Erziehung in islamischen Familien – Werteauffassungen im interkulturellen Vergleich PD Dr. Haci-Halil Uslucan Allgemeine Psychologie Universität Potsdam Kontakt: [email protected] Vortrag beim Paritätischem Bildungswerk am 28.11.2007 in Berlin 1 Werteerziehung in islamischen Familien 1. Theoretische Einführung in die Erziehungspsychologie 2. Studie: Erziehung in interkulturellen Kontexten 3. Werteerziehung und Religion: Familie als Ort der religiösen Wertevermittlung 4. Welche Implikationen sind bei einer islamischen Erziehung für die kindliche Entwicklung von Jungen und Mädchen zu erwarten? 2 Unsere Wahrnehmung des Fremden/der Fremden Bitte lesen Sie den folgenden Text zeilenweise von links nach rechts. Lesen Sie so schnell wie möglich und ohne Notizen zu machen. Gmeäss eienr Stduie von eienr elgnihscen Unveirtsiät mahct es nihcts aus, in weclher Rihenefgole die Bhcusbaten in eniem Wrot agnoerdent snid, das enizig wigitche ist, dass der estre und lztete Bhcusbate am rchitiegn Paltz snid. Der Rset knan ein vllöiegs Druhecniadenr sein, man knan es imemr ncoh perlolmobs leesn. Deis pasesirt, weil wir nchit jeedn Bchutsaben ezinlenn, sndoren das gnzae Wort lseen. Nciht sheclhct, oedr? 3 Erziehungsziele in den 1950er bis 1970er Jahren ab den 1980er Jahren • • • • • • • • • • • • • • Gehorsam Ehrlichkeit Ordnung Hilfsbereitschaft Reinlichkeit Verträglichkeit gute Manieren Fehlen von Opposition Selbständigkeit Selbstbewusstsein Selbstverantwortlichkeit Kritikfähigkeit Zuverlässigkeit Hilfsbereitschaft Quelle: Sturzbecher, D. & Waltz, C. (1998). Erziehungsziele und Erwartungen in der Kinderbetreuung. In D. Sturzbecher (Hrsg.), Kinderbetreuung in Deutschland (S. 86-104). Freiburg i.Br.: Lambertus. 4 Veränderte Rahmenbedingungen familiärer Erziehung (für Einheimische sowie für Migrantenfamilien) • Struktureller Wandel der Haushaltsformen • Veränderte Wert- und Erziehungsmuster • Prekäre Bedingungen der innerfamiliären Beziehungsgestaltung 5 Elterliche Erziehungsmuster (Typologie vom Maccoby & Martin, 1983; in Anlehnung an Baumrind, 1983) Emotionale Unterstützung/Wärme + + • Autoritativer _ • Nachgiebiger Erziehungsstil Erziehungsstil „Laisser-faire“ _ • Autoritärer Erziehungsstil • Ablehnendvernachlässigender Erziehungsstil 6 Konvergenz der Forschungsbefunde Erziehungskompetente Eltern haben kompetente Kinder! 7 Entwicklungsfolgen für Kinder Kinder ... zeigen Kognitive Kompetenz Selbstwirk- Prosoziales Problemsamkeit verhalten verhalten vernachlässigender Eltern niedrigste niedrigste niedrigstes höchstes nachgiebiger Eltern mittlere mittlere mittleres autoritärer Eltern mittlere mittlere mittleres zweithöchste autoritativer Eltern höchste höchste höchstes dritthöchste niedrigstes Quelle: Baumrind, D. (1989). Rearing competent children. In W. Damon (Ed.), Child development today and tommorrow (pp. 349-378). San Francisco: Jossey-Bass. 8 Eigene Studie • Elterlicher Erziehungsstil stellt einen bedeutsamen Prädiktor für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen dar. • Kultureller Kontext eine der wesentlichen Determinanten erzieherischer Erwartungen und Haltungen (Darling & Steinberg, 1993). • Hohe Anomieerfahrungen türkischer Migranten: Die deutsche Gesellschaft wird vielfach als ungeordnet, und das soziale Leben als diffus und undurchsichtig erlebt (Uslucan, 2005.) • Diese Verunsicherungen haben Auswirkungen auf die Erziehung und Sozialisation von Migrantenkinder und jugendliche. 