Das menschliche Gedächtnis

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Das menschliche
Gedächtnis
Vorlesung 5 an der ETHZ
Prof. Rolf Reber
1
Beispiel:
Gedächtnis unter Alkoholeinfluss
Es ist bekannt, dass alkoholkranke Personen im Rausch
Geld oder Schnaps verstecken. Sind diese Personen wieder
nüchtern, haben sie keine Ahnung, wo das Geld oder der
Schnaps ist. Wenn sie wieder betrunken sind, finden sie
das Geld oder den Schnaps wieder.
Wie kann man dieses Phänomen gedächtnispsychologisch
erklären?
Welche anderen Phänomene gibt es, die nach dem
gleichen Prinzip funktionieren?
© Rolf Reber
2
Das menschliche Gedächtnis: Literatur
Ich lese...
Tavris, C., & Wade, C. (1999). Introduction à la psychologie:
les grandes perspectives. Louvain-la-Neuve: De Boeck
(Chapitre 10: La mémoire, pp. 311-323).
© Rolf Reber
3
Das menschliche Gedächtnis: Lernziele
Allgemeines Lernziel:
Ich kenne die verschiedenen Gedächtnissysteme und deren Funktion
Ich kann...
• sensorisches, Kurz- und Langzeitgedächtnis unterscheiden;
• die Funktionen des Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnisses erklären;
• den Unterschied zwischen episodischem, semantischem und
prozeduralem Gedächtnis erklären;
• verschiedene Arten von Schemata unterscheiden;
• erklären, was zustands- und kontextabhängiges Lernen ist.
© Rolf Reber
4
Stufen des menschlichen Gedächtnisses
Lernen
(Enkodierung)
Speicherung
© Rolf Reber
Abruf
5
Verschiedene Arten von Gedächtnis
Information
Sensorisches
Gedächtnis
KurzzeitGedächtnis
LangzeitGedächtnis
Bis 500 ms
100 Buchstaben/sec.
Mehrere Sekunden
7±2 Chunks
Sekunden bis Jahre
Sehr gross
(Gibt es Vergessen?)
Kurze Speicherung
des Materials bis zur
Weiterverarbeitung
Speicherung und
Verarbeitung;
„Arbeitsgedächtnis“
Speicherung des
Materials bis zum
Abruf (nicht perfekt)
© Rolf Reber
6
Sensorisches Gedächtnis
Beispiel: Bengalische Zündhölzchen am 1. August:
So sehen wir die bengalischen Zündhölzer nicht!
© Rolf Reber
7
Sensorisches Gedächtnis
Beispiel: Bengalische Zündhölzchen am 1. August:
Es entstehen Nachbilder.
© Rolf Reber
8
Sensorisches Gedächtnis
Der Nachweis des sensorischen Gedächtnisses:
Hoher Ton
—>
Mittlerer Ton —>
Tiefer Ton
—>
5
9
6
2
3
5
8
7
1
5
1
4
Die Zahlen wurden für 50 ms präsentiert.
Die Versuchspersonen konnten etwa 4 bis 5 Zahlen behalten
(aus drei Zeilen —> ca. 1.5 Zahlen pro Zeile).
© Rolf Reber
9
Sensorisches Gedächtnis
Der Nachweis des sensorischen Gedächtnisses:
Hoher Ton
—>
Tiefer Ton
—>
5
9
6
2
3
5
8
7
1
5
1
4
Die Zahlen wurden für 50 ms präsentiert. Der Ton erfolgte unmittelbar
vor oder unmittelbar nach(!) der Präsentation der Zahlen.
In beiden Fällen wurden etwa 3 bis 4 Zahlen behalten (aus einer Zeile!).
Wenn der Ton 1 sec nach den Zahlen erschien —> 1.5 Zahlen pro Zeile.
© Rolf Reber
10
Das Kurzzeitgedächtnis
Früher war es üblich, sich von einer Telefonzentrale verbinden zu lassen.
