Medikamentöse Therapie der Huntington-Krankheit Matthias Dose Huntington-Zentrum Süd Taufkirchen Prävalenz, Krankheitsbeginn und Erstsymptome • Prävalenz – 1,8-6,7 pro 100.000 EW ( 5,15) • Manifestationsalter – N-Typ: 42 Jahre (39%) – P-Typ: 37,9 Jahre (39%) – NP-Typ: 41,3 Jahre (22%) Daten der Gruppe von Prof. Weindl, TU München Therapeutische Strategien bei HK • Neuroprotektive Behandlung als Merkmals-träger identifizierter Risikopersonen • symptomatische Behandlung psychischer/neurologischer Störungen • psychosoziale Betreuung • andere Therapieverfahren • Zukunft: Transplantation? Gentherapie? Expertengruppe der DGNLeitlinie (2008) Prof. Dr. Matthias Dose, Huntington-Zentrum Süd;(für den wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Huntington-Hilfe) Prof. Dr. Jörg T. Epplen, HZ NRW, Humangenetik Ruhr-Universität Bochum PD DR. Hans Jung, Neurologische Klinik, Universitätsspital Zürich Prof. Dr. Christoph Kosinski, Neurologische Universitätsklinik Aachen Prof. Dr. Bernhard Landwehrmeyer, Neurologische Universitätsklinik Ulm Prof. Dr. Josef Priller, Neurologische und Psychiatrische Klinik, Charité, Berlin Dr. Ralf Reilmann, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Münster Prof. Dr. Rudolf Töpper, Neurologische Abteilung, Asklepios-Klinik Harburg Prof. Dr. Gregor K. Wenning, Sektion für klinische Neurobiologie, Neurologische Universitätsklinik Innsbruck Federführend: Prof. Dr. Rudolf Töpper, Neurologische Klinik, Asklepios-Klinik Harburg, Eißendorfer Pferdeweg 52, 21075 Hamburg E-Mail: [email protected] Leitlinien der DGN 2008 Chorea Was gibt es Neues? • Eine wirksame neuroprotektive Therapie für die Huntington-Erkrankung ist weiterhin nicht verfügbar. In einer randomisierten, doppelblinden Studie zeigte Riluzol keine signifikanten Effekte auf die Krankheitsprogression (↓↓). • Ein symptomatischer Effekt von Tetrabenazin auf die Chorea wurde nachgewiesen (↑). Tetrabenazin ist zudem nun in Deutschland zur symptomatischen Therapie der Chorea zugelassen. Andere symptomatische Therapiestudien mit randomisiertem, doppelblindem Studiendesign verliefen negativ (z. B. 2 Studien in Europa und in Nordamerika mit der ungesättigten Fettsäure EthylIcosapent (↓↓). • Zur symptomatischen Therapie der kognitiven und psychiatrischen Symptome der Huntington-Erkrankung ist die Datenlage weiterhin sehr unbefriedigend. Verfahren der Stammzelltransplantation sind bisher experimentell. Trehalose alleviates polyglutamine-mediated pathology in a mouse model of Huntington‘s disease ( Tanaka et al., Nature Medicine (2004), 10: 148-154) • Trehalose (2%) – vermindert die Aggregation von Polyglutamin in Gehirn und Leber im Zellmodell für HD – Verbessert motorische Funktionsstörungen und – verlängert die Lebenszeit im Maus-Modell für HD – Nicht toxisch – Hoch löslich – Wirksam bei oraler Aufnahme Verhinderung – Verlangsamung Neuroprotektive Ansätze • Hemmung der Aggregatbildung („Grüntee-Extrakt“ Epigallocatecin-3 Gallat/EGCG) • Hemmung der Glutamat-Synthese oder Freisetzung (z.B. Riluzol, Lamotrigin, Gabapentin) • Glutamat-Rezeptorblocker (Akatinol-Memantine, Remacemid) • Verbesserung des Zellstoffwechsels (Coenzym Q10, Nikotinamid) • Ethyl-EPA (ω-Fettsäure, „Miraxion“, „Amarin“) • Antioxidantien (Vitamine, insb. Vitamin E) Akatinol/Memantine im 24-Monatsvergleich (Beister, Kraus, kuhn et al., J Neural Transm (2004) 68:117-122 UHDRS Kontrollgruppe MemantineGruppe Total motor score 21,2% 4,35% Total functioning 15,4% 9,3% (ADL) SEP-Amplitude 1,7 mV 1,1 mV Balance between synaptic versus extrasynaptic NMDA receptor activity influences inclusions and neurotoxicity of mutant huntingtin Nature, 2009 Shu-ichi Okamoto1,5, Mahmoud A Pouladi2,5, Maria Talantova1,5, Dongdong Yao1,5, Peng Xia1, Dagmar E Ehrnhoefer2, Rameez Zaidi1, Arjay Clemente1, Marcus Kaul1, Rona K Graham2, Dongxian Zhang1, H-S Vincent Chen1,3, Gary Tong1,4, Michael R Hayden2 & Stuart A Lipton1, Treatment of transgenic mice expressing a yeast artificial chromosome containing 128 CAG repeats (YAC128) with low-dose memantine blocks extrasynaptic (but not synaptic) NMDARs and ameliorates neuropathological and behavioral manifestations. By contrast, high-dose memantine, which blocks both extrasynaptic and synaptic NMDAR activity, decreases neuronal inclusions and worsens these outcomes. Our findings offer a rational therapeutic approach for protecting susceptible neurons in Huntington’s disease. Symptomatische Therapie • Hyperkinesen und psychiatrische Symptome sprechen phasenweise gut auf eine symptomatische pharmakologische Therapie an. • Neuropsychologische Defizite und die Demenz sind bislang pharmakologisch nicht behandelbar. • Die folgende Aufstellung enthält Empfehlungen, die z. T. auf kontrollierten Studien, oft aber auf Kasuistiken und Expertenwissen beruhen. Hyperkinesen • Tiaprid (Tiapridex 3 × 100 mg bis 4 × 300 mg pro Tag). • Alternativ oder in Ergänzung zu Tiaprid wird Tetrabenazin (Nitoman 3 × 25 mg bis 3 × 75 mg pro Tag) verabreicht. • Olanzapin zeigte einen günstigen Effekt in 2 von 3 kleinen offenen Studien (Zyprexa bis 30 mg/d). Olanzapin bewirkte auch eine Verbesserung der Gangstörung und Fingermotorik in einer der Studien. • Clozapin zeigte zur Behandlung von Hyperkinesen bei Huntington-Erkrankung unbefriedigende Effekte und hat relevante Nebenwirkungen (Leukopenie). Hyperkinesen • Wegen ungünstiger Effekte auf häufig bestehende Hypokinese und Bradykinese sollten Antihyperkinetika einschließlich klassischer Neuroleptika nur sparsam bei subjektiv behindernden Hyperkinesen eingesetzt werden. • Zwei große Multi-Center-Studien in Europa und in Nordamerika mit der ungesättigten Fettsäure EthylIcosapent zeigten keine Besserung der motorischen Symptome der Patienten nach sechsmonatiger Therapie (↓↓). Die Datenlage zu Amantadin ist widersprüchlich (↔). • Verfahren der tiefen Hirnstimulation bei der HuntingtonErkrankung werden zurzeit in kleineren Studien erprobt und stellen bisher ein experimentelles Verfahren dar. Empfehlungen können erst nach • Veröffentlichung dieser Studienergebnisse abgegeben werden (↔). Medikamentöse Behandlung anderer neurologischer Symptome • Antispastische Medikation (z.B. Sirdalud), (evtl. Muskelrelaxantien), Cannabis • Analgetische Behandlung • Antikonvulsive Behandlung bei Myokloni und (häufig