9 Eigene Studie • Familien türkischer Herkunft in der Aufnahmegesellschaft vielfach einen stärker behütenden und kontrollierenden Erziehungsstil als deutsche Familien und auch Familien in der Türkei (Nauck, 1990). • Mit zunehmender Aufenthaltsdauer eine eher an Deutschen orientierte Autonomiebestrebung Jugendlicher • Konflikte gegenüber den Orientierungen der Familie. stärker kollektivistischen 10 Eigene Studie • Intensivere Akkulturation der Kinder • Wahrgenommene Entfernung von den Werten der Herkunftskultur • Spannungen im erzieherischen Kontext. • Verstärkte Disziplinierung der Kinder und der Erinnerung an eigenkulturelle Verhaltensweisen. 11 Fragestellungen • Welche Unterschiede lassen sich im konkreten Erziehungsverhalten türkischer und deutscher Eltern identifizieren? • Welche Unterschiede zeigen sich bei türkischen und deutschen Jugendlichen in der Erfahrung des elterlichen Erziehungsverhaltens? • Inwiefern gibt es eine Übereinstimmung zwischen elterlichen Erziehungsstilen und den Jugendlicher im ethnischen Vergleich? Perzeptionen • Welche erzieherischen Allianzen zwischen den Eltern lassen sich im ethnischen Vergleich identifizieren? 12 Stichprobenkennzeichnung • Rekrutierungskontext: Berliner Oberschulen in den Bezirken Neukölln, Kreuzberg, Charlottenburg und Steglitz-Zehlendorf Deutsche Türken 214 304 13 Stichprobenkennzeichnung: Schüler Deutsche Türken Altersdurchschnitt 13.6 (SD .67) 13.94 (SD .63) Geschlechtsspezifische Zusammensetzung 53 % männl. 47 % weibl. 45 % männl. 55 % weibl. Hauptschule 17.8 % 23.8 % Realschule 10.8 % 41.6 % Gesamtschule 22.4 % 3.7 % Gymnasium 49.0 % 30.8 % Bildungshintergrund 14 Stichprobenkennzeichnung: Eltern Deutsche Türken Gesamt 412 239 Zusammensetzung der Eltern 225 Mütter (M) 187 Väter (V). 131 Mütter (M) 108 Väter (V). Altersdurchschnitt der Eltern 43.18 (SD 5.35) M 46.0 (SD 6.94) V 38.23 (SD 4.88) M 41.86 (SD 5.90) V Durchschnittliche Kinderzahl 2.21 (SD 1.04) 3.26 (SD 1.22) 15 Stichprobenkennzeichnung: Bildungshintergrund der Eltern Angaben in Prozente 60 Deutsche Mütter Deutsche Väter 50 Türk. Mütter Türk. Väter 40 30 20 10 bi tu r A ei fe R itt l. M ru nd sc hu le H au pt sc hu le G ke in A bs ch lu ß 0 16 Aufenthaltsdauer türkischer Eltern in Deutschland (Angaben in Jahren bis zum Zeitpunkt der Befragung im Sommer 2003) Mütter Väter N 129 103 Minimum 4 7 Maximum 39 38 Mittelwert 21.48 24.93 Standardabweichung 6.91 6.17 17 Ergebnisse Mittelwerte (M), Standardabweichungen (SD), Signifikanzen (p) und Effektstärken (d) im ethnischen Vergleich: Elternsicht Variablen Türken Deutsche (N = 129) (N = 226) M SD M SD p d Aggressive Strenge (M) 1.74 .61 1.58 .44 .00 .30 Unterstützung (M) 4.17 .67 4.25 .44 .19 -.14 Verhaltensdisziplin (M) 3.71 .77 2.68 .62 .00 1.48 Inkonsistenz (M) 2.04 .62 1.75 .49 .00 .52 Aggressive Strenge (V) 1.75 .63 1.57 .50 .01 .32 Unterstützung (V) 3.90 .66 4.01 .53 .13 -.17 Verhaltensdisziplin (V) 3.59 .75 2.69 .64 .00 1.51 Inkonsistenz (V) 2.06 .63 1.83 .58 .00 .38 18 Ergebnisse Mittelwerte (M), Standardabweichungen (SD), Signifikanzen (p) und Effektstärken (d) im ethnischen Vergleich: Jugendlichensicht Variablen Türken Deutsche (N = 207) (N = 298) M SD M SD p d Aggressive Strenge (M) 1.76 .62 1.63 .61 .02 .21 Unterstützung (M) 3.77 .80 3.68 .79 .23 .11 Verhaltensdisziplin (M) 3.52 .76 2.72 .73 .00 1.07 Inkonsistenz (M) 1.89 .64 1.80 .62 .12 .14 Aggressive Strenge (V) 1.69 .60 1.59 .66 .10 .16 Unterstützung (V) 3.47 .84 3.39 .93 .32 .09 Verhaltensdisziplin (V) 3.39 .87 2.52 .82 .00 1.58 Inkonsistenz (V) 1.82 .63 1.66 .65 .01 .25 19 Elterliche Erziehungsstile in Abhängigkeit des Bildungshintergrundes (Hauptschule als höchster Bildungsabschluß) Mittelwerte und Standardabweichungen Türkische Eltern Deutsche Eltern Variablen N M SD N M SD F p Aggressive Strenge (M) 33 1.67 .54 46 1.86 .54 2.44 .12 Unterstützung (M) 35 4.22 .70 47 4.11 .47 .82 .36 Verhaltensdisziplin (M) 36 3.51 .83 46 3.00 .52 11.74 .00 Inkonsistenz (M) 32 1.94 .48 44 2.03 .55 .60 .43 Aggressive Strenge (V) 32 1.77 .73 36 1.80 .69 .32 .86 Unterstützung (V) 30 3.97 .63 38 3.95 .60 .00 .92 Verhaltensdisziplin (V) 36 3.83 .68 38 3.09 .66 22.0 .00 Inkonsistenz (V) 34 2.11 .61 37 2.08 .74 .02 .88 20 Geschlechtsspezifische Ausrichtung elterlicher Erziehungsstile (Türkische Eltern) Mittelwerte und Standardabweichungen Mädchen Variablen Jungen M SD M SD F p Aggressive Strenge (M) 1.67 .60 1.87 .60 3.45 .06 Unterstützung (M) 4.29 .57 3.97 .79 7.21 .00 Verhaltensdisziplin (M) 3.68 .75 3.76 .79 .37 .54 Inkonsistenz (M) 2.04 .61 2.06 .64 .01 .91 Aggressive Strenge (V) 1.63 .60 1.93 .64 6.11 .01 Unterstützung (V) 4.07 .64 3.65 .63 11.22 .00 Verhaltensdisziplin (V) 3.71 .66 3.43 .85 3.98 .04 Inkonsistenz (V) 2.05 .63 2.06 .65 .01 .90 21 Geschlechtsspezifische Ausrichtung elterlicher Erziehungsstile (Deutsche Eltern) Mittelwerte und Standardabweichungen Mädchen Variablen Jungen M SD M SD F p Aggressive Strenge (M) 1.54 .45 1.61 .43 1.38 .24 Unterstützung (M) 4.30 .40 4.20 .47 2.61 .10 Verhaltensdisziplin (M) 2.52 .61 2.79 .59 11.20 .00 Inkonsistenz (M) 1.73 .53 1.77 .47 .42 .51 Aggressive Strenge (V) 1.48 .41 1.66 .57 5.85 .01 Unterstützung (V) 4.04 .48 3.97 .56 .89 .34 Verhaltensdisziplin (V) 2.62 .64 2.73 .62 1.39 .23 Inkonsistenz (V) 1.80 .57 1.85 .60 .33 .56 22 Geschlechtsspezifische Wahrnehmung der elterlichen Erziehungsstile (Türkische Jugendliche) Mittelwerte und Standardabweichungen Mädchen Variablen Jungen M SD M SD F p Aggressive Strenge (M) 1.77 .63 1.74 .60 .15 .69 Unterstützung (M) 3.86 .79 3.65 .81 3.50 .06 Verhaltensdisziplin (M) 3.41 .75 3.65 .77 5.00 .02 Inkonsistenz (M) 1.90 .66 1.87 .60 .11 .73 Aggressive Strenge (V) 1.63 .62 1.75 .58 1.94 .16 Unterstützung (V) 3.47 .89 3.48 .78 .00 .93 Verhaltensdisziplin (V) 3.22 .89 3.60 .81 9.49 .00 Inkonsistenz (V) 1.76 .62 1.89 .63 2.06 .15 23 Geschlechtsspezifische Wahrnehmung der elterlichen Erziehungsstile (Deutsche Jugendliche) Mittelwerte und Standardabweichungen Mädchen Variablen Jungen M SD M SD F p Aggressive Strenge (M) 1.59 .60 1.67 .62 1.20 .27 Unterstützung (M) 3.77 .84 3.60 .73 3.57 .06 Verhaltensdisziplin (M) 2.57 .70 2.83 .72 9.23 .00 Inkonsistenz (M) 1.77 .63 1.83 .61 .48 .48 Aggressive Strenge (V) 1.53 .67 1.63 .66 1.36 .24 Unterstützung (V) 3.40 .96 3.37 .90 .05 .81 Verhaltensdisziplin (V) 2.41 .81 2.59 .80 3.29 .07 Inkonsistenz (V) 1.62 .62 1.69 .67 .65 .41 24 Werteerziehung in islamischen Familien 3. Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: religiöse Sozialisation in den islamischen Ländern: vom Kontext unterstützt und zum Teil unreflektiert als eine Alltagsgewissheit übernommen Koedukation durch das soziale Umfeld In der Migrationssituation fehlt der bestätigende und unterstützende Kontext: gezielte islamische Erziehung erforderlich Schiffauer (1991): „Islamisierung des Selbst“, Reflexivierung des Islam 25 Werteerziehung in islamischen Familien 3. Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: In der Migration: eigene religiöse Gemeinde nicht vorgegeben, sondern kann gewählt werden. Stärker individuelle Beschäftigung mit der Religion: Suche nach „religiöser Wahrheit“ im Vordergrund; in Folge wird die Zugehörigkeit zum Islam eher spiritualisiert, die Bildung von religiösen „Intensivgruppen“ eher gefördert; Gründe der Religiosität in der Migrationssituation andere bzw. zeigen ein deutlich stärker bewusstes Moment (als in den Herkunftsorten), da sie eine scharfe Differenz zur sozialen Mitwelt markieren. 26 Tabelle : Religiosität der Befragten (Angaben in Prozente) Bezeichnen Sie sich als religiös? Gehen Sie regelmäßig in die Moschee (Kirche)? Ja Nein Deutsche Türkischstämmige Türken in der Türkei Migranten in Deutschland 38.9 83.4 91.1 60.7 16.1 8.0 Ja 5.1 33.7 34.6 Nein 80.3 60.5 59.6 Werteausprägung 7,00 Deutsche 6,00 Türkische Migranten Türken 5,00 4,00 3,00 2,00 1,00 0,00 Höflichkeit Achtung v. Tradition Nationale Sicherheit Autorität Familiäre Sicherheit Werteausprägung 7,00 Deutsche 6,00 Türkische Migranten 5,00 Türken 4,00 3,00 2,00 1,00 0,00 Freiheit Anregendes Leben Reichtum Spiritualität Freundschaft Tabelle: Herkunftsspezifische Ausprägung Standardabweichungen (in Klammern) Höflichkeit Achtung vor Tradition Nationale Sicherheit Autorität Familiäre Sicherheit Freiheit Anregendes Leben Reichtum Spiritualität Freundschaft der Wertvorstellungen: Mittelwerte und Deutsche Türkische Migranten Türken M M (SD) M (SD) 5.45 (1.48) 4.65 (2.10)) 5.23 (2.21) 1.65 (2.30) 6.39 (1.11) 5.95 (1.37) 3.43 (2.33) 3.48 (2.09) 4.19 (2.45) 5.97 (1.24) 5.17 (1.55) 4.50 (2.13) 5.64 (1.77) 2.26 (2.37) 6.24 (1.25) 5.89 (1.40) 4.20 (2.09) 4.01 (1.90) 4.45 (2.30) 6.16 (1.11) (SD) 4.80 (1.40) 2.76 (1.66) 4.26 (1.96) 1.73 (1.78) 6.32 (1.04) 5.79 (1.30) 5.28 (1.31) 3.00 (1.53)) 1.36 (2.17) 5.87 (1.41) Tabelle: Wertehierarchien (Rangreihen) im Kulturvergleich Deutsche Türkische Migranten Türken 1. Familiäre Sicherheit 2. Freundschaft 3. Freiheit 4. Anregendes Leben 5. Höflichkeit 6. Nationale Sicherheit 7. Reichtum 8. Achtung vor Traditionen 9. Autorität 10. Spiritualität 1. Familiäre Sicherheit 2. Freundschaft 3. Freiheit 4. Höflichkeit 5. Nationale Sicherheit 