P. Ulrich Zankanella OFM Leiter von „Franziskaner für Mittel- und Osteuropa“ DIE ARMUT DES HL. FRANZISKUS - Mittwoch, 6. Mai 2009 HEUTE ? Heutzutage verstehen wir unter Armut meist nur eine mehr oder minder große materielle Not. In unseren Breiten, in Europa , ist möglicherweise schon derjenige arm, der kein TV-Gerät hat oder kein Auto, der seinen Kindern keinen i-Pot kaufen kann oder keine Etagenheizung besitzt, der Schwierigkeiten hat, seinen Kindern einen Schulschikurs zu finanzieren oder eine allein erziehende Frau mit Kindern. Arm finden wir die Bettler in unseren Straßen, die Zigeuener , Sandler und Obdachlosen, arm sind in unseren Augen auch die, die schwer krank sind. Aber was ist die Armut des Franz von Assisi? Er ist freiwillig besitzlos – nicht aus Not und Elend! Wie kommt er dazu? Ist er ein Masochist oder ein Fanatiker? Was steckt dahinter? Was will er damit? Auch Heilige sind Kinder ihrer Zeit und des Zeitgeistes dieser Zeit, und so müssen wir uns fragen, was geschah im frühen 13. Jahrhundert in Italien, zu Lebzeiten des Hl. Franziskus ( 1182 – 1226 )? In dieser Zeit entsteht der so genannte Frühkapitalismus. Es ist eine Zeit des Umbruchs, die Zeit der Kreuzzüge. Eine ungeheuer große Anzahl von Menschen, vorzugsweise Soldaten, zieht in das sogenannte Heilige Land um den dortigen Christen gegen die Eroberung durch den Islam und die Eroberer beizustehen. Diese Menschen sind aber nicht alle nur zu Fuß dorthin gezogen, viele Truppen werden durch venezianische Schiffe dorthin gebracht. Diese Transporte kosten Geld, und bringen daher denen, die die Schiffe haben einen großen Gewinn, außerdem war es möglich, die dann im Orient geleerten Schiffe für den Rücktransport mit Waren aller Art zu füllen und diese Waren mit Gewinn in Europa zu verkaufen. Diese Waren erregen nicht nur großes Aufsehen sondern sie verhelfen auch denen, die damit handeln zu großem Reichtum. Dadurch entsteht ein Geldmarkt mit einem Bankensystem und plötzlich entsteht da etwas Neues, bisher noch nicht gekanntes: die Spekulation. Es wird möglich, auf die Ladungen der Schiffe zu spekulieren. Denn ein weiteres Problem, das auch in unseren Tagen so im Wachsen ist, entsteht: die Piraterie, die Seeräuberei. Sie wird durch den schwunghaften Handel mit Schiffen interessant. Venedig verdankt diesem Handel seinen Aufschwung. Ein Finanzmarkt, der ganz ohne Regeln abläuft entsteht und große Summen Geldes sind in ständiger Bewegung. Das alles führt zur Emanzipation des Bürgertums. Plötzlich ist also nicht mehr nur der reich, der Grund und Boden hat, sondern auch der Bürger, der Handel treibt und über viel Geld verfügt. Die Eltern des Hl. Franziskus z.B. sind Tuchhändler, die jährlich auf der großen Wollmesse in Reims, der größten Textilmesse des damaligen Europa. Ihre Geschäfte machen. Dort besorgen sie die schönsten Stoffe und verkaufen sie gewinnbringend in vielen italienischen Städten. Denn plötzlich werden die Städte reich, sie beherbergen ein wohlhabendes Bürgertum, die Städte erhalten ihre ersten Stadtverfassungen und werden unabhängig von den bisherigen Grundherren. Die Feudalgesellschaft löst sich immer mehr auf und hat nicht mehr die Bedeutung, die sie früher hatte. Der Grundherr, der ja nicht nur Besitzer von Grund und Boden sondern auch ein Anrecht auf die so genannte Fron hatte, die Arbeitskraft seiner Untertanen, wird von den Bürgern immer öfter, durch