Akutgeriatrie / Remobilisation am Krankenhaus St. Franziskus Grieskirchen: Erfahrungen aus der Praxis Prim. Dr. Andreas Kirchgatterer Abteilung für Innere Medizin 1 Department für Akutgeriatrie und Remobilisation Krankenhaus St. Franziskus Grieskirchen Franziskanisches Frühjahrssymposium 2007 Akutgeriatrie / Remobilisation am Krankenhaus St. Franziskus Grieskirchen: Erfahrungen aus der Praxis • Einleitung • Geriatrie in Oberösterreich • Interne KH St. Franziskus Grieskirchen • Aufnahme auf AGR • Betreuung auf AGR Durchschnittliche Lebenserwartung: gestern und heute • Vor tausend Jahren ca. 30 Jahre • Entwicklung in Ö – 1871 – 1900 – 1961 – 2005 – Jetzt 70 J. ♀ ♂ 36,2 J. 43,4 72,8 82,2 32,7 J. 40,6 66,5 76,6 noch 13,4 J. 11,1 J. Quelle: Statistik Austria Zunahme der Hochbetagten in Ö • Österreicher > 95 Jahre – 1952: 416 – 1994: 4422 – 2005: 9326 Quelle: Statistik Austria Bevölkerungspyramide in Oberösterreich Quelle: Diözese Linz Ausgangslage im KH • In vorhandenen Strukturen (Akutabteilungen): – geriatrische PatientInnen nicht adäquat versorgt – auf Behandlung singulärer Leiden ausgerichtet – rehabilitative Maßnahmen nicht im Vordergrund – Verkürzung der Aufenthaltsdauer entspricht nicht den Bedürfnissen geriatrischer PatientInnen ! Besonderheiten des geriatrischen Patienten (I) • Multimorbidität • erhöhte Vulnerabilität • Defizite in mehreren Funktionsbereichen: Organebene, persönliche und/oder soziale Ebene • somatisch, kognitiv und affektiv erhöhte Instabilität mit verringerter Anpassungsfähigkeit und reduzierten Kompensationsmöglichkeiten Besonderheiten des geriatrischen Patienten (II) • drohender Verlust der Selbständigkeit • größere Gefahr der Bettlägrigkeit • höherer Pflegebedarf • verlängerte Rekonvaleszenzzeiten • erhöhter Rehabilitationsbedarf • oft unzureichende soziale Netzwerke • ….. Pflegebedarf in Abhängigkeit vom Alter 60 50 40 30 20 10 0 65-69 J. 70-74 J. 75-79 J. 80-84 J. 85-89 J. >90 J. Konzept Akutgeriatrie/Remobilisation (I) Zur Vermeidung dieser Risken: – ÖKAP 1998: bedarfsgerechte Versorgungsstrukturen für alte Menschen im stationären Akutbereich – neuer Leistungsbereich Akutgeriatrie/Remobilisation (AG/R) entwickelt – den Bedürfnissen älterer Menschen angepasste Behandlung und Betreuung im Krankenhaus Konzept Akutgeriatrie/Remobilisation (II) • Primär- und Sekundärversorgung • geriatrisch qualifiziertes, interdisziplin. Team • multidimensionales Behandlungsangebot • Berücksichtigung von medizinischen, funktionellen, psychischen, kognitiven und sozialen Aspekten der Erkrankung Grundvoraussetzungen für die Anerkennung als Akutgeriatrie/Remobilisation (AG/R) • AG/R: Abteilung oder Department im Rahmen der Fächer Innere Medizin oder Neurologie • durch Umwidmung von Akutbetten dieser oder anderer Fachrichtungen • Leitung einer AG/R durch FA für Innere Medizin oder Neurologie (mit Diplom der ÖÄK) Strukturqualitätskriterien: Personal • DGKP / Patient 1 : 1,5 • Arzt / Pat. 1:9 • Therapeut / Pat. 1 : 8,4 • Klin. Psychologie / Pat. 1 : 100 • Sozialarbeit (ÜLP) / Pat. 1 : 50 Akutgeriatrie / Remobilisation am Krankenhaus St. Franziskus Grieskirchen: Erfahrungen aus der Praxis • Einleitung • Geriatrie in Oberösterreich • Interne KH St. Franziskus Grieskirchen • Aufnahme auf AGR • Betreuung auf AGR Geriatrie in Oberösterreich (I) • AKH Linz • Barmh. Brüder Linz • Barmh. Schwestern Linz • WJ-KH Linz (Gerontopsychiatrie) • Barmh. Schwestern Ried • KH Buchberg • Kreuzschwestern Sierning • KH