Man rief an und gab die Nummer durch, mit der man verbunden werden
wollte.
„Hallo, hier ist Reber, bitte verbinden sie mich mit 031 631 36 44.“
Die Telefonistin stellte dann die Nummer durch.
Psychologen interessierten sich nun dafür, wie Telefonnummern im
Gedächtnis gespeichert werden und mit welchen Mitteln man die
Leistung des Kurzzeitgedächtnisses verbessern kann.
© Rolf Reber
11
Wie konnte das Kurzzeitgedächtnis
nachgewiesen werden?
In der folgenden Demonstration werde ich Ihnen Wörter vorsprechen.
Wenn ich fertig bin, fangen wir alle (ALLE!) an, von 1000 in Dreierschritten
rückwärts zu zählen. Also: 1000, 997, 994 ...
Sobald ich sage „jetzt“, schreiben Sie diese Wörter aus Ihrem Gedächtnis
auf.
Sind Sie bereit?
© Rolf Reber
12
Nachweis des Kurzzeitgedächtnisses: Test
Wenn ich fertig bin, fangen wir alle (ALLE!) an, von
1000 in Dreierschritten rückwärts zu zählen. Also:
1000, 997, 994 ...
© Rolf Reber
13
Nachweis des Kurzzeitgedächtnisses :
Lösungen
Lösungen 1 (ohne Zählen):
Becher
Buch
Frosch
Stuhl
Haus
Hagel
Segel
Vogel
Tram
Auto
Pult
Knabe
Löffel
Türe
Lösungen 2 (mit Zählen):
Mantel
Hand
Schwamm
Ring
Bahn
Treppe
Besen
Fisch
Seil
Maus
Tisch
Vogel
Teller
Türe
© Rolf Reber
14
Nachweis des Kurzzeitgedächtnisses
Wie Sie auf der Begleitfolie sehen können, gibt es beim unmittelbaren Abruf
bessere Erinnerungsleistungen am Anfang und am Schluss der Wortkette.
Die bessere Leistung am Anfang nennt man Primäreffekt (primacy effect).
Dieser Effekt spielt auch beim berühmten ersten Eindruck beim Kennenlernen von Personen.
Die bessere Leistung am Schluss nennt man Rezenzeffekt (recency effect).
Der Rezenzeffekt verschwindet, wenn die Personen zwischen Lernen und
Abruf zuwarten und andere Information aufgenommen wird. Dies ist ein
deutlicher Hinweis darauf, dass Information in einem Kurzzeitspeicher bewahrt wird, bis sie durch andere Information verdrängt wird.
Folie Baddeley, 2000, 33
© Rolf Reber
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Nachweis des Kurzzeitgedächtnisses
Hand
Ring
Treppe
Fisch
Maus
Vogel
Türe
Ring
Treppe
Fisch
Maus
Vogel
Türe
1000
Trepp
e
Fisch
Maus
Vogel
Türe
1000
997
Fisch
Maus
Vogel
Türe
1000
997
994
Maus Vogel Türe
Vogel Türe 1000
Türe 1000 997
1000 997
994
997
994
991
994
991
988
991
988
985
1000
997
994
991
988
985
982
Folie Baddeley, 2000, 33
© Rolf Reber
16
Kurzzeitgedächtnis
Es konnte gezeigt werden, dass der Mensch rund 7 ± 2 Chunks behalten
kann.
In der folgenden Demonstration werde ich Ihnen Zahlen vorsprechen.
Wiederholen Sie diese Zahlen folgendermassen: Wenn ich sage „5 8 2“,
dann wiederholen Sie „5 8 2“; wenn ich sage „5 8 2 9“, dann wiederholen Sie „5 8 2 9“, usw.
Sobald ich sage „jetzt“, schreiben Sie diese Zahlen aus Ihrem Gedächtnis
auf.
Sind Sie bereit?