die Bezahlung einer Ablöse durch die Bürger abgefunden, mit der sich die Bürger von dieser Fron freikaufen. Mit zunehmendem Reichtum fällt den Bürgern die Zahlung dieser Summe immer leichter – die Städte sind reich und können diese Summen unschwer aufbringen. Denn die reich gewordenen Bürger können es sich nun leisten, ihre Söhne lesen und schreiben lernen zu lassen – bisher hatte der Klerus dieses Monopol. Aber nicht nur das: durch den Kontakt mit Konstantinopel und dem ganzen Orient kommt es zu einem Informationsboom. Man lernt, „es gibt mehr als Hirsebrei, Pferdeschweiß und Wildschwein.“ Man entdeckt die feinen Genüsse des Lebens wie, um nur ein Beispiel zu nennen, das Parfum. Auch eine große Menge von Kunst kommt aus dem Orient. Sie alle kennen die Quadriga, die 4 Pferde, die auf dem Markusdom stehen – in dieser Zeit kommt sie aus Byzanz nach Venedig. Es ist auch die Zeit des ersten Kontakts mit dem orthodoxen Christentum und dem Islam. Auch die Wissenschaft erlebt durch den Kontakt mit dieser Welt einen großen Aufschwung, allen voran die Astronomie. Kompass und Spiegelsextanten kommen um diese Zeit nach Europa und sind ja vor allem für die Schifffahrt von nicht hoch genug einzuschätzender Bedeutung. Ohne diese Geräte wäre die 250 Jahre später einsetzende Entdeckung neuer Kontinente erst gar nicht möglich gewesen. Das materialistische Prinzip wird zum Maßstab für Macht und Ansehen. Mit anderen Worten: Die Welt stand Kopf! (Ich denke, Sie selbst erkennen unschwer die Ähnlichkeit mit der Situation unserer Tage.) Das also ist das Zeitfundament des Franziskus von Assisi. Franziskus ist ein Bürgersöhnchen von der feinsten Lebensart, er spricht Französisch, denn seine Mutter Donna Pica, stammt von dort. Er ist ein „Möchte-gern- Ritter“, ein Revoluzzer, ein Tänzer und Geiger, der es versteht Feste zu feiern, er rebelliert gegen seinen Vater und verspielt seine Heimat. In einem Städtekrieg zwischen Assisi und Perugia gerät er 1202 in eine einjährige Gefangenschaft und eine anschließende Krankheit führt ihn auf den Weg der Bekehrung. Er wirft seinem Vater das Erbe vor die Füße in einem öffentlichen Streit (1206) und „verkauft sein Leben“, an wen, warum und wie hält er das aus? Schrittweise findet Franziskus ein neues Fundament Er erkennt, die Natur ist nicht nur nützlich und zu bewirtschaften, sie ist auch schön. Die Menschen sind nicht nur so, wie sie sich geben, wie sie ihre Rollen darstellen. Hinter dieser Fassade, die sie mit sich herumtragen, ob sie sich jetzt als Machtmenschen darstellen oder als Genießer, hinter all dem entdeckt er den Menschen als Geschöpf Gottes, der geplagt wird von Erfolg oder von Problemen, Konflikten und Süchten von Alter oder gar Krankheiten wie dem Aussatz. Seine Lebensbeschreibung, die er in späten Jahren verfasst beginnt er mit den Worten: 1 „Als ich in Sünde lebte, war es mir unerträglich Aussätzige auch nur zu sehen. Gott hat mich unter sie geführt und es wurde mir zur Süßigkeit (dolcezza) des Lebens.