Schimmel - Franziskanischer Religionsdialog

Werbung
Franziskanischer (Religions-) Dialog
Anmerkungen zu 100 Tagen Papst Franziskus
Von Dr. Thomas M. Schimmel, Geschäftsführer von „1219. Deutsche Stiftung für interreligiösen
und interkulturellen Dialog e.V.“
Inmitten spannungsreicher und politischer Auseinandersetzungen zwischen Religionen, Ethnien und Völkern fällt die Wahl des neuen Papstes. Als erster in der Geschichte der Katholischen Kirche wählt er den
Namen Franziskus, ein offensichtlich spontaner Entschluss. Dass sich bisher kein Papst nach Franziskus
von Assisi benannt hat, lässt vermuten, dass die Symbolkraft des Namens Erwartungen wachsen lässt,
denen sich ein Papst bisher nicht stellen wollte. 100 Tage nach dem Amtsantritt von Jorge Bergoglio als
Papst Franziskus bestätigt sich jedoch, dass seine Namenswahl in vieler Hinsicht eine umfassende programmatische Aussage ist – in Auftreten, Reden, Predigten und Handeln setzt er um, wofür der Name
steht: Vor 800 Jahren verließ der heilige Franziskus von Assisi sein reiches Elternhaus, um ein Leben in
Armut und Einfachheit radikal nach dem Vorbild des Evangeliums zu führen, in Solidarität mit den Armen und Entrechteten. Der Name des heiligen Franziskus hält aber noch eine weitere Implikation bereit:
die der Dialogbereitschaft mit anderen Religionen.
Es ist wenig bekannt, dass Franziskus im Jahr 1219 den ägyptischen Sultan Al-Kamil Muhammad alMalik in der Nähe von Damiette an der Nil-Mündung getroffen hat. Diese Begegnung ist nicht nur einer
der ersten bezeugten Religionsdialoge in der Geschichte des Christentums, sie ist zugleich eine systemimmanente Kritik an der Kirche seiner Zeit. Franziskus von Assisi war zunächst gemeinsam mit einigen
Mitgliedern seiner jungen Bewegung der Aufforderung Papst Innozenz III. aus dem Jahre 1213 nachgekommen, zur Rückeroberung Jerusalems, das seit 1187 in muslimischer Hand war, sich dem Kreuzzug
anzuschließen. Doch diese Gefolgschaft führte bald zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der
zugrunde liegende Theologie. Einer Theologie nämlich, die als Kreuzzugstheologie maßgeblich von
Bernhard von Clairvaux geprägt wurde und die das Töten Andersgläubiger im Namen des Zieles rechtfertigt. Zudem versprach sie den Teilnehmern am Kreuzzug auf geistlicher Seite den Ablass, also die Aussetzung von himmlischen Strafen für Sünden. Die Muslime selbst wurden in den Predigten dieser Zeit als
Feinde der Christenheit bezeichnet, der Prophet Muhamed als Sprachrohr des Teufels, der Koran als Ansammlung von Lügen und der Islam insgesamt als Tier, das durch Christus überwunden werden sollte. In
Europa herrschte eine extrem islamfeindliche Rhetorik vor, die den Zweck hatte, alle Schichten für den
Kreuzzug zu mobilisieren und die europäische Christenheit unter der Führung des Papstes zu einigen.
Welches Motiv den heiligen Franziskus dazu bewog, an dem Kreuzzug teilzunehmen, ist umstritten. Spätere Biografen berichten von seinem Willen, das Martyrium zu erleiden. Der Charakter seiner Bewegung
sowie Verlauf und Ergebnisse seiner Begegnung mit dem Sultan und den Muslimen sprechen allerdings
eine andere Sprache: Sie lassen annehmen, dass Franziskus in einer Friedensmission unterwegs war und
sich subversiv gegen die kirchliche Autorität stellte. Franziskus benannte die Diskrepanz zwischen der
verkündeten Botschaft der Bibel und der faktischen Lehre und kritisierte schon im Heerlager der Kreuzfahrer die gewalttätigen und sittenlosen Zustände. Während einer Waffenpause begaben sich Franziskus
und seine Gefährten gegen den Willen der Kreuzzugsleitung auf das Gebiet der Muslime und wurden dort
prompt festgenommen. Ihre Bitte, zum Sultan gebracht zu werden, wurde ihnen gewährt und Franziskus
erhielt auf diese Weise die Möglichkeit, seinen Plan umzusetzen und mit dem Anführer der gegnerischen
Armee zu sprechen. Dieses Gespräch dauerte schließlich mehrere Tage. Es hat weder den Sultan zum
Christentum bekehrt noch den Kreuzzug friedlich beendet. Doch es hat beide Seiten gleichermaßen beeindruckt: Al-Kamil Muhammad al-Malik stellte Franziskus und seine Freunde durch die Schenkung
eines wertvollen Elfenbeinhornes unter seinen persönlich Schutz und ließ sie unter Personenschutz zurück
zu den Kreuzfahrern geleiten. Und Franziskus ließ seine Erfahrungen in die Überarbeitung seiner ursprünglichen Ordensregel und in weitere Schriften einfließen.