© Rolf Reber
17
Kurzzeitgedächtnis: Test
Sobald ich sage „jetzt“, schreiben Sie diese Zahlen
aus Ihrem Gedächtnis auf.
© Rolf Reber
18
Kurzzeitgedächtnis: Lösungen
Anzahl Ziffern
3
4
5
6
7
8
9
Lösungen:
3 2 9
5 0 3 9
3 8 1 5
9 1 2 5
7 3 2 6
6 1 8 3
4 5 8 2
© Rolf Reber
2
1
4
6
5
8
9
3
9
6
9 5
1 0
3
19
Kurzzeitgedächtnis
Fazit: Die Kurzzeitgedächtnisspanne des Menschen beträgt ca. 7±2 Chunks
Chunks sind Informationspakete. Wir behalten 7±2 einzelne Ziffern, können
aber nur unwesentlich weniger dreistellige Zahlen behalten (257 834 ...916).
Allerdings hängt die Kurzzeitgedächtnisspanne auch von der Länge des
Aussprechens der Information ab. So hat man festgestellt, dass Waliser
eine kleinere Zahlenspanne haben als Engländer, weil das Aussprechen
walisischer Ziffern länger dauert als das Aussprechen englischer Ziffern.
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20
Kurzzeitgedächtnis: Was man wissen muss
Ist Wissen über das Kurzzeitgedächtnis heutzutage wichtig (Wir haben ja
keine Telefonzentralen mehr)?
Allgemein sollte man wissen, dass die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses
begrenzt ist. Beim Schreiben von Texten sollte man darauf achten, dass die
Belastung für das Kurzzeitgedächtnis möglichst klein ist.
In seinem Buch „Deutsch fürs Leben“ gibt Wolf Schneider als Faustregel an,
dass eingeschobene Sätze nicht mehr als 12 Silben lang sind.
Hier einige Beispiele, wie man es nicht machen soll:
© Rolf Reber
21
Kurzzeitgedächtnis: Was man wissen muss
Dem
Dem Raub
Raub der Maschinenpistole, die in einem mit einer qualifizierten
Diebstahlsicherung versehenen und mit einem mit zwei Millimeter dickem
Stahlblech umkleideten Behältnis in einer Seitentür verwahrt wird und
zur Standardausrüstung jedes Hamburger Funkstreifenwagens gehört,
war ein Notruf über die Polizeinummer 110 vorausgegangen.
Zwischen „dem Raub“ als Objekt und dem „Notruf“ als Subjekt sind
32 Wörter eingeschoben, davon 30, die nichts mit der Information des
Satzes zu tun haben.
FAZ; Quelle: Schneider, 1994, 68
© Rolf Reber
22
Kurzzeitgedächtnis: Was man wissen muss
Dem Raub der Maschinenpistole, die in einem mit einer qualifizierten
Diebstahlsicherung versehenen und mit einem mit zwei Millimeter dickem
Stahlblech umkleidetenBehältnis
Behältnis in einer Seitentür verwahrt wird und
zur Standardausrüstung jedes Hamburger Funkstreifenwagens gehört,
war ein Notruf über die Polizeinummer 110 vorausgegangen.
Selbst im Nebensatz sind 14 Wörter mit 35 Silben zwischen Präposition
und Substantiv eingefügt.
FAZ; Quelle: Schneider, 1994, 68
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23
Kurzzeitgedächtnis: Was man wissen muss
...wie
...wiedie
dieArbeiten
Arbeiten von Klaus Detlef Müller über „Schiller und das Mäzenat“,
von Dorothea Kuhn über das „Rollenspiel zwischen Autor und Verleger“, der
ergiebige Vergleich von „Iphigenie“ und „Maria Stuart“ durch Peter Pütz,
Wilfried Barners sachkundige Darstellung von Goethes und Schillers Briefwechsel über „Wilhelm Meisters Lehrjahre“, Karl-Heinz Hahns erfrischende
neue Lesarten zum Briefaustausch der beiden Klassiker, Thomas Saines unterhaltsame Deutung von Goethes „Campagne in Frankreich 1792“ als Roman, Ernst Behlers ausgewogene Bestandsaufnahme der Wirkungsgeschichte
von Goethe und Schiller auf die Gebrüder Schlegel und Peter Börners Skizze
der „Reaktionen des Auslands auf die Grossen von Weimar“ nachdrücklich
belegen.