“ Man muss wissen, der Aussatz, das war der Tod auf Raten, es gab keine Behandlungsmöglichkeit. Der Aussätzige durfte aus keinem Brunnen trinken, um die Gesunden vor Ansteckung zu bewahren, sie mussten ihr Gesicht abwenden, wenn ein anderer kam, damit der Wind nicht ihren Atem zu anderen Menschen bläst, sie mussten mit einer Glocke in der Hand andere vor sich warnen, sie bekamen die Nahrung nur entfernt hingestellt und konnten sie erst holen, wenn die Menschen wieder weg waren, sie lebten in Lumpen außerhalb der menschlichen Siedlung und verfaulten bei lebendigem Leib. Wo ist nun der Schlüssel zu seinem neuen Verhalten, der ihn die Aussätzigen umarmen lässt? Woher kommt die Motivation, das Stehvermögen, die Ausdauer und das Urvertrauen zu einem Leben in Armut und totaler Besitzlosigkeit? Er entdeckt den Schöpfer Gott! So schreibt er im Kapitel 17/17 seiner Regel: „Und alles Gute wollen wir dem Herrn, dem erhabenen Gott, zurückerstatten und alles Gute als Sein Eigentum anerkennen und Ihm für alles Dank sagen, von dem alles Gute herkommt.“ Es ist der Glaube an einen Leben spendenden Gott als Fundament und Prägemal für sein Leben. Der Gestaltungsfaktor für die Alltagspraxis ist dabei das Vorbild Jesu Christi. Das Fundament des Hl. Franziskus ist die gläubige Erfahrung eines Schöpfergottes, der mir zeigt, welches Potential in jedem Menschen steckt, Er öffnet die Augen, Er heilt, Er will die Neuschöpfung des Menschen durch Kreuz und Tod zur Auferstehung. Die Armut des Franziskus ist eine Äußerungsform seines Weltbildes. Dieser Schöpfergott ist mein Gott, der das Leben will, Er will mein Leben entfalten durch alle Tiefen hindurch. Daher kann ich Vertrauen haben, denn die Erde ist reich, Sein Atem steckt in jeder Form des Lebens. Deshalb muss ich die Schöpfung mit allen anderen Menschen teilen und das wiederum verlangt Freigiebigkeit und Fürsorge. Besitzlosigkeit in einer feudal geprägten Gesellschaft, in der auch die Arbeit der Untertanen Eigentum des Feudalherren war, wirft Fragen auf: Wie kann ich einen anderen Menschen als Besitz behandeln? Sei es wirtschaftlich oder in der Familie. Wenn Gott unser aller Vater ist, dann sind alle Menschen Geschwister und haben die gleichen Rechte vor Ihm. Wenn Gott unser Schöpfer und Vater ist, dann bedeutet das ein Fundament für mein Leben und muss von nun an der Gestaltungsfaktor meiner Verhaltensweisen und Lebenshaltungen sein! Das Konzept Armut heißt also: 1) Meine Welt ist Seine Schöpfung. Daher können wir darauf vertrauen, dass Seine Erde sehr reich ist, und genug für alle hat. Wir können und müssen dafür dankbar sein, denn Gott ist gütig. Darüber hinaus können und müssen wir Achtung vor allem Leben haben – denn das LEBEN IST SEIN ATEM! 2) Seine Schöpfung ist unser Lebensraum – daher muss ich Seinen Besitz teilen, mit allen Geschöpfen. Das bedeutet Freigiebigkeit und Fürsorge für die Mit- Geschöpfe. 3) Wenn wir Gott unseren Vater nennen, dann sind wir alle Geschwister. 2 Der jenige, der anders ist als ich, sei es in Besitz, Begabung, Charakter, Geschlecht – er ergänzt das, was mir fehlt. Er ist komplementär. Ihm ist mit Respekt zu begegnen, niemals mit Gewalt. Er, der Andere, der Reiche, der Muslim, ja auch der Ketzer und der Räuber hat Anspruch auf meine Achtung, meinen Respekt, denn er ist Gottes Geschöpf. Dieser Gedanke zu Ende gedacht ist nicht nur revolutionär und führt dazu, zu erkennen, dass meine Mitmenschen meine Brüder sind. Das zu leben ist äußerst anstrengend und schwierig und herausfordernd. 4) Aber auch ich selbst bin ein Teil der Schöpfung und das bedeutet Respekt vor mir selbst. Diese Erkenntnis lässt Franziskus von Bruder Sonne und Schwester Mond singen im Sonnengesang und aus den Fioretti (Legenden um das Leben des Hl. Franz) kennen wir die Geschichten in denen er mit Bruder Wolf, den Vögeln und den Fischen spricht. 