Diese Überarbeitung wird als nichtbullierte Regel bezeichnet, da sie nur mündlich vom Papst bestätigt
wurde. Sie sagt aber viel über Franziskus‘ Ursprungsidee aus. Im 16. Kapitel der nichtbullierten Regel
geht es um die Mitglieder seiner Bewegung, die unter Nichtchristen lebten. Franziskus gibt dort klare
Anweisungen, wie sich die Mitglieder zu verhalten haben: Er verbietet ihnen „Zank und Streitgespräche
zu führen“ und schreibt ihnen vor, dass sie allen untertan sein sollten, ohne ihr Christsein zu verleugnen.
Sie sollten nur dann über ihren Glauben sprechen, wenn die Situation es zulasse. Franziskus plädiert für
eine demütige Haltung, die den Blick auf die Gesprächssituation richtet, in der man zuhört, ohne die eigene Identität zu verleugnen.
Franziskus von Assisi hatte mit eigenen Augen gesehen, dass der Konflikt zwischen zwei Glaubenswahrheiten wie dem Christentum und dem Islam nicht gelöst werden kann, Streit hier zwecklos ist und
nur zu Destruktivität, Aggression und Gewalt führt. Papst Franziskus orientiert sich an dieser grundlegenden Einsicht, wenn er betont, dass: „der Lösungsweg (eines Konfliktes) nie Krieg sein (darf), denn das
würde bedeuten, dass einer der beiden Spannungspole den anderen vereinnahmt“.
Die größte Innovation des Zweiten Vatikanischen Konzils findet sich in diesem Zusammenhang im Dokument Nostra Aetate, das Respekt und Hochachtung vor dem Judentum, dem Islam und den anderen
Religionen ausdrückt. In diese neue Tradition stellte sich Papst Johannes Paul II. in seiner Initiative zum
interreligiösen Friedensgebet 1986, das theologiehistorisch folgerichtig nur in Assisi stattfinden konnte,
ebenso wie in seinem historischen Besuch als erster Papst in der römischen Synagoge. In der Regierungszeit von Benedikt XVI. kam es zu Irritationen zwischen Islam und Vatikan, die nur teilweise ausgeräumt
werden konnten.
Papst Franziskus liegt der Dialog mit anderen Religionen sehr nah. Schon 2010 erschien in Argentinien
ein Buch mit Gesprächen zwischen ihm und Rabbi Abraham Skorka, das inzwischen auch in deutscher
Übersetzung vorliegt. In diesem Buch berichtet der damalige Erzbischof von Buenos Aires unter anderem, wie er die Tradition in Argentinien, dass bei Staatsakten nur der Erzbischof ein Gebet spricht, änderte. Seit 2009 sprechen die Repräsentanten aller Glaubensrichtungen ein Gebet. Als Kardinal hat Papst
Franziskus also offensiv das Thema des Religionsdialoges angegangen.
Dass er auch als Papst die Dialogperspektive in den Mittelpunkt stellt, zeigen die kleinen und großen
Veränderungen, mit denen er alltägliche Amtshandlungen gestaltet und so eine veränderte Theologie in
den Mittelpunkt stellt: beim Empfang der beim Vatikan akkreditierten Journalistinnen und Journalisten
am 16. März spendete er nicht wie üblich den apostolischen Segen, sondern sagte: «Da viele von euch
nicht zur katholischen Kirche gehören, andere nicht gläubig sind, erteile ich von Herzen diesen Segen in
Stille jedem von Ihnen mit Respekt vor dem Gewissen jedes einzelnen, aber in dem Wissen, dass jeder
von Ihnen ein Kind Gottes ist.“ Ebenso betonte er in der Ansprache vor dem Diplomatischen Korps, dass
er seine Dialogpartner aus anderen Ländern, Kulturen und Religionen nicht als Konkurrenten ansehe,
sondern als Brüder, mit denen er gemeinsam den Frieden aufbauen will. Dass er dabei ausdrücklich nicht
nur das Judentum und den Islam einbezog, sondern auch alle Menschen, die nicht glauben, erweitert die
Grundhaltung des Respektes um einen in der Moderne wesentlichen Aspekt, der sich in seinen Ansprachen auch und vor allem dort ausdrückt, wo er von einem bewussten Christentum spricht: Es soll in Demut, ohne Triumphalismus und Ehrgeiz offen sein und muss herausgehen aus den Kirchenmauern. Dass
diese franziskanische Haltung des Papstes auf fruchtbaren Boden fällt, zeigt ein Schreiben des Großimam
der Kairoer al-Azhar-Universität, die während des Pontifikates von Benedikt die theologischen Gespräche
mit dem Vatikan eingestellt hatte. Ahmed al Tayyeb gratuliert Franziskus zu seiner Wahl und bietet dem
Papst die „volle Zusammenarbeit und Liebe“ an, „um gemeinsame Werte zu sichern und der Kultur des
Hasses ein Ende zu setzen“.
Deutlich wird an den ersten 100 Tagen dieses Pontifikats, dass mit dem Namen des neuen Papstes eine
Dialogtradition dieser Kirche in den Mittelpunkt gestellt wird, die jenseits aller Marginalisierungen, Errungenschaften und Krisen die wesentliche Grundlage des Miteinander ausdrückt – eine Haltung, die
langfristige Gesprächs-, Gestaltungs- und Friedensperspektiven in einer Welt erhoffen lässt, die diese
dringend nötig hat.
Quelle:
http://www.franziskaner.de/Singleview.85.0.html?&tx_ttnews[backPid]=1&tx_ttnews[tt_news]=1263&cHash=ea6b
7c3aec57d6350697af2a808b0eb6
Herunterladen