6. Achtung vor Traditionen 7. Spiritualität 8. Reichtum 9. Anregendes Leben 10. Autorität 1. Familiäre Sicherheit 2. Freiheit 3. Freundschaft 4. Nationale Sicherheit 5. Höflichkeit 6. Achtung vor Traditionen 7. Spiritualität 8. Anregendes Leben 9. Reichtum 10. Autorität Reihenfolge Keine signifikanten Unterschiede bei familialer Sicherheit und Freiheit; alle anderen Werte signifikant unterschiedlich Werteerziehung in islamischen Familien Werteauffassungen: Differenziert nach der selbstberichteten Religiosität (Mittelwerte): Non-Relig: nicht religiös; Relig: religiös Kulturelle Zugehörigkeit Stichprobengröße: Deutsche Türkische Migranten Türken Non-Relig. Relig. NonRelig. Relig. NonRelig. Relig. n= 141 n= 88 n= 33 n= 168 n= 26 N= 295 Mittelwerte Werteauffassungen Familiäre Sicherheit 6.25 6.42 5.88 6.49 4.77 6.39 Freundschaft 5.88 5.83 5.58 6.05 5.62 6.21 Freiheit 5.83 5.72 6.18 5.90 5.54 5.93 Anregendes Leben 5.36 5.14 3.82 3.34 4.50 4.15 Höflichkeit 4.83 4.74 4.94 5.55 4.23 5.28 Nationale Sicherheit 4.35 4.09 3.00 5.68 3.28 5.87 Reichtum 3.03 2.93 2.91 3.58 3.69 4.05 Achtung vor Tradition 2.56 3.11 3.24 5.74 1.73 4.76 Autorität 1.72 1.75 0.76 1.81 1.77 2.31 Spiritualität 0.93 2.00 1.88 4.65 1.04 4.79 32 Werteerziehung in islamischen Familien Rangreihe der Erziehungsziele türkischer Eltern (Scherberger, 1999) Rangplatz Erziehungsziel I II III IV V Selbstständigkeit/Verantwor tung 12 5 7 14 12 Lernen/Leistungsstreben 9 8 14 11 8 Gehorsam/Ordnung 8 11 17 3 11 Rücksichtnahme/Ehrfurcht 11 10 11 12 6 Religiöse Pflichterfüllung 10 16 1 10 13 Insgesamt (n = 50) 50 50 50 50 50 33 Werteerziehung in islamischen Familien Rangreihe der Erziehungsziele deutscher Eltern (Scherberger, 1999) Erziehungsziel Rangplatz I II III IV V Selbstständigkeit/Verantwortung 25 14 4 6 1 Lernen/Leistungsstreben 16 21 8 3 2 Gehorsam/Ordnung - 7 10 25 8 Rücksichtnahme/Ehrfurcht 9 8 21 7 5 Erziehung Glauben - - 7 9 34 50 50 50 50 50 zum Insgesamt (n = 50) christlichen 34 Werteerziehung in islamischen Familien 3. Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: Familienpolitisch: muslimische und christliche (christdemokratische) Positionen in ihrem Familienbild nicht weit voneinander entfernt: Muslime unterstützen eine Politik, die die Stärkung eines (konservativen) Familienbildes zum Ziel hat (Vgl. Rüschoff, 2002). Wechselseitige Pflichten in der Familie: Pflichten der Ehefrau: Schaffung eines harmonische Haushaltes, Haushaltsführung, Früherziehung und Wohlbefinden der Kinder; Pflicht des Mannes: Bestreiten des Lebensunterhaltes 35 Werteerziehung in islamischen Familien 3. Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: Im Selbstverständnis der Muslime: Favorisiertes Modell nicht „Familie und Beruf“, sondern „Familie statt Beruf“ aus Sicht der Frauen. 36 Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Und nun Schluss, sonst... Kontakt: [email protected] Werteerziehung in islamischen Familien 3. Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: Bildungshintergrund der Eltern nicht ausreichend: religiöse Erziehung von Koranschulen übernommen Weitere Funktion von Koranschulen: kostengünstiges Betreuungsangebot; Neben dem Wunsch nach religiöser Erziehung ist das Motiv der Eltern, ihre Kinder und Jugendliche durch einen Besuch der Koranschule von „schädlichen Einflüssen der Straße“ fern zu halten (Vgl. Alacacioglu, 1998). Untersuchung von Tosun (1993) in NRW: nur 27,3 % der Befragten türkischen Eltern sah sich in der Lage, ihr Kind auch selber islamisch zu unterweisen; rund 70 % sprach für sich selbst diese Qualifikation ab. 38 Werteerziehung in islamischen Familien 3. Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: Pädagogisch bedenklich: autoritärer Unterrichtsstil und die Fixierung auf Disziplin in diesen Einrichtungen (Vgl. Aslan, 1996), keine „Pädagogik vom Kinde“ aus; Personal verfügt kaum über pädagogische und didaktische Fähigkeiten (Vgl. auch Marschke, 2003). 39 Werteerziehung in islamischen Familien 3. Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: Funktion von Moscheen: eigene Identität unter seinesgleichen bewahren und bestärkten; praktizierte Religiosität auch ein Schutz vor einer Identitätskrise In der Untersuchung von Heitmeyer, Müller und Schröder (1997) berichteten bspw. zwischen 34 % und 39 % der befragten Jugendlichen von Diskriminierungserfahrungen in Deutschland; rund zwei Drittel der Befragten bekundeten, der Islam bzw. die Zugehörigkeit zum muslimischen Religionskreis stärke ihr Selbstvertrauen. 40 Werteerziehung in islamischen Familien 3. Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: Ähnlich hohe Raten (55-61%) auch in der Studie von BoosNünning und Karakasoglu (2005): Muslimische Migrantinnen: ihre Religion helfe ihnen, am Leben nicht zu verzweifeln bzw. ihr Selbstvertrauen zu stärken. Studien zur Konversionserfahrungen zeigen: eine neue Religiosität vielfach als eine Copingstrategie, als ein Umgang mit einer Identitätskrise oder ihre Überwindung (Bucher, 2005). 41 Werteerziehung in islamischen Familien 3. Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: Gerade in der Diaspora: Überhöhung des Islams bzw. der Religiosität migrationsbedingter erlittener Kränkungen angesichts stärker identitätsrelevant als in der Herkunftskultur; Religiosität wird bewusster erlebt. Religion: bedeutsame Ordnungsfunktion. Orientierung am Islam hilft mit Blick auf den Erziehungskontext, die in der Moderne – auch für deutsche Eltern - immer schwerer gewordene Frage nach angemessenen Erziehungsinhalten zu vermeiden bzw. zu umgehen oder sie individuell beantworten zu müssen. Klare Regeln und Orientierung: Reduktion von Komplexität 42 Werteerziehung in islamischen Familien 3. Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: • • Antiintegrative Folgen dann: strukturelle Barrieren und eine geringe Akzeptanz von muslimische Migranten seitens der Mehrheitsbevölkerung, andererseits: Moscheen bzw. muslimische Vereine und Verbände - als Reaktion darauf oder auch proaktiv-,islamzentrierte Überlegenheitsgefühle produzieren, Differenzen verstärken oder bewusst zur Kontaktmeidung mit „Heiden“ oder Christen aufrufen und eine Selbstgenügsamkeit der Muslime suggerieren. Überzeugung, dass die eigene Gruppe im Besitz der unverrückbaren Wahrheit ist, also ein exklusiver Heilsanspruch vertreten wird, gestaltet die Ausgangssituation für einen Dialog denkbar ungünstig. 