5) Bin ich aber ein Teil der Schöpfung, so bin ich ein Geschenk an die anderen! Wagen wir es das von uns selbst zu sagen. Wie viele Ressourcen könnte das in uns wecken, wenn wir das wirklich glauben könnten! Sind so genannte Minderwertigkeitskomplexe dann aber nicht eigentlich eine Missachtung des Schöpfers? So sind wir also verpflichtet, nicht nur unsere humanen Resourcen hervorzuholen und zu entwickeln, wir sollen sie auch mit den anderen teilen. 6) Letzten Endes versteht sich Franziskus als ein Herold des großen Königs und damit als ein Heilsvermittler: Physisch, psychisch und soteriologisch „in der Fußspuren Jesu.“ Die Fußspuren Jesu aber sind groß! Welche Bedeutung hat das nun für uns heute?________________ 1) Geschöpflichkeit bedeutet: Mir ist das Leben anvertraut, mir ist es geschenkt. Daher muss ich das Leben fördern, das Leiden nicht vermehren so weit es in meiner Macht steht, sondern versuchen, es zu heilen, den Schöpfer zu loben und das Gute zu tun. 2) Als Bewohner der Schöpfung kann und darf ich sie nicht in Raffgier ausbeuten, sondern ich muss die Schöpfung pflegen und sorgsam mit ihr umgehen um sie so gut wie möglich zu erhalten für andere Mitmenschen und nachkommenden Geschlechtern eine Welt hinterlassen, die bewohnbar und nutzbar ist und durch mein Leben muss ich versuchen, das wahre Mensch-Sein, das wahre Christ-Sein lehren. 3) Die Geschwisterlichkeit muss über Generationen bedacht werden und erfordert daher Selbstbeschränkung im Gebrauch, die Bereitschaft zu teilen, sei es in den Humanresourcen wie auch in den Sachresourcen, es erfordert: einander gerecht zu werden. Das heißt: suum cuique! Gerecht handelt der, der gibt wenn er dem Bedürfnis des anderen gerecht wird. 4) Als Besitzverwalter muss ich in Produktion und Fertigung Bedacht nehmen auf die Umwelt aber auch auf die sozialen Belange derer, die von mir abhängig sind. Ebenso ist Nachhaltigkeit entscheidend. Auch Geldanlagen müssen nach ethischen Grundsätzen getätigt werden. Es geht immer darum zu bedenken, dass die Zinsen, die ich von der Bank erhalte, ja nur ein Teil dessen sind, was mit meinem Geld erwirtschaftet werden muss, da ja die Bank auch leben will. Zu hohe Zinsen können daher unter gar keinen Umständen moralisch gerechtfertigt werden. 3 Die Armut der Hl. Franz von Assisi ist also ein Lebensprogramm: Sie bedeutet gläubige Geschöpflichkeit, Bereitschaft zu teilen, Heilsbringer zu sein in allen Dimensionen. Besitzlosigkeit ist nur eine Facette, dazu kommen soziale Kompetenz, Zivilcourage, soziale Verantwortung, Umweltbewusstsein und dies möglichst auf dem Boden des Glaubens. Dieses Lebensprogramm bedeutet für den Menschen eine existentielle Grundsicherung, nämlich sich geborgen zu wissen in der Hand des Schöpfers. Der Orden des Hl. Franziskus kennt Männerorden :Franziskaner, Minoriten, Kapuziner Frauenorden: Clarissinnen und verschiedenste Franziskanische Schul- und Pflegeorden und den so genannten Dritten Orden, das ist ein Orden für Laien, die in der Welt leben auch als Ehepaare, sich aber zu Werken der Nächstenliebe verpflichten und zu einem regelmäßigen Gebetsleben. Beispiele von Menschen die im 3. Orden leben haben wir beschrieben bekommen Pater Ulrich, es sind Menschen, die in der Karpato-Ukraine sich um Waisenkinder, um Zigeuner um Behinderte kümmern und ganz großartige Projekte auf die Beine stellen. 4