bei frühem Krankheitsbeginn und hoher CAG-repeat-Zahl) Krampfanfällen (CBZ, VPA, Levotiracetam/Keppra, Lamotrigin/Lamictal, ggf. Clonazepam/Rivotril ) Depressionen • Depressionen sind bei der Huntington-Erkrankung häufig und schwerwiegend. Hervorzuheben ist die hohe Suizidrate. Die Behandlung sollte bevorzugt mit Sulpirid (Dogmatil 400– 600 mg/d), einem nahezu selektiven D 2-Antagonisten, der daher auch die Hyperkinesen bessert, oder mit SSRIs erfolgen. • Der Einsatz von trizyklischen Antidepressiva sollte vermieden werden, da diese aufgrund des anticholinergen Wirkprofils die Hyperkinesen häufig verschlechtern. • Zur antidepressiven Therapie der HuntingtonErkrankung gibt es bisher keine adäquaten Studien. Behandlung depressiver Syndrome • Mittel der Wahl – Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI‘s) – Speziell: (S) - Citalopram, (wegen des günstigen Interaktionspotentials) – Mirtazapin (wenn Gewichtszunahme erwünscht) – Achtung: – bei gleichzeitiger Gabe mit Dopamin-Antagonisten (Neuroleptika, Tiaprid) und Tetrabenazin → – extrapyramidale Nebenwirkungen (Unruhe) möglich Angst/Unruhe/Schlafstörungen • Buspiron, Hydroxyzin, nichttrizyklische Antidepressiva (z. B. Mirtazapin) und sedierende Neuroleptika mit geringem anticholinergem Nebenwirkungsprofil (↔). • Benzodiazepine oder Benzodiazepinrezeptor-Agonisten (Zolpidem, Zopiclon) • Aggressivität ist häufig ein Problem in der Versorgung von Patienten, die an der Huntington-Erkrankung leiden. Verbesserungen wurden in Einzelfällen unter Risperidon, Olanzapin und Betablockern berichtet. Psychosen • Psychosen sollten mit atypischen Neuroleptika behandelt werden, da bei längerer Anwendung klassischer Neuroleptika eine mögliche Überlagerung der Chorea durch Spätdyskinesien zu beachten ist. Aussagekräftige Studien zur Psychosebehandlung fehlen bislang. • Erfahrungen liegen mit Olanzapin, Clozapin und Amisulprid (100– 200 mg/d) vor. Nach vereinzelten Berichten sind auch Risperidon und Quetiapin wirksam. Wahnvorstellungen und Halluzinationen • Neuroleptika – cave: EPS, insbesondere Akathisie und tardive Dyskinesien • Differenzialindikation – Verstärkung antidopaminerger Wirkungen erwünscht? – Dann: 1. Generation bzw. Risperidon Wahnvorstellungen und Halluzinationen • Verstärkung antidopaminerger Wirkungen nicht erwünscht? – 2. Generation (Olanzapin, Quetiapin) oder Clozapin – Cave • Chorea wegen anticholinerger Effekte • Senkung der Krampfschwelle Demenz • Bislang sind keine ausreichend validen Therapieempfehlungen möglich. In einer offenen Studie hat sich Memantine bezüglich der neuropsychologischen Defizite als progressionsverlangsamend erwiesen. • Cholinesterase-Inhibitoren waren in zwei offenen Studien nicht wirksam. Demenzielle Syndrome Rivastigmin (Reminyl®) bei HK (de Tomasso, Specchio, Scirucchio et al., Movement Disorders (2004), 19: 1516-1518 • 21 HK-Patienten – 14 mit, 7 ohne Behandlung • Wirksamkeitsprüfung nach 8 Monaten – Viele zusätzliche Medikamente – Nach 6 Monaten „Trend“ zu verbesserten MMSE-Werten unter Rivastigmin – Kein Einfluss auf Motorik Domestic drug Dimebon provides an alternative treatment for Alzheimer's