Der Weg in die Katastrophe 1914 bis 1933 Von Helga Schultz Gliederung 1. 2. 3. Weltkrieg und Revolution Von Weimar zu Hitler Deutscher „Sonderweg“? 1. Weltkrieg und Revolution Urkatastrophe Europas Der erste Weltkrieg war die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts für die Europäer. Auf eine lange Periode des Friedens und des wirtschaftlichen Wachstums folgte ein „Dreißigjähriger Krieg“ und mit politischem und wirtschaftlichem Niedergang. Die Ordnung des alten Europa ging zugrunde in einer Kette sozialer und nationaler Revolutionen. Habsburgermonarchie, Zarenreiches und Osmanisches Reich zerbrachen, neue Staaten entstanden, die das heutige Europa prägen. Der Weg in den Krieg Der Ausbruch des Krieges nach dem Attentat auf das österreichische Thronfolgerpaar in Sarajevo erfolgte entsprechend dem Automatismus der Bündnissysteme: Mittelmächte: Österreich, Deutsches Reich, Italien Entente: Russland, Frankreich, Großbritannien Ursächlich war die Destabilisierung des europäischen Mächtesystems nach der Gründung des deutschen Nationalstaates. Ursächlich war ebenso die imperialistische Politik des Wilhelminischen Reiches, die Großbritanniens und Frankreichs Vormachtstellung bedrohte: Kolonialpolitik, Flottenrüstungspolitik. Opfer Der erste Weltkrieg ist der erste moderne Krieg mit industriellen Vernichtungswaffen (Gaskrieg, Maschinengewehre), der in den Materialschlachten auf allen Seiten mehr als 10 Millionen Tote forderte. Auf deutscher Seite: 2 Millionen Gefallene, 4,8 Millionen Verwundete. Die Zivilbevölkerung litt furchtbar: Steckrübenwinter 1917/18 Grippeepidemie Gaskrieg Gasangriff an der Westfront Otto Dix: Gasangriff, 1924. Revolution 1918/19 Die Revolution erfasst von November 1918 bis Mai 1919 ganz Deutschland. Angesichts der Niederlage wälzen Heeresführung und Monarchie die Macht auf die Sozialdemokraten über, um den Zerfall des Staates, alliierte Besetzung oder rote Revolution zu verhindern. Fortschritte: Abschaffung der Monarchie, Gleichberechtigung von Frauen und Minderheiten, Erfüllung sozialer Forderungen (Achtstundentag, Mitbestimmung) Münchener Räterepublik Unter Führung radikaler Linker - u. a. die Schriftsteller Erich Mühsam, Ernst Toller und Gustav Landauer – behauptete sich die Räterepublik von März bis Anfang Mai 1919. Sie wurde durch Truppen der sozialdemokratischen Reichsregierung und bayerische Freikorps niedergeschlagen. Versailles 1919 Die Pariser Konferenz der Siegermächte bringt keine Friedensordnung für Europa zustande, wie es noch der Wiener Kongress 1815 vermochte. Obwohl der Versailler Vertrag die französischen Forderungen nach der Zerstückelung Deutschlands nicht erfüllt, bringt er doch mit unbegrenzten Reparationsforderungen, Gebietsabtretungen und Zuweisung der alleinigen Kriegsschuld eine schwere Hypothek für die Republik. Europa 1921 2. Von Weimar zu Hitler Republikfeinde Es gibt keine Partei in Deutschland, die nicht die Revision der Bestimmungen des Versailler Vertrages anstreben würde. Nur die Sozialdemokraten und die Liberalen (Deutsche Volkspartei) stehen uneingeschränkt hinter der Republik von Weimar. Auf der Rechten standen ostelbische Agrarier, die Mehrzahl der Universitäts- und Schullehrer, Teile der Beamtenschaft und das alte Offizierskorps. Den Linken (Wachsende Teile der Arbeiterschaft und die künstlerische Avantgarde) galt die Republik als Verrat an der