97 Wörter (201 Silben) bis zum Verb, das den Sinn stiftet;
man nur schreiben brauchen: ...wie folgende Arbeiten belegen.
FAZ; Quelle: Schneider, 1994, 68
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24
Das Langzeitgedächtnis
Verschiedenste Erinnerungen sind im Langzeitgedächtnis gespeichert:
Zum Beispiel Erinnerungen aus der Kindheit, Wissen über Frankreich,
Bilder von Van Gogh, Melodien, Gerüche, Berührungen, Bewegung,
Geschmack (en Guete).
Allgemein unterscheidet man drei Formen des Langzeitgedächtnisses:
• Episodisches Gedächtnis
≈ Deklaratives Wissen
• Semantisches Gedächtnis
= Prozedurales Wissen
• Prozedurales Gedächtnis
(vgl. Vorlesung „Lernen von Fertigkeiten“)
© Rolf Reber
25
Der Unterschied zwischen episodischem und
semantischem Gedächtnis
Episodisches Gedächtnis:
Beinhaltet Erinnerungen an Erlebnisse aus der eigenen Vergangenheit,
z.B. wie ich als Kind Kaninchen fütterte, wie ich in Dijon war, der erste
Kuss, wie ich gestern Bi Bim Bop kochte.
Semantisches Gedächtnis:
Beinhaltet Wissen über Fakten. Z.B. dass Kaninchen Säugetiere sind, dass
Dijon die Hauptstadt des Burgunds ist oder das Rezept für Bi Bim Bop .
Oft werden Erinnerungen an Episoden durch Wissen aus dem semantischen
Gedächtnis ergänzt. Beispiel: Wenn ich mich erinnern muss, ob ich heute
morgen zuerst Hemd oder Krawatte anzog: Ich kann mich zwar nicht daran
erinnern, weiss aber, dass es zuerst das Hemd gewesen sein muss.
© Rolf Reber
26
Das semantische Gedächtnis
Im semantischen Gedächtnis wird Wissen repräsentiert.
Repräsentation: Im Gedächtnis ist nicht das reale Objekt gepeichert,
sondern ein Abbild oder ein Begriff.
Man stellt sich dies ähnlich vor wie die Datenbank eines Computers:
Das Wissen ist vernetzt. Wenn wir Wissen abrufen müssen, werden
Begriffe in diesem Netzwerk aktiviert.
Schauen wir uns ein hierarchisches semantisches Netzwerk an.
(es gibt heute auch sog. Konnektionistische Modelle, die wir nicht
behandeln werden, da sie nicht anwendungsrelevant sind).
© Rolf Reber
27
Die Organisation des semantischen
Gedächtnisses
Tier
Vogel
Kanarienvogel
hat Flügel
kann fliegen Fisch
hat Federn
kann singen
ist gelb
hat Haut
kann sich bewegen
isst
atmet
Strauss
hat Flossen
kann schwimmen
hat Kiemen
Hierarchie:
hat dünne,
Es handelt sich um ein
lange Beine
ist gross
hierarchisches Netzkann nicht fliegen
werkmodell des semantischen Gedächtnisses.
© Rolf Reber
28
Die Organisation des semantischen
Gedächtnisses
Tier
Vogel
Kanarienvogel
hat Flügel
kann fliegen Fisch
hat Federn
kann singen
ist gelb
hat Haut
kann sich bewegen
isst
atmet
Strauss
hat Flossen
kann schwimmen
hat Kiemen
Kognitive Ökonomie:
hat dünne,
Merkmale werden am
lange Beine
ist gross
obersten möglichen Bekann nicht fliegen
griff angehängt (nicht
an jedem Begriff!)