disease. Dimebolin hydrochloride (Dimebon)*, ….can help to suppress cell death in patients with Alzheimer's and Huntington's diseases and can be used as an agent for the treatment of these neurodegenerative diseases. In the USA, Dimebon is currently undergoing Phase 3 clinical trials for determining its effectiveness as a drug for the treatment of Alzheimer's disease. Latrepirdine 2,3,4,5-tetrahydro-2,8-dimethyl-5(2-(6-methyl-3-pyridyl)ethyl) -1H-pyrido(4,3-b)indole Drug Shows Promise for Huntington’s Disease February 08, 2010 Karl Kieburtz, M.D. An early stage clinical trial of the experimental drug dimebon (latrepirdine) in people with Huntington’s disease appears to be safe and may improve cognition. That is the conclusion of a study published today in the Archives of Neurology. Pfizer-Medikamentenkandidat Dimebon scheitert in Phase-III-Studie 03.03.2010 - 15:38 NEW YORK (Dow Jones)— Der US-Pharmakonzern Pfizer hat mit seinem Alzheimer-Medikamentenkandidaten "Dimebon" einen Rückschlag erlitten. Unerwartet habe Dimebon sowohl die primären als auch die sekundären Endpunkte in der klinischen Studie "Connection" verfehlt, teilten Pfizer und ihr Entwicklungspartner Medivation am Mittwoch mit. Beide Konzerne wollen nun die Testdaten auswerten und die kommenden Schritte festlegen. Inkontinenz • Gelegentlich kommt es bei Patienten mit der Huntington-Erkrankung zum Auftreten von sog. „precipitate micturitions“ , d. h. einem plötzlichen Urinabgang ohne Vorwarnung und einer Unfähigkeit, die Blasenentleerung zu stoppen, bevor die Blase völlig entleert ist. • Anticholinergika sind hier unwirksam, Carbamazepin (200 mg/d) hingegen ist häufig wirksam. Abhängigkeit/Süchte • bei sekundärer Abhängigkeit: symptomatische Behandlung der Grundstörung (z.B. Depression, Angststörung) • "anti craving" Substanzen: Acamprosat, Tiaprid Verhaltensstörungen (z.B. Aggressivität, Sexualstörungen) • Antikonvulsiva – Carbamazepin (Tegretal®, Timonil®) • cave: Enzyminduktion und dadurch bedingte Senkung des Plasmaspiegels anderer Medikamente – Valproinsäurederivate (Convulex ®, Ergenyl ®, Leptilan®) • bei intermittierenden Bewusstseinstörungen • Bei V.a. Myokloni • Neuroleptika • Benzodiazepine • Verhaltenstherapie Gewichtsverlust • Patienten mit Huntington-Erkrankung sind katabol und bedürfen daher auch – unabhängig von einer eventuell zusätzlich bestehenden Schluckstörung – einer hochkalorischen Diät, ggf. bis zu 6– 8 Mahlzeiten pro Tag. • Leichtes Übergewicht verbessert häufig die Chorea. Psychosoziale Betreuung • Die symptomatische Behandlung sollte neben der Pharmakotherapie auch psychologische, psychosoziale, krankengymnastische, ergotherapeutische und logopädische Maßnahmen beinhalten. • Auf Selbsthilfegruppen sollte verwiesen werden (Deutsche Huntington Hilfe, www.dhh-ev.de; • Huntington’ s Disease Society of America, www.hdsa.org). Andere Therapieverfahren • • • • • • Ergotherapie Kreativtherapien (Kunst-, Musiktherapie) Logopädie Physiotherapie Bewegungs- und Tanztherapie Selbsthilfe Nicht alles muss medikamentös behandelt werden • • • • • Verständnis Einfühlungsvermögen Respekt Wertschätzung und manchmal einfach Humor!