kümmerliche Geburt. Es war damals nicht anders als heute... So wurden auch nur die Sterndeuter und die Hirten ergriffen von der überschäumende Freude der Ankunft Gottes auf der Erde. Noch erlebten nur sie den Trost von Gottes Gegenwart und die Hoffnung auf das Kommen seines Reiches. Aber gottlob blieben sie nicht die einzigen. Die Menschen in Syrien leiden in diesen Tagen. Auch die geschockten Familien in Newtown und unzählige Menschen mitten unter uns. Das Leid von Weihnachten scheint stärker als die Freude von Weihnachten. Möge Gott uns die Augen öffnen für das Wunder von Weihnachten: Immanuel – Gott mit uns, mitten im Alltag, mitten im Leid, mitten unter uns. Das Licht der Welt und die Hoffnung der Menschen im Leben und im Sterben. Amen Seite 3