© Rolf Reber
29
Die Organisation des semantischen
Gedächtnisses
Tier
Vogel
Kanarienvogel
hat Flügel
kann fliegen Fisch
hat Federn
kann singen
ist gelb
hat Haut
kann sich bewegen
isst
atmet
Strauss
hat Flossen
kann schwimmen
hat Kiemen
Merkmale bei untergehat dünne,
ordneten Begriffen sind
lange Beine
ist gross
nicht Merkmale bei allen
kann nicht fliegen
Exemplaren des übergeordneten Begriffs
© Rolf Reber
30
Die Organisation des semantischen
Gedächtnisses
Tier
Vogel
Kanarienvogel
hat Flügel
kann fliegen Fisch
hat Federn
kann singen
ist gelb
hat Haut
kann sich bewegen
isst
atmet
Strauss
hat Flossen
kann schwimmen
hat Kiemen
hat dünne,
lange Beine
ist gross
kann nicht fliegen
© Rolf Reber
Ausnahmen von der
Regel werden beim
untergeordneten Begriff gekennzeichnet.
31
Die Organisation des semantischen
Gedächtnisses
Tier
Vogel
Kanarienvogel
hat Flügel
kann fliegen Fisch
hat Federn
kann singen
ist gelb
hat Haut
kann sich bewegen
isst
atmet
Strauss
hat Flossen
kann schwimmen
hat Kiemen
Somit werden Schlusshat dünne,
folgerungen möglich:
lange Beine
Wenn ich weiss, dass
ist gross
kann nicht fliegen der Kanarienvogel ein
Vogel ist, weiss ich,
dass er fliegen kann.
© Rolf Reber
32
Die Organisation des semantischen
Gedächtnisses
Tier
Vogel
Kanarienvogel
hat Flügel
kann fliegen Fisch
hat Federn
kann singen
ist gelb
hat Haut
kann sich bewegen
isst
atmet
Strauss
hat Flossen
kann schwimmen
hat Kiemen
Reaktionszeit (Ja/Nein)
hat dünne,
Kanarienvogel kann singen
lange Beine
<
ist gross
kann nicht fliegen Kanarienvogel kann fliegen
<
Kanarienvogel hat Haut
© Rolf Reber
33
Die Organisation des semantischen
Gedächtnisses
Sekunden
1.5
1.4
1.3
Reaktionszeit (Ja/Nein)
Kanarienvogel kann singen
0
1
2
<
„Kanarienvogel„Kanarienvogel „Kanarienvogel Kanarienvogel kann fliegen
<
kann singen“ kann fliegen“ hat Haut“
Kanarienvogel hat Haut
1.2
© Rolf Reber
34 34
Schemata
Um Wissen ökonomisch speichern zu können, werden Wisseneinheiten
zusammengefasst. Wenn ich Ihnen erzähle, ich hätte vorgestern in einem
Restaurant Bratwurst und Rösti gegessen, muss ich nicht in die Einzelheiten
über den Restaurantbesuch gehen: Sie können diese Einzelheiten aus ihrem
semantischen Gedächtnis abrufen.