Revolution. „Erfüllungspolitik“ Erfolge der republikanischen Politik gegen: die französische Ruhrbesetzung; die außenpolitische Isolation (Vertrag von Rapallo mit der Sowjetunion und Locarno mit Frankreich und Belgien); die Reparationen (Dawes-Plan, Young-Plan). Selbst dies galt den rechten Gegnern (Monarchisten, Deutschnationale, Nationalsozialisten) als landesverräterische Erfüllungspolitik. Walther Rathenau (1867 - 1922) Der Außenminister, der den Rapallo-Vertrag am 16. April 1922 unterzeichnet hatte, wird am 24. Juni auf dem Weg in das Auswärtige Amt erschossen. Vergebliche Geschenke Die Innen- und Sozialpolitik der Republik verteilt und wirbt nach allen Seiten, gibt den Arbeitern Lohnerhöhungen, den Industriellen Subventionen und den Junkern Osthilfe. Das destabilisiert Staatshaushalt und Wirtschaft und bringt keine Bündnispartner. Die Weltwirtschaftskrise macht seit 1929 die Politik der Geschenke nach allen Seiten unmöglich. Die extreme Arbeitslosigkeit treibt die Massen den linken (KPD) und rechten (NSDAP) Feinden der Republik zu. Reichstagswahlen 100 90 80 KPD SPD DDP Zentrum DNVP NSAP 70 60 50 40 30 20 10 0 1919 1924 1928 1930 1932 1933 Massenarbeitslosigkeit Vor dem Arbeitsamt Hannover 1932. NaziPropaganda 3. Deutscher „Sonderweg“ Sonderwegsthese Die These vom deutschen Sonderweg kam während des ersten Weltkrieges bei den Ententemächten auf. Die deutsche Entwicklung wurde der normativen französischen und britischen entgegengesetzt. Die Schwäche des deutschen Bürgertums, die sich in verspäteter Industrialisierung und Modernisierung und im Scheitern der Revolution von 1848 niederschlug. Schwäche des Liberalismus und Parlamentarismus bei übersteigertem Nationalismus und Untertanengeist der Deutschen. Der anachronistische, autoritative und militaristische Charakter des Deutschen Kaiserreiches, das zur Weltherrschaft strebte. Verfestigung Die Sonderwegsthese erklärte dann den Aufstieg des Nationalsozialismus mit dem antidemokratischen, rassistischen Konzept der Volksgemeinschaft und des „deutschen Wesens“, an dem die „Welt genesen“ sollte. Untertanengeist, Obrigkeitsstaat und Militarismus pflanzten sich gewissermaßen als deutsche Erbsünde von Luther über Friedrich II. zu Bismarck und schließlich zu Hitler fort. Der lange Weg nach Westen Nach dem zweiten Weltkrieg wurde diese These in unterschiedlichem ideologischem Gewand Gemeingut der progressiven Geschichtsschreibung in Ost und West: Bielefelder Schule (Hans-Ulrich Wehler) Marxistische Geschichtsschreibung in Fortschreibung der Miseretheorie von Marx und Engels. Noch Heinrich August Winkler spricht von der deutschen Geschichte als einem „langen Weg nach Westen“. Der Westen ist hier eine atlantische Gemeinschaft unter Führung der USA, die der illiberalen „östlichen“ Tradition Europas entgegengesetzt wird. Normative Geschichtsschreibung Heute haben die Historiker diese Hypothese als normative Geschichtsschreibung verworfen. Einen „Normalweg“ gab es in Kontinentaleuropa allenfalls in den Benelux-Ländern und in Skandinavien, ansatzweise in Frankreich. Geschichte verläuft nicht gradlinig, sondern mit Brüchen, die Alternativen bieten. Die Kritiker betonen den bürgerlichen Charakter der deutschen Gesellschaft im Kaiserreich und den Einfluss des Liberalismus. Sie sehen die Schwäche der Weimarer Republik politisch in der Reaktion auf Versailles und wirtschaftlich in der großen Krise von 1929-32.