43 Werteerziehung in islamischen Familien 3. Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: Frage nach der Wirkung religiöser Sozialisation: Angstbesetzte religiöse Sozialisation (Gott als strafende Instanz): bei sensiblen Personen auch zu einem Bruch mit der Religion (Oser, Di Loreto, & Reich, 1996), also keine Festigung der religiösen Identität, sondern eher kontraproduktive Effekte Recht einheitlich: Belege gegen ein autoritär-strenges Erzieherverhalten: überwiegend an Strafe orientiertes Erzieherverhalten führt nicht zur Bildung von disziplinierten Persönlichkeiten, sondern kann Kinder und Jugendliche zur Disziplinlosigkeit, Widerstand, Aggression und Gewalt sowie zu passiver Unterwerfung führen (Vgl. Hurrelmann, 1994). 44 Werteerziehung in islamischen Familien 3. Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: Frage nach der Wirkung religiöser Sozialisation: Dagegen: Vermittlung eines Gottesbildes, bei dem Gott als eine schützende, bergende und bedingungslos liebende Macht wahrgenommen wird, selbstwertstabilisierend für Kinder sein (Grom, 1982). 45 Werteerziehung in islamischen Familien 3. Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: Mensch eingefasst in eine umfassende Gehorsamsstruktur der Natur gegenüber Gott; wie alle Geschöpfe hat er auch im islamischen Selbstverständnis seinem Schöpfer dankbar und gehorsam zu sein.[1] Gehorsam eine ethische Dimension, die vielen Kulturkreisen gemeinsam ist und ein essenzielles Erziehungsziel darstellt (Vgl. Uslucan & Fuhrer, 2003). [1] Auch in der bayerischen Verfassung ist die „Ehrfurcht vor Gott“ als ein oberstes Bildungsziel formuliert (Art. 131). 46 Werteerziehung in islamischen Familien 3. Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: Inhalte islamischer Erziehung unterliegen großen Schwankungen: einfache Frömmigkeit: Ziel: Nachkommen in die elementaren Inhalte islamischen Lebens unterweisen (z.B. die fünf Säulen des Islam) und Rituale wie Gebetsuren, Waschungen lehren, aber auch die Unterscheidungen zwischen dem, was „rein“ und „unrein“ ist, zu kennen. 47 Werteerziehung in islamischen Familien 3. Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: Inhalte islamischer Erziehung unterliegen großen Schwankungen: Das andere Extrem: fundamentalistische Positionen, die in den koranischen Inhalten sämtliches Wissen vorgeformt und kryptisch vorformuliert betrachten und sich ganz offen gegen eine (natur)wissenschaftliche kognitive Bildung stellen. 48 Werteerziehung in islamischen Familien 3. Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: Inhalte islamischer Erziehung unterliegen großen Schwankungen: Das andere Extrem: Sollte sich das Kind aus einer affektiven Bindung zur religiösen Lehrperson und Identifikation mit ihr – die in frühen Jahren häufig gegeben ist - gerade diese Positionen zu eigen machen, sind aus psychologischer Sicht neben Motivationsverlusten von Kindern gegenüber schulischem, weltlichem Lernen auch mit ernsthaften Persönlichkeitsdeformationen und kognitiven Rückständen zu rechnen. 