Man unterscheidet zwischen zwei Arten von Schemata:
Ereignisschemata (Skripts)
(z.B. Restaurantbesuch; zur Arbeit gehen; Einkaufen; eine Bergtour machen)
Szenenschemata
(z.B. Büro; Küche; Museum; Schule)
© Rolf Reber
35
Ereignisschemata: Restaurantskript
Restaurant:
Szene 1: Platznehmen
Bestandteile:
Tische, Stühle,
Speisekarte,
Speisen, Küche
Szene 2: Bestellen und Kochen
Rollen:
Gast, Kellner, Koch
Szene 3: Servieren und Essen
Szene 4: Bezahlen
Folie Wimmer & Perner (1979, 142)
© Rolf Reber
36
Szenenschemata
Schrank
Büro:
Bücherregal 1
Bücherregal 2
Hat
Türe
Schreibtisch
Fenster
Ist ein
Büromöbel
Bürostuhl
auf
PC
hinter
Besprechungstisch
Stuhl 1
Stuhl 2
bei
Stuhl 3
© Rolf Reber
37
Mentale Modelle
Büro:
Türe
Stuhl
BeStuhl sprechungs- Stuhl
tisch
© Rolf Reber
Bücherregal
Schreibtisch
Bücherregal
Schrank
Fenster
Bürostuhl
38
Bildliche Repräsentationen
Es gibt heute gute Hinweise darauf, dass Menschen Information in einem
bildlichen Format abspeichern können.
Ein Beispiel, das schwer mittels Netzwerken begrifflicher Information zu erklären ist: Versuchspersonen aus Cambridge und Glasgow erhielten ein Blatt
Papier, mit der Aufgabe, die Verbindungen zwischen britischen Städten massstabgetreu einzuzeichnen. Vorgegeben war die Richtung nach Norden und ein
Anfangspunkt. Dann sollten sie Linien zeichnen, z.B. zwischen London und
Edinburgh, zwischen Edinburgh und Birmingham, usw.
Die Resultate sind eindeutig (vgl. Folie)
Dies ist ein schönes Beispiel dafür, wie unsere Gedächtnisinhalte durch
unsere eigenen Erlebnisse, Interessen, usw. geprägt werden.
(Folie Baddeley, 2000, 158/159)
© Rolf Reber
39
Bildliche Repräsentationen
Damit gibt es mindestens zwei Arten, Informationen abzuspeichern: Begriffliche (z.B. Skripts) und bildliche Information (z.B. räumliche Vorstellungen).
Die Verwendung bildlicher (oder: visueller) Vorstellungen sind in einigen
Fällen eine gute Gedächtnisstrategie (vgl. Vorlesung „Strategien des
Behaltens“).
(Folie Baddeley, 2000, 158/159)
© Rolf Reber
40
Das Würfelbeispiel
(Psssst)!
Stellen Sie sich einen Würfel mit einer Seitenlänge von etwa zehn
Zentimetern vor. Der Würfel steht vor Ihnen auf dem Tisch, die
vordere untere Kante ist mit der Tischkante bündig.
Nun drehen Sie bitte den Würfel um 45° auf die untere, linke Kante.
Wenn Sie sich dies vorstellen können, drehen Sie den Würfel um 45°
auf die hintere Ecke der unteren Kante.
Zeigen Sie nun mit dem linken Zeigefinger die Spitze des Würfels.
Eine Ecke steht auf dem Tisch, eine Ecke halten Sie mit Ihrem linken
Zeigefinger.
Zeigen Sie nun mit dem rechten Zeigefinger die restlichen Ecken.
© Rolf Reber
41
Das Würfelbeispiel
Diese Demonstration zeigt, dass visuelle Vorstellungsbilder nicht
perfekte Abbildungen unserer Aussenwelt sind. Vielmehr handelt
es sich um skizzenartige Repräsentationen von Objekten.
© Rolf Reber
42
Beispiel:
Gedächtnis unter Alkoholeinfluss
Es ist bekannt, dass alkoholkranke Personen
im Rausch Geld oder Schnaps verstecken. Sind
diese Personen wieder nüchtern, haben sie keine
Ahnung, wo das Geld oder der Schnaps ist. Wenn
sie wieder betrunken sind, finden sie das Geld
oder den Schnaps wieder.
Wie kann man dieses Phänomen gedächtnispsychologisch erklären?
Welche anderen Phänomene gibt es, die nach dem
gleichen Prinzip funktionieren?
© Rolf Reber
43
Zustandsabhängiges Lernen
Amerikanische Forscher führten folgendes Experiment durch:
Personen mussten Wörter lernen und später wieder abrufen.
Vier Gruppen:
Lernen Abruf Lernen Abruf Lernen Abruf Lernen Abruf
Nüchtern
Alkohol
© Rolf Reber
44
Zustandsabhängiges Lernen
Anzahl Fehler
(Differenz zu Baseline)
© Rolf Reber
45
Zustandsabhängiges Lernen
Zustandsabhängiges Lernen besagt, dass Material am besten behalten
wird, wenn es im gleichen Zustand gelernt wurde, wie es nun abgerufen
wird.
Neben Alkohol bewirken vor allem Medikamente (z.B. Schlaf- und Beruhigungsmittel) zustandsäbhängiges Lernen.
Gibt es andere Phänomene, die dem zustandsabhängigen Lernen entsprechen?
© Rolf Reber
46
Kontextabhängiges Lernen
Zwei britische Psychologen führten 1975 folgendes Experiment durch:
Taucher mussten Wörter lernen und später wieder abrufen.
Vier Gruppen:
Lernen Abruf Lernen Abruf Lernen Abruf Lernen Abruf
Land
Wasser
© Rolf Reber
47
Kontextabhängiges Lernen
% richtig abgerufener Wörter
Achtung:
Anzahl Richtige
© Rolf Reber
48
Kontextabhängiges Lernen
Experiment zum kontextabhängigen Lernen:
Personen mussten Wörter lernen und später wieder abrufen.
Drei Gruppen:
Lernen Abruf Lernen Abruf Lernen Abruf
Die dritte Gruppe
musste vor dem
Abruf sich Keller
möglichst genau
vorstellen.
5. Stock
Keller
© Rolf Reber
49
Kontextabhängiges Lernen
Anzahl richtig abgerufener Wörter
© Rolf Reber
50
Kontextabhängiges Lernen: Anwendung
In einer polizeilichen Befragung werden Zeugen
oft aufgefordert, den Kontext (z.B. des Unfalls)
zu erinnern, um das Abrufen von Information
zum Unfall zu erleichtern (vgl. Das Kognitive
Interview in der Vorlesung „Zeugenaussagen“).
© Rolf Reber
51
Kontextabhängiges Lernen
Kontextabhängiges Lernen besagt, dass Material am besten behalten
wird, wenn es im gleichen Kontext (zum Beispiel Raum) gelernt wurde,
wie es nun abgerufen wird. Man kann dies so erklären, dass Personen
Information immer mit ihrem Kontext zusammen abspeichern, nicht
isoliert. Dies ergibt ein Netzwerk mit Information plus Kontext.
Frage: Müssen Sie nun befürchten, dass Sie im Examen schlechter sind,
wenn Sie in einem Raum geprüft werden, in dem Sie nie gelernt haben?
Antwort: Nein. Es konnte zwar kontextabhängiges Lernen für Lernsituationen nachgewiesen werden, aber diese Wirkungen sind derart klein,
dass sie vernachlässigt werden können. Dies ist ein schönes Beispiel,
wie Theorie und Praxis auseinander gehen.
© Rolf Reber
52
Das menschliche Gedächtnis: Lernziele
Allgemeines Lernziel:
Ich kenne die verschiedenen Gedächtnissysteme und deren Funktion
Ich kann...
• sensorisches, Kurz- und Langzeitgedächtnis unterscheiden;
• die Funktionen des Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnisses erklären;
• den Unterschied zwischen episodischem, semantischem und
prozeduralem Gedächtnis erklären;
• verschiedene Arten von Schemata unterscheiden;
• erklären, was zustands- und kontextabhängiges Lernen ist.
© Rolf Reber
53
Demnächst in diesem Kino...
Lernen, Denken, Vergessen.
6. Teil:
Erinnern und Vergessen
Die allmächtige Vergessenskurve.
So wird das Gedächtnis getäuscht!
So brodelt die Gerüchteküche.
© Rolf Reber
54
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