Grieskirchen Geriatrie in Oberösterreich (II) • Plattform „Akutgeriatrien Oberösterreich“ – alle Abt.Leiter u. Stellvertreter • Treffen ca. alle 3-4 Monate • Erfahrungsaustausch • Fortbildungen Geriatrie in Oberösterreich (III) • Geplante Standorte – LKH Schärding 2008/2009 – LKH Rohrbach 2008/2009 – KH Braunau 2008/2009 • Plattform: klare Abgrenzung zu RNS – Andere Struktur – Deutlich schlechterer Personalschlüssel – Qualität ? Fehlentwicklung ? Akutgeriatrie / Remobilisation am Krankenhaus St. Franziskus Grieskirchen: Erfahrungen aus der Praxis • Einleitung • Geriatrie in Oberösterreich • Interne KH St. Franziskus Grieskirchen • Aufnahme auf AGR • Betreuung auf AGR Interne „Neu“ im KH Grieskirchen • Seit September 2006: 124 Betten, 2 Abt. – Innere Medizin 1 (74 Betten): • Akutgeriatrie / Remobilisation • Innere Medizin, Gastroenterologie • Prim. Dr. Andreas Kirchgatterer – Innere Medizin 2 (50 Betten): • Psychosomatik • Innere Medizin, Kardiologie • Prim. Dr. Walter Neubauer • Langfristig weiterer Ausbau geplant (150 B.) Altersmedizin im KH St. Franziskus: der Patient als Mensch im Mittelpunkt Akutgeriatrie und Remobilisation (= AG / R) • 1. Station: Frühjahr 2004 (24 Betten, G 4) • 2. Station: September 2006 (20 Betten, B 1) Akutgeriatrie / Remobilisation am Krankenhaus St. Franziskus Grieskirchen: Erfahrungen aus der Praxis • Einleitung • Geriatrie in Oberösterreich • Interne KH St. Franziskus Grieskirchen • Aufnahme auf AGR • Betreuung auf AGR Altersmedizin im KH St. Franziskus: der Patient als Mensch im Mittelpunkt • Kriterien für Betreuung auf AG / R: – mehrere Erkrankungen, Alter > 65 Jahren – nach orthopäd. OP (Knie, Hüfte, WS, …) – nach Unfällen (Schenkelhalsfraktur, …) – nach Schlaganfällen – drohender Verlust der Selbständigkeit und Mobilität nach Herzinfarkt, Lungenentzündung … Ausschlusskriterien: folgende Patienten sind nicht für AG / R geeignet • Wenn Kriterien für Aufnahme fehlen • Fortgeschrittene Demenz • Terminale Erkrankung • Intensivpflichtige Erkrankung • Respiratortherapie • Apallisches Syndrom • Wartezeit auf Pflegeplatz Patientenaufnahme auf AG / R • Schriftliche Anmeldung erwünscht (Fax) • Zuweisungsformular unter www.khgr.at – Aktuelle Diagnose – Begleiterkrankungen – Bisherige Lebenssituation – Versorgung nach AG / R-Aufenthalt – Transferierung möglich ab – Aktueller Pflegebedarf – Aktuelle Mobilität Patientenaufnahme auf AG / R • Patienten kamen im 1. Hj. 2006 von: – 48 % eigenes KH (Unfall, Interne, Chirurgie) – 40 % auswärtiges KH (Klinikum Wels, KH Ried) – 12 % von zu Hause (Hausarzt, nach KH) • Bis Aug. 2006 Wartezeit: 1 – 2 Wochen • Ab Sept. 2006 zweite Station - Wunschziele: – mehr Kapazität – kürzere Wartezeit – häufiger Direktzuweisung durch HA Patientenaufnahme auf AG / R Herkunft d. Pat. im 1. Halbjahr 2006 (n = 239) 90 80 77 67 70 60 50 35 40 28 30 28 20 10 3 1 0 KH Grieskirchen Unfall Klinikum Wels KH Grieskirchen Interne KH Ried von zu Hause KH Grieskirchen Chirurgie KH Schärding Patientenaufnahme auf AG / R Herkunft d. Pat. im Jahr 2006 (n = 553) 190 200 180 165 160 140 120 100 71 80 56 60 38 40 18 20 1 0 KH Grieskirchen Unfall Klinikum Wels KH Grieskirchen Interne KH Ried von zu Hause KH Grieskirchen Chirurgie KH Grieskirchen Gynäkologie AG / R - Aufnahme im KH Grieskirchen: Gegenwart und Zukunft • Seit Sept. 2006 insges. 