49 Werteerziehung in islamischen Familien 3. Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: Orientierung ausschließlich an der koranischen Offenbarung: in erster Linie an der Tradition fixiert; keine Anweisung für die Lösung moderner Alltagsprobleme, überlässt den Einzelnen hilflos der Gegenwart, die er dann nicht bewältigen kann. rigide Fixierung auf klare erzieherische Leitsätze, die aus dem Koran abgeleitet werden: Ausdruck massiver Verunsicherung muslimischer Eltern; Ziel: Klarheit und Orientierung, jedoch vielfach nicht zeitgemäß (bspw. Orientierung an Gehorsam). 50 Werteerziehung in islamischen Familien 4. Implikationen einer islamischen Erziehung für die kindliche Entwicklung von Jungen und Mädchen Gehorsam, elterliche Kontrolle und (Selbst)disziplinierung im islamischen Sinne zentrale Elemente in der islamischen Werteerziehung: Erziehung eigener Kinder bei muslimischen Eltern vielfach angelehnt an ein Muster der eigenen Sozialisation. Starke Inkonsistenzen im kindlichen Leben: Besonders Schulkinder müssen enorme Syntheseleistungen vollbringen und eine äußerst flexible Persönlichkeit ausbilden, wenn sie in ihrem Alltag beständig mit Ideen, Regelsystemen und Weltdeutungen konfrontiert sind, die konträr zueinander sind, um weiterhin handlungsfähig zu bleiben. 51 Werteerziehung in islamischen Familien 4. Implikationen einer islamischen Erziehung für die kindliche Entwicklung von Jungen und Mädchen Kritikfähigkeit und Eigenständigkeit relevante Werte, die sowohl mit Blick auf schulische Leistungen als auch Berufserfolg gegenwärtig zentrale Merkmale Herrscht in der Familie keine Diskussions- und Streitkultur, wird der Gehorsam darüber hinaus religiös legitimiert und dadurch die Kritik an Autoritäten zu einem Denktabu erklärt: Mangelnde Konfliktfähigkeit, die durch eine strikte Gehorsamsforderung herbeigeführt wird, kann im Alltagsleben zu permanenten sozialem Stress mit anderen führen bzw. die Person in eine Außenseiterposition drängen. 52 Werteerziehung in islamischen Familien 4. Implikationen einer islamischen Erziehung für die kindliche Entwicklung von Jungen und Mädchen Steht das religiös Gelernte inhaltlich nie zur Diskussion und darf nicht kritisiert werden: Entwicklung selbstständiger und selbstgesteuerter Lerntechniken wird gehemmt; Selbstgesteuertes und erworbene Inhalte durch eine semantische Durchdringung in eigene Schemata übersetzendes Lernen bildet eines der zentralen Schlüsselkompetenzen erfolgreicher Bildungsgeschichten 53 Werteerziehung in islamischen Familien 4. Implikationen einer islamischen Erziehung für die kindliche Entwicklung von Jungen und Mädchen unzweifelhaft entwicklungsschädigend: stark autokratischer bzw. autoritärer Erziehungsstil. Gewalt in der Erziehung: Entwicklung einer differenzierten Persönlichkeit, kognitive Komplexität, Mündigkeit und Toleranz des Kindes wird kaum gefördert. Gewaltförmige Erziehung: Aggressivität, Wut, Starrsinn, Rache aber auch zu Depressionen bei Kindern; Gewalt hat sowohl emotionale (selbstwertbeeinträchtigende) als auch kognitive defizitäre Auswirkungen (geschlagene Kinder sind bspw. tendenziell schwächer in ihren Schulleistungen). 54