44 Betten • Realität seit Feb. 2007: – Stark steigende Nachfrage – Mittlerweile auch Anmeldungen aus Linz (UKH) – Wartezeit meist 10 - 14 Tage – Direktaufnahme derzeit nicht möglich – Ablehnung mancher Pat. notwendig • Zukunft – Tagesklinik: ca. 10 – 16 Betten – Dritte Station notwendig (Demographie; VR 42) Ablauf der Aufnahme auf AG / R • Anamnese • Status • Labor • EKG • Geriatrisches Assessment – 2. Tag – Tests erfassen ADL, Motorik, Kognition, … Geriatrisches Assessment • Barthel Index • Tinetti Test • Timed Get-up and Go-Test • Uhren Test • Mini Mental State Examination (MMSE) • Erhebung zur Ernährungssituation Barthel Index: Selbsthilfefähigkeit Mahoney , Barthel: Maryland State Med J 1965 • Essen • Harnkontrolle • Baden / Duschen • WC-Benützung • Persönl. Toilette • Transfer • Ankleiden • Mobilität • Stuhlkontrolle • Treppensteigen Beurteilung mit 0 / 5 / 10 / 15 Punkten Gesamtpunkte: max. 100 (Instrument zur Verlaufskontrolle) 70 – 100 Punkte: unter 70 Punkte: selbständig ADL Funktionsstörung mit Pflegebedarf Barthel-Index (1-5) 1. Essen und Trinken ("mit Unterstützung", wenn Speisen vor dem Essen zurechtgeschnitten werden) nicht möglich 0 mit Unterstützung 5 selbstständig 10 2. Umsteigen aus dem Rollstuhl ins Bett nicht möglich 0 und umgekehrt(einschließlich Aufsitzen im Bett) mit Unterstützung 5 selbstständig 15 3. Persönliche Pflege (Gesicht waschen, Kämmen, Rasieren, Zähneputzen) nicht möglich 0 mit Unterstützung 0 selbstständig 5 4. Benutzen der Toilette (An-/Auskleiden, Körperreinigung, Wasserspülung) nicht möglich 0 mit Unterstützung 5 selbstständig 10 5. Baden/Duschen nicht möglich 0 mit Unterstützung 0 selbstständig 5 Barthel-Index (6-10) 6. Gehen auf ebenem Untergrund 6.a. Fortbewegung mit dem Rollstuhl auf ebenem Untergrund (falls Item 6 "nicht möglich") 7. Treppen auf-/absteigen 8. An-/Ausziehen (einschließlich Schuhe binden, Knöpfe schließen) 9. Stuhlkontrolle 10. Harnkontrolle nicht möglich 0 mit Unterstützung 10 selbstständig 15 nicht möglich 0 mit Unterstützung 0 selbstständig 5 nicht möglich 0 mit Unterstützung 5 selbstständig 10 nicht möglich 0 mit Unterstützung 5 selbstständig 10 nicht möglich 0 mit Unterstützung 5 selbstständig 10 nicht möglich 0 mit Unterstützung 5 selbstständig 10 Mobilitätstest nach Tinetti Lachs, Tinetti, et al.: Ann Intern Med 1990 • Teil 1: Balancetest – – – – – – – – Gleichgewicht im Sitzen Aufstehen vom Stuhl Balance nach Aufstehen Stehsicherheit Balance, Augen zu Drehung 360° Stoß gegen die Brust Hinsetzen Auswertung: 28 Punkte: 24 - 27 P.: 20 - 23 P.: unter 20 P.: • Teil 2: Gehprobe – – – – – – – – Schrittauslösung Schritthöhe Schrittlänge Schrittsymmetrie Gangkontinuität Wegabweichung Rumpfstabilität Schrittbreite Normalbefund Problem möglich Sturzrisiko leicht erhöht Sturzrisiko deutlich erhöht Timed Up & Go Podsiadlo & Richardson, J Am Geriatr Soc 1991 • Mobilität und Stürze sind zentrale Probleme • Up & Go überprüft minimale Beweglichkeit, die z. B. für den selbstständigen Gang zur Toilette nötig ist • Überqueren einer Straße erfordert eine minimale Gehgeschwindigkeit von 0,5 m/sec. Timed Up & Go Podsiadlo & Richardson, J Am Geriatr Soc 1991 • Patient sitzt auf Stuhl mit Armlehne • darf Hilfsmittel benutzen • Aufstehen 3 m bis zu einer Linie gehen umdrehen zurück zum Stuhl hinsetzen • Die benötigte Zeit in Sek. wird notiert Timed Up & Go Podsiadlo & Richardson, J Am Geriatr Soc 1991 • < 10 Sek. – Mobilität nicht eingeschränkt • 11-19 Sek. – wenig mobil, keine Einschränkungen im tägl. Leben • 20-29 Sek. – Schlecht mobil, funktionelle Auswirkungen wahrscheinlich • > 30 Sek. – Ausgeprägte Mobilitätsstörung – intensive Betreuung erforderlich Mini Mental State Examination (MMSE) • kognitive Fähigkeiten im Alter lassen oft nach • Mild Cognitive Impairment: z.T. fließender Übergang zu dementiellen Erkrankungen • 30 Fragen • 2 Teile – Orientiertheit, Gedächtnis und Aufmerksamkeit – Benennen, Lesen, Schreiben (visuell – konstruktive Fähigkeiten) Mini Mental State Examination (MMSE) • geistig rüstige Menschen erreichen 28 Punkte oder mehr • 27 – 24 Punkte leichte kognitive Funktionseinschränkung • 23 – 17 Punkte mittlere kognitive Funktionseinschränkung • 16 – 0 Punkte schwere kognitive Funktionseinschränkung • der MMSE ist lediglich ein Screening-Verfahren • ggf. weiterführende gezielte Abklärung Akutgeriatrie / Remobilisation am Krankenhaus St. Franziskus Grieskirchen: Erfahrungen aus der Praxis • Einleitung • Geriatrie in Oberösterreich • Interne KH St. Franziskus Grieskirchen • Aufnahme auf AGR • Betreuung auf AGR Therapieziele • Behandlung einer akuten Erkrankung • Größtmögliche Wiederherstellung der Mobilität und Autonomie • Erreichung möglichst hoher Lebensqualität • Prävention von Funktionsverlusten • Reintegration in das eigene Umfeld Tagesablauf • Frühstück • Pflegetätigkeit • Therapie • Mittagessen • Visite • Therapie • Abendessen Der ältere Patient im Mittelpunkt eines Teams • Interdisziplinäre Betreuung – Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie – Schwestern und Pfleger – Klinische Psychologin, Überleitungspflege – Ärzte • Teamsitzung: – B 1: Mi, 10.30 – G 4: Do, 10.30 Ergotherapie (I) • Motorisch funktionelle Behandlung – Rumpf, obere Extremität – Freies Sitzen, Gleichgewicht – Selektive Arm-, Hand- u. Fingerfunktionen – Koordination, Feinmotorik • ADL Training – Hygiene – An- u. Ausziehen – Essen, Haushalt, Fortbewegung Ergotherapie: ADL Training Ergotherapie (II) • Kognitives Training • Therapie von Apraxie, Neglect • Hilfsmittel – Für Bad, WC, Küche, Fortbewegung – Versorgung koordiniert mit Physio, ÜLP • Beratung der Angehörigen Hilfsmittel: Badewannenbrett Ergotherapie: Hilfsmittel Ergotherapie: Hilfsmittel Physiotherapie • Wiederherstellung natürlicher Bewegungsabläufe • Gleichgewicht, gezielte Muskelübungen – Nach Schlaganfall – Gangstörung bei Parkinson – Nach längerer Bettlägrigkeit wegen Lungenentzündung, Darmoperation, … – Nach Knie- od. Hüftoperation Logopädie • Sprachstörungen nach Schlaganfall, bei Parkinson, ... • Behinderte Nahrungsaufnahme bei Schluckstörungen • Störungen und Behinderung der Atmung und der Stimme • Angehörigenberatung Überleitungspflege • Entlassungsplanung: Sicherung der extramuralen Versorgung – Betreuungsbedarf: wobei Hilfe notwendig ? – Wohnsituation, Hilfsmittel – Angehörige, mobile Dienste – Verordnungsscheine, Rufhilfe – Kontakt mit Hausarzt • Falls Betreuung zu Hause nicht möglich: – Kontakt mit Sozialberatungsstellen – Kontakt mit Alten- und Pflegeheimen Klinische Psychologie • Mini Mental Test • Gesprächstherapie bei Depression • Entspannungstherapie – Einzeln oder Gruppe • Kognitives Training – Gedächtnistraining – Einzeln oder Gruppe Visite durch FA f. Innere Medizin • Koronare Herzkrankheit • Arterielle Hypertonie • Diabetes mellitus • Chron. obstruktive Lungenerkrankung • Depression • Osteoporose • Analgetische Therapie • ….. Zusammenfassung Ziele für die Zukunft • Innere Medizin – Versorgung der Region • Ausbildung von jungen Ärzten • Etablierung als „die Abteilung“ für Altersmedizin im oö. Zentralraum